Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - C.H. Beck · Eckhard Kreßel, Leiter Personal- und...

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Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Zweiwochenschrift für die betriebliche Praxis NZA Online Aufsatz 4/2016 23. Dezember 2016 · 33. Jahrgang · Seite 1–6 In Zusammenarbeit mit der Neuen Juristischen Wochenschrift herausgegeben von: Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Rechtsanwalt, Stuttgart – Prof. Dr. Johannes Peter Francken, Präsident des LAG Baden-Württem- berg a. D., Freiburg – Edith Gräfl, Vorsitzende Richterin am BAG, Erfurt – Dr. Thomas Klebe, Leitung Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht, Frankfurt a. M. – Wolfgang Koberski, Vorstand bei den Sozialkassen des Baugewerbes, Wiesbaden – Prof. Dr. Eckhard Kreßel, Leiter Personal- und Arbeitspolitik der Daimler AG, Stuttgart – Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preis, Universität zu Köln – Prof. Dr. Reinhard Richardi, Universität Regensburg – Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des BSG, Kassel – Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG, Erfurt – Prof. Dr. Klaus Schmidt, Präsident des LAG Rheinland-Pfalz a. D., Heidelberg – Prof. Dr. Achim Schunder, Rechtsanwalt, Frankfurt a. M. – Prof. Dr. Ulrike Wendeling-Schröder, Universität Hannover – Prof. Dr. Hellmut Wiß- mann, Präsident des BAG a. D., Erfurt Schriftleitung: Prof. Dr. Achim Schunder, Dr. Jochen Wallisch und Martin Wildschütz Beethovenstr. 7b, 60325 Frankfurt a. M. Online-Aufsatz Professor Dr. Rüdiger Zuck * Das Streikrecht von Beamten der Europäischen Patentorganisation I.Vorbemerkung Seit Jahren gibt es in der Europäischen Patentorganisation („EPO“) unerquickliche Auseinandersetzungen zwischen demPräsidentendesEuropäischenPatentamts(„EPA“), Bat- tistelli, und den in der EPO tätigen Gewerkschaften. Deren MitgliederundRepräsentantenwerdenausihrerSichtinder WahrnehmungihrergewerkschaftlichenRechte,insbesonde- re der Ausübung des Streikrechts durch den Präsidenten behindert. Dieser steht dagegen auf dem Standpunkt, er handleimRahmendesfürdieEPOgeltendenRechts. 1 Einen Höhepunkt hat die Auseinandersetzung durch die Verhän- gung von Disziplinarmaßnahmen gegen Gewerkschafts- repräsentantenundihreEntlassungausdemDiensterreicht. Da es sich um Beamte handelt und die EPO eine interna- tionale Organisation ist, die ihrem eigenen Rechtsverständ- nis folgt, ist die Klärung der Frage von Interesse, welchen Rechtsstatus eine Gewerkschaft in einer solchen Organisati- on hat und welche Rechte den Gewerkschaftsmitgliedern zustehen. Die nachfolgenden Ausführungen zielen auf die allgemeine Klärung der insoweit relevanten Rechtsfragen. Einer knappen Übersicht über die maßgeblichen Rechts- grundlagen (II) folgt eine Erörterung der streikrechtlichen Gewährleistungen(III).AufdieserGrundlagewirdeineAnt- wort auf die Frage versucht, unter welchen rechtlichen Maßstäben das Streikrecht von EPA-Bediensteten kontrol- lierbarist(IV). II.EPO-Organisationsstruktur 1.AllgemeineRechtsgrundlagen a) EPÜ. Die EPO beruht auf dem Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5.1.1973 2 („EPÜ“). Die Organe der EPO sind das EPA und der Verwaltungsrat (Art.4IIEPÜ).DieAufgabedesEPOistdieErteilungeuro- päischerPatente.DieLeitungdesEPAobliegtdemPräsiden- ten (Art. 5 III, Art. 10 EPÜ). Die Tätigkeit des EPA wird vom Verwaltungsrat überwacht (Art. 4 III 2, Art. 26ff. EPÜ). b) Art. 24 I GG. Die Bundesrepublik hat der EPO im Rah- men des Art. 24 I GG die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche Hoheitsgewalt übertragen. 3 Sie ist ein nicht- staatliches Völkerrechtssubjekt und als solches originärer Träger völkerrechtlich verbindlicher Rechte und Pflichten. 4 * DerAutoristOfCounselinderAnwaltskanzlei Zuck,Stuttgart. 1 Die internen Streitigkeiten reichen lange zurück. Sie haben viele Facet- ten, s. dazu – etwa – Köhn, Der Streit im Europäischen Patentamt eskaliert, FAZ v. 11.4.2016 (Nr. 84 S. 26). Der nachstehende Beitrag zieltnichtaufeineEinflussnahmezuGunstenoderzuLastenderKon- trahenten. Er klammert in Folge dessen auch die verfahrensrechtlichen Rechtsschutzfragen (EPA-Beschwerdeverfahren/ILOAT/EGMR/deut- scheArbeitsgerichte/BVerfG)aus. 2 RatifiziertvonderBundesrepublikdurchdasIntPatGÜvom21.6.1976 (BGBl.II,679)idFBGBl.II,2007,1082.DieEPOistvon16Mitglieds- staaten gegründet worden. Sie hat derzeit 38 Mitglieder. Die EPO hat ihrenSitzinMünchen(Art.6IEPÜ). 3 Schäfers in Benkard,EPÜ,2.Aufl.2012,Art.166Rn.3. 4 Kunz-Hallstein in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 10; Zuck,GRURInt2011,302.

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Neue Zeitschrift für

ArbeitsrechtZweiwochenschrift für die betriebliche Praxis

NZA Online Aufsatz 4/201623. Dezember 2016 · 33. Jahrgang · Seite 1–6

In Zusammenarbeit mit der Neuen Juristischen Wochenschrift herausgegeben von:Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Rechtsanwalt, Stuttgart – Prof. Dr. Johannes Peter Francken, Präsident des LAG Baden-Württem-berg a. D., Freiburg – Edith Gräfl, Vorsitzende Richterin am BAG, Erfurt – Dr. Thomas Klebe, Leitung Hugo Sinzheimer Institut fürArbeitsrecht, Frankfurt a. M. – Wolfgang Koberski, Vorstand bei den Sozialkassen des Baugewerbes, Wiesbaden – Prof. Dr.Eckhard Kreßel, Leiter Personal- und Arbeitspolitik der Daimler AG, Stuttgart – Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preis, Universität zu Köln –Prof. Dr. Reinhard Richardi, Universität Regensburg – Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des BSG, Kassel – Ingrid Schmidt,Präsidentin des BAG, Erfurt – Prof. Dr. Klaus Schmidt, Präsident des LAG Rheinland-Pfalz a. D., Heidelberg – Prof. Dr. AchimSchunder, Rechtsanwalt, Frankfurt a. M. – Prof. Dr. Ulrike Wendeling-Schröder, Universität Hannover – Prof. Dr. Hellmut Wiß-

mann, Präsident des BAG a. D., Erfurt

Schriftleitung: Prof. Dr. Achim Schunder, Dr. Jochen Wallisch undMartin WildschützBeethovenstr. 7b, 60325 Frankfurt a. M.

Online-Aufsatz

Professor Dr. Rüdiger Zuck*

Das Streikrecht von Beamten der Europäischen Patentorganisation

I. Vorbemerkung

Seit Jahren gibt es in der Europäischen Patentorganisation(„EPO“) unerquickliche Auseinandersetzungen zwischendem Präsidenten des Europäischen Patentamts („EPA“), Bat-tistelli, und den in der EPO tätigen Gewerkschaften. DerenMitglieder und Repräsentanten werden aus ihrer Sicht in derWahrnehmung ihrer gewerkschaftlichen Rechte, insbesonde-re der Ausübung des Streikrechts durch den Präsidentenbehindert. Dieser steht dagegen auf dem Standpunkt, erhandle im Rahmen des für die EPO geltenden Rechts.1 EinenHöhepunkt hat die Auseinandersetzung durch die Verhän-gung von Disziplinarmaßnahmen gegen Gewerkschafts-repräsentanten und ihre Entlassung aus dem Dienst erreicht.Da es sich um Beamte handelt und die EPO eine interna-tionale Organisation ist, die ihrem eigenen Rechtsverständ-nis folgt, ist die Klärung der Frage von Interesse, welchenRechtsstatus eine Gewerkschaft in einer solchen Organisati-on hat und welche Rechte den Gewerkschaftsmitgliedernzustehen. Die nachfolgenden Ausführungen zielen auf dieallgemeine Klärung der insoweit relevanten Rechtsfragen.Einer knappen Übersicht über die maßgeblichen Rechts-grundlagen (II) folgt eine Erörterung der streikrechtlichenGewährleistungen (III). Auf dieser Grundlage wird eine Ant-wort auf die Frage versucht, unter welchen rechtlichenMaßstäben das Streikrecht von EPA-Bediensteten kontrol-lierbar ist (IV).

II. EPO-Organisationsstruktur

1. Allgemeine Rechtsgrundlagen

a) EPÜ. Die EPO beruht auf dem Übereinkommen über dieErteilung europäischer Patente vom 5.1.19732 („EPÜ“). DieOrgane der EPO sind das EPA und der Verwaltungsrat(Art. 4 II EPÜ). Die Aufgabe des EPO ist die Erteilung euro-päischer Patente. Die Leitung des EPA obliegt dem Präsiden-ten (Art. 5 III, Art. 10 EPÜ). Die Tätigkeit des EPA wirdvom Verwaltungsrat überwacht (Art. 4 III 2, Art. 26 ff.EPÜ).

b) Art. 24 I GG. Die Bundesrepublik hat der EPO im Rah-men des Art. 24 I GG die zur Erfüllung ihrer Aufgabenerforderliche Hoheitsgewalt übertragen.3 Sie ist ein nicht-staatliches Völkerrechtssubjekt und als solches originärerTräger völkerrechtlich verbindlicher Rechte und Pflichten.4

* Der Autor ist Of Counsel in der Anwaltskanzlei Zuck, Stuttgart.1 Die internen Streitigkeiten reichen lange zurück. Sie haben viele Facet-

ten, s. dazu – etwa – Köhn, Der Streit im Europäischen Patentamteskaliert, FAZ v. 11.4.2016 (Nr. 84 S. 26). Der nachstehende Beitragzielt nicht auf eine Einflussnahme zu Gunsten oder zu Lasten der Kon-trahenten. Er klammert in Folge dessen auch die verfahrensrechtlichenRechtsschutzfragen (EPA-Beschwerdeverfahren/ILOAT/EGMR/deut-sche Arbeitsgerichte/BVerfG) aus.

2 Ratifiziert von der Bundesrepublik durch das IntPatGÜ vom 21.6.1976(BGBl. II, 679) idF BGBl. II, 2007, 1082. Die EPO ist von 16 Mitglieds-staaten gegründet worden. Sie hat derzeit 38 Mitglieder. Die EPO hatihren Sitz in München (Art. 6 I EPÜ).

3 Schäfers in Benkard, EPÜ, 2. Aufl. 2012, Art. 166 Rn. 3.4 Kunz-Hallstein in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 10;

Zuck, GRUR Int 2011, 302.

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Insoweit steht der EPO die Organisationsgewalt zu.5 Dieseumfasst ua die Personalhoheit. Das schließt die Möglichkeitein, die Rechtsverhältnisse ihrer Bediensteten eigenständigund unabhängig vom nationalen Recht der Mitgliedsstaatenzu regeln.6

c) BS. Die näherer Ausgestaltung ist im EPA-Beamtenstatut(„BS“) erfolgt, erlassen vom Verwaltungsrat, gestützt aufArt. 33 II Buchst. b EPÜ. Das BS gilt für alle Beamten desEPA, Art. 1 I BS. Beamter im Sinne des BS ist jeder EPA-Bedienstete, „der durch eine Urkunde der Anstellungsbehör-de zum Beamten auf Probe oder zum Beamten auf Lebenszeiternannt worden ist“ (Art. 1 II BS).7 Das EPA hat etwa 7000Bedienstete. Am Sitz in München sind ca. 3900 Bedienstetetätig, am Verbindungsbüro in Brüssel 14, in den Dienststel-len in Den Haag 2900, Wien 110 und Berlin 200 Bediens-tete.

III. Streikrecht

1. Gewerkschaften

In der EPO sind zwei Gewerkschaften organisiert. Die SUE-PO8 in München mit rund 3400 Mitgliedern und die FFPE9

in Den Haag mit rund 75 Mitgliedern. Damit sind rund50% der EPA-Bediensteten in München Mitglieder der SUE-PO. Formelle Verknüpfungen zwischen SUEPO und FFPEbestehen nicht. Die nachstehenden Überlegungen orientierensich im Wesentlichen an der Situation der SUEPO. Die am3.5.1979 beschlossene SUEPO-Satzung regelt die Gewerk-schaftsziele und ihre Durchsetzung in Art. 2 der Satzung„Objective and means of action….“. Zentrale Gegenständesind die Sicherung der Rechte der EPA-Bediensteten und dieVerbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Art. 7 der SUEPO-Satzung sieht die auf den jeweiligen Beschäftigungsort bezo-gene Gründung örtlicher Gewerkschaftsorganisationen vor.Sie sind an Art. 2 der SUEPO-Satzung gebunden. Für die„Sektion München“ ist am 26.9.1979 (idF v. 16.6.2005) dieGründung einer solchen Organisation beschlossen worden.

2. Streikrecht

Als internationales Völkerrechtssubjekt regelt das EPA(auch) das Streikrecht ihrer Bediensteten nach eigenen, vomnationalen Recht unabhängigen Regeln. So ist das Recht,eine Gewerkschaft zu gründen, ebenso gewährleistet (Art. 30BS) wie das Streikrecht (Art. 30 a BS),10 näher ausgestaltetdurch die vom Präsidenten mit Rundschreiben Nr. 347 vom27.6.2013 erlassenen Streikrichtlinien.11

IV. Rechtskontrolle

1. Fragestellung

Die Auseinandersetzungen zwischen dem Dienstherrn undEPA-Bediensteten haben sicherlich etwas mit der Austarie-rung der internen Machtverhältnisse, aber auch mit deminsoweit involvierten Führungspersonal zu tun. Es liegt aufder Hand, dass die Handlungsfähigkeit des Verwaltungsrats,der die Kompetenz hat, regulierend einzugreifen, angesichtsvon 38 Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichen nationalenInteressen begrenzt ist. Es ist deshalb hilfreich, Kernpunkteder Auseinandersetzung herauszuarbeiten, nicht um konkretStellung zu beziehen, sondern um allgemein zu klären, wel-chen Rechtsregeln diese Beurteilung folgt. Das betrifft dieBedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze für die Rechts-anwendung durch EPA/ILOAT (2), die Gewerkschaftsfrei-heit (3) und das Streikrecht (4).

2. Allgemeine Rechtsgrundsätze

a) Externe Rechtsanwendungsregeln. Wie schon erwähnt:Die EPO unterliegt als internationales Völkerrechtssubjektkeinem nationalen Recht ihrer Mitglieder.12 Da die EPOkeine EU-Organisation ist, ist auch Unionsrecht, insbesonde-re soweit es sich um die Europäische Grundrechtecharta(„GRCh“) handelt, unanwendbar.13 Da die EMRK nur fürderen Mitgliedsstaaten gilt, kann auch auf die EMRK nichtunmittelbar zurückgegriffen werden.14 Das ist auch derStandpunkt des Allgemeinen Tribunals der InternationalenLabour Organisation („ILOAT“), das von den EPA-Bediens-teten nach Erschöpfung des internen Rechtsschutzsystems(Art. 106 ff. BS) angerufen werden kann (Art. 113 BS).15

b) Kontrolle durch allgemeine Rechtsgrundsätze. Dass dasEPA „eigenen Regeln“ folgt, bedeutet jedoch nicht, dass esseine Rechtsregeln frei setzen kann, dh nur der eigenen Vor-gabe verpflichtet ist. Auch das ILOAT unterliegt den Gren-zen, denen jedes Gericht, das in der westlichen Traditionarbeitet, unterworfen ist. Die daraus folgenden Bindungenergeben sich aus dem jeweiligen Gründungsakt. Kein Mit-gliedsstaat kann die Übertragung seiner staatlichen Hoheits-gewalt nutzen, um sich von den elementaren Grundsätzenseiner eigenen Rechtsordnung, die ihrerseits wieder darüberhinausgehenden allgemeinen Grundsätzen folgen, frei-zuzeichnen. Die Bindung folgt in der Sache aus den allgemeinanerkannten menschenrechtlichen Gewährleistungen. Es ge-nügt insoweit, was für die allgemeinen Regeln des Völker-rechts angenommen worden ist, dass es für solche Grund-sätze eine überwiegende rechtliche Anerkennung gibt.16 Einallgemeiner Rechtsgrundsatz ist damit ein solcher, dem nachüberwiegender Überzeugung gegenüber einfachrechtlichenGewährleistungen Bedeutung zukommt. Ob damit rechtlicheVerbindlichkeit gegeben ist oder ob der allgemeine Rechts-

5 Ullrich, Das Dienstrecht der Internationalen Organisationen, 2009, 18.6 BVerfGK 8, 266 (267) = NVwZ 2006, 1403.7 Das BS gilt nach Maßgabe des Art. 1 VII auch für sonstige Vertrags-

bedienstete.8 = Staff Union of the EPO.9 = Fédération de la Fonction Publique Européenne – European Patent

Office. Der Sitz der FFPE ist Rijswigk, Art. 1 Nr. 3 der Satzung. Die inArt. 2 der Satzung formulierten Gewerkschaftsziele „to promote theinterests of the members“ (allein maßgeblich ist die holländische Fas-sung „het behartigen van de belangen van de leden“) sind in ihrenjeweiligen Konkretisierungen etwas ausf. als Art. 2 SUEPO-Satzung,unterscheiden sich aber in der Sache nicht wesentlich.

10 Eingefügt in das BS durch Beschl. des Verwaltungsrats Co/D5/13.11 Beruhend auf Art. 30 a X BS.12 Kunz-Hallstein in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 10;

Zuck, GRUR Int 2011, 302.13 Art. 47 GRCh als „Grundprinzip des Unionsrechts“ (EuGH, ECLI:EU:

C:2011:524 = Slg. 2011, I-7175 = NVwZ 2011, 1380 [1383] Rn. 59 –Samba Diouf) ist zwar als allgemeines Menschenrecht konzipiert. Dasändert aber nichts daran, dass die Vorschrift nur im Rahmen derAnwendung von Unionsrecht greift (vgl. EuGH, ECLI:EU:C:2013:280= NJW 2013, 1415 = NVwZ 2013, 561 = NZA 2013, 498 Ls. – Åker-berg-Fransson und dazu Lechner/Zuck, BVerfGE, 7. Aufl. 2015, Einl.Rn. 25 ff.); Guckelberger, Effektiver Rechtsschutz nach Art. 47 GRChin FS Wendt 2015, 1165 (1172).

14 Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Einl. Rn. 32. Die EMRK hat inDeutschland den Rang eines Bundesgesetzes (BVerfG, EuGRZ 2015,181 (198) = BVerfGE 138, 296 = NJW 2015, 1359 = NVwZ 2015,884, stRspr). Das gilt für alle völkerrechtlichen Verträge. Sie erhaltenerst durch die jeweiligen Zustimmungsgesetze innerstaatliche Wirksam-keit. Sie haben – durchweg – in Folge dessen den Rang einfacherBundesgesetze (BVerfG, EuGRZ 2016, 206 (211) = NJW 2016, 1295Rn. 44 f.) – Treaty Override. Krit. dazu Fastenrath, JZ 2016, 636(638 ff.).

15 Dass das ILOAT nationales Recht nicht anwenden kann, ist offenkun-dig. Das ILOAT hat hinzugefügt, es sei auch nicht an Unionsrecht oderdie EMRK gebunden, sondern folge durchweg eigenen Regeln (s. etwaJudgement Nr. 3138 Cons. 7, stRspr).

16 BVerfGE 117, 141 (148) = NJW 2007, 2605.

2 NZA Online Aufsatz 4/2016 Zuck, Das Streikrecht von Beamten der Europäischen Patentorganisation

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grundsatz nur als Auslegungshilfe dient, muss fallbezogengeklärt werden.

3. Allgemeine Rechtsgrundsätze für das Recht, eineGewerkschaft zu gründen

a) Rechtsquellen. Das Recht eine Gewerkschaft zu gründen,ist Bestandteil der menschenrechtlichen in Art. 23 IVAEMR17 und in Art. 22 des Internationalen Pakts über bür-gerliche und politische Rechte (IPBürgR)18 enthaltenen Ge-währleistungen. Das wird durch Art. 12 I GRCh in rechts-verbindliche Form gegossen, wenn es dort heißt, jede Personhabe das Recht, „zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaf-ten zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.“19 Undschließlich ist eine ähnliche Formulierung in Art. 11 I EMRKzu finden.20

Trotz zum Teil fehlender, im Übrigen aber beschränkterunmittelbarer Rechtsverbindlichkeit dieser Regelungen kannman aus ihnen den Schluss ziehen, dass das Recht, eineGewerkschaft zu gründen und in ihr zu wirken, ein allgemei-ner Rechtsgrundsatz ist. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatzliegt auch Art. 30 BS zu Grunde. Zwar wird die Doppelfunk-tion gewerkschaftlicher Gewährleistungen (Gründung/Mit-gliedschaft) nur in Bezug auf die Mitgliedschaft ausdrücklichangesprochen. Aber wenn der Bedienstete einer Gewerk-schaft „angehören“ darf, wird damit auch deren eigenständi-ger Status anerkannt.

b) Konkretisierung. Für allgemeine Rechtsgrundsätze ist ihrAbstraktionsgrad ein wesentliches Merkmal. Dass man eineGewerkschaft gründen (und ihr angehören oder ihr fernblei-ben) darf, sagt nichts über die Modalitäten. Sie könnenerheblich variieren, wie Art. 22 II IPBürgR exemplarisch ver-deutlicht.21 Das soll hier anhand zweiter Fallgestaltungenerörtert werden. Wann ist eine Vereinigung eine Gewerk-schaft? (aa) Bedarf eine Gewerkschaft der förmlichen An-erkennung durch den Dienstherrn? (bb).

aa) Gewerkschaftsstatus. Das deutsche Recht hat – arbeits-rechtlich – daran angeknüpft, dass die Vereinigung tarifwil-lig und tariffähig ist.22 Mit Recht ist aber darauf hingewiesenworden, dass Art. 9 II GG ganz allgemein von der Wahrungund Förderung der Wirtschaftsbedingungen spricht und dasssich im Übrigen die tatsächlichen Verhältnisse gewandelthaben. Arbeitskämpfe haben vermehrt und mit großem Ge-wicht auch andere Ursachen, wie etwa Privatisierungen, Un-ternehmensaufspaltungen und die Tarifflucht.23 Verfas-sungsrechtlich gehört der Abschluss von Tarifvereinbarun-gen nach deutschem Recht ohnehin nicht zum Wesen derKoalitionsfreiheit.24 Für den Gewerkschaftsstatus von EPO-Gewerkschaften ist das deutsche Recht jedoch bedeutungs-los. Mit dem EGMR ist als allgemeiner Rechtsgrundsatzdavon auszugehen, dass der Gewerkschaftsstatus und dasmit ihm verbundene Recht auf Kollektivverträge weit zu ver-stehen ist, damit allerdings inhaltlich unbestimmt bleibt.25

Das führt für die EPO-Gewerkschaften zu dem Ergebnis,dass sie in zulässiger Weise Gewerkschaftsstatus haben, ob-wohl ihre Gewerkschaftsziele außerhalb des Abschlusses vonTarifverträgen liegen wie dies für alle Beamtengewerkschaf-ten (für deren Mitglieder die Vergütung durch Gesetz be-stimmt ist) wesentlich ist.

bb) Förmliche Anerkennung. Art. 30 BS anerkennt die Ge-werkschaftsfreiheit. Das entspricht den Vorgaben derEGMR-Rechtsprechung, die diese Freiheit als allgemeinenRechtsgrundsatz anerkennt, der auch internationale Organi-sationen bindet.26 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dassSUEPO (und FFPE) die Voraussetzungen für die Anwendung

des Art. 30 BS fehlen. Eine förmliche Bestätigung durch denDienstherrn hat die SUEPO jedoch bislang nicht erreicht.Man wird in der Annahme nicht fehl gehen, dass es derSUEPO dabei nicht um Förmlichkeiten gegangen ist, sonderndarum, als notwendiger Gesprächs- und Verhandlungspart-ner in Bezug auf die Belange der EPA-Bediensteten an-erkannt zu werden. Denkt man das zu Ende, so steckt sicherdie Forderung dahinter, über alle für die Gewerkschaftsmit-glieder relevanten Planungen und Maßnahmen des Dienst-herrn rechtzeitig und sachgerecht informiert und in dieschließlich getroffenen Entscheidungen einbezogen zu wer-den. Das damit angesprochene gewerkschaftliche Informati-ons- und Beteiligungsrecht hat zwei Seiten. Sie betreffen zumeinen den Abschluss von Kollektivverträgen. Die Rechtsposi-tion einer Gewerkschaft würde leerlaufen, wenn ihr dierechtzeitige und sachgerechte Information zu den möglichenGegenständen einer solchen Vereinbarung vorenthalten wür-de. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die unabhängig voneiner entsprechenden Erklärung des Dienstherrn besteht. Dieandere Seite betrifft die mögliche Einflussnahme einer Ge-werkschaft auf die vom Dienstherrn allgemein verfolgtenZiele, Planungen und Maßnahmen, bei denen es nicht umden Abschluss einer Vereinbarung, sondern um die Einfluss-nahme auf das Vorgehen des Dienstherrn geht. Aber einenRechtsanspruch einer Gewerkschaft, insoweit informiertund an den zu treffenden Entscheidung beteiligt zu werden,gibt es nicht, auch wenn zur Gewährleistung des sozialenFriedens ein Miteinander (trotz der notwendigen Interessen-gegensätze) der Kontrahenten vorzuziehen ist. Ob und inwelchem Umfang eine Gewerkschaft insoweit als Gesprächs-und Verhandlungspartner anerkannt wird, hängt deshalbvon der entsprechenden Bereitschaft des Dienstherrn ab. Sohat der EPA-Präsident insoweit von einem Vakuum gespro-chen, das über ein mit den Gewerkschaften zu vereinbaren-des „Memorandum of Understanding“ (MoU) geschlossenwerden solle.27 Neben der formellen Anerkennung der Ge-werkschaften als Sozialpartner (Art. 2) will das MoU die

17 S. dazu Nettesheim, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte undihre Rechtsnatur in HGR VI/2, 2009, § 173. Wie Art. 23 AEMR, rück-gekoppelt an die UN-Charta, insgesamt zeigt, ist die Gewerkschafts-freiheit ein Anwendungsfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit (s.dazu auch Art. 5, 6 I ESC).

18 Der Pakt wurde in Deutschland ratifiziert durch Gesetz vom 15.11.1973 (BGBl. II, 1533) und dazu Vedder, Die allgemeinen UN-Men-schenrechtspakte und ihr Verfahren in HGR VI/2, 2009, § 174.

19 S. dazu Bernsdorff inMeyer, GRCh, 4. Aufl. 2014, Art. 12 Rn. 17.20 Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 18 ff.21 Die damit verbundenen staatlichen Regelungsvorbehalte sind allen all-

gemein anerkannten Gewerkschaftsfreiheiten eigen, vgl. – etwa – fürArt. 11 I EMRK, Pollin, Das Streikverbot für verbeamtete Lehrer,2015, 102; EGMR, NZA 2010, 1425 (1430) Rn. 141, 154 – Demir u.Baykara. Dass damit, wenn Rechte auf internationale Organisationenübertragen werden, Beschränkungen im Bereich des Schutzes fun-damentaler Freiheiten verbunden seine könnten, hat der EGMR grds.anerkannt (vgl. Entsch. v. 6.1.2015 – Nr. 415/07 – Klausecker/Deutschland Rn. 80).

22 Löwer in v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 96; BAG, APGG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 44. S. dazu Buchholtz, Streiken im euro-päischen Grundrechtsgefüge, 2014, 296 ff.

23 Buschmann, Arbeitskampf zwischen Europäischem Unionsrecht, Euro-päischen und Internationalen Menschenrechten und Verfassungsrechtin FS Kempen 2013, 255 (256 ff.).

24 BVerfGE 50, 290 (371) = NJW 1979, 699.25 Zum Inhalt von Kollektivverhandlungen äußert sich der EGMR (NZA

2010, 1425 (1431) Rn. 154 – Demir u. Baykara) nicht. Es bleibt Sachedes betreffenden Staates (oder hier: der Internationalen Organisation)in den Grenzen des Art. 11 I EMRK (s. dazu EGMR, NZA 2010, 1423[1424] Rn. 26 ff. – Enerji Yapi – Yol Sen/Türkei) die Rahmenbedingun-gen für Kollektivvereinbarungen, damit aber auch für die Anerkennungeiner Vereinigung als Gewerkschaft zu bestimmen, s. dazu ausf. Pollin,Das Streikverbot für beamtete Lehrer, 2015, 103 f.

26 EGMR, NJW 2006, 197 Rn. 159 ff. – Bosphorus/Irland; EGMR,NVwZ-RR 2016, 644 Rn. 100 – Klausecker/Deutschland.

27 Schr. v. 24.2.2016.

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maßgeblichen Verhaltensgrundsätze festlegen (Art. 3). Eshebt besonders hervor:• criteria for the recognition of unions (Art. 7)• consultation process on the basis of a mutual establishedsocial dialogue list an with the aim to reach an agreement(Art. 11 ff.)

• resources and facilities to be granted to the signatoryunions (Art. 14 ff.).

Die FFPE hat das MoU unterschrieben,28 die SUEPO nicht.Angesichts der anhaltenden Disziplinarmaßnahmen gegenführende SUEPO-Repräsentanten29 fehle es am notwendigenVertrauen. Die Anerkennung gehe auch nicht weit genug.Die im MoU enthaltene Verpflichtung, das gesamte EPO-Recht als maßgebliche Rechtsgrundlage anzuerkennen(Art. 5.1 1. Spiegelstrich MoU), sei, weil die SUEPO eineganze Reihe von Regeln für unrechtmäßig halte, nicht zu-mutbar.30

Das primäre Problem liegt in Art. 5.1 MoU. Es verpflichtetdie SUEPO, eine Satzung vorzulegen, die mit der gesamtenEPO-Rechtsordnung in Einklang stehen muss. Dass sich eineGewerkschaftssatzung an das geltende Recht halten muss, istzwar eine Selbstverständlichkeit. Art. 5.1 MoU wird mandeshalb weiter verstehen müssen und das macht der Textauch deutlich, soweit er neben dem BS auch alle Richtlinienund Rundschreiben einbezieht. Das ließe sich nur akzeptie-ren, wenn man den Vorbehalt machte, dass sich ein solchesAnerkenntnis nur auf eine Rechtslage beziehen könne, diemit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Einklang steht.Da aber Hintergrund für Art. 5.1 MoU und der Weigerungder SUEPO, das Memorandum zu unterschreiben, wenigerdie Ausgestaltung der Gewerkschaftsfreiheit ist, als der Streitum die Ausgestaltung des EPA-Disziplinarrechts und der ausSicht der SUEPO wegen fehlender Unabhängigkeit defizitäreinterne EPA-Rechtsschutz ist, müsste die SUEPO ihre eigeneRechtsposition zur Wahrung der Arbeitsbedingungen ihrerMitglieder in vollem Umfang aufgeben. Kann man nochakzeptieren, dass sich eine Rechtsanerkennung auf Regelnder Gewerkschaftsfreiheit bezieht und damit das für Beam-ten i. e. S. wesentliche Treue- und Loyalitätsverhältnis akzen-tuiert, so fehlt jede für den Dienstherrn notwendige Recht-fertigung dafür, dass eine Gewerkschaft als Preis für ihreformelle Anerkennung ihre sämtlichen Rechtspositionen räu-men muss.31 Für einen solchen Verzicht gibt es deshalbkeinen begründeten Anlass.

Es gibt aber noch ein weiteres Problemfeld. Das MoU machtdie Anerkennung von Grundvoraussetzungen der gewerk-schaftlichen Tätigkeit von der Unterzeichnung des Memo-randums abhängig. Das lässt sich nicht rechtfertigen. DieGewerkschaftsfreiheit ist in Art. 30 BS anerkannt. Damituntrennbar verbunden sind auch die Mindestvoraussetzun-gen für jede gewerkschaftliche Tätigkeit. Sie sind im Kapitel4 des MoU im Detail aufgeführt, nämlich die Zurverfügung-stellung geeigneter Räume, die Versammlungsfreiheit in die-sen Räumen, die erforderliche personale Freistellung für dieAusübung gewerkschaftlicher Funktionen und besondere Ur-laubsregelungen. Solche Grundvoraussetzungen folgen aberaus der Natur der Sache der Anerkennung der Gewerk-schaftsfreiheit. Sie können nicht von einer förmlichen An-erkennung abhängig gemacht werden. Dennoch sind allediese Voraussetzungen derzeit für die SUEPO nicht gegeben.

4. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Streikrechts

a) Rechtsquellen. Das Streikrecht hat den Menschenrechtlernanfangs Probleme bereitet. Es taucht in der UN-Charta, im

AEMR und in der EMRK32 noch nicht auf. Die offizielleGeburt erfolgte erst im Jahr 1961 mit Art. 6 IV ESC33 derdas Streikrecht ausdrücklich anerkennt.34 Der InternationalePakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte35

anerkennt in seinem Art. 8 das Streikrecht ebenfalls. Art. 28GRCh kodifiziert das: Die Parteien von Kollektivverhand-lungen und -maßnahmen haben das Recht, „bei Interessen-konflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrerInteressen, einschließlich des Streiks zu ergreifen.“36

Wesentlich ist, dass das Streikrecht nie absolut anerkanntworden ist, sondern immer nur nach Maßgabe des inner-staatlichen Rechts.37 Auch die Einschränkungen des Streik-rechts für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und deröffentlichen Verwaltung sind entsprechend tradiert.

b) Beamte. Das Streikrecht für Beamte ist in DeutschlandGegenstand lebhafter Diskussion;38 in jüngerer Zeit beein-flusst durch die Rechtsprechung des EGMR39 und desBVerwG.40 Der EGMR hat die schon erwähnten Einschrän-kungen des Streikrechts (ua) für Angehörige des öffentlichenDienstes, die im Namen des Staates Hoheitsgewalt ausüben,für zulässig gehalten.41 Dazu hatte der EGMR, beginnendmit der Pellegrin-Entscheidung42 vielfältige Kriterien einge-führt. Maßgebend ist die Art der von der betreffenden Per-son ausgeübte Tätigkeit und die damit verbundene Verant-wortlichkeit. Die Demir u. Baykara-Entscheidung hat dabeidie Ausübung von Hoheitsgewalt dahingehend präzisiert,dass es sich um eine Tätigkeit „im Bereich ausschließlichenRechts des Staates“ handeln müsse.43 Der EGMR hat zu-gleich aber betont, dass Angehörige des öffentlichen Dienstes

28 Am 2.3.2016.29 Sie sind nicht auf deren gewerkschaftliche Aktivitäten bezogen. Die

SUEPO hält demgegenüber die Gründe für die Disziplinarmaßnahmenfür vorgeschoben.

30 Zu den Gründen im Einzelnen s. das SUEPO-Vorstandsschreiben vom31.3.2016 – su 16063 cp – 5.1

31 Ob diese Rechtspositionen berechtigt sind, ist nicht Gegenstand dieserErörterung.

32 Zur Entwicklung des Streikrechts aus Art. 11 EMRK vgl. Ickenroth,Das deutsche Beamtenstreikverbot im Lichte der Europäischen Men-schenrechtskonvention, 2016, 39 ff.

33 Ausf. Buchholtz, Streiken im europäischen Grundrechtsgefüge, 2014,79 ff.

34 Die ILO-Convention Nr. 87 aus dem Jahr 1994 erwähnt das Streik-recht zwar nicht ausdr., wird aber so verstanden, als ob sie es anerken-ne, vgl.Gernigon/Odero/Guido, ILO Principles concerning the Right tostrike, 2000, 8. Zu Einzelheiten vgl S. 25. Zu weiteren ILO-Conventi-ons vgl. Laubinger, Das Streikrecht für Beamte unter dem Anpassungs-druck des Europarechts, FS Klein 2013, 1141 (1155 ff.).

35 IPWSKR v. 19.12.1966, ratifiziert durch die Bundesrepublik durchGesetz vom 23.11.1973 (BGBl. II, 1569), s. dazu Vedder, Die allgemei-nen Menschenrechtspakte und ihre Verfahren in HGR VI/2, 2009,§ 174.

36 S. dazu Rudolf inMeyer, GRCh, 4. Aufl. 2014, Rn. 27.37 Art. 28 GRCh fügt noch die „Gepflogenheiten“ hinzu, s. dazu auch

Rixen/Scharl in Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 28 Rn. 16 ff.38 Niedobiteki, ZBR 2010, 361; Schlachter, RdA 2011, 347; Lindner,

DÖV 2011, 305; Polakiewicz/Kessler, NVwZ 2012, 841; Buschmann,Arbeitskampf zwischen Europäischem Unionsrecht, Europäischen undInternationalen Menschenrechten und Verfassungsrecht in FS Kempen2013, 255; Steinau-Steinrück/Susa, NZA 2014, 580; Wißmann, ZBR2015, 294; Hufen, JuS 2014, 672; Schuppert, Das beamtenrechtlicheStreikverbot auf dem Prüfstand, 2014; Buchholtz, Streiken im europäi-schen Grundrechtsgefüge, 2014;Merten, Streikfreiheit für Beamte kraftEuropäischer Menschenrechtskonvention in FS Wendt, 2015, 303; Pol-lin, Das Streikverbot für verbeamtete Lehrer, 2015; Kawik, DÖV 2016,2012; Ickenroth, Das deutsche Beamtenstreikverbot im Lichte der Eu-ropäischen Menschenrechtskonvention, 2016.

39 EMGR, NZA 2010, 1423 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei; EGMR, NZA2010, 1425 – Demir und Baykara/Türkei.

40 BVerwGE 149, 117 mit Anm. v. Battis, ZBR 2014, 201; Kutscher,AuR 2014, 410; BVerwG, NZA 2015, 505.

41 EGMR, NZA 2010, 1423 Rn. 32 – Energi Yapi-Yol Sen/Türkei.42 EGMR, NVwZ 2000, 661 – Pellegrin/Frankreich.43 EGMR, NZA 2010, 1425 Rn. 151 – Demir u. Baykara/Türkei.

4 NZA Online Aufsatz 4/2016 Zuck, Das Streikrecht von Beamten der Europäischen Patentorganisation

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nicht per se aus dem Anwendungsbereich des Art. 11 IEMRK (und damit – insoweit – der Anwendung allgemeinerRechtsgrundsätze) herausfielen.44 Einschränkungen müssedeshalb der Staat (und eine internationale Organisation)auch bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes nachvoll-ziehbar begründen. EPA-Bedienstete sind in der Regel Beam-te. Das unterliegt nach deutschem Recht den Gewährleistun-gen des Art. 33 V GG, mit der daraus hergeleiteten Folge desStreikverbots.45 Dem steht die EGMR-Rechtsprechung ent-gegen und das hat zu einer lebhaften und wegen der dieRechtsprechung des EGMR einbeziehenden Rechtsprechungdes BVerwG andauernden Diskussion geführt.46 Sie ist imhier gegebenen Zusammenhang nur bedeutsam, soweit derBegriff des öffentlichen Dienstes in der Rechtsprechung desEGMR erörtert wird. Dabei erscheinen jedoch semantischeÜberlegungen zu den Wörtern fonctionaire, civel servantoder Beamter47 wenig hilfreich, zumal international gesehensowohl der Begriff des öffentlichen Dienstes als auch der desBeamten unterschiedlich verstanden wird. Sinnvoller ist es,die wahrzunehmende Aufgabe zu untersuchen und zu klä-ren, ob es sich dabei um ausschließlich unter Ausübungstaatlicher Hoheitsgewalt zu erfüllende Aufgaben handelt.48

Geht man der Antwort auf die Frage für EPA-Beamte nach,so muss man klären, was ein Beamter in einer Behörde, diemit der Erteilung von Patenten befasst ist, tut. Damit hat sichdas BVerfG für das deutsche Recht befasst. Das ist übertrag-bar, weil es keinen Unterschied macht, ob es um die Ertei-lung des deutschen oder eines europäischen Patents geht (vgl.Art. 52 ff. EPÜ).49 Für Bedienstete beim DPMA, tätig alstechnische Mitglieder, ist das BVerfG davon ausgegangen,dass eine patentfähige Erfindung eine Rechtsposition dar-stellt.50 Damit verbindet sich der öffentlich-rechtliche An-spruch des Erfinders.51 Er wird vom Patentamt als einerVerwaltungsbehörde beurteilt. Die Erteilung eines Patents(oder die entsprechende Ablehnung) stellt sich damit als einehoheitliche Aufgabe dar.52 In diesem Sinne nehmen die miteiner solchen Aufgabe befassten EPA-Bediensteten „foncti-ons d’autorité“ wahr.

c) Folgerungen. aa) Allgemeine Vorgaben. Es ist schon da-rauf hingewiesen, dass danach grundsätzlich zulässige Be-schränkungen des Streikrechts ihrerseits Grenzen unterlie-gen. Der EGMR hat judiziert, dass diese Beschränkungeneng auszulegen sind. Sie dürfen das Recht auf Vereinigungs-freiheit nicht in seinem Wesensgehalt antasten. Der Dienst-herr einer internationalen Organisation muss in Folge dessendartun, dass seine das Streikrecht regulierenden Bestimmun-gen gerechtfertigt und notwendig sind.53

bb) Art. 30 a BS. Art. 30 a I BS bestätigt, dass die Bediens-teten, damit also auch die EPA-Beamten, das Recht haben zustreiken. Die folgenden Absätze der Vorschrift regeln diedamit verbundene Gewerkschaftsfreiheit. Insoweit erwecktzunächst Abs. 5 Zweifel, weil er der Gewerkschaft aufgibt,die Dauer des Streiks anzugeben. Die damit verbundene Be-schränkung des Streikrechts lässt sich unter dem Erfordernisder Sicherstellung der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgabenzwar rechtfertigen, führt aber zu einer erheblichen Verände-rung des Streikrechts. Auf den ersten Blick ließe die zeitlicheBegrenzung an einen Warnstreik denken. Darum kann essich aber nicht handeln, weil jeder Warnstreik auf die – hierjedoch ausgeschlossene – Möglichkeit eines unbefristetenStreiks deutet. Das Beamtenstreikrecht erweist sich vielmehrals kollektive Missfallensäußerung. Damit ist aber immernoch ausreichendes Gewicht verbunden. Der Streik signali-siert nämlich eine – möglicherweise – dauerhafte Störung dessozialen Friedens. Diesen zu wahren, bleibt ein zentrales Ziel

der Sozialpartner. Mit dem Streikrecht wird die Notwendig-keit, zu einem sozialen Ausgleich zu kommen, auch ausdieser Sicht immer noch hinreichend manifestiert.

cc) Streikrichtlinien. Gestützt auf Art. 30 a VII BS hat derPräsident mit dem Rundschreiben Nr. 347 vom 27.6.2013Streikrichtlinien erlassen, um „den reibungslosen Betrieb desAmtes zu gewährleisten.“ Insoweit gibt es eine Reihe vonBedenken.

(1) So ist keine Notwendigkeit dafür zu erkennen, dass gem.B 3 die Abstimmung über den Beginn des Streiks „vom Amtorganisiert“ wird. Der Streik ist ein elementarer Teil derGewerkschaftsfreiheit. Es gibt keinen Grund, die formellenVoraussetzungen insoweit in fremde Hände zu legen. Dasgilt erst recht für die Anordnung, das Abstimmungsverfah-ren von einem Ausschuss überwachen zu lassen. Dass Ab-schnitt B der Streikrichtlinien ein Quorum für die Gültigkeitder Abstimmung auch insoweit vorgibt, als er den Prozent-satz der an der Abstimmung Teilnehmenden festlegt, auchdafür gibt es keinen gerechtfertigten Anlass.

(2) B 4 beschränkt die Streikdauer auf einen Monat. Das hältsich im Rahmen des Art. 30 a V BS und wird im Übrigendurch die Möglichkeit eines weiteren Streiks abgeschwächt.

(3) Gegen die Verpflichtung des Beamten, über seine Teil-nahme am Streit zu informieren (B 5), ist ebenfalls nichtseinzuwenden, weil das Ausmaß der mit dem Streik verbun-denen Beschränkung der Ausübung hoheitlicher Befugnisseabschätzbar sein muss.

dd) Ergebnis. Zwar wird das Streikrecht der EPA-Beamtenzum Teil in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Da-von abgesehen sind diese Einschränkungen aber die Folgeder von den Beamten ausgeübten hoheitlichen Aufgaben.Die EPO-Gewerkschaften könnten insgesamt, von den hierdiskutierten Einwendungen abgesehen, von ihrer Gewerk-schaftsfreiheit sachgemäßen Gebrauch machen, wenn derDienstherr die Grundvoraussetzungen für gewerkschaftlicheTätigkeit unabhängig von der Unterzeichnung des MoU ge-währleisten würde.

V. Zusammenfassung

Die EPO als nicht-staatliches Völkerrechtssubjekt folgt ih-rem eigenen Recht. Das zeichnet sie aber von der Beachtungallgemeiner Rechtsgrundsätze nicht frei. Diese werden

44 EGMR, NZA 2010, 1425 Rn. 197 – Demir u. Baykara/Türkei.45 BVerwGE 149, 117; NZA 2015, 505.46 Niedobiteki, ZBR 2010, 361; Schlachter, RdA 2011, 347; Lindner,

DÖV 2011, 305; Polakiewicz/Kessler, NVwZ 2012, 841; Buschmann,Arbeitskampf zwischen Europäischem Unionsrecht, Europäischen undInternationalen Menschenrechten und Verfassungsrecht in FS Kempen2013, 255; Steinau-Steinrück/Susa, NZA 2014, 580; Wißmann, ZBR2015, 294; Hufen, JuS 2014, 672; Schuppert, Das beamtenrechtlicheStreikverbot auf dem Prüfstand, 2014; Buchholtz, Streiken im europäi-schen Grundrechtsgefüge, 2014;Merten, Streikfreiheit für Beamte kraftEuropäischer Menschenrechtskonvention in FS Wendt, 2015, 303; Pol-lin, Das Streikverbot für verbeamtete Lehrer, 2015; Kawik, DÖV 2016,2012; Ickenroth, Das deutsche Beamtenstreikverbot im Lichte der Eu-ropäischen Menschenrechtskonvention, 2016.

47 Buchholtz, Streiken im europäischen Grundrechtsgefüge, 2014, 288 ff.48 Der EGMR spricht von fonctions d’autorité; s. dazu Traulsen, JZ 2013,

65 (69); Pollin, Das Streitverbot für verbeamtete Lehrer, 2015, 174 f.;Ickenroth, Das deutsche Beamtenstreikverbot im Lichte der Europäi-schen Menschenrechtskonvention, 2016, 143.

49 S. dazu auch Reinisch, Decisions of European Patent OrganizationsBefore National Courts in ders,. Challenging Acts of InternationalOrganizations Before National Courts, 2010, 137. Das europäischePatent stellt „a series of national parallel patents“ dar (S. 138).

50 BVerfGE 36, 281 (290 f.).51 BVerfGE 36, 281 (290 f.).52 BVerfG, NVwZ-RR 2003, 469 = GRUR 2003, 723 Rn. 3.53 EGMR, NZA 2010, 1425 (1429) Rn. 97 ff. – Demir u. Baykara,.

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grundsätzlich anerkannt, soweit das interne EPO-Recht dieGewerkschaftsfreiheit gewährleistet und damit auch dasRecht der Vereinigungsfreiheit für eine Beamtengewerk-schaft. Die EPA-Beamten nehmen aber, soweit sie am Ver-fahren über die Erteilung von Patenten beteiligt sind, hoheit-liche Aufgaben dar. Das erlaubt die Einschränkung von Ge-werkschaftsrechten, soweit das notwendig ist, um die Erfül-lung der hoheitlichen Aufgaben sicherzustellen. Dasrechtfertigt es aber nicht, die gewerkschaftliche Tätigkeit alssolche zu reglementieren. Das erst 2016 vorgelegte Memo-randum of Understanding, mit dem der Status der beidenEPO-Gewerkschaften (SUEPO/FFPE) anerkannt werden soll,ist – in Bezug auf die SUEPO – überdies an unannehmbareBedingungen geknüpft, weil es einen Verzicht auf zentralePositionen der SUEPO auf dem Sektor der Beschäftigungs-

bedingungen der EPA-Bediensteten (Handhabung des Dis-ziplinarrechts/EPO-interner Rechtsschutz) verlangt. Gewerk-schaftsfreiheit manifestiert sich in dem inzwischen auch in-ternational anerkannten Streikrecht. Es steht fest, dass dasStreikrecht einschränkenden Regeln unterworfen werdenkann. Das gilt auch und gerade in Bezug auf Gewerkschafts-mitglieder, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, wie dasbei EPA-Beamten der Fall ist. Das Beamtenstatut der EPAund die vom Präsidenten erlassenen Streikrichtlinien gehensehr weit, soweit sie das Streikrecht auf eine kollektive Miss-fallensäußerung reduzieren, lassen sich aber unter den Vor-gaben der Sicherung hoheitlicher Aufgaben grundsätzlichrechtfertigen, wenn auch einige beschränkende Modalitätenunverhältnismäßig sind. Dies ließe sich jedoch korrigieren.&

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