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Neues vom Hauptfeind Analysen zum deutschen Imperialismus

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Das Buch

Wie hat die deutsche Mono-polbourgeoisie es geschafft,trotz zweier von ihr angezet-telter Weltkriege wieder zum„global player“ zu avancie-ren? Was treibt sie nach1990, nach Einverleibungder DDR, wirtschaftlich, militärisch und „volks“-poli-tisch in China, in Afrika, imKaukasus und Kosovo? Wie hält sie die Arbeiterbewegung in Schach und kauft ihreFunktionäre ein? Wie stehtsie aktuell zur faschistischenHerrschaftsoption? Welchekritischen Erkenntnisse hatdie DDR gegen sie gesam-melt und der demokratischen Bewegung hinterlassen? Undauf welcher politischenGrundlage kann sie effektivbekämpft oder zumindest eingeschränkt und von neuer-lichen Kriegen und Weltkrie-gen abgehalten werden?Der Band versammelt politi-sche Analysen auf der methodischen Grundlage derleninschen Imperialismus-theorie und fördert teils Alt-bekanntes, teils Neues überdie allseits unterschätzte imperialistische deutscheGroßmacht und ihren StaatBRD zu Tage.

Die Autoren

• Sebastian Carlens, Jg.1981, hat u.a. in junge Welt,T&P (Theorie und Praxis)und konkret publiziert.• Ludwig Jost, Jg. 1934,hat in der KAZ (Kommu -nistische Arbeiterzeitung),AUF DRAHT (München)und T&P publiziert.• Jörg Kronauer, Jg. 1968,schreibt regelmäßig für german-foreign-policy.com,konkret und antifaschisti-sche Zeitschriften wie DerRechte Rand und LOTTA/Antifaschistische Zeitungaus NRW, Rheinland-Pfalzund Hessen.• Renate Münder, Jg. 1942,hat in junge Welt, KAZ,Marxistische Blätter, T&P,Topos und UZ (unsere zeit)publiziert.• Johannes Oehme, Jg.1984, hat in offensiv publi-ziert und an der Edition derpolitischen Schriften vonPeter Hacks mitgewirkt.• Albertine Schuman, Jg. 1961, Veröffentlichungen(unter Pseudonymen) inKAZ, offensiv und T&P.• Erika Wehling-Pangerl,Jg. 1947, arbeitet regel -mäßig bei der KAZ mit.

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Herausgegeben von Johannes Oehme

ISBN 978-3-360-01836-6

© 2012 edition ost im Verlag Das Neue BerlinUmschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung von Motiven von ddp images/AP (Mauerbild) und John Heartfield (Hyäne)Druck und Bindung: CPI Moravia Books GmbH

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH Neue Grünstr. 18, 10179 BerlinTel. 01805/30 99 99 (0,14 Euro/min. aus dem deutschen Festnetz, Mobil abweichend)

Die Bücher der edition ost und des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

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Inhalt

Vorwort 6

Erika Wehling-Pangerl (Kommunistische Arbeiterzeitung)Entwicklung der deutschen Bourgeoisie seit dem Bauernkrieg 7

Sebastian Carlens (Autor)China und der deutsche Imperialismus 37

Albertine Schuman (Autorin)Kriegsschauplätze Kosovo und Kaukasus 72

Jörg Kronauer (www.german-foreign-policy.com)Der deutsche Imperialismus und Afrika 88

Ludwig Jost (KAZ-Arbeitsgruppe „Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft heute“)Arbeiteraristokratie in Deutschland 115

Renate Münder (Theorie & Praxis)Die entsicherte Demokratie oder Notstand der Demokratie 2.0 – Staatsumbau gegen die Arbeiter- und demokratische Bewegung und gegen die Völker der Welt 138

Erika Wehling-Pangerl (Kommunistische Arbeiterzeitung)Thesen zur Entwicklung der „Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlands“ (F. J. Strauß) in West-deutschland bis 1989/90 und in Westdeutschland und einverleibter DDR ab 1989/90 161

Johannes Oehme (Autor)Zur Literatur der DDR gegen die deutsche Bourgeoisie – Denunziationen, Arrangements und ein fettes Erbe 197

Nachwort: Was ist proletarischer Internationalismus? 214

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Thesenzur Entwicklung der „Sammlungs-bewegung zur Rettung des Vater-lands“ (F. J. Strauß) in West-deutschland bis 1989/90 und inWestdeutschland und einverleibterDDR ab 1989/90Erika Wehling-Pangerl (Kommunistische Arbeiterzeitung)

1. Der Faschismus an der Macht ist „die offene, terroristischeDiktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meistenimperialistischen Elemente des Finanzkapitals1.“ (Dimitroff)2

Was Georgi Dimitroff hier beschreibt, ist der Klassencharak-ter des Faschismus.Dieser Klassencharakter ist unabhängig davon, wie die ein-zelnen Menschen jeweils dazu stehen, unabhängig von ihremWillen und ihrem Verhalten. Das heißt, das Klasseninteresseder reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperiali-stischen Elemente des Finanzkapitals am Faschismus hatnichts damit zu tun, wer aus welcher Klasse oder Schicht fürden Faschismus oder dagegen ist. Es gibt zu diesem Themaviele seltsame Anschauungen, so zum Beispiel die des GötzAly, der über eine angebliche „Gefälligkeitsdiktatur“ derNazis in dem Buch „Hitlers Volksstaat“3 geschrieben hat.Andere meinen, der Faschismus sei eine Herrschaft der Klein-bürger. Als Indiz gegen die Aussage Dimitroffs wird auch an-geführt, dass es ja viele Vertreter der Monopolbourgeoisiegab, die sich vor den Nazihorden geekelt haben, weil die solumpenproletarisch waren. Das alles wird also als Beweis an-geführt, dass es keinen Klassencharakter des Faschismus gibt,und schon gar nicht den von Dimitroff genannten. Wenn mandiesen Behauptungen folgt, werden aber die Vorgänge, die zu

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Faschismus und Krieg führen, und die heutige Entwicklungvöllig unverständlich.2. Zur Errichtung und zur Aufrechterhaltung des Faschismusist eine faschistische Massenbewegung notwendig, die schonvor der Errichtung der faschistischen Diktatur eine wichtigeFunktion als Reserve der Monopolbourgeoisie ausübt.Die Bourgeoisie kann nicht herrschen ohne Unterstützung ausdem Volk. Es gibt zwei Reserven der Bourgeoisie – die Arbei-teraristokratie (politisch repräsentiert durch die Sozialdemo-kratie) und eine kleinbürgerlich-faschistische Reserve. Diesebeiden sind immer vorhanden im Imperialismus, aber nur einekann jeweils die soziale Hauptstütze der Monopolbourgeoisiesein.Die Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze wird meistensin friedlichen oder akut revolutionären Zeiten gebraucht,während die faschistische Reserve im Wesentlichen dann ge-braucht wird, wenn unmittelbar und akut die Vorbereitungder faschistischen Diktatur angestrebt wird, wenn also für dasKapital die gewaltsame Neuaufteilung der Welt zur zwingen-den Notwendigkeit geworden ist, der Krieg unmittelbar vor-bereitet werden muss. Die Sozialdemokratie, die Arbeiterari-stokratie kann kurzfristig (und nur kurzfristig!) unter dem Fa-schismus die soziale Hauptstütze sein. Dafür gibt es ein histo-risches Beispiel, nämlich Italien unter Mussolini.Die Monopolbourgeoisie wechselt erst dann die Sozialdemo-kratie zu Gunsten der faschistischen Hauptstütze aus, wenndies ökonomisch unbedingt notwendig ist, d.h. wenn es siezum Krieg treibt. Sie macht das nicht aus Spaß, sondern weilsie es von ihrer Ökonomie her muss.Die Sozialdemokratie bleibt auch unter dem Faschismus eineReserve der Monopolbourgeoisie. Ein offensichtliches Beispieldafür ist der 1. Mai 1933. Der Faschismus war längst an derMacht und noch länger war die faschistische Bewegung schondie soziale Hauptstütze der Monopolbourgeoisie. In dieser Si-tuation haben die rechten Führer des ADGB noch gewaltigenSchaden angerichtet, indem sie die Arbeiter zur faschistischen1. Mai-Kundgebung aufgerufen haben. Am 2. Mai habendann die Nazis die Gewerkschaftshäuser gestürmt.

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Die faschistische Sammlungsbewegung wird aufgebaut, wenndie Sozialdemokratie noch die soziale Hauptstütze ist.Damit eine faschistische Bewegung aufgebaut werden kann,bedarf es politischer Parteien. Der faschistische Mob sammeltsich nämlich nicht von selber. Sondern damit man sich über-haupt dem Monopolkapital als Reserve anbieten kann, mussirgendwo eine ordnende Macht sein, also eine Partei, die eineRichtung angibt. Wo sind eigentlich diese Massen, die im faschistischen Sinnemobilisiert werden können, hauptsächlich? Ganz vorn stehenhier Burschenschaften und Landsmannschaften, das sind tra-ditionell die Stützpunkte der faschistischen Bewegung. Wei-tere Einflussgebiete jetzt und in der Zukunft sind z.B. Kirchen,Vereinswesen, Fußballstadien. Sehr wichtig für den faschisti-schen Einfluss sind Massenevents wie z.B. die Aufmärsche an-lässlich der Grenzöffnung der DDR, die jedes Jahr in Berlinzu Silvester noch mal gefeiert wird, mit millionenfacher Betei-ligung. Die Fußball-WM wurde offiziell genutzt, um aus denangeblich harmlosen Partys nationalistische Aufmärsche zumachen. Die Loveparade war als Massenreservoir auch nichtganz unwichtig, ihre Bedeutung wurde auch in früheren Jah-ren durch die prominenten Teilnehmer Westerwelle und Gut-tenberg dokumentiert. In diese Kategorie von Masseneventsgehört auch der Trauermarsch Ende 2009 für einen verstor-benen Fußballer. Und dann gibt es verschiedene Szenen, In-teressengemeinschaften, Gruppierungen, die für faschistischeBeeinflussung anfällig sind. Insbesondere ist hier die Esoterik-Szene zu nennen. Die Massenmedien spielen natürlich eineganz wichtige Rolle bei der Organisierung und politischenFührung dieser Sammlungsbewegung. Springerpresse, Bayern-kurier, Junge Freiheit, aber auch z.B. der Bayrische Rundfunkgehört dazu, der auch noch den Mitteldeutschen Rundfunk(Sendegebiet Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) schon1992 unter seine Kontrolle gebracht hat. Diese Beeinflussungdurch die Massenmedien kann natürlich auch noch viel ex-tremere Formen annehmen, als es heute schon der Fall ist.Auch Universitäten und Schulen können der ideologischenBildung und Formierung dieser Sammlungsbewegung dienen.

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Und dann gibt es noch ein speziell deutsches Instrument, mitdem die Jagd auf Fortschritt und Demokratie – staatlich ge-steuert – organisiert wird: das sind die Birthler-Behörde (frü-her Gauck-Behörde) und die „Stasi“akten-Behörden der Län-der. Das sind Denunziationsbehörden, die jenseits jeder bür-gerlichen Demokratie und jeglichen bürgerlichen Rechts le-benslänglich Menschen jagen können, die die „falsche“ oderim Moment nicht genehme politische Anschauung haben.Das ist also ein ganz buntes Gemisch von Vereinen, Einrich-tungen, Instanzen, Szenen etc., die zu dieser Sammlungsbewe-gung zusammengerührt werden können.Im Folgenden wird es hauptsächlich um den wichtigstenAspekt der Sammlungsbewegung gehen, die politischen Par-teien. Sie sind es, die versuchen, die Sammlungsbewegung zuorganisieren und sich in dieser Eigenschaft dem Monopolka-pital anzubieten. 3. Es gibt keine faschistischen Grundsätze. Die Grundlage desHandelns von Faschisten ist auf die Spitze getriebener Prag-matismus.Ende des 19. Jahrhunderts – als der Kapitalismus sein höch-stes und letztes Stadium erreicht hatte, den Imperialismus –entstand in den USA die philosophische Richtung des Prag-matismus. Der Pragmatismus ist eine „Spielart des subjektivistischenIdealismus in der modernen anglo-amerikanischen Philoso-phie.“ Er „lehnt die Erkenntnis der objektiven Wahrheit abund betrachtet dasjenige als Wahrheit, was praktisch verwert-bare, das heißt für die Bourgeoisie nützliche Resultate ergibt.“Er „verwischt den Unterschied zwischen Wissen und Glaubenund ermöglicht dadurch eine willkürliche Fälschung der Wis-senschaft.“ Er „propagiert die finsterste Reaktion im Innerndes Landes und die imperialistische Aggression in der Außen-politik.“4

Faschisten sind Pragmatiker, aber nicht alle Anhänger desPragmatismus sind Faschisten. Opportunisten in der Arbei-terbewegung werden mit Recht als Pragmatiker bezeichnet,aber sie können den Pragmatismus niemals so auf die Spitzetreiben wie die Faschisten. Sie können nicht alles machen, was

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die herrschende Klasse von ihnen verlangt, mit Ausnahme voneinzelnen, die zum Faschismus überlaufen.Ein erklärter Anhänger dieser philosophischen Richtung desPragmatismus war der Führer der italienischen Faschisten,Mussolini.Es gibt nur ein einziges Prinzip des Pragmatismus, und dasheißt Prinzipienlosigkeit. Und so kann faschistische Demago-gie alle erdenklichen Losungen und Aufrufe gebrauchen odermissbrauchen, auch die der Antifaschisten und Kommunisten. Es gibt auch nichts, was Faschisten unbedingt an Phrasen undLosungen vertreten müssen, um Faschisten zu sein, undworan man sie mit erkennen könnte. Nicht einmal Nationa-lismus ist ein unabdingbares Kennzeichen – ein Gegenbeispielist die türkische faschistische Organisation „Graue Wölfe“,die ihren Nationalismus der achtziger Jahre gegen eine isla-mistische Phraseologie ausgetauscht hat.Man kann also Faschisten nicht nach ihren Worten, sondernvor allem nach ihrer Funktion in der Gesellschaft gegenüberden verschiedenen Klassen und Schichten beurteilen und ent-sprechend entlarven.Dieser Pragmatismus bedeutet aber nicht, dass alles für diefaschistische Bewegung einfach austauschbar wäre. So kön-nen z.B. Faschisten auf Antisemitismus verzichten oder sogarAntisemitismus „bekämpfen“. Aber gerade in Deutschland istsolch ein Philosemitismus bei faschistischen Bewegungen nureine zeitweilige Erscheinung, entsprechend zeitweiligen au-ßenpolitischen Erfordernissen. Langfristig hat der Antisemi-tismus für den deutschen Imperialismus eine sehr große Be-deutung: er ist die Ideologie der zu kurz Gekommenen gegendas Erfolgreichere, gegen das Bessere. Das passt nur zu gutzum deutschen Imperialismus, der damit alle seine Feinde –die imperialistischen Konkurrenten und die Arbeiterklasse –zu einem Feindbild, „den Juden“, verschmelzen und durch die„Volksgemeinschaft“ bekämpfen kann. Deshalb ist es sehrunwahrscheinlich, dass der Antisemitismus in einer ganz an-ders zugespitzten Situation als heute nicht letzten Endes vonallen Teilen der faschistischen Bewegung herangezogen wer-den muss.

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Pragmatismus bedeutet auch, dass eine Partei der faschisti-schen Sammlungsbewegung jahrzehntelang erfolgreich so tunkann, als wäre sie eine normale konservativ-demokratischePartei. Das ist eine besondere Schwierigkeit des antifaschisti-schen Kampfes heute.4. In den 60er Jahren begann in der BRD der systematischeAufbau einer faschistischen Sammlungsbewegung, derenstärkste und erfolgreichste Kraft – bis in die 80er Jahre sogarununterbrochen – die CSU ist. Sie versucht in Bayern einMachtzentrum gegen die bürgerlich demokratische Republikund gegen die Bonner bzw. Berliner Regierung zu etablieren.Was hatte sich in den 60er Jahren in der BRD neu entwickelt?Da gab es zunächst einmal einen Generationenwechsel beiden reaktionärsten Kräften. Nach 1945 gab es in West-deutschland die faschistische Sammlungsbewegung, die vonihrem Wesen her so geblieben war, wie sie unter dem Faschis-mus gewesen war: Diejenigen, die in Gefängnissen gesessenhatten, kamen bald wieder heraus, und wirklich umerzogenwurde ohnehin so gut wie keiner von denen, die den Hitler-faschismus unterstützt hatten. Das heißt, man konnte diesefaschistische Sammlungsbewegung jederzeit wieder abrufen,wenn es notwendig war. Zwanzig oder fünfundzwanzig Jahrespäter war das natürlich immer weniger möglich, manbrauchte eine Erneuerung.Noch wichtiger aber ist die Verschiebung des internationalenKräfteverhältnisses in den sechziger Jahren. Der deutsche Im-perialismus wird in dieser Zeit eigenständiger, er kann eine ei-genständige Außenpolitik machen. Wegen der Änderungen inder Außenpolitik gegenüber den sozialistischen Ländern(„Ostpolitik“) müssen im Inneren die Zügel lockerer gelassenwerden, der militante Antikommunismus Adenauers wirdnicht mehr so offen propagiert. Das ist die Zeit, in der WillyBrandts „Mehr Demokratie wagen“ im Volk auf Zustimmungund Begeisterung stößt.Und gleichzeitig werden in den 60er Jahren die Notstandsge-setze verabschiedet. „Notstandsgesetze sind nicht für denZeitpunkt geschaffen, wenn die Sonne der Konjunkturscheint, sondern wenn es in der Wirtschaft hagelt“, sagte da-

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mals der Bonner Innenminister Lücke (CSU). Die Gesellschaftmusste aus u.a. außenpolitischen Gründen etwas freier unddemokratischer werden – und da brauchte man die Not-standsgesetze als vorbeugende Maßnahme. Genau aus dem-selben Grund musste man zu dieser Zeit die faschistische Re-serve aufbauen und erneuern.In dieser neuen Periode wurde der „Entwurf für Europa“ vonFranz Joseph Strauß 1966 zum Handbuch westdeutscher Po-litik. Dieses Buch läuft auf die Empfehlung hinaus, gemein-sam mit Frankreich zu gehen, auf diesem Weg den Wider-stand Großbritanniens gegen ein Erstarken von Westdeutsch-land und gegen eine deutsche Wiedervereinigung aufzuwei-chen und so eine europäische Großmacht gegen die USA zuschaffen. Und Strauß war es auch gewesen, der 1969 den fürdie deutschen Monopolherren befreienden Schlachtruf losge-lassen hatte: „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungenerbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichtsmehr hören zu wollen.“5

Die CSU spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau der faschisti-schen Sammlungsbewegung ab den sechziger Jahren. Umdiese Entwicklung zu verstehen, muss man sich den Unter-schied zwischen CDU und CSU vor Augen halten: Die CDUist eine konservative Partei von Honoratioren mit demokra-tisch-konservativem Gehabe. Die CSU dagegen ist eine Mas-senpartei, d.h. eine Bewegungspartei mit Einfluss in den Mas-sen. Sie hat wesentlich mehr Einfluss in Massenorganisationenwie z.B. den „Vertriebenenverbänden“ als die CDU. Die CSUveranstaltet reaktionäre Massenaufmärsche, organisiert Pro-testbewegungen in einer Art, wie es die CDU in ihrer Gesamt-heit nicht fertig bringen könnte. Mit unserer Einschätzung der CSU standen wir Ende der sech-ziger, Anfang der siebziger Jahre nicht allein: Im „Gewerk-schafter“ – Funktionärsorgan der IG-Metall –, Jahrgang 1970konnte man Folgendes lesen: „In den vergangenen 25 Jahrenorientierte sich die CDU/CSU immer weiter nach rechts. AlsSammlungspartei zur Rettung des Vaterlandes tritt die CSUoffen, die CDU, soweit sie sich der CSU anschließt, auch ver-deckt, das Erbe der Vaterlandspartei von 1917/18 und der

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NSDAP an, allerdings als einzige Lehre aus der Geschichtejetzt partiell mit einem parlamentarisch demokratischen undabendländisch europäischen Vokabular.“6

Auch die Mitgliedszeitung der IG-Metall hat Strauß und seineCSU heftig angegriffen und hat auch Prozesse gegen ihn ge-führt. Strauß hat einmal ein Verbot der „Metall“ erwirkt. Aufder Titelseite dieser Ausgabe war sein Kopf und darüber stand„Sein Kampf“. Es gab auf der einen Seite starken demokratischen Widerstandgegen Strauß. Es gab sogar ein Anti-Strauß-Komitee, das bisAnfang der 90er Jahre existiert und damit sogar Strauß über-lebt hat. Und es gab heftigste Reaktionen von Strauß auf die-sen Widerstand. Es hagelte Verbote, mit Hausdurchsuchungenund Prozessen, um die demokratischen Kräfte einzuschüch-tern und mundtot zu machen. Das hat nicht viel genützt: DerWiderstand lebte bis zum Tod von Strauß immer wieder auf.Es gab aber auch eine andere Meinung bei Teilen des demo-kratischen Kleinbürgertums, nämlich die gefährliche Illusion,dass der antifaschistische Widerstand übertrieben sei, dasssich „der Strauß überlebt“, dass Strauß, seine CSU und seineSammlungsbewegung nicht so gefährlich seien.Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache:7

So wurde Strauß 1970 von einem CSU-Freundeskreis in des-sen internem Informationsdienst charakterisiert: „Wir habenin Ausführung der Marburger NPD-Absprache an alle NPD-Sympathisierenden die Parole ausgegeben: Wählt CDU/CSU,stärkt die Opposition, verhelft ihr wieder zur Macht! FranzJosef Strauß ist der kommende Mann – er löst Adolf Hitlernicht ab, er ersetzt ihn auch nicht, er hat aber Führungsqua-litäten! ... Die Bundeswehr soll eine national ausgebildeteStreitmacht werden, das Offizierskorps wartet auf den star-ken Mann – Franz Josef Strauß! Die deutsche Jugend brauchtsichere, straffe Führung – mit Strauß an der Macht wird sieentsprechend hart und national erzogen. Die Presse muss hartin die Zügel genommen werden. Cäsar Axel Springer bereitetdiese innere Ordnung vor – er ist unser Mann auf diesem Sek-tor – er braucht uns – wir brauchen ihn! ‚Bayern-Kurier‘ und‚National-Zeitung‘ bleiben unsere Hauptorgane, außerdem:

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‚Das deutsche Wort‘ in Köln; in ihnen wird die Richtung an-gegeben. Wir erstreben die Raumordnung wie vor 1914 – dieVertriebenenorganisationen erwarten das von uns, deshalbwählen sie uns: CDU/CSU. Wir gehen in den aktiven Wider-stand mit allen verfügbaren modernen Mitteln, auch in derWirtschaft. Strauß muss an die Macht – wir müssen dieMacht erzwingen, so oder so. Auch dann, wenn die Wahlnicht nach unseren Vorstellungen ausfällt. Es geht umDeutschland!“8

Es ist kein Zufall, dass Strauß dieses Programm nicht selbstverkündete, sondern es durch sein Fußvolk vertreten ließ. Diezitierten Eigenschaften wurden auch dort bekannt, wo dieGroßindustrie, besonders die Rüstungskonzerne ihre Fädenuntereinander knüpfen. Planmäßig betrieb der CSU-Führer inden 70er Jahren die Demontage der CDU-Größen. Mit Kün-digung der Fraktionsgemeinschaft und Vierte-Partei-Drohung– d.h. der Drohung, die CSU bundesweit auszudehnen –, ord-nete er die konservative Schwester seiner Sammlungsbewe-gung unter.Die NPD, 1964 gegründet, entstand zur Zeit der großen Ko-alition, als sich ein faschistischer Altherrenklub Zulauf davonversprach, dass der große Deutschnationale – also Strauß –gerade Minister in Zusammenarbeit mit Sozialdemokratenspielen musste. Mit dem Ende der großen Koalition 1969 sinkt die NPD zurBedeutungslosigkeit herab. Strauß selbst stellte sich an die Spitze der „Sammelbewegungzur Rettung des Vaterlands“, als er 1970 auf dem NürnbergerParteitag mit dem Titel „Deutschland braucht Bayern“ so dieCSU definierte. Seit diesen markigen Worten verlor die NPDan die CSU Mitglieder.Ein besonders herzliches Verhältnis hatte Strauß zur türki-schen Partei MHP, den faschistischen „Grauen Wölfen“. Am1. Mai 1978 trafen sich in München die Anführer der GrauenWölfe mit dem Vorsitzenden der bayerischen Regierungspar-tei. Die „Metall“, die Mitgliederzeitung der IG Metall, schriebdazu: „Alparslan und seine beiden Begleiter unterhielten sich– so war danach zu erfahren – mit Franz Josef Strauß zuerst

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über die ,kommunistische Gefahr‘, die man gemeinsam be-kämpfen muss ... Strauß sagte dem Vernehmen nach denMHP-Politikern zu, dass in Zukunft für die MHP und die‚Grauen Wölfe‘ ein günstiges psychologisches Klima geschaf-fen werden und zudem die politische Stellung der MHP ver-bessert werden müsse, damit die MHP hier in einem besserenLicht erscheine. Bayern soll der Anfang sein.“9 „Günstigespsychologisches Klima“ hieß natürlich nichts anderes, als dassdie Grauen Wölfe auch weiterhin in Westdeutschland undWestberlin Arbeiter und Antifaschisten morden können, nurdass sie dabei noch weniger von den Staatsorganen gestörtwerden sollten als bisher. Zur Formierung der faschistischen Sammlungsbewegung ge-hören auch die ständig wiederkehrenden Versuche der CSU,in Bayern ein Machtzentrum gegen die bürgerlich-demokrati-sche Republik und die Bonner bzw. Berliner Republik zu eta-blieren. Es gibt zwei besonders drastische Beispiele in denachtziger Jahren:1981 wurden 141 meist junge Menschen, die jüngsten 14Jahre alt, auf einen Schlag verhaftet, – nicht vorläufig festge-nommen, sondern richtig verhaftet – ohne jeden Verdacht.Die Haftbefehle waren hektographiert, und dann hat jeweilsein Richter bis zu 50 Haftbefehle unterschrieben. Die Jugend-lichen waren tagelang inhaftiert, ohne dass die Eltern wuss-ten, wo ihre Kinder sind. Das war alles mit keinem Gesetz zubegründen, und es war ein offener Bruch der Gewaltenteilung,indem die Justiz ihre Befehle vom Innenministerium bekam.Es handelte sich um eine offene Provokation der bürgerlichenDemokratie.10

Ein weiteres Beispiel war der so genannte AIDS-Zwangsmaß-nahmen-Katalog. Der wurde von einem gewissen Peter Gau-weiler, Ziehkind von Strauß, vorgeschlagen. Gauweiler warKreisverwaltungsreferent in München gewesen und hatte sichda im Volksmund den Namen „Gauleiter“ erworben. DieZwangsmaßnahmen beinhalteten Zwangstestungen auf HIVunter diskriminierenden Bedingungen gegen Homosexuelleund Lagerhaft für Infizierte. Das ist im Bundesrat nicht durch-gekommen, aber darum ging es der CSU sicherlich nicht un-

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mittelbar. Es ging eher darum, Vorstöße zu machen gegen dieDemokratie, gegen die bürgerlich-demokratische Republik.5. Die faschistischen Hilfstruppen dienen zunächst• der Verharmlosung der CSU, • als Sammelbecken derer, die den Faschismus schon völligoffen propagieren wollen, • als Provokation und zur „Beschäftigung“ der demokrati-schen und Arbeiterbewegung, • als Rechtfertigung für Bürgerkriegsübungen durch denStaatsapparat.Das Wort „Hilfstruppen“ hat Strauß selbst geprägt: „Manmuss sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie nochso reaktionär sind. ... Mit Hilfstruppen darf man nicht zim-perlich sein.“11

Verharmlosung der CSU: Die antifaschistischen Kräfte be-kämpfen die NPD, die DVU, die Pro-Bewegung etc. und neh-men die Gefahr aus der CSU gar nicht wahr. Und nochschlimmer: die CSU ist dann auch noch oft genug Bündnis-partner gegen diese Hilfstruppen. Das wäre ein Witz, wenn esnicht so traurig wäre: Man verbündet sich mit den führendenKräften der faschistischen Sammlungsbewegung, um gegenFaschisten vorzugehen! Sammelbecken derer, die den Faschismus schon völlig offenpropagieren wollen: Bis Anfang der neunziger Jahre konntendie wichtigsten dieser Hilfstruppen diese Funktion nicht hun-dertprozentig erfüllen. So war zum Beispiel in der NPD bis zudiesem Zeitpunkt offener, unverhüllter Antisemitismus nichtzugelassen – das hat bis dahin nicht mal die NPD wagen kön-nen. Provokation und „Beschäftigung“ der demokratischen undArbeiterbewegung, Rechtfertigung für Bürgerkriegsübungendurch den Staatsapparat: Wie läuft das ab – zum Beispiel:Wenn die NPD eine Demonstration anmeldet, werden wir erstmal mit dieser Provokation beschäftigt. Dann werden Straßenoder sogar ganze Stadtteile abgeriegelt, tausende Polizisten,ggf. auch Bundespolizei eingesetzt, und das alles nicht etwagegen die Nazis, sondern gegen die Antifaschisten – und sowerden wir auch gleich an Bürgerkriegsübungen gewöhnt.

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Wenn man dann einen Polizeiknüppel auf den Kopf gekriegthat, weil man versucht hat, eine Polizeiabsperrung zu durch-brechen, wird man anschließend in Fernsehen und Presse fürdas zivilgesellschaftliche Engagement gelobt, das dazu geführthat, dass die Nazis nur 800 statt 900 Meter marschierenkonnten. Anschließend bekommt man einen Brief vom Staats-anwalt mit einer Geldstrafe. Dann führt man einen Prozess,aber vor dem Prozess kann man sich noch eine Talkshow imFernsehen reinziehen, wo gesagt wird, dass es eigentlich einUnding ist, dass Nazigegner vor Gericht gestellt werden. VorGericht wird dann das Verfahren eingestellt mit einer Zahlungan das Rote Kreuz, das solche Gelder verwendet, um sich fitzu machen fürs Mitmachen beim nächsten Kriegseinsatz. Soetwa funktioniert das Zusammenspiel von Staatsapparat undfaschistischen Hilfstruppen.6. In der krisenhaften Entwicklung der 80er Jahre mit wach-sender „gesamtdeutscher“ Angst vor der „atomaren Bedro-hung“ und gedeihenden „deutsch-deutschen Beziehungen“wird aus der CSU heraus massive und erfolgreiche Querfront-politik12 gegenüber den linken Teilen der Friedensbewegungund gegenüber der DDR betrieben.Die „deutsch-deutschen Beziehungen“ konnten vom deut-schen Imperialismus u.a. deshalb in Gang gesetzt werden, weildie Krise auch die sozialistischen Länder nicht unberührt ge-lassen hatte. Die DDR-Regierung sah offenbar die Notwen-digkeit, mit der BRD etwas besser auszukommen (um es vor-sichtig zu formulieren). Die Sowjetunion war damals voneiner Annäherung zwischen der BRD und der DDR offenbargar nicht begeistert. So kam es erst 1987 zu einem BesuchErich Honeckers in der BRD. In den 80er Jahren entstanden auf allen Ebenen Querverbin-dungen in die DDR, vor allem auf Regierungsebene, von derSPD zur SED und insbesondere von der westdeutschen Frie-densbewegung, deren Kundgebungen immer größer undchauvinistischer wurden, beherrscht durch die Hysterie gegen-über der „atomaren Bedrohung durch die beiden Super-mächte“. In dieser Friedensbewegung wirkte Alfred Mechtersheimer,

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Mitglied der CSU, der ebenfalls Kontakte in die DDR pflegte.Er forderte ein deutsches Verteidigungskonzept und ein ver-eintes neutrales Deutschland. Durch seine Ablehnung der US-Atomwaffen und eine scheinbar friedlichere Alternative – aus-gerechnet durch den deutschen Imperialismus – hatte er Ein-fluss auf breite linke Kreise. Mechtersheimer wurde dann allerdings aus der CSU ausge-schlossen. Sie konnte damals noch nicht so offen seinem Anti-Amerikanismus folgen, das wäre sehr unklug von ihr gewe-sen. Mechtersheimer ist nach seinem Ausschluss in die offeneNaziszene abgedriftet und war damit als Querfrontpolitikeruntauglich geworden. Schaden hat er aber vorher genug an-richten können.1983 kommt es zu sehr weitreichenden Beziehungen zwischenStrauß und der DDR-Führung. Das ist eine Kehrtwendungder bisherigen Politik von Strauß. Interessant sind die Begleit-umstände: Die Kohl-Regierung hatte gerade die SPD/FDP-Re-gierung abgelöst, und Strauß wird nicht Minister in dieser Re-gierung. Das hat zur Folge, dass er sehr eigenständig politischagieren kann. Er macht seine eigene Außenpolitik, besucht dieCSSR, Polen und die DDR und trifft sich auch mit Gorba-tschow. Zwischen 1983 und 1987 – Strauß vermittelte in die-sen Jahren u.a. Milliardenkredite für die DDR – lockert dieDDR die Grenzregelungen. Aber das war nicht das einzige,was Strauß erreichte, sondern in den Medien der DDR wur-den Strauß und die Ambitionen des deutschen Imperialismusoffensichtlich weniger bekämpft und entlarvt als früher. VonSED-Genossen wurde Strauß, leider bis heute, als „realisti-scher Politiker“ bezeichnet. Der verheerende Einfluss dieserQuerfrontpolitik von Strauß ist heute noch bei früheren SED-Genossen zu spüren (dazu mehr weiter unten). Die Querfrontpolitik von Strauß führte zur Spaltung der CSU.Die Abspaltung nannte sich „Republikaner“, die REPs, dieaber bisher auch nur ein Dasein als Hilfstruppe fristen konnte.7. Die faschistischen Hilfstruppen erfüllen ab den 80er Jahrennoch weitere Funktionen: • Einschüchterung durch Mord und Totschlag, Aufbau mili-tanter Strukturen

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• Entsolidarisierung zwischen deutschen und türkischen Ar-beitern durch Pogromhetze gegen Türken • Aufbau bzw. Unterstützung einer organisierten Naziszenein der DDR.Einschüchterung durch Mord und Totschlag, Aufbau militan-ter Strukturen: Diese uns heute so wohlbekannte Tätigkeit derHilfstruppen tritt noch nicht in den 60er und 70er Jahren inErscheinung, sondern erst in dem immer reaktionärer wer-denden politischen Klima der 80er Jahre. Bei der Bundestags-wahl 1980 provozierte Strauß die antifaschistische Bewegungmit seiner Kanzlerkandidatur. Während des Wahlkampfeswurden erstmals in Westdeutschland vietnamesische Flücht-linge ermordet. Und ein faschistischer Selbstmordattentäter,Angehöriger der Wehrsportgruppe Hoffmann, tötete mit einerBombe auf dem Oktoberfest in München 12 Menschen undverletzte 219 schwer. Noch im März 1980 hatte Strauß überdie Wehrsportgruppe Hoffmann gesagt: „Mein Gott! Wennjemand Spaß dran hat, am Sonntag mit Rucksack und einemKampfanzug mit Koppelschloß durchs Gelände zu spazieren,so soll man ihn in Ruhe lassen.“13 Am 19. Dezember 1980wurde erstmals seit 1945 auf deutschem Boden ein Menschnur deshalb ermordet, weil er Jude war. Opfer waren der Ver-leger Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin FriedaPöschke. Der Tatort war Erlangen. Der Täter war Mitgliedder Wehrsportgruppe Hoffmann. Deutschland begab sich inden 80er Jahren auf den Weg in die Normalität. Entsolidarisierung zwischen deutschen und türkischen Arbei-tern durch Pogromhetze gegen Türken: Auf Grundlage dersteigenden Erwerbslosigkeit konzentriert sich die von Regie-rungsseite unterstützte rassistische Hetze, die in Morddrohun-gen mündet, auf die türkischen Arbeiter. Ein Stammtisch-spruch kommt auf und wird schließlich auch an Hauswändegemalt: „Früher die Juden, heute die Türken!“ Dies begün-stigt unter der türkischen Bevölkerung und auch in der Türkeieinen stärkeren Einfluss des Islam. Bei der ADÜTDF, das istdie Europa-Organisation der MHP (Graue Wölfe), kommt eszu inneren Kämpfen, islamistischen Abspaltungen undschließlich zur Islamisierung der MHP in Europa selbst. Die

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MHP war zwar auch früher schon in reaktionär ausgerichte-ten Moscheen und Koranschulen zugange, die bestimmendeSeite wird das aber erst in den achtziger Jahren. Aufbau bzw. Unterstützung einer organisierten Nazi-Szene inder DDR: Der folgende Bericht ist nicht aus einer offiziellenQuelle der DDR, sondern von einer oppositionellen Gruppe,man kann ihm also sicherlich nicht „regierungsoffizielle Pro-paganda“ vorwerfen: „In den siebziger Jahren waren die Fuß-ballfans und Jugendclubs bunt gemischt. Fußballspiele warendie einzigen Orte, wo eigene Fahnen, Symbole und Sprech-chöre ... viele Leute erreichten. Es gab regelmäßig Prügeleienmit der Polizei und dem gegnerischen Fanblock. ... Ab1981/1982 verstärkte sich der Einfluss faschistischer Ideolo-gie in den Fußballstadien der DDR. Das nötige Propaganda-material und die jeweiligen Kleidungsstücke kamen aus demWesten von ausgereisten DDRlern oder Naziorganisationen.Die Nationalistische Front (NF) unterstützte so den Fanblockdes … Fußballclubs BFC Dynamo, die Jungen Nationalen(JN) unterstützten den Fanclub des 1. FC Union Berlin. Inden Fußballstadien kam es zu Sprechchören, wie ‚Wir machenJudenverbrennung‘ ...“14

8. Nachdem das Etappenziel des 1988 verstorbenen Straußerreicht ist – Einverleibung der DDR – gerät die CSU inSchwierigkeiten, von denen sie sich erst Ende der 90er Jahrezeitweise erholt. Der Versuch, eine Partei in der DDR aufzu-bauen (DSU) ist gescheitert, während CDU und FDP beste-hende Strukturen „gewendeter“ bürgerlicher Parteien über-nehmen können.Nach dem Tod von Strauß (1988) verwickelt sich die CSU inMachtkämpfe. Darüber schrieb die Süddeutsche Zeitung imJahr 2009 (!) Folgendes: „Strauß, dessen Jünger und Meister-schüler Peter Gauweiler war, ist 1988 überraschend gestor-ben. Damals war Gauweiler 39 Jahre alt und der Star derCSU – dank seinem Redetalent, dank seinen begnadeten po-pulistischen Gaben und dank der Hand, die Franz Josef überihn hielt.Gauweiler war für seine Partei damals noch viel wichtiger alsheute der Baron Guttenberg; er war viel volkstümlicher und

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sehr viel streitbarer. Hätte Strauß sein politisches Testamentnoch machen können, er hätte den ,schwarzen Peter‘ zu sei-nem Erben eingesetzt.Edmund Stoiber hat die vorgezeichnete Erbfolge verhindert.Stoiber hat mit Geschick und Machtbewusstsein die Strauß-Ära beendet und, öffentliche Vorwürfe gegen Gauweiler ge-schickt nutzend, diesen aus dem Kabinett gedrängt.“15

Inhalt dieser Intrige von Stoiber waren angebliche Unregel-mäßigkeiten in der Rechtsanwaltskanzlei von Gauweiler, diesich aber im Nachhinein nicht bestätigt haben. Einen Grund,warum Gauweiler für die CSU zu diesem Zeitpunkt eher pein-lich war, kann man in seiner extrem anti-europäischen Hal-tung finden – aber natürlich keinen Beweis, dass das wirklichder Grund für seinen Rauswurf aus dem bayerischen Umwelt-ministerium war.1998, nach einer für die CSU/CDU vergeigten Bundestags-wahl, wird Waigel als Parteivorsitzender durch Stoiber ersetzt.Den Machtkampf in der CSU hat Stoiber für einige Jahre ge-wonnen, wobei Gauweiler und Waigel nicht die einzigenOpfer Stoibers in dieser Auseinandersetzung geblieben sind.Natürlich haben diese Machtkämpfe die CSU nicht gerade ge-festigt und gestärkt. Eine heftige Niederlage hatte die CSU be-reits 1990 einstecken müssen. Sie hatte Anfang 1990 versucht,eine Partei in der DDR aufzubauen – die DSU –, und dieserVersuch ist kläglich gescheitert. Die DSU geistert nur noch imKielwasser von Hilfstruppen wie NPD und DVU als Kleinst-partei in der einverleibten DDR herum. FDP und CDU dage-gen konnten bestehende Strukturen „gewendeter“ bürgerli-cher Parteien übernehmen. Die CDU übernahm die CDU inder DDR, samt Geldvermögen und v.a. samt den vollständi-gen Immobilien. Die FDP übernahm die LDPD und dieNDPD (wobei hier mehr Immobilienvermögen als Menschengewonnen wurden – aber die waren der FDP egal). CDU undFDP haben durch die Einverleibung der DDR als Parteien vielVermögen gewonnen, die CDU auch Mitglieder – alles, ohneeinen Handschlag zu tun. Die CSU ging leer aus, und durchihre Niederlage mit der DSU hatte sie bei Bundestagswahlengegenüber der CDU auch noch ein geringeres Gewicht.

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9. In der einverleibten DDR „wachsen ..., gewissermaßen ‚inReserve‘, neue SA-Horden für den Fall eines Versagens derübrigen Mittel zur Sicherung der fortschreitenden Umvertei-lung von Macht und Reichtum heran“16 (Schirdewan). Erst-mals in der Geschichte der BRD wird mit Hilfe eines Pogromseine Grundgesetzänderung durchgesetzt (Rostock 1992, Ab-schaffung des Asylrechts).Um diese Entwicklung zu verstehen, muss man sich dieKlassen verhältnisse in der einverleibten DDR anschauen.Festzustellen ist, dass es dort keine Arbeiteraristokratie wie inWestdeutschland und Westberlin gibt, jedenfalls keine, derenAngehörige aus der DDR kommen. Was es an Arbeiteraristo-kratie in der einverleibten DDR gibt, ist im Wesentlichen Im-port aus dem Westen. Die SPD in der einverleibten DDR wirdnicht von der Arbeiteraristokratie getragen, sondern von An-gehörigen der evangelischen DDR-Opposition. Das ist dasEine. Wie sah es nun in den Betrieben aus (soweit noch wel-che da waren)? Die SED/PDS hatte sehr große und einfluss-reiche Parteiorganisationen in den Betrieben gehabt. Statt nunzu versuchen, diese Organisationen – vielleicht weniger offi-ziell – weiterzuführen, hat sie sie Ende 1989 aufgelöst. Dasheißt, in der PDS oder Partei die Linke findet sich keine Ar-beiteraristokratie, die aus der DDR kommt. Eine organisierte sozialdemokratische, arbeiteraristokratischeReserve der deutschen Bourgeoisie, auf die sich die Herrschen-den wirklich stützen könnten, existiert also in der einverleib-ten DDR so gut wie nicht.Zu der faschistischen Reserve war in der KAZ zu lesen: „Diebürgerlichen Parteien Westdeutschlands versuchen uns als‚Deutsche‘ zusammenzubringen, um uns gemeinsam ‚fürDeutschland‘ fit zu machen gegen den Rest der Welt. Unterder Bedingung, dass so viele Menschen aus der DDR vom‚Dank des Vaterlandes‘ die Nase gestrichen voll haben, ist dasgar nicht so einfach. Deshalb hat der deutsche Imperialismusein besonders starkes Interesse daran, dass gerade auf demGebiet der DDR Rassismus und ‚deutsches Nationalgefühl‘gegen alles Undeutsche gefördert wird. Dazu dient nicht nurdie Propaganda des ‚Zusammenwachsens der Deutschen‘,

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dazu dient auch, dass neben allen anderen Westparteien auchdie Nazigruppierungen sofort nach Öffnung der Staatsgrenzeder DDR sich massiv auf dem Gebiet der DDR ausgebreitethaben (mit den Hauptgruppierungen NPD und Reps, späterdann der DVU, alle drei mit Sitz in München). ...Diese Gruppierungen passen ihre Demagogie dem Protestund dem Widerstand der Bevölkerung in der einverleibtenDDR an, bis dahin, dass die DDR als ‚das bessere Deutsch-land‘ bezeichnet wird und ‚bösartiger Antikommunismusgegen die Bürger der Ex-DDR‘ scheinheilig angeprangertwird.17 Wobei Antifaschismus und Internationalismus natür-lich im Wortschatz dieser Horden fehlen.“18 Diese Zeilen wur-den 1999 geschrieben, und das hier beschriebene Problem hatsich inzwischen eher verschärft.Nun haben Freund und Feind natürlich die Frage gestellt:Woher kommt das eigentlich, dass die Nazibewegung soschnell da war und so sprunghaft angewachsen ist? Die wich-tigste Frage ist dabei nicht, wo es mehr dieser Hilfstruppen-Nazis gibt, in der DDR oder in Westdeutschland. Sondern dasErschreckende war das sprunghafte Anwachsen der Nazi-Be-wegung in einem vor Kurzem noch antifaschistischen, sozia-listischen Land. Hierzu haben bürgerliche „Wissenschaftler“eine Theorie gestrickt, dass diese Nazibewegung aus denStrukturen der DDR komme, die DDR also die Ursache des-sen sei. Eine besonders beliebte These lautete, dass die jugend-lichen Nazis als Kinder in den Kindergärten zum kollektivenTopfsitzen gezwungen wurden, was die Entwicklung zumNazi begünstigt haben soll.19

Die tatsächlichen Ursachen sind ganz offensichtlich. Alles,was sozialistisch war und auch alles, was antifaschistisch war,ist über Nacht vernichtet worden. Dieser massive Wechselkann nur zu so einem Aufschwung der faschistischen Bewe-gung führen, zumal der ja von Westdeutschland aus tatkräftigunterstützt und angeleitet wurde. Die PDS konnte keinennachhaltigen Widerstand organisieren, da sie ihre Veranke-rung in den Betrieben selbst aufgegeben und sich jeglicherMacht beraubt hatte. Eine Arbeiteraristokratie, die vielleichtnoch bereit gewesen wäre, etwas Widerstand zu organisieren,

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und die auf der anderen Seite der Bourgeoisie als zweite Re-serve – neben der faschistischen – hätte dienen können, warnicht vorhanden. Das war eine ganz andere Situation als inWestdeutschland. Da ist es schon immer so gewesen, es gabnie antifaschistische Lehrpläne zu vernichten, Lenin-Denkmä-ler abzureißen oder volkseigene Betriebe aufzulösen. Wer so-wieso schon im Tal ist, kann gar nicht aus dieser Höhe so ka-tastrophal konterrevolutionär abstürzen, wie es bei der DDRder Fall war. Der Aufschwung der Nazibewegung in der einverleibten DDRführte dazu, dass die deutsche Bourgeoisie erstmals in der Ge-schichte der BRD mithilfe eines Pogroms eine Grundgesetz-änderung durchsetzen kann. Der Pogrom in Rostock 1992wurde systematisch von den Staatsorganen vorbereitet. EineUnterkunft für (oder besser gegen) Asylbewerber wurde ab-sichtlich völlig überfüllt, so dass die Flüchtlinge auf einerWiese übernachten mussten, ohne Toiletten. Diese Methodenhaben schon die Hitlerfaschisten angewendet. Sie haben inden Ghettos unhaltbare Zustände hergestellt, und dann zeigtman das den Menschen und sagt, diese Leute leben doch wiedie Schweine. Genau diese Methode funktionierte in Rostock1992 auch. Natürlich reisten Nazis aus dem Westen in hellenScharen an. Der geistige Boden dieses Pogroms war aber vonoffizieller Seite vorbereitet.Nach dem Pogrom von Rostock gab es einen Aufmarsch inBerlin von Hunderttausenden, bei dem Bonner Regierungs-vertreter in der ersten Reihe marschierten. Die reaktionäreGrundlage dieses Aufmarschs (wenn auch keineswegs allerMitmarschierenden) war die Verurteilung der DDR-Bürger,die Assoziation „DDR=Nazis“. Einige wenige sind damalsmit der Losung aufgetreten: „Die Brandstifter sitzen inBonn“. Das war die eigentlich zutreffende Aussage. Das Asylrecht wurde dann tatsächlich geändert, oder richtigergesagt: abgeschafft. Das deutsche Monopolkapital, das sichseit 1945 immer parlamentarischer Instrumentarien bedienthat, hat also hier zum ersten Mal eine Nazi-Bewegung, dieparlamentarisch völlig unbedeutend ist, zur Durchsetzungeiner Grundgesetzänderung benutzt.

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10. Während der Regierungszeit von SPD und Grünen (ab1998) gelingt es der CSU unter Stoiber, ihren Einfluss auf dieCDU zurückzugewinnen und von dieser Position aus denKampf gegen den Merkel-Flügel der CDU zu führen. In Bay-ern kann die CSU ihre Position ausbauen wie nie zuvor. Mitder Forderung nach einem Verbot ihres Konkurrenten NPDtreibt die CSU die Berliner Regierung in eine Niederlage.Während der Regierungszeit der sozialgrünen Koalition ver-stärken sich die Abkoppelungsversuche der BRD von denUSA. Die BRD beweist erstmals ihre Kriegsfähigkeit undbombardiert Jugoslawien. Im Gefolge all dessen wird der An-tisemitismus mehr und mehr wieder salonfähig und wirdmehr oder weniger verhohlen auch Bestandteil des Verhaltensder Bundesregierung.Stoiber ist zu dieser Zeit unbestrittener Führer der CSU. Ge-werkschafter kennen ihn als ausgemachten Gewerkschafts-feind (in den 70er Jahren hatte er einen Plan zur Zerstörungder Gewerkschaften vorgelegt). Die CSU startet eine rassisti-sche Unterschriftensammlung gegen die Immigranten (gleich-zeitig gegen die Bundesregierung, die minimale Änderungenim Staatsbürgerrecht plant) und nimmt dabei die CDU insSchlepptau. Mithilfe dieser Unterschriftensammlung gewinntRoland Koch (CDU) die Landtagswahlen in Hessen. Stoibermischt sich offen in das vom deutschen Kapital unterwanderteÖsterreich ein und gibt der ÖVP den Rat, mit der faschisti-schen FPÖ zu koalieren, was diese auch tut. Der CDU-Politi-ker Hohmann hält eine Aufsehen erregende antisemitischeRede, weitere CDU-Politiker – Koch, Schönbohm, Wertebach,Rüttgers, Diepgen, Merz usw. – verlassen offen die konserva-tiv-demokratische Plattform und kämpfen mehr oder wenigerverhohlen gegen Merkel. Stoiber wirft Merkel 2002 als Kanz-lerkandidatin aus dem Rennen. Allerdings gelingt es ihmnicht, Kanzler zu werden – das Kapital will offenbar noch ander sozialgrünen Regierung festhalten. In Bayern erlebt dieCSU mit Stoiber an der Spitze einen Aufstieg wie nie zuvor.Sie erreicht die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag– das hat es noch nie bei einer Landtagswahl in der BRD ge-geben – und damit die verfassungsändernde Mehrheit, d.h. sie

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kann ungehindert machen, was sie will (bzw. was das Kapitalwill). Mit der Forderung nach einem Verbot ihres KonkurrentenNPD treibt die CSU die Berliner Regierung in eine Niederlage.Die Mordanschläge der Naziszene sind für die Monopolbour-geoisie in einer Zeit der Abkoppelungstendenzen des deut-schen Imperialismus von den USA und des Kampfes um diedeutsche Hegemonie in Europa nicht günstig, sie sind auchungünstig für die Verwertungsbedingungen des Kapitals.Qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland werden ge-braucht, weil die BRD keine angemessene Bildung zur Verfü-gung stellt. Die CSU sieht außerdem aufgrund der reaktionä-ren Entwicklung in der NPD einen Konkurrenten wachsen.Sie fordert das Verbot der NPD, das dann von Schily (SPD),dem damaligen Innenminister, betrieben wird, aber vor demBundesverfassungsgericht scheitert. Die NPD-Verbotsdebattewar von heftigen reaktionären Debatten begleitet, derenQuintessenz Beckstein (CSU) ausgesprochen hat: „Wir brau-chen nützliche Ausländer, nicht Ausländer, die uns ausnut-zen.“ Ein typisches Beispiel für Pragmatismus! Für die mili-tanten Teile der Hilfstruppen ist das natürlich schwer ver-ständlich. Beckstein hat sicherlich gewusst, dass die NPD vom Verfas-sungsschutz durchsetzt ist. Ob gewollt oder nicht, auf jedenFall wurden mit dieser Forderung der CSU nach dem NPD-Verbot zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: der NPDwurde ein Schuss vor den Bug verpasst und gleichzeitig dieBundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht in eineNiederlage getrieben. Erstaunlich sind solche Vorstöße der CSU nicht. Es gab immerBeispiele, dass Faschisten Faschisten verbieten. Die Faschistenzum Beispiel, die 1980 in der Türkei mit Hilfe des Terrors der„Grauen Wölfe“ an die Regierung gekommen sind, haben alserstes die „Grauen Wölfe“ verboten. Dieses Wechselspiel isttypisch. Man braucht die Hilfstruppen und dann braucht mansie wieder nicht, man verbietet sie und lässt sie wieder zu.11. Große Teile der Nazi-Szene steigen ab Ende der 90erJahre auf den durch Regierung und „Mitte der Gesellschaft“

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wieder salonfähig gewordenen Antisemitismus ein und nutzenden Nahost-Konflikt mit der Losung „Solidarität mit den Pa-lästinensern“. In der FDP schiebt sich eine neue Generationin den Vordergrund, die das Erbe der Alt-Nazis in der FDPder fünfziger Jahre antritt (Westerwelle, Möllemann) und diekonservativ-demokratischen Politiker der FDP (Genscher,Lambsdorff) ablöst.In der Zeit ab Ende der neunziger Jahre macht sich vor allemder Schriftsteller Martin Walser zum Vorkämpfer gegen dasHolocaust-Mahnmal in Berlin und trägt – subtil unterstütztvon Bundeskanzler Schröder – wesentlich zur Salonfähigkeitdes Antisemitismus bei. „Ein Schriftsteller darf so etwassagen, ein Bundeskanzler nicht“,20 hatte Schröder verlautenlassen und damit ein sehr deutliches Signal an alle antisemiti-schen Kräfte ausgesandt. Im Jahr 2002 kommen faschistischeHilfstruppen zum ersten Mal massiv mit Palästinensertüchernauf die Straße. Der Anlass ist der Besuch des israelischen Prä-sidenten, gegen den die NPD und „Freie Kameradschaften“in Berlin demonstrieren.Die MHP, inzwischen mit immer mehr islamischem Gehabe,kann sich unter staatlichem Schutz weiter konsolidieren. Siewird jetzt von den bundesdeutschen staatlichen Stellen ver-harmlost. Das hat makabere Konsequenzen. Zum Beispiel:Die Aleviten,20 die vor allem in der Türkei viele Opfer durchdie „Grauen Wölfe“ zu beklagen hatten, hatten sich immergeweigert, sich mit dieser Faschistenbande an einen Tisch zusetzen. Aber in dieser Zeit der SPD-Grünen Regierung wirdein ungeheurer Druck auf die Aleviten in der BRD durch denGrünen-Politiker Cem Özdemir ausgeübt, der es schließlichschafft, dass sich die Konföderation der Aleviten-Gemeinde(AABF) mit ihren Mördern an einen Tisch setzt.In der FDP schiebt sich eine neue Generation in den Vorder-grund, die das Erbe der Alt-Nazis in der FDP der 50er Jahreantritt – Westerwelle und Möllemann – und die konservativ-demokratischen Politiker der FDP, Genscher und Lambsdorff,ablöst. Möllemann macht mit offenem Antisemitismus Wahl-kampf und kann sich zeitweise auch als Querfront-Politikerprofilieren. Das fing damit an, dass er die Selbstmordattentä-

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ter verteidigt hat und wörtlich sagte: „Ich würde mich auchwehren, und zwar mit Gewalt ... Und ich würde das nichtnur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggres-sors.“22 Trotz seiner bekannten antisemitischen Schlagseitedurfte Möllemann im Frühjahr 2002 im wöchentlichen Wech-sel mit Gregor Gysi eine Kolumne im Neuen Deutschlandschreiben. Anfangs waren diese Kolumnen sehr harmlos. AberEnde Mai 2002 hat er die Wahlerfolge rechter Parteien in denNachbarländern bejubelt, auch Haider und ähnliche Konsor-ten. Er hat den „Volkswillen“ hervorgehoben, der bei unsauch mal zum Tragen kommen müsse. Das ND hat daraufhin(endlich!) diese Serie beendet und die letzte Kolumne vonMöllemann mit einer Erwiderung von Gregor Gysi abge-druckt. Gysi schreibt darin, dass Möllemann mit seinem Bei-trag angekündigt hat, der Haider Deutschlands werden zuwollen.23 Das hätte Möllemann auch werden können, aberdaraus ist aus bekannten Gründen doch nichts geworden.Einer war sehr traurig über den Tod von Möllemann, und daswar Peter Gauweiler. Der schrieb in der BILD: „Es ist Unrechtgeschehen mit Jürgen Möllemann. Zum Schluss wurde er ge-hetzt wie ein Wild.“24

Der Tod Möllemanns hat die Entwicklung der FDP zu einerwichtigen Kraft der Sammlungsbewegung sicherlich gestört.Und Westerwelle hat nicht das Zeug zu einem deutschen Hai-der. Dennoch wissen wir jetzt, dass die FDP diese Gefahrenin sich hat, dass sie durchaus weitere Möllemanns und Hai-ders hervorbringen kann und an der Seite der CSU oder Teilender CSU die Rolle spielen kann, die Möllemann ihr zugedachthat. Deshalb müssen wir auch in Bezug auf die FDP wachsambleiben.12. Ab ca. 2004 beginnt Merkel, sich gegen Stoiber durch-zusetzen. Stoiber stellt sich in den folgenden Jahren als nichttauglich als Führer der Sammlungsbewegung heraus, was mitder komplizierter gewordenen Situation (Einverleibung derDDR, absolute Verelendung, außenpolitische Schwankungendes deutschen Imperialismus) zusammenhängt. Er wird durchIntrigen und Kampagnen aus dem Verkehr gezogen. Die CSUgerät erneut in eine Krise.

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Im Jahr 2004 erleidet Stoiber zum ersten Mal eine Niederlagegegen Merkel. Bei der Aufstellung eines Kandidaten für dieWahl des Bundespräsidenten setzt sie ihren Favoriten HorstKöhler durch gegen den von Stoiber und Koch favorisiertenSchäuble. Als es dann 2005 überraschend Neuwahlen gibt,kann Merkel ihren Durchmarsch gegen Stoiber fortsetzen: siewird ohne große Diskussion Kanzlerkandidat und schließlichKanzler. Das hat sicherlich auch den damaligen außenpoliti-schen Rücksichten entscheidender Teile des Finanzkapitalsentsprochen. Im Bundestagswahlkampf 2005 meldet sichnoch mal das ganze Aufgebot der CSU und der reaktionärstenLandesfürsten Stoiber, Öttinger und Schönbohm zu Wort. Siehetzen gegen die DDR-Bürger, wobei sie eigentlich Merkelmeinen. Gleichzeitig bekriegen sich auch noch Stoiber undSchönbohm gegenseitig, bis dahin, dass Schönbohm Stoiberverboten hat, nach Brandenburg zu kommen. Koch setzt ent-gegen den Absprachen mit Merkel die Ablehnung des EU-Bei-tritts der Türkei als Wahlkampfthema auf die Tagesordnung. Das alles hat erst mal den zeitweiligen Sieg der konservativ-demokratischen Strömung in der CDU nicht aufhalten kön-nen. Für Stoiber waren diese Aktionen ein Eigentor. Die Hetzegegen die DDR-Bürger war einer der entscheidenden Punkte,mit denen Stoiber sich als Führer der „Sammlungsbewegungzur Rettung des Vaterlandes“ disqualifiziert hat. Statt die Pro-teste in der einverleibten DDR in die faschistische Richtungzu kanalisieren, hat er die gesamte DDR, ihre gesamte Bevöl-kerung beleidigt. Ab 2006 beginnen die Intrigen und Kampagnen, mit denenStoiber schließlich aus dem Verkehr gezogen wird. GabrielePauli, eine unbedeutende Landrätin, wird dafür eingesetzt.Dann wird die Stotterrede von Stoiber über den Transrapidlanciert (übrigens vier Jahre, nachdem sie gehalten wordenwar!). Hier konnte man auch ein Beispiel studieren, wie dieBourgeoisie ihre Kampagnen organisieren lässt, um jemandenplatt zu machen und aus seinen Ämtern wegzukriegen. Undes war ein Fehler, über die Stotterrede von Stoiber zu lachen,denn auch durch dieses Lachen lenkt uns die Bourgeoisie undspannt uns in ihre Pläne ein.

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Seit dieser Zeit ist die CSU erneut in der Krise, und zwar biszum heutigen Tag. Und natürlich schmiedet sie Pläne, wie sieda wieder hinauskommt. Dazu ist jetzt eine neue Idee geborenworden: „Der CSU-Vorstand hat … offiziell den Startschussfür die lange geplante Parteireform gegeben. ... man wolle dieCSU zu einer ‚echten Mitmachpartei machen‘ und damit‚neue Maßstäbe für Offenheit‘ in der deutschen Parteienland-schaft setzen. ...Während bislang sämtliche Entscheidungen in der CSU vonGremien getroffen werden, sollen künftig möglicherweise dieParteimitglieder selbst abstimmen dürfen.“25

Um was es sich hier handelt, ist die Rückkehr zu der Samm-lungspartei, Massenpartei, wie es die CSU früher zu Strauß’Zeiten war. Das hat sie weitgehend verloren und das wird nunmit so genannten modernen Mitteln versucht wieder herzu-stellen.Die Krise der CSU ist noch lange nicht vorbei. Es ist scheinbarkein Führer in Sicht. Oder doch? 13. Die neuen außenpolitischen Rücksichten der Merkel-Re-gierung erfordern ein Zurückfahren des offenen Antisemitis-mus und Antiamerikanismus, außen- und innenpolitische Er-fordernisse verlangen den „Kampf gegen den islamischen Ter-ror“. Die faschistischen Hilfstruppen werden entsprechenddiesen Schwankungen des deutschen Imperialismus immerbunter, vielfältiger und widersprüchlicher, aber nicht unge-fährlicher.In den letzten Jahren ist die Losung „Vielfalt gegen Einfalt“in der demokratischen Bewegung modern geworden. Sie istlustig, stellt aber die Realität nicht zutreffend dar. „Einiggegen rechts“ muss unsere Losung sein. Wir müssen nicht un-sere Vielfalt zur Schau stellen, sondern unsere Einheit gegendie faschistische Gefahr, gegen die Vielfalt und Widersprüch-lichkeiten des Monopolkapitals, das seine Möglichkeiten inder Vielfalt der faschistischen Bewegung findet.Entsprechend den neuen Erfordernissen bieten sich weitere fa-schistische Organisationen an. Vor allem die Pro-Bewegunghat sich in den letzten Jahren hervorgetan, die hauptsächlichgegen Moscheen kämpft. Die NPD hat sich diesem Kampf an-

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geschlossen, die Palästinensertücher von 2002 müssen wiederin die Schublade. Bei der Pro-Bewegung muss man dann unterIsraelfahnen marschieren. Die Straßennazis sind zur Zeitwirklich nicht zu beneiden.Das „Neue Deutschland“ hat ein Interview mit einem antifa-schistischen Aktivisten in NRW gemacht und auch nach denIsraelfahnen der Pro-Bewegung gefragt. Die Antwort war:„,Pro NRW‘ gehört zu jenem Teil der extremen Rechten, dersich nach außen von einem offenen Antisemitismus distan-ziert. Wie das hinter den Kulissen aussieht, ist eine ganz an-dere Frage. Selbst bekennende Auschwitzleugner sind auf ‚proNRW‘-Veranstaltungen anzutreffen.“Wie ist das nun einzuschätzen? Dazu sagt dieser antifaschisti-sche Aktivist: „Strategisch hat aber der Antiislamismus denAntisemitismus ersetzt, was von den erfolgreichen extremrechten Parteien in Europa abgekupfert wurde.“26

Dieser – in antifaschistischen Kreisen weit verbreiteten – An-sicht muss widersprochen werden. Der Antisemitismus kannnicht einfach durch Antiislamismus ersetzt werden. Der An-tisemitismus wird weiterhin gebraucht als Zusammenschlussder Volksgemeinschaft gegen das weiter Entwickelte, Erfolg-reichere, als Waffe des zu spät und zu kurz gekommenen deut-schen Imperialismus. Der Begriff Antiislamismus oder Islamo-phobie, wie das auch oft genannt wird, ist nicht präzise. Esgeht um zwei Sachverhalte: Einmal um den Rassismus vorallem gegen Türken oder aus der Türkei Kommende. Zumanderen geht es um den so genannten Kampf gegen islami-schen Terror. Diese beiden Dinge muss man analytisch aus-einander halten, und man kann sie nicht mit dem Antisemi-tismus gleichsetzen. Das ist nicht einfach austauschbar. DerAntisemitismus bleibt im Hintergrund, und er kann jederzeitwieder abgerufen werden. Die MHP wird inzwischen in den Verfassungsschutzberichtenals gefährlich gekennzeichnet, im Gegensatz zur Regierungs-zeit von Schröder. Gleichzeitig stellt sie immer stärkere Ver-bindungen mit der CDU her. Sie fordert die in der BRD le-benden Türken zur Annahme der Staatsbürgerschaft der BRDund zum Eintritt in die CDU auf. Die CDU ist da kein Un-

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schuldsengel, der unwissentlich unterwandert wird. Es wirdimmer wieder Zusammenarbeit von CDUlern mit den GrauenWölfen aufgedeckt. Hohe Funktionäre der NPD bemühen sich um Zusammenar-beit mit der MHP. Gleichzeitig steckt die MHP öfters genauhinter den Moscheen, gegen die die faschistische Gruppen,also auch die NPD, vorgehen. Wie oben schon gesagt, dieStraßennazis sind nicht zu beneiden in diesen Zeiten.Erschreckend ist, wie sehr sich die Hilfstruppen schon inKommunen festgesetzt haben. Zum Beispiel in Halberstadthat 2006 das Landratsamt unter Druck der Nazis das unterdem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ angekündigte Kon-zert von Konstantin Wecker in der Aula eines städtischenGymnasium verboten. Es gibt auch eine geistige Tätigkeit der Nazis. Seit ein paarJahren heißt die neue Mode in diesen Kreisen: Demokratie. „Theoretiker“ dieser neuen Mode ist ein Politologe namensHans-Herbert von Arnim. Er hat das Demokratiekonzept ent-wickelt. Dessen erklärte Anhänger sind z.B. die Junge Freiheit,die NPD, die „Freien Wähler“, die Freie Union von ehemalsGabriele Pauli, Olaf Henkel, der die „Freien Wähler“ im Vor-feld der Europawahlen beraten hat. Thomas Wagner hat imJanuar 2009 in der Jungen Welt darüber geschrieben: „Diepolitischen Organisationen der abhängig Beschäftigten sollenentmachtet und die parlamentarische Demokratie durch Ple-biszite überwunden werden. An ihre Stelle soll ein plebiszitärlegitimiertes Präsidialsystem treten. Schon die historischen Vorbilder der heutigen Faschistenhaben sich zum Teil weniger als Feinde der Demokratie dennals Verfechter ihrer ‚wahren‘ Prinzipien dargestellt. Die ver-hasste Weimarer Republik bewerteten schon manche Autorender sogenannten Konservativen Revolution nicht etwa als zudemokratisch, sondern als nicht demokratisch genug. ,DasBekenntnis zu ihr‘, schrieb Moeller van den Bruck 1931 inder dritten Auflage seiner berüchtigten, zuerst 1923 erschie-nenen Schrift ‚Das Dritte Reich‘, ‚hat mit Demokratie nichtszu tun‘. Und der faschistische Staatsrechtler Carl Schmittzeigte sich als Anhänger ‚einer nicht nur im technischen, son-

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dern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie‘(Schmitt 1996, S. 22 f.). In seiner Verfassungslehre definierteer ‚Demokratie‘ auf eine Weise, die für viele Anhänger der extremen Rechten bis in unsere Tage prägend geblieben ist:‚Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetz-gebungsform) ist Identität von Herrscher und Beherrschten,Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden.‘(Schmitt 2003, S. 234) Durch die Einführung eines plebiszi-tären Präsidialsystems ‚entstünde eine wirkliche Volksherr-schaft mit einer ›Identität von Regierten und Regierenden‹(Carl Schmitt)‘, argumentiert der NPD-Vorstand noch heute.Entscheidend für diesen Demokratiebegriff ist die unmittel-bare Beziehung zwischen Regierenden und Regierten. DasParlament, Parteien, Gewerkschaften oder andere Organisa-tionen sind in dieser Perspektive Störfaktoren, die der ange-strebten Einheit von Volk und Regierung nur im Wege stehen.Eine ‚mitwirkende Demokratie‘, schreibt der französischeRechtsintellektuelle und Carl-Schmitt-Bewunderer Alain deBenoist (2003, S. 243), lässt sich nicht auf der Ebene der Zwi-schenkörperschaften (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen,kulturelle oder wissenschaftliche Hierarchien) wieder schaf-fen, da diese gegenwärtig in einer Krise stecken und ihre tra-ditionelle Integrations- und Vermittlungsrolle, unter anderemwegen der Einflussnahme der Technobürokratie und der Ex-pertokratie, nicht mehr spielen können‘. (ebd.) Eine tiefgrei-fende Erneuerung der politischen Praxis erwartet der einfluss-reiche Vordenker der französischen Neuen Rechten dagegenvon einer Politik von unten: ‚Heute kann die mitwirkende De-mokratie nur eine Basisdemokratie sein.‘ (ebd.) In Deutsch-land ist die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF)der wichtigste ideologische Resonanzboden und publizistischeVerstärker von Benoists demokratiepolitischen Ideen. … Die von der NPD angestrebte Ordnung, erläuterte ihr Par-teivorsitzender Udo Voigt im Interview mit der Jungen Frei-heit (40/2004, 24.9.2004), werde ‚eine Volksgemeinschaftsein, und ein wichtiger Eckpfeiler ist die direkte Beteiligungdurch Volksabstimmungen, wie das zum Beispiel der Polito-loge Hans-Herbert von Arnim vorschlägt‘.“27

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14. Der frühere Hauptkonkurrent Stoibers, Peter Gauweiler,lässt sich als Nachfolger von Strauß feiern. Er hat große Er-folge als Querfrontpolitiker mit Wirkung auf die demokrati-sche Bewegung und auf die einverleibte DDR. Dieser Um-stand wird von der Arbeiter- und demokratischen Bewegunggewaltig unterschätzt.Peter Gauweiler hat natürlich mit dieser ganzen Naziszenenichts zu tun. Er beruft sich auch nicht auf Hans-Herbert vonArnim (s.o.), den bei NPD und „Junge Freiheit“ etc. so be-liebten Theoretiker der volksgemeinschaftlichen „Demokra-tie“. Er hat aber eins zu eins dessen Forderungen übernom-men und gibt sich den Anschein, dass er sich das lange über-legt habe und diese Ideen selbst entwickelt habe. Die Wahldes Bundespräsidenten fordert er, außerdem wörtlich „Umbaudes Parlamentarismus“, um die Stellung des einzelnen Abge-ordneten zu stärken – das ist ein massiver Angriff auf den Par-lamentarismus. Er plädiert auch dafür, die Aufstellung der Li-sten für die Bundestagswahlen durch die Parteien komplettabzuschaffen, damit Abgeordnete künftig nur noch direkt vonden Bürgern gewählt werden können. Außerdem ist er fürVolksentscheide. Die Entscheidung gegen Minarette in derSchweiz sieht er als vorbildlich an.Eine weitere Spezialität von Gauweiler ist seine Gegnerschaftzur EU. Gegen den Lissabon-Vertrag war er vor das Bundes-verfassungsgericht gegangen. Dazu haben wir nach dem Urteildes Gerichts in der KAZ geschrieben: „Wenn Gregor Gysi am 1.7. vor dem Bundestag erklärte:‚Entscheidend ist, dass die Richter des Bundesverfassungsge-richts den Lissabon-Vertrag völlig neu interpretiert haben undmit ihrer Interpretation Bundestag, Bundesrat und Bundesre-gierung gebunden haben. Dadurch hat der Vertrag zum Teileinen neuen Inhalt‘, dann tut er seinen Anliegen und denender Linkspartei damit ganz und gar keinen Gefallen. Ein Ver-trag, wie auch immer ausgehandelt zwischen den Staatsver-tretern der EU, soll nun durch das deutsche Bundesverfas-sungsgericht einen neuen Inhalt bekommen. Was bedeutet dasanderes als ein deutsches Diktat für einen EU-Vertrag? MehrDemokratie für die EU? Nein, das Bundesverfassungsge-

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richtsurteil zum Vertrag von Lissabon ist kein Sieg für die Par-tei die Linke, für die Demokratie und den Frieden.Da kann Herr Gauweiler auf der anderen Seite wesentlich be-rechtigter von einem Sieg sprechen. Ihm ging es vor allem umdie Souveränität der Bundesrepublik, die er durch die Zustim-mung zum Vertrag von Lissabon bedroht sah.“28

Der Rechtsvertreter von Gauweiler, der Herr ProfessorSchachtschneider, Mitbegründer des rechtsradikalen „Bundfreier Bürger“, sprach von einer „existenziellen EntmachtungDeutschlands durch den Vertrag von Lissabon“.Nun fordert Gauweiler nicht nur so einfach Volksabstimmun-gen, sondern insbesondere verlangt er, dass über die EU beiuns abgestimmt wird, weil es in Österreich oder Irland dazuauch Volksabstimmungen gab.In der demokratischen Bewegung ist diese Forderung durch-aus populär. Aber sie ist nicht richtig. Volksabstimmung inder BRD über die EU hieße, dass wir mitbestimmen, was diebeste Taktik für den deutschen Imperialismus wäre, wie erseine Weltherrschaftspläne am besten verwirklichen kann.Wenn wir für die EU stimmen, dann stimmen wir für die deut-sche Hegemonie in Europa. Wenn wir gegen die EU stimmen,dann stimmen wir womöglich für die Pläne Gauweilers, füreinen Austritt aus der EU, um auf diesem Weg gegen andereimperialistische Länder vorzugehen. Das heißt, uns steht esgar nicht zu, darüber abzustimmen, sondern den unterdrück-ten, den vom deutschen Imperialismus bedrohten Ländernsteht das zu. Gauweiler macht keinen Hehl aus seinen Zielen, wenn er überdie aktuellen Entwicklungen in Europa redet. Über Griechen-land sagt er: „Griechenland hat sich die Aufnahme in die Eu-rozone mit Hilfe internationaler Großbanken erschlichen.“29

Zur gleichen Zeit veröffentlichte german-foreign-policy.comdie Meldung: „Ein Ausstieg der Bundesrepublik aus der Eu-rozone sei auf lange Sicht in der Tat höchst wahrscheinlich,urteilt der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Stefan deVylder.“30 Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass wiruns genau dieser Option des deutschen Imperialismus nähern,für die Gauweiler steht – im Ernstfall unter dem demagogi-

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schen Schlachtruf: „Deutschland gegen die internationalenGroßbanken“.Es gibt nicht nur diese politischen demagogischen „Ange-bote“ an die demokratische Bewegung, es gibt auch direkteQuerfrontaktivitäten Gauweilers. Da ist zum Beispiel leiderdie persönliche Verbindung zu dem Sozialdemokraten undMitglied der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine. Im August2009 hat es eine Veranstaltung auf dem Nockherberg in Mün-chen gegeben mit Gauweiler und Lafontaine, über die dieBildzeitung und die „Junge Freiheit“ begeistert berichtethaben. Dort war natürlich auch die Rede davon, dass eineVolksabstimmung zur EU endlich mal sein müsse. Der Bild-zeitungsartikel endet mit dem Satz von Gauweiler: „Wenn eseine Lehre aus dem 20. Jahrhundert gibt, dann die, dass dieRechte und die Linke keine Feinde sein dürfen.“31 Es gabauch einen sehr stimmungsgeladenen Artikel im Spiegel, derauch sehr begeistert von der Veranstaltung war. Jürgen Elsäs-ser, relativ neu im Querfrontgeschäft, hat – ebenfalls vollerBegeisterung – diesen Spiegel-Artikel weiter verbreitet. Gauweiler greift auch ganz bewusst die Verwirrung auf, dieStrauß schon in den achtziger Jahren unter vielen Genossender SED gestiftet hat (s.o.). Er sagte 2005: „Es ist nicht gut –und auch nicht frei von Heuchelei –, wenn der Westen immerdem Osten die Sünden vorhalten will. So kommen wir nichtweiter. Die eigenartigen Strafverfahren gegen die politischeKlasse der Ex-DDR – das war der falsche Weg. Vor zehn Jah-ren habe ich eine Amnestie für Egon Krenz und andere gefor-dert. Obwohl auch eine gewaltsame Lösung möglich gewesenwäre, haben sie am Ende verantwortungsbewusst gehandelt.Die Einsicht, was bei ihnen falsch und was richtig war, mussvon den Menschen des Ostens kommen. Diese Einsicht wirddurch ideologischen Druck von unserer Seite nur dauerhaftverschüttet.“32

Ein Beispiel dafür, wie sehr die Straußsche Querfrontpolitikder achtziger Jahre bis heute nachwirkt, finden wir bei EgonKrenz, in seinem ansonsten sehr guten Buch „Gefängnis-No-tizen“: „Ich bin dankbar, dass einer der politischen ZiehsöhneFranz Josef Strauß’ der Treibjagd auf DDR-Funktionsträger

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sachliche Argumente entgegensetzt. Ich bin mit Ministerprä-sident Strauß nicht sehr oft zusammengetroffen, doch unserekurzen Begegnungen in Leipzig lassen mich schlussfolgern: Erhätte genauso gehandelt. Ich glaube nicht, dass er sich derHatz auf Honecker und die anderen Amtsträger der DDR an-geschlossen hätte.“33

Hier gibt es offensichtlich Illusionen, warum ein Herr Gau-weiler so und nicht anders handelt. Es geht ihm darum, diedeutsche Volksgemeinschaft gegen den Rest der Welt zu schaf-fen. Wenn man eine Abstimmung über die EU will, wenn manaus der EU raus will, dann ist es das Beste, ein über 90-pro-zentiges Ergebnis zu erreichen. Da geht es natürlich nicht,dass man die DDR so in den Staub tritt, wie es bisher der Fallist, dass man Repräsentanten der DDR unterschiedslos insGefängnis steckt und einen großen Teil der DDR-Bürgerdamit demütigt, die dann ganz bestimmt nicht mehr „fürdeutsche Interessen“ zu haben sind. Dafür also ist diese Quer-front gut und dafür ist auch das Bündnis mit Lafontaine gut,der an dieser Stelle leider sehr falsch reagiert. So will Gauwei-ler nicht nur einen Teil der DDR-Bürger auf seine Seite be-kommen, sondern auch einen Teil der linkeren Arbeiteraristo-kratie und große Teile auch der demokratischen Bewegung inWestdeutschland. Einen wirklich begeisterten Anhänger hat Gauweiler in derfaschistischen Postille „Junge Freiheit“. Zu seinem 60. Ge-burtstag hat sie einen sentimentalen Artikel über Gauweilergeschrieben, wo ihm die Qualitäten von Strauß zugeschriebenwerden. Der Artikel endet mit den geradezu ergreifendenWorten: „Er will, das ist Gauweilers Natur, dem Volk Machtgeben über mehr Beteiligung und Volksabstimmungen. Weiler sein Volk liebt. Und das Volk ihn.“34

Im März 2010 wurde bekannt, dass es in der CSU unter derOberfläche brodelt. Theo Waigel, Peter Gauweiler und AlfredSauter – alle drei sind früher oder später Opfer von Stoibergeworden – haben den Zustand der Partei unter dem Vorsit-zenden Horst Seehofer kritisiert. Auch Edmund Stoiber gabensie eine Mitschuld an der Krise der Partei. „Bei Franz JosefStrauß war das anders“, klagte Theo Waigel.35 Diese drei und

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ihre Anhänger möchten also zurück zur Ära Strauß. Und wasdas heißt, wissen wir ja … 15. Schlussfolgerungen:• Es kann kein Bündnis mit der CSU „gegen Nazis“ geben.• Antifaschisten müssen die CSU und insbesondere Gauwei-ler ernst nehmen und bekämpfen. • Der Kampf gegen die faschistischen Hilfstruppen muss mitdem Kampf gegen die Staatsgewalt verbunden werden.• Solidarität mit den Arbeitern aus anderen Ländern und mitden Werktätigen in der einverleibten DDR ist unabdingbar.• Jeder unserer Kämpfe muss eine antifaschistische Stoßrich-tung haben.Warum kann es kein Bündnis mit der CSU „gegen Nazis“geben? Mit einem solchen Bündnis würden wir sie als bürger-lich-demokratische Partei akzeptieren. Wir machen ja auchkein Bündnis mit der NPD gegen die CSU und verlangen nichtvon der NPD, gegen die CSU zu kämpfen. Die CSU und insbesondere Gauweiler ernst nehmen und be-kämpfen heißt, die Krise der CSU nützen, um insbesondereGauweiler und seine jeweiligen Verbündeten zu entlarven undQuerfrontaktivitäten zu unterbinden. Wenn sich die Wider-sprüche zwischen den Imperialisten oder innerhalb der deut-schen Monopolbourgeoisie in der EU-Frage noch mehr ver-schärfen, kann es zu spät sein. Wir haben ja erst vor 20 Jahrendie Erfahrung gemacht, wie schnell man von konterrevolutio-nären Entwicklungen überrollt werden kann. Beim Kampf gegen die faschistischen Hilfstruppen darf dieStaatsgewalt nicht aus dem Auge verloren werden. Es kannnicht darum gehen, immer wieder zu versuchen, die Nazis zublockieren, immer wieder sich von der Staatsgewalt vorführenzu lassen. Wichtiger wäre es, aufzuklären darüber, wie wir beidiesen Anti-Nazi-Kämpfen aufgerieben werden sollen, aufzu-klären über die Bürgerkriegsübungen, aufzuklären, woher diefaschistische Gefahr wirklich droht. Solidarität mit den Arbeitern aus anderen Ländern und mitden Werktätigen in der einverleibten DDR dient dazu, dassKlarheit über die Fronten entsteht. Die Aufgabe von Gauwei-ler und ähnlichen Figuren ist ja, die Fronten zu verwischen

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und alle in die Volkgemeinschaft einzugliedern. Wir müssenaufpassen, dass wir zum Beispiel nicht plötzlich ganz aus Ver-sehen Arm in Arm mit den „Grauen Wölfen“ stehen. Und nurdurch Solidarität mit den Werktätigen in der einverleibtenDDR können wir die Querfrontversuche gegen Genossen undFreunde aus der DDR wirkungslos machen und den Kampfgegen Nazistrukturen dort unterstützen. Diese Forderungnach Solidarität mit den Werktätigen in der einverleibtenDDR richtet sich natürlich an die Westdeutschen. Umkehrenkann man diese Forderung nicht. Die Westdeutschen könnenaußer der ganz normalen Solidarität aller Arbeiter und Anti-faschisten keine besondere Solidarität aus dem unterdrücktenTeil der BRD, von den Werktätigen in der einverleibten DDR,verlangen.Jeder unserer Kämpfe muss eine antifaschistische Stoßrich-tung haben. Das heißt zum Beispiel: es kann keinen Kampfgegen Nazis wegen ihrer „Verfassungswidrigkeit“ geben. Eskann keine Unterstützung für „Mehr-Demokratie“-Bündnissegeben, die zur Zeit – wenn auch mit den besten Absichten –Unterschriften für Volksabstimmungen etc. sammeln, ohnedass sie selbst wissen, wofür eigentlich, ohne antifaschistischeStoßrichtung. Unsere EU-Gegnerschaft muss sich gegen dieBRD richten. Es kann kein Bündnis mit EU-Gegnern geben,die die BRD in der EU stärken wollen. Und wir können auchden von Gauweiler angestrebten Volksentscheid nicht unter-stützen, sondern müssen ihn bekämpfen.Hören wir noch einmal hin, was unser Gegner spricht. Straußsagte am vierzigsten Jahrestag der CSU-Gründung 1985: „DieGründung der Christlich Sozialen Union war ein Glücksfallder deutschen Geschichte. Sie war Voraussetzung dafür, vonDeutschland zu retten, was zu retten war und nicht den Zwei-ten Weltkrieg jedes Jahr aufs neue zu verlieren.“36

Kämpfen wir dafür, dass sie ihren Weltkrieg nicht nur jedesJahr aufs neue, sondern ein für allemal verlieren!

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Anmerkungen

1 Finanzkapital: „Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Mo-nopole, Verschmelzung oder Verwachsen der Banken mit der Industrie –das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt diesesBegriffs.“ (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalis-mus, LW Bd.22, S. 230)

2 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben derKommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiter-klasse gegen den Faschismus, in: VII. Weltkongress der KommunistischenInternationale, Frankfurt/Main 1971, S. 75

3 Götz Aly, Hitlers Volksstaat, Frankfurt/Main 20054 Wilhelm Liebknechts Volksfremdwörterbuch Berlin 1953, S. 206. Zu den

Ausführungen über den Pragmatismus wurde auch herangezogen: HarryK.Wells, Der Pragmatismus – eine Philosophie des Imperialismus, West-berlin 1975 auf Grundlage einer 1957 in der DDR erschienen Ausgabe

5 Die Zeit, 07.10.19886 Der Gewerkschafter, Funktionärsorgan der IG Metall, Nr. 12/19707 Ab hier bis zur mit Fußnote 10 gekennzeichneten Stelle wurden im We-

sentlichen die Inhalte aus dem Buch von Peter Willmitzer, Wir in Bayern,München 1985, übernommen.

8 Interne Informationen des CSU-Freundeskreises vom 8.6.1970, zit. nachKommunistische Arbeiterzeitung Nr. 6/1970

9 METALL (Zeitung der IG Metall) 18/197810 Siehe Fußnote 711 DER SPIEGEL 12/197012 Querfront: Der „Versuch faschistischer Kräfte, unter Ausnutzung theore-

tischer Schwächen in die Arbeiterbewegung einzudringen, um diese zuzersetzen und schlussendlich zu vernichten“ (www.secarts.org/journal/index.php?show =article &id=288&)

13 Strauß im Interview mit dem französischen Journalisten Bernhard Völker,zitiert nach der Dokumentation einer Ausstellung „Nürnberg – München– Tandler und Hillermeier müssen zurücktreten“ des Anti-Strauß-Komitees München/Regensburg, München 1981, S. 9

14 Ebenda, S. 915 Süddeutsche Zeitung, 22.6.0916 Karl Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben – Erinnerungen und Visionen,

Berlin 1998, S. 30317 Flugblatt der NPD Sachsen, zitiert nach: Kurt Gossweiler, Faschismus und

herrschende Klasse – Gestern und Heute, in: Mitteilungen der Kommuni-stischen Plattform der PDS Nr.10/98, Thema Antifaschismus, S. 23

18 Kommunistische Arbeiterzeitung 291/1999, „Warum wir keine ‚gesamt-deutschen‘ Klassenverhältnisse untersuchen“

19 Im Februar 1999 veröffentlicht der – jahrelang in dieser Frage von dengroßen Medien ernst genommene – niedersächsische Kriminologe Chri-stian Pfeiffer die „Theorie“, dass die Jugendlichen in der DDR „emotio-nal verkümmert“ seien durch die DDR-Erziehung und dadurch leichteBeute für die Nazis. Als Beispiel für die Abwesenheit von Liebe und Zuneigung und deren Ersatz durch staatliche Regeln nannte Pfeiffer das

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