NACHRICHTEN BÜCHER & PERSONENLEHRE...

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KAUFHOLD 18 KU Agora Frühes Christentum im Originalton Einen Einblick in die Institutionalisierung des frühen Chri- stentums bieten kirchenrechtliche Texte aus dem christ- lichen Orient des 5. und 6. Jahrhunderts, welche die For- schungsstelle Christlicher Orient mit Förderung der DFG in einem dreijährigen Projekt erforscht. Von Andreas Ellwardt u. Hubert Kaufhold W ie alle menschlichen Gemein- schaften bedarf auch die Kir- che näherer Regelungen ihres inneren Lebens. Ansätze dafür finden sich schon im Neuen Testament, vor allem in den Paulusbriefen. Im Laufe der ersten Jahrhunderten entstanden im Osten mehrere „Kirchenordnun- gen“, die unter anderem Vorschriften für das Gemeindeleben, für die kirch- lichen Feiern, die Ämter oder die Sa- kramente umfassen. Die ältesten ge- ben sich als von den Aposteln verfasst aus, sind also „pseudo-apostolisch“. Es handelt sich aber nicht um plumpe Fälschungen. Ihre Verfasser glaubten sicherlich, darin apostolisches Gedan- kengut zu überliefern. Die älteste er- haltene Kirchenordnung ist die grie- chisch verfasste „Lehre (griech.: Dida- che) der zwölf Apostel“, die aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts stammen dürfte. Wesentlich umfangreicher ist die in Syrien entstandene „Lehre (griech.: Didaskalia) der zwölf Apo- stel“ vom Anfang des dritten Jahrhun- derts. Auch sie wurde griechisch ge- schrieben, ist vollständig aber nur in syrischer Übersetzung erhalten. Die sogenannte „Apostolische Überliefe- rung“ (Traditio apostolica) ist in ihrer ursprünglichen griechischen Form nicht erhalten, sondern lässt sich al- lenfalls aus einer Reihe von sehr unterschiedlichen Bearbeitungen er- schließen, die in mehreren Sprachen im gesamten Orient verbreitet sind. D ie wichtigste Sprache der frühen Christenheit war die griechische. In ihr wurden damals die maß- geblichen theologischen Werke ver- faßt. Neben dem Griechischen gab es aber weitere bedeutende Literatur- sprachen, derer sich die Christen im Orient bedienten. Es seien hier nur drei genannt: das (Alt-)Syrische, eine semitische Sprache (nicht zu verwech- FORSCHUNG NACHRICHTEN BÜCHER & PERSONEN LEHRE seln mit der heute im Staat Syrien ge- sprochenen Sprache, dem Arabi- schen), das Koptische, die letzte Stufe der alten ägyptischen Sprache (mit griechischen Buchstaben geschrieben) und das Äthiopische, ebenfalls eine semitische Sprache. Nach der Aus- breitung des Islams im 7. Jahrhundert wurden das Koptische und Syrische allmählich vom Arabischen abgelöst, in das dann ein großer Teil der vor- handenen christlich-orientalischen Li- teratur übersetzt wurde. E s wird im Abendland häufig ver- gessen, daß der arabischsprachige Kulturkreis, bei uns meist als „is- lamische Länder“ bezeichnet, auf eine lange christliche Tradition – vor dem Islam und neben ihm – zurückblicken kann und dass dort noch jetzt boden- ständige Christen leben. Sie sind in arabischer Sprache bis heute litera- risch tätig. Die Literaturen in den ge- nannten und anderen orientalischen Sprachen sind deshalb von großer Be- deutung, weil sie zum einen Werke überliefern, deren griechische Vorla- gen verloren gegangen sind, zum an- deren, weil in den orientalischen Spra- chen zahlreiche Originalwerke über Theologie, Geschichte, Recht u. a. ge- schrieben wurden. Viele davon sind bisher nicht gedruckt, geschweige denn in eine europäische Sprache Das Pauluskloster in Ägypten am Roten Meer. In diesem und anderen koptischen Klöstern Ägyptens fin- den sich zahlreiche koptische und arabi- sche Handschriften.

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KAUFHOLD

18 � KU Agora

Frühes Christentum im OriginaltonEinen Einblick in die Institutionalisierung des frühen Chri-stentums bieten kirchenrechtliche Texte aus dem christ-lichen Orient des 5. und 6. Jahrhunderts, welche die For-schungsstelle Christlicher Orient mit Förderung der DFG ineinem dreijährigen Projekt erforscht.

�Von Andreas Ellwardt u. Hubert Kaufhold

Wie alle menschlichen Gemein-schaften bedarf auch die Kir-che näherer Regelungen ihres

inneren Lebens. Ansätze dafür findensich schon im Neuen Testament, vorallem in den Paulusbriefen. Im Laufeder ersten Jahrhunderten entstandenim Osten mehrere „Kirchenordnun-gen“, die unter anderem Vorschriftenfür das Gemeindeleben, für die kirch-lichen Feiern, die Ämter oder die Sa-kramente umfassen. Die ältesten ge-ben sich als von den Aposteln verfasstaus, sind also „pseudo-apostolisch“.Es handelt sich aber nicht um plumpeFälschungen. Ihre Verfasser glaubtensicherlich, darin apostolisches Gedan-kengut zu überliefern. Die älteste er-haltene Kirchenordnung ist die grie-chisch verfasste „Lehre (griech.: Dida-che) der zwölf Apostel“, die aus demAnfang des 2. Jahrhunderts stammendürfte. Wesentlich umfangreicher ist

die in Syrien entstandene „Lehre(griech.: Didaskalia) der zwölf Apo-stel“ vom Anfang des dritten Jahrhun-derts. Auch sie wurde griechisch ge-schrieben, ist vollständig aber nur insyrischer Übersetzung erhalten. Diesogenannte „Apostolische Überliefe-rung“ (Traditio apostolica) ist in ihrerursprünglichen griechischen Formnicht erhalten, sondern lässt sich al-lenfalls aus einer Reihe von sehrunterschiedlichen Bearbeitungen er-schließen, die in mehreren Sprachenim gesamten Orient verbreitet sind.

Die wichtigste Sprache der frühenChristenheit war die griechische.In ihr wurden damals die maß-

geblichen theologischen Werke ver-faßt. Neben dem Griechischen gab esaber weitere bedeutende Literatur-sprachen, derer sich die Christen imOrient bedienten. Es seien hier nurdrei genannt: das (Alt-)Syrische, einesemitische Sprache (nicht zu verwech-

F O R S C H U N GN A C H R I C H T E N B Ü C H E R & P E R S O N E NL E H R E

seln mit der heute im Staat Syrien ge-sprochenen Sprache, dem Arabi-schen), das Koptische, die letzte Stufeder alten ägyptischen Sprache (mitgriechischen Buchstaben geschrieben)und das Äthiopische, ebenfalls einesemitische Sprache. Nach der Aus-breitung des Islams im 7. Jahrhundertwurden das Koptische und Syrischeallmählich vom Arabischen abgelöst,in das dann ein großer Teil der vor-handenen christlich-orientalischen Li-teratur übersetzt wurde.

Es wird im Abendland häufig ver-gessen, daß der arabischsprachigeKulturkreis, bei uns meist als „is-

lamische Länder“ bezeichnet, auf einelange christliche Tradition – vor demIslam und neben ihm – zurückblickenkann und dass dort noch jetzt boden-ständige Christen leben. Sie sind inarabischer Sprache bis heute litera-risch tätig. Die Literaturen in den ge-nannten und anderen orientalischenSprachen sind deshalb von großer Be-deutung, weil sie zum einen Werkeüberliefern, deren griechische Vorla-gen verloren gegangen sind, zum an-deren, weil in den orientalischen Spra-chen zahlreiche Originalwerke überTheologie, Geschichte, Recht u. a. ge-schrieben wurden. Viele davon sindbisher nicht gedruckt, geschweigedenn in eine europäische Sprache

Das Pauluskloster inÄgypten am Roten

Meer. In diesem undanderen koptischen

Klöstern Ägyptens fin-den sich zahlreiche

koptische und arabi-sche Handschriften.

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übersetzt worden, sondern liegen nurin Handschriften vor. Die frühen grie-chischen Rechtsquellen, zu denen abdem 4. Jahrhundert noch die Ent-scheidungen kirchlicher Synoden ka-men, wurden ebenfalls schon bald indie orientalischen Sprachen übersetzt.Man stellte sie – unverändert oder be-arbeitet – auch zu größeren Sammlun-gen zusammen. Das bekanntesteSammelwerk sind die griechischen„Apostolischen Konstitutionen“, dieaus acht Büchern bestehen. Die erstensechs beruhen auf der „Didaskalia“,das siebte auf der „Didache“ und dasachte auf der „Apostolischen Tradi-tion“; angehängt sind die „Apostoli-schen Kanones“, die sich an Synodal-entscheidungen anlehnen. An Samm-lungen, die nur in orientalischen Spra-chen vorliegen, sind vor allem der sog.Octateuchus Clementinus (syrisch,arabisch) und der „Synodos“ derägyptischen Kirche (koptisch, ara-bisch, äthiopisch) zu nennen.

Diese kirchenrechtlichen Quellensind nicht nur aus theologischerund kirchenrechtlicher Sicht von

großem Interesse, sondern auch aussozialwissenschaftlicher, stellen siedoch geradezu einen Modellfall fürdie fortschreitende Organisation undInstitutionalisierung der Ausdehnungeines sozialen Systems, nämlich derKirchen, dar. Sie sind noch längstnicht ausreichend erforscht. Es fehltnicht nur weithin an inhaltlichenUntersuchungen, sondern bereits anverlässlichen Textausgaben und Über-setzungen der unterschiedlichen Wer-ke, ohne die jede weitere Forschungauf tönernen Füßen steht. Das seitdem 1. Juni laufende Projekt „Orien-talische Quellen zum Kirchenrecht“bezweckt die Edition und Überset-zung der pseudo-apostolischenSchriften in der arabischen Überliefe-rung der ägyptischen (koptischen)Kirche.

Der erste Schritt bestand darin,Kopien der in europäischen Bi-bliotheken (Oxford, Birming-

ham, London, St. Petersburg, Paris,Rom), aber auch im Orient (Mar-din/Südtürkei, Aleppo, Kairo und inägyptischen Klöstern) vorhandenenHandschriften zu beschaffen. Es sindnicht weniger als dreißig aus der Zeitzwischen 1228 und 1914. Währendfrühere orientalistische Textausgaben

oftmals auf derGrundlage eini-ger weniger odersogar nur einereinzigen Hand-schrift erstelltwurden, sollen,den Standardsder klassischenPhilologie fol-gend, möglichstalle bekanntenHandschriftenberück sichtigtwerden. Erfreuli-cherweise sinddie europäischenund orientali-schen Hand-schriftenbestän-de weitgehend katalogisiert. Das hatdie Suche nach einschlägigen Textzeu-gen wesentlich erleichtert. In frühererZeit mussten die Editoren die betref-fenden Bibliotheken aufsuchen unddie Texte aus den dortigen Hand-schriften abschreiben. Später arbeiteteman mit Photographien, dann mitMikrofilmen oder Microfiches. Inzwi-schen erhält man von den meisten Bi-bliotheken Handschriftenkopien in di-gitalisierter Form. Das erleichtert dieLesung, weil die Aufnahmen farbigsind und man sie beliebig vergrößernkann. Der Zugang zu den Handschrif-ten im Orient bereitet allerdings auchheute noch erhebliche Schwierigkei-ten.

In einem zweiten Schritt müssen dieHandschriften miteinander ver-glichen („kollationiert“) werden.

Da die Quellen vor langer Zeit ent-standen sind, gibt es natürlich keineAutographen der Verfasser. Ziel einerEdition ist es, möglichst den ur-sprünglichen Wortlaut eines Werkswieder herzustellen, der in aller Regeldurch Fehler beim Abschreiben undWiederabschreiben verändert wurde.Dieser Text soll dann mit einer Über-setzung ins Deutsche gedruckt wer-den. Schwierigkeiten bereitet, dass dieim christlichen Milieu entstandenenÜbersetzungen nicht die arabischeHochsprache repräsentieren, sonderndem bislang nur wenig untersuchtenvolkstümlicheren „Mittelarabischen“zuzurechnen sind. Im Rahmen desdreijährigen Projektes soll die lexikali-sche Erschließung durch die Erstel-lung einer Datenbank in eine ausbau-

fähige Form gebracht werden. Zu-nächst werden die ApostolischenKonstitutionen bearbeitet. Nach der-zeitigem Kenntnisstand gibt es dreivoneinander unabhängige arabischeÜbersetzungen, oder besser: Bearbei-tungen. Eine der zu klärenden Fragenist, wie sich die arabischen Versionenzum überlieferten griechischen Textverhalten. Bei den erhaltenen griechi-schen Handschriften dürfte es sichnämlich um reichskirchlich-orthodoxüberarbeitete Fassungen handeln,wurden die Apostolischen Konstitu-tionen doch 691 durch Kanon 2 derTrullanischen Synode (Quinisextum)wegen häretischer, arianischer Zügeverurteilt. Die Rezeption der Aposto-lischen Konstitutionen in Ägypten,zunächst in koptischer, dann in arabi-scher Sprache, und, auf dieser beru-hend, die Weiterübersetzung insÄthiopische, konnte hiervon jedochnicht mehr beeinflusst werden, da esbereits 451 zum Bruch zwischen derbyzantinischen Reichskirche und derägyptischen Kirche gekommen war.Somit dürfte die Überlieferung inner-halb der koptischen Kirche einen un-abhängigen Textzeugen darstellen.

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KAUFHOLD

Anfang der pseudo-

apostolischen „Kano-

nes über das Priester-

tum“ (Buch 6 des

„Octateuchus Clemen-

tinus“) in arabischer

Version (Handschrift

Nr. 312 der syrisch-or-

thodoxen Metropolie

in Mardin, Südosttür-

kei).

Andreas Ellwardt ist wissenschaftlicherMitarbeiter an der Forschungsstelle Christ-licher Orient der KU.

Prof. Dr. Dr. Hubert Kaufhold ist Hono-rarprofessor für Antike Rechtsgeschichte,insbesondere das Recht des ChristlichenOrients an der Universität München undMitglied der Forschungsstelle ChristlicherOrient.