Muss sich das Wirtschaftsinformatik-Curriculum unter dem Gesichtspunkt „Lebenslanges Lernen“...
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WI – MEINUNG/DIALOG
WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2008 147
WI – Meinung/Dialog
Muss sich das Wirtschaftsin-formatik-Curriculum unter dem Gesichtspunkt „Lebens-langes Lernen“ weiterentwi-ckeln?
DOI 10.1365/s11576-008-0027-z
Als Fachgebiet „zwischen“ Betriebswirtschaftlehre und Informatik sind für die Wirtschaftsinformatik verschiedene Positionierungen in der HochschulFächerlandschaft denkbar – nicht nur hinsichtlich der Entscheidung für die eingliederungsbestimmende Referenzdisziplin, sondern auch hinsichtlich des Grades der Unabhängigkeit von Referenzdisziplinen, der Anwendungsnähe oder des dominanten Erkenntnisparadigmas. Es hat deshalb einige Zeit gedauert, bis allgemein akzeptierte Empfehlungen für Lernziele und Methoden der WirtschaftsinformatikAusbildung an Universitäten und Fachhochschulen vorlagen. Diese Empfehlungen werden jedoch nicht durch die ständige Weiterentwicklung der Informationsverarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung herausgefordert, sondern auch durch die Entwicklung hin zu lebenslangem Lernen. Es ist naheliegend, in der Ausbildung von Berufseinsteigern auf andere Lernziele und andere Vermittlungsformen zu fokussieren als in der Weiterbildung von FührungskräfteNachwuchs. Während die Erstausbildung üblicherweise zur Schaffung eines (eher disziplinären) Fundaments dient, baut die Weiterbildung dieses Fundament in Form von Vertiefung/Spezialisierung oder – noch häufiger – durch Vernetzung mit anderen Disziplinen aus. Während für Berufsanfänger die Konstruktion bedarfsgerechter InformationssystemLösungen das wichtigste Ausbildungsziel darstellen kann, treten für Professionals häufig Fertigkeiten im Veränderungsmanagement, für die Kommunikation komplexer Lösungen und/oder für den „Brückenbau“ zwischen Funktions und Kompetenzsilos in den Vordergrund.
Diese Diskussionsrunde beschäftigt sich mit den Herausforderungen des lebenslangen Lernens an das WirtschaftsinformatikCurriculum. Diskussionsbeiträge aus Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen sowie aus der Praxis adressieren die folgenden Fragen:j�Wie muss sich das Wirtschaftsinformatik
Curriculum unter dem Gesichtspunkt
„Lebenslanges Lernen“ weiterentwickeln?j�Welche Unterschiede sollte es in den
Studiengängen bzw. Ausbildungsformaten im Erststudium und in der Weiterbildung geben?
j�Welche unterschiedlichen didaktischen Möglichkeiten bestehen im Erststudium und in der Weiterbildung? Welche Rolle spielen hier Praxiserfahrung, unterschiedliche inhaltliche Breite und Tiefe, moderne Technologien und unterschiedliche Qualifikationsprofile?
j�Meine Einladung zu dieser Diskussionsrunde haben die folgenden Damen und Herren angenommen (in alphabetischer Reihenfolge):
j�Prof. Dr. Jörg Becker, Geschäftsführender Direktor, European Research Center for Information Systems (ERCIS), Universität Münster
j�Andreas Dietrich, CIO, Schweizerische Bundesbahnen SBB
j�Prof. Dr. Dieter Euler, Direktor, Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen und Swiss Centre for Innovations in Learning (SCIL)
j�Sandra Harbert, Expert / Mindsets & Capabilities Practice, McKinsey & Company Inc.
j�Oliver Triebel, Head of Organizational Learning, McKinsey & Company, Inc.
j�Dr. Jochen Müller, Studienleiter, Executive Master of Business Engineering, Universität St. Gallen
Kollege Becker stellt die Herausforderungen aus Sicht der Universitäten in den Vordergrund und identifiziert Weiterbildung als eine Gelegenheit zur inhaltlichen Vertiefung sowie zur Schärfung des Integrationscharakters der Wirtschaftsinformatik. Andreas Dietrich formuliert aus Kundensicht acht konkrete Wünsche an die Aus und Weiterbildung in Wirtschaftsinformatik. Kollege Euler geht insbesondere auf die veränderten Adressaten, Kompetenzen und Methoden des Lernens ein. Sandra Harbert und Oliver Triebel betonen die Wichtigkeit von Praxisnähe und betriebswirtschaftlichfachlichen Kompetenzen in einem modularen, innerbetrieblichen Weiterbildungskonzept. Dr. Jochen Müller reflektiert die durch WirtschaftsinformatikWeiterbildung zu schaffenden Qualifikationen, mögliche Adressatengruppen und entsprechende Inhalte.
Aus den Beiträgen wird ersichtlich, dass die Erstausbildung vor allem ein Mittel sein sollte, um Berufsanfänger/innen auf lebensbegleitendes Lernen vorzubereiten. Die kontinuierliche, institutionalisierte Weiterbildung zur Aktualisierung und Verbreiterung
der Qualifikationen wird der Regelfall – sei es in Weiterbildungsprogrammen der Unternehmen oder in der HochschulWeiterbildung. Die Wirtschaftsinformatik übernimmt hier in ihrer Funktion als Mittler zwischen wirtschaftlichfachlichen und technischingenieurwissenschaftlichen Denkwelten eine besondere Herausforderung. Ihre Aufgabe ist es, insbesondere in der Weiterbildung das breite Verständnis für beide Denkwelten zu vermitteln bzw. zu vertiefen.
Wenn auch Sie zu diesem Thema oder einem Artikel der Zeitschrift Wirtschaftsinformatik Stellung nehmen möchten, dann senden Sie Ihre Stellungnahme (max. 2 DIN A4 Seiten, gerne auch als EMail) bitte an den Hauptherausgeber der WIRTSCHAFTSINFORMATIK, Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl, Universität Augsburg, Hans[email protected]augsburg.de.
Prof. Dr. Robert Winter
Muss sich das Wirtschaftsin-formatik-Curriculum unter dem Gesichtspunkt „Lebens-langes Lernen“ weiterentwi-ckeln? – und wenn ja, wie?von Prof. Dr. Jörg Becker
Es heißt, nichts sei so beständig wie der Wandel. Gerade die Wirtschaftsinformatik lebt als junge und dynamische Forschungsdisziplin von ihrer Innovationskraft. Unternehmen sehen sich mit einer schnellen Erosion erfolgskritischer Ressourcen konfrontiert. Gefordert ist hier die Wahrung alter Stärken, aber vor allem auch die Befähigung zur stetigen Weiterentwicklung. Auf der Ebene des Individuums schlägt sich die Erosion von Ressourcen in einer zunehmend schnelleren Veraltung aktuellen Fachwissens nieder; hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer ständigen Erneuerung des Wissens vor dem Hintergrund eines lebenslangen Lernens. Akademische Bildungseinrichtungen sind dazu aufgerufen, diese Lernprozesse durch die Bereitstellung geeigneter (Weiter) Bildungsangebote zu unterstützen. Gleichzeitig erschafft und fördert eine unbedachte und vorschnelle Anpassung von Lehrinhalten die Bildung später nicht aufrechtzuerhaltender Hypes. Was vielfach als Revolution angekündigt wird, kann sich später leicht als zeitlich befristete Mode herausstellen. Beispiele hierfür gibt es genug. Für ein durchdachtes Design des universitären Curriculums hat dieser Widerspruch beachtliche Konsequenzen. Dies lässt sich auch und vor allem anhand der
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Zielgruppen verdeutlichen, die als „Kunden“ des WirtschaftsinformatikCurriculums auftreten.
Zunächst kommt der Hochschule im Rahmen der universitären Erstausbildung insbesondere die Aufgabe zu, Studierenden neben der Vermittlung notwendigen aktuellen Fachwissens eine Methodenkompetenz im Sinne eines „Lernen zu lernen“ zu vermitteln. Es geht hier um die Befähigung zur selbstständigen und sicheren Auseinandersetzung mit stets neuen (oder häufig auch altbewährten und lediglich neu verpackten) Konzepten und Technologien. Dabei sollte die Universität ihren Forschungsschwerpunkten und bewährten Konzepten treu bleiben und diese weiter ausbauen. Beispielsweise konnte sich Münster vor allem im Bereich der Informationsmodellierung etablieren. Die Schärfung des eigenen universitären Profils ist nicht zuletzt durch die zunehmende Entlassung der Hochschulen in die Selbstverwaltung – auch jenseits der vieldiskutierten Exzellenzinitiative – entscheidend für die Außenwahrnehmung der Hochschule. Die Konzentration auf eigene Forschungs und Lehrschwerpunkte bedeutet dabei keinesfalls einen Widerstand gegen neuartige Konzepte und Sichtweisen, sondern vielmehr die Herausbildung international konkurrenzfähiger Kompetenz.
In fortgeschrittenen Phasen des Lernens kann die Universität von der anfänglichen Konzentration auf die Methodenkompetenz etwas Abstand nehmen und in zunehmendem Maße ihrer Rolle als Ausbilder von Fachpersonal für die Wirtschaft nachkommen. Gefragt sind hier im Gegensatz zu den ersten Semestern weniger die zeitlosen Inhalte als vielmehr die Vermittlung hochaktueller Fragestellungen, Technologien und Methoden. Vor dem Hintergrund eines notwendigen lebenslangen Lernens müssen sich die akademischen Bildungseinrichtungen zunehmend öffnen und zusätzlich berufsbegleitende Bildungsangebote für „Praktiker“ anbieten. Seit 2002 sammeln wir in Münster neben anderen Weiterbildungsangeboten mit dem WIExecutiveMBAProgramm Information Management Erfahrungen in der berufsbegleitenden Weiterbildung von (Nachwuchs) Führungskräften.
Der Umgang mit Praktikern bringt andere Ansprüche an Themenauswahl und die Art der Wissensvermittlung mit sich, als dies bei der universitären Erstausbildung der Fall ist. Da die Teilnehmer die erforderliche Methodenkompetenz häufig bereits
im Erststudium verwandter Themengebiete erworben haben, stehen hier im Sinne einer punktuellen Weiterbildung stark fokussierte Inhalte im Vordergrund. Die Wissensvermittlung muss sich daher viel stärker am Einbezug praktischer Erfahrungen und realer Projekte in Unternehmen orientieren. Gleichzeitig werden Inhalte vor diesem Hintergrund kritischer hinterfragt und stark auf ihren praktischen Nutzwert geprüft. Hier kommt dem Hochschullehrer somit eher die Rolle zu, den Wissens und Erfahrungsaustausch unter den Studierenden zu moderieren, gezielt mit fokussierten Inhalten anzureichern und gemeinsam weiterzuentwickeln. Auch muss die Vermittlung der Inhalte angesichts kleiner Lerngruppen individueller verfolgt werden.
Ob Erstausbildung oder Weiterbildung: Beiden Bereichen liegt das Selbstverständnis der Wirtschaftsinformatik als Brückenschlag zwischen den verschiedenen Aufgaben und den Sichtweisen betriebswirtschaftlichfachlicher und technischingenieurwissenschaftlicher Berufsfelder zugrunde. Hier gilt es, die Studierenden auf ihre spätere Rolle als Vermittler zwischen sich teilweise widersprechenden Problemwahrnehmungen und lösungen vorzubereiten. In diesem Sinne ist der Wirtschaftsinformatiker ein Wegbereiter für innerbetriebliche Lernprozesse, die in der Zusammenarbeit und dem gegenseitigen Austausch der verschiedenen Problemwahrnehmungen und Lösungsansätze wirken. Dies ist eine stets wiederkehrende Anforderung, die insbesondere aus der Praxis an uns herangetragen wird. Gerade in der Weiterbildung obliegt es somit jedem Einzelnen, auch fachfremde Lerninhalte aus verwandten Disziplinen zu verinnerlichen, um neues Wissen aufzubauen. Die Herkunft der ExecutiveStudierenden aus einer Vielzahl an Fachdisziplinen bestärkt uns in dieser Auffassung.
Profitieren können wir in Münster nicht zuletzt von interdisziplinär zusammengesetzten Teams aus Hochschullehrern verwandter Fachgebiete, die ein lösungsorientiertes Zusammenzuarbeiten ermöglicht, nicht nur in der Forschung, sondern eben auch in der Lehre. In Münster haben wir mit der Etablierung des European Research Center for Information Systems (ERCIS) diesem Gedanken Rechnung getragen. Hier verknüpfen wir Kernkompetenzen der Wirtschaftsinformatik mit Fragestellungen der Informatik, der Betriebswirtschaft und mit Spezialaspekten des Rechts in einem gemeinsam abgestimmten Lehrangebot.
Schließlich ist die Segmentierung in klar definierte Fachgebiete eine universitäre Schöpfung, während Probleme der realen Welt sich nicht in derartige Vorgaben pressen lassen, sondern häufig einen fachübergreifenden Charakter haben. Entsprechend muss auch ein Lösungsprozess verschiedenen Perspektiven Rechnung tragen.
Die Forderung nach einem „lebenslangem Lernen“ gilt in gleichem Maße für die Universität als Institution in der Form organisationalen Lernens. Auch hier lässt sich differenzieren: Aus der zunehmenden Kundenorientierung resultiert die Erfordernis, die Bedürfnisse und Ansprüche unserer Studierenden nach einer aktuellen und am Arbeitsmarkt verwertbaren Ausbildung ernst zu nehmen und unser Lehrangebot sinnvoll zu erweitern. Aus einer angebotsorientierten Perspektive erwächst erneut die Forderung zur Fokussierung und Profilschärfung der Institutionen, die in eine fortwährende Evaluierung und Weiterentwicklung unseres Curriculums münden soll und wird.
Prof. Dr. Jörg BeckerUniversität Münster
ERCIS – European Research Center for Information Systems
„Lebenslanges Lernen“ – was sich CIOs von Lehrinstitutio-nen wünschen
von Andreas Dietrich
Trotz oder gerade wegen ihrer langen Tradition ist die Bahn heute einer der modernsten und leistungsfähigsten Verkehrsträger. Entsprechend anspruchsvoll sind die Informatiksysteme ausgelegt, um kontinuierlich steigende Transportleistungen an Personen und Gütern zu bewältigen. Entsprechend groß sind aber auch die Anforderungen an die Mitarbeitenden, die diese Systeme (weiter)entwickeln und betreiben.
Die Informatikerinnen und Informatiker der Schweizerischen Bundesbahnen SBB verantworten große und herausfordernde ITProjekte. So entwickelt die SBB Informatik etwa für das Railteam, die Allianz von Europas führenden Bahnbetreibern im Hochgeschwindigkeitsverkehr, das zentrale Buchungs und Reservierungssystem „RailteamBroker“. Unser Bedarf an qualifizierten ITFachkräften ist entsprechend groß doch leider nicht nur unserer.
Nach Jahren des Überangebots werden gut ausgebildete Spezialisten wieder heftig umworben. Doch ist dies längst nicht
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nur ein Kampf um Arbeitskräfte, sondern ein „War for Talent“ also um die besten ihres Faches. Um sich in dieser angespannten Situation zu behaupten, nutzen die Unternehmen alle Kanäle der Personalgewinnung. Doch genügen diese bei Weitem nicht, um den Bedarf zu decken. Stattdessen nimmt die Aus und Weiterbildung auf allen Alters und Erfahrungsstufen immer größeren Stellenwert ein. Damit steigen auch die Bedeutung unserer Weiterbildungsinstitutionen und deren Angebote in der Erst und Weiterbildung. Lebenslanges Lernen ist also nicht mehr nur ein gutgemeintes Ideal der Personalverantwortlichen, sondern – auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung – eine unbestrittene Notwendigkeit.
Damit die Mitarbeitenden der SBB Informatik ihre Arbeit professionell ausüben können, junge Leute ab der Erstausbildung den Berufseinstieg reibungslos bewältigen und auch Professionals aus anderen Funktionen der Umstieg in die Informatik erfolgreich gelingt, möchte ich deren (und damit auch meine) Bedürfnisse an die Aus und Weiterbildungsinstitutionen in acht Wünschen formulieren:
1. Gestaltet die Erstausbildung so breit gefächert wie möglich!Die Bandbreite benötigter Kompetenzen und Skills innerhalb der Wirtschaftsinformatik wird immer umfassender. Entsprechend groß ist die Versuchung, sich schon früh zu spezialisieren. Junge Informatikerinnen und Informatiker sollten jedoch nach der Erstausbildung möglichst flexibel eingesetzt werden können. Denn nur durch Umsehen und „Hineinschnuppern“ in verschiedene Funktionen und Bereiche werden sie ihre Berufung und ihre wahren Stärken finden und entwickeln können zu ihrer Zufriedenheit und damit zum Erfolg des Unternehmens.
2. Sprecht eine einheitliche Sprache!Unsere Mitarbeitenden wollen sich weiterentwickeln und Karriere machen. Gezielte Weiterbildung ist dabei unverzichtbar. Nur: Welcher Ausbildungspfad ist der richtige? Welche Institution ist dafür geeignet? Doch oftmals lässt der Blick in die Weiterbildungskataloge von Hochschulen und Privatanbietern bei den Lernwilligen in erster Linie Ratlosigkeit zurück. Zu unvergleichbar sind die Angebote, zu wenig werden konkrete Berufsziele – zum Beispiel von ITArchitekten – in genauso konkrete Weiterbildungsprogramme übersetzt.
3. Richtet euer Angebot an realen Beruf-sanforderungen und Berufsbildern aus!Die SBB Informatik investiert derzeit viel Energie in die Definition von realen und zukunftsfähigen ITBerufsbildern. Auch das Standardwerk „Berufe der ICH“ wird überarbeitet. Wozu dieser Aufwand? Eine eindeutige Beschreibung der jeweiligen Tätigkeitsfelder gibt den Mitarbeitenden Halt und Ziel bei der Arbeit, macht Leistung beurteilbar und zeigt gegebenenfalls Lücken auf. Entscheidend ist nun, von diesen definierten Berufsbildern praxistaugliche Weiterbildungsmodule abzuleiten. Dazu muss aber auch der Austausch zwischen Arbeitgebern und Weiterbildungsinstitutionen intensiviert werden.
4. Setzt die Idee der Bologna-Reform kon-sequent um!Aus Sicht des Kunden, also der Studierenden und ITProfessionals, die sich weiterbilden möchten, hat die BolognaReform etwas sehr Positives gebracht: Man kann an einer Universität oder Fachhochschule mit dem Studium beginnen, dieses an einem anderen Ort fortsetzen und so das Studium bzw. die Weiterbildung nach den spezifischen Interessen und Neigungen zusammenstellen. So zumindest die Theorie. In der Realität fehlt bei den ECTSPunkten jedoch die Umsetzung des Punktes „T“, also des Transfers. Die Punkte sind nur Ausdruck der geleisteten Arbeit, haben aber daneben keine weitere Bedeutung und können – salopp gesagt – nach dem Studium getrost in den Papierkorb geworfen werden.
5. Baut im deutschsprachigen Raum eine Top-Hochschule für Informatik auf!Die Klagen über zu wenige Studienbeginner in der IT reißen nicht ab. Doch die wenigsten Ausbildungsinstitutionen und ITFirmen unternehmen etwas dagegen. Abhilfe könnte eine TopAdresse schaffen, an der jeder ITStudierende gerne studieren würde, aber wegen hoher Qualifikationshürden nur die Besten dürfen.
6. Modularisiert das Weiterbildungs-angebot!Jede ambitionierte ITFachkraft möchte sich weiterentwickeln. Da die Informatik aber nicht mehr nur für Entwickler und Projektleiter etwas zu bieten hat, sondern auch für Service Manager, Architekten, Application Manager, ist die Nachfrage nach grundlegenden Weiterbildungsmöglichkeiten für einen erfolgreichen Wechsel zwischen den Berufsbildern groß. Doch kann man
dafür nicht immer ein vollständiges Studium absolvieren. Berufsbildspezifische Module sind die Lösung.
7. Vergesst die Sozialkompetenzen nicht!Kein Zweifel: Technische Kompetenz ist in der heutigen Informatik unverzichtbar. Doch erfolgreiche ITSpezialisten sind auch gute Kommunikatoren, Moderatoren, Streitschlichter, Zuhörer und anderes mehr. Auch diese Kompetenzen müssen schon in der Erstausbildung Platz finden. Aber Achtung: Ein Präsentationskurs genügt bei Weitem nicht!
8. Arbeitet enger mit der Wirtschaft zusammen!Da staunen selbst die erfahrensten RecruitingFachleute: An Absolventenkongressen wird immer wieder offensichtlich, wie praxisfern die Vorstellungen der Studierenden sind. Kaum einer weiß, wie angewandte Informatik funktioniert, welchen Stellenwert diese für den Unternehmenserfolg hat, welche Laufbahnen möglich sind und welche Kompetenzen für diese benötigt werden. Meine letzte, aber auch eindringlichste Bitte an die Weiterbildungsinstitutionen lautet deshalb: Sucht und fördert einen intensiven Austausch mit den Unternehmen. Sowohl Hersteller als auch Anwender moderner ITLösungen können Einblicke gewähren, um neue Strömungen schnell in Lehrpläne zu integrieren.
Andreas DietrichCIO, Schweizerische Bundesbahnen SBB
Muss sich das Wirtschaftsin-formatik-Curriculum weiter-entwickeln?
von Prof. Dr. Dieter Euler
Es gibt Veränderungen, die für eine so innovationsrasante Disziplin wie die Wirtschaftsinformatik konstitutiv sind. Eine Disziplin, die sich mit einem fluiden Gegenstand wie der Einbettung von (neuen) Technologien in soziale und arbeitsorganisatorische Prozesse beschäftigt, neigt schnell dazu, die Lerninhalte als so etwas wie ein Dauerprovisorium zu behandeln. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Wort von den neuen Technologien: Diesen wird im allgemeinen Sprachgebrauch schon traditionell und seit langer Zeit (!) bescheinigt, dass sie „neu“ sind.
Damit scheint die Ausgangsfrage eindeutig beantwortet aber eine solche Ant
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wort wäre zumindest nicht überzeugend begründet. Denn selbst wenn sich die Technologien ändern, so begründet sich die Wirtschaftsinformatik nicht über ein kurzlebiges Produktwissen, sondern sie beschäftigt sich mit Problemen, deren Lösungsstrukturen genereller und tiefgründiger ansetzen. Unabhängig davon sind aus didaktischer Sicht drei miteinander verzahnte Faktoren von Interesse für die Diskussion der Fragestellung:1. Neue Lernende: Im Zeitalter der ‚Net
Generation‘ kommen Studierende heute mit anderen Voraussetzungen und Erwartungen in die Bildungsinstitutionen.
2. Anspruchsvollere Ziele: Die Bedingungen der Arbeitswelt verändern die Ziele des Lernens; auch wenn fachliche Kompetenzen weiterhin bedeutsam sind, so gewinnen überfachliche Kompetenzen wie insbesondere Sozial und Selbstlernkompetenzen an Gewicht.
3. Neue Methoden: Schließlich bieten nicht zuletzt die neuen Technologien neue Optionen für die Gestaltung des Lernens.
1. „Net Generation“ (Oblinger und Oblinger 2005) kann als Stichwort für die Frage verstanden werden, wie künftige Generationen lernen (werden), die in einer digitalen Welt mit Computern, Internet, Mobiltelefonen u. a. groß geworden sind. Als „digital natives“ (Prensky 2001) erschließen sie Wissen und Information nicht sequentiell über klassische Lehrformen, sondern sie zeichnen sich durch gänzlich andere Lerngewohnheiten aus: Lernen ist eingebettet in parallel verlaufende, schnell wechselnde Aktivitäten (Multitasking); Informationen werden mittels Hyperlinking anstelle von „linear thinking“ aufgenommen und verarbeitet; Visuelle, interaktive, in Spiel und Phantasiewelten eingebettete Lernformen werden den klassischen Lernmethoden vorgezogen; Induktives Entdecken im Rahmen einer „justdoit“Haltung steuert den Lernprozess. Auch wenn die Forschungen zu diesem Thema noch nicht ausgereift sind, so erscheint die These nicht allzu gewagt, dass diese im Gegensatz zu den verbreiteten Praktiken in unseren Bildungsinstitutionen stehenden Lernhaltungen eine zunehmende Bedeutung erfahren.
2. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Faktor, den veränderten Zielen des Lernens. Ist die (alleinige) Ausrichtung des Lernens auf fachliche Inhalte noch zeit
gemäß, wenn es sich darauf konzentriert, ein Vorratswissen in Form von Lernkonserven aufzubauen? Ist es nicht wahrscheinlich, dass viele dieser Lernkonserven insbesondere in aktualisierungsintensiven Disziplinen wie der Wirtschaftsinformatik ihr Verfallsdatum erreichen, bevor sie nach einem Studium in der Praxis geöffnet werden? Ein gewisser Konsens besteht sicherlich darin, dass Lernen in einer Wissensgesellschaft als ein lebenslanges – oder wem die begriffliche Nähe zu Verurteilung und Gefängnis nicht behagt: als ein lebensbegleitendes – Lernen zu verstehen ist. Und auf der allgemeinen Ebene der Lippenbekenntnisse und unverbindlichen Postulate besteht weitgehende Einigkeit darin, dass die Wissensgesellschaft andere Kompetenzprofile von den Menschen fordert als die Industriegesellschaft: Während in einer hierarchisch organisierten industriellen Arbeitswelt das disziplinierte Funktionieren und die fehlerlose Erfüllung von Arbeitsroutinen im Vordergrund standen, stützt sich die Wissensgesellschaft auf Prinzipien wie Selbstorganisation, Dialog, eigenverantwortliches Lernen und Verständigung. Mitarbeiter hängen in dieser Betrachtung nicht mehr an den Marionettenfäden ihrer Vorgesetzten, sondern erkennen und lösen selbstständig die Probleme. Vor diesem Hintergrund gilt auch für die Wirtschaftsinformatik: Wer nur etwas von Wirtschaftsinformatik versteht, der versteht auch nichts von Wirtschaftsinformatik! Wissen bedarf der ständigen Aktualisierung und der situativen Einbettung in soziale und ökonomische Kontexte.
3. Dies führt zu dem dritten Faktor, den neuen Lernmethoden. Dabei ist zunächst vor falschen Erwartungen zu warnen. Eine fatale Antwort auf die neuen Herausforderungen erscheint mir der verbreitete Glaube an das, was ich eine „Mikrowellenpädagogik“ nenne: Dabei wird nicht nur die Arbeit, sondern auch das Lernen einem Beschleunigungsdenken unterworfen. Der Hochgeschwindigkeitsmensch ist ständig auf der Überholspur, er erwirbt sein Wissen im Rahmen einer „justintimeQualifizierung“ dann, wenn er es braucht. Hinter diesem Verständnis steht die unzulässige Gleichsetzung von Lernen und Information: Während ein Anlageberater die aktuellen Börsenkurse oder Kon
ditionen nachschlagen kann, hier geht es um den Abruf aktueller Informationen, muss er für die kompetente Gestaltung einer Kundenberatung Fähigkeiten besitzen, die nicht im Schnelldurchgang erworben werden können. Wenn von neuen Methoden des Lernens die Rede ist, dann geraten insbesondere solche in das Blickfeld, die das selbstgesteuerte und eigenverantwortliche Lernen unterstützen. Dazu zählen u. a. Formen des technologieunterstützten Lernens, die eine Wissenserarbeitung ermöglichen oder den Austausch zwischen Lernenden und Lehrenden organisieren. Neben klassischen Instruktionsmedien sind dies heute die Optionen einer Social Software oder auch Varianten der synchronen oder asynchronen Netzkommunikation.
Diese und weitere Entwicklungen begründen das Postulat, Lernen und Bildungsgänge so anzulegen, dass nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern zugleich Sozial und Selbstlernkompetenzen gefördert werden. In der Aus und Weiterbildung sollte verstärkt selbst gesteuert an komplexen, möglichst unstrukturierten Problemstellungen das Wissen erarbeitet und nicht in erster Linie dozierend vermittelt werden. Lernen sollte mit Fragen und bedeutsamen Problemstellungen beginnen, nicht mit Antworten. In ein Bild gekleidet: Die Lernenden sitzen nicht mehr in erster Linie auf dem Beifahrer oder gar dem Rücksitz und werden von einem erfahrenen Dozenten durch die Gegend kutschiert, sondern sie sitzen am Lenkrad, gelegentlich in Begleitung eines Lehrenden oder anderer Lernender. Wenn Kompetenzen auf diese Weise entwickelt und kultiviert werden, dann entsteht kein Wissen, das sich bei einer neuen Erkenntnis oder einem neuen Konzept als ‚Wegwerfqualifikation‘ erweist. Vielmehr entwickelt sich die Grundlage für ein flexibles und eigenständiges Handeln in einer anspruchsvollen Praxis.Auch in der Wirtschaftsinformatik gilt daher das Credo, dass sich alles ändern muss, damit alles so bleiben kann, wie es ist.
Prof. Dr. Dieter EulerUniversität St. Gallen
Institut für WirtschaftspädagogikSwiss Centre for Innovations in Learning
(SCIL)
LiteraturOblinger, Diana G.; Oblinger, James L. (2005):
Is It Age or IT: First Steps Toward Understanding 1.
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the Net Generation. In: Oblinger, Diana G.; Oblin-ger, James L. (Hrsg.): Educating the Net Generati-on. Educause e-book, http://www.educause.edu/educatingthenetgen, S. 2.1–2.19.
Prensky, M. (2001): Digital Natives, Digital Im-migrants. In: On the Horizon 9 (5).
Brückenbauer zwischen den Welten: Anforderungen an die Weiterbildung für Wirtschafts-informatiker
von Sandra Harbert und Oliver Triebel
Als Dietmar Hopp kürzlich zu Besuch in Berlin weilte, widerfuhr ihm Seltsames. Wie er in vertrautem Kreis erzählte, wollte er sich eine Fahrkarte an einem Automaten lösen. Der Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP brauchte dazu fast eine Viertelstunde, um am Ende doch zu scheitern.
Die Anekdote wirft ein Schlaglicht auf ein vielerorts ungelöstes Problem. Die Informationstechnologie ist ursprünglich angetreten, Prozesse zu erleichtern. Doch viele ITProjekte halten nicht, was sie versprechen. Der Hauptgrund: In der Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Anwendern aus den Fachbereichen prallen ganz gegensätzliche Welten aufeinander. Woran es vor allem mangelt, ist gegenseitiges Verständnis: Was will der Praktiker, was kann der ITSpezialist leisten. Die Kluft bei Denken und Sprache führt dazu, dass der Abstimmungsbedarf immens ansteigt, ohne dass nachfolgende Missverständnisse gänzlich ausgeschlossen sind.
Wirtschaftsinformatiker als LösungIn Zeiten, in denen die Anforderungen komplexer werden und zudem unter hohem Zeitdruck gehandelt werden muss, sind Reibungsverluste in der Zusammenarbeit zwischen ITSpezialisten und Anwendern umso problematischer. Die Lösung sollen Wirtschaftsinformatiker bringen. Durch ihre interdisziplinäre Ausbildung sollen sie Brücken zwischen den Welten bauen. Im Erststudium befassen sich Wirtschaftsinformatiker deshalb nicht nur mit ITThemen. Sie lernen auch betriebswirtschaftliches Grundwissen, erwerben ein Grundverständnis für strategisch unternehmerisches Handeln ebenso wie Fähigkeiten zur Organisationsentwicklung.
Vier Kernfähigkeiten durch Weiterbil-dung ausbauenDie wachsende Zahl von Wirtschaftsinformatikern hat bislang aller Erwartung zum Trotz noch nicht zu einer Auflösung der misslichen Situation geführt. Hierfür gibt es
2.
aus unserer Sicht zwei Gründe: Erstens ist in vielen Unternehmen das Rollenverständnis für Wirtschaftsinformatiker nicht klar. Häufig werden sie statt an den Brennpunkten zwischen IT und Business an anderen Stellen eingesetzt. Zweitens vermittelt die universitäre Ausbildung nur Grundlagen. Für die Praxis reicht das oft nicht aus. Immer mehr Unternehmen haben dies erkannt und reagieren mit Weiterbildungsprogrammen auf den Notstand. In diesen werden Wissen und Fähigkeiten in den vier Kernkompetenzen Projektmanagement, Kommunikation, Change Management und Führung vermittelt.
Weiterbildung für IT-Spezialisten bei McKinseyMcKinsey hat mit dem Business Technology Office (BTO) eine weltweit tätige Beratungseinheit, die Klienten genau an der Schnittstelle zwischen IT und Business bei Strategiefragen unterstützt.
Um diesen besonderen Anforderungen gerecht zu werden, achtet McKinsey bei der Auswahl der Berater für das BTO darauf, dass die Kandidaten neben technischem Verständnis und Interesse vor allem auch sehr gute analytische und kommunikative Fähigkeiten mitbringen. Auf diesem Ausgangslevel setzt ein umfangreiches Trainingsprogramm auf. So durchlaufen Berater ohne betriebswirtschaftlichen Hintergrund in ihrem ersten Vierteljahr bei McKinsey einen dreiwöchigen MiniMBA, der ihnen umfangreiches Wissen zu wichtigen Unternehmensfunktionen vermittelt. Diese Grundausbildung wird später Schritt für Schritt durch Trainings ergänzt, die in spezifischen Modulen zum einen Fähigkeiten im Projektmanagement und in der Kommunikation, zum anderen technisches Knowhow aufbauen. In einem fortgeschrittenen Stadium der Beraterlaufbahn rücken dann mehr und mehr Trainings für den Ausbau von Führungsfähigkeiten und Kompetenzen in der Organisationsentwicklung in den Mittelpunkt. Diese planmäßige Weiterbildung der Berater wird ergänzt durch OnlineLernmodule sowie das McKinsey Coaching und Mentorenkonzept. In diesem unterstützen erfahrene Berater „on und off the job“ ihre jungen Kollegen mit Rat und Tat.
Zahlreiche Unternehmen haben in Zusammenarbeit mit McKinsey eigene Weiterbildungsprogramme für ihre zentralen ITBereiche aufgesetzt, um die Kluft zwischen IT und BusinessThemen zu überbrücken. Solche beispielhaften Trai
ningsprogramme umfassen in den ersten Berufsjahren der Mitarbeiter sowohl Module für Projektmanagement im ITKontext einschließlich Projektkommunikation als auch Trainingseinheiten zu Fachthemen wie ITInfrastruktur und Architektur sowie Entwicklung von Applikationen. Für Mitarbeiter, die Führungsfunktionen übernehmen oder bereits innehaben, werden als Vorbereitung bzw. Begleitung spezielle Module angeboten, in denen sie Führungstechniken wie emotionale Intelligenz oder den Umgang mit Persönlichkeitspräferenzen ebenso wie Methoden und Instrumente für Coaching und Organisationsentwicklung erlernen.
Wirtschaftsinformatiker sind kein Allheilmittel. Aber sie sind unverzichtbare Lotsen, um IT und Business in eine gemeinsame Spur zu lenken. Für diese Aufgabe bringen sie aus ihrem Erststudium wichtige Voraussetzungen mit. Wirklich effektiv werden sie aber erst, wenn sie in zielgerichteten Weiterbildungen ihre Fähigkeiten ausbauen. Erst die Kombination aus Erststudium und einer integrierten und praxisnahen Weiterbildung sorgt dafür, dass Wirtschaftsinformatiker ihr volles Potenzial erschließen und ihren Unternehmen entscheidend helfen können, die Erfolgsquote von ITProjekten oder von Projekten, in denen IT ein wichtiger Faktor ist, deutlich zu heben.
Sandra Harbert,Expert / Mindsets & Capabilities Practice,
und Oliver Triebel,Head of Organizational Learning,
McKinsey & Company, Inc.
„Lebenslanges Lernen“ – der nächste Entwicklungsschritt im WI-Curriculum?
von Dr. Jochen Müller
Lebenslanges Lernen – warum?„Lebenslanges Lernen“ wurde schon in den 1960er Jahren als Begriff geprägt und erfährt seit einiger Zeit eine Renaissance. Besonders in der Bildungspolitik ist das Thema aktuell – supranationale Organisationen wie die UNESCO, die EU und die OECD nehmen sich des Themas genauso an wie nationale Politik. Lebenslanges Lernen soll die klassischen Bildungsstrukturen mit ihrer Einteilung in mehr oder weniger strikt aufeinander folgende Abschnitte eines Bildungsweges aufweichen, der mit dem Berufsausbildungs oder dem Hochschulabschluss beendet ist. Ausdruck lebenslangen Lernens ist damit auf der einen Seite
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die Fort und Weiterbildung zum Erwerb von Qualifikationen, die der Anpassung an neue Erfordernisse wie z. B. veränderten Arbeitsfeldern, technischem Fortschritt oder schlicht auch der Lage auf dem Arbeitsmarkt dienen. Gleichzeitig fordert die Politik aber auch, mit dem Instrument des lebenslangen Lernens Durchlässigkeit im Bildungssystem zu schaffen und die Bildungsbereiche aus dem „Schubladendenken“ der verschiedenen Bildungsgefäße heraus zu einem integrierten Gesamtsystem zu führen.
Träger des lebenslangen Lernens – Die Rolle der UniversitätenDie Diskussion der politischen Fragen mag man den entsprechenden Akteuren überlassen wollen. Unbestreitbar ist jedoch, dass sich die (Hochschul)Bildungslandschaft verändert: Das „klassische“, grundständige Studium an der Universität oder auch an der Fachhochschule hat vielfältige Konkurrenz durch neue Bildungsinstitutionen in privater oder öffentlicher Trägerschaft erhalten. Neue Organisationsformen in der Aus und Weiterbildung wie berufsbegleitende Studiengänge, Fernstudien und Weiterbildungsprogramme unterschiedlicher Art und Positionierung werden entwickelt und am Markt angeboten. Die Fülle an Werbeanzeigen in den einschlägigen Publikationen spricht eine deutliche Sprache.
Auch für die klassischen Hochschulen ist es attraktiv, sich diesem Markt zu widmen: Einerseits generieren Weiterbildungsangebote Einnahmen jenseits fixierter und – demographisch bedingt – tendenziell schrumpfender Budgets. Andererseits können Synergieeffekte mit Forschung und herkömmlicher Lehre genutzt werden, wenn anwendungsorientierte Forschungsergebnisse in hochkarätigen Weiterbildungsveranstaltungen mit einer idealerweise höchst qualifizierten Teilnehmerschaft diskutiert werden können. Die 11jährige Erfahrung mit dem Executive Master of Business Engineering in St. Gallen zeigt, dass sich darüber hinaus auch weitere Synergien für Forschungsinstitute ergeben. So sind unsere Lehrgänge, die in der Schweiz, in den USA und in China durchgeführt werden, attraktive Quellen für Fallstudien und Anwendungsbeispiele. Und nicht zuletzt scheint auch die Hochschulpolitik das Entstehen marktorientierter Bildungsangebote mit Wohlwollen zu betrachten und auch zu unterstützen. Dies liegt womöglich daran, dass damit die Öffnung der Hochschulen zu ins
gesamt mehr marktlichen Organisations und Koordinationsformen gefördert werden kann.
Lebenslanges Lernen zu WI-Themen?Themengebiete im Umfeld der Wirtschaftsinformatik bieten sich an unter dem Aspekt des „Lebenslangen Lernens“: Die Wirtschaftsinformatik besetzt attraktive und zukunftsträchtige Themen. Das erforderliche Wissen verändert sich schnell, sodass eine qualifizierte WirtschaftsinformatikGrundausbildung immer wieder ergänzt werden muss, um ihren Wert zu behalten. Berufsbilder und Arbeitsgebiete wandeln sich – eher technisch orientierte Informatiker sehen sich damit konfrontiert, dass das Management der Informatik und das Nutzen Ihrer Potenziale immer größeren Stellenwert im Job annehmen. Auf der anderen Seite spielen Themen aus der Wirtschaftsinformatik auch in den klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionen eine immer größere Rolle, sodass entsprechende Kompetenzen im Qualifikationsportfolio attraktiv und nützlich werden. Führungsaufgaben drehen sich immer weniger um das „Run the Business“ und immer mehr um das „Change the Business“, wobei Veränderungen, z. B. an Geschäftsmodellen oder Prozessen, durch (IT)Innovation nach wie vor eine bedeutende Rolle spielen.
Entsprechend bietet sich ein großes Potenzial, die Themen aus der Wirtschaftsinformatik in Weiterbildungsveranstaltungen auf Universitätsniveau zu positionieren. Die Universität bietet eher als andere Anbieter auf dem Weiterbildungsmarkt die Voraussetzungen, anspruchsvolle und disziplinenübergreifende Themen (wie sie der Wirtschaftsinformatik oft zueigen sind) in ausreichender wissenschaftlicher Tiefe und ohne zu starke Einschränkung auf bestimmte, unternehmensspezifische Aspekte zu vermitteln.
Das WI-CurriculumDie Rahmenempfehlungen für die Univer
sitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik beziehen sich klar auf das grundständige Studium und geben Orientierung über das relevante Themenportfolio in den unterschiedlichen Erscheinungsformen einer WirtschaftsinformatikAusbildung auf Universitätsniveau. Sie äußern sich nicht zu Themen oder Ausbildungsformen im Weiterbildungsumfeld. Wenn andererseits aber Weiterbildung auch für die universitäre Wirtschaftsinformatik immer mehr ein Betätigungsfeld wird, können als Ergänzung zum vorliegenden Empfehlungspapier zumin
dest Eckpunkte relevanter Themen, Zielgruppen und Lehrformen nützlich sein. Solche Eckpunkte erscheinen hilfreich, um Weiterbildungsbedarfe zu erkennen, die Gestaltung entsprechender Programme zu unterstützen und vielleicht durch eine vergleichbare Terminologie in den entstehenden Angeboten zu etwas mehr Markttransparenz beizutragen. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass Weiterbildung in einer großen Vielfalt unterschiedlicher Gefäße passiert – von TagesSeminaren zu Einzelthemen über mehrwöchige Programme, die mit einem Zertifikat abschließen, bis hin zu umfassenden berufsbegleitenden Studiengängen mit einen Master (of Advanced Studies) oder ExecutiveMBAAbschluss, wie wir sie in St. Gallen anbieten. Es erscheint unrealistisch, in dieser heterogenen Landschaft ähnlich klar strukturierte Rahmenempfehlungen auszusprechen, wie sie für das grundständige Studium vorliegen. Dies ist sicher auch nicht sinnvoll oder erstrebenswert, aber dennoch dürfte aus den geschilderten Überlegungen die Formulierung einiger Eckpunkte anzustreben sein. Neben der Skizzierung der Themen sollten auch methodische Überlegungen einfließen: Die lehrbuchorientierte Vermittlung von Theoriewissen (wie sie im grundständigen Studium mitunter adäquat ist) tritt bei uns zugunsten von Fallstudien, Erfahrungsaustausch und unmittelbarer Reflexion im Umfeld der Teilnehmer eher in den Hintergrund.
Als Ansatzpunkte einer Diskussion werden im Folgenden einige kurze Überlegungen zu Zielgruppen und daraus folgend möglichen Feldern „lebenslangen Lernens“ zu Themen aus der Wirtschaftsinformatik und angrenzenden Disziplinen (im Sinne von Weiterbildung auf Universitätsniveau) angestellt.
Wer will also zu Themen aus der Wirtschaftsinformatik „lebenslang lernen“? Einige Zielgruppen seien genannt:
Personen, die mit einem eher technischen Hintergrund im Informatikumfeld arbeiten und ihr Qualifikationsportfolio in Richtung „Management“ erweitern wollen. Diese Personen stellen fest, dass ihr angestammtes Arbeitsgebiet vielleicht nicht mehr die Potenziale bietet, die sie sich erhoffen, dass sie aber auf dem Weg zu einer Rolle näher am „Business“ an Grenzen stoßen. Themen wie BusinessITAlignment, Leadership, Change Management oder auch Prozessmanagement mögen Stichworte sein, mit denen ein solcher Personenkreis angesprochen werden kann.
Personen in kaufmännischen Funkti
WI – MEINUNG/DIALOG
WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2008 153
onen, deren Tätigkeitsgebiet nahe an Informatikthemen ist. Diese sind auf der Fachseite Kunden von (intern oder extern produzierten) Informatikdienstleistungen und wollen diese fachlich mitgestalten und deren Potenziale nutzen. Für diesen Personenkreis sind etwa Themen wie Business Intelligence, Architekturmanagement oder auch Modellierungs und Methodenthemen von Interesse.
Der Geschäftsleitung im Unternehmen kommt die Rolle zu, das Unternehmen strategisch zu positionieren und weiterzuentwickeln. Auch in diesem Umfeld kommt Informatikthemen eine gewisse Bedeutung zu, muss doch sowohl über Chancen und Risiken von ITInnovation für das eigene Geschäftsmodell befunden werden als auch die Ausrichtung der eigenen Informatikbereiche entschieden werden. In Inhalt und Format zielgruppengerechte Veranstaltungen für einen solchen Teilnehmerkreis sind sicher für die Nachfrager wie für die Anbieter sehr attraktiv.
Schließlich sind auch – analog zu den grundständigen wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen – in (Executive) MBACurricula Inhalte aus dem Themenportfolio der Wirtschaftsinformatik enthalten. Auch für diesen Personenkreis sollte – je nach Ausrichtung des Programms – in Form und Inhalt andere Lehre betrieben werden als in einem grundständigen Studium.
FazitLebenslanges Lernen ist gefragt. Für die Wirtschaftsinformatik mag es einerseits gesellschaftliche Verpflichtung sein, mit ihren Themen hier ein Beitrag zu leisten. Andererseits bietet sich aber auch die Chance, die Inhalte der Wirtschaftsinformatik und ihre Positionen an neue Zielgruppen zu vermitteln, in einer Weise, die für Anbieter wie Nachfrager vorteilhaft sein kann. Ein weiterentwickeltes WICurriculum, das Aspekte der Weiterbildung berücksichtigt, könnte Hilfestellung bei der Gestaltung entsprechender Angebote geben und zu etwas mehr Klarheit in einem sehr unübersichtlichen Markt sowie zur Profilbildung gerade der universitären Bildung beitragen. Damit würde es nicht nur den WirtschaftsinformatikInstitutionen an den Universitäten helfen, sich diesen Markt zu erschließen, es würde gleichzeitig Unternehmen bei der Definition entsprechender Programme und Anfragen helfen.
Dr. Jochen MüllerUniversität St. Gallen
Executive Master of Business Engineering