Neben der Bühne des Deutschen Theaters

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Neben der Bühne des Deutschen Theaters Manchmal ist es nur ein Wasserglas, manchmal aber auch die Einrichtung eines kompletten Wohnzimmers. Requisiten sind auf der Bühne immer dabei. Die Requisiteure am Deutschen Theater Göttingen stehen täglich vor neuen Herausforderungen, damit abends jede Requisite wie selbstverständlich auf der Bühne steht. Text und Fotografie Ariane Schumacher 1 Fotoreportage WS 2014/2015 Fotoreportage WS 2014/2015 2

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Neben der Bühne des Deutschen

Theaters

Manchmal ist es nur ein Wasserglas, manchmal aber auch die Einrichtung eines kompletten Wohnzimmers. Requisiten sind auf der

Bühne immer dabei. Die Requisiteure am Deutschen Theater Göttingen stehen täglich vor neuen Herausforderungen, damit abends jede

Requisite wie selbstverständlich auf der Bühne steht.

Text und Fotografie Ariane Schumacher

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Die Tür zur Requisite steht immer offen. Die Räume liegen direkt neben der Bühne des Deutschen Thea-ters Göttingen und es ist ein ständiges Kommen und Gehen: Ein Päckchen kommt an, ein Bühnentechniker hat eine Frage, die Probe beginnt, etwas wird aus der Werkstatt gebraucht. Erstaunlicherweise herrscht in den engen Räumlichkeiten trotzdem keine Hektik. Je-der geht seinen Aufgaben nach und ist dabei schnell, aber ohne jegliche Hast. Zwischendurch wird das wei-tere Vorgehen besprochen oder ein nettes Wort gewech-selt, ganz ohne Anspannung oder Ungeduld, trotz na-hender Premiere. Jörg Kachel, der Leiter der Requisite, ist erst seit wenigen Monaten im Haus, aber zu merken ist das nicht. Die vier Requisiteure wirken vollkommen eingespielt und es ist ein zielgerichtetes, geschäftiges Treiben beobachtbar. Punktuelle Unruhe gibt es nur kurz, wenn ein Problem auftaucht. Wenn beispielswei-se ein Lieferant anruft und mitteilt, dass er gerade kein zerkleinertes Eis mehr liefern könne. Natürlich haben sich die Requisiteure auf die Lieferung verlassen und brauchen das Eis. Aber auch das bringt hier niemanden aus der Fassung. Dann wird eben kurzerhand ein neuer Lieferant gesucht und gefunden, der schnellstmöglich liefern kann.

Requisiten können aufgesetzt, angebracht, getra-gen werden. In manche kann man sich hineinsetzen, andere brennen. Sie können groß oder klein sein, be-stehend aus allen vorstellbaren Materialien. Sie sind all die beweglichen Gegenstände, die nicht zu den Kostümen, der Technik oder dem Szenenbild auf einer Bühne gehören. Und somit kann alles eine potenti-elle Requisite fürs Theater sein. Auch ein Maschi-nengewehr. „Natürlich baue ich auch eine Waffe aus

Pappmache nach oder kaufe ein Plastikgewehr ein“, sagt Jörg Kachel. Das könne, je nach Stück, auch ge-nau passend sein. „Aber für dieses Stück war eine echte Waffe wichtig“. Er spricht dabei von Zerbombt, einer Inszenierung von Sarah Kanes radikalem Debütwerk Blasted (1995), die Ende letzten Jahres am Deutschen Theater Göttingen Premiere hatte. In diesem Stück spielt die echte Waffe, eine AK47, eine zentrale Rol-le. Sie trägt dazu bei, dass der Krieg, der sich draußen abspielt, immer mehr ins Innere, in die Räumlichkeiten und Beziehungsgeflechte getragen wird. Diese Requi-site wurde nicht als Requisite gebaut, sondern als Waffe und war auch als Waffe im Einsatz, bevor sie auf die Bühne nach Göttingen kam. Russland, Israel, Syrien –, könnten mögliche Einsatzorte gewesen sein. Genau weiß es Jörg Kachel nicht, aber manchmal kann er es erahnen. Für eine frühere Produktion bekam er ein Gewehr, in welches kyrillische Schriftzeichen ein-geritzt waren. Die ausrangierte Waffe, hinterlassen mit starken Gebrauchsspuren, lässt das Leid eines gesam-ten Krieges in einer Requisite stecken. Die Wucht, mit der diese Waffe in ein Leben eindringen kann, wird in Zerbombt fast greifbar. Die Symbolkraft einer Requi-site wie dieser ist umso größer, je mehr Realität hin-ter dem Potential steht. Es könnte nicht nur mit dieser Waffe geschossen werden, sondern es wurde mit dieser Waffe geschossen. Die Ahnung davon ist schrecklich und genau das macht diese Requisite zu der passenden für dieses Stück. Beruhigend, dass Schießen mit die-ser Waffe nicht mehr möglich ist. Bevor auf deutschen Bühnen eine Waffe zum Einsatz kommt, wird sie un-brauchbar gemacht und zur Theaterrequisite umgebaut.Bevor in der Requisite etwas Neues eingekauft oder

„Plan B ist der Zweitname des Requisiteurs.“Jörg Kachel

Ob bei den Proben oder den Aufführungen - die Requisiteure sind immer da.

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„Es gibt immer etwas Neues und es wird nie langweilig. Ich könnte mir keinen anderen

Beruf vorstellen “Sabine Jahn

gebaut wird, wird erst einmal geschaut, was der Fundus hergibt. Und das ist einiges. In einem anderen Gebäude, direkt hinter dem Haupthaus lagern die Exponate des Deutschen Theaters Göttingen. Über eine steile Treppe gelangt man zu den riesigen Räumlichkeiten, die sich über dem Malsaal und der Schreinerei befinden. Hinter insgesamt drei Türen stapeln sich zehntausende Re-quisiten und es könnte keinen passenderen Ort für die vielen Gegenstände geben, als einen Dachboden. Die hölzernen Dachbalken, die schrägen Wände und der knarzende Holzboden bieten eine perfekte Kulisse für die Reihen aus Möbeln verschiedenster Epochen, die

meterhohen Regale voller kleiner und großer Alltags-gegenstände. Es gibt alles, oft in mehrfacher Ausfüh-rung: Stühle, Bettlaken, Mullbinden, Tische, Bücher, Zahnbürsten, Skulpturen und ein riesiges Schwein aus Pappmache. „Eine Requisite muss etwas transportie-ren“ , sagt Jörg Kachel, während er in den schmalen Gängen zwischen den Regalen und den Schneisen aus Möbeln Requisiten hervorzieht. Zwischen Koffern und Taschen einen ledernen Schulranzen, - aus einem Re-gal alte Apothekerfläschchen und Arztbesteck. Zwei unechte Kartoffeln fischt er aus einer Kiste mit Requi-siten-Gemüse: „Die eine hier aus Plastik wirkt höchs-

tens von Weitem wie eine echte Kartoffel. Vergleiche das mal mit dieser handgemachten aus Schaumstoff.“. Ähnlich wie für einen Schauspieler eine facettenrei-che Rolle interessant ist, ist es für den Requisiteur eine detailreiche Requisite. Die handgearbeitete Kar-toffel, die kaum von einem Original zu unterscheiden ist oder das Original selbst in Form von Arztbesteck, Schulranzen oder eines alten Designstuhls. So ist es auch zu erklären, dass die AK47 aus Zerbombt zu Jörg Kachels Lieblingsrequisiten gehört. Auch wenn es zu-erst stutzig macht, dass ein ruhiger, besonnener Mensch ein Sturmgewehr besonders mag. Eine Requisite kann

sich nicht anpassen, sie definiert eine Situation so wie sie ist. Eine Pappmachemaschinenpistole bleibt eine Pappmachemaschinenpistole. Die Faszination besteht bei ihm nicht in der Waffe an sich, sondern darin, so viel Realität auf die Bühne zu bringen, dass man „den Pulverdampf riechen kann“.

„Geht nicht, gibt’s nicht“ ist Jörg Kachels Motto und es ist zu merken, dass dieser Satz bei ihm keine Flos-kel ist. Er versucht, für die Theaterproduktionen immer die Requisiten bereitzustellen, die am passendsten sind, egal ob es sich dabei um ein Maschinengewehr oder eine Torte handelt. Für Homo Empathicus reichte das

Jörg Kachel beeilt sich, die Requisiten für Erdbeben in Chili auf die Bühne zu bringen.

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Budget nicht mehr für eine Torte aus der Konditorei und er bekam vom Re-gisseur die Vorgabe, „etwas eckiges, buntes“ als Tortenersatz herzustellen. Er färbte Dampfnudeln mit Lebens-mittelfarbe ein und auf die „Torte“ kam eine Tomate als Garnierung. Der Tortenersatz kam sehr gut an und hat-te den Vorteil, jederzeit in derselben Farbe und Form wiederherstellbar zu sein. Denn beim Spiel auf der Bühne kann durchaus etwas kaputt gehen. Deshalb ist bei jeder Aufführung min-destens einer der Requisiteure anwe-send und greift im Notfall ein. „Plan B ist der Zweitname des Requisiteurs“, sagt Jörg Kachel lachend. Es ist spür-bar, dass ihm das Suchen nach neuen oder alternativen Wegen viel Freude bereitet. Und nicht nur während der Aufführung kann einiges passieren. Veränderungen der Regie, Wünsche der Schauspieler, Engpässe eines Ver-sandhandels und vieles Unerwartetes mehr stellen die Requisiteure täglich vor neue Herausforderungen. Sie müs-sen kreativ in den Ideen und der Um-setzung sein und teilweise gibt es für beides nur wenig Zeit. Es sind genau die täglichen Herausforderungen, die für einen routineliebenden Menschen eine Horrorvorstellung wären, aber für Göttingens Requisiteure der Grund sind, morgens aufzustehen. „Es gibt immer etwas Neues und es wird nie

langweilig. Ich könnte mir keinen ande-ren Beruf vorstellen“, sagt Sabine Jahn, Requisiteurin, bevor sie wieder auf die Probebühne verschwinde.

Requisiteure gehören zu den Men-schen, die hinter den Kulissen arbeite

und selten sichtbar, aber unverzicht-bar sind. Hinter jedem Suppenhuhn,

in welches ein Schauspieler abends bei SPAM herzhaft hineinbeißt, steckt ein Requisiteur, der es mittags mit Suppen-grün gefüllt und gekocht hat. Jedes Ei, welches auf der Bühne zerplatzt und pinke Farbe freigibt, wurde vorher von einem Requisiteur präpariert. Hinter je-dem Stuhl, jedem Pappmaché-Hund und jeder Brosche stecken die Gedanken ei-nes Requisiteurs. Nichts ist einfach so da, alles wurde gezielt gebaut, gekauft, gebastelt oder aus dem Fundus geholt.

In ihrer Anfangszeit am Theater bekam Sabine Jahn zu hören: „Ach Schatzi, du willst zum Theater? Lass dir eins gesagt sein: Entweder du bleibst kurz oder für immer.“ Mittlerweile versteht sie, was damals gemeint war: „Die Arbeit am Theater in der Requisite ist in vielerlei Hinsicht anders und herausfordernd ¬ das muss man mögen, sonst bleibt man nicht.“ Jörg Kachel, Sabine Jahn und die anderen beiden Requisiteurinnen am Deutschen Theater sind geblieben.

Im Fundus hat jede Requisite ihren Platz.

Damit die CD´s bei der Aufführung nicht splittern, werden sie vorher von den Requisiteuren präpariert

Damit die CD´s bei der Aufführung nicht splittern, werden sie vorher präpariert.

„Eine Requisite muss etwas transportieren“Jörg Kachel

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