Nachbarn 2/2011

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Wir helfen Menschen. NR. 2/2011 Nachbarn Finanzpolitik: Sparen bei den Schwächsten Schulden Wenn gar nichts mehr geht

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Magazin Nachbarn Nr. 2/11 mit dem Schwerpunktthema: Schulden: Wenn gar nichts mehr geht.

Transcript of Nachbarn 2/2011

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Wir helfen Menschen.

NR. 2/2011

NachbarnFinanzpolitik: Sparen bei den Schwächsten

Schulden Wenn gar nichts mehr geht

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Inhalt

2 Caritas Nachbarn 2/11 Titelbild: Andreas Schwaiger (Symbolbild)

Editorial 3Thomas Thali

Schulden

«Wer zu uns kommt, steht 4unter enormem Druck»

Die Klientinnen und Klienten der Schul-denberatung haben oft nicht nur finanzi-ell den Boden unter den Füssen verloren.

Frühzeitige Hilfe bei Schulden 8Neue Informations- und Beratungsange-bote der Caritas zielen darauf ab, die von Verschuldung bedrohten Menschen früh-zeitig zu erreichen und zu unterstützen.

Caritas Luzern

Fussballticket liegt nicht drin 10Was es heisst, mit Schulden zu leben.

Projekte, die sparen helfen 12 Wie die Caritas Luzern Betroffene im Alltag unterstützt.

Sparen bei den Schwächsten 14

Sozialhilfe: kaum Spielraum 15

Wie es sich mit Sozialhilfe lebt.

Nachgefragt 16 Bei Thomas Stalder, Arbeitsintegration Caritas Luzern in Sursee.

Nutzen und Mehrwert der 17NaturalspendeSpenderinnenporträt der Logicare AG.

Persönlich 18Schwester Anna Affolter, Generalrätin der Ingenbohler Schwestern.

Caritas-Netz

«incluso» 19Als freiwillige Mentorin begleitet Desirée Natter eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche.

News aus dem Caritas-Netz 20

Veranstaltungen, Kurse 22

Gedankenstrich 23Von Tanja Kummer.

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Editorial

Thomas Thali Geschäftsleiter Caritas Luzern

Die Verlockungen und der Alltag

3 2/11 Nachbarn Caritas

«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich.

Gesamtauflage: 51 600 Ex. Auflage LU: 11 000 Ex.

Redaktion: Urs Odermatt (Caritas Luzern); Ariel Leuenberger (national)

Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt

Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern

Caritas Luzern | Morgartenstrasse 19 | 6002 Luzern | Tel. 041 368 52 00

www.caritas-luzern.ch | PC 60-4141-0

Impressum

L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX.

L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX.

Caritas Luzern ist seit 2004 ZEWO-zertifiziert.

Caritas Luzern ist seit 2004 ZEWO-zertifiziert.

«Für viele Menschen ist das Budget zu schmal!»

Liebe Leserin, lieber Leser

Können Sie mit Geld umgehen? Waren Sie nicht schon mal in Versuchung, sich einen grossen Flachbildschirm-Fernseher zu leis-ten – Sie nehmen ihn heute nach Hause und bezahlen im nächsten Jahr? Kam Ih-nen auch schon mal die Idee, eine Steuer-zahlung ausfallen zu lassen und dafür eine Reise in ein fernes Land zu buchen? Die Verlockungen sind gross heutzutage und Schulden machen wird einem leicht ge-macht. «Selber schuld», finden dann viele – wer in die Schuldenfalle tappt, kann sich auch selbst helfen.

Doch es sind nicht bloss die Konsum-kredite, die zur Verschuldung führen. Bei der Caritas erleben wir immer wieder, wie viele Menschen im Alltag mit ihren finan-ziellen Verpflichtungen nicht klarkommen, weil das Budget zu schmal ist. Sie verschie-ben eine Zahlung um die andere.

Oft reichen dann ein teurer Zahnarzt-besuch, eine überraschende Rechnung oder erhöhte Lebenskosten nach einer Trennung – und schon beginnt sich die Schuldenspi-rale endgültig zu drehen.

Dabei ist es auch nicht förderlich, dass die öffentliche Hand die Aufwendungen zur sozialen und beruflichen Integration immer stärker kürzt und damit auch die Chance für den Wiedereinstieg schmälert. Gespart wird hier bei den sozial Schwächs-ten, für die ein Leben in Selbstverantwor-tung in immer weitere Ferne rückt.

Damit sie alle die Hoffnung nicht ver-lieren, dafür ist die Caritas Luzern da. Mit der Sozial- und Schuldenberatung und mit ihren Angeboten. Wir danken Ihnen, wenn Sie uns unterstützen.

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Schulden

4 Caritas Nachbarn 2/11

«Je früher man sich Hilfe holt, desto bes-ser.» Diese Botschaft gehöre unbedingt in den Artikel hinein, in dem ihre Geschichte erzählt werde, sagt Eva Martin. Denn das

sei der wichtigste Tipp, den man Leuten mit Geldsorgen geben könne. Sie selber hatte jahrelang versucht, ohne fremde Hilfe ei-nen Ausweg zu finden. Bis sie eines Ta-

ges dann mit zwei prallvollen Tragtaschen bei der Schuldenberatung der Caritas auf-tauchte. Sie enthielten die gesammelten Rechnungen der letzten 24 Monate.

Eva Martin trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen. Sie ist verheiratet, hat eine vierjährige Tochter und lebt am Rande ei-ner Stadt. Grosse Überbauungen und breite Ausfallstrassen wechseln sich ab mit zwei-stöckigen Wohnblocks und Reihenhäusern, die aus einer Zeit stammen, als es hier noch viel Grün gab. Wer aufs Geld achten muss, findet in dieser Gegend eine bezahlbare

Geldprobleme kommen selten allein. Unsere Schulden-beraterinnen und -berater erfahren immer wieder, wie eng verknüpft finanzielle Sorgen und psychisches Leiden sein können. Denn wer bei ihnen Rat sucht, hat oft nicht nur finanziell den Boden unter den Füssen verloren. Schulden-beratung ist häufig auch Lebensberatung.

Wer zu uns kommt, steht unter enormem Druck

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Wer zu uns kommt, steht unter enormem Druck

5 2/11 Nachbarn Caritas

Wohnung. Oder kann, wie Eva Martin und ihr Partner es taten, eines der alten Reihen-häuschen samt Garten kaufen.

Viele Wege führen zur Überschul-dungSchuldenberater David Sidler, der Eva Mar-tins Tragtaschen in Empfang nahm, ist sich gewohnt, dass Ratsuchende mit einem Sta-pel Rechnungen bei ihm auftauchen. «Aber

dass jemand sie mir gleich sackweise bringt, hatte ich noch nie erlebt. Ich brauchte zwei Tage, um die Unterlagen nach Gläubigern

zu sortieren.» In seiner Arbeit begegnet David Sidler

den verschiedensten Menschen. Es gebe Leute, die einfach jeden Monat ein biss-chen zu viel ausgeben und so fast unmerk-lich langsam in eine Überschuldung hi-

neinrutschen. «Wenn ich dann mit ihnen zusammen eine Aufstellung ihrer Ausga-ben mache, staunen sie, wie viel Geld sie ausgeben.» Andere setzen die finanziellen Prioritäten falsch, sie zahlen zum Beispiel Leasingraten ab, sind aber mit den Kran-kenkassenprämien im Rückstand. «Von mir erfahren sie dann, dass Miete, Strom und Krankenkasse höchste Priorität ha-ben.»

Nochmals andere sitzen bei David Sid-ler am Besprechungstisch und erzählen eine Geschichte, aus der rasch klar wird, dass sie

«Miete, Strom und Krankenkasse haben höchste Priorität.»

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Schulden

6 Caritas Nachbarn 2/11

mitten in einer Lebenskrise stecken. «Zum Teil sind es Übergänge – der Wechsel von der Lehre in den Beruf, das Gründen einer Familie –, welche die Leute finanziell aus dem Takt geraten lassen.» Am Anfang einer Überschuldung können auch einschnei-dende Erlebnisse wie der Verlust des Jobs oder eine Trennung stehen. Und manchmal lässt sich kaum mehr eruieren, was zuerst da war: die psychischen Probleme oder die finanziellen Schwierigkeiten.

Mit Schulden jonglierenWenn Eva Martin schildert, weshalb sie eines Tages begann, eintrudelnde Rech-nungen am Briefkasten abzufangen und unbezahlt vor dem Partner zu verste-cken, wird rasch klar, dass viele verschie-dene Dinge zusammenkamen. Da war der Wunsch, dem Partner trotz dessen wegen Kurzarbeit reduzierten Einkommens wei-terhin den gewohnten Lebensstandard zu bieten. «Ich fand es zum Beispiel wich-

tig, dass jeden Tag gesundes Essen auf den Tisch kam. Wir sollten es doch gut haben im Leben!» Da war die Angst, den Part-ner mit den zunehmenden Geldproblemen zu belasten; schliesslich hatte der Hausarzt

gesagt, man müsse ihn wegen gesundheit-licher Schwierigkeiten schonen. Und da war die depressive Verstimmung, in die sie nach mehreren Aborten geraten war. Dass sie ihre Sorgen in Alkohol zu ertränken begann, machte die Situation nicht besser. Dennoch gelang es ihr, mit den Schulden so weit zu jonglieren, dass sie Betreibungen vermeiden konnte. «Ich hatte sämtliche Gläubiger und offenen Beträge genau im Kopf und konnte immer irgendwie Deals aushandeln.»

Als ihre Tochter zur Welt kam, begann es ihr besser zu gehen. «Sie ist ein sehr le-

bendiges Kind und das tat mir gut. Ich fühlte mich wohl.» Weil in derselben Zeit eine Versicherung eine grössere Summe auszahlte, konnte sie zudem sämtliche Schulden begleichen.

Was zuerst wie ein Happyend aussah, stellte sich allerdings als kurzes Glück he-raus – als sie erneut schwanger wurde und das Kind in den ersten Schwangerschafts-monaten verlor, begann es Eva Martin wie-der schlecht zu gehen. Sie fiel zurück ins alte Muster, sie versteckte Rechnungen, sie trank. Der Gedanke an ihre kleine Toch-ter hielt sie davon ab, sich das Leben zu nehmen, es folgten Termine beim Psychi-ater und schliesslich die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte. Denn als Eva Martins Depression sich zuspitzte, lös-te sich in ihrem Kopf die Liste der Gläubi-

Als sich Eva Martins Depression zuspitzte, verlor sie den Überblick über die Gläubiger und suchte Hilfe bei der Caritas.

«Schuldenberatung ist häufig auch Lebensberatung.»

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7Text: Ursula Binggeli; Bilder: Andreas Schwaiger (Symbolbilder), zvg 2/11 Nachbarn Caritas

ger auf, der Überblick war weg, ihr inneres «Finanzsystem» war zusammengebrochen. Sie begann Hilfe zu suchen und fand sie schliesslich bei der Caritas.

Freiwillige Beratung unter Hoch-druckWenn Schuldenberater David Sidler von Eva Martin berichtet, schwingt in seiner Stimme Hochachtung mit. Dass sie über so lange Zeit Pfändungen verhindern konnte, dass nie der Strom oder das Telefon abge-stellt wurden, findet er eine unglaubliche Leistung. «Sie hat wahnsinnig viel Ener-gie ins Verhandeln mit den Gläubigern gesteckt. Die Kehrseite der Medaille: Ihr fehlte die Energie, gut zu sich selber zu schauen.»

Eva Martin ist bei Weitem nicht die Ein-zige, die erst dann an die Caritas gelangte, als gar nichts mehr ging. David Sidler: «Un-sere Beratung ist freiwillig, aber wer zu uns kommt, steht in der Regel unter enormem Druck.» Die Ausweisung aus der Wohnung steht unmittelbar bevor, die Krankenkasse übernimmt die hohen Arztkosten nicht mehr, die Ehe droht zu scheitern. Denn wie bei Eva Martin belasten die Schulden bei vielen die Beziehung zum Partner, zur Part-nerin. David Sidler: «Schuldenberatung ist auch Lebensberatung.» Häufig sei es aber so, dass seine Vorschläge zur Schuldenbe-

wältigung das Gefühl der Bedrängnis be-reits ein Stück weit lindern können.

Gemeinsamer NeuanfangEva Martin reagierte anders. Als der Druck, unter dem sie so lange gestanden hatte, nach Beginn der Schuldenberatung zu wei-chen begann, erlitt sie einen Nervenzusam-menbruch und verbrachte ein paar Tage in einer psychiatrischen Klinik. Unterdessen sehen die Dinge aber besser aus: Eva Mar-tin besucht regelmässig eine Psychologin, zu der sie einen guten Draht hat. Und Da-vid Sidler konnte erreichen, dass die Bank die auf dem Häuschen lastende Hypothek so weit erhöht, dass damit die offenen Rech-nungen beglichen werden können. Und weil Eva Martins Partner während ihres Klinikaufenthalts zum ersten Mal seit Jah-ren selber die Post aus dem Briefkasten nahm und angesichts der Mahnungen rea-lisierte, wie es finanziell steht, kann er sich nun an der Problemlösung beteiligen. Der nächste Schritt ist eine gemeinsame Bud-getberatung bei David Sidler.

David Sidler ist sich gewohnt, dass Ratsuchende mit einem Stapel Papier bei ihm auftauchen.

Bruno Crestani, Betreibungs- beamter und Stadtammann im Zürcher Kreis 4

Ist die Geschichte von Eva Mar-tin typisch?Der typische Schuldner ist männlich und geschieden. Frauen haben häufig das Sorgerecht für die Kinder und daher eher noch einen Antrieb und Perspekti-ven. Männer wohnen vielleicht in einem kleinen Zimmerchen mit Gemeinschafts-dusche, haben nichts mehr und lassen sich daher eher gehen. Dann kommen oft noch Suchtverhalten und Probleme am Arbeitsplatz dazu – und schon sind sie in der Schuldenspirale. Aber auch die Geschichte von Eva Martin enthält Ele-mente, die sehr charakteristisch sind. Zum Beispiel der erste Satz – den wie-derhole ich auch immer: Meldet euch früh genug, denn wenn die Schulden zu gross werden, kann euch niemand mehr helfen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Jung und Alt?Schulden sind schon eher ein Problem der Jüngeren. Wir können nachweisen, dass die Probleme anfangen, wenn die jungen Menschen zu Hause ausziehen. Solange sie noch bei den Eltern sind, helfen diese aus: Rund 30 Prozent der Jungen sind bei den eigenen Eltern ver-schuldet. Meine Mutter ist nun über 80. Sie hätte lieber aufs Essen verzichtet, als eine offene Rechnung nicht zu bezahlen. Diese Haltung war früher gang und gäbe, doch heute ist die Mentalität eine andere.

Wieso braucht es die Schulden-beratung der Caritas?Die anderen Fachstellen nehmen häufig nur Leute auf, bei denen sie Sanierungs-möglichkeiten sehen. Auch beim Sozial-amt wird niemandem geholfen, der nicht ein Anrecht auf Fürsorge hat. Niemand kümmert sich um die Menschen, die mit Schulden leben müssen – ausser die Ca-ritas. Es ist weniger Schuldenberatung, sondern eher Schuldnerberatung. Ich finde das ganz wichtig.

Kommentar

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Hintergrund: Schulden

Frühzeitige Hilfe bei Schulden

Wer heute einkaufen geht, benötigt kein Bargeld mehr und kann mit einer Kredit- und Kundenkarte auch bezahlen, wenn das Bankkonto im Minus ist. Das Einkaufsver-halten wird damit immer weniger von der finanziellen Situation bestimmt, sondern mehr und mehr von Wünschen und Träu-men. Doch nicht nur das Einkaufsverhal-ten, sondern auch das Zahlungsverhalten hat sich gewandelt. Während es früher üb-lich war, die Rechnung auf einmal zu be-gleichen, ist heute das Abstottern der Rech-

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Das Schuldenmachen ist heute bei Privatpersonen sehr verbreitet. Je nach Alter stehen dabei unterschiedliche Schuldenarten im Mittelpunkt. Häufig erfolgt die Verschuldung bei den Übergängen im Lebenslauf. Neue Informations- und Beratungsangebote der Caritas zielen darauf ab, die von Verschuldung bedrohten Menschen bereits bei diesen Übergängen zu erreichen und zu unterstützen.

nungen weit verbreitet. Möglich gemacht wird dies durch ein wachsendes Angebot an Kunden- und Kreditkarten mit Teilzah-lungsoptionen. Viele Konsumentinnen und Konsumenten besitzen heute eine ansehn-liche Zahl dieser Karten, kommen sie doch bei deren Besitz in Genuss von Vorteilen wie Rabatt-Prozenten auf Einkäufen, Spezi-alangeboten oder Geburtstagsgeschenken. Wer bei all diesen Karten von der Teilzah-lungsoption Gebrauch macht, verschuldet sich schnell in beachtlicher Höhe, sieht sich

mit hohen Zinskosten konfrontiert und läuft Gefahr, die Übersicht über die Finan-zen zu verlieren.

Junge besonders gefährdetJunge Erwachsene am Übergang zwischen Berufsausbildung und Arbeit sind beson-ders gefährdet, sich über Kunden- und Kre-ditkarten zu verschulden, denn sie über-nehmen sich in dieser Phase nicht selten finanziell durch die Ausgaben für eine ei-gene Wohnung, ein geleastes Auto und

Caritas Nachbarn 2/11

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häufigen Ausgang. Über die Website www.caritas-schuldenberatung.ch und Lehr-lingsverantwortliche wird Caritas junge Erwachsene ab Ende 2011 mit jugendge-rechten Informationen zum Umgang mit Geld und Schulden bedienen.

Vor der Familiengründung überlegen sich nicht wenige Ehepaare einen Wechsel in eine grössere Wohnung. Fehlt das Geld für die Finanzierung des Umzugs und die Einrichtung des Kinderzimmers, ist die Aufnahme eines Konsumkredits rasch ein Thema. Solchen Ehepaaren bietet Caritas mit der anonymen und kostenlosen Bera-tungshotline «SOS Schulden» an, sie über die Risiken einer Kreditaufnahme zu infor-mieren und bei Bedarf eine weitergehende Beratung zu vermitteln.

Telefonberatung als PräventionNach der Familiengründung können durch das reduzierte Einkommen und die erhöh-ten Ausgaben, Steuerschulden und Kran-kenkassenausstände entstehen. Die Fach-personen der Beratungshotline «SOS Schulden» zeigen den betroffenen Fami-lien in solchen Situationen mögliche Wege der Problemlösung auf.

Mit der Pensionierung ist eine grosse Einkommenseinbusse verbunden, die zu einem finanziellen Engpass und insbeson-dere Steuerschulden führen kann. Über die Beratungshotline «SOS Schulden» wird diesen Menschen eine geeignete Beratungs-stelle für die Prüfung eines Steuererlasses oder finanzieller Hilfe vermittelt.

Diese neuen Hilfsangebote an den Übergängen im Lebenslauf sollen dazu beitragen, Verschuldete oder von Verschul-dung Bedrohte zu unterstützen, bevor sie in ernsthafte Schuldenprobleme geraten. Sie sind deshalb als Prävention zu verstehen.

9Texte: Jürg Gschwend; Illustration & Grafik: Tom Künzli 2/11 Nachbarn Caritas

Caritas: die wichtigste Anbieterin in der Schuldenberatung

Am Mittwoch, 23. November 2011 veranstalten die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, die Caritas Schweiz und die SKOS in Basel eine Fachtagung zum Thema Schulden und Schuldenpräven-tion.

Die Veranstaltung ist dem Thema «Armutsbekämpfung mit Schulden- beratung» gewidmet.

Anmeldung und Information unter www.forum-schulden.ch

Fachtagung zum Thema

An elf Orten führen die regionalen Caritas-stellen eine Schuldenberatung. Damit ist Caritas schweizweit der wichtigste Anbieter in diesem Bereich. Gemäss dem Bundesamt für Statistik lebten im Jahr 2008 insgesamt 570 000 Personen mit erheblichen Konto-überzügen oder Zahlungsrückständen in der Schweiz. Bei den Personen, die sich an die Schuldenberatung wenden, handelt es sich in 60 Prozent der Fälle um alleinste-hende Personen oder Alleinerziehende. Die Mehrheit der Ratsuchenden ist zwischen 31 und 50 Jahre alt.

Am häufigsten sind sie von Steuer-, Krankenkassen- und Konsumkreditschul-den betroffen. Betragsmässig fallen dabei die Steuern- und Konsumkreditschulden am höchsten aus. Die Ratsuchenden wen-den sich in der Regel erst nach einer jahre-langen Leidensgeschichte an die Schulden-beratung. Mit der neuen Internetseite www.caritas-schuldenberatung.ch und der ano-nymen, kostenlose Beratungs-Hotline «SOS Schulden» sollen Menschen mit Schulden-problemen früher erreicht werden können.

Denn je früher die Betroffenen Hilfe aufsu-chen, desto besser kann ihnen geholfen wer-den.

Beratungs-Hotline «SOS Schulden»0800 708 708 (gratis) Montag bis Donnerstag, 10–13 Uhr

www.caritas-schuldenberatung.ch

Häufigkeit der Schuldenart bei den beratenen Haushalten

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10 Caritas Nachbarn 2/11 * Name von der Redaktion geändert

Caritas Luzern

Der freundliche ältere Herr, den wir zum Kaffee treffen, blickt auf zwei turbulente Jahre zurück. Er war Unternehmer und machte gute Geschäfte. Bis sich die Pro-bleme häuften – auch aufgrund seiner Na-ivität, wie Sonderegger anmerkt. Bei einer Betriebsübernahme sei er von dubiosen Investoren «über den Tisch gezogen wor-den». Einer sei jetzt vor Gericht, der habe auch in andern Kantonen betrogen. «Ich aber musste den Konkurs anmelden. Dann ging alles bachab.»

Moralische HilfeSchon früher hatte Simon Sonderegger ei-nen Konkurs gemacht. Jetzt häuften sich die Schulden. «Ich hatte keinen Überblick mehr. Es ist auf mich reingeprasselt. Jeder wollte Geld. Ich zahlte, was ich konnte.» Einer seiner Söhne habe ihn eine Zeitlang unterstützt, bis er sich eines Tages zurück-zog. «Es gab Monate, in denen ich mit 30 Franken auskommen musste.» Da sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als bei Kol-legen anzuklopfen und hier mal 100 Fran-ken und dort mal 200 Franken auszuleihen.

Da er sein Unternehmen als GmbH formiert hatte, konnte er sich beim Regio-nalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) anmelden und Stempelgelder beziehen. Da-von geht nun jeden Monat ein fixer Betrag von mehreren 100 Franken als Dauerauf-trag auf ein Konto, das von der Caritas Lu-zern verwaltet wird. Damit werden nach und nach seine privaten Schulden bezahlt. Der Berater habe sich sehr für ihn einge-setzt und auch mit den Gläubigern Ge-spräche geführt. «Ich bin froh, dass ich mit der Schuldenberatung Kontakt aufgenom-

Fussballticket liegt nicht drinFrüher jonglierte er mit Millionen, heute muss er sehr bescheiden leben: Simon Sonderegger* hat viel verloren und Schulden gemacht. Jetzt sieht er langsam wieder über den Berg.

Schulden: Wenn selbst der Besuch eines Fussballspiels den finanziellen Rahmen sprengt.

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11Text: Pirmin Bossart; Bild: Gerry Schmit 2/11 Nachbarn Caritas

men habe. Sie hat mich vor allem auch mo-ralisch unterstützt und wieder eine Ord-nung in mein Leben gebracht.»

SelbstmordgedankenIn den ersten Monaten nach dem Zusam-menbruch seines Unternehmens und den Begehren der Gläubiger habe er es fast nicht mehr ausgehalten. «Schulden können einen Menschen ins Elend treiben. Ich habe sogar

an Selbstmord gedacht, wollte mich unter den Zug werfen.» Der Arzt habe ihm dann geraten, unter die Leute zu gehen, um eine anhaltende Depression zu vermeiden. «Das habe ich dann versucht. Ich habe viele Kol-legen. Bei einigen habe ich im Gastgewerbe mitgeholfen, diese und jene Beschäftigung gemacht. Das tat mir gut.»

Die Schuldenberatung der Caritas Luzern bietet überschuldeten Privatpersonen und Familien einen Überblick über die Möglichkeiten im Umgang mit Schulden. Die Beratung steht Per-sonen mit Wohnsitz in den Kantonen Luzern, Ob- und Nidwalden zur Verfügung, ohne Rück-sicht auf Konfession, Zivilstand oder Nationalität.

Weitere nützliche Informationen rund um die Themen Budget und Schulden oder Tipps zum Umgang mit Geld finden Sie auf www.caritas-schuldenberatung.ch oder in der Broschüre «Finanzielle Probleme – Wohin wende ich mich? Informationen für den Kanton Luzern» (siehe Hinweis auf Seite 22).

Schuldenberatung Caritas Luzern

Kontakt

Caritas Luzern Schuldenberatung Morgartenstrasse 19 6002 Luzern

Tel. 041 368 51 00 Fax 041 368 51 01

[email protected]

Beratungs-Hotline – 0800 708 708 anonym und kostenlos Mo – Do: 10 – 13 Uhr

www.caritas-luzern.ch/schuldenberatung

Mit punktuellen Gelegenheitsarbeiten, die als Zwischenverdienste angerechnet werden, hält sich Sonderegger auch psy-chisch einigermassen stabil. «Das sind im-mer Aufsteller, wenn ich etwas helfen und verdienen kann.» Umgekehrt muss er auf-grund des minimalen Einkommens sein Leben stark einschränken. Sonderegger ist froh, dass er im Caritas-Markt günstig ein-kaufen kann.

«Ich habe zum Leben 430 Franken im Monat zur Verfügung. Da kann ich keine grossen Sprünge machen.» Ferien liegen nicht mehr drin, auf ein Auto muss er verzichten, Luxusartikel sind gestrichen. Wenn er ausgehen wolle, müssten ihn die Kollegen einladen. Früher sei er ein grosser FC-Luzern-Fan gewesen, habe die Leute ge-

«Ich hatte keinen Überblick mehr. Es ist auf mich reingeprasselt. Jeder wollte Geld.»

kannt, sei an jeden Match gegangen. «Das Schlimmste ist, dass ich mir nicht mal mehr ein Fussballticket leisten kann. Dann merkst du, dass du in einem andern Film gelandet bist.»

Happyend?Der Streifen dürfte doch noch ein Happy-end haben. Langsam sehe er über den Berg, sagt Sonderegger. «Ich habe jetzt noch Rest-schulden von 2500 Franken. In einem hal-ben Jahr werde ich pensioniert.» Bis dahin kann er noch Arbeitslosengelder beziehen. Er hofft, dass er zusätzlich zur Rente auch noch Ergänzungsleistungen bekommt. «Dann kann ich wieder einigermassen gut leben. Darauf freue ich mich.»

Machen Sie den TestUnser Online-Test zeigt Ihnen, wo mögliche finanzielle Gefahren und Probleme lauern und vermittelt Ihnen Tipps zur Verbesserung Ihrer Situation.www.caritas-schuldenberatung.ch/schuldentest

Der Aufwand für eine ausführliche Budget- und Schuldenberatung kann eine Stunde bis mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Unterstützen Sie die Caritas Luzern mit einer Spende, um verschuldeten oder armutsbetroffenen Menschen eine kostenlose Beratung zu ermög-lichen.

PC 60–4141–0

Herzlichen Dank!

Ihre Spende zählt!

Page 12: Nachbarn 2/2011

Caritas Luzern

12 Caritas Nachbarn 2/11

Kein Mensch ist davor gefeit, finanzielle Probleme zu bekommen und im Leben ein-mal in eine Situation zu geraten, in der er Rechnungen nicht mehr zahlen kann. Die Gründe sind so vielfältig wie die Menschen, die es trifft: Schicksalsschläge, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Scheidung, kinder-reiche Familie.

SchuldenberatungIn der Schuldenberatung wird als Erstes ge-klärt, wo die akutesten Probleme sind. Das heisst: Ordnung in die Papiere und Rech-

nungen bringen, sich einen Überblick über Einnahmen und Schulden verschaffen, in-dividuelles Budget erstellen. Grenzen und Möglichkeiten verschiedener Sanierungs-methoden werden aufgezeigt und gemein-sam diskutiert. Manchmal reicht eine spe-zifische und punktuelle Unterstützung der Betroffenen, verbunden mit einem kon-kreten Budget, um aus der Schuldenfalle rauszufinden.

Die komplexeren Fälle bedürfen in-des einer langen Begleitung. Sind die Vo-raussetzungen gegeben, führt die Caritas

Schulden können einsam machen. Die Angebote der Caritas Luzern schaffen Perspektiven.

Luzern mit der betroffenen Person an-schliessend an die Beratung eine Schul-densanierung durch. Diese Beratung und Begleitung soll den Betroffenen Hilfe bie-ten, damit sie sich selber helfen und wieder auf die Beine kommen können. Dabei wer-den keine Schulden durch die Caritas Lu-zern übernommen. Oft vermittelt die Ca-ritas Luzern aber in schwierigeren Fällen zwischen den Parteien. Dies geschieht im Auftrag der Klientin oder des Klienten, an-sonsten sind sämtliche Informationen ver-traulich, die Schuldenberaterinnen und

Projekte, die sparen helfenSchulden führen oft zu noch mehr Schulden. Die Caritas Luzern hilft dabei, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem sie die verschuldeten Personen berät und begleitet. Zusätzliche Angebote ermöglichen den Betroffenen, ein schuldenfreies Leben zu erreichen.

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13Text: Daniela Mathis; Bild: Urs Siegenthaler 2/11 Nachbarn Caritas

«Eine Schuldensanierung braucht Perspektivenund einen langen Atem.»

-berater unterliegen der Schweigepflicht. Als vermittelnde Instanz informiert die Schuldenberaterin, der Schuldenberater Gläubiger und Behörden über die Situation und die geplanten Schritte der Schuldensa-nierung. Die Fachpersonen der Schulden-beratung klären überdies rechtliche Fragen im Zusammenhang mit den Schulden ab. Ein weiterer Schwerpunkt liegt darin, den Klienten aufzuzeigen, wie man eine Neu-verschuldung verhindern und den Teufels-kreis durchbrechen kann.

Unterstützung im AlltagEine Schuldensanierung bedingt eine lang-fristige Planung und Begleitung und einen langen Atem. Und – es braucht Perspek-tiven. Insbesondere wenn eine Sanierung Monate oder gar Jahre dauert; dann ist es

wichtig, in der Beratung zu thematisieren, wie ein Leben mit Schulden und mit einem Budget, das oft wenig Spielraum lässt, kon-kret aussieht. Und welche Sparmöglich-keiten, Vergünstigungen und Hilfen es zur Unterstützung im Alltag gibt, die unter an-derem von der Caritas Luzern angeboten werden.

Caritas-MarktBeispielsweise die Produkte des täglichen Bedarfs zu tiefen Preisen in den Caritas-Märkten: Privatpersonen oder Familien, die aufgrund Überschuldung am (betrei-bungsrechtlichen) Existenzminimum le-ben, sind berechtigt, in diesem Lebens-mittelladen einzukaufen. Derzeit gibt es 22 Caritas-Märkte in der Schweiz, unter

SozialberatungDie Schuldenberatung wird ergänzt durch die Sozialberatung der Caritas Luzern. Sie informiert und unterstützt Einzelpersonen und Familien bei sozialen und finanziellen Fragen. Bei einer Notlage bietet sie indivi-duelle Hilfe an.www.caritas-luzern.ch/sozialberatungwww.caritas-luzern.ch/schuldenberatung

Weitere Informationen für den Kanton Luzern, einen Budgetplan und viele nütz-liche Adressen finden Sie zudem in der Broschüre «Finanzielle Probleme – Wohin wende ich mich?» der Caritas Luzern (siehe Hinweis auf Seite 22).

anderem einen in Luzern, in Sursee sowie in Baar. www.caritas-luzern.ch/markt www.caritas-markt.ch

KulturLegi ZentralschweizMit dem gleichen Ausweis wie für den Cari-tas-Markt – der KulturLegi Zentralschweiz – können sich armutsbetroffene Menschen vergünstigte Angebote leisten, vom Kino-besuch über eine Weiterbildung in der Mi-gros-Klubschule, von der sportlichen Frei-zeitaktivität mit den Kindern wie einem Besuch im Hallenbad bis hin zu einem Fa-milienausflug mit dem Schiff. Die Kultur-Legi ermöglicht es auch Menschen mit kleinem Budget, am Leben teilzuhaben. www.kulturlegi.ch/zentralschweiz

Caritas LadenGünstige Angebote bietet auch der Laden von Caritas Wohnen, ob in Luzern, Sursee oder Hochdorf. Diese führen Kinderspiel-zeuge, Kleider, Möbel, Fahrräder oder Bü-cher und vieles mehr in ihrem Sortiment. Die Secondhand-Läden stehen allen Inte-ressierten offen.www.caritas-luzern.ch/hilfe

BeschäftigungsprogrammeIst eine verschuldete Person zudem arbeits-los, unterstützen die Beschäftigungspro-gramme der Caritas Luzern die Erwerbs-losen bei ihren Anstrengungen, wieder eine Stelle zu finden. Die Programme richten sich an versicherte Arbeitslose sowie an Ausgesteuerte. www.caritas-luzern.ch/arbeit

Unterstützen Sie die Caritas Luzern und unsere Angebote mit beiliegen-dem Einzahlungsschein oder mit einer Projektpatenschaft.

Herzlichen Dank!

Spendenkonto PC 60–4141–0

www.caritas-luzern.ch/ projektpatenschaften

Helfen Sie mit!

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Sparen bei den Schwächsten

14 Caritas Nachbarn 2/11 Interview: Urs Odermatt; Bild: Priska Ketterer

Caritas Luzern

Die Verschiebung der Aufgaben vom Bund zu den Kantonen und zu den Gemeinden bringt diese in finanzielle Nöte.

Nachbarn: Thomas Thali, man spricht zwar öfter vom Missbrauch bei der Sozialhilfe, aber kaum davon, dass die Rahmenbedingungen für fi-nanziell schlechter gestellte Men-schen enger geworden sind und noch werden. Was läuft da konkret im Kanton Luzern?

Thomas Thali, Geschäftsleiter der Cari-tas Luzern: Im Nachgang zur Finanz- und Wirtschaftskrise steigt die Zahl der Men-schen, die in finanzielle Not geraten und darum bei den Sozialämtern der Gemein-den anklopfen müssen. Dies führt zu einem Ansteigen der Sozialkosten für die Gemein-den. Zur gleichen Zeit sind nun aber die Ge-meinden in finanzielle Probleme geraten.

Wie ist es zu dieser Situation in den Gemeinden gekommen?

Seit Jahren werden Aufgaben vom Bund zu den Kantonen und von den Kantonen zu den Gemeinden verschoben. Jüngstes Bei-spiel ist die Pflegefinanzierung, die den Ge-meinden viel mehr Neukosten verursacht hat, als sie vorausgesehen haben. Ebenso entscheidend ist aber auch die Steuerpo-litik. Die Gemeinden haben im Standort-wettbewerb laufend die Steuern gesenkt und sind nun nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

Und was heisst das nun für die So-zialhilfe?

Die Gemeinden müssen mehr für die Sozialhilfe aufwenden, wollen aber ihre So-zialausgaben nicht steigern oder sogar noch senken. So sparen sie dort, wo sie können. Das sind Ausgaben zur sozialen und beruf-lichen Integration. Wir müssen feststellen, dass die Gemeinden, auch im Luzerner Agglomerationsgürtel, ihre Gelder in die-sem Bereich kürzen oder sogar ganz strei-chen.

Was bedeuten diese Massnahmen für die Betroffenen konkret?

Menschen, die erwerbslos sind, kön-nen nicht mehr in Berufsintegrations-programme einsteigen. Das heisst, sie er-halten nur noch die ihnen wirtschaftlich zustehende Sozialhilfe. Die Chance zum be-ruflichen Wiedereinstieg sinkt damit ge-gen null.

Welche Auswirkungen hat da die in diesem Jahr umgesetzte Revision der Arbeitslosenversicherung?

Für viele hat sich die mögliche Bezugs-dauer von Arbeitslosengeldern verkürzt und damit auch die Zeit, an Arbeitsintegrations-programmen teilzunehmen. Das heisst, auch dort wurden Gelder für Massnahmen zur Arbeitsintegration gekürzt. Wer einmal im persönlichen Umfeld oder sogar selbst erlebt hat, wie schnell diese Zeit vorbei geht, und wie schnell jemand dann ausgesteuert wird, der kann nicht nachvollziehen, dass nachher in der Sozialhilfe nicht vermehrt etwas für die Arbeitsintegration getan wird.

Was könnte denn anders sein oder anders werden? – Was braucht es für die Zukunft?

Grundsätzlich müssen die Gelder, die zur sozialen und beruflichen Integration zur Verfügung stehen, wieder aufgestockt werden. Jeder Franken, der dort eingesetzt wird, ist eine Investition in die Zukunft. Darüber hinaus muss aber auch die Zusam-menarbeit zwischen den verschiedenen Be-teiligten (Regionale Arbeitsvermittlungs-stellen, Sozialämter, IV) verbessert werden. Der Bund hat diesem Bestreben, das unter dem Stichwort «Interinstitutionelle Zusam-menarbeit» läuft, grosses Gewicht gegeben. Allerdings ist in der Umsetzung noch nicht viel geschehen.

Aber ist Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt wirklich immer sinn-voll? Es gibt doch auch viele Men-schen, die gar nicht mehr in der Lage sind, in den ersten Arbeits-markt integriert zu werden.

Es ist tatsächlich so, dass es Menschen gibt, die von ihrer physischen und psychi-schen Situation her nicht mehr in der Lage sind, den heutigen Anforderungen im Be-rufsleben dauernd zu genügen. Für diese Menschen braucht es Berufsintegrations-programme zur Reintegration in den er-sten Arbeitsmarkt nicht.

Die hoffnungslosen Fälle lässt man liegen?

Nein, natürlich nicht. Auch diese Men-schen brauchen Halt in ihrem Alltag. Sie brauchen Schritte zur Integration in die Ge-sellschaft. Am Sinnvollsten ist es, wenn sie einen Arbeitsplatz haben, der ihren Mög-lichkeiten Rechnung trägt. Solche Arbeits-plätze müssen aber vom Gemeinwesen teil-finanziert werden – und damit sind wir wieder beim lieben Geld …

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Gut 230 000 Personen beziehen Sozialhilfe in der Schweiz, knapp 8000 im Kanton Luzern* – mehrheitlich Alleinerziehende, ausgesteuerte Arbeitslose oder Working Poor. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt hauptsächlich die Zahl der Sozialhilfebezüger. Und ihre wirt-schaftliche Situation. Wie lebt es sich mit Sozialhilfe?

15Text: Daniela Mathis; Bild: Silvia Voser 2/11 Nachbarn Caritas

Sozialhilfe: kaum Spielraum

977 Franken Sozialhilfe pro Monat für Ein-zelpersonen, 2090 Franken für einen Vier-Personen-Haushalt, das sind für den Kan-ton Luzern die offiziellen Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Definitiv festgelegt wird der Betrag durch die kantonale Sozialhilfebehörde.

Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz und ist dazu da, die Existenz zu sichern. Sie kann in Anspruch genommen werden, wenn alle übrigen Versicherungsleistungen (AHV, IV, ALV, Taggelder usw.) sowie an-dere Rechtsansprüche (wie Alimente) aus-geschöpft sind, das Einkommen trotzdem nicht reicht und Verwandte ebenfalls keine Unterstützung leisten können. Zudem darf die betroffene Person nicht mehr als 4000 Franken Vermögen besitzen. Was darüber liegt, muss erst aufgebraucht werden.

Die 977 Franken sollen den Grundbe-darf für den Lebensunterhalt sicherstellen wie Nahrungsmittel, Bekleidung, Gesund-

heits- und Körperpflege oder Verkehrs-ausgaben, Strom und Telefon. Die Woh-nungsmiete – im ortsüblichen Rahmen – hingegen und die Grundversicherung in der Krankenkasse werden vom Sozialamt mit eingerechnet. Zusätzliche Leistungen für beispielsweise Erwerbsunkosten sind zudem möglich.

Ausgrenzung statt IntegrationWie lebt es sich in der Schweiz am Exis-tenzminimum? Viele der Betroffenen sagen, dass man sich mit so wenig Geld so einiges vom Mund abspart und kaum am sozialen Leben teilnehmen kann. Es sei ein Leben auf Sparflamme. Es fehle jeder Spielraum. Die Einsamkeit ist gross wie das Tabu, da-rüber zu sprechen. Man nimmt kaum mehr an Aktivitäten teil, die für die anderen in unserer Gesellschaft als normal gelten, wie Kino, Zoobesuch, Rundfahrt auf dem Schiff oder Besuch eines Fussballmatchs. Man ist

praktisch in die eigenen vier Wände ver-bannt, oft einsam. Ferner bekommen viele gesundheitliche oder psychische Probleme.

Die Motivation hochzuhalten, aus die-ser Situation wieder herauszukommen, ist häufig schwierig und braucht einen langen Atem. Nicht zuletzt torpediert die Lage auf dem Arbeitsmarkt oft die Anstrengungen der Sozialhilfebeziehenden, vorwärtszu-kommen: Die Arbeitsstellen sind entweder schlecht bezahlt, sodass man weiterhin auf Unterstützung angewiesen ist, oder es gibt keine entsprechenden Stellen.

Die Sozialhilfe ist dazu da, ein Leben am Existenzminimum zu ermöglichen. Vorgesehen ist die Sozialhilfe nur als Über-brückung, bis wieder eine Arbeit gefunden wurde oder eine Rente bezogen wird. Doch es können durchaus einige Monate verge-hen, bis man einen Weg aus der Sozialhilfe findet.

* Bundesamt für Statistik, Sozialhilfe 2009

Sozialhilfe erhalten auch bedürftige Asylsuchende während der Dauer des Asylverfahrens, anerkannte Flücht-linge und vorläufig Aufgenommene.

Während die beiden letztgenannten gleich viel Sozialhilfe erhalten wie die einheimische Bevölkerung, bekommen Asylsuchende durchschnittlich etwa 70 Prozent des SKOS-Ansatzes. Da-von müssen sie ihren Grundbedarf für den Lebensunterhalt wie Verpflegung finanzieren sowie Produkte für den täglichen Bedarf wie Zahnpasta oder Seife und allfällige Fahrkosten.

Sozialhilfe im Asylbereich

Einkauf im Lebensmittelladen: Schlemmen liegt nicht drin.

Page 16: Nachbarn 2/2011

16 Caritas Nachbarn 2/11 Interview & Bild: Urs Odermatt

Caritas Luzern

Nachgefragtbei Thomas Stalder, Arbeitsintegration Caritas Luzern in Sursee.

Als Freiwillige bei der Caritas Luzern lernen Sie Menschen mit anderen Per-spektiven kennen und helfen ihnen bei der sozialen Integration.

Frau aus Myanmar möchte Unter-stützung beim Deutschlernen (S464)Die Frau ist mit den sechs Kindern 2009 (Familiennachzug) in die Schweiz ein-gereist und lebt in Grosswangen. Trotz grosser Anstrengungen und dem Be-such von Kursen ist die deutsche Spra-che für sie noch immer sehr schwierig. In regelmässigen Treffen und Gesprä-chen mit einer Frau möchte sie mehr über die Schweiz erfahren und ihre Deutschkenntnisse verbessern.

Deutsch üben zur beruflichen Inte-gration (S463)Gespräche auf Deutsch sind mit der Frau bereits gut möglich. Um sich be-ruflich in der Schweiz zu integrieren und hiesige Gepflogenheiten kennenzuler-nen, möchte sie sich regelmässig mit einer Freiwilligen zum Gespräch treffen. Sie lebt seit drei Jahren in der Schweiz, hat bereits das Sprachniveau B1 er-reicht und besucht derzeit einen weite-ren Deutschkurs. Im Herkunftsland ar-beitete sie im Gesundheitsbereich und möchte sich darin weiterbilden, um hier beruflich Fuss fassen zu können.

Wie lebt man in Somalia? Und wie in Reiden? (C484)In der Wohngemeinschaft kann der Mann seine Deutschkenntnisse nicht anwenden, denn er wohnt mit anderen Somaliern zusammen. Um aber das Ge-lernte üben zu können, braucht er je-manden, der mit ihm spricht, mit ihm diskutiert und ihm vom Leben in der Schweiz erzählt. Auch er hat viel aus seiner Heimat zu berichten. Der Mann würde sich freuen, wenn er mehr Kon-takt zu Menschen aus der Schweiz ha-ben könnte. Sind Sie interessiert?

Haben Sie einen Einsatz gefunden? Auf unserer Website finden Sie weitere Einsatzmöglichkeiten und viele zu- sätzliche Informationen. www.caritas-luzern.ch/freiwillige

Freiwilligenarbeit

Gerade bei längerer Arbeitslosig-keit gibt es finanzielle und weitere Probleme, es besteht auch das Ri-siko einer Verschuldung. Welches sind deine Erfahrungen in eurem Betrieb?

Arbeitslose und ausgesteuerte Men-schen kommen zu uns in die Beschäfti-gungsprogramme für eine Dauer von zwei bis zwölf Monaten. Mit der Anmeldung er-halten wir einen Lebenslauf sowie in we-nigen Fällen einen Vermerk zu Sucht oder Gesundheit. Aufgrund dieser Angaben können wir die finanzielle Situation un-serer Programmteilnehmenden aber nicht abschätzen.

Die Versicherungsleistung bei einer Ar-beitslosigkeit beträgt 70 respektive 80 Pro-zent des letzten Jahreseinkommens. Bei ei-ner Aussteuerung steht dem Betroffenen ein nach SKOS-Richtlinien berechnetes Existenzminimum zur Verfügung. Es be-steht also durchaus die Gefahr, dass bei län-ger andauernder Arbeitslosigkeit und re-duziertem Einkommen das Risiko einer Verschuldung stark zunimmt.

Wie erkennst du, dass jemand Pro-bleme hat?

Das ist ganz unterschiedlich. Ich erlebe Menschen, die bei der Arbeit ständig abge-lenkt wirken, vermehrt gestresst telefonie-ren, gereizter reagieren, niedergeschlagen wirken oder überfordert sind. Oft haben sie das Geld für den Arbeitsweg nicht mehr und können dadurch nicht zur Arbeit er-scheinen. Solche Leute spreche ich an. An-dere Leute kommen direkt zu mir und

klagen über die scheinbar ausweglose Si-tuation, in der sie stecken.

Es ist ja nicht deine Aufgabe, Bud-getberater oder Schuldensanierer zu sein. Was kannst du machen?

Damit ich entscheiden kann, ob ich ei-nen Termin bei der Sozialberatung anbiete, versuche ich mir im Gespräch mit der be-treffenden Person ein Bild über ihre Situa-tion zu machen. Dabei geht es mir vor allem darum, herauszufinden, was das Kernpro-blem ist, wer bereits involviert ist und wa-rum das Problem jetzt akut ist. Ich versuche einzuschätzen, ob in der Situation eine wei-tere Stelle einzubeziehen sinnvoll ist oder ob die betreffende Person das Problem mit den bereits involvierten Institutionen klären soll.

So habe ich die Grundlage, um zu ent-scheiden, ob ich die Möglichkeit eines Ter-mins bei der Sozialberatung der Caritas Lu-zern vorschlage.

Finden es die Menschen schwierig, wenn du sie an die Sozialberatung verweist?

Alle, die ich letztes Jahr an die Sozi-alberatung verwiesen habe, reagierten durchwegs positiv. Sie fanden es sehr un-terstützend, dass in der Sozialberatung ihre Situation analysiert wurde und sie in un-terschiedlichen Formen Unterstützung er-hielten. Das kann vom Erstellen eines Bud-gets über einen klärenden Kontakt zu einer involvierten Institution sein. Vielleicht hat die Person ihr zustehende Ansprüche nicht geltend gemacht. Auch wurden vereinzelt dringende offene Rechnungsbeträge be-zahlt oder die Leute erhielten eine Unter-stützung zur Existenzsicherung, um die Si-tuation nicht zu verschlimmern.

Wie eng arbeitest du in der Folge mit der Sozialberatung zusammen?

Ich erhalte allenfalls eine Rückmel-dung, wenn wir als Betrieb auf etwas Be-stimmtes achten sollen. Ansonsten ist in den jeweiligen Fällen keine weitere Zusam-menarbeit notwendig.

Page 17: Nachbarn 2/2011

Nutzen und Mehrwert der NaturalspendeWeshalb Computer nach nur vier Jahren ausgemustert werden und ein aufstrebendes Unternehmen aus dem Kanton Zürich diese der Caritas Luzern spendet.

17Text: Daniela Mathis; Bild: Caritas Luzern 2/11 Nachbarn Caritas

Nach vier Jahren Betriebsdauer erfüllen Computer die an sie gestellten Ansprüche nicht mehr. «Für die täglichen Anforderun-gen im Spitalbetrieb reicht deren Leistung und Schnelligkeit nicht mehr aus. Daher werden sie regelmässig ausgewechselt», er-klärt Christian Hagen, Leiter Einkauf bei Logicare AG. «Und sogleich stellt sich die Frage, was mit den alten geschieht. In der Regel funktioniert ein PC zu dem Zeit-punkt aber immer noch gut und ist für den privaten Gebrauch ausreichend leistungsfä-hig. Die Idee, sie einfach zu entsorgen, hat uns daher nie befriedigt. Es ist eine Ver-schwendung von Ressourcen und keines-wegs nachhaltig.»

Die vor fünf Jahren gegründete Logi-care AG in Dübendorf (ZH) wechselt bei ihrer Kundschaft, Spitäler sowie Spitex und Diagnostikunternehmen, jährlich rund 500 Computer aus. «Was tun damit? Ich suchte länger nach einem passenden und vertrau-enswürdigen Partner, bei dem Logicare die noch brauchbaren Geräte in guten Händen weiss.» Dabei stiess Christian Hagen auf die Caritas Luzern. Schnell ergab sich eine

kantonsübergreifende Zusammenarbeit, in der Nutzen und Mehrwert dieser Na-turalspende beiden Seiten zugutekommt: Logicare muss einerseits keine funktionie-renden Computer entsorgen, andererseits hat sie keinen Aufwand mit der Lieferung, denn die Geräte werden von der Caritas Luzern abgeholt. Dieser Service wird un-ter anderem durch Stellensuchende in den Beschäftigungsprogrammen geleistet, wel-che die PCs anschliessend in den Caritas-eigenen Werkstätten reinigen, kontrollie-ren, zusammensetzen und «zum Laufen» bringen. Denn sie erhalten jeweils eine Er-satz-Festplatte: Bevor die PCs an die Cari-tas Luzern gespendet werden, baut die Logi-care aus Sicherheitsgründen die Festplatte in jedem einzelnen Computer aus. «Das ist das sicherste Vorgehen, damit keine Daten weitergegeben werden. Schliesslich handelt es sich um höchst sensible Patientendaten, und die unterliegen besonders strengen re-gulatorischen Vorgaben», präzisiert Chris-tian Hagen.

Die Computer gelangen in der Folge in den Schulungsräumen der Caritas Luzern zum Einsatz; Stellensuchende in den Be-schäftigungsprogrammen eignen sich da-rauf beispielsweise ihre ersten PC-Kennt-nisse an oder schreiben Bewerbungen. Oder die so verkaufbar gemachten PCs werden als komplettes und funktionierendes Set inklusive Maus und Tastatur in den Cari-tas-eigenen Läden in Luzern, Sursee oder Hochdorf zu einem fairen Preis weiterver-kauft. Den Erlös setzt die Caritas Luzern wiederum ein, um Zentralschweizerinnen und Zentralschweizer in einer Notlage zu unterstützen und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen.

Mit Ihrer Naturalspende unterstützen Sie die Caritas Luzern. Informationen rund um die Natural-spende finden Sie auf www.naturalspenden.ch

Daniel von Holzen, Betriebsleiter Naturalspenden, berät Sie gerne:Tel. 041 368 52 23 E-Mail [email protected]

Spendenkonto PC 60–4141–0

Naturalspenden

Logicare vereinigt Wissen über die Abläufe im Gesundheitswesen mit Kenntnissen der technologischen Möglich-keiten. Daraus entstehen ganzheitliche Lösun-gen für Informatikanforderungen im Gesund-heitswesen. Das expandierende Unternehmen mit seinen rund 60 Mitarbeitenden, die aus der Informatik und dem Spitalwesen stammen, bie-tet Leistungserbringern wie Spitälern, Spitex- oder Diagnostikinstitutionen den Betrieb der Informatik mit entsprechendem Support, Bera-tung, Projekte für individuelle und flexible IT-Lösungen sowie Schulungen im IT- und im Ge-sundheitsbereich. Über 4000 Benutzer werden von Logicare betreut.

Ein Teilnehmer des Arbeitsintegrationsprogramms der Caritas Luzern bereitet einen von Logicare AG gespendeten Computer auf.

Page 18: Nachbarn 2/2011

«Wir teilen geistige und materielle Werte miteinander»

Schwester Anna Affolter ist Mitglied der Generalleitung des Klosters Ingenbohl. Sie entschied sich mit 20 Jahren, dem Orden beizutreten. Nach ihrer Tätigkeit als Sozialbe-raterin für Fahrende bei der Caritas Zürich wurde sie nach Ingenbohl be-rufen. Heute besucht die 50-Jährige die Vertretungen ihres Ordens in der ganzen Welt.

Persönlich

Was würden Ihre Nachbarn über Sie sagen? Ich höre, ich sei einfühl-sam, freundlich, zugänglich und humor-voll. Aber meine Nachbarn stellen sicher auch fest, dass ich hin und wieder mit der Zeiteinteilung im Konflikt bin.

Wann sind Sie glücklich? Immer, wenn andere mir sagen, dass sie sich von mir wertgeschätzt und verstanden fühlen. Glücklich machen mich aber auch Natur-erlebnisse wie ein Sonnenuntergang, die Unendlichkeit des Meeres, die Natur beim Wandern. Solche Erfahrungen lassen mich zur Ruhe kommen, bringen mich in Berüh-rung mit Gott.

Wie haben Sie das letzte Mal jeman-dem geholfen? Heute Morgen half ich einer betagten Schwester, die sich in mein Büro verirrte. Am Arm mir einhakend begleitete ich sie zu ihrem Zimmer zwei Stockwerke tiefer. Als sie ihr Zimmer wie-

dererkannte, leuchtete ihr Gesicht vor Er-leichterung auf.

Welches Erlebnis hat Sie besonders geprägt? Mein Einsatz in einem Alters-heim, den ich während meiner Seminaraus-bildung machte. Dort kam ich das erste Mal in Kontakt mit Schwestern, die mich an wichtige Lebensfragen heranführten und meinem Leben eine Perspektive gaben. Da-rauf entschloss ich mich, ins Kloster zu ge-hen.

Was stimmt Sie zuversichtlich? Das Gefühl, nicht alleine zu sein, nicht alles alleine machen zu müssen. Ich habe Mit-kämpferinnen in meiner Gemeinschaft und viele Kontakte auch über die Gemeinschaft hinaus, mit denen ich die gleichen Werte teile und mich für die gleichen Ziele ein-setze.

Woher stammen Ihre Werte? Ein Teil von meiner Familie und ein Teil aus dem Evangelium. Ein wichtiges Bild sind für mich die Jünger und Jüngerinnen, die mit Jesus unterwegs waren. Sie haben Hab und Gut, Freud und Leid geteilt, waren fürei-nander und für andere da. Danach lebt un-ser Orden immer noch: Wir teilen geistige und materielle Werte miteinander.

Welche Sünde begehen Sie mit Freude? Also in grossen Abständen kommt es vor, dass ich in einer einzigen Nacht einen Krimi von vorne bis hinten durchlese …

Caritas Nachbarn 2/11 Bild: zvg18

Page 19: Nachbarn 2/2011

Vor drei Jahren bin ich durch eine Kolle-gin auf das Mentoringprogramm «incluso» aufmerksam geworden. Sie begleitete wäh-rend eines Jahres eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche und erzählte mir da-von. Ich fand das spannend und meldete mich bei Caritas Zürich. Bei einem Treffen erklärte mir die Verantwortliche das Pro-gramm, den Ablauf und die Aufgaben der Mentoren. «incluso» hat mich überzeugt und Mentoring als Form der Zusammenar-beit finde ich sehr sinnvoll. Mir sagte auch zu, dass die Dauer des Engagements als Mentorin im Voraus definiert ist und dass die Zusammenarbeit ein konkretes Ziel hat: eine Lehrstelle oder eine Anschlusslösung finden.

Ein offenes Ohr habenMeine erste Mentee war Andreia. Sie ist 16 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Por-tugal. Ihr Wunsch: eine KV-Lehrstelle. In unserem ersten Gespräch haben wir die Er-wartungen, die wir aneinander haben, ge-klärt. Für mich sind Verbindlichkeit und Pünktlichkeit wichtig. Andreia ist seit klein auf in der Schweiz und spricht Schweizer-deutsch. Das ist nicht bei allen Mentees so. Vom Wesen her ist sie eher schüchtern und zurückhaltend. Ich musste mir zuerst ei-nen Zugang zu ihr verschaffen und ihr Ver-trauen gewinnen. Mit der Zeit öffnete sie sich. Gemeinsam haben wir geklärt, für welche Berufe sie sich interessiert und eig-net, die Bewerbungsunterlagen zusammen-gestellt und in Rollenspielen Telefon- und Vorstellungsgespräche geübt. Als dann die erste Einladung zu einem Vorstellungsge-spräch kam, haben wir auch gemeinsam ih-ren Kleiderschrank nach einem geeigneten Outfit durchstöbert – das war lustig.

Mit Andreia habe ich mich entweder in einem Café in der Stadt oder auch bei ihr zu Hause getroffen. Zu Beginn haben wir uns alle zwei Wochen für jeweils eineinhalb

bis zwei Stunden getroffen. Mit der Zeit re-duzierten sich die persönlichen Treffen auf ein Mal pro Monat und wir haben daneben via E-Mail miteinander kommuniziert: An-dreia mailte mir ihre Bewerbungsschrei-ben und ich gab ihr ein Feedback dazu. Als Mentorin bin ich vor allem Coach und Motivatorin. Es gibt Phasen, da bekommen die Jugendlichen nur Absagen. Dann muss man die Mentees motivieren, aufmuntern zum Weitermachen.

Austausch mit den anderen Mento-rinnen und Mentoren«incluso» bietet regelmässig Erfahrungs-austausch-Treffen an. Der Austausch mit den anderen Mentorinnen und Mentoren ist für mich sehr wertvoll und nützlich. Man hört einerseits, wie es anderen Tan-dems ergeht und wo sie anstehen, kann sich aber auch gegenseitig Tipps geben und Kontakte vermitteln. Das «incluso»-Team steht uns während der gesamten Pro-grammdauer beratend und unterstützend zur Verfügung. Sie organisieren beispiels-weise einen Bewerbungsworkshop und ei-

«Als Mentorin bin ich Coach und Motivatorin»Als freiwillige Mentorin begleitet Desirée Natter bei «incluso» zum zweiten Mal eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche. Sie erzählt, wie sie zu diesem Engagement gekommen ist und was ihre Aufgaben sind.

nen gemeinsamen Besuch im Berufsinfor-mationszentrum.

Nun begleite ich bereits die zweite Men-tee bei der Suche nach einer Lehrstelle. Sie heisst Sevgi, ist Kurdin und 15 Jahre alt. Ihr Berufswunsch: Fachangestellte Gesundheit.

Es ist spannend und eine grosse Berei-cherung, so nah am Leben einer Jugend-lichen zu sein und so auch mehr über de-ren Kultur zu erfahren.

Caritas-Netz

Text: Sima Mangtshang; Bild: Urs Siegenthaler 2/11 Nachbarn Caritas 19

Engagieren Sie sich!Im Durchgangszentrum für Asylsuchende

suchen wir eine Person, die junge Erwachsene

alphabetisiert. Denn trotz grosser Fluktuation

ist es sinnvoll, wenn sie die Gelegenheit erhal-

ten, schreiben und lesen zu lernen. Das He-

rantasten an die Deutsche Sprache findet in

kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen

statt. Einsatz: ein- bis zweimal wöchentlich

circa eine Stunde. (C535)

Melden Sie sich: Tel. 041 368 52 85 oder

E-Mail [email protected]

Page 20: Nachbarn 2/2011

Der Umgang mit Velos hat bei den Arbeits-integrationsprogrammen der Caritas Lu-zern einen grossen Stellenwert. Da sind zum einen die Velodienste in Luzern und Sursee. Im Auft rag der Städte halten Pro-grammteilnehmende einen Veloordnungs-dienst aufrecht. Sie verschieben falsch par-kierte Velos auf Ersatzplätze und sortieren besitzerlose Velos aus, sammeln sie ein und melden sie der Polizei. In Sursee geschieht dies im Bereich des Bahnhofs, in Luzern in der gesamten Innenstadt und besonders rund um den Bahnhof.

Daneben betreiben die Velodienste in Luzern eine bewachte Velostation, wo Bahnkunden ihre Velos sicher und ge-schützt parkieren können. Hier werden auch kleinere Servicearbeiten sowie das Putzen der Velos angeboten. Die Velosta-tion erledigt auch das Vermieten von Rent-a-Bike-Velos und nimmt selbst ausgediente Velos zur Wiederverwertung an.

Im Caritas-Betrieb Littau werden de-fekte Fahrräder demontiert. Die Einzelteile gelangen per Container zu Partnerbetrie-ben nach Afrika, wo sie wieder bedarfsge-recht als Velos zusammengebaut werden. Gut erhaltene Fahrräder kommen in den Caritas-eigenen Secondhand-Läden in den Verkauf.

20 Caritas Nachbarn 2/11 Texte: Daniel Grossenbacher, Urs Odermatt; Bilder: Caritas Schweiz, Caritas Luzern

Caritas-Netz

Velodienste LuzernHilfeleistung, die Freude und fi t macht

Bergbauernfamilien sind auch in der Schweiz besonders harten und unwirt-lichen Bedingungen ausgesetzt: Ihr Land ist schwer zugänglich, die Winter sind lang und kalt, der Ertrag entsprechend mager. Ihr Einkommen bewegt sich trotz Beiträgen der öff entlichen Hand oft am Existenzmini-mum. Manche können sich nur knapp über Wasser halten, denn wirklich gewinnbrin-gende Aktivitäten gibt es kaum. Die Ar-beitsbelastung der Familien ist sehr hoch, weil vieles noch von Hand gemacht wer-den muss.

«Caritas-Bergeinsatz» vermittelt seit 30 Jahren soziale Einsätze im Berggebiet: Freiwillige unterstützen Bergbauernfami-lien in Not bei der täglichen Arbeit auf dem Hof. Mit diesen Einsätzen will Caritas ne-ben der Entlastung für die Bergbauernfami-lien auch sinnvolle und bedürfnisgerechte Betätigungsfelder für Freiwillige schaff en. Die Begegnung zwischen den Freiwilligen, die meist in der Stadt leben, und den Berg-

bauern führt zu einem gelebten Kulturaus-tausch zwischen sehr unterschiedlichen Le-bensweisen. Und bringt den interessierten Helferinnen und Helfern neben Abwechs-lung zum Büroalltag auch die einmalige Berglandschaft der Schweiz näher.

Die Anmeldung zu einem Bergein-satz ist per Internet möglich – interessierte Freiwillige können aus über hundert ver-schiedenen Einsatzmöglichkeiten in allen Bergregionen der Schweiz auswählen. Je-der Einsatz dauert mindestens eine Woche und kann direkt online gebucht werden.

www.bergeinsatz.ch

Bei den «Caritas-Bergeinsätzen» unterstützen Freiwillige in Not geratene Bergbauernfamilien bei der täglichen Arbeit auf dem Hof.

Kulturaustausch zwischen zwei sehr unterschiedlichen Lebensweisen: Bergbauer und Freiwillige.

Die Mitarbeitenden der Velodienste übernehmen eine wichtige Aufgabe zugunsten der Allgemeinheit.

Velostation beim Bahnhof Luzern

Page 21: Nachbarn 2/2011

Fotografi e

Vor 20 Jahren …

21

Als anfangs der 1980er-Jahre die ersten Menschen aus Sri Lanka vor dem Bürgerkrieg fl ohen und in die Schweiz kamen, hatten viele Angst vor den dunkelhäutigen Menschen, die oft am Bahnhof anzutreff en waren. Man bezeichnete sie als Wirtschaft sfl üchtlinge, die hier nur profi tieren wollten. Heute schätzt man sie gerade im Gastgewerbe – weil sie jene Arbeit machen, für die andere sich zu schade sind.

Bahnhof Luzern um 1991

Bild: Georg Anderhub 2/11 Nachbarn Caritas

Page 22: Nachbarn 2/2011

Kiosk

22 Caritas Nachbarn 2/11

Die überarbeitete Broschüre «Finan-zielle Probleme – Wohin wende ich mich?» richtet sich an Menschen mit Wohnsitz im Kanton Luzern, die we-gen fi nanzieller oder persönlicher Schwierigkeiten auf der Suche nach einer Beratung oder Unterstützung sind und sich über ihre rechtlichen Ansprüche informieren möchten.

Den kostenlosen Ratgeber können Sie bestellen unter Tel. 041 368 52 00 oder perE-Mail [email protected] durchblättern und als PDF-Dokument herunterladen auf www.caritas-luzern.ch

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_Finanzielle ProblemeWohin wende ich mich?

Informationen für den Kanton Luzern

Broschure.indd 1 30.08.11 08:54

Veranstaltungen

Benefi z: Theatergala 2011

Mit dem Singspiel «Im Weissen Rössl» von Ralph Benatzky laden CSS Versicherung und Caritas Lu-zern zur diesjährigen Theatergala.

Freitag, 28. Oktober 201119 Uhr mit anschliessendem Galabend Luzerner Theater

Herbstveranstaltung 2011 «Allerseelen»

Theres Spirig-Huber (Theologin, Supervisorin, Erwachsenenbildne-rin) im Gespräch mit dem Luzerner Filmemacher Edwin Beeler («Arme Seelen») und Freiwilligen aus den re-gionalen Gruppen zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender zu Jenseitsvorstellungen und -kontak-ten.

Mittwoch, 2. November 2011 19.30 UhrMarianischer Saal Bahnhofstrasse 18, Luzern

«Eine Million Sterne» 2011

«Eine Million Sterne» – die Solidari-tätsaktion mit Kerzenlichtern.

Samstag, 17. Dezember 2011 ab 16 UhrHofkirche Luzern und weitere Orte in der Innerschweiz

Informationen zu den Veranstaltungen fi nden Sie auf www.caritas-luzern.ch/events

Ori

ga

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Sip

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THEATERGALA 2011

Kurse

Bildungsangebot«Begleitung in der letzten Lebensphase»

Das neue Kursprogramm für die drei Grundkurse 2011/2012 – zwei in Luzern, einer in Nidwalden – ist da. Zudem fi nden wieder diverse Tages-kurse zu Themen rund um die Be-gleitung schwer kranker und ster-bender Menschen und deren Angehörigen statt.

ab Herbst 2011

Weitere Informationen aufwww.caritas-luzern.ch/begleitung

Bildungsangebot für Migrantinnen

Das Bildungsangebot für Migran-tinnen unterstützt die Bemühungen der Frauen um sprachliche, soziale und berufl iche Integration.

Die neuen Alphabetisierungs- und Deutschkurse sowie der Kurs «Kon-versation» starten im Oktober 2011.

ab Oktober 2011

Weitere Informationen zu den Kursen und Anmeldefristen auf www.caritas-luzern.ch/fbm

«Arme Kinder» – Thema des Sozialalma-nachs 2012 und des Caritas-Forums 2012«Arme Kinder» nimmt die Rahmenbedingungen für Kinder und Familien in der Schweiz genauer unter die Lupe. Die Beiträge setzen sich mit dem Ausmass und mit den verschiedenen Erscheinungsformen der Kinderarmut auseinander. Zudem stellen sie verschiedene Ansätze vor, um Kinderarmut wirkungsvoll vor-zubeugen. Reportagen aus dem Alltag armutsbetroffener Familien runden das Thema ab.

Sozialalmanach 2012. Schwerpunkt: Arme Kinder. Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz. Trends, Analysen, Zahlen. CHF 34.–, ca. 240 Seiten Bestellungen via Caritas Schweiz, Luzern, www.caritas.ch/shop

Caritas-Forum 2012: Freitag, 27. Januar 2012, Kultur-Casino Bern. Anmeldung und Detailprogramm auf www.caritas.ch/forum2012/d

Ratgeber

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Illustration: Tom Künzli; Bild: zvg 2/11 Nachbarn Caritas 23

Gedankenstrich Tanja Kummer

Tanja Kummer ist Schriftstellerin.

Ihr Erzählband «Wäre doch gelacht»

und andere Bücher sind im Zytglogge-Verlag erschienen.

2010 leitete die Autorin die Schreibwerkstatt «wir sind arm» der Caritas. Die so entstandenen

Texte können Sie nachlesen auf www.wir-sind-arm.ch.

Herr Nessuno findet Schulden das Hin-terallerletzte. Er gibt möglichst kein Geld aus, vor allem nicht für Unsinn wie ein Buch oder Ferien. Einmal hat er aus einer ihm heute unerklärlichen Laune heraus ei-nen dunkelgrünen Tirolerhut aus Filz ge-kauft. Nun muss er ihn immer tragen, auch wenn es süttig heiss ist – das ist die Strafe, die er sich für seine Laune ausgedacht hat.

Über Leute, die nicht ganz genau wis-sen, ob ihre finanziellen Mittel auch bei je-dem erdenklichen Notfall ausreichen wür-den, kann er nur den Kopf schütteln: Es kann doch jeder jeden Tag in horrende Schulden schlittern! Man stelle sich nur vor, man würde die Stelle verlieren! Herr Nes-suno findet alle Menschen ausser sich un-zurechnungsfähig und meidet darum zwi-schenmenschliche Kontakte. Bei Kontakten entstehen ja auch Schulden, weil man sich Dinge verspricht: ein Rezept, einen Gefal-len oder Gefühle, am Ende noch Liebe oder gar das Zeugen eines Kindes! So kann man sich lebenslängliche Schulden aufladen! Herr Nessuno nimmt nach der Arbeit so-

gar den Abfall mit nach Hause, damit er der Putzfrau nichts schuldig bleibt, und fühlt sich grundsätzlich unschuldig. Bis zu dem Tag, an dem er auf seine Firma zugeht und ausrutscht – das auf den Boden gepinselte Firmenlogo ist frisch gestrichen worden. Jetzt zeichnet sich Herr Nessunos Fussab-druck in der weissen Farbe ab, das bedeu-tet, er ist dem Maler etwas schuldig, min-destens eine Entschuldigung! Ihm stockt der Atem, sein Blut hört auf zu fliessen und dann – erstarrt Herr Nessuno. Aus seinen Füssen wachsen Wurzeln und sein Körper wird zum dicken Baumstamm. Die Mit-arbeiter wundern sich über den seltsamen Baum, der auf einmal vor der Firma steht. «Seine Blätter sind starr wie dunkelgrüner Filz, die bewegen sich nicht im Wind!», ruft jemand, und eine andere Stimme sagt: «Das ist kein schöner Baum, an dem ist über-haupt nichts lebendig!» Das ist das Letzte, was je über den Baum gesagt wird. Dann beachtet ihn niemand mehr. Es ist, als ob es ihn gar nicht geben würde.

Kein Blatt im Wind

Page 24: Nachbarn 2/2011

Grosser Weihnachtsverkauf

LuzernBleicherstrasse 10

HochdorfLavendelweg 8

SurseeMünchrütistrasse 14

Samstag, 5. November

Punsch und Guetzli20 Prozent auf das ganze Sortimentin Luzern, Sursee und HochdorfVom 2. bis 5. November 2011

Das andere Warenhaus für alle www.caritas-luzern.ch