Musiktherapie hilft bei akuter psychotischer Episode

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44 IN|FO|NEUROLOGIE &PSYCHIATRIE2012;Vol.14,Nr.3 Journal Screen Schizophrenie pen wurde monatlich im Wechsel eine Behandlungs- oder Kontrollgruppe durchgeführt. Die Musiktherapie- Gruppe erhielt vier Einzelsitzungen aktiver Musik- therapie (Improvisation oder Liedschreiben, siehe un- ten), die Kontrollgruppe hörte in vier Einzelsitzungen entspannende Naturklänge. Die Behandlung erstreckte sich über zwei Wochen und dauerte zwischen zehn und 30 Minuten. In der Musiktherapiegruppe wählten die Patienten selbst zwischen Improvisation (Therapeut sitzt am Klavier, Patient wählt ein Schlaginstrument oder spielt an der oberen Hälfte des Klaviers) oder Liedschrei- ben (Patient schreibt ein Gedicht, Therapeut macht Vorschläge zur musikalischen Gestaltung, Patient ist eingeladen, das Lied zu singen oder zu spielen) oder einer Kombination aus beidem aus. Einen Monat nach der Entlassung wurde eine Nachuntersuchung mithilfe eines Interviews oder eines Telefoninterviews durchge- führt. An validierten Untersuchungsskalen vor und nach der Behandlungsserie wurde die Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS), der Calgary Interview Guide for Depres- sion, die Nurses Observations Scale (NOSIE-30) und die Depression Anxiety Stress Scale (DASS 21), bei der Nachuntersuchung die BPRS, Calgary und DASS 21 eingesetzt. Alle Rater waren verblindet. Ergebnisse: Elf der 60 Patienten beendeten die Studie vorzeitig, sodass die endgültige Analyse mit n = 49 durchgeführt wurde. Die vor Beginn der Behandlung durchgeführten Untersuchungsskalen ergaben keine statistisch signifi- kanten Unterschiede zwischen der Behandlungs- und der Kontrollgruppe. Daraus leiteten die Autoren ab, dass die Randomisierung erfolgreich durchgeführt worden war. Signifikante Ergebnisse (p < 0,001) lieferte die BPRS in allen Unterskalen nach Behandlung (Behandlungs- versus Kontrollgruppe). Die anderen Untersuchungs- skalen sowie die Betrachtung der Dauer des Klinikauf- enthaltes und der Medikamentendosis blieben unter dem Signifikanzniveau. In der Nachuntersuchung verschlechterten sich die Werte in der BPRS signifikant und es wurden keine Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgrup- pe gefunden. Schlussfolgerungen: Einzelmusiktherapie ist eine effektive Zusatzbehandlung zur üblichen Pharmako- therapie bei stationär behandelten Patienten mit einer akuten psychotischen Episode. MorganK,Bartrop R,TelferJetal. Acontrolledtrial investigatingthe effectofmusic therapyduringan acutepsychoticepi- sode.ActaPsychiatr Scand2011;124: 363 –71 Wirksame Unterstützung der Pharmakotherapie Musiktherapie hilft bei akuter psychotischer Episode Fragestellung: Ist Musiktherapie in der Behandlung akuter psychotischer Episoden wirksam? Hintergrund: In verschiedenen Studien zur Wirksam- keit von Musiktherapie bei Patienten mit schizophrenen und anderen Psychosen in den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass Musiktherapie als Zusatzbehand- lung zu einem positiven Effekt auf das Funktionsniveau, die Negativsymptomatik und die Lebensqualität führte. Interessant ist der musiktherapeutische Ansatz, da er primär nonverbal und erlebniszentriert ist und damit eine alternative Herangehensweise zur meist pharma- kologischen Behandlung von psychotischen Patienten darstellt. Patienten und Methodik: Im Rahmen einer rando- misierten, kontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit von Einzelmusiktherapie über zwei Wochen als Zusatz- behandlung zur Standardbehandlung bei 60 Patienten im Alter zwischen 17 und 55 Jahren mit der DSM-IV- Diagnose einer Schizophrenie, schizoaffektiven oder bipolar-affektiven Störung mit akuten psychotischen Symptomen in einem australischen Krankenhaus unter- sucht. 25 Patienten wurden in die Behandlungsgruppe und 24 in die Kontrollgruppe quasi-randomisiert: aufgrund von Agitationen einiger Patienten bei parallelen Grup- Bei einer akuten psychotischen Episode unterstützt die Einzelmusikthe- rapie wirksam die Behandlung mit Psychopharmaka. ©somenski/Fotolia.com

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44� IN|FO|Neurologie &�Psychiatrie����2012;�Vol.�14,�Nr.�3

Journal Screen Schizophrenie

pen wurde monatlich im Wechsel eine Behandlungs- oder Kontrollgruppe durchgeführt. Die Musiktherapie-Gruppe erhielt vier Einzelsitzungen aktiver Musik-therapie (Improvisation oder Liedschreiben, siehe un-ten), die Kontrollgruppe hörte in vier Einzelsitzungen entspannende Naturklänge. Die Behandlung erstreckte sich über zwei Wochen und dauerte zwischen zehn und 30 Minuten. In der Musiktherapiegruppe wählten die Patienten selbst zwischen Improvisation (Therapeut sitzt am Klavier, Patient wählt ein Schlaginstrument oder spielt an der oberen Hälfte des Klaviers) oder Liedschrei-ben (Patient schreibt ein Gedicht, Therapeut macht Vorschläge zur musikalischen Gestaltung, Patient ist eingeladen, das Lied zu singen oder zu spielen) oder einer Kombination aus beidem aus. Einen Monat nach der Entlassung wurde eine Nachuntersuchung mithilfe eines Interviews oder eines Telefoninterviews durchge-führt.

An validierten Untersuchungsskalen vor und nach der Behandlungsserie wurde die Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS), der Calgary Interview Guide for Depres-sion, die Nurses Observations Scale (NOSIE-30) und die Depression Anxiety Stress Scale (DASS 21), bei der Nachuntersuchung die BPRS, Calgary und DASS 21 eingesetzt. Alle Rater waren verblindet.

Ergebnisse: Elf der 60 Patienten beendeten die Studie vorzeitig, sodass die endgültige Analyse mit n = 49 durchgeführt wurde.

Die vor Beginn der Behandlung durchgeführten Unter suchungsskalen ergaben keine statistisch signifi-kanten Unterschiede zwischen der Behandlungs- und der Kontrollgruppe. Daraus leiteten die Autoren ab, dass die Randomisierung erfolgreich durchgeführt worden war.

Signifikante Ergebnisse (p < 0,001) lieferte die BPRS in allen Unterskalen nach Behandlung (Behandlungs- versus Kontrollgruppe). Die anderen Untersuchungs -skalen sowie die Betrachtung der Dauer des Klinikauf-enthaltes und der Medikamentendosis blieben unter dem Signifikanzniveau.

In der Nachuntersuchung verschlechterten sich die Werte in der BPRS signifikant und es wurden keine Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgrup-pe gefunden.

Schlussfolgerungen: Einzelmusiktherapie ist eine effektive Zusatzbehandlung zur üblichen Pharmako -therapie bei stationär behandelten Patienten mit einer akuten psychotischen Episode.

Morgan�K,�Bartrop�R,�Telfer�J�et�al.�

A�controlled�trial�investigating�the�

effect�of�music�therapy�during�an�

acute�psychotic�epi-sode.�Acta�Psychiatr�

Scand�2011;�124:�363–71

Wirksame Unterstützung der Pharmakotherapie

Musiktherapie hilft bei akuter psychotischer EpisodeFragestellung: Ist Musiktherapie in der Behandlung akuter psychotischer Episoden wirksam?

Hintergrund: In verschiedenen Studien zur Wirksam-keit von Musiktherapie bei Patienten mit schizophrenen und anderen Psychosen in den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass Musiktherapie als Zusatzbehand-lung zu einem positiven Effekt auf das Funktionsniveau, die Negativsymptomatik und die Lebensqualität führte. Interessant ist der musiktherapeutische Ansatz, da er primär nonverbal und erlebniszentriert ist und damit eine alternative Herangehensweise zur meist pharma-kologischen Behandlung von psychotischen Patienten darstellt.

Patienten und Methodik: Im Rahmen einer rando-misierten, kontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit von Einzelmusiktherapie über zwei Wochen als Zusatz-behandlung zur Standardbehandlung bei 60 Patienten im Alter zwischen 17 und 55 Jahren mit der DSM-IV-Diagnose einer Schizophrenie, schizoaffektiven oder bipolar-affektiven Störung mit akuten psychotischen Symptomen in einem australischen Krankenhaus unter-sucht.

25 Patienten wurden in die Behandlungsgruppe und 24 in die Kontrollgruppe quasi-randomisiert: aufgrund von Agitationen einiger Patienten bei parallelen Grup-

Bei einer akuten psychotischen

Episode unterstützt die Einzelmusikthe-

rapie wirksam die Behandlung mit

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46� IN|FO|Neurologie &�Psychiatrie����2012;�Vol.�14,�Nr.�3

Journal Screen Schizophrenie/Multiple�Sklerose

Fragestellung: Welche Therapieeffekte hat subkutanes Interferon beta-1a (IFNb-1a), entweder einmal pro Wo-che 44 µg oder dreimal pro Woche 44 µg, auf die kli-nische und paraklinische Aktivität von Patienten mit einem klinisch isolierten Syndrom (KIS)?

Hintergrund: In Patienten mit einem KIS, das eine mögliche Erstmanifestation einer Multiplen Sklerose (MS) ist, kann eine frühzeitige Therapie mit IFNb wei-tere Schübe und somit die Diagnose einer MS verzögern. In der ETOMS-Studie [1] wurde gezeigt, dass IFNb-1a 22 µg s. c. einmal pro Woche bei Patienten mit KIS die Diagnose einer MS effektiv verzögern kann. Die gängige und zugelassene Dosierung bei Patienten mit schubför-miger MS ist jedoch eine Gabe von 22–44 µg dreimal pro Woche.

Patienten und Methodik: In der multizentrischen, doppelblinden, 24-monatigen Phase-III-Studie REFLEX (REbif FLEXible dosing in early MS) wurden Patienten im Alter von 18 bis 50 Jahren mit einem bis zu 60 Tage

zuvor aufgetretenen erstmaligen klinischen demyelini-sierenden Ereignis (KIS) und mindestens zwei klinisch stummen T2-Läsionen im kranialen MRT eingeschlos-sen und gleichmäßig auf subkutanes IFNb-1a 44 µg dreimal pro Woche oder einmal pro Woche (plus zwei-mal Placebo) oder Placebo dreimal pro Woche rando-misiert. IFNb-1a wurde über einen Monat eintitriert. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zur Diagnose einer MS gemäß den McDonald-Kriterien von 2005; der wesentliche sekundäre Endpunkt erfasste die Zeit bis zur Diagnose einer klinisch gesicherten MS (CDMS), wie in den Poser-Kriterien definiert. Klinische Unter-suchungen und Verlaufs-MRTs (1,5 Tesla) fanden alle drei Monate statt. Es handelte sich um eine so genannte Intention-to-treat-Analyse.

Ergebnisse: Insgesamt 517 Patienten wurden rando-misiert, davon 171 auf IFNb-1a 44 µg dreimal die Woche, 175 erhielten Verum einmal in der Woche und 171 Placebo. Der über 24 Monate kumulative Anteil der Patienten, die eine MS nach den McDonald-Kriterien

REFLEX-Studie bei klinisch isoliertem Syndrom

Zwei Dosierungen von Interferon beta-1a im Vergleich

Kommentar: Im�Unterschied�zu�den�meisten�bishe-rigen�Studien�zur�Wirksamkeit�von�Musiktherapie�bei�Psychosen�liegt�hier�eine�Studie�mit�Patienten�vor,�die�eine�akute�psychotische�Episode�bei�Studieneinschluss�aufwiesen.� Die� Studie� unterscheidet� sich� weiterhin�durch��ihrem�klaren�methodischen�Aufbau�und�ist�mit�vier� Jadad-Punkten� als� methodisch� gut� einzustufen.�Da� frühere� Untersuchungen� auch� bei� anderen� psy-chiatrischen� Krankheitsbildern,� zum� Beispiel� bei� De-pression�[1],�Hinweise�auf�eine�Wirksamkeit�der�Musik-therapie�ergeben�haben,�ist�die�klinische�Relevanz�der�Studie�hoch.

Trotz�der�Kürze�der�Intervention�zeigten�sich�klinisch�relevante�Unterschiede�in�den�Behandlungsgruppen.�Im� Hinblick� auf� die� Akuität� der� Erkrankung� ist� dies�besonders� hervorzuheben.� Dass� diese� Effekte� in� der�Nachuntersuchung� nicht� anhielten,� muss� ebenfalls�der�geringen�Anzahl�an�Behandlungen�zugeschrieben�werden.�Denkbar�wäre�zum�Beispiel�ein�Studienmodell�mit�ambulanter�musiktherapeutischer�Weiterbehand-lung�nach�der�Entlassung,�um�einen�längeren�Beobach-tungszeitraum� und� damit� Daten� zu� Langzeiteffekten�zu�gewinnen.�

Im�Unterschied�zu�einer�Studie�von�Talwar�et�al.�[2]�zeigten�sich�nicht�nur�bei�der�Negativ-,�sondern�auch�bei�der�Positivsymptomatik�statistisch�signifikante�Ver-besserungen�in�der�Musiktherapiegruppe.�Die�Autoren�vermuten,�das�musiktherapiespezifische�Wirkfaktoren�in�musikalischem�Ausdruck�von�Gefühlen,�Entwicklung�interaktiver,�interpersoneller�und�kommunikativer�Fä-higkeiten� und� Förderung� von� Gedächtnis-,� Aufmerk-samkeits-,� Organisations-� und� Konzentrationsfähig-keiten� im�und�durch�das�aktive�Spiel� liegen�und�sich�neben�der�psychotischen�Symp��tomatik�auch�Einsicht�und�Urteilsfähigkeit�verbessern.�Interessant�und�weiter�zu�erforschen�ist�die�These,�dass�insbesondere�die�Arbeit�an�Rhythmus�mit�einer�Verbesserung�von�Denk-�und�Sprachstörungen�einhergeht.�Ob�auch�die�Behandlung�in�Gruppen�bei�dieser�schwer�kranken�Klientel�effektiv�ist,�wäre�ein�weiterer�interessanter�Forschungsansatz.

Literatur1.��Maratos�A�et�al.�Cochrane�Database�of�Systematic�Reviews�

2008;�Issue�1.�Art.�No.:�CD004517.�DOI:�10.1002/14651858.CD004517.pub2

2.�Talwar�N�et�al.�Br�J�Psychiatry�2006;�189:�405–9

Katharina Schmidt, Mainz

Comi�G,�De�Stefano�N,�Freedman�MS�et�

al.�Comparison�of�two�dosing�frequen-

cies�of�subcutane-ous�interferon�beta-1a�in�patients�with�a�first�clinical�demye-linating�event�sug-gestive�of�multiple�

sclerosis�(REFLEX):�a�phase�3�rando�mised�

controlled�trial.��Lancet�Neurol�2012;�

11:�33–41