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Mundakupunktur: Vorgehen und Technik Allgemeines Bei der Mundakupunktur handelt es sich wie bei der Ohrakupunktur um die Akupunktur eines so genannten Mikrosystems (MAPS). Dies ist ein Teil des Körpers, in welchem sich die Gesamtheit des Körpers widerspiegelt. Die Punkte sind reflektorisch (holographisch-kyberne- tisch) und reaktiv (d. h. nur nachweisbar, wenn das korrelierende Organ funktionsgestört ist). Der Wirkungseintritt ist beim Mikrosystem in aller Regel rascher als bei der Körperakupunktur. Bereits vor über 100 Jahren wurde reflextherapeutisches Vorgehen an Schleimhäuten versucht (Fliess). Voll und Kramer mit ihren Untersu- chungen der 1960er Jahre ist es zu verdanken, dass mittels EAV (Elek- troakupunktur nach Voll) in mühsamer Kleinarbeit Zahn-Organ-Bezüge gefunden und aufgeschlüsselt werden konnten. Die Wirkrichtung geht hier sowohl vom Zahn zum Organ als auch umgekehrt. Das von ihnen erstellte Zahn-Organ-Schema (Abb. 34) gilt auch heute noch uneinge- schränkt. Voll führte den Begriff des Odontons ein: Er beinhaltet Zahn und dazu- gehörigen Zahnhalteapparat, marginales Parodontium und umgeben- den Knochen. Dieser Begriff ist auf entsprechende Areale in Um- schlagfalte und Wange erweiterbar. Auf dieser Basis fand Gleditsch in den 1970er Jahren die Mundakupunktur. Seine Untersuchungen bezo- gen sich anfangs vor allem auf sinugene Erkrankungen. Immer wieder bestätigte sich, dass durch Organerkrankungen bestimmte Areale der Mundschleimhaut ebenfalls in Empfindlichkeit und Konsistenz verän- dert waren. Spontane Druckdolenzen beziehungsweise Veränderung der Schmerzqualitäten an Schleimhautpunkten wurden ebenfalls beobachtet. 100 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme Akupunktur eines Mikrosystems EAV Odonton

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Mundakupunktur: Vorgehen undTechnik

Allgemeines

Bei der Mundakupunktur handelt es sich wie bei der Ohrakupunkturum die Akupunktur eines so genannten Mikrosystems (MAPS). Dies istein Teil des Körpers, in welchem sich die Gesamtheit des Körperswiderspiegelt. Die Punkte sind reflektorisch (holographisch-kyberne-tisch) und reaktiv (d. h. nur nachweisbar, wenn das korrelierendeOrgan funktionsgestört ist). Der Wirkungseintritt ist beim Mikrosystemin aller Regel rascher als bei der Körperakupunktur.

Bereits vor über 100 Jahren wurde reflextherapeutisches Vorgehen anSchleimhäuten versucht (Fliess). Voll und Kramer mit ihren Untersu-chungen der 1960er Jahre ist es zu verdanken, dass mittels EAV (Elek-troakupunktur nach Voll) in mühsamer Kleinarbeit Zahn-Organ-Bezügegefunden und aufgeschlüsselt werden konnten. Die Wirkrichtung gehthier sowohl vom Zahn zum Organ als auch umgekehrt. Das von ihnenerstellte Zahn-Organ-Schema (Abb. 34) gilt auch heute noch uneinge-schränkt.

Voll führte den Begriff des Odontons ein: Er beinhaltet Zahn und dazu-gehörigen Zahnhalteapparat, marginales Parodontium und umgeben-den Knochen. Dieser Begriff ist auf entsprechende Areale in Um-schlagfalte und Wange erweiterbar. Auf dieser Basis fand Gleditsch inden 1970er Jahren die Mundakupunktur. Seine Untersuchungen bezo-gen sich anfangs vor allem auf sinugene Erkrankungen. Immer wiederbestätigte sich, dass durch Organerkrankungen bestimmte Areale derMundschleimhaut ebenfalls in Empfindlichkeit und Konsistenz verän-dert waren. Spontane Druckdolenzen beziehungsweise Veränderungder Schmerzqualitäten an Schleimhautpunkten wurden ebenfallsbeobachtet.

100 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Akupunktur einesMikrosystems

EAV

Odonton

Die Odontone konnten nach und nach den einzelnen Funktionskreisender chinesischen Medizin zugeordnet werden (Abb. 35). Hierbei trateine Besonderheit in Erscheinung: Die Zähne waren nicht wie sonstYin oder Yang zugeordnet, sondern im Odonton waren Yin und Yangvereint. Dies räumt der Mundakupunktur eine ganz besondere Stellungein. Bald erkannte Gleditsch, dass die Punkte nicht nur diagnostisch,sondern umgekehrt auch therapeutisch nutzbar waren (über 400 Fällevon Sinusitis). Die Ergebnisse waren reproduzierbar.

Benennung der Mundakupunkturpunkte

Die Bezeichnung der Mundakupunkturpunkte ist an die zahnärztlicheBezeichnung der Zähne nach der internationalen Gebissformel (F.D.I.)angelehnt. Als Bezeichnung für einen Mundakupunkturpunkt kommtdavor noch der Buchstabe »O« für oral. Beispiel: O18 für den beimrechten oberen Weisheitszahn vorgelagerten Punkt.

Abb. 34Zahn-Organ-Schema (aus: Gleditsch, J.: Mundakupunktur. Schorndorf 1979. Abdruckmit freundlicher Genehmigung von Dr. Jochen Gleditsch)

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 101

Odontone sind einzelnen Funk-

tionskreisen zugeordnet

InternationaleGebissformel

(F.D.I.)

Im Prinzip können alle Mundpunkte auch von extraoral gestochen wer-den. Wir praktizieren dies meist bei den Punkten der Eckzähne, dadiese zum einen äußerst wirksam und zum anderen exakt zu findensind. Zur Kennzeichnung kommt vor die Zahnbezeichnung der Buch-stabe »F« für fazial.

Indikationen und Kontraindikationen

Indikationen

Zahnärztlich Akupunkturtherapie (vor allem Mundakupunktur) ist vorallem als additive Therapie anzusehen. Besonders wirksam ist dieMundakupunktur bei Beschwerden und Erkrankungen des Kieferge-lenks, muskulären Schmerzzuständen und Verspannungen im Kopfbe-reich oder am Bewegegungssystem. Adjuvant wird sie angewandt beiHNO-Erkrankungen, aber auch bei vegetativen Dysbalancen. Atypi-scher Gesichtsschmerz, neuralgiforme Beschwerden, Kranialgien oderTrigeminusschmerzen können ebenfalls Indikationen darstellen.Behandelt werden funktionelle Beschwerdebilder. Mit der Körperaku-punktur kann Mundakupunktur ohne weiteres kombiniert werden.Diese Kombination, wie auch die mit anderen Mikrosystemen, ist beivielen Erkrankungen möglich und notwendig.

Kontraindikationen

Die verwandten Anästhetika (s. u.) sind sehr niedrig dosiert und wer-den in äußerst geringer Menge angewandt, daher gelten im Prinzip diegleichen Kontraindikationen, wie bei der Nadelakupunktur. Sehr seltengibt es allergische Reaktion gegen die verwandten Anästhetika. Beilege artis durchgeführter Mundakupunktur sind kaum Nebenwirkun-gen zu erwarten. Als Ausweichmöglichkeit kann Kochsalzlösung ver-wandt werden.

Lokalisation der Punkte

Bei der Mundakupunktur gibt es vier Gruppen von Punkten: die Vesti-bulumpunkte, die Retromolarpunkte, das Areal des 3-Erwärmers unddas Areal der Brustwirbelsäule.

102 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Mundakupunkturist vor allem addi-tive Therapie

Niedrig dosierteAnästhetika

Vestibulumpunkte

Der Grund, warum diese Punkte von den Zahnärzten so lange nichtgefunden wurden, liegt darin, dass ihre Lokalisation nicht dem beizahnärztlichen Eingriffen üblichen Injektionsort entspricht. Die Vestibu-lumpunkte liegen nahe der Umschlagfalte im jeweiligen Odonton. Sieliegen jedoch im Molarenbereich in der Umschlagfalte näher am Zahnals bei den Prämolaren oder gar den Frontzähnen. Je weiter vorne dasOdonton im Mund liegt, umso weiter befindet sich der Punkt bukkalbeziehungsweise labial. Bei den Frontzähnen sind die Punkte dann inden Lippen gegenüber den Zahnkronen aufzufinden.

Abb. 35Zuordnung der Odontone zu den entsprechendenOrganen

BI/Ni Le/GbMa/Mi

Di/Lu

He/Dü

He/Dü

Ma/Mi

Di/Lu

Le/Gb

BI/Ni

Odonton (Abb. 35) Chinesischer Funktionskreis

O12–O22; O32–O42 Niere/Blase

O13; O23; O33; O43; F13; F23; F33;F43

Leber/Gallenblase

O16/17; O26/27; O44/45; O34/35 Milz/Magen

O14/15; O24/25; O36/37; O46/47 Lunge/Dickdarm

O18; O28; O38; O48 Herz/Dünndarm

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 103

Nahe derUmschlagfalte im

jeweiligen Odonton

Retromolarpunkte

Distal der Weisheitszähne des Ober- wie des Unterkiefers liegt einGebiet, das als »Neunergebiet« bezeichnet wird. In diesem vergleichs-weise wenig umfangreichen Gebiet der Endwülste der Alveolarkämmeund der sich zwischen diesen erstreckenden Plica pterygomandibula-ris treten alle Funktionskreise nochmals in Erscheinung.

3-Erwärmer

Am Vorderrand der aufsteigenden Mandibula, etwa in der Mitte zwi-schen Ober- und Unterkiefer, befindet sich ein austastbares länglichesAreal, das 3-Erwärmer-Areal (Abb. 37). Möglicherweise ist dieses Arealauch gleichzeitig das Areal für das Perikard.

Übergreifende Lokalisationen; HWS, LWS, BWS, ISG,Schulter

Während Lendenwirbelsäule (LWS), Iliosakralgelenk (ISG), Halswirbel-säule (HWS) im Retromolargebiet des Unterkiefers und Ellenbogen/

Lokalisation im RetromolarbereichOK (Abb. 36)

Chinesischer Funktionskreis

Distal Niere/Blase

Distopalatinal Leber/Gallenblase

Nur Vestibulumpunkte Milz/Magen

Distobukkal Lunge/Dickdarm

Nur Vestibulumpunkte Herz/Dünndarm

Lokalisation im RetromolarbereichUK

Chinesischer Funktionskreis

Distolingual Niere/Blase

Distolateral Leber/Gallenblase

Distal Milz/Magen

Nur Vestibulumpunkte Lunge/Dickdarm

Nur Vestibulumpunkte Herz/Dünndarm

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»Neunergebiet«

Am Vorderrand deraufsteigendenMandibula

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Abb. 36Im Retromolarbereich sindalle Funktionskreise noch-mals versammelt. In derMitte zwischen OK/UK amaufsteigenden Ast: 3-E-Areal

Abb. 37 3-Erwärmer-Areal

Ma/Mi

3-E(San fiao)

Le/Gb

Ni/Bl

Ni/Bl

Le/Gb

Lu/Di

Schulter im Retromolarbereich des Oberkiefers repräsentiert sind, pro-jiziert sich die Brustwirbelsäule (BWS) am Hinterrand des harten Gau-mens. Etwa da, wo harter und weicher Gaumen ineinander übergehen,aber mehr im harten Gaumen. Das Areal ist lang gestreckt von untennach oben, etwa in der Gegend des Foramen palatinum beginnend.Das Therapiezentrum liegt etwas oberhalb des Foramen palatinum.

Art der Akupunktur

Die Mundakupunktur ist eine Form von Injektionsakupunktur. Das hateinen besonderen Grund. Während bei der Körperakupunktur diePunkte anatomisch definiert sind oder bei anderen Mikrosystemen(wie beispielsweise dem Ohr) im Falle der Irritation elektrisch gemes-sen werden kann, ist dies im Mund aufgrund der vorhandenen Feuch-tigkeit nicht möglich. Zum anderen sind im Mund wegen der damit ver-bundenen Aspirationsgefahr normale Akupunkturnadeln nicht ver-wendbar. Gleditsch machte aus der Not eine Tugend durch Erfindungseiner »Very-Point-Technik« (s. u.), bei deren Anwendung mit einer Ein-weg-Injektionsspritze Therapie- und Diagnosegerät in idealer Weisevereint werden konnten.

Therapieziel Lokalisation

LWS UK-retromolar bukkal im Siebener-/Achter-/Neuner-Gebiet

HWS (obere) UK-retromolar distal und nach kranial entlang derPlica pterygomandibularis

HWS (untere) Fast schon OK-retromolar, etwas weiter lateral alsuntere HWS. Die Areale stehen nicht in Verbindung.

ISG UK-retromolar, distal und nach lingual reichend

Schulter/Arm, Ellen-bogen, Kiefergelenk

OK-retromolar distal und lateral, oft etwas nachanterior reichend

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Injektions-akupunktur

»Very-Point-Technik«

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Wirkungen

Neben einer rein lokalen Wirkung der Punkte, die naturgemäß denBereich der Mundhöhle beziehungsweise der Kaumuskulatur betref-fen, gibt es Fernwirkungen und Allgemeinwirkungen. Besonders dieRetromolarpunkte sind als Erfahrungspunkte zu verstehen.

Vestibulumpunkte

Bei der Therapie, aber auch bei Störungen (beispielsweise Herdwir-kung) ist der jeweils zugeordnete Funktionskreis betroffen. Als An-haltspunkt dienen die Zuordnung der Meridiane der Körperakupunkturund die Korrelate des entsprechenden Funktionskreises. Gemeint istimmer der Funktionskreis im Sinne der Traditionellen ChinesischenMedizin und nicht das Organ der westlichen Medizin. Die Lokalisationdes Zustimmungspunktes auf dem inneren Ast der Blasenleitbahn, derzum mit dem jeweiligen Vestibulumpunkt verschalteten Funktionskreisgehört, entspricht dem diesem Odonton zugehörigen Wirbelsäulenab-schnitt.

Hierarchisch sind die Vestibulumpunkte den Retromolarpunkten unter-geordnet.

Praxistipp: Eine Besonderheit stellen die den Eckzähnen vorgelagerten Punktedar. Sie haben sich als hervorragende Therapieareale für alle Hüft-und Kniebeschwerden erwiesen. Sie können sowohl von enoral, alsauch von extraoral mit »Very-Point« gefunden und therapiert wer-den. Die extraorale Therapie erfolgt mit einer sehr feinen Ohr- oderGesichtsnadel (Anm.: Der Durchstich ist weder notwendig nochsinnvoll).

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Prinzipiell ist eine extraorale Therapie bei allen Vestibulumpunktenmöglich. Die Treffgenauigkeit ist jedoch ab dem Prämolarenbereichnur unzureichend gegeben. Die Eckzahnpunkte haben sich, wiebereits erwähnt, als therapeutisch besonders effektiv erwiesen.

Retromolarpunkte des Unterkiefers

Die Therapie der Retromolargebiete wirkt offensichtlich tiefgreifenderals die des Vestibulums. Durch Kopfherde wird das Unterkiefer-Retro-molargebiet besonders belastet. Umgekehrt ist hier eine Störfeldthera-pie besonders wirksam. Eine enge lokale Verschaltung besteht mit denArealen Herz/Dünndarm.

Das Unterkiefer-Retromolargebiet ist ein besonders wirksamer Ort zurTherapie von HWS- (Nähe des Atlas), aber auch von LWS-Beschwer-den. Hierarchisch sind die Retromolarpunkte den Verstibulumpunktenübergeordnet. Es können daher Löschungsphänomene auftreten, wel-che eine Therapie des gelöschten Vestibulumpunktes überflüssigmachen.

UK-retromolar

Indikation Zervikalsyndrom, Ischialgie, LWS, Iliosakralgelenk (hier auchein Therapieort für das Kiefergelenk). Kopfschmerzen, Migrä-ne. HWS-bedingter Schwindel. Funktionelle Störungen vonUrogenitale, Verdauungssystem, Bewegungsapparat. Adjuvantbei Depressionen (8er!), Tinnitus. Bei lymphatischen Stauungen

Indikationen

Lokal Schmerzzustände der Mundhöhle, lokale Beschwerden, Kie-fergelenkbeschwerden, prä- und postoperative Therapie, Ver-spannungen der Kaumuskulatur

Fern Den Lokalisationen des betroffenen Funktionskreises entspre-chend. Vor allem: Bewegungsapparat, HNO-Bereich, vegetati-ve Beschwerdebilder. Einbeziehung bei einer Therapie imSinne der TCM-Regeln. Beschwerden an WS-Segmenten derzugehörigen Zustimmungspunkte.

O13, O23,O33, O43,F13, F23,F33, F43

Knie, Hüfte (Anm.: Die UK-Punkte sind meist wirksamer.), The-rapie von extraoral möglich. Diese extraoralen Punkte werdenmit »F« (fazial) gekennzeichnet.

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Besonderheiten

Retromolarpunkte des Oberkiefers

Auch dieses Gebiet hat eine nahe anatomische Beziehung zur HWSund vor allem zum Kiefergelenk (M. pter. lat.). Es hat einen großen Ein-fluss auf psychogene Dysfunktionen. Den anderen Mundarealen ist estherapeutisch übergeordnet (Auslöschung), sodass es als primäresTherapiegebiet anzusehen ist und – ähnlich wie im Unterkiefer-Retro-molarareal – zur Ausschaltung von Störfeldern eingesetzt werden kann(Abb. 36).

Auch im Oberkiefer besteht eine hierarchische Überordnung zu denVestibulumpunkten. Es gilt wie im Unterkiefer, dass bei Löschungs-phänomenen die gelöschten Vestibulumpunkte keiner Therapie mehrbedürfen.

BWS

Dies ist ein neues, von mir gefundenes Therapieareal im Oberkiefer, zudem noch vergleichsweise wenige Erfahrungen vorliegen.

BWS

Indikation Schmerzen, Verspannungen, Dorsalgien im BWS-Bereich

OK-retromolar

Indikation Psychovegetat. Dysbalancen. Schulter/Arm-Syndrom, Ellenbo-gen, auch HWS. HNO-Erkrankungen. Lymphstauungen. Kopf-schmerzen, Migräne. Zur Verbesserung der Körperregulation,Störfeldtherapie. Adjuvant bei Verdauungsbeschwerden,Depressionen (8er). Störungen des Kiefergelenks, dentogeneBeschwerden, Gesichtsschmerzen, Trigeminusneuralgie. M. E.Tinnitus

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 109

Besonderheiten

Magen

In der Gaumenmitte, am Übergang zwischen hartem und weichemGaumen wurde von mir ein neues Areal »Magen« (Abb. 38a) gefunden.Dazu liegen ebenfalls bis jetzt nur geringe Erfahrungen vor.

3-Erwärmer

Er ist als so genannter RAM-Punkt (Ramus ascendens mandibulae) ander aufsteigenden Mandibelkante lokalisiert. Das Areal kann mit demtastenden Finger auf Letzterer hoch gleitend etwa am Schnittpunkt mitder Winkelhalbierenden zwischen Oberkiefer und Unterkiefer gefun-den werden (Abb. 37).

Anmerkung Eine Koppelung mit dem Partner der Körperakupunktur, dem Perikard,kann bisher anhand von Beobachtungen nur vermutet werden und istnoch nicht bewiesen. Dies ist jedoch anzunehmen.

Wirbelsäule/Bewegungsapparat

Diese werden vor allem über die oben angegebenen Areale (adjuvant)behandelt. Es ist zu beachten, dass eine Behandlung des Kieferge-lenks häufig eine therapeutische Einbeziehung der Wirbelsäule erfor-dert. Wirbelsäule und Bewegungsapparat (hier speziell Halswirbelsäu-le und Kopfgelenke) sind über die Mundakupunktur besonders gut zubeeinflussen (Abb. 38 bis 41).

3-Erwärmer

Indikation Migräne, Kopfschmerz (Akutpunkt!). TMJ, Kaumuskeln. Rota-torische Einschränkungen am Bewegungsapparat (WS!).Adjuvant bei Tinnitus, Schwerhörigkeit und zur Unterstützungendokriner Funktionen

110 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Besonderheiten

Besonderheiten

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 111

Abb. 38aWirbelsäule und Bewegungs-apparat

Abb. 38cAreal Brustwirbelsäule (nachHieber)

ISG

LWS

BWS

Schulter

untere HWS

obere HWS

Abb. 38bRetromolarpunkt des Ober-kiefers, Schulter, Ellenbogen

Magen

112 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Abb. 39bUntere Halswirbelsäule

Abb. 40Lendenwirbelsäule

Abb. 41Iliosakralgelenk

Abb. 39aObere Halswirbelsäule

Zähne und Körper

In jedem der Kieferquadranten sind nach Voll/Kramer/Gleditsch diefünf Funktionskreise der TCM repräsentiert und bestimmten Zähnenbeziehungsweise den benachbarten Mundakupunkturpunkten zuge-ordnet (s. o.). Es besteht also eine definierte funktionelle Verknüpfungzwischen Odontonen und Organen oder Körperarealen sowie zu denKorrelaten des betreffenden Funktionskreises.

Somatotopische Zahnbezüge

O12–O22; O32–O42 Niere/Blase

Statik, Stabilität, Sicherheit, Beharren, Struktur, Kno-chen, Haupthaar; Winter, Kälte, Wasser; Ohr, Horchen;Tonsilla pharyngica, Sinus frontalis; L 2, 3; S 3–5, Co;Knie, Fuß (Meridianverlauf); Urogenitale, Niere; Lokali-sationen im Meridianverlauf

O13; O23; O33(Abb. 42a und b);O43 Leber/Gal-lenblase

Dynamik, Spannkraft, Motorik, »Power«, Entschluss-kraft, Anpassung; Sehnen, Muskel-Spannkraft; Auge,Schauen; Windeinflüsse, Frühjahr; plötzliche undwechselnde Lokalisation; Tonsilla palatina, Sinus sphe-noidalis; Th 8–10; Hüfte, Knie (Meridianverlauf); Leber,Gallenblase, Gallengang; Lokalisationen im Meridian-verlauf

O16/17; O26/27;O44/45; O34/35;Milz/Magen

Kontakt, Begegnung, Behalten, Verarbeiten, Grübeln,Analysieren, Greifen/Begreifen; Reserven; Bindegewe-be (»Fleisch«); Spätsommer, Feuchtigkeit; Mund/Lip-pen, Larynx/Pharynx; Th 11–L1; Tons. laryngica, Sinusmaxillaris, Lymphabfluss Larynx; Knie (Meridianverlauf);Magen, Milz; Lokalisationen im Meridianverlauf

O14/15; O24/25;O36/37; O46/47;Lunge/Dickdarm

Lunge »Das zarte Organ«; Entgegennehmen, Aus-tausch, Reifen, Reinigung, Lassen/Zulassen; Haut,(Körper)-Haare; Herbst, Trockenheit; Nase, Riechen;Tonsilla tubaria, Sinus ethmoidalis, Lymphe der Tubaauditiva; Bronchien; C 5–7; Th 2–4; L 4, 5; Arm, Ellen-bogen, Schulter (Meridianverlauf); Lunge, Dickdarm;Körperabwehr; Lokalisationen im Meridianverlauf

O18; O28; O38;O48; Herz/Dünn-darm

Präsenz, Kommunikation, sich mitteilen; »Rhythmus«;Freude; Blut und Blutgefässe; Zunge, Sprechen; Som-mer, Hitze; Tonsilla lingualis; Mastoid, Mittelohr; C 7, 8;Th 5–7; S 1–3; Schulter, Ellenbogen (Meridianverlauf);Herz, Dünndarm mit Jejunum, Ileum; Lokalisationen imMeridianverlauf

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 113

Weitere Mundpunkte

Es seien noch zwei Punkte erwähnt, die nicht zu den Punkten derMundakupunktur zu rechnen sind, die aber der Zahnarzt wegen ihrerLokalisation im Mund kennen sollte: LG 28 (Abb. 43) und KG 26 (Abb.44), die Frenulumpunkte des Ober- und Unterkiefers. Hier kann wie beider Mundakupunktur mit geringen Dosen Lokalanästhetikum thera-piert werden. Neben allgemeiner Wirkung bei Munderkrankungen wir-ken beide Punkte in Richtung auf das andere Ende der jeweiligen Leit-bahn. Der Frenulumpunkt des Oberkiefers wird auch als »Hämorrhoi-

Abb. 42bF 33 Le/Gbl, Hüfte, Knie,extraoral

Abb. 42aO 33 Le/Gbl, Hüfte, Knie,oral

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dalpunkt« bezeichnet (wegen seiner entzündungshemmenden undschmerzreduzierenden Wirkung bei Hämorrhoiden), der Punkt desUnterkiefers wird bei »Reizblase« mit gutem Erfolg angewandt.

Therapeutisches Vorgehen

Vorgehen bei der Punktdetektion

Zuerst wird die gesamte Mundschleimhaut inspiziert. Veränderung vonSchleimhautarealen wie Läsionen, Entzündungen, Druckstellen sindfestzustellen und bei der nachfolgenden Therapie auszusparen.

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 115

Mundschleimhautinspizieren

Abb. 43LG 28 »Hämorrhoidalpunkt«

Abb. 44KG 26 »Reizblase«

116 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

»Very-Point-Tech-nik«

Um eine grobe Übersicht zu gewinnen, wird palpiert. Ertastet werdendruckdolente Bezirke in den Arealen der Vestibulumpunkte oder desRetromolarbereichs. Hierbei wird mit der behandschuhten Handgleichmäßig (!) ausgetastet und die schmerzhaften Areale werden ver-merkt. Im Lippenbereich sollte man den »Zangengriff« anwenden. ImRetromolarbereich kann es sinnvoll sein, leicht schließen zu lassen, dadie Einengung des Raumes durch den Muskelfortsatz der Mandibulageringer ist. Eine feinere palpatorische Detektion ist mit Kugelstopfernunterschiedlicher Größe möglich. In den derart gefundenen Arealenerfolgt nun die Feindetektion.

Die exakte Punktdetektion wird mit der so genannten »Very-Point-Technik« (Abb. 45) vorgenommen. Wie beschrieben ist im Mundbedingt durch die vorhandene Feuchtigkeit eine elektrische Messungnicht möglich. Aus der Not eine Tugend machend wurde von Gleditscheine besondere Technik entwickelt. Die verfeinerte Punktsuche erfolgtbei dieser Methode durch vorsichtiges tangentiales Sticheln und Aus-klopfen mit dem Therapieinstrument (im Mund mit einer Kanüle,extraoral mit der Akupunkturnadel). Hierbei bleibt, bei richtiger Tech-nik, die Nadel am zu therapierenden Punkt »kleben«, wobei der Patientdie erfolgreiche Suche sowohl mimisch als auch durch Lautäußerungim Sinne einer Zustimmung bestätigt. Diese Vorgehensweise muss

Praxistipp: Um ein klares Bild zu erhalten und die Druckdolenzen wirklich ver-gleichen können, ist es notwendig, mit gleichmäßigem Druck zuuntersuchen. Dies erfordert einige Übung.

Zum besseren Erreichen des lateralen OK-Retromolargebietes denMund leicht schließen lassen. Die Raumeinengung durch den Mus-kelfortsatz des Unterkiefers ist dann geringer.

Inspektion Veränderung von Schleimhautarealen

Palpation Ertasten druckdolenter Areale

Exakte Punktdetektion »Very-Point-Technik«

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Palpation

Zangengriff

praktisch erlernt werden. Sowohl bei dieser Art der Diagnostik alsauch bei der darauf folgenden Therapie ist eine konsequent abge-stützte Hand (wie es der Zahnarzt aus seiner praktischen Tätigkeitkennt) notwendig. Um eine unvoreingenommene Punktsuche zuermöglichen, sollte die Intention »zu stechen« (also zu therapieren)vom Behandler bei der Punktdetektion vollständig in den Hintergrundgestellt werden (Abb. 44 und 45).

Vorbereitung

Patient

Behandelt wird am besten auf dem Zahnarztstuhl oder einer Behand-lungsliege. Der Raum sollte ausreichen temperiert sein; außerdem soll-ten Zudecken, Unterlegkeile und Kissen vorhanden sein, um demPatienten das Verweilen so angenehm wie möglich zu machen. Nichtvergessen werden sollte, soweit nötig, ein Toilettengang des Patien-ten. Es ist für ausreichende Beleuchtung und Fixation des Kopfes zusorgen. Auf dem Behandlungsstuhl sind diese Voraussetzungen ideal

Praxistipp:»Very Point« darf ausschließlich mit abgestützter Hand erfolgen. Man vergesse die Intention »zu stechen«! Diese ist vom Behandlerwährend der Detektion vollständig in den Hintergrund zu stellen.Erst nach erfolgter Punktdetektion wird invasiv vorgegangen.

Abb. 45»Very-Point-Technik« nachGleditsch (hier am Körper)

Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 117

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gegeben. Wenn auf der Liege behandelt wird, sollten entsprechendeVoraussetzungen geschaffen werden.

Therapiegerät

Die Verwendung von ungesicherten Akupunkturnadeln im Mund istwegen der Gefahr der Aspiration kontraindiziert. Es wird daher entwe-der eine Insulinspritze mit fest angefügter Nadel (mit dem weiterenVorteil, dass diese sehr fein ist) oder eine 2-ml-Spritze mit zahnärztli-cher Kanüle verwandt. Bei letzterer ist unbedingt auf sehr festen Sitzder Kanüle zu achten. Therapiert wird mit schwach prozentigem Loka-lanästhetikum (0,25 bis 0,5 %) ohne Vasokonstringens und ohne Kon-servierungsmittel. Bei allergiesensiblen Patienten kann auch Kochsalz-lösung verwendet werden. In manchen Fällen genügt auch der bloßeEinstich der Nadel ohne Injektion. Beides hat den Nachteil, dass einefeinere Detektion nicht möglich ist. Die Injektion von Kochsalz ist auchetwas schmerzhafter als die mit Anästhetikum.

Auch die Chinesen kannten einige wenige Mundpunkte unter derZunge. Diese wurden zur Verhinderung der Aspiration mit langenNadeln gestochen, an denen »Fähnchen« befestigt waren. Wegen desvorhandenen Risikos der Aspiration möchte ich davor ausdrücklichwarnen.

Praxistipp: Bei sehr allergiesensiblen Patienten Kochsalzlösung oder bloßenNadeleinstich anwenden.

Praxistipp: Gute Fixation des Kopfes und eine entsprechende Ausleuchtung(Op-Leuchte, Stirnleuchte, Kaltlicht). Raumtemperatur, Zudecken,Unterlegkeile.Toilettengang

118 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Behandlung mitSpritzen, Akupunk-turnadeln sindkontraindiziert

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Mundakupunktur: Vorgehen und Technik 119

Ipsilaterale Therapie

Durchführung

Die palpatorisch ermittelten Areale müssen nun mit »Very-Point« vor-sichtig, aber genau ausgeklopft werden. An den ermittelten Stellenwird eine sehr geringe Menge (0,1 bis 0,2 ml) des Lokalanästhetikumsunter die Schleimhaut injiziert, bis eine kleine Quaddel entsteht. Nunan der Injektionstelle mit der Fingerkuppe gründlich einmassieren.

Bei der Therapie orthopädischer Erkrankungen sollte eine ständigeBewegungskontrolle erfolgen. In vielen Fällen zeigt die ipsilateraleTherapie, ja sogar die Injektion in einem Punkt, bereits das gewünsch-te Ergebnis. Bestehen die Beschwerden fort, wird kontralateral behan-delt oder es müssen weitere Punkte verwandt werden.

Meist wird bei körperlichen Beschwerden ipsilateral behandelt.Manchmal jedoch kann in bestimmten Fällen die Behandlung der Ge-genseite therapeutisch wirksamer sein und zum gewünschten Erfolgführen. Dies ist sehr häufig beim Iliosakralgelenk zu beobachten.

Jeder therapierte Punkt ist auf fortbestehende Schmerzhaftigkeit zukontrollieren. Sollte ein Punktareal nach Therapie noch schmerzhaftsein, kann in diesem bereits vortherapierten Areal weiter fein detektiertwerden (Anm.: Dies ist bei Verwendung von Kochsalz nicht möglichund erbringt keine neue Information). So wird der Therapiepunkt nochweiter eingegrenzt und ist einer intensiveren Therapie zugänglich. Beinicht ausreichendem Therapieerfolg muss an zusätzlichen Punkten imAreal, auf der Gegenseite oder in aber ganz anderen Arealen weitertherapiert werden. Manchmal tritt der optimale Therapieerfolg nurdurch Löschung aller ermittelten Mundakupunkturpunkte ein.

Praxistipp: Durch gründliches Einmassieren wird der posttraumatischerSchmerz verhindert.

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Kontrolle der thera-pierten Punkte aufSchmerzhaftigkeit

Wie erwähnt kommt es bei einer Therapie im Retromolarbereich häufigzu einer Löschung von Punkten im Vestibulum. Diese müssen dannnicht mehr therapiert werden, auch wenn sie vorher tastbar waren. Esist also sinnvoll, im Retromolarbereich mit der Therapie zu beginnen,um dem Patienten möglichst wenige Einstiche zumuten zu müssen.

Ein Zahndurchbruch kann mit Mundakupunktur gesteuert werden. Zudiesem Zweck werden in die Kapuze eines langjährig retinierten Zah-nes einige Tropfen Anästhetikum injiziert. Offensichtlich wird dadurchein Reiz gegeben. Überdurchschnittlich häufig kommt es nach dieserTherapie zu einem spontanen Durchbrechen des retinierten Zahnes.Es handelt sich hier um einen Sonderfall der Mundakupunktur.

Behandlungsabstände

Wie bei der Körper- oder Ohrakupunktur erfolgt die Behandlung ab-hängig von der Chronizität der Erkrankung in wöchentlichen oder län-geren Abständen, bei akuten Erkrankungen entsprechend häufiger biszu mehrmals täglich.

Praxistipp: Wegen der erwähnten Löschungsphänomene (hierarchische Über-ordnung des Retromolarbereichs) sollte zuerst im Retromolarbe-reich und hier zuerst im Oberkiefer behandelt werden. Durch ent-sprechende Löschung erübrigt sich in der Regel die zusätzlicheTherapie im Vestibulum. Die Vestibulumpunkte sind durch ihre Lagebukkal der Zähne auch topographisch leichter zu ermitteln, falls ihreTherapie zusätzlich notwendig werden sollte.

Praxistipp: Um den Punkt noch exakter zu ermitteln, hat es sich bei mir be-währt, vor dem Einmassieren die Quaddel nochmals mit der »Very-Point-Technik« nach einer verbliebenen schmerzhaften Stelle abzu-suchen und exakt in diese erneut zu injizieren.

120 Für den Zahnarzt geeignete Akupunktursysteme

Therapie im Retro-molarbereich

Zahndurchbruch

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