Neue Verhaltensregeln für den planetarischen Garten. Zu ... · PDF filebücher....

download Neue Verhaltensregeln für den planetarischen Garten. Zu ... · PDF filebücher. polylog 30. Seite 124. Gilles Clément. Manifest der Dritten Landschaft. Merve Verlag, 2010 ISBN 978–3-88396–233–7

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    Nr.

    30 (2

    013)

    Gefrdert durch den Magistrat der stadt Wien

    migrationMit Beitrgen von Arash Abizadeh, Uchenna Okeja,

    Bianca Boteva-Richter, Nobuko Adachi, Kien Nghi Ha, Nausikaa Schirilla, Abullahi An-Naim, Peter EnZ

    und anderen

    polylogzeitschrift fr interkulturelles philosophieren

    ISSN

    1560

    -632

    5 I

    SBN

    978

    -3-9

    0198

    9-28

    -5

    15, 302013

    fmwTextfeldSONDERDRUCK

  • forum105peter Enz

    Religion und RebellionIbn Khaldun und die revolutionre Bewegung

    116Rezensionen & Tipps

    144IMPRESSUM

    145polylog bestellen

    5Arash Abizadeh

    Geschlossene Grenzen, Menschenrechte und demokratische Legitimation

    25Uchenna Okeja

    Migration und globale Gerechtigkeit: Afrikanische Sichtweisen

    41Bianca Boteva-Richter

    Die Migration und das Zwischen als konstituierendes Element Ist der globale Mensch ein ewiger Migrant?

    59Nobuko Adachi

    Die Dynamik von Rasse und Ethnizitt als Kategorisierungs- und Klassifizierungsprozess:Benennung, Rassenzuweisung und Ethnisierung in einer japanisch-brasilianischen Kommune

    75Kien Nghi Ha

    Postkoloniale Kritik und Migration

    83Nausikaa Schirilla

    Feminisierung der Migration und zurckgelassene KinderDiskurskritische und ethische Aspekte

    91Im Gesprch mit Abullahi An-NaimAnke Grane und Ursula Baatz im Mai 2013

    migration

  • bcher

    polylog 30Seite 124

    Gilles Clment

    Manifest der Dritten Landschaft

    Merve Verlag, 2010

    ISBN 9783-883962337

    64 Seiten

    Mdlina Diaconu

    Neue Verhaltensregeln fr den planetarischen Garten

    zu: Gilles Clment: Manifest der Dritten Landschaft

    Gilles Clment ist kein akademischer Philo-soph; er bezeichnet sich selbst als gardener, garden designer, botanist, entomologist and writer. Seine knstlerische Ttigkeit umfasst die Gestaltung mehrerer ffentlicher Parks und Grten in Frankreich und im Ausland seit den 1980er-Jahren, wie etwa des Parc Andr-Citron, wofr er 1998 mit dem franzsischen Preis fr Landschaftsarchitektur ausgezeichnet wurde. Die von ihm geprgten Begriffe pla-netarischer Garten, Garten in Bewegung

    oder Garten des Widerstands knnen jedoch in einen fruchtbaren Dialog mit dem inter-kulturellen Denken treten, zumal seine kon-kreten Landschaftsanalysen durch inhaltlich spannende und pointiert formulierte Theorien ergnzt und untersttzt werden.

    Das Manifest der Dritten Landschaft entwirft auf wenigen Seiten ein Programm zur Aufrechter-haltung und Aufwertung des sog. Tiers Paysage im Ausgang von einer Landschaftsanalyse in Limousin. Dabei bezeichnet die Dritte Land-

  • & medien

    polylog 30Seite 125

    Diversitt drckt sich in der

    Anzahl der Arten auf dem

    Planeten und in der Vielfalt

    der Verhaltensweisen aus. [...]

    Die Auswirkung des kulturellen

    Schmelztiegels schlgt sich

    in der Verminderung der

    Verhaltensweisen nieder.

    (S. 27, 31)

    schaft das sich selbst berlassene Brachland (darunter fallen etwa Feld- und Straenrn-der, Raine, Hecken usw.), das ein Refugium der Artenvielfalt (10) neben den Reservaten und den primren kosystemen darstellt. Die Herkunft des Begriffs der Dritten Landschaft verweist nach Angabe des Autors auf den Drit-ten Stand zur Zeit der Franzsischen Revolu-tion, der um ein zeitgenssisches Pamphlet zu paraphrasieren alles ist, vorher nichts war und hofft, etwas zu werden (12). An-ders ausgedrckt: Die Dritte Landschaft bildet ein no mans land zwischen der Macht und der Unterwerfung unter eine Macht und durch seinen Beitrag zur Biodiversitt leistet sie im-plizit Widerstand gegen den planetarischen Schmelztiegel (21).

    Im Unterschied zu den Lndern, in denen das Brachland die Vernachlssigung durch die Politik buchstblich vor Augen fhrt, die sol-che funktionslosen Rume vergessen hat, beinhalten sie gem Clment ein wirkliches Potential fr die Bestandserhaltung und Ver-grerung der biokulturellen Diversitt. Und zwar anders als die primren kosysteme und Reservate, die im Mittelpunkt der Dis-kurse ber die Biodiversitt stehen und die alle exogenen Arten ausschlieen, beherbergt die Dritte Landschaft sowohl heimische als auch exotische Arten. Gegen den allgemeinen Pro-zess der Anthropogenisierung, der primre kosysteme in sekundre Lebensrume ver-wandelt, stehen die sich selbst berlassenen Gelnde fr die Regenerierungskraft der Na-tur. Nichtsdestoweniger befrwortet Clment nicht die Konservierung dieser Rume, was

    sie zur Stagnation verurteilen wrde, sondern pldiert fr ihr Seinlassen (was wiederum ge-rade nicht mit Vernachlssigung verwechselt werden darf); erst dadurch entwickelt das Brachland von selbst eine starke Dynamik. Der konomischen Akkumulation wird somit die biologische Evolution im Sinne von Trans-formation und Invention gegenbergestellt (51, 56) und dem Monopol der Planbarkeit die Nicht-Planung als vitales Prinzip (59). Da-durch wird die Unproduktivitt rebellisch in den Rang einer politischen Praxis erhoben und was unter Schutz gestellt werden soll, ist gera-de die moralische, gesellschaftliche und poli-tische Deregulierung der Dritten Landschaft (61).

    Gilles Clments Manifest beansprucht, auf der Hhe der Zeit zu sein, indem es auf die unaufhaltsamen Globalisierungsprozesse re-agiert, die biologisch betrachtet zur Vermin-derung der Anzahl endemischer Arten und somit zu einer biologischen (wie auch kultu-rellen) Homogenisierung fhren. Die Dritte Landschaft wird damit explizit in ihrer plane-tarischen Dimension betrachtet, was jeglichem kleinkarierten Denken in lokalen wie natio-nalen Begriffen (wie etwa der Konservierung des nationalen Erbes) widerspricht. Der Glo-balisierung wird folglich weder reaktionr pau-schal getrotzt, noch romantisch nachgetrauert, sondern sie wird biologisch als ein Motor der Evolution ausgelegt (60). Dafr ist es aller-dings erforderlich, den modernen Gegensatz zwischen Mensch und Natur zu berwinden, sofern der Nutzer der Dritten Landschaft selbst ein Bestandteil des Evolutionssystems ist (55).

  • bcher

    polylog 30Seite 126

    Die Dritte Landschaft,

    unentschiedenes Fragment des

    planetarischen Gartens, nicht

    als nationales Erbe prsentieren,

    sondern als einen gemeinsamen

    Raum der Zukunft.

    (S. 61)

    Auch sind Kooperationen zwischen National-staaten anzuregen, um verlassene Gegenden in grne Korridore zusammenzufhren (vgl. 38f.), denn ein solches groes kontinuierliches Gelnde beherbergt auf synergetische Weise mehrere Arten als blo die Summe ebenso gro-er, allerdings isolierter Reservate. Und nicht zuletzt macht es das Desiderat, die Biodiver-sitt zu schtzen und zu frdern, notwendig, die Politik in einem weiten Sinne zu verstehen und sie in eine Ethik des Weltbrgers (25) und der Brgerpartizipation mnden zu las-sen. Denn die Dritte Landschaft passt sich nur zeitweilig bestehenden administrativen Gren-zen an, die sie durch stndig im Entstehen be-griffene biologische Grenzen verschiebt. Ihrer Inkonstanz entsprechend, ist es gerade im Zeitalter der Visualisierungsmethoden umso schwieriger, sie anders als durch Ungenauig-keit und Tiefe (63) darzustellen.

    Aus all dem ergibt sich eine Reihe von Ver-haltensregeln der Weltbrger in einem plane-tarisch gewordenen Garten (die auf den Seiten 5964 im Stil eines Manifests zusammengefasst werden), wie etwa die Folgenden: 1. Nicht auf die Verwirklichung langfristiger Plne von Verwaltung, Politik und Management war-ten, sondern sich fr die tgliche Bestandsauf-nahme entscheiden (63). 2. Die Verantwortung fr den Umgang mit der Dritten Landschaft nicht Experten berlassen, sondern sie zum Gegenstand eines kollektiven Bewusstseins machen (26). Und das bedeutet zugleich, 3. eine Mentalittsnderung in Gang zu bringen (59): Das Staunen als positive Anerkennung der Diversitt, die Aufwertung der Unentschie-

    denheit und der Unproduktivitt, schlielich das Sich-Einben sowohl in ein Eingreifen als auch in ein Nicht-Eingreifen oder Seinlassen (der natrlichen Invention und Transformation) verlangen, nicht nur eine bestehende Situation zur Kenntnis zu nehmen und ihre Tendenzen zu beobachten, auch nicht primr przise be-stimmte Resultate zu erzielen, sondern zuvor-derst Existenzmglichkeiten zu schaffen (48). Denn die Realitt der Dritten Landschaft ist eine geistige (25), sei es, dass die Evolution in lamarckscher Art statt darwinistisch verstan-den wird, sei es, dass in der Dritten Landschaft ein privilegierte[r] Ort der biologischen Intel-ligenz gefunden wird dank ihrer Fhigkeit, sich stndig neu zu erfinden (64). Die Betrach-tung der Dritten Landschaft ndert auch das Verhltnis zur Zeit, indem die Kontingenz, die Spontaneitt und die Unvorhersehbarkeit posi-tiv umgedeutet werden. Ebenso zwingt uns die Dritte Landschaft, Abschied zu nehmen von der abendlndischen Auffassung der Landschaft und diese mit anderen Kulturen der Erde [zu] konfrontieren, insbesondere mit jenen, die die Symbiose zwischen Mensch und Natur in den Vordergrund stellen (ebd.).

    Aufschlussreich, um das Denken Gilles Clments in seiner Kohrenz und Bandbrei-te zu rekonstruieren, sind auch die auf Fran-zsisch und Englisch auf www.gillesclement.com verffentlichten Texte, insbesondere Le jardin plantaire, Le jardin en mouvement (zur weltweiten Mobilitt und Migration der Pflanzen) oder Les jardins de rsistance (als Manifest einer antikapitalistischen, antikonsu-mistischen und humanistischen kologie der

  • & medien

    polylog 30Seite 127

    commons). hnliche Anstze sind in den letzten Jahren in Publikationen von Landschaftsarchi-tekten zu finden, die entweder die Wildnis des Brachlands als kreative Spo