Nepalesische Invasion in Tibet Und Das Verbot Der Inthronisierung Shamarpas

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Nepalesische Invasion in Tibet und das Verbot der Inthronisierung Shamarpas Seit dem die Anhänger Shamarpas in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts in Kongpo eine Revolte gegen die neuen Machthaber angezettelt hatten, war Shamarpa der Regierung in Lhasa ein Dorn im Auge. Sie verbot die Suche nach der Wiedergeburt des 9. Shamarpa. 1 Obwohl er heimlich gefunden wurde, konnte er nicht inthronisiert werden und verschied sehr früh. 2 Die Inthronisation des 10. Shamarpa war anscheinend nur möglich, da er sich als Bruder des Pantschen Lama inkarnierte. Der Pantschen Lama starb, wie im vorigen Kapitel beschrieben, in China. Die Regierung des Reiches der Mitte schenkte als Abfindung seiner Familie und/oder seinem Kloster Gold: Tshungpa Hutukhtu, der andere Bruder des Pantschen Lama und Schatzmeister seines Klosters Tashi Lungpo, reiste nach China, um die Asche des Verstorbenen abzuholen. Er erhielt je nach historischer Quelle 10.000-50.000 Goldstücke von der chinesischen Königsfamilie. 1780 verschloss er diese in den Tresoren des Klosters. Als rechtmäßiger Erbe des Verstorbenen verlangte Shamarpa nach seinem Anteil der Erbschaft, doch Hutukhtu verweigerte ihm diesen und ließ seinen Bruder nicht mehr in das Kloster. Später warf man dem Shamarpa vor, er habe sich des Eigentums des Klosters bemächtigen wollen, doch „die offiziellen Chinesischen Aufzeichnungen beschuldigen den Regenten [Hutukhtu] … Ihnen zufolge war Tchungpa Hutukhtu eine Art Pfennigfuchser, der, als er nach dem Tod des Pantschen Lama nach Tashilungpo zurückkehrte, dessen Reichtümer an sich nahm und sie nicht den Gepflogenheiten entsprechend entweder an das Kloster oder die Tempel verteilte. Außerdem ließ er seinem 1 Deshayes, S. 177. Die Kurznennung der Literatur verweist auf die ausführliche Literaturliste 2 Ebenda. Wong spricht allerdings davon, dass es zwei Kandidaten für den 9. Shamarpa gab, einen von Situpa und einen von Gyaltsab Rinpoche favorisierten. Der Kandidat Situpas setzte sich durch, lebte aber nur acht Jahre angeblich weil er nicht inthronisiert werden konnte.

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Nepalesische Invasion in Tibet und das Verbot derInthronisierung Shamarpas

Seit dem die Anhänger Shamarpas in den 60er Jahren des 18.Jahrhunderts in Kongpo eine Revolte gegen die neuen Machthaberangezettelt hatten, war Shamarpa der Regierung in Lhasa ein Dornim Auge. Sie verbot die Suche nach der Wiedergeburt des 9.Shamarpa.1 Obwohl er heimlich gefunden wurde, konnte er nichtinthronisiert werden und verschied sehr früh.2 Die Inthronisationdes 10. Shamarpa war anscheinend nur möglich, da er sich alsBruder des Pantschen Lama inkarnierte.Der Pantschen Lama starb, wie im vorigen Kapitel beschrieben, inChina. Die Regierung des Reiches der Mitte schenkte alsAbfindung seiner Familie und/oder seinem Kloster Gold:Tshungpa Hutukhtu, der andere Bruder des Pantschen Lama undSchatzmeister seines Klosters Tashi Lungpo, reiste nach China,um die Asche des Verstorbenen abzuholen. Er erhielt je nachhistorischer Quelle 10.000-50.000 Goldstücke von derchinesischen Königsfamilie.1780 verschloss er diese in den Tresoren des Klosters. Alsrechtmäßiger Erbe des Verstorbenen verlangte Shamarpa nachseinem Anteil der Erbschaft, doch Hutukhtu verweigerte ihmdiesen und ließ seinen Bruder nicht mehr in das Kloster.Später warf man dem Shamarpa vor, er habe sich des Eigentumsdes Klosters bemächtigen wollen, doch „die offiziellenChinesischen Aufzeichnungen beschuldigen den Regenten[Hutukhtu] … Ihnen zufolge war Tchungpa Hutukhtu eine ArtPfennigfuchser, der, als er nach dem Tod des Pantschen Lamanach Tashilungpo zurückkehrte, dessen Reichtümer an sich nahmund sie nicht den Gepflogenheiten entsprechend entweder an dasKloster oder die Tempel verteilte. Außerdem ließ er seinem

1 Deshayes, S. 177. Die Kurznennung der Literatur verweist auf die ausführliche Literaturliste2 Ebenda. Wong spricht allerdings davon, dass es zwei Kandidaten für den 9. Shamarpa gab, einen von Situpa und einen von Gyaltsab Rinpoche favorisierten. Der Kandidat Situpas setzte sich durch, lebte aber nur acht Jahre angeblich weil er nicht inthronisiert werden konnte.

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jüngeren Bruder, dem Shamarpa, keine Güte zukommen [d.h.Verweigerte ihm seinen Anteil], da er der Rot Hut Schuleangehörte. Daraufhin ging dieser zu den Gurkhas und erzählteihnen voller Groll von den versiegelten Schätzen Tashilungposund besonders von dem übertriebenen Reichtümern TchungpaHutukhtus."3

Es ist aber keinesfalls klar, ob dies der eigentliche Grund fürShamarpas Abreise nach Nepal war. Nepalesische Quellenschreiben:„Nach dem plötzlichen Tod des Pantschen Lama wurde Shamarpader Anführer der pro-britischen Fraktion des Klosters. Deswegengalt er fortan sowohl den Chinesen als auch den Tibetern alsVerräter. Da er in Tibet eine ungewisse Zukunft hatte, floh er 1784nach Nepal, um sein Leben zu schützen.“4

Seit dem Sechsten Shamarpa bestand zwischen den sukzessivenInkarnationen des Rot-Hut-Lamas und dem nepalesischenKönigshaus ein gutes Verhältnis und viele Nepalesen warenSchüler der Shamarpas. Ein weiteres Ziel der Reise des 10.Shamarpa – oder zumindest auch nur das Resultat – war dieRenovierung der Swayambu-Stupa im Kathmandutal.

In Nepal angekommen gaben er und seine Gehilfen dem Mandraja[Herrscher] von Nepal den geschriebenen Eid, ihm treu undverbunden zu sein: … „Wir unterstützen nicht länger daschinesische Lhasa [die Regierung des Dalai Lama] und werdenstattdessen Untertanen Ihrer Gurkha-Majestät [dem nepalesiscenKönig].“5 Dies wurde Shamarpa seitens der Zentralregierung als„Verrat“ angelastet, aber möglicherweise rangen die NepalisShamarpa dieses versprechen nur ab, um sich abzusichern, dassShamarpa kein tibetischer Agent sei, da die beiden Nationen imStreit lagen:

3 S. Cammann, Trade Through The Himalayas: The Early British Attempts to Open Tibet (Princeton 1951), Seite. 112, Cammann zitiert Sheng wu chi, 5.34b. 4 Dhungel, S.192.5 Yogi, Naraharinath, ed. V.S. 2022. Itihasprakasama sandhipatra samgraha, in: Dhungel, S. 191.

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1769 hatten die Gurkhas, die bis dahin nur über das Kathmandu-Tal geherrscht hatten, ganz Nepal besetzt und auch Mustang unddie tibetischen Provinz Dolpo annektiert.6 1775 baten dieBhutanesen die Gurkhas, Sikkim anzugreifen. Die Tibeter halfenden Sikkimesen mit Nahrung. Der Konflikt wurde späterbeigelegt, aber die Gurkhas nahmen den Tibetern ihre Hilfe übel. Ein weiterer Streitpunkt war wirtschaftlicher Natur: Die Nepaliszahlten die Tibetischen Waren, die sie importierten, entweder mitReis oder einer nepalesischen Silberwährung, die in Zentral-Tibetgängiges Zahlungsmittel wurde. Über die Jahre mischten dieNepalis aber diesen Münzen aus Silber Kupfer bei undentwerteten so das Geld. Tibet protestierte, und der Konflikteskalierte. Nepal griff Tibet an, wurde aber zurückgeschlagen.Schließlich kam es zu einem Waffenstillstand und derAushandlung eines Friedensabkommens.In diesen Verhandlungen zwischen Tibet und Nepal war Shamarpader Vermittler. Es wurden hohe Tributzahlungen für dasunterlegene Tibet festgelegt. Als Doringpa, der ranghöchsteMinister im Kabinett in Lhasa, im darauffolgenden Jahr nachNepal reiste, um den Vertrag nachzuverhandeln, da er für Tibetnicht bezahlbar war, wurde er gefangen genommen. Als Tibet dieZahlungen einstellten, kam es zu einer zweiten Invasion seitensder Nepalesen. Die Tibeter holten die Chinesische Armee zu Hilfe:17000 Soldaten kamen und es war so ein Leichtes, die Nepaliszurückzuschlagen – erst 50km vor Kathmandu machte man Halt.Dabei wurde Doringpa befreit. In seinem Tagebuch beschreibt er,wie der besiegte nepalesische König anschließend alle Schuld amAngriff Shamarpa aufbürdete. Noch dazu war das Gerücht in dieWelt gesetzt worden, Shamarpa hätte sich umgebracht, was nachDoringpa nicht der Wahrheit entsprach: „Der chinesische Generalfragte ihn rundheraus nach dem Grund für Shamarpas Tod undDoringpa antwortete, dass es keine Zeichen dafür gab, dass diesersich das Leben genommen habe. Auch war sein Körper kein

6 Snellgrove/Richardson, S. 226

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bisschen verletzt.“7

Bezüglich der Anschuldigungen gegen Shamarpa schreibt derHistoriker Shakapa:8 „Die Gurkhas nutzten später dieAnschuldigung [Shamarpas, sein Bruder hätte ihm nicht seinenAnteil ausgezahlt] als Vorwand, Tibet anzugreifen.“9 Wohlgemerktals Vorwand, denn es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass dieTatsache, dass Shamarpa von seinem Bruder ungerecht behandeltwurde, den Gurkhas als wahrer Kriegsgrund diente. EinigeGelehrte, die Doringpas Schriften gelesen haben, sind derMeinung dass Shamarpa von allen Beteiligten benutzt wurde:Dem chinesischen Kaiser, der Tibetischen Regierung und demGurkha König.Doringpa selber beschreibt, wie sich Shamarpa bei derNepalesischen Regierung für seine Freilassung eingesetzt habe.Nach dem Tod Shamarpas versuchte die Nepalesische Regierungihn für den Konflikt verantwortlich zu machen, aber Doringpaglaubte ihr nicht.10

Nachdem er allerdings der Verbrennung beiwohnte änderte sichseine Meinung über Shamarpa grundsätzlich und bereute seineMeinung über Shamarpa.11 Er schreibt: „Am nächsten Tag gingenwir zur Kremation. Als die Flammen hochschossen, strahlten fünftRegenbögen direkt vom Feuer. Wir waren alle Augenzeugen.“12 Erwar tief beeindruckt und verspürte tiefe Hingabe zu Shamarpa.Trotz der Zeugnisse Doringpas, die besagten, dass er amLeichnam keine Zeichen einer unnatürlichen Todesursachefeststellen konnte, sowie der Tatsache, dass er der nepalesischenRegierung widersprach, die Shamarpa für den Angriff auf Tibetverantwortlich machte, behielt die ChinesischeGeschichtsschreibung die Theorie bei, Shamarpa habe sich

7 Doringpa nach Wong, , S. 178-184.8 ...und das, obwohl er als Minister der Zentral-Regierung eher den Gelukpas nahe steht.9 Shakapa, , S. 157.

10 Wong, , S. 184.11 Ebenda.12 Doringpa's journal, S. 733, nach Wong, .

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vergiftet und mit den Gurkhas gegen den König der Manchu-Dynastie zusammengearbeitet.

Kathok Tsewang Norbu der Nyingmapa Schule, einzeitgenössischer Meister und Lehrer des 13. Karmapa, „verneintdie Verantwortung Shamarpas [für die Nepalesische Invasion] undbeschuldigt sein Gefolge.“13

In Folge verbot die Zentralregierung in Lhasa, weitereInkarnationen Shamarpas zu inthronisieren. Zu all dem sagte imNachhinein der 16. Karmapa: „Es gab immer weniger positiveKraft (Verdienst). Die Politik mischte sich immer mehr ein. Weißwurde zu schwarz, wahr wurde unwahr. Damals war es nicht

mehr möglich, einen Shamarpa anzuerkennen oder zuinthronisieren. Alles wurde geheim gehalten. Shamarpareinkarnierte weiterhin, wurde aber nicht anerkannt.”14 Bemerkenswert ist, dass dieser Abschnitt der tibetischenGeschichte immer wieder im Zusammenhang mit der KarmapaKontroverse unserer Tage herangezogen wird, um den derzeitigenShamarpa in Bezug auf seine Wahl bezüglich des 17. Karmapa zudiskreditieren. Keiner käme jedoch auf die Idee, die Taten des 5.Dalai Lama und dessen blutrünstige Aussagen zu nutzen, ingleicher Weise die Entscheidung des heutigen 14. Dalai Lamabezüglich der Wiedergeburt des 16. Karmapa (Karmapa OgyenTrinle) in Frage zu stellen. Beides ist ähnlich widersinnig.

Chinesischer Einfluss auf die Tibetische PolitikWie weit die Chinesen in den darauf folgenden Jahrzehntenwirklich die tibetische Politik beeinflussten, ist umstritten. Sicherist, dass sie als Gegenleistung für ihren Beistands im tibetisch-nepalesischen Krieg verstärkte Macht für die beiden Ambane im

13 Deshayes, S. 183, Fußnote 1. Eine Bulle der Tibetischen Regierung verbot nach dessen Tod strengstens, irgendewas über den 10. Shamarpa aufzuschreiben. Daher gibt es – bis auf Doringpas Tagebücher und Kathok Rinpoches Äußerungen – keine tibetischen Quellen über die Vorfälle.

14 Douglas/White: The Black Hat Lama of Tibet, S. 151.

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Land forderten. Außerdem verlangten sie, bei der Bestimmungpolitisch einflussreicher Tulkus mitzubestimmen:

Michael den Hoet:

„Kaiser Chien Lung war aufgefallen, wie viele offizielleWiedergeburten es innerhalb weniger Familien-Clans gegebenhatte. So war z. B. der 8. Dalai Lama 1762 in einer Familie, diemit dem damaligen 6. Panchen Lama eng verbunden gewesen war,gefunden worden; den 7. Panchen Lama wiederum entdeckte mandafür in der Familie des 8. Dalai Lama, ebenso wie denwichtigsten Titelträger der Chalka-Mongolen, den Jetsün DampaTulku. Der chinesische Monarch befürchtete Manipulationen beider Ernennung mächtiger Tulkus, was sich womöglich auch aufPeking ausgewirkt hätte, wo sich ständig hohe Gelugpa-Lamas amHof der Mandschu befanden, die teilweise als spirituelle Lehrerder kaiserlichen Familie fungierten.“15

Wie wir gesehen hatten, waren der Panchen Lama, der 10.Shamarpa, der Trunpa Hutunku, Geschwister. Ihre selten erwähnteaußergewöhnliche Schwester galt als Ausstrahlung Dorje Pagmos.

1793 erwirkte daher Kaiser Chihichen Lung, dass das System der„goldene Urne“ eingeführt wurde:

„Im Beisein der Ambane sollten unter 3 Namen von in Fragekommenden Kindern aus diesem Gefäß ausgelost werden. DiesesLotterieverfahren fand bei der Kür der Wiedergeburten der DalaiLamas Nr. 10, 11 und 12 Anwendung. Auch der 8. und der 9.Panchen Lama wurden per Los ermittelt.“16

Gleichzeitig wurde ein neues Gesetz erlassen: Der Dalai Lamadurfte nicht mehr aus Adelsfamilien stammen.

Da die künftigen Dalai Lamas (9-12) kaum das Erwachsenenalter

15 Michael den Hoet: Die Linie der Dalai Lamas - Teil 2 in: Buddhismus Heute Nr. 33, ( 2001) http://www.buddhismus-heute.de/archive.issue__33.position__12.de.html

16 Ebenda.

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erreichten – manche wurden angeblich ermordet – blieb die Machtin der Hand von Regenten. Im 19. Jahrhundert war der chinesischeEinfluss im Land gering und beschränkte sich neben derbeschriebenen Einflussnahme beispielsweise auf die Wahl derTulkus auf Handelsbeziehungen, denn ihr Interesse galt u.a. dentibetischen Pferden. Die Macht der Gelukpas war entspprechendfast uneingeschränkt. Es war im übrigen die einzige Zeit, in derder spätere Mythos von Tibet als „verbotenes Land“ wirklichzutraf: Ab 1850 wurde es Ausländer verboten, das Land zubetreten.

Während das System von den Tributzahlungen und Steuern derBewohner des feudalen Landes gezahlt wurden, entstand einMachtgefüge, in dem auch adlige Familie wichtige Positioneneinnahmen. Gleichzeitig wurden die Geluk-Klöster Ganden, Seraund Drepung wichtige Zentren der Macht, über die sich dieZentralregierung weder innen- noch außenpolitisch gesehenhinweg setzen konnte.17

Copyright: © Gerd Bausch (bgerd [at] ymail.com)

17 Siehe Snellgrove/Richardson, , S. 220 ff.