Necla Kelek Rechnet Mit Dem Islam Ab

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29/05/14 02:37 Necla Kelek rechnet mit dem Islam ab Page 1 of 2 http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/necla-kel…net-mit-islam-ab.html?type=1&cHash=36b534a43118c040e29c9adb1ee1a7 Necla Kelek rechnet mit dem Islam ab Die Streitschrift „Himmelsreise“ von Necla Kelek © Die Berliner Literaturkritik, 14.04.10 Von Esteban Engel „Himmelreise“ ist der Versuch, in Buchform einen Pudding an die Wand zu nageln. Immer wieder, so schreibt Necla Kelek, werde behauptet, „den“ Islam gebe es gar nicht, sondern nur verschiedene Formen und Sichtweise. Nein, sagt Kelek zu Beginn ihrer Streit- und Aufklärungsschrift, den Islam gibt es: Als soziale Realität und kulturelle Institution, die das Verhalten von Menschen „definiert, einfordert und reproduziert“. Auf 250 Seiten beschreibt die 1957 in Istanbul geborene Autorin die durchdringende Macht der Religion Mohammeds - als Glaube, in Alltag und Politik. So heißt es im Untertitel auch: „Mein Streit mit den Wächtern des Islam“. Es geht um Koran-Auslegung, Kopftücher und Moscheen, um Zwangsheirat und dem Macho-Gehabe türkischer und arabischer Jungs. Aber Kelek will mehr. Der Islam müsse sich ohne Wenn und Aber dem Rechtsstaat verschreiben. Es sei von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Europas, dass Muslime von der Idee einer säkularen und demokratischen Bürgergesellschaft überzeugt werden, in der die Freiheit attraktiver erscheine als die kollektiven Zwänge einer religiösen Weltanschauung. Doch was haben die bärtigen Männer mit Käppis und ihre Frauen in Pluderhosen, wie sie etwa in Berlin- Neukölln oder in Köln-Ehrenfeld leben, mit dem Islam zu tun? Wo liegt die Verbindung zwischen den Bräuchen und Verboten mit dem Glauben? Kelek spürt im ersten Teil ihrer Reise durch die muslimische Republik der Entstehungsgeschichte des Islam nach. Zwar gelte der Koran für gläubige Muslime als unfehlbares Wort Gottes. Doch all die Regeln, die Sexualmoral und die untergeordnete Rolle der Frau seien nicht gottgewollt, sondern vor dem Hintergrund einer feudalen Wüstengesellschaft entstanden, in der sich Mohammed im siebten Jahrhundert zum Religionsstifter hoch kämpfte. Kelek hat Volkswirtschaft und Soziologie studiert und promovierte über Islam im Alltag. Immer wieder meldet sich Kelek öffentlich zu Wort, zuletzt zu der ihrer Meinung zu schwachen Reaktion deutscher Medien zum Anschlag auf den dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München und 2006 mit dem internationalen Corine Preis für Sachbücher ausgezeichnet. Angesichts neuer Forschungsarbeiten vor allem europäischer Wissenschaftler müssten Islam-Gelehrte immer wieder den Vorwurf abwehren, der Koran sei keine Offenbarungsschrift, sondern „Literatur“. Die Quellen des Buches seien dubios und selbst der ägyptische Wissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid erkennt im Koran „Gottes Menschenwort“. Indem Mohammed zum „Siegel“ der Propheten erklärt wurde, also Jesus und Abraham überlegen, sei er für Menschen unerreichbar geworden, anders als im Christentum, wo Jesus eben zum sündigen Menschen wurde. Kelek plädiert dafür, dass sich die Schriften des Islam wie die Bibel einer theologischen und historischen Interpretation nicht entziehen dürfen. Auch in der muslimischen Alltagskultur zieht die Autorin eine

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Selbst eine Türkin in Deutschland hat die

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    Necla Kelek rechnet mit dem Islam ab

    Die Streitschrift Himmelsreise von Necla Kelek

    Die Berliner Literaturkritik, 14.04.10

    Von Esteban Engel

    Himmelreise ist der Versuch, in Buchform einen Pudding an die Wand zu nageln. Immer wieder, soschreibt Necla Kelek, werde behauptet, den Islam gebe es gar nicht, sondern nur verschiedene Formenund Sichtweise. Nein, sagt Kelek zu Beginn ihrer Streit- und Aufklrungsschrift, den Islam gibt es: Alssoziale Realitt und kulturelle Institution, die das Verhalten von Menschen definiert, einfordert undreproduziert.

    Auf 250 Seiten beschreibt die 1957 in Istanbul geborene Autorin die durchdringende Macht der ReligionMohammeds - als Glaube, in Alltag und Politik. So heit es im Untertitel auch: Mein Streit mit denWchtern des Islam. Es geht um Koran-Auslegung, Kopftcher und Moscheen, um Zwangsheirat unddem Macho-Gehabe trkischer und arabischer Jungs.

    Aber Kelek will mehr. Der Islam msse sich ohne Wenn und Aber dem Rechtsstaat verschreiben. Es seivon entscheidender Bedeutung fr die Zukunft Europas, dass Muslime von der Idee einer skularen unddemokratischen Brgergesellschaft berzeugt werden, in der die Freiheit attraktiver erscheine als diekollektiven Zwnge einer religisen Weltanschauung.

    Doch was haben die brtigen Mnner mit Kppis und ihre Frauen in Pluderhosen, wie sie etwa in Berlin-Neuklln oder in Kln-Ehrenfeld leben, mit dem Islam zu tun? Wo liegt die Verbindung zwischen denBruchen und Verboten mit dem Glauben? Kelek sprt im ersten Teil ihrer Reise durch die muslimischeRepublik der Entstehungsgeschichte des Islam nach.

    Zwar gelte der Koran fr glubige Muslime als unfehlbares Wort Gottes. Doch all die Regeln, dieSexualmoral und die untergeordnete Rolle der Frau seien nicht gottgewollt, sondern vor demHintergrund einer feudalen Wstengesellschaft entstanden, in der sich Mohammed im siebtenJahrhundert zum Religionsstifter hoch kmpfte.

    Kelek hat Volkswirtschaft und Soziologie studiert und promovierte ber Islam im Alltag. Immer wiedermeldet sich Kelek ffentlich zu Wort, zuletzt zu der ihrer Meinung zu schwachen Reaktion deutscherMedien zum Anschlag auf den dnischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard. Fr ihrEngagement wurde sie mit dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt Mnchen und 2006 mit deminternationalen Corine Preis fr Sachbcher ausgezeichnet.

    Angesichts neuer Forschungsarbeiten vor allem europischer Wissenschaftler mssten Islam-Gelehrteimmer wieder den Vorwurf abwehren, der Koran sei keine Offenbarungsschrift, sondern Literatur. DieQuellen des Buches seien dubios und selbst der gyptische Wissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaiderkennt im Koran Gottes Menschenwort. Indem Mohammed zum Siegel der Propheten erklrtwurde, also Jesus und Abraham berlegen, sei er fr Menschen unerreichbar geworden, anders als imChristentum, wo Jesus eben zum sndigen Menschen wurde.

    Kelek pldiert dafr, dass sich die Schriften des Islam wie die Bibel einer theologischen und historischenInterpretation nicht entziehen drfen. Auch in der muslimischen Alltagskultur zieht die Autorin eine

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    Interpretation nicht entziehen drfen. Auch in der muslimischen Alltagskultur zieht die Autorin eineVerbindung zum Glauben. bertriebene Ehr-Gefhle, die stndige Einforderung von Respekt, dieRolle von Vater und Mutter, sogar der Satz Was guckst Du und die Beschneidung sie seien alleletztlich in einer Religion begrndet, die die Trennung von Weltlichem und Geistlichem nicht kennt undsich als kollektive Selbstvergewisserung der aufgeklrten Gesellschaft die kalte Schulter zeigt.

    Fr ihr Buch hat Kelek Moscheen in Deutschland besucht. Sie schildert ihre Erfahrungen mit Vorbeternund Kommunalpolitikern, die sich eher hilflos den Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaftstellen. Sie berichtet aus ihren Erlebnissen als Kind einer trkischen Emigrantenfamilie als langen, oftqulenden Weg auf der Suche nach einer eigenen Identitt, wie ihn Kelek schon in ihrem Bestseller Diefremde Braut beschrieben hat. Das Gefhl der Befreiung etwa, als sie als junges Mdchen erstmals eineBratwurst mit dem verbotenen Schweinefleisch probierte. Ich hatte gesndigt und fhlte mich gutdabei.

    Deutschland, so zeichnet es Kelek nach, stehe in einer langen Tradition des unkritischenIslamverstehens - von Karl dem Groen ber Lessing und Goethe, dem Kaiserreich bis zu demTeufelspakt zwischen den Nazis und dem Gromufti von Jerusalem. Zum wohl informativsten Teil desBuches gehrt die Darstellung der islamischen Organisationen in Deutschland und den Bemhungen dertrkischen Regierung, ihre Landesleute nicht den Islamisten zu berlassen. Doch Kelek spricht denmeisten Verbnden eine demokratische Legitimation ab. Sie spricht von Stammesfhrern, fr dieGlaube und Politik eins seien.

    Literaturangaben:

    NECLA, KELEK: Himmelsreise. Mein Streit mit den Wchtern des Islam.Kiepenheuer & Witsch, Kln 2010. 266 S., 18,95 .

    Weblink:

    Kiepenheuer & Witsch

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    auf - 16.10.2008

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