Mueller, Roland - Der Kundschafter des Königs

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    Roland Mueller

    Der Kundschafter

    des Knigs

    Auf den Spuren

    Alexanders des Groen

    cbj

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    cbj ist der Kinder- und Jugendbuch-Verlag in der

    Verlagsgruppe Random Housewww.cbj-verlag.de

    Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform1. Auflage 2005

    2005 cbj, Mnchen

    Ein Projekt der Montasser Medienagentur

    Alle Rechte vorbehaltenLektorat: Gerd RumlerUmschlagbild: Dieter Wiesmller

    Fr die Landkarte: Hermann Kinder/Werner Hilgemann: dtv-Atlas

    Weltgeschichte Grafische Gestaltung der Abbildungen:Harald und Ruth Bukov

    1964, 2003 Deutscher Taschenbuch Verlag, Mnchen

    Umschlaggestaltung:Basic-Book-Design, Karl Mller-Bussdorf

    kb Herstellung: WMSatz: Uhl + Massopust, Aalen

    Druck: GGP Media GmbH, PneckISBN 3-570-12924-1Printed in Germany

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    Makedonien, 334 vor Christus: Der junge Knig Alexanderzieht aus, um die Welt zu erobern. Eines Tages steht ihm der12-jhrige Hirtenjunge Dareg gegenber. Dank seinerFhigkeiten als Spurenleser wird der Junge als Kundschafter inAlexanders Gefolge aufgenommen. Sein beispielloserEroberungszug macht Alexander den Groen bald zummchtigsten Herrscher der Welt. Dareg wird Zeuge derSchlacht zu Issos, der Eroberung gyptens und der Grndungder Stadt Alexandria. Doch er erfhrt auch, wie der jahrelangeKrieg Alexander verndert, und in ihm keinen Zweifel auf amSinn der Feldzge

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    I

    Der Kundschafter des Knigs

    Er war von Natur aus wissbegierig undein leidenschaftlicher Leser.

    Die Ilias sah er als ein Lehrbuch der Kriegskunst an ().Er hatte eine von Aristoteles verbesserte Ausgabe bei sich

    () und diese hatte er immer neben seinem Schwertunter dem Kopfkissen liegen.

    PLUTARCH

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    Strahlend blau wlbte sich der Himmel ber das weite Land.Der Sommer in diesem Teil Kilikiens neigte sich dem Ende zu.Noch waren die Tage hei, so wie in den Wochen zuvor.

    Vor nicht allzu langer Zeit hatte es hier viele Schaf- und

    Ziegenherden gegeben. Doch die Hirten waren mit ihrenHerden in die hher und abseits gelegenen Weiden gezogen,um dem drohenden Krieg zwischen Griechen und Persern indieser Gegend zu entkommen. Aber auch nach dem Sieg derGriechen unter ihrem Knig Alexander am Granikos war dasLand weiter einsam und beinahe menschenleer. Die Hirtenblieben lieber im unwirtlichen Hochland. Vielleicht wrden sie

    mit den Herden im nchsten Frhjahr wiederkommen.Jetzt kam ber die schroffen Hgel ein Junge gewandert. Erwar hchstens zwlf Jahre alt, seine Haut ganz braun gebranntund er trug schwarzes, halblanges Haar. Das war Dareg, dessenFamilie eigentlich von der Kste stammte. Seit dem Tod seinerEltern lebte er bei seinem Onkel, der als Bauer seinAuskommen hatte und half ihm beim Schafehten.

    Dareg blieb stehen und blickte sich aufmerksam um. Er war

    wtend. Einen halben Tag lang in der Hitze herumzulaufen,nur um einen Hund zu suchen, war wirklich kein Vergngen.

    Mikion!, rief er.Er wusste nicht, wie oft er den Namen seines Hundes schon

    gerufen hatte. Doch das Einzige, was er hrte, war der Schreieines Raubvogels weit ber ihm im blauen Himmel. O ja, erwar wtend. Was war das berhaupt fr ein Hund, der weglief,statt in der Nhe seines Herrn zu bleiben?, musste er denken.Nein, niemals wrde das ein guter Hirtenhund werden. Er

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    sollte ihn gegen einen anderen eintauschen, doch dazu mussteer ihn erst wiederhaben. Andererseits, er mochte ihn. Mikion

    war zwar noch jung und sehr verspielt, aber wenn er Schafehtete, war er aufmerksam. Und als Dareg weiter nachdachte,stellte er fest, dass Mikion immer versucht hatte, es ihm rechtzu machen. Und als Dareg dann noch einfiel, wie Mikion dieHerde vor nicht allzu langer Zeit vor einem groen Wolfverteidigt hatte, wurde ihm ganz warm ums Herz. Eigentlichwar das ein tchtiger Hund.

    Mikion! Wo steckst du?Der Junge lauschte erneut, ob der schwarzbraune Wirbelwind

    nicht doch hinter einem Busch auftauchte und bellend auf ihnzuschoss. Das tat er sonst immer gerne. Doch nichts geschah.Dareg ging weiter, aber nach ein paar Schritten blieb er wiederstehen und sah sich um. Wie einsam die Gegend hier war.Nicht weit vor ihm begannen hohe, glatte Felswnde, steil indie Hhe zu wachsen. Das Gestein leuchtete im Sonnenlicht.

    Wieder hrte er den Raubvogel ber sich am Himmel. Ja, einVogel msste man sein, dachte Dareg und legte den Kopf inden Nacken. Da oben war er. Kaum noch zu sehen. So einFalke, oder noch besser, ein Adler, wre er gern. Dann wrdeer aufsteigen, ber die Felsen hinauf bis in hchste Hhen undnach Mikion Ausschau halten. Und wenn er ihn dann sehenwrde, hui, auf ihn hinunterstrzen und ihn erschrecken. Aberso sehr, dass er sich das Weglaufen ein fr alle Mal

    abgewhnen wrde. Das msste aufregend sein, wenn derSchatten des Raubvogels ber ihn fuhr. Dareg lachte. Ichwrde ihn anschreien. Mikion, unfolgsamer Hund! Aber dannerschrak er. War nicht der mchtige Zeus als Adler unterwegs?Besser keine solchen Gedanken, sagte sich Dareg, das mgendie Gtter ganz sicher nicht. Er sah wieder hinauf in den fastwolkenlosen Himmel, aber der Raubvogel war verschwunden.

    Whrend Dareg einen staubigen Weg entlangtrabte, war er

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    fast am Fu der Felswand angelangt. Hier wuchsen Bscheund sogar Bume und im Schatten der Felsen war es angenehm

    khl. Er griff nach seinem Wasserbeutel aus einem StckZiegenhaut. Als er ihn schttelte, gluckste das restliche Wasserkaum noch. Viel war nicht mehr drin, aber hier wuchsenringsum Blumen und Kruter. Also gab es gengend Wasser.Vielleicht konnte er frisches Quellwasser finden? Er kannte dieGegend in seinem Weidegebiet sehr gut, aber so weit wiedieses Mal war er noch nie gekommen. Er blieb stehen undlauschte. Wie still es hier war, bis auf das sanfte Suseln desWindes. Eigentlich wollte er nicht so weit von der Herdeweggehen, auch wenn er wusste, dass sein Vetter Kiros auf sieaufpasste. Aber er brauchte seinen Hund.

    In der Gegend gab es Wlfe, und er hatte keine Lust, Schafeoder gar junge Lmmer einzuben. Alles nur weil sein Hundnicht da war und ihm half, die Herde zu bewachen. Dareglauschte erneut. Seine Hoffnung, irgendwo einen Wasserlauf

    oder eine Quelle zu hren, erfllte sich nicht. Nirgendwogluckerte oder pltscherte es khl und erfrischend. Er setztesich auf einen Felsblock. Auf dem steinbersten Boden lieensich Mikions Spuren kaum entdecken. Bei den Gttern, wowar nur der verwnschte Hund?

    Er blickte sich um. Flatterte dort drben an einem Buschnicht etwas? Er beugte sich ein wenig vor. Jetzt sah er esdeutlicher. Jedes Mal wenn ein leichter Windhauch

    vorberstrich, bewegte es sich. Dareg lief hin und dabei mussteer ein paar Mal groen Steinen ausweichen. Er lief den ganzenTag lang schon barfu, denn er wollte seine Sandalen schonen.An dem Busch angelangt, blieb er stehen. Was sich da imleisen Sommerwind bewegte, war ein Bschel Haare, lang undseidig glnzend. Als er sie vorsichtig von einem Ast abnahm,wunderte er sich, wie sehr sie glnzten. Ganz sicher stammten

    sie von einem Pferd. Er schnupperte daran. Komisch, musste er

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    denken, sie rochen gar nicht nach Pferd, sondern nachOlivenl. Er blickte sich um und fand vor sich auf der Erde

    Pfotenabdrcke. Dareg war sich gleich sicher, dass sie vonMikion stammten. Von Spuren verstand er eine Menge,schlielich war er Hirte und kannte sich aus. Aufmerksambetrachtete er den Boden ringsum und dann entdeckte er auchHufspuren. Fuspuren dagegen nicht. Ein Reiter und lange,gleichmige Haare? Die konnten nur vom Helm einesKriegers stammen. Der war mit seinem Helm am Gestruchhngen geblieben und das Haarbschel hatte sich darinverfangen. Aber was fr ein Krieger? War es ein Grieche oderein Perser? Dareg sah sich um. Die Stille war jetztfurchteinflend. Der enge Hohlweg vor ihm zwischen denFelswnden sah auf einmal bedrohlich aus. Noch einmal nachMikion zu rufen, traute er sich nicht mehr, schlielich war dieGegend doch nicht so einsam, wie er angenommen hatte. Jetztwar er sicher, jemand hatte seinen Mikion mitgenommen, ja

    gestohlen. Aber wer konnte nur so gemein sein? Er beschloss,dieser neuen Spur zu folgen und marschierte los.In dem Hohlweg war es khl und auer dem Rufen einiger

    Vgel weit ber ihm war nichts zu hren. Als er die Schluchtdurchquert hatte, wurde der Weg auf einmal breiter und dieFelswnde traten immer mehr zurck. Er ging noch eine Weileweiter und blieb dann erstaunt stehen. Die Felsen lagen wieeine Mauer hinter ihm und er blickte auf ein weites, grn

    bewachsenes Tal. Da wuchsen viele Bume und ein kleinerBachlauf schlngelte sich durch den Talgrund. Das Wasserglitzerte zwischen dem Grn hervor und er sah viele Zelte,Pferde und Karren. Dazu jede Menge Schafe und Ziegen, aberauch Ochsen und Esel, die im Schatten angebunden vonJungen in seinem Alter gefttert wurden. Neugierig schlich erauf dem staubigen Weg hinunter, immer der Spur des Pferdes

    folgend, die jetzt ganz deutlich zu sehen war. Sie fhrte direkt

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    in das Lager.Dort wimmelte es von Menschen. Whrend er sich umsah,

    musste er staunen. Es war eine Weile her, dass er so vieleMenschen auf einem Fleck gesehen hatte. Aber niemandschien sich an ihm zu stren. Zweimal musste er bewaffnetenReitern ausweichen, die an ihm vorbei in das Lager ritten. Alser an die Reihen der ersten Zelte kam, trat ihm ein Wachsoldatentgegen. Er trug einen Bart nach Sitte der Griechen, und auchsonst stellte Dareg fest, dass er genauso aussah wie dieHopliten, die in seiner Heimat die Strae zur Kste bewachten.Die Rstung bestand aus einem Lederwams bis zu denOberschenkeln, darber der Harnisch aus Bronze, der die Brustschtzte. Der Soldat trug Sandalen. Ein Helm mit langenFransen auf dem Mittelteil lag unter einem Baum auf demBoden. Auf dem Kopf trug der Soldat nur ein Stirnband. Aberer trug ein Schwert und einen Schild. Allerdings war dieserviel kleiner und leichter als die blichen schweren

    Eichenschilde der griechischen Krieger. Der Soldat sah ihnund hob seinen runden Schild.He du, was machst du hier?Ich suche jemanden.Ah, und wen?Meinen Hund.Was?Ja, meinen Hund, entgegnete Dareg hflich, hast du ihn

    vielleicht gesehen?Der Soldat senkte seinen Schild ein wenig, sah Dareg an und

    dann lachte er.Deinen Hund? Wo kme ich hin, wenn ich jedem Kter

    nachschauen wrde, der hier rumstreunt?Mein Mikion ist kein Kter!, fauchte Dareg.Er war wtend. Der Soldat war so unfreundlich und dabei

    war es sicher, dass Mikion hier irgendwo sein musste.

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    Ach, schon gut, verschwinde von hier!, befahl der Krieger,aber Dareg blieb stehen.

    Er frchtete sich nicht so leicht, auch wenn jemand soeindrucksvoll aussah wie dieser Mann in seiner Rstung undall seinen Waffen.

    Hast du nicht gehrt? Verschwinde!Ich will meinen Hund wiederhaben und ich werde ihn

    suchen, sagte Dareg mit fester Stimme.Jetzt wurde der Soldat wtend.Was redest du da, Brschlein? Hr zu, ich hab keine Lust,

    mir dein Geschwtz anzuhren. Pass geflligst besser aufdeinen Kter auf. Hier ist er jedenfalls nicht und jetztverschwinde endlich! Du hast in einem Kriegslager nichtsverloren.

    Ich geh nicht ohne Mikion, antwortete Dareg hitzig.Da trat der Wachsoldat auf ihn zu und hob seinen Schild.

    Dareg lie seinen Hirtenstab fallen und stemmte sich mit

    beiden Armen dem Schild entgegen. Der Wachsoldat bliebstehen und drckte, aber Dareg stemmte sich mit aller Kraftdagegen. Der Krieger war strker und schob ihn weg, immervor sich her.

    Gemeinheit, keuchte Dareg, Versteckst dich hinterdeinem Schild! Tritt vor und stell dich wie ein Kerl.

    Der Soldat lachte nur, whrend sich Zuschauer um die beidenscharten. Dareg htte vor Zorn heulen knnen. Der Hoplitschob ihn mit seinem Schild ber den staubigen Boden undschien dieses Spiel lustig zu finden. Er lachte und dieZuschauer ringsum lachten ebenfalls.

    Seht euch Xares an, wie er den Feind abwehrt!Hoho, und was fr ein Feind! Strker als ein ganzes Heer!Pass auf, Xares, der Junge wchst noch und dann sieh dich

    vor!

    Die Mnner lachten und johlten vor Vergngen.

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    Was soll dieser Aufruhr hier?, fragte eine laute Stimme.Augenblicklich schwiegen alle. Respektvoll traten die

    Zuschauer zurck. Es entstand eine Gasse. Durch diese ritt einReiter, gefolgt von zwei weiteren Mnnern zu Pferd. Er, nochjung und schlank, hatte ein gut geschnittenes Gesicht. Er trugdas dunkelblonde Haar nach griechischer Sitte kurz, genausowie seinen Bart, der ihm an beiden Wangen bis unters Kinnreichte. Er war ohne Helm, dafr trug er eine kostbare, feingearbeitete Rstung, ein kurzes Schwert und seine braungebrannten Arme sahen unter einem kurzen Untergewandhervor. An den Fen trug er geschnrte Reitersandalen, dieerst knapp unter den Knien endeten. Alle schwiegen undstarrten den Mann an, als wre er ein Geist. Auch Dareg bliebstehen, beide Hnde noch immer am Schild des Soldaten.

    Was geht hier vor, will ich wissen?, fragte der Reitererneut.

    Der Soldat mit dem Namen Xares lie den Schild sinken.

    Nur ein Spa, Herr. Mit dem Bengel hier.Der Reiter blickte Dareg an und der sah in zwei graue Augen.Wie heit du?, wollte der Reiter wissen.Dareg, Herr, antwortete er.Und was machst du hier?Ich suche meinen Hund. Seine Spur fhrt hierher undSpur?Der Mann beugte sich ein wenig vor und sah sich dann um.

    Die Gegend hier ist steinig. Wie kannst du da einer Spurfolgen?

    Ich bin Hirte, Herr, und kann Spuren lesen. Seit dem frhenMorgen bin ich meinem Hund gefolgt. Bis hierher, antworteteDareg, ein wenig stolz.

    Er zeigte auf den Krieger vor sich, der noch immer mit halberhobenem Schild dastand. Da lachten die umstehenden

    Mnner. Auch die beiden Begleiter des vornehmen Reiters

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    lachten. Nur der Vornehme lachte nicht, sondern blickte in dieRunde. Da hrte das Gelchter auf.

    So, seit heute Morgen. Dann bleib hier und such deinenHund.

    Ja, Herr.Der Reiter trieb sein Pferd durch die wartenden Mnner und

    seine beiden Begleiter folgten ihm. Leise redend zerstreutensich die Soldaten und Knechte und kehrten zu ihrer Arbeitzurck. Der Soldat lie seinen Schild sinken.

    Wer war das?, wollte Dareg wissen.Das?, fragte der Soldat erstaunt. Das war Alexander von

    Makedonien, unser Knig und Anfhrer.Dareg verga, den Mund zu schlieen, und der Soldat lie

    ihn stehen.

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    Dareg hatte von Alexander gehrt. Natrlich, wer htte das indiesen Zeiten nicht? Der junge Knig der Griechen, der diePerser schon einmal geschlagen hatte und sie seitdemverfolgte.

    Aber er konnte darber nicht weiter nachdenken, sondernsuchte Mikion im ganzen Lager. Er fragte Soldaten undKnechte, Sklaven und sogar die jungen Hirten, abervergeblich. Keiner schien etwas zu wissen. Endlich, als erschon nicht mehr glaubte, seinen Hund noch einmal zu sehen,entdeckte er ihn. Jemand hatte ihn an einem Pflock nebeneinem Zelt angebunden.

    Mikion!Als ihn der Hund erkannte, sprang er auf und bellte, zerrte anseiner Leine und versuchte, sich loszumachen. Dareg lief zuihm und kniete neben ihm nieder.

    Mein Guter, hab ich dich wieder. Warum bist du auchweggelaufen?

    Er umschlang ihn mit beiden Armen und drckte ihn an sich.Mikion bellte wie verrckt, schleckte ihm die Hnde und

    sprang an ihm hoch. Da trat ein Mann aus dem Zelt. Auch ertrug das Haar und den Bart nach Sitte der Griechen, aber erwar lter als die meisten Mnner ringsum. Auf Dareg wirkte erwie ein vornehmer Mann. Bekleidet war er wie alle Kriegermit einem Lederwams, doch er trug keinen Brustpanzer. Aberer war Soldat, denn er trug ein Schwert an seinem Grtel.

    Wer bist du?, fragte er nicht unfreundlich.Ich heie Dareg und das ist mein Hund.Dein Hund?, fragte der Mann. Ich hab ihn auf der anderen

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    Seite der Schlucht gefunden. Er war in einen Dorn getretenund konnte nicht mehr weiter.

    Er lag unter einem Busch, nicht wahr?, fragte Dareg unddrckte Mikion dabei an sich.

    Ja, ganz richtig, antwortete der Mann.Du warst zu Pferd und bist nicht abgestiegen, sondern hast

    dich heruntergebeugt und ihn in den Sattel gehoben.Stimmt genau, entgegnete der Mann erstaunt.Und du hast einen Helm aufgehabt. Mit einem

    Kopfschmuck aus langen schwarzen Pferdehaaren, die du mitetwas Olivenl einreibst, damit sie immer schn glnzen.

    Beim Hades, woher weit du das alles, Junge?Du hast gedacht, keine Spuren zu hinterlassen, aber

    trotzdem.Dareg strahlte den Mann an. Der verschrnkte seine braunen

    Arme und blickte Dareg aufmerksam an.Muss schon sagen, nicht schlecht. Nein, gar nicht schlecht.

    Es ist genau so gewesen, wie du gesagt hast, und wenn dubehauptest, das ist dein Hund, dann will ich dir das auchglauben. Nimm ihn mit, er gehrt wieder dir.

    Dareg strahlte. Der Mann war ihm sympathisch.Danke, edler Herr.Ich heie Mikail und bin der Hauptmann von Alexanders

    Leibgarde.Er bckte sich und lste die Leine. Mikion sprang bellend an

    Dareg hoch und war so voller Freude, dass er ihn beinaheumgeworfen htte. Der vornehme Krieger musste lachen.

    Zwei Freunde haben sich wieder.Allmhlich beruhigte sich Mikion wieder und zum Schluss

    blieb er still neben Dareg sitzen.Hr zu, Junge, begann der Hauptmann auf einmal, ich

    will zu Alexander. Willst du mich auf dem Weg zu seinem Zelt

    begleiten?

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    Dareg nickte und Mikion neben sich gingen er und Mikailden breiten Weg durch das Lager. Sie kamen an ein groes und

    prchtiges Zelt im Schatten besonders hoher Bume. Sie tratenein und sofort kam ihnen ein Diener entgegen. Hflich grteer den lteren.

    Sei gegrt, Mikail.Sei auch du gegrt, Ilias. Alexander erwartet mich.Der Diener nickte und fhrte sie an einem Vorhang vorbei in

    den hinteren groen, prchtig ausgestatteten Teil des Zeltes.Erstaunt sah sich Dareg um. Da lagen dicke Teppiche auf demBoden und eine fein geschnitzte Bank, mit dunkler Seidebespannt, stand als Bett und Sessel zugleich neben einergroen Rucherschale, aus der duftender Rauch aufstieg. Aneinem Holzgestell hing eine prchtige Rstung, ein silbernerHelm mit langen weien Federn darauf, ein reich verziertesSchwert und eine Reihe besonders sorgfltig gearbeiteterWurflanzen. Dazu ein groer Bogen mit einem Kcher voller

    Pfeile.Die Gtter schtzen dich, Mikail!Hinter einem weiteren Vorhang erschien Alexander, der dort

    wohl ein wenig geruht hatte. Herzlich begrte der Jngereden lteren Soldaten und blickte dann auf Dareg.

    Ah, der Spurenleser. Und, hast du deinen Hund gefunden?Ja, Herr.Sehr gut.

    Alexander, begann Mikail, hre dir an, wie dieser Jungedie Spur seines Hundes gefunden hat.

    Alexander blickte ein wenig erstaunt. Warum sollte er sichanhren, was ein einfacher Hirte berichten wollte. Doch etwasin Mikails Blick machte ihn neugierig.

    Nimm da Platz und erzhle.Mikail und zwei weitere Mnner, wohl ebenfalls Offiziere,

    nahmen auf bereitgestellten Schemeln Platz. Alexander lie

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    sich auf dem Diwan nieder und griff nach einem goldenenBecher. Ilias goss ein und trat dann zu den brigen Mnnern,

    um auch deren Becher zu fllen. Dareg blickte sich vorsichtigum. Der Mittag war vorbei, und es wrde lange dauern, bis erwieder zu seiner Herde zurckkam. Zumindest wrde es bisdahin lngst dunkel sein.

    Dareg, erzhle noch einmal, wie du Mikions Spur gefolgtbist, forderte ihn Mikail auf.

    Noch einmal berichtete Dareg, wie er seinen Hundwiedergefunden hatte. Als er mit seinem Bericht zu Ende war,schwiegen alle und blickten auf Alexander.

    Welche Spuren kannst du lesen?, wollte der wissen.Nun, alle Herr.Die Mnner lachten und Alexander nippte an seinem Becher.An Stolz mangelt es dir nicht, junger Freund. Was macht

    dich so sicher?Ich bin der Hirte unseres Dorfes. Zusammen mit meinem

    Vetter. Wir treiben unsere Herden durch das Land, damit siegenug fressen knnen. Aber oft verlaufen sich die Tiere unddann mssen wir sie suchen.

    Und du findest sie wieder?, fragte Alexander, und Daregnickte.

    Alles, was ist, hinterlsst eine Spur, hat mir der weisePolemos, unser Nachbar, gesagt. Nur die Gtter knnen sichfortbewegen, ohne eine Spur zu hinterlassen.

    Ja, nur die Gtter. Und die Menschen? Wie ist es mitMenschen? Kannst du ihre Spuren auch lesen?, wollteAlexander wissen.

    Alle Mnner blickten ihn an und er fhlte sich ein wenigunbehaglich. Besonders Alexanders graue Augen ruhten aufihm, und Dareg wusste nun genau, dass er nicht flunkerndurfte, denn das wrde der junge Heerfhrer sicher merken.

    Ja, hauchte Dareg, von Menschen kann ich auch Spuren

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    lesen.Er war durstig und htte gerne was zu Trinken gehabt. Ilias,

    der bereits den brigen Mnnern Wein eingegossen hatte,schien dies gemerkt zu haben. Freundlich reichte er ihm einenBecher und Dareg nahm einen groen Schluck. Es war khlesQuellwasser und schmeckte herrlich.

    Ich denke, wir sollten uns von deinem Knnen berzeugen,meinte Alexander und stand auf.

    Auch die brigen Mnner erhoben sich.Lasst uns ausreiten!, befahl Alexander.Dareg trank hastig aus und folgte den Mnnern. Wenig spter

    saen sie im Sattel und ritten los. Dareg sa hinter Mikail undlangsam trabten sie durch das groe Heerlager. Immer da woAlexander vorbeiritt, senkten die Krieger respektvoll die Kpfeund grten ihn. Die Reiter folgten der Lagerstrae, lieen dieletzten Zelte hinter sich und ritten dann einen schmalen Wegdurch lichten Buschwald entlang. Dann hielten sie vor der

    steilen Felswand, die das Tal fast wie eine hohe Mauerringsum abschirmte. Alexander wandte sich zu den brigenReitern, sagte aber nichts, sondern nickte Mikail zu. Derwandte sich an Dareg und sagte:

    Jetzt zeig, was du kannst, Junge.Dareg verstand und rutschte aus dem Sattel. Alexander lenkte

    sein Pferd zu ihm. Hr zu: Ich will wissen, ob uns der Feindentdeckt hat, denn nur so wei ich, ob das Lager bereits

    ausgekundschaftet wird.Dareg nickte und blickte sich um. Die Gegend war steinig

    und einsam. Sie waren vom Lager so weit entfernt, dass sie esnicht mehr sehen, dafr aber die Rufe der Soldaten, das Klirrender Waffen und Gerte und die Laute der Menschen und Tieregerade noch hren konnten.

    Ein Spher wird sicher von den Felsen herunter alles

    beobachten. Aber von dort kann er nicht viel sehen, das Lager

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    liegt zu weit weg zwischen den Bumen, bemerkteAlexander, ohne seinen Blick von Dareg zu wenden.

    Die brigen Mnner schwiegen.Die Pferde begannen, auf dem trockenen Boden nach Gras zu

    suchen. Dabei wedelten sie mit dem Schweif, um die lstigenFliegen zu verscheuchen. Alexander sprach weiter. Alsomsste ein feindlicher Spher von dort oben herabsteigen undsich an das Lager heranschleichen, nicht wahr?

    Ja, Herr, entgegnete Dareg und nickte dabei zum Zeichen,dass er verstanden hatte.

    Der junge Knig sah ihn noch immer eindringlich an.Aber unsere Spher haben nichts gefunden, fuhr Alexander

    fort. Also, entweder hat der Feind jegliche Spur sorgfltigverwischt oder es war noch niemand hier. Was meinst du?

    Herr, wenn jemand hier war, antwortete Dareg, dann hater eine Spur hinterlassen und sei sie noch so winzig.

    Wenn es so ist, wie du sagst, msstest du sie doch finden,

    nicht wahr?Ja, Herr, antwortete Dareg berzeugt.Gut, wir werden hier warten und du machst dich auf die

    Suche.Dareg stand nur da, whrend die Mnner von den Pferden

    stiegen. Sie zogen sich in den Schatten der Felswand zurck.Mikail hatte einen Bogen samt Pfeilen dabei. Damit postierteer sich als Wache, whrend die brigen es sich auf den

    Felsblcken bequem machten. Alexander a Weintrauben. Alleblickten auf Dareg, der noch ein wenig unschlssig dastand.Aber er wusste, was er zu tun hatte. Er war sich sicher, eineSpur zu finden. Wenn es denn eine gab.

    Er sah sich um. Wo sollte er mit seiner Suche beginnen?Links und rechts neben dem Weg zog sich dichtes Gestrpphin, nur ab und zu wuchs ein Baum. Das Gestrpp war dornig

    und undurchdringlich. Ein feindlicher Spher wrde da nicht

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    hineinlaufen. Also blieb Dareg auf dem schmalen Weg undbegann, ihn rasch entlangzugehen, seinen Blick stndig auf den

    Boden gerichtet. Es war ihm, als suche er eines seiner jungenSchafe. Neben dem Weg teilte sich das Gebsch ein wenig undein weiterer schmaler Pfad fhrte zu einem dicht belaubtenBaum. Dareg folgte dem Weg und erst vor dem Baum blieb erstehen. Ein guter Platz, um sich zu verstecken. Der Boden warmit Sand und feiner Erde bedeckt. Er ging in die Hocke undblickte sich langsam und sorgfltig um. Jeden Stein, jedenZweig, jedes Grasbschel betrachtete er ganz aufmerksam. Da,tatschlich! Er konnte etwas erkennen. Sein Herz klopfte, under kniete sich vorsichtig auf den Boden, um die Spur genau zuuntersuchen. Dann rief er halblaut nach Mikail. Wenig spterkamen alle vier Mnner zu ihm. Mikail fhrte die Pferde,whrend Alexander mit seinen beiden Begleitern nher trat.Der Hauptmann der Leibgarde band die Tiere neben dem Wegan einen groen Dornbusch und kam ebenfalls nher. Dareg

    kauerte unter dem Baum und deutete mit der Hand auf einenAbdruck neben einem Steinblock.Dort, ihr Herren, hat ein Mann gesessen. Ein Fu war nackt,

    die Ferse ist noch zu erkennen. Am anderen Fu hatte er nochseine Sandale an. Vielleicht hat er sich einen Dorn eingetretenoder sich beim Laufen die Zehen an einem Stein angeschlagen.Das passiert mir auch manchmal. Ich hab zwar Sandalen, aberich lauf nicht gern damit.

    Er sah auf seine eigenen staubigen, nackten Fe und dieMnner grinsten.

    Sprich weiter!, befahl Alexander.Der Mann hat sich unter diesen Baum gesetzt und seinen

    Fu untersucht. Darum dieser Fersenabdruck ganz nahe andem Stein da. Obwohl der Boden sandig ist, ist das die einzigeSpur hier. Er hat wohl all seine anderen Spuren verwischt, aber

    diese hier bersehen.

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    Dareg deutete wieder auf die Vertiefung im Boden.Seine Ferse ist im Sand noch gut zu sehen, obwohl hier

    immer ein wenig Wind durchstreicht und den Sand wiederverweht. Das bedeutet

    Dass es noch nicht lange her ist, seit der Mann da war,beendete Alexander den Satz, und Dareg nickte zustimmend.

    Trotzdem kann es einer unserer Leute gewesen sein,meinte Mikail, mit einem Seitenblick auf Alexander, ein Hirteoder Knecht.

    Herr, begann Dareg, den Blick auf den Mann gerichtet,kein Hirte treibt seine Herde in dichtes Gestrpp, wenn esberall gutes Gras gibt. Auerdem ist neben dem Stein auf derErde ein kleines Loch.

    Dareg deutete mit dem Finger darauf. Es ist mglich, dassder Mann ein Schwert trug und sich die Spitze in den Bodengebohrt hat, whrend er hier sa und seinen Fu untersuchte.Aber nur Krieger tragen ein Schwert.

    Es knnte ja auch einer von unseren Kriegern gewesensein, warf Mikail ein.Aber warum sollte der seine Spuren in der Nhe des eigenen

    Lagers verwischen?Jetzt schwiegen alle und sahen auf Alexander, der nun leise

    lchelte.Ich muss schon sagen, Dareg, du hast ein scharfes Auge und

    einen genauso scharfen Verstand. Ich mchte dir einen

    Vorschlag machen. Aber dafr lasst uns erst zurckreiten.Dareg stieg wieder hinter Mikail auf das Pferd und

    gemeinsam ritten sie zurck. Vor Alexanders Zelt sollte Daregwarten. Ein Sklave brachte ihm etwas zum Essen und Daregverschlang hungrig das groe Fladenbrot, einige Oliven undzwei ganze Zwiebeln. Er splte alles mit Wasser nach, in dasEssig gegeben worden war, damit es etwas Geschmack bekam.

    Obwohl Dareg das Wasser lieber so trank, wie er es gewohnt

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    war, nmlich pur.Er bemerkte, wie weitere Offiziere inzwischen das Zelt des

    Knigs betraten. Es waren die Offiziere der Bogenschtzenund der Reiterei und natrlich die Anfhrer der Phalangiten.Sie alle befehligten die zahlreichen makedonischen undgriechischen Krieger, die Alexander um sich geschart hatte.Viele von ihnen waren keine Bauern, sondern ehemaligeSklaven, die darauf hofften, wenn sie nur tapfer genug waren,freie Mnner werden zu knnen. Dareg hatte in seinem kleinenHeimatdorf davon gehrt: Alexander versprach, jeder Kmpferknne das Brgerrecht erlangen, also athenischer Brgerwerden. Das war ein groer Anreiz und von berall her kamenFreiwillige und meldeten sich zu Alexanders Heer. Mikail trataus dem Zelt und winkte Dareg zu sich.

    Alexander will dich sprechen.Er sagte nicht Knig, obwohl Dareg inzwischen wusste, dass

    der Sohn des einstigen Knigs Philipp von Makedonien nun

    der neue Knig aller Griechen war. An der Seite von Mikailtrat Dareg in das prchtige Zelt und blieb vor dem jungenHerrscher stehen. Er beugte den Kopf zum Gru. Alexandertrat auf ihn zu und ergriff ihn an beiden Schultern.

    Du hast scharfe Augen und einen guten Verstand. Ich binsicher, Zeus selbst hat dich zu uns geschickt. Mchtest duKundschafter werden?

    Das war eine berraschung! Dareg blickte Alexander nur mit

    groen Augen an, sodass der lachen musste.Jetzt schaust du wie eine Kuh, der man die Milch gestohlen

    hat.Die brigen Offiziere im Zelt lachten ebenfalls.Was ist Junge, wie entscheidest du dich?, wollte Alexander

    wissen.Dareg fhlte sich unbehaglich. Was sollte er sagen? Das kam

    alles sehr schnell. Er war doch nur ein Hirtenjunge. Die

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    meisten Mnner seines Dorfes waren Bauern, aber zugleichnach alter Sitte auch Krieger. Aber sie waren es nicht mehr

    gerne, denn sie hatten in den vielen Kriegen der letztenzwanzig Jahre nicht fr ihr eigenes Land gekmpft, sondern frPhilipp und jetzt fr seinen Sohn Alexander. Und er, Dareg,der Hirte aus dem Hochland, war gerade erst zwlf Jahre alt.Aber wie dem auch sei, das Leben hier im Heerlager waraufregend, und es schien so, als fhrte ihn dieser neue Feldzuggegen die Perser in Gegenden, die er nie zuvor gesehen hatte.Er hatte weder Vater noch Mutter noch Geschwister. Nur seinOnkel wrde ihn vermissen. Auf die Herde konnte auch seinVetter Kiros aufpassen.

    Ich ja, Herr, stammelte Dareg.Was ja?, fragte Alexander belustigt.Ich mchte dir dienen, aberEr zgerte ein wenig.Ich mchte lieber Krieger in deinem Heer werden.

    Du musst wenigstes achtzehn Sommer alt sein und das bistdu nicht, antwortete Alexander, jetzt bist du noch zu jung.Aber du wirst trotzdem ein Krieger werden, allerdings voneiner anderen Art, als die Griechen sie bisher kannten. Duwirst Kundschafter und sphst aus, wie stark der Feind ist, waser tut und wohin er sich bewegt. Alles, was du beobachtenkannst, meldest du mir und meinen Hauptleuten, verstanden?

    Ja, Herr.

    Kannst du lesen und schreiben? Verstehst du etwas vonZahlen?

    Nein, Herr, antwortete Dareg ein wenig kleinlaut.Er dachte daran, dass sein Onkel kein Geld hatte, um ihn zu

    einem guten Lehrer zu schicken.Du wirst alles lernen, bestimmte Alexander, als Lehrer

    bestimme ich Mikail. Er wird dir alles beibringen. Aber du

    musst schnell lernen.

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    Ja, Herr, antwortete Dareg.Da lchelte Alexander das erste Mal.

    Wenn du tchtig bist, wirst du eines Tages ein Kundschafterin meinem Heer. Kundschafter des Knigs.

    Dieses Mal musste Dareg schlucken, und dann nickte er nur,nicht fhig, darauf zu antworten.

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    Lea, sagte Mikail, hier hast du noch einen, den du ftternmusst.

    Die Frau sah auf und Mikail schob Dareg vor sie hin.Einen Augenblick, wie stellst du dir das vor? Ich hab doch

    kein Gasthaus, in das jeder kommen kann, wie er will. Duweit genau, ich habe mit Melissa schon genug zu tun. Undjetzt noch ein Esser mehr

    Der Knig will es so, antwortete der Soldat, wandte sichum und verlie das Zelt.

    Jaja, der Knig will es so, maulte sie leise fr sich.Dareg betrachtete sie. Er fand sie gar nicht so alt, wie Mikail

    gesagt hatte. Sie trug ein dunkles Gewand, das nicht mehrsonderlich neu, aber sauber war. Ihr Haar war dnn unddunkelbraun. Als ihr der Schleier auf dem Kopf verrutschte,erkannte Dareg, dass sie es ziemlich kurz trug. Wieungewhnlich fr eine Frau, fand er. Zumindest fr die Frauenaus seinem Heimatdorf, die er bisher kannte. Noch immer hattesie nichts zu ihm gesagt. Dareg stand da, neben dem Eingangdes Zeltes, und kam sich ein wenig komisch vor. Lea

    betrachtete ihn.Wie heit du?, wollte sie wissen.Die Frage war nicht unfreundlich. Er antwortete ihr und

    nannte seinen Namen.Hast du Hunger?, wollte sie wissen und Dareg fand, dass

    es nicht schaden knnte, noch einmal etwas zu essen.Ja, antwortete er.Sie wandte sich um und rief in den hinteren, dunkleren Teil

    der Behausung:

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    Melissa!Nichts geschah und sie rief den Namen noch einmal.

    Melissa!Sie erhob sich.Wo, bei allen Gttern, ist dieses Mdchen wieder?,

    brummelte sie und schlurfte in den hinteren Teil des Zeltes.Dareg hrte sie dort reden. Er beugte sich ein wenig vor und

    lauschte. Dann reckte er den Kopf, um etwas sehen zu knnen,aber er sah nur Lea, die mit dem Rcken zu ihm stand. Dannwandte sie sich um, trat vor ihn hin, eine Tonschale in derHand. Darin befanden sich ein Stck Kse und ein KantenBrot. Dies stellte sie vor ihm auf den Boden.

    Da, setz dich und iss! Mehr hab ich nicht, muss erst wiederWolle spinnen und dann eintauschen.

    Er nickte gehorsam, nahm auf dem Boden Platz und begannzu essen. Lea blieb weiter vor ihm stehen und sah ihm dabeizu.

    Hast ja einen gesunden Appetit, stellte sie fest, und ihreStimme klang zufrieden.Dareg kaute mit vollen Backen.Du bist also Kundschafter?, wollte sie wissen.Er schluckte den letzten Bissen Brot hinunter und entgegnete:

    Noch nicht, aber ich kann einer werden.Lea nickte nur, und Dareg glaubte, so etwas wie ein leises

    Lcheln in ihrem Gesicht zu erkennen. Vielleicht war sie doch

    nicht so streng, wie sie tat? Er schob sich das letzte EckchenKse in den Mund. Es stimmte schon, er a nun schon daszweite Mal an diesem Tag. Aber kein Wunder, bei denErlebnissen bekam er dauernd Hunger.

    Du hast wirklich groen Appetit, stellte sie erneut fest,wenn du immer so viel isst, dann kommen schwere Zeiten aufmich zu. Wie soll ich dich satt kriegen?

    Mach dir keine Sorgen, ich werde ja

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    Jaja, Kundschafter, unterbrach ihn Lea.Sie sagte das aber in einem Ton, dass Dareg die Vorstellung

    immer besser gefiel.Als Kundschafter unterstehst du dem jungen Nestor. Er ist

    der Anfhrer aller Spher. Dass Mikail selbst deineAusbildung bernehmen wird, ist eine groe Ehre. Du kannstbleiben.

    Dareg lchelte zufrieden, aber sie schwieg und zog sich dabeiihren Schleier fester.

    Melissa, sagte sie auf einmal, die hab ich ganzvergessen.

    Wer ist Melissa?, wollte Dareg wissen.Ein Mdchen, das den Mund nicht aufkriegt.Ist sie deine Tochter?, wollte Dareg wissen, und Lea lachte

    pltzlich auf.Meine Tochter? Beim Zeus, du hast vielleicht Einflle. Das

    stumme Ding. Ein Fisch ist geschwtziger als sie.

    Lea trat an den Eingang des Zeltes und sah hinaus. Dannwandte sie sich wieder zu ihm.Sag, musst du gar nicht nach Hause, zu deinen Leuten?Nein. Erst im Herbst ziehen mein Vetter und ich mit der

    Herde ins Hochland zurck. Ich habe keine Eltern mehr, lebebei meinem Onkel. Mein Vetter, er heit Kiros, htet dieHerde und wei, dass ich manchmal eine Weile fort bin, umverloren gegangene Tiere zu suchen. Aber es wre gut, wenn

    ich ihm sagen knnte, dass ich nicht so bald wiederzurckkehre.

    Wenn du hier bleibst, wirst du lange nicht mehrheimkehren.

    Dareg blickte sie an. Was sie gesagt hatte, verwirrte ihn. Erwusste nur, dass er jemanden finden musste, der in seinHeimatdorf kam. Dem wrde er eine Nachricht an seinen

    Onkel mitgeben.

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    Lea blickte ihn an, dann richtete sie ihren Blick an Daregvorbei nach drauen.

    Melissa!, rief sie pltzlich.Sie zeigte mit dem Finger hinaus.Da ist sie ja. Hockt da und pflckt wieder ihre Blumen.Dareg blickte in die angegebene Richtung. Er konnte

    niemanden entdecken, doch das war nicht weiterverwunderlich. Stndig liefen Gruppen bepackter Krieger andem Zelt vorbei und dazwischen immer wieder Ochsen undEsel, manchmal auch Reiter, und sie alle nahmen ihm die Sichtauf den Bachlauf auf der anderen Seite des Lagerplatzes.

    Wie sieht sie denn aus?Lea lachte laut.Du wirst sie schon erkennen, Junge, glaub mir.Dareg, entgegnete er freundlich, ich heie Dareg. Und

    wenn du willst, gehe ich und hole sie.Lea seufzte tief und dann nickte sie nur.

    Gut, sagte sie, tu das, Dareg, tu das.Er verlie das Zelt und sogleich war Mikion neben ihm. Seiter ihn wiedergefunden hatte, schien sein Hund wieausgewechselt zu sein. Mikion wich ihm keinen Schritt mehrvon der Seite, lie sich brav nieder, selbst wenn er es ihm garnicht befohlen hatte, und wartete geduldig, was passierenwrde. Jetzt war Dareg doch froh, dass er ihn nichteingetauscht hatte. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge

    der Krieger. Noch nie hatte er so viele Hopliten auf einemFleck gesehen wie hier. Sie waren alle bewaffnet und schienenzugleich von groer Ungeduld zu sein. Dareg wusste nur, dassAlexander immer noch Mnner fr seinen Feldzug gegen denGroknig der Perser, Dareios, sammelte. Er musste an dieGeschichten denken, die man bei ihm zu Hause darbererzhlte. Zum Beispiel, als Dareios erfuhr, dass Alexander

    gegen ihn zog. Der Perserknig soll laut gelacht haben. Was

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    will er mit seinen Sldnern? Ich werde ihn in seinemakedonischen Berge zurckjagen, wo er hingehrt. Da kann

    er Schafe und Wlfe als Untertanen regieren. Genau das soller gesagt haben. Aber Alexanders Heer wurde mit jedem Taggrer. Und allmhlich begann sich Knig Dareios Sorgen zumachen.

    Dareg war durch die Kolonnen der Reiter undmarschierenden Krieger hindurchgeschlpft. Vor ihm zog sichdas Bachufer entlang und da wuchsen Strucher und Bsche.Sogar Bume gab es hier. Auf der Erde grnte es und es warnicht so staubig wie sonst im Lager. Vor ihm wuchs ein groerBaum. Darunter sa ein Mdchen. Dareg schtzte ihr Alter aufhchstens zwlf Jahre. Sie war sehr zart und ihre Haut warkaum gebrunt. Sie trug ein langes Kleid und sa auf einemgroen Wolltuch, das zugleich Umhang und Decke fr dieNacht war. Ihre Fe baumelten im Wasser und in einer Handhielt sie einen kleinen Strau gelber Blumen. Mikion war erst

    stehen geblieben, dann schlich er an Dareg vorbei, auf dasMdchen zu. Sie sah auf, und als sie den Hund vor sich sah,erschrak sie. Die groen dunklen Augen weit aufgerissen,starrte sie Mikion an, ohne sich dabei zu rhren. Dareg wollteihr sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchte, dennMikion war friedlich. Aber der blieb vor dem Mdchen stehen,wedelte mit dem Schwanz und bellte kurz. Dann stupste er siesanft mit der Schnauze am Knie an und legte seinen Kopf

    schief. Mikion konnte dabei so treuherzig schauen, dass manihn einfach streicheln musste. Genau das tat das Mdchen jetztund Mikion lie sich dies nur zu gerne gefallen. Ganz ruhiglie er sich neben ihr nieder und genoss es, gestreichelt zuwerden. Dareg musste lachen. Mikion schaffte es immerwieder, jemanden zu finden, der auf seinen treuen Blickhereinfiel.

    Du hast Glck, sagte Dareg und trat nher, wenn er sich

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    streicheln lsst, heit das, dass er dich mag.Und so, als msse er seinen vierbeinigen Freund erst

    vorstellen, nannte er dem Mdchen ihre Namen.Das ist Mikion und ich heie Dareg. Und wer bist du?Das Mdchen blickte ihn an. Sie hatte dunkelbraunes Haar,

    das sie zu einem Schopf gebunden trug. Es reichte ihr bis zuden Hften. Und Dareg stellte fr sich fest: Sie war sehrhbsch.

    Sag schon, wie heit du?Sie blickte ihn nur an. Dann umschlang sie mit einem Arm

    Mikion und der kuschelte sich gleich noch nher an seine neueFreundin.

    Dann musst du Melissa sein, entgegnete Dareg, und als erihren Namen aussprach, glaubte er, ein Aufblitzen in ihrenAugen zu entdecken.

    Sie hie tatschlich Melissa und sie sprach kein Wort. Vondiesem Tag an wohnte Dareg bei Lea und dem stummen

    Mdchen. In einem Eck ihres Zeltes gab es einen Platz fr ihnund Mikion.Lea war einmal eine Seherin gewesen. Die Griechen

    befragten solche Frauen, wenn sie in die Zukunft blickenwollten. Gegen eine Opfergabe, ein Huhn oder einen Korb mitObst, kostbares l oder eine Amphore voll Wein, erhielten dieMenschen Antwort. Sie selbst erzhlte ihm spter, wie sie dieGabe besessen hatte. Aber auf einmal war ihre Fhigkeit

    versiegt. Wahrscheinlich sind die Gtter nicht zufrieden mitmir gewesen, meinte sie, und das war wohl der Grund, warumsie nichts mehr in der Zukunft sehen konnte. Seitdem hatte siebegonnen, Wolle zu spinnen und das Garn gegen Obst undGemse, manchmal etwas Fleisch und Kse einzutauschen.Die Griechen duldeten sie in ihrer Truppe, vielleicht hofftensie insgeheim, dass sie noch einmal in die Zukunft sehen

    konnte. Aber sie selbst glaubte nicht mehr daran, erst recht

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    nicht, seit ihr Mann und ihr einziger Sohn im Krieg gegen dieThraker gefallen waren. Nun waren sie Helden und jeder

    Krieger ehrte ihr Andenken. Aber ihr wre es lieber gewesen,beide wren keine Helden und dafr noch bei ihr. Das sagte sienatrlich nicht laut. Es war eine groe Ehre, im Kampf zufallen, und darber betrbt zu sein, gehrte sich nicht.

    Lea war zwar manchmal ein wenig mrrisch und kurzangebunden, aber sie achtete darauf, dass Dareg genug zuessen bekam und sich wusch. Wenn er sich verletzt hatte,versorgte sie seine Wunden, und dann heilten sie seinerMeinung nach schneller als je zuvor.

    Seit sich Mikail um seine Ausbildung kmmerte, kam er oftals Gast in Leas Zelt. Er brachte immer etwas mit, eine SchaleWein, Trauben oder sogar einen ganzen Sack Gerste. Leakochte dann und das konnte sie gut. Aber Dareg hatte auchbald bemerkt, wie sich Lea verndert hatte. Ihre Kleidung warjetzt immer sauber, ihr Haar sorgfltig gekmmt und das Zelt

    gekehrt und mit ein paar Fellen und Kissen wohnlichhergerichtet. Und es schien so, als wre das stumme MdchenMelissa doch etwas wie eine Tochter fr sie. Lea war zwarmanchmal ein wenig streng mit ihr, aber zugleich auch stolz.Doch, Dareg mochte Lea gut leiden und Melissa mochte erganz besonders.

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    Mehr als ein Monat war vergangen, seit Dareg in dasHeerlager der Griechen gekommen war. Er fand bald einenHndler, der durch sein Heimatdorf kommen wrde. Der Mannversprach ihm, seinem Onkel und Kiros eine Nachricht zu

    berbringen. Dass er nun im Lager der Griechen sei und fr siekundschaften wolle.

    Alexander befahl, das Heerlager noch nicht abzubrechen, umweiterzuziehen. Er wollte noch abwarten, was ihm seineKundschafter mitteilten. Ob die Perser wirklich ber die groeEbene am Rand der Berge kamen. So hatte Mikail genug Zeit,Dareg zu unterrichten. Jeden Tag, gleich nach dem Frhstck

    aus Hirsebrei und frischem Wasser, holte er ihn ab, kaum dassdie Sonne ber dem Tal aufgegangen war.Dareg hatte noch nie eine Schule besucht. Das Lesen der

    Spuren hatten ihm die lteren Hirten beigebracht. Das hatteihm viel Spa gemacht und er war schnell ein sehr guterSpurenleser geworden. Diese Kunst hatte ihm bereits zu HauseAchtung und Anerkennung eingebracht. Doch immer schonwar er gewohnt, alles in seiner Umgebung genau zu

    beobachten. Und wenn die anderen Hirten nicht mehrweiterwussten, holten sie ihn. Jedes Mal hatte er eine Spur unddamit auch die verlorenen Schafe und Ziegen wiedergefunden.

    Aber jetzt lernte Dareg ganz neue Dinge. Mikail lehrte ihnLesen und Schreiben. Das gefiel Dareg. Jetzt konnte er seineBeobachtungen in eine kleine Wachstafel einritzen. Dazu kamder Umgang mit Zahlen. Schlielich musste er die Anzahl derFeinde bestimmen knnen. Musste wissen, wie stark sie waren,wenn sie sich aufteilten, Truppen abzogen oder weitere

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    Truppen zur Verstrkung erhielten. Das alles konnte man nurdurch Zahlen beschreiben. Er lernte, wie lang und wie weit die

    Wegstrecken waren, und er sah das erste Mal in seinem Lebeneine Wasseruhr. Sie stand als Kostbarkeit im Zelt desHeerfhrers und mit ihr konnte man angeblich die Stunden desTages zhlen. Darber war Dareg am meisten erstaunt, denndass jemand Zeit zhlen wollte, bis ein Tag voll und damit zuEnde war, kam ihm komisch vor. Warum sollte man das tun?Jeder wusste doch, dass am Morgen der Tag begann, sich amMittag, wenn die Sonne am hchsten stand, teilte, um dannlangsam auf den Abend zuzugehen. Und dann, wenn die Sonneverschwunden war, war auch der Tag zu Ende. Das war dochganz einfach, dazu brauchte man keine Uhr.

    Aber bald merkte er, wie sehr er all dieses Wissengebrauchen konnte. So lernte er eifrig und unermdlich. Mikailblieb dabei: Dareg durfte erst mit den brigen Kundschafternaufbrechen, wenn er dieses ganze Wissen beherrschte.

    Zugleich flogen die Tage nur so dahin, schneller, als es dieseltsame Wasseruhr je htte anzeigen knnen.Jeden Tag, immer am frhen Mittag, suchte Mikail fr sie

    beide einen Platz im Schatten. Da begannen sie dann, mit demSchwert und dem Schild zu ben. Mikail zeigte ihm alles. ZumBeispiel, worauf zu achten war, wenn man vomWaffenschmied ein gutes Schwert erhalten wollte, wie man esrichtig hielt und vor allem, wie man es pflegt. Alexander war

    der Meinung, dass ein Grieche sein Schwert nicht nur tragen,sondern es auch benutzen musste, wenn es darauf ankam.Bisher kmpften die Griechen wenig mit ihren Schwertern.Warum auch? Wenn die Hopliten im engen Verband, dergefrchteten Phalanx, gegen ihre Feinde marschierten,brauchten sie kein Schwert. Auerdem htten sie dafr auchgar keine Hand frei gehabt. Sie trugen schlielich den

    schweren Schild in der einen und die lange Sarisse in der

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    anderen Hand. Und wenn eine Phalanx mal ber einen Gegnerhinweggewalzt war, brauchte man auch kein Schwert mehr.

    Mikail lachte bei diesen Erklrungen, aber Dareg lachte nicht,denn es frstelte ihn ein wenig.

    In seinem kleinen Dorf hatte er von den Kriegen derGriechen gegen ihre Feinde gehrt. Aber das waren nurErzhlungen. Jetzt aber erklrte ihm ein altgedienter Soldat daserste Mal, wie es in einer Schlacht wirklich zuging. Mikailbegann, ihm viele Kniffe und Finten zu zeigen, wie er sichnotfalls verteidigen konnte, wenn er von einem Feindangegriffen wrde. Wie man sich duckt, ausweicht undzugleich bewegt, wie man das Schwert fest umfasst, damit beieinem Schlag des Gegners die Waffe nicht aus der Hand fllt.Dareg lernte auch das Speerwerfen. Fr viele Krieger war derSpeer immer noch die wichtigste Waffe berhaupt. AberAlexander hatte befohlen, dass seine Krieger mit jeder Waffeumgehen knnen mussten, und so lernte Dareg jeden Tag ein

    wenig mehr dazu. Lernte, den Schild zu nutzen, und stelltefest, wie mhevoll es war, ihn richtig zu gebrauchen. SeinSchild war zwar kleiner als die groen runden Eichenschilderder erwachsenen Krieger, aber trotzdem.

    Schneller!, schrie ihm Mikail zu oder: Hher, Dareg!Junge halt den Schild hher! Schtz deinen Kopf!

    Dareg keuchte. In der Sommerhitze mit Schwert und Schildzu ben, war mhsam und schweitreibend. Doch Mikail war

    unerbittlich. Er wollte ihm so schnell wie mglich allesbeibringen.

    Heute sollte Dareg die Schlange kennen lernen. So nanntendie Krieger eine seltsame Strecke, auf der sie oftmals bten.Die alten Veteranen hatten sie aufgebaut. In einer Hhe vonetwa drei Metern waren zwei Taue gespannt, die so eine Gassevon wenigstens dreiig Schritten Lnge ergaben. An beiden

    Tauen waren viele Scke aufgehngt. Die waren schwer mit

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    Sand oder Kieseln gefllt, andere wieder ganz leicht, vollHhnerfedern oder Stroh. Sie hingen in unterschiedlichen

    Hhen dicht aufgereiht an beiden Seiten der Gasse entlang.Dazwischen hingen dicke ste oder in einem Netz sogarFelsbrocken, so gro wie Mikions Kopf. Daregs Aufgabeschien einfach zu sein: Er sollte seinen Schild und seinSchwert nehmen und so schnell wie mglich durch die Gasserennen. Das sah einfach aus. Doch auf jeder Seite der Gassenahm ein Krieger Aufstellung und wartete nur noch auf einZeichen des Ausbilders.

    Dieser Ausbilder, ein groer, breitschultriger Grieche miteinem dichten schwarzen Bart schrie einen Befehl und Dareglief los. Doch kaum hatte er die ersten Schritte in die Gassehinein gemacht, schwangen die Krieger die Scke gegen ihn.Dareg musste ihnen ausweichen oder sie mit dem Schild oderSchwert abwehren. Das erste Mal fiel Dareg gleich auf denBoden, denn ein schwerer, mit Erde gefllter Sack sauste auf

    ihn zu und warf ihn einfach um. Mikail trat zu ihm und halfihm wieder auf die Beine. Dareg rieb sich die Ellenbogen unddas Knie.

    Wenn das ein Feind gewesen wre, wrst du schon tot. Erhtte dich mit seinem Schild umgeworfen und dann mit seinemSpeer gettet. Merk dir, niemals darfst du dich von einemGegner zu Boden werfen lassen. Auf der Erde krauchen nurSchlangen und Wrmer, aber keine Griechen. Also auf,

    probiers nochmal.Dareg gehorchte, und den ganzen Vormittag ber versuchte

    er, durch die Gasse zu gelangen. Aber vergeblich. Irgendeinschwerer Sack warf ihn immer zu Boden, bevor er das Endedes Weges erreicht hatte. Oder er stolperte ber einen derSteine oder ber an Riemen aufgehngte ste, die besondersniedrig ber dem Boden hingen. Die Sonne brannte hei und

    Mikail reichte ihm einen Krug Wasser. Das war frisch und

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    khl. Dareg schwitzte.Hat es schon mal jemand geschafft?, wollte er wissen, als

    er lange getrunken hatte, und zeigte auf die Gasse mit denschaukelnden Scken.

    Jeder muss es ben, begann Mikail.Dareg sah ihn an.Sag, Mikail, hat es schon mal einer geschafft?Natrlich, ja.Er lchelte und strich sich ber seinen Bart.Aber noch nie ein Kundschafter.Dareg verstand.Ich werd es noch einmal probieren.Mikail nickte und Dareg erhob sich, nahm den Schild in die

    Linke, sein Schwert in die Rechte und versuchte, einentschlossenes, ja grimmiges Gesicht zu machen. Die beidenKrieger links und rechts der Gasse hatten sich erneutaufgestellt. Sie lachten, als sie ihn sahen, winkten ihm und

    dann spuckten beide in die Hnde und griffen an die erstenScke. Dareg sah an sich herab. Sein linkes Knie blutete einwenig und die Ellbogen waren aufgeschrammt und brannten.Er hatte sich einen Zeh an einem Stein angeschlagen und es tatziemlich weh. Aber trotzdem machte ihm das alles nichts aus.Noch nie hatte ein Kundschafter die Schlange besiegt, hatteihm Mikail gesagt. Hchste Zeit, dachte er, dass sich daseinmal nderte. Er schwitzte noch immer und sein Herz klopfte

    heftig.Zeigs ihnen, Junge!, rief Mikail, und Dareg rannte los.Kaum hatte er den Eingang der Gasse hinter sich gelassen,

    sauste ihm der erste schwere Sack entgegen. Aber Dareg wichihm aus. Ein weiterer Sack schwang von der Seite auf seinenrechten Arm zu. Aber der war ganz leicht und Dareg konnteihn mit der Schulter einfach zur Seite rempeln. Dann sah er,

    wie ein weiterer Sack direkt vor seine Fe schwang und er

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    gleich drberstolpern wrde, wie viele Male zuvor. Er sprangzur Seite und wich gleich noch dem nchsten Sack von der

    anderen Seite aus. Die beiden hatte er geschafft. Der Sackdahinter war ziemlich schwer, aber er stie ihn mit seinemSchild zur Seite. Ja!, rief etwas in ihm, er wrde es ihnenschon zeigen, und er stie und sprang, hpfte und glitt wie einAal durch die Gasse, ohne dass ihm ein Sack oder ein Steingefhrlich werden konnte. Als er das Ende der Gasse erreichthatte, drehte er sich um und riss Schild und Schwert in dieHhe. Er hatte es geschafft, er war durch! Er schrie vorErleichterung. Mikail klatschte und winkte. Viele weitereHopliten, die seinem Lauf zugesehen hatten, klatschtenebenfalls und lachten. Dareg lie beide Arme sinken undatmete schwer. Auch die beiden Krieger schwitzten, aber sielachten und nickten ihm anerkennend zu. Dieses Mal hatten sieihn nicht zu Fall gebracht.

    Als er spt am Nachmittag zu Lea zurckkehrte, war er

    todmde, und seine Arme und Beine waren schwer. Aber erfhlte sich trotzdem groartig. Mikail hatte ihn vor allenKriegern und den brigen Kundschaftern gelobt. Daregerzhlte Lea alles ganz genau und sie hrte ihm zu. Erbemerkte Melissa neben sich, Mikion brav zu ihren Fen. Siehrte auch zu und sah ihn mit ihren groen dunklen Augen an,so wie immer, wenn er in das Zelt zurckkehrte. Aber heutewar groe Bewunderung in ihrem Blick. Als er fertig erzhlt

    hatte, lchelte sie sogar, und darber freute er sich ganzbesonders. Lea stellte ihm eine Schale mit extra groenfrischen Oliven hin, dazu ein Stck Brot, noch ganz warm, undder Duft stieg ihm verfhrerisch in die Nase. Dareg warwirklich zufrieden in diesem Moment und begann zu essen.Jetzt drngte sich auch Mikion neben ihn, lie sich streichelnund im Nacken kraulen, was er immer besonders gern mochte.

    Und als er dann mit hungrigem Blick auf das letzte Stckchen

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Brot blickte, konnte Dareg nicht anders und gab es ihm.Mikion schnappte nach dem Brotkanten und futterte ihn auf,

    wobei er sich gensslich das Maul leckte. Da musste Melissaauf einmal lachen, so hell und frhlich, dass Lea von derFeuerstelle aufblickte, sich zu ihnen umdrehte und dann alledrei nur verwundert ansah. Dareg zuckte nur mit den Schulternund sah erneut auf das Mdchen. Sie lchelte ihn wieder an,und jetzt war Dareg wirklich stolz darauf, die Schlange besiegtzu haben.

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    Menelos ordnete sein Gewand, whrend er wartete. Es warhei, und er hatte sich beeilt, hierher zu kommen. Wie khl esim Knigspalast war, eine richtige Wohltat. Aber er wollte andiesem Platz nicht lnger warten. Immer wieder kamen

    Sklaven vorbei, die im Palast beschftigt waren. Sie grtenihn zwar alle ehrerbietig, aber Menelos wusste, dass sieuntereinander klatschten. Und sptestens in der Palastkchewrden sie sich die Muler zerreien, dass sie ihn hier gesehenhatten. Er sah sich um und lauschte. Wo blieb Archibides nur?Sie waren hier verabredet. Er hatte doch gesagt, an den rotenSulen vor dem groen Tor der jungen Knigin, der Witwe des

    alten Knigs. Das allein war schon verrterisch genug. Washatte er hier im Bereich der Knigin zu schaffen? Philipp, ihrKnig, war immer misstrauisch gewesen und er blieb es bis zuseinem Tod. Und sein Sohn, der junge Alexander, wargenauso. Er mochte das Haus seines Vaters nicht. Er lebtelieber bei seinem Heer und zog sein prchtiges Zelt demsteinernen Palast vor.

    Ein Gerusch lie Menelos zusammenfahren. Archibides trat

    zwischen zwei Sulen aus dem Schatten der hoch aufragendenWnde.

    Hast du dich erschrocken, edler Menelos?, fragte der Mannund grinste dabei.

    Ja, das habe ich. Dich mchte ich sehen, wenn jemand wieein Geist vor dich hintritt, zischte Menelos ungehalten.

    Geister sind unsichtbar, also kann ich keiner sein, denn michkannst du ja sehen.

    Bitte verschone mich mit deinen Weisheiten, ja.

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    Archibides lachte leise.Bevor deine Laune noch schlechter wird, sagte er und

    lachte noch immer, komm mit!Zielsicher schritt er an den Sulen vorbei, so als ob er in

    diesem Teil des Knigspalastes zu Hause wre. Am Ende desendlos scheinenden Ganges gelangten sie an ein hohes Tor.Davor stand keine Wache. Archibides hob den Riegel an unddrckte das Tor auf. Beide Mnner traten ein. Hier begann einweiterer Gang und als sie an seinem Ende angelangt waren,ffnete Archibides eine weitere Tr. Der Raum dahinter wargro und fast quadratisch. Vier mchtige Sulen sttzten diehohe Decke. Genau in der Mitte fiel durch eine quadratischeffnung helles Sonnenlicht herein und erhellte den glattenSteinboden vor ihnen. Menelos erkannte einen mchtigenSteinblock, der wie ein Tisch in der Mitte des Raumes ruhte.Darauf lagen Schriftrollen, eine flache Tonschale mitBronzefedern und einige Bgen Papyrus. Ein grauhaariger

    Mann stand darber gebeugt und zeichnete. Als die beidenMnner eintraten, sah er auf.Ihr kommt spt, bemerkte er nur.Zurzeit sind die Straen immer so verstopft. Der ganze

    Pbel treibt sich herum, nur um auf den Markt zu gehen. Ichfrage dich, was haben schwatzende Weiber und faule Sklavenauf der Strae verloren?, sagte Archibides.

    Wieder ein Grund mehr, griechische Tugenden nicht immer

    nur anzumahnen, sondern sie zu leben, meinte derGrauhaarige.

    Die beiden Mnner blieben nun vor dem steinernen Tischstehen.

    Unser Freund will etwas wissen, begann Archibides undzeigte grinsend auf seinen Begleiter.

    Der Mann vor ihnen nahm ein kleines Stck Schwamm und

    putzte damit die Schreibfeder. Er legte sie behutsam auf ein

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    kleines Tablett, auf dem noch eine ganze Reihe Federn lagen.Der Mann hatte an einer Karte gearbeitet, die den Grundriss

    des Palastes zeigte.Ich wei, was du wissen willst, begann der grauhaarige

    Mann und sttzte sich auf dem massiven Stein auf, whrend erMenelos aufmerksam ansah.

    Menelos und Archibides schwiegen.Ob wir unseren Plan ausfhren? Das willst du doch wissen,

    nicht wahr, mein lieber Menelos?Der nickte nur. Archibides wollte etwas sagen, doch es schien

    ihm nichts einfallen zu wollen. Der Mann vor ihnen lcheltejetzt.

    Sei unbesorgt, unser Plan ist perfekt. Ich habe die Gtterbefragt, und sie werden zu uns sprechen, wenn der Taggekommen ist. Der Tag, an dem Alexander von Griechenlandsterben wird.

    Wieder lchelte der Mann und alle schwiegen.

    Was ist noch, Menelos?Dein Plan ist nicht edel, antwortete der.Wieder lchelte der Mann.Mein Plan? UnserPlan, Menelos, vergiss das nicht. Dass er

    edel sei, hat auch niemand behauptet. Frag dich selbst, ob dudabei bist, bei dem, was wir vorhaben. Aber vergiss nicht, duhast darauf geschworen.

    Ich habe nichts vergessen und ich bin dabei, antworteteMenelos eilig, wenn du nicht vergessen hast, dass ich erhalte,was man mir versprochen hat.

    Das wirst du, sagte der Mann schnell, ein Landhaus undalles, was dazugehrt: sein Vieh, seine Sklaven und dieLndereien. Das alles bekommst du.

    Menelos schwieg. Wieder sprach keiner von ihnen.Irgendwoher war eine Melodie zu hren, die jemand auf einer

    Flte spielte. Sie schien aus den Grten hinter den Mauern des

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    Palastes zu kommen. Dann verstummte sie.An welchem Tag wir es tun, werdet ihr erst erfahren, wenn

    es so weit ist. Niemand darf alles wissen. So kann er nichtsverraten, sollte unser Plan entdeckt werden.

    Menelos nickte und dann antwortete er:Weise gedacht. Wir werden jetzt besser wieder gehen, und

    du kannst uns wieder rufen lassen, wenn es so weit ist.Der Mann nickte. Dann nahm er einen neuen Federkiel,

    tauchte ihn in die dunkle Flssigkeit und beugte sich wiederber seinen Plan. Die beiden Mnner wandten sich um undverlieen dann den Raum. Wortlos schritten sie den Gangzurck, den sie kurz zuvor gekommen waren. Menelos wussteden Namen dieses Mannes nicht, aber dafr wusste er nungenau, dass der junge Knig Alexander nicht mehr lange zuleben hatte. Sie wrden ihn tten lassen, genau wie zuvorseinen Vater Philipp.

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Whrend das Heer durch die Ebene weiterzog, kleinere Bcheund Flsse durchquerte, durch Tler und Schluchtenmarschierte und jeden Tag ein groes Stck Weg zurcklegte,waren Alexanders Kundschafter weit voraus. Sie waren es, die

    den Strategen des Knigs alles bermittelten, was siebeobachten konnten. Kein Grieche wusste bisher ganz genau,wo und wie weit die Perser noch vor ihnen waren. Hielten siesich irgendwo verborgen oder rckten sie bereits im Eilmarschauf sie zu?

    Jetzt war es bereits spter Nachmittag, als die Spitze desHeeres ein Dorf erreichte. Es bestand aus etwa zwanzig

    Husern, alle wei verputzt, die Dcher mit Reisig oder Schilfgedeckt. Die Siedlung lag, wie die meisten Drfer dieserGegend, in einer grnen Senke. Alexander lie das Heeranhalten, und im Nu lagerten auf den Hngen ringsum vieleTausend Krieger, bereit weiterzumarschieren, wenn ihr Kniges befahl. Mehrere Dutzend Bogenschtzen postierten sichzum Schutz von Alexander und seinen Generlen. Dareg warder Spitze der Mnner gefolgt und hielt sich in Mikails Nhe

    auf. Die Leibgarde des Knigs machte Platz, als Alexander aufdie Dorfstrae zu ritt. Jetzt hielt er sein Pferd an, blieb aber imSattel sitzen. Mikail trat vor den Knig und berichtete ihmleise. Alexander nickte nur und blickte den Weg hinunter, andessen Ende das Dorf begann.

    Dann kamen sie.Ein Dutzend Mnner schritten ihnen entgegen, alle lter, wie

    Dareg fand, und sie hnelten ein wenig seinem Onkel. Mnner,mit braun gebrannten Gesichtern, Haar und Bart kurz

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    geschnitten, eine Tunika ber die Schulter geschlungen, wiedie Vornehmen von Athen. Alle trugen Sandalen an ihren

    Fen, einige hatten groe, aus Stroh geflochtene Sonnenhteaufgesetzt. Ihr Anfhrer, ein groer schlanker Mann, blieb vorden Griechen stehen. Die brigen warteten hflich.

    Gegrt seiest du, Knig Alexander, begann ein Mann ingriechischer Sprache.

    Ich heie Ariphanes, sprach der Mann weiter und deuteteauf einen der Mnner neben sich, und das ist mein VetterTasslo.

    Sei auch du gegrt, erwiderte Alexander hflich. Ichkannte einen Dichter mit dem Namen Ariphanes. Als wirTheben eroberten, war es sein Haus, das ich verschonte, dennich mochte seine Geschichten.

    Ich bin kein Dichter und mein Name ist nur ein Name,erwiderte der Mann hastig. Ich bin der lteste meines Dorfes,und es ist so klein, dass es sich nicht lohnt, es zu erobern. Aber

    du bist unser Knig und die Gtter sollen dich dafr segnen.Alexander nickte zufrieden. Du hast darum gebeten, mit mirzu sprechen. Nun, ich bin hier. Sprich: Was wollt ihr?

    Wir haben die mchtigen Gtter befragt, groer Knig. Eswurde uns geweissagt, dass ein groer Mann kommen wrde,um ein Rtsel zu lsen, dass noch nie jemand gelst hat. Selbstdie Gtter haben es nie versucht, aus Furcht sich zum Gespttzu machen.

    Alexander lachte.Was ist das fr eine Geschichte?, wollte Alexander wissen.Der Knoten des Gordius, begann Ariphanes und fing an zu

    erzhlen. Vor langer Zeit weissagte uns ein Orakel, dass derMann, der als Erster in seinem Karren auf den Marktplatzunseres Dorfes fahren, Knig dieses Landes werden wrde.Gordius, ein einfacher Bauer, war dieser Mann und so wurde

    er Knig dieses Landes. Aus Dankbarkeit weihte er seinen

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Karren dem Zeus, stellte ihn in ein Wldchen im heiligenTempelbezirk und band mit einem Seil die Deichsel des

    Karrens an das Joch. Dabei machte er einen Knoten, der nochniemals aufgeknotet worden ist, weil es niemand bishervermochte. Das ist lange her und unsere Vter haben einenTempel ber diesem Ort errichtet. Willst du ihn sehen, groerKnig aller Griechen?

    Natrlich, lachte Alexander vergngt und blickte sich um.Da drngte sein Jugendfreund Hephaistion sein Pferd neben

    ihn und beugte sich zu ihm.Geh nicht, Alexander! Das kann eine Falle sein. Wer wei,

    ob sie nicht mit den Persern im Bunde stehen.Alexander beugte sich ein wenig von seinem Pferd und

    blickte auf die kleine Gruppe vor sich.Hephaistion glaubt, dies sei eine Falle.Die Gtter sind unser Zeuge, dass ich die Wahrheit sage.

    Wir sind nur einfache Leute und hten das Geheimnis von

    Gordon. Mehr nicht. Sei uns willkommen, Alexander, unddabei so sicher wie im Scho der Gtter.Ich glaube dir, Ariphanes.Dann folge uns bitte.Genau das taten sie.Die Bewohner des Dorfes fhrten Alexander und einen Teil

    der brigen Hauptleute, darunter auch Mikail und Dareg in ihrDorf. Die Huser drngten sich so nahe an die breiteste Gasse

    hin, dass es dort schattig und angenehm khl war. AlleBewohner standen vor ihren Husern und riefen ein hflichesWillkommen. Aber sie waren nicht so aufgeregt, wie manannehmen konnte. Diese Leute waren hflich, aber stolz. Oftschon waren mchtige Mnner gekommen, um denwundersamen Knoten zu betrachten oder gar den Versuch zumachen, ihn zu lsen. Bisher immer vergeblich.

    Am Ende des Dorfes fhrte sie der Weg zu einem kleinen

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Wald. Darin stand auf einem kleinen Hgel ein Tempel. Er warvon einer Reihe Sulen flankiert, genau so wie berall in

    Griechenland die Tempel gebaut waren. Ein paar breite Stufenfhrten zum Eingang hinauf. Am Fu der Treppeangekommen, sprangen die Reiter aus dem Sattel, undAlexander schritt, eine Hand am Griff seines Schwertes,hinauf. Er war ungeduldig und zugleich neugierig. ImAugenblick interessierte es ihn nicht sonderlich, ob Ariphanesund die brigen ltesten des Dorfes ihm folgten. Zusammenmit Hephaistion und seinen Strategen betrat Alexander dengeheimnisvollen Tempel.

    Da stand der Karren, oder zumindest der Rest, der von ihmnoch brig war. Das Holz war morsch und lngst verfault, vonzahlreichen Wrmern zerfressen. Das unglaubliche Gewirreines kunstvoll geschlungenen Seils, in vielen hundert Knoten,ohne erkennbares Ende und ohne sichtbaren Anfang warjedoch deutlich zu sehen.

    Was ist das?, fragte Alexander, als er den seltsamenKnoten eine Weile betrachtet hatte.Das ist der Knoten von Gordon. Wer ihn auflst, wird ein

    Eroberer und Herrscher sein, dem sich nichts und niemand indieser Welt entgegenstellt. Sein Name wird niemals vergessenund im selben Atemzug genannt werden, wie die derberhmtesten Gtter.

    Als Ariphanes das gesagt hatte, blickten alle Augen auf denjungen Knig.

    Ist das die Weissagung des Orakels?, wollte Alexanderwissen.

    Ja, groer Knig, antwortete Ariphanes. Viele haben esschon versucht, Bettler und Frsten, Bauern und Knige. Nieist es jemandem gelungen. Niemals.

    Alexander lchelte erst, dann lachte er laut und zuletzt zog er

    sein Schwert.

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Dann seht her, wie ich, Alexander von Griechenland, dasRtsel lse.

    Er trat vor, holte aus und hieb das dicke Knotenwerk in derMitte einfach auseinander. Alexander wandte sich um.

    Hret! Es gibt kein Rtsel von Gordon mehr, denn ich habees gelst, fr alle Zeit. Zeus selbst ist mein Zeuge.

    Er riss sein Schwert in die Hhe und Hephaistion ballte dieFaust und reckte sie ihm entgegen.

    Die Gtter lieben dich, Alexander!Alexander!, jubelten die Menschen in dem Tempel und

    hoben die rechte Hand zur Faust, und sie riefen seinen Namenwieder und immer wieder.

    Und der Ruf schallte fort, weiter, immer weiter bis zu denHgeln hinauf und den dort wartenden Kriegern. Alexanderbckte sich zu den Resten des Knotens vor ihm auf demBoden, hob ein Stck Seil auf, hielt es in die Hhe und strahltezufrieden ber das ganze Gesicht. Auch Dareg reckte die Faust

    und huldigte seinem Knig. Doch dann sah er, wie Alexanderzu Ariphanes hintrat, ihm den Rest des Seils vor die Fe warfund dabei wieder lachte, dieses Mal sehr spttisch. Da lieDareg seinen Arm sinken und sah Alexander verwundert nach,wie er den Tempel verlie.

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    II

    Issos

    Zu Beginn des Sommers,wenn die heien Tage beginnen und die Luftsich auch in der Nacht kaum mehr abkhlt,

    ernten wir Griechen das Getreide.Dann holen wir unsere Rstung,

    Helm und Schild, Schwert und Lanze hervor.Unsere Frauen und Sklaven polieren dieBronze und packen Gerstengrtze, Kse, Oliven,

    Zwiebeln und Wein in einen Sack.Gemeinsam marschieren wir los.

    Brder, Freunde, Nachbarn.Das Vaterland ruft und wir ziehen in den Krieg.

    So haben wir es seit Jahrhunderten getan.

    Aber es ist an der Zeit, nachzudenken, ob dies immer noch gutund gerecht ist.

    DIOGENES

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    1

    Die vier Reiter kamen im frhen Morgengrauen in das Dorf.Unbekmmert ritten sie auf die Agora, den kleinen Marktplatz,zu und hielten dort an. Sie sprangen aus dem Sattel und lieenihre Pferde am Dorfbrunnen saufen, whrend sie selbst nach

    ihren Wasserbeuteln aus Ziegenhuten griffen.Spiel die Flte!, befahl einer der Reiter, nachdem er

    getrunken hatte, dann kommen diese Schlafmtzen schon.Der Angesprochene griff in ein Futteral, das er am Sattel

    trug, und zog eine Flte heraus. Er holte Luft und begann, einklagendes Lied zu spielen, welches die Griechen seitMenschengedenken anstimmten, wenn sie gegen einen Feind

    zogen. Bereits nach kurzer Zeit kamen die ersten Brger undversammelten sich unweit des Brunnens und es waren nichtwenige verschlafene Gesichter darunter.

    Was ist los?, riefen sie durcheinander. Die Gtterschtzen uns vor Lrm am frhen Morgen.

    Seid ihr betrunken?, giftete einer der Mnner aufgebracht.Wir haben Erntezeit und arbeiten bis spt in die Nacht! DerSchlaf ist uns heilig.

    Immer mehr Mnner umstanden den Fltenspieler und seineBegleiter. Ihr Anfhrer, ein noch junger Krieger, blickte dieMenge vor sich ein wenig belustigt an. Nach einem Wink vonihm schwieg der Fltenspieler.

    Hrt mit dem Gejammer auf. Uns schickt Alexander, derKnig aller Griechen.

    Jetzt schwiegen alle.Es geht gegen die Perser, sagte der Reiter feierlich.Augenblicklich begann ein Raunen unter den Wartenden,

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    aber bevor der Sprecher noch etwas sagen konnte, rief einerder Mnner spttisch:

    Gegen die Perser? Ach was, die wagen sich doch nichtwieder auf griechischen Boden.

    So, und woher weit du das so genau, Theter?Nenn mich keinen Theter!, schrie der Mann aufgebracht.

    Ich bin Hellene und ein freier Mann, und wenn es dir anRespekt fehlt, dann nur weil man versumt hat, dir beizeitenmit dem Stock das Fell zu streicheln.

    Der junge Mann griff nach seinem Schwert, und es schien freinen Moment so, dass er sich gleich auf den Mann vor ihmstrzen wollte. Aber er beherrschte sich und stellte sich auf denRand des Dorfbrunnens.

    Hrt mir alle zu! Alexander zieht erneut gegen sie. Er hatsie am Granikos bereits geschlagen, aber sie sind nichtgeflohen, sondern umgekehrt. Die Perser sind erneut imAnmarsch. Jetzt braucht er euch. Wenn ihr Griechen seid und

    frei bleiben wollt, dann holt eure Waffen und kommt mit.Alexander hat doch seine Sldner, maulte jemand halblaut.Willst du ihnen die ganze Verteidigung berlassen?,

    schnaubte der junge Krieger auf einmal und sah sich im Kreiseum.

    Dann rief er pltzlich laut. Seid ihr nicht immer dem Rufdes Vaterlands gefolgt? Ist der Krieg nicht Teil unserer Sitten?Alexander wird euch in eine neue Zeit fhren und jeder, der

    sich ihm anschliet, wird Ruhm ernten. Der Knig allerGriechen fhrt uns an. Kriegsbeute wartet auf uns, so viel, wieihr es euch nicht vorstellen knnt. Und bis zur Olivenernte seidihr lngst wieder daheim. Wir werden gegen die Perser ziehenund die Gtter werden mit uns sein!

    Gegen die Perser! Fr Alexander!, rief einer der Mnner,und auf einmal riefen sie alle: Gegen die Perser! Fr

    Alexander!

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Holt eure Waffen!, rief ihnen der junge Krieger zu, undalles eilte auseinander.

    Im Nu war der Marktplatz leer, whrend in der erstenMorgendmmerung llichter und Fackeln in den kleinenGassen und hinter den Fenstern der Huser zu sehen waren.Bald roch es nach heier Gerstengrtze und gebackenem Brot.

    So geht das, sagte der junge Krieger und sprang lachendvon der Brunnenbrstung.

    Ich wei nicht, begann einer seiner Begleiter und schttelteden Kopf dabei, wollen wir wirklich mit diesen Schafhirtenund Bauern gegen die Perser ziehen?

    So wie ihre Vter und Vorvter knnen sie kmpfen, unddas ist es, was Alexander braucht. Krieger!, beruhigte ihn derandere. Vergiss niemals, diese Bauern und Hirten haben diePerser schon einmal besiegt.

    Marathon, nickte der Mann, ich wei. Aber das ist langeher.

    Der erste Sprecher trat zu seinem Pferd und klopfte ihm denHals.Um die Perser zu schlagen, braucht Alexander jeden Mann.

    Und jeder griechische Mann ist ein Krieger.

    Das ganze Dorf war in Aufruhr. Nur Euphiletos blieb gelassen.Vom Versammlungsplatz kehrte er in sein Haus zurck und

    gab dort ruhig seine Anordnungen.Marius, nimm meine Rstung und putze sie, bis sie glnzt!Ja, Herr.Der Sklave begann, Schwert und Schild von der Wand ber

    dem Herd zu nehmen. Demarete, Euphiletos Ehefrau, warebenfalls auf und stellte ein Frhstck auf den Tisch.

    Putz meinen Panzer, Demarete, befahl er, aber sie blickte

    ihn nur traurig an.

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    Nun mach schon, drngte er sanft, und sein Gesicht waralles andere als frhlich. Hast du nicht gehrt? Die Perser

    kommen.Oh, gttliche Athene, schtze uns, murmelte Demarete.Euphiletos hrte nicht weiter zu, sondern ging zum Herd und

    stocherte mit einem Stock in der Glut herum. Es gab Krieg undniemand sollte seine Furcht sehen.

    Vater, ertnte eine leise Stimme hinter ihm.Er wandte sich um. Andata, seine jngste Tochter, stand vor

    ihm. Er lchelte und sie sprang auf ihn zu, fiel ihm um denHals. Er drckte sie fest an sich. Ihre ltere Schwester Kallistewar ebenfalls auf. Sie trat nher und auch sie umarmte ihrenVater.

    Wirst du mitgehen, fragte sie leise, und Euphiletos nickte.Natrlich, ein griechischer Krieger geht, wenn er gerufen

    wird. Aber sei unbesorgt, bis zum Frhjahr bin ich wiederzurck.

    Kalliste nickte und nahm nun ihre Schwester in die Arme.Onkel!, rief es pltzlich an der Tr. Onkel Euphiletos!Er sah auf. In der Eingangstr stand sein Neffe Kallimachos,

    der lteste Sohn seines Bruders.Hast du gehrt, Onkel? Wir ziehen gegen die Perser.Die Augen des Jungen leuchteten.Ja, hab es gehrt, antwortete Euphiletos knapp.Kallimachos war achtzehn Sommer alt geworden und seine

    Ausbildung als Krieger lag gerade hinter ihm. Er konntekmpfen, wusste mit dem Schild umzugehen und wie man denSpeer hielt. Er schien keine Angst zu haben. Aber Euphiletoshatte welche.

    Sieh her, was mir Vater geschenkt hat, sagte Kallimachoseifrig.

    Er zog den Helm eines Kriegers aus seinem Leinensack.

    Euphiletos betrachtete ihn. Wie unheimlich der blanke

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    Bronzehelm in dem fahlen Morgenlicht aussah, musste erdenken. Die beiden ffnungen fr die Augen und der schmale

    Spalt fr den Mund. Das sah dunkel und bedrohlich aus. Eswar ein griechischer Helm, aber Euphiletos fand ihn Furchteinflend.

    Der Helm, flsterte er.Er war arm und einen Helm konnten sich nur wohlhabende

    Brger leisten. Dieser Bronzehelm war uralt und ein Heiligtumseiner Familie seit Generationen. Ihr Urahn hatte einst unterPerikles als Hoplit gekmpft und diesen Helm einemgefallenen Spartaner abgenommen. Seit der Zeit vererbte sichdieser Kopfschutz immer auf den ltesten in der Familie. Indiesem Fall war es Euphiletos lterer Bruder.

    Onkel, Vater kann nicht mit. Du weit, er ist krank. Aberich komme mit, sprudelte es aus dem Jungen heraus.

    Wir gehen zusammen, beschied Euphiletos, und sein Neffestrahlte bers ganze Gesicht.

    Euphiletos blickte sich nach seiner Frau um. Sie hatte denBrustpanzer gesubert und dann mit l eingerieben, bis dieBronze glnzte. Jetzt packte sie ihm Gerstengrtze, Kse,Oliven und Zwiebeln in einen Sack. Dazu legte sie zwei prallgefllte Weinschluche. Marius, ihr etruskischer Sklave, hatteden schweren Eichenschild, das Schwert und die Lanze vonder Wand ber dem Herd herabgenommen, mit einemSchwamm voll Essig gesubert und dann eingelt. Auch die

    Waffen glnzten nun wieder. Euphiletos lchelte fr sich.Doch er hatte keinen Helm und wrde sehen mssen, dass ihmirgendjemand einen borgte. Vielleicht Polemos? Der war schonalt und konnte nicht mehr mit, aber er war sein Nachbar undguter Freund. Er wrde ihn gleich fragen. Marius packte allesin zwei Ledertaschen.

    Stell den Schild nie auf die blanke Erde, ermahnte ihn

    Euphiletos, das Holz zieht Wasser, dann dehnt es sich und

  • 7/29/2019 Mueller, Roland - Der Kundschafter des Knigs

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    springt im Kampf auseinander.Der Sklave nickte. Er breitete ein groes Stck Leder aus und

    legte den schweren Schild darauf, schlug die losen Endenzusammen und schnrte den Schild ein. Auf einmal schluchzteDemarete leise und zog die Nase hoch. Andata und Kailistetraten zu ihrer Mutter und umarmten sie still. Kallimachosblickte betreten drein. Euphiletos schnrte sich den schwerenWaffenrock aus Leder ber der Brust zu. Er war ihm enggeworden. Sollte er seit dem letzten Krieg so viel dickergeworden sein? Da trat seine Frau vor ihn hin und half ihm.Euphiletos sah, wie Trnen in ihren dunklen Augenschimmerten. Da berkam ihn eine pltzliche Zrtlichkeit. Ernahm sie in beide Arme und drckte sie an sich. Auch siedrckte ihn fest und wollte ihn nicht mehr loslassen.

    Die Gtter mgen dich beschtzen, Euphiletos, meinGemahl, schluchzte sie leise.

    Ich komme wieder nach Hause zurck, sagte er.

    Er ksste sie auf die Stirn, strich ihr bers Haar und dannmachte er sich frei von ihr und trat aus dem Haus. Demareteund ihre beiden Tchter umarmten Kallimachos und auch denSklaven Marius. Dann folgten sie ihm. In der kleinen Gasseeilten Freunde und Nachbarn vorbei, gefolgt von ihrenFamilien. Manche Krieger verabschiedeten sich vor denEingangstren von ihren Familien. Auch Euphiletos wandtesich noch einmal um. Seine Frau stand in der Tr, seine beiden

    Tchter neben ihr.Bleibt hier!, befahl er, denn er hatte Angst, wenn sie auf

    den Marktplatz mitkamen, dass er dann weinen musste. Bleibthier, und Demarete, gib auf alles Acht!

    Ein Krieger, der in die Schlacht zieht, weint nicht, schon garnicht vor allen anderen. Er hob noch einmal die Hand, grteund dann ging er los. Kallimachos war sogleich neben ihm.

    Onkel!, rief er aufgeregt. Du kannst mir nicht ein paar

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    Beinschienen borgen, was?Nein, antwortete Euphiletos, ich hab gar keine.

    Der Junge schwieg verblfft. Sie besaen alle nicht viel, unddas, was sie an Kriegsrstung hatten, war einfach und ohneSchmuck. Aber Beinschienen waren doch keine Kostbarkeit.Andererseits, sein Vater hatte ja auch keine. Kallimachossetzte sich den Helm auf den Kopf, aber nur so weit, dass derRand auf seiner Stirn zu liegen kam, so wie er es als Soldatgelernt hatte. Erst im letzten Augenblick vor dem Angriffwrde er den Helm ber den Kopf ziehen.

    Es wird dir schwer werden, bemerkte Euphiletos, whrendsie nebeneinander herschritten, ich wrde ihn lieber in demSack lassen. Marius kann ihn tragen.

    Nein, jeder soll sehen, dass ich ein Hoplit bin, lachteKallimachos.

    Auf dem Dorfplatz hatte sich fast der gesamte Ortversammelt. Das Morgenlicht spitzte schon ber die

    umliegenden Berge und erneut wrde es ein warmer, sonnigerTag werden. Die vier jungen Reiter warteten neben ihrenPferden am Brunnen. Euphiletos entdeckte bei ihnen seinenNachbarn, auf einen Stock gesttzt.

    Mgen die Gtter dich segnen, lieber Polemos, begrte erseinen Nachbarn hflich, und der nickte freundlich.

    Das ist auch mein Wunsch, mein Freund, meinte der Alte,und nach einer kleinen Pause sprach er weiter, dieses Mal ist

    es nicht das Vaterland, das uns zu den Waffen ruft, nichtwahr?

    Euphiletos schttelte nur den Kopf, doch Kallimachos nebenihm platzte fast vor lauter Eifer.

    Weiser Polemos, es geht gegen die Perser.Was du nicht sagst, junger Krieger. Aber vielleicht sind die

    Perser dieses Mal nur zu Besuch gekommen?, sagte Polemos

    laut, und die brigen Mnner ringsum schwiegen respektvoll.

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    Dagegen htten wir ja nichts einzuwenden, oder? WirGriechen freuen uns immer ber Gste.

    Polemos war alt, aber klug und weise. In seiner Jugend war erein tapferer Krieger gewesen.

    Die vier Reiter am Dorfbrunnen standen da, die Arme vor derBrust verschrnkt, und hrten zu.

    Doch ich glaube, dieses Mal sind die Perser keine Gste,meinte Polemos, denn ein Gast bringt keine Waffen mit, umsie zu benutzen, bemerkte er.

    Weise gesprochen, antwortete Euphiletos und musstelcheln.

    Wir werden sie schlagen!, rief Kallimachos bermtig,Alexander fhrt uns. Er ist ein groer Anfhrer und einLiebling der Gtter.

    Ringsum nickten alle zustimmend mit den Kpfen, nur diebeiden lteren Mnner schwiegen.

    Polemos, mein Freund, begann Euphiletos, leihst du mir

    deinen Helm?Sicher.Du weit aber, dass ich nicht sagen kann, ob du ihn

    wiederbekommst. Sollte ich in der Schlacht fallen, dannDann bringt ihn mir Kallimachos wieder, nicht wahr?,

    entgegnete Polemos schnell und blickte auf den jungen Kriegervor sich.

    Der nickte erneut eifrig.

    Gut, dann geh, lauf und hol den Helm. Wir warten hier, batPolemos, und der Junge lehnte seine Lanze an eine Hauswand,gab seinen Schild und seinen Beutel dem Sklaven und eiltedavon.

    Jugend, lchelte Polemos und blickte Euphiletos an, wirwaren genauso, wenn es gegen den Feind ging.

    Ja, entgegnete Euphiletos, aber dieses Mal ist alles

    anders. Wenn wir verlieren, ist es das Ende fr alle Griechen.

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    Ist wirklich immer alles aus, weil es zu Ende ist?, fragtePolemos. Mehr sagte er nicht und erwartete auf diese Frage

    auch gar keine Antwort.Die brigen Einwohner des kleinen Dorfes umstanden die

    vier jungen Reiter auf dem Marktplatz. Aufmerksam hrten siezu, wie ihr Sprecher erklrte, was weiter geschehen solle. Ausallen Drfern in der Umgebung sammelten sich Krieger, umsich der Armee Alexanders anzuschlieen, die in der Ebenemarschierte.

    Kallimachos kam zurck. Er strahlte bers ganze Gesicht undreichte seinem Onkel den Helm. Der nahm ihn und drehte ihnin beiden Hnden. Zuletzt reichte er ihn an Marius weiter, derihn in seinem groen Leinensack verstaute.

    Ich bring ihn dir persnlich wieder, sagte er mit festerStimme, zu Polemos gewandt.

    Mgen euch die Gtter schtzen, entgegnete Polemosfeierlich.

    Jetzt drngten die Reiter zum Aufbruch und wenig spterzogen die Krieger des kleinen Ortes hinter ihnen her. Zurckblieben die Alten und Kranken, die Frauen und Kinder. Auchwenn sie es nicht zeigten, frchteten sie sich davor, dass ihreVter und Onkel, ihre Shne und Brder nicht mehrzurckkehren wrden.

    Als es Tag wurde, konnten alle in der Ferne eine groeStaubwolke sehen. Das Heer des Alexander war auf dem

    Marsch. Kallimachos strahlte vor lauter Aufregung bersganze Gesicht und tat es noch, als sie sich hinter denMakedonischen Reitern aufmachten, um in den Krieg zuziehen.

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    Die Landschaft vor ihnen war eine weite, sanfte Ebene.Zahllose kleine Felder breiteten sich aus, einige noch vollverbranntem Gras, andere bereits frisch gepflgt, nach derlangen Sommersonne trocken wie ein Fels. Es war Herbst, aber

    noch immer flimmerte die Luft in der Hitze.In einer langen Reihe marschierten die Krieger den Weg

    entlang. Immer fter wlbten sich kleine Hgel vor ihnen auf.Wenn sie einen solchen berquerten, setzte sich Alexander imSattel auf und blickte sich um. Das Heer war gewaltig.

    Gegen die Perser hatte er fast 35 000 Mann unter Waffen.Der Groteil der Truppen bestand aus gut gedrillten

    Makedonen. Diese Krieger hatte bereits sein Vater ausbildenlassen. Zu ihnen zhlten mehr als 1200 Hetairenreiter. Daswaren Krieger, die nur aus jungen, adeligen Mnnern desKnigreichs rekrutiert wurden, Hetairen oder Gefhrten desKnigs genannt. Sie waren ausgezeichnete Reiter. Jeder trugnur einen leichten Harnisch aus Leder, selten aus Metall, dazuein Kurzschwert und eine Lanze. Sie untersttzten dieGefhrten zu Fu, wie die Hopliten genannt wurden. Das

    waren die Mnner, die jene berhmte Phalanx bildeten, mitderen Hilfe die Griechen seit jeher ihre Kriege fhrten. Nunlichtete sich der Staub und Alexander erkannte seineAngriffstruppe. Die Mnner marschierten in kleinen Gruppenvorbei. Sie nannte man Hypaspisten. Sie trugen kleinereSchilde als die Hopliten, dazu leichte Stolanzen, und siekmpften in kleinen Gruppen immer dort, wo der Feindbesonders viel Widerstand leistete.

    Der Reiterei und den Hopliten folgten die Bogenschtzen.

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    Alexander hatte sie ausbilden lassen. Auch wenn seinegriechischen Offiziere noch immer die Nase ber diese

    unmnnliche Art des Kampfes rmpften, waren dieBogenschtzen ein fester Bestandteil des Heeres geworden.Unter den Griechen herrschte noch immer eine Meinung vor:Ein Krieger muss seinem Gegner von Angesicht zu Angesichtgegenberstehen und ihn im offenen Kampf besiegen. EinBogenschtze aber stand ja weit ab vom Feind und schoss vonfern auf ihn. Das tat er so lange, bis er keine Pfeile mehr hatte.Dann rannte er weg. Das war doch kein ehrlicher Kampf!Alexander kmmerten diese Einwnde nicht. In diesem Kriegwrde er seine Schtzen so einsetzen, dass sie eine stndigeGefahr fr den Feind darstellten. Auerdem war er berzeugt,dass ein groes Heer treffsicherer Bogenschtzen einen Feindgenauso gut schlagen konnte wie eine ganze Phalanx.

    Sein Heer bestand aber nicht nur aus Makedonen undGriechen. Viele Krieger waren Verbndete und stammten aus

    den zahlreichen Stmmen der Balkanlnder. Da gab esThessalier und Thraker, Agrianen, Illyrer und viele mehr.Diesen Kriegern folgte ein gewaltiger Tross: Geschtz- undBallistikexperten, Schreiber und Kanzleibeamte dergriechischen Verwaltung, Kartografen und Waffenschmiede,Kche, Pferdeknechte und die groe Schar der Sklaven undLeibdiener. Nicht zu vergessen waren die zahllosen rzte undKnstler, Seher und Priester, die sich dem Heer anschlossen.

    Den Feind aufzuspren und alles ber ihn zu berichten, warAufgabe der Kundschafter. Alexander hoffte, dass er baldNachricht von ihnen bekam.

    Die Krieger durchquerten eine lange, schmale Senke. Hiergab es sicher noch keine Perser. So wie er Dareios einschtzte,waren sie noch nicht weiter vorgedrungen. Der Perserknigwar sich der berlegenheit seiner Truppen sicher. Ob er

    ebenfalls Spher einsetzen lie, um festzustellen, wo sich die

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    Griechen befanden, wusste niemand. Aber wegen der vonDareg unmittelbar beim Lager gefundenen Spuren blieb

    Alexander vorsichtig. Er lie stndig die Flan