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4.4 Sehneneingriffe am Rückfuß 227 dabei um eine posteriore Arthrolyse des oberen Sprunggelenks und Sub- talargelenks und eine Verlängerung der Wadenmuskulatur (Fuhrmann u. Wagner 2009; De Marchi et al. 2000). Je nach Ergebnis der präoperativen Untersuchung (Silfverskjöld-Test) ist eine indirekte Verlängerung der Wa- denmuskulatur oder eine Achillessehnenverlängerung erforderlich. Indikation Zentrale oder schlaffe Lähmung der Fußheber. OP-Technik y Über eine kleine Hautinzision am Os naviculare wird die Tibialis-pos- terior-Sehne abgetrennt und mit einem Faden armiert (▶ Abb. 4-21a). y 3–4 Querfinger oberhalb des Sprunggelenks und lateral der Tibiakan- te wird eine weitere Hautinzision angelegt. y Die Membrana interossea kann unter Sicht eröffnet und vorsichtig aufgeweitet werden. y In gleicher Höhe am Unterschenkel erfolgt medial eine Stichinzision, durch die das freie Ende der TP-Sehne nach proximal herausgezogen wird. y Eine gebogene Klemme wird dann von der lateralen Inzision nach me- dial geführt, sodass die TP-Sehne von posterior durch die Membrana interossea nach anterior geführt werden kann (▶ Abb. 4-21b). y Evtl. ist es erforderlich, die distalen Muskelanteile von der Sehne abzupräparieren. y In Neutralstellung des Fußes wird der Insertionspunkt der TP-Sehne auf dem Mittelfuß (Os cuneiforme intermedium oder laterale) festgelegt. y Nach Anlegen einer weiteren kleinen Inzision am Fußrücken wird die TP-Sehne unter dem Retinaculum extensorum nach distal ausgeleitet und hier transossär refixiert (▶ Abb. 4.21c). Abb. 4-20 Transfer der Tibialis-anterior-Sehne zur Behandlung der Dysfunk- tion der Tibialis-posterior- Sehne. Rammelt: Fuß- und Sprunggelenkchirurgie. ISBN: 978-3-7945-2863-9. © Schattauer GmbH

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4.4 Sehneneingriffe am Rückfuß 227

dabei um eine posteriore Arthrolyse des oberen Sprunggelenks und Sub-talargelenks und eine Verlängerung der Wadenmuskulatur (Fuhrmann u. Wagner 2009; De Marchi et al. 2000). Je nach Ergebnis der präoperativen Untersuchung (Silfverskjöld-Test) ist eine indirekte Verlängerung der Wa-denmuskulatur oder eine Achillessehnenverlängerung erforderlich.

IndikationZentrale oder schlaffe Lähmung der Fußheber.

OP-Technik

yy Über eine kleine Hautinzision am Os naviculare wird die Tibialis-pos-terior-Sehne abgetrennt und mit einem Faden armiert (▶ Abb. 4-21a).yy 3–4 Querfinger oberhalb des Sprunggelenks und lateral der Tibiakan-

te wird eine weitere Hautinzision angelegt.yy Die Membrana interossea kann unter Sicht eröffnet und vorsichtig

aufgeweitet werden.yy In gleicher Höhe am Unterschenkel erfolgt medial eine Stichinzision,

durch die das freie Ende der TP-Sehne nach proximal herausgezogen wird.yy Eine gebogene Klemme wird dann von der lateralen Inzision nach me-

dial geführt, sodass die TP-Sehne von posterior durch die Membrana interossea nach anterior geführt werden kann (▶ Abb. 4-21b).yy Evtl. ist es erforderlich, die distalen Muskelanteile von der Sehne

abzupräparieren.yy In Neutralstellung des Fußes wird der Insertionspunkt der TP-Sehne

auf dem Mittelfuß (Os cuneiforme intermedium oder laterale) festgelegt.yy Nach Anlegen einer weiteren kleinen Inzision am Fußrücken wird die

TP-Sehne unter dem Retinaculum extensorum nach distal ausgeleitet und hier transossär refixiert (▶ Abb. 4.21c).

Abb. 4-20 Transfer der Tibialis-anterior-Sehne zur Behandlung der Dysfunk-tion der Tibialis- posterior- Sehne.

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4 Sehnenchirurgie228

Abb. 4-21 Transfer der Tibialis-posterior-Sehne bei Lähmungsspitzfuß. Desinsertion der TP-Sehne am Os navi-culare. Transfer des freien Sehnenzügels durch die Membrana interossea zum anterioren Unterschenkel. Transfer des freien Sehnenzügels unter dem Retinaculum extensorum zur lateralen Fußwurzel.

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4.4 Sehneneingriffe am Rückfuß 229

Nachbehandlung

yy Immobilisation im zirkulären Unterschenkelcast über 6 Wochen unter schmerzadaptierter Vollbelastung.yy Anschließend Übergehen auf einen Heidelberger Winkel, der für

weitere 6  Wochen getragen werden muss und Beginn mit aktiven Bewegungsübungen.

4.4.4 Erkrankungen der Peronealsehnen

Die peronaeale Muskelgruppe befindet sich im lateralen Kompartiment des Unterschenkels. Die Innervation erfolgt durch den N. peroneus superficialis.

Der M. peroneus longus entspringt von den proximalen zwei Dritteln der Fibula und vom Septum intermusculare. Der M. peroneus brevis ent-springt von den distalen zwei Dritteln der Fibula, ventral des Ursprungs des M.  peroneus longus. In 20 % findet sich beim kaukasischen Typus ein Os peroneum in der Sehne auf Höhe des Calcaneocuboidalgelenks. Die Peroneus-longus- und -brevis-Sehnen verlaufen in einer gemeinsamen Sehnenscheide, welche ca. 4 cm oberhalb der Spitze des Malleolus lateralis beginnt und sich durch einen fibroossären Tunnel und die retromalleolare Grube nach distal erstreckt.

Bei ca. 10–15 % der Bevölkerung ist ein M. peroneus tertius nicht nach-weisbar. Er gehört entwicklungsgeschichtlich zu den Fußstreckern. Sein Ursprung liegt im distalen ventralen Drittel der Fibula. Sein Muskelbauch ist i. d. R. nicht vom Muskelbauch des M.  extensor digitorum longus zu separieren. Der Muskelbauch endet unmittelbar oberhalb des inferioren Retinaculum extensorum.

Der tiefliegende Muskelbauch verursacht bei einem kleinen Anteil der Patienten eine anterolaterale Schmerzsymptomatik und ein Schnappphä-nomen. Ein ähnliches Phänomen (Sehnenschnappen, Sehnensubluxation, dorsolaterales Impingement) kann auch durch einen (in ca. 6–7 % vorhande-nen) M. peroneus quartus verursacht werden. Dieser entspringt variabel aus dem M. peroneus brevis, von dem er phylogenetisch abstammt, am distalen Unterschenkel und läuft parallel zu diesem hinter dem Außenknöchel mit ebenfalls variablem Ansatz zum Fußaußenrand. Die Perfusion der pero-nealen Muskelgruppe wird durch Äste der A. peronea sowie der A. tarsalis medialis gewährleistet.

Funktionell arbeitet der M. peroneus brevis als Abduktor und Elevator sowie als Plantarbeuger des Fußes. Der M. peroneus longus erfüllt funktio-nell ähnliche Funktionen, zusätzlich ist er für die Stabilisierung der media-len Fußwölbung während der Standphase des Fußes zuständig.

Die Peronealsehnen sind gemeinsam als dynamische Stabilisatoren und Unterstützer des lateralen Bandapparats am OSG zu betrachten. Als Anta-gonisten fungieren: FHL, FDL, TA und TP.

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4 Sehnenchirurgie230

Unterschieden wird zwischen:yy Peronealsehnentendinose,yy Peronealsehnenluxation (▶ Abb. 4-22),yy Ruptur der Peronealsehnen.

Diagnostik

Hierzu zählt die klinische Inspektion des Gangbilds. Eine apparative Diag-nostik umfasst den Ultraschall, das Röntgen, die MRT und Videogangana-lyse sowie die EMG und die NLG.

Tendinose der Peronealsehnen

Die Manifestation einer Tendinose kann als akute oder chronische Form (Beschwerdedauer > 6 Wochen) auftreten. Die Behandlung ist primär kon-servativ mit antiphlogistischer Medikation, Entlastung und Physiotherapie mit frühzeitiger Dehnungsbehandlung. Nach neueren Erkenntnissen ist die Injektion mit platelet-rich Plasma oder hyaluronsäurehaltigen Medikamen-ten eine mögliche Behandlungsalternative.

Bei Therapieresistenz über 3 Monate ist die Indikation einer operativen Intervention zu prüfen.

Infrage kommen hierfür die folgenden Therapieoptionen:yy Tenosynovialektomie,yy Ausschneiden von mukoiden Degenerationen oder Nekrosezonen.

Differenzialdiagnosen

Differenzialdiagnostisch sind folgende Pathologien zu bedenken:yy Kompartmentsyndrom des vorderen Unterschenkels,yy neurogene Muskel-Sehnen-Dysfunktion,yy Stressfraktur der Tibia,yy ischämischer Muskelinfarkt,yy vorderes Schienbeinkantensyndrom,yy virale Affektionen der Muskel-Sehnen-Einheit.

Abb. 4-22 Klinisches Bild einer Peronealsehnen-luxation.

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4.4 Sehneneingriffe am Rückfuß 231

Peronealsehnenluxation

Die erste Beschreibung einer Peronealsehnenluxation stammt von Mon-teggia aus dem Jahr 1803. Er beschrieb die Sehnenluxation bei einem Bal-letttänzer.

Der typische Unfallmechanismus besteht aus einer plötzlichen passiven Dorsalextension im Sprunggelenk bei Inversion des Fußes. Differenzialdia-gnostisch muss eine Sprunggelenksdistorsion in Erwägung gezogen werden.

Begünstigende Faktoren für eine Peronealsehnenluxation sind:yy eine flache retromalleolare Gleitrinne,yy eine Verletzung oder Laxität des superioren Retinaculum peroneorum,yy eine chronische Außenbandinstabilität,yy ein Calcaneus varus.

Unterschieden werden chronische oder akute Peronealsehnenluxationen.Nach Eckert und Davis (1976) wird die Einteilung in 3 Schweregrade vor-genommen (▶ Abb. 4-23), die durch das Ausmaß der Luxationstasche bzw. den knöchernen Ausriss des Retinaculum peroneorum superius definiert werden.

Diagnostik

Zur Diagnostik zählen:yy Röntgen OSG in 2 Ebenen und Mortise view (knöcherne Retinaculum-

ausrisse),yy Saltzman-Aufnahme (Bestimmung der Calcaneusachse),yy Ultraschall,yy MRT, falls möglich dynamisches MRT,yy CT (Beurteilung der Gleitrinne).

Therapie

Prinzipiell wird bei akuter wie auch chronischer Sehnenluxation ein opera-tiver Eingriff empfohlen (Saxena 2012).

Die Ausnahme stellt hier ein Peronealsehnenschnappen beim Säugling oder Kleinkind dar, das mit einer Gipsruhigstellung behandelt wird.

Grad I Grad IIIGrad II

Abb. 4-23 Einteilung der Peronealsehnenluxa-tionen nach Eckert und Davis (Grad I–III von links nach rechts).

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4 Sehnenchirurgie232

OP-Technik

yy Refixation des Retinaculum peroneorum superius (v. a. bei akuter Verletzung).yy Rekonstruktion des Retinaculum peroneorum superius mit ortsstän-

digem Gewebe.yy Vertiefen der retromalleolaren Gleitrinne (bei Dysplasie).yy Schaffen eines Luxationshindernisses (z. B. Knochenverschiebung)

(▶ Abb. 4-24).yy Rezentrierung der Peronealsehnen hinter dem Lig. fibulocalcaneare

(Ogawa u. Thordarson 2007).

Nachbehandlung

yy 14 Tage Unterschenkelgipsschiene.yy 14 Tage Unterschenkelgehgips mit ca. 20 kg Teilbelastung.yy 14 Tage Unterschenkelwalker mit zunehmender Aufbelastung, Beginn

mit Physiotherapie.

a b

c

Abb. 4-24 (a, b) Verschiebeplastik mit Knochenspan und (c) Vertiefung der retromalleolaren Gleitrinne zur Therapie der Peronealsehnenluxation.

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4.4 Sehneneingriffe am Rückfuß 233

yy 7 Tage Vollbelastung im Walker.yy Anschließend Vollbelastung in stabilem, knöchelübergreifendem

Schuhwerk.yy Radfahren und Schwimmen: erlaubt ab Ende der 6. Woche.yy Wiederaufnahme bisheriger Sportaktivität nach Ablauf des 4. postope-

rativen Monats.

Peronealsehnenrupturen

Rupturen der Peronealsehnen (▶ Abb. 4-25) treten selten als Folge eines aku-ten Traumas auf. Häufig entstehen sie aufgrund einer chronischen Instabi-lität mit oder ohne Subluxation der Peronealsehnen oder einer chronischen Lockerung des Retinaculum peroneorum superius.

Rupturen der Peroneus-longus-Sehne treten gehäuft auf bei Cavova-rus-Deformität und/oder einer Rückfuß-Inversions-Deformität. Rupturen der Peroneus-brevis-Sehne sind häufig Folge chronischer Subluxationen oder eines hypertrophen Tuberculum peroneale (Proc.  peroneorum) an der Seitenwand des Calcaneus (▶ Abb. 4-26). Dorsalextensionsverletzungen im OSG können zu Ausrissverletzungen der Peroneus-brevis-Sehne an der Basis des Os metatarsale V führen.

Von Sobel und Mizel werden die Rupturhöhen eingeteilt in:yy Zone I: proximale Sehnenverletzungen (oberhalb Außenknöchelspitze),

meist M. peroneus brevis;yy Zone  II: distale Sehnenverletzungen (distal der Außenknöchelspitze,

inkl. Os peroneum), meist M. peroneus longus;yy Besonderheit: POPS (painful os peroneum syndrome).

Abb. 4-25 Ruptur der Peronealsehnen.

Abb. 4-26 Hypertrophes Tuberculum peroneale mit klinisch manifester Prominenz über der late-ralen Fersenbeinwand.

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