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Oliver Geden

Diskursstrategien im Rechtspopulismus

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Diskursstrategien im Rechts-populismusFreiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung

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.1. Auflage September 2006

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006

Lektorat: Monika Mülhausen / Nadine Kinne

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN-10 3-531-15127-4ISBN-13 978-3-531-15127-4

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zugl. Dissertation an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin, 2005Erstgutachter: Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba Zweitgutachter: Prof. Dr. Frank DeckerDekan: Prof. Dr. Michael BorgolteTag der Promotion: 6.6.2006

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.

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Vorbemerkung Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2005 an der Philosophischen Fa-kultät I der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht wurde.

Mein Dank gilt allen, die zum Gelingen dieser Studie beigetragen haben, zuallererst meinen Interviewpartnern in der Freiheitlichen Partei Österreichs (Eduard Mainoni, Barbara Rosenkranz und Theresia Zierler) sowie in der Schweizerischen Volkspartei (Toni Bortoluzzi und Hans Fehr). Ohne ihre Be-reitschaft, auf meine Interviewwünsche einzugehen, die Transkripte gegenzule-sen und diese zu autorisieren, hätte die im Zentrum meines Forschungsvorha-bens stehende Frage nach dem strategischen Gehalt rechtspopulistischer Deu-tungsangebote nicht zufriedenstellend beantwortet werden können. Dies gilt in gleicher Weise für den Zugang zu den von mir ausgewerteten Parteiperiodika (sowie anderen Akteursdokumenten), bei dem ich nicht auf die Unterstützung der untersuchten Parteien zurückgreifen konnte oder wollte. Hier waren mir Heribert Schiedel und Hans Stutz eine sehr große Hilfe. Für die Unterstützung in ›logistischen Belangen‹ sowie die beharrliche Bereitschaft, jedwede meiner Fragen zu Politik, Geschichte und Alltagskultur ihrer Herkunftsländer zu be-antworten, schulde ich Thomas König und Daniel Graf großen Dank. Die Durchführung meines Forschungsvorhabens wäre zudem nicht ohne das Promo-tionsstipendium und die damit verbundene materielle wie ideelle Förderung der Hans-Böckler-Stiftung möglich gewesen, ebenso wenig ohne die Begleitung durch meine beiden Gutachter, Prof. Wolfgang Kaschuba (Institut für Europäi-sche Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin) und Prof. Frank Decker (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn).

Matthias Stolz hat in seinem Artikel „Da nicht für“ (Die Zeit vom 14.10.2004) dankenswerterweise herausgearbeitet, dass der Aufbau von Dank-sagungen einem eingespielten Muster folgt: „Üblicherweise kommen erst Kol-legen und Dienstleister zu ihrem Dank, und dann endet der Autor damit, dass einer Person mehr als Dank gebührt. Dann kommt Schatzi.“ Wenigstens für den Hinweis auf diesen Text möchte ich an dieser Stelle Alexa Färber mehr als dan-ken...

Berlin, im Juni 2006 Oliver Geden

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Inhalt Vorbemerkung .................................................................................................... 5 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 9 1 Einleitung ............................................................................................... 11 2 Rechtspopulismus – politisches Feld – Diskurs: Begriffliche und theoretische Vorüberlegungen ................................. 17

2.1 Rechtspopulismus ........................................................................... 17 2.2 Politisches Feld und Diskurs ........................................................... 23

2.2.1 Politik als Feld .................................................................... 24 2.2.2 Diskursproduktion als Handlungspraxis

im politischen Feld ............................................................. 29 3 Rechtspopulistische Parteien als strategisch ausgerichtete Produzenten von Deutungsangeboten ................................................. 34

3.1 Rechtspopulismus, politisches Feld, Diskurs: Eine Zusammenführung................................................................... 36 3.2 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen ............................. 47 3.3 Forschungsdesign ............................................................................ 55

4 Deutungsangebote in der Einwanderungs- und

in der Geschlechterpolitik ..................................................................... 63 4.1 Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ..................................... 64

4.1.1 Der Einwanderungsdiskurs in der Opposition ................... 67 4.1.2 Der Einwanderungsdiskurs in der Phase der Regierungsbeteiligung .................................................. 74 4.1.3 Der Geschlechterdiskurs in der Opposition ....................... 79 4.1.4 Der Geschlechterdiskurs in der Phase

der Regierungsbeteiligung ................................................. 86 4.2 Die Schweizerische Volkspartei (SVP) .......................................... 94

4.2.1 Der Einwanderungsdiskurs ................................................ 96 4.2.2 Der Geschlechterdiskurs .................................................. 108

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5 Diskursproduktion zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung............................................... 117 5.1 Praktiken und Positionierungen im politischen Feld .................... 118

5.1.1 Die FPÖ im politischen Feld Österreichs ........................ 118 5.1.2 Die SVP im politischen Feld der Schweiz ....................... 129 5.1.3 Die Handlungskontexte von FPÖ und SVP

im Vergleich ..................................................................... 141 5.2 Text im Kontext I – die Produktion von Deutungsangeboten

in der Einwanderungspolitik .......................................................... 144 5.2.1 'Das Geschäft mit der Angst' –

der Einwanderungsdiskurs der FPÖ ................................. 144 5.2.2 Vom Nutzen der 'rituellen Empörung' –

der Einwanderungsdiskurs der SVP ................................. 155 5.2.3 Die Einwanderungsdiskurse von FPÖ und SVP

im Vergleich .................................................................... 162 5.3 Text im Kontext II – die Produktion von Deutungsangeboten

in der Geschlechterpolitik .............................................................. 164 5.3.1 'Eine Partei für alle' – der Geschlechterdiskurs der FPÖ .. 164 5.3.2 Defensiv gegenüber dem 'Umverteilungsausbau' –

der Geschlechterdiskurs der SVP ..................................... 175 5.3.3 Die Geschlechterdiskurse von FPÖ und SVP

im Vergleich ..................................................................... 180 5.4 Diskurse, Praktiken und Positionierungen .................................... 184

6 Kulturalismus im Modus des Alltagsverstands ................................ 207 Literatur .......................................................................................................... 229 Interviewpartner ............................................................................................. 245

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Abkürzungsverzeichnis AUNS Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz BGB Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BZÖ Bündnis Zukunft Österreich CVP Christlichdemokratische Volkspartei EJPD Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement FDP Freisinnig-Demokratische Partei FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs iFF initiative Freiheitlicher Frauen LiF Liberales Forum NFZ Neue Freie Zeitung ÖVP Österreichische Volkspartei SP Sozialdemokratische Partei der Schweiz SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs SVP Schweizerische Volkspartei UDC Union Démocratique du Centre VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung,

Bevölkerungsschutz und Sport VdU Verband der Unabhängigen ZB Zürcher Bote

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1 Einleitung Seit gut zwei Jahrzehnten werden viele westliche, ab den 1990er Jahren zudem auch einige der noch jungen osteuropäischen Demokratien durch ›rechtspopulis-tische‹ Parteien mitgeprägt. Während Vertreter dieses Parteientypus in Deutsch-land nie über einzelne Landesparlamente hinauskamen – so etwa die Republika-ner in Baden-Württemberg und zuletzt die Partei Rechtsstaatlicher Offensive um Ronald Schill in Hamburg – haben rechtspopulistische Formationen in vie-len europäischen Ländern auch auf nationaler Ebene reüssieren können, wenn auch mit unterschiedlichen Entwicklungsverläufen. Etliche der rechtspopulisti-schen Wahlerfolge erwiesen sich in der rückblickenden Betrachtung als ledig-lich kurze ›Strohfeuer‹. Hingegen gelang es Parteien wie dem französischen Front National oder dem belgischen Vlaams Belang, sich im nationalen Politik-betrieb als dauerhafter Faktor zu behaupten, auch wenn sie dabei im wesentli-chen auf die Rolle einer Fundamentalopposition gegen die ›politische Klasse‹ beschränkt blieben. Doch schon ein flüchtiger Blick auf diejenigen Formatio-nen, denen es bisher gelungen ist, an Regierungen auf nationaler Ebene beteiligt zu werden, lässt es jedoch ohnehin fraglich erscheinen, ob dieser Schritt aus der Sicht rechtspopulistischer Parteien in jedem Falle anstrebenswert ist. So musste die italienische Lega Nord als Regierungspartei zum Teil erhebliche Stimmen-verluste erleiden. Die unter Beteiligung der Lijst Pim Fortuyn 2002 in den Nie-derlanden gebildete Regierungskoalition zerbrach gar schon nach wenigen Mo-naten an internen Streitigkeiten unter den Rechtspopulisten, deren Mandatszahl bei den folgenden Parlamentswahlen um mehr als zwei Drittel schrumpfte. Auch die beiden im Zentrum dieser Studie stehenden Parteien, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die Schweizerische Volkspartei (SVP), haben die sich im Anschluss an ihre Hinwendung zum Rechtspopulismus rasch einstellen-den Wahlerfolge schließlich in Regierungsbeteiligungen auf nationaler Ebene ummünzen können. Doch während die FPÖ infolgedessen einen jähen Absturz erleiden musste, hat der SVP der Regierungseintritt ihrer Führungsfigur Chris-toph Blocher bisher nicht erkennbar geschadet (vgl. Decker 2004: 39ff.; Frölich-Steffen/Rensmann 2005).

Rechtspopulistische Parteien sind bislang vornehmlich aus politikwissen-schaftlicher Sicht analysiert worden, andere sozial- oder gar kulturwissenschaft-liche Zugänge blieben hingegen eher marginal. Die folgende Untersuchung

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versteht sich deshalb als Beitrag zur Erweiterung des Blicks auf den For-schungsgegenstand ›Rechtspopulismus‹, als Teil einer im deutschsprachigen Raum noch kaum ausgebauten interpretativen Politikforschung. Ihr Fokus rich-tet sich auf über Diskurse vermittelte Prozesse der Sinn- und Bedeutungszu-schreibung, sowohl hinsichtlich der von rechtspopulistischen Akteuren produ-zierten und distributierten Deutungsangebote als auch in Bezug auf die Hand-lungskontexte, in die politische Praktiken der Aussagengenerierung eingebettet sind. Diesem Forschungsansatz liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien ganz wesentlich aus den spezifischen ›Erzählungen‹ über die soziale und politische Welt speisen, die sie vor allem aus der Opposition heraus in ›authentischer‹ und damit viele Wähler überzeugender Weise in Umlauf zu bringen in der Lage sind. Dies gilt insbesondere für die permanente, fast sämtliche populistischen Deutungsakte durchziehende Kon-struktion einer ›Wir‹-Gruppe, die – ausschließlich aus 'dem Volk' und seinem rechtspopulistischen Repräsentanten bestehend – beharrlich in Differenz zu ›den Anderen‹ gedacht und gebracht wird, einer Gruppe, die sich in der Darstellung des Rechtspopulismus aus 'den (korrupten) Eliten' und den von diesen 'prote-gierten' gesellschaftlichen Minderheiten zusammensetzt. Zugleich aber dürfte der sich bei rechtspopulistischen Parteien infolge einer Regierungsbeteiligung häufig einstellende Verlust an wählerseitiger Zustimmungsbereitschaft maßgeb-lich darauf zurückzuführen sein, dass die sich dabei zumeist erheblich verän-dernden Handlungskontexte eine ungebrochene Weiterführung der über Jahre hinweg eingespielten Erzählungen nicht mehr erlauben.

Insofern ›Kultur‹ als Prozess des gesellschaftlichen Aushandelns von Be-deutungen (Wimmer) verstanden werden kann, folgt die vorliegende Untersu-chung einer Forschungsperspektive, die – mit einem Fokus auf die Deutungsan-gebote einer spezifischen Akteursgruppe – nach Prozessen und Konflikten fragt, in denen „soziale Klein- wie Großgruppen ihre Gemeinsamkeiten und Unter-schiede aushandeln, insbesondere nach dem Wandel, der Instrumentalisierung und den symbolischen Kodes, denen solche Aushandlungsprozesse folgen“ (Kaschuba 2003: 348f.). Der Nachvollzug und die Analyse solcher Prozesse und Konflikte kann letztlich nur anhand konkreter empirischer Fälle erfolgen. Zwar weisen vor allem die westeuropäischen Rechtspopulismen weitgehende Ge-meinsamkeiten auf, eine Untersuchung von Diskursverläufen und den dahinter stehenden ›diskursstrategischen‹ Überlegungen bleibt jedoch darauf angewie-sen, die länderspezifisch zum Teil stark differierenden Handlungskontexte rechtspopulistischer Parteien ins Blickfeld zu rücken. Diese Studie stellt mit der Freiheitlichen Partei Österreichs und der Schweizerischen Volkspartei zwei Akteure in den Mittelpunkt, die zu den erfolgreichsten Vertretern des europäi-schen Rechtspopulismus gezählt werden können. Ihr steiler Aufstieg, der sie auf

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ihrem Höhepunkt in den Jahren 1999 (FPÖ) bzw. 2003 (SVP) jeweils zu Natio-nalratswahlergebnissen von knapp 27% führte, hatte eine deutliche Dynamisie-rung der österreichischen bzw. schweizerischen Politik zur Folge. Diese Dyna-miken mündeten schließlich in neuartige Regierungskonstellationen, in denen sich FPÖ wie SVP vor die Aufgabe gestellt sahen, populistische Forderungen in gouvernementale Gestaltungsmacht umzusetzen und zugleich ihre bis dahin erreichte Mobilisierungsfähigkeit nicht einzubüßen. Während sich schon bald nach ihrem Regierungseintritt im Februar 2000 herauskristallisierte, dass die FPÖ an dieser Herausforderung weitgehend scheitern würde, hat die SVP auch nach dem zum 1.1.2004 erfolgten Regierungseintritt von Christoph Blocher – dem unangefochtenen Führer des rechtspopulistischen und die SVP seit Mitte der neunziger Jahre dominierenden Parteiflügels – kaum an wählerseitiger Zu-stimmungsbereitschaft eingebüßt.

Die folgende Untersuchung beleuchtet die Diskursproduktion beider Par-teien, und zwar jeweils vor und nach deren Regierungseintritt. Da rechtspopulis-tische Akteure die identitätspolitisch operierende Gegenüberstellung von ›Wir‹ und ›Die‹, von Volk und 'korrupter Elite' im politischen Tagesgeschäft in der Regel nicht isoliert thematisieren können, sondern ihre Deutungsangebote viel-mehr an den im nationalen Politikbetrieb jeweils gültigen Agenden und The-menkonjunkturen orientieren müssen, wird die Produktion von Deutungsange-boten anhand zweier themenspezifischer Stränge analysiert, dem Einwande-rungs- sowie dem Geschlechterdiskurs beider Parteien. Sowohl FPÖ als auch SVP versuchen sich in beiden Diskursen an einer Thematisierung von Identitä-ten, Wertvorstellungen und Lebensweisen, nicht nur hinsichtlich des Verhältnis-ses von Einheimischen und Zugewanderten sowie desjenigen von Männern und Frauen, sondern auch mittels diskursspezifischer Aktualisierungen des ›Wir/Die‹-Gegensatzes. Dabei stehen beide Parteien vor der Aufgabe, eine per-manente Authentizitätsbehauptung, die Hervorhebung, dass sie im Gegensatz zu den etablierten Parteien keine egoistischen Organisationsinteressen verfolgen, sondern lediglich dem Problembewusstsein und den Wertvorstellungen der 'schweigenden Mehrheit' Gehör verschaffen wollen, mit (selbstredend existen-ten) strategischen Erwägungen in Einklang zu bringen. FPÖ und SVP müssen aus diesem Grund bestrebt sein, ihre Deutungsangebote im Zeitverlauf so einzu-setzen, dass die dabei zum Tragen kommenden Diskursstrategien – hier ver-standen als Ergebnisse einer längerfristig angelegten Planung zentraler Themen-schwerpunkte sowie deren inhaltlicher Ausgestaltung und kommunikativer Vermittlung – als solche möglichst unsichtbar bleiben. Dabei werden FPÖ und SVP durch die Ereignishaftigkeit des politischen Alltags permanent herausge-fordert, in ganz besonderem Maße allerdings bei einer Regierungsbeteiligung, in deren Folge die Rahmenbedingungen rechtspopulistischer Politik und damit die

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Möglichkeiten, Deutungsangebote in erfolgversprechender Weise einzusetzen, teilweise tiefgreifenden Veränderungen unterworfen sind – wobei allerdings deutliche Unterschiede zwischen den Regierungssystemen Österreichs und der Schweiz auszumachen sind. Die vorliegende Arbeit rückt demzufolge zwei eng miteinander verbundene Aspekte ins Blickfeld, zum einen die inhaltliche und formale Ausgestaltung der von FPÖ und SVP bereitgestellten Deutungsangebo-te, zum anderen die Strategiegeleitetheit und damit Kontextgebundenheit der Diskursproduktion. Dabei richtet sich die Untersuchung primär auf die Organi-sationsinteressen von FPÖ und SVP, auf die Bedingungen eines instrumentellen – und damit aus der Binnenperspektive beider Parteien ›erfolgreichen‹ – Einsat-zes rechtspopulistischer Bedeutungszuschreibungen, nicht jedoch auf die inner-gesellschaftlichen Wirkungen, die die entsprechenden Deutungsangebote bei den Diskursrezipienten mittel- oder langfristig zeitigen.

Zum besseren Verständnis des spezifischen Zugriffs auf die in der empiri-schen Untersuchung analysierten Parteien ist es in einem ersten Schritt notwen-dig, einige begriffliche und theoretische Vorüberlegungen anzustellen. In Kapi-tel 2 erfolgt deshalb zunächst eine kurze Reflexion des Forschungsstands zum Rechtspopulismus, vor allem bezogen auf definitorische Ein- und Abgrenzungen sowie auf zentrale Wesensmerkmale der mit diesem Terminus bezeichneten politischen Formationen. Daran anschließend folgt eine Einführung in die dieser Studie zugrundeliegende analytische Perspektive. Mit Pierre Bourdieus Konzept des politischen Feldes sollen zunächst die strukturalen Bedingungen politischer Praxisformen thematisiert werden. Danach wird ein spezifischer Modus politi-scher Handlungspraxis ins Blickfeld gerückt, die institutionalisierte Produktion und Distribution von Bedeutungszuschreibungen in Form von Diskursen. Erst im daran anschließenden Kapitel (3) werden die beiden analytischen Perspekti-ven – die feld- sowie die diskurstheoretische – direkt auf den Rechtspopulismus bezogen. Da eine vergleichbare Konzeptualisierung des Rechtspopulismus bis-lang nicht vorliegt, soll dies zum einen verdeutlichen, welchen spezifischen theoretischen Ausgangspunkt meine Untersuchung wählt. Zum anderen erhöht die Explikation meines Vorverständnisses die Nachvollziehbarkeit der anschlie-ßend dargestellten Auswahl der beiden detailliert zu untersuchenden Parteien, der an ihre Wissensproduktion herangetragenen Detailfragestellungen sowie der methodischen Anlage der Studie.

Die Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung gliedert sich im wesentlichen in zwei Teile, entsprechend der beiden Aspekte, hinsichtlich derer die Wissensproduktion von FPÖ und SVP befragt wird. In den Kapiteln 4 und 5 wird herausgearbeitet, welche Deutungsangebote beide Parteien ihren Funktionären, Anhängern und Sympathisanten in der Thematisierung von ein-wanderungs- sowie von geschlechterpolitischen Fragen unterbreiten und wie

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diese Angebote mit den Erfordernissen strategiegeleiteter – von den Strukturen und Dynamiken des jeweiligen politischen Feldes stark beeinflusster – politi-scher Kommunikation in Einklang gebracht werden. Im Zentrum des Untersu-chungsinteresses steht dabei insbesondere die Frage, in welcher Weise sich der für rechtspopulistische Parteien häufig sehr einschneidende Übergang von Op-positions- zu Regierungsparteien auf die Diskursproduktion auswirkt. In Kapitel 4 werden zunächst nur die Einwanderungs- und die Geschlechterdiskurse selbst rekonstruiert, also dargestellt, welche Bedeutungszuschreibungen FPÖ und SVP vermittels einer institutionalisierten Diskursproduktion zur Artikulation bringen. Die in diesem ersten Schritt anhand der jeweiligen Parteiorgane vollzogene Rekonstruktion der Einwanderungs- und Geschlechterdiskurse fokussiert sich auf deren wesentliche Elemente: auf den diskursspezifischen Nachvollzug der Phänomenstruktur, der Intensität und der Formen der Thematisierung sowie der zentralen Deutungsmuster. Erst im darauffolgenden Kapitel (5) werden diese Deutungsangebote in ihrem Entstehungskontext verortet, um nachvollziehbar zu machen, in welcher Weise die Diskursivierung von Identitäten, Wertorientie-rungen und Lebensweisen von strategischen Erwägungen der beiden Parteien geprägt ist. Zu diesem Zweck werden die Diskurse einer kontextualisierenden und vergleichenden Interpretation unterzogen. Diese stützt sich nicht nur auf öffentlich verfügbares Kontextmaterial über FPÖ bzw. SVP sowie die Konstel-lationen und Dynamiken in den politischen Feldern Österreichs bzw. der Schweiz, sondern auch auf eigens durchgeführte Interviews mit Fachpolitikern der beiden untersuchten Parteien.

Über die Fragestellungen der empirischen Untersuchung deutlich hinaus-gehend, dabei allerdings deren wichtigste Ergebnisse integrierend, soll die Dis-kursproduktion von FPÖ und SVP im letzten Kapitel (6) schließlich in der für rechtspopulistische Parteien entscheidenden Perspektive beleuchtet werden – hinsichtlich der wählerseitigen Nachfragestruktur, auf die rechtspopulistische Deutungsangebote in der ›Spätmoderne‹ treffen. Dabei soll umrissen werden, unter welchen Bedingungen Rechtspopulisten als ›authentische‹ und ›glaubwür-dige‹ politische Akteure wahrgenommen werden und somit für ihre Deutungs-angebote ein hohes Maß an Zustimmungsbereitschaft zu mobilisieren vermögen, weshalb also das von ihnen produzierte und distributierte Wissen ihren Sympa-thisanten zunächst ausgesprochen evident erscheint – und warum sich die Über-zeugungskraft ihrer Deutungsangebote binnen kürzester Zeit als außerordentlich fragil erweisen kann.

Studien über rechtspopulistische Parteien müssen in Rechnung stellen, dass sich die Gegenstände der Untersuchung permanent fortentwickeln, dass die Leser die Forschungsergebnisse immer auch im Lichte der jeweils aktuellen politischen Ereignisse betrachten, im vorliegenden Fall nicht nur hinsichtlich

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der FPÖ und der SVP selbst, sondern im weiteren Sinne auch in Bezug auf die politischen Verhältnisse in Österreich und der Schweiz insgesamt. Es ist für interpretativ-hermeneutisch angelegte empirische Studien schon aus for-schungspraktischen Gründen kein gangbarer Weg, das Ende der Untersuchungs-zeiträume bis zu einem Zeitpunkt auszudehnen, der terminlich sehr nahe an die Drucklegung des Buchmanuskripts heranreicht. Selbst wenn eine solche Vorge-hensweise gewählt werden könnte, so entginge die Untersuchung dennoch kei-neswegs der Gefahr, dass ihre Ergebnisse möglicherweise schon binnen kürzes-ter Zeit von aktuellen Entwicklungen überholt werden. Da die vorliegende Stu-die ihren Fokus insbesondere auch darauf richtet, wie FPÖ und SVP ihre Dis-kursproduktion im Spannungsfeld von Opposition und Regierungsbeteiligung ausgestalten, konnten die jeweils 1999 beginnenden Untersuchungszeiträume bereits mit dem Ablauf der Jahre 2003 (FPÖ) bzw. 2004 (SVP) enden. Dies hat u.a. zur Folge, dass die im April 2005 vollzogene Abspaltung des Bündnis Zu-kunft Österreich (BZÖ) von der FPÖ in dieser Studie ebenso wenig einer expli-ziten Analyse unterzogen wird, wie der darauf folgende Gang der FPÖ zurück in die Opposition. Beide Entwicklungsstränge jedoch, das seitherige Auftreten des BZÖ als Regierungspartei ebenso wie die Art und Weise des Wiederanknüpfens der FPÖ an eine profilierte Oppositionsstrategie, bestätigen die Forschungser-gebnisse der vorliegenden Untersuchung in vollem Umfang.

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2 Rechtspopulismus – politisches Feld – Diskurs: Begriffliche und theoretische Vorüberlegungen

Zum besseren Verständnis des spezifischen Zugriffs auf die in dieser empiri-schen Untersuchung analysierten Parteien ist es in einem ersten Schritt notwen-dig, einige begriffliche und theoretische Vorüberlegungen anzustellen. Aus diesem Grund soll im folgenden zunächst der Forschungsstand zum Rechtspo-pulismus kurz reflektiert werden (2.1), vor allem bezogen auf definitorische Ein- und Abgrenzungen sowie auf zentrale Wesensmerkmale der mit diesem Termi-nus bezeichneten politischen Formationen. Daran anschließend (2.2) erfolgt die Einführung in den analytischen Rahmen der Studie. Mit Pierre Bourdieus Kon-zept des politischen Feldes sollen zunächst die strukturalen Bedingungen politi-scher Praxisformen thematisiert werden. Anschließend wird ein spezifischer Modus politischer Handlungspraxis ins Blickfeld gerückt, die institutionalisierte Produktion und Distribution von Bedeutungszuschreibungen in Form von Dis-kursen. Erst im darauf folgenden Kapitel (3) werden diese analytischen Perspek-tiven direkt auf den Rechtspopulismus bezogen und diese Zusammenführung anhand der ausgewählten Untersuchungsgegenstände schließlich schrittweise konkretisiert.

2.1 Rechtspopulismus Eine der zentralen Entwicklungstendenzen westlicher Demokratien seit den 1980er Jahren ist die Entstehung und Etablierung eines neuartigen Parteienty-pus, der, in politischen und medialen Öffentlichkeiten schon frühzeitig unter dem Label Rechtspopulismus gefasst, bei Wahlen stetig seine Mobilisierungsba-sis ausbauen konnte und in einigen Ländern – etwa in Österreich, der Schweiz, in Italien oder den Niederlanden – gar Regierungsverantwortung auf nationaler Ebene zu übernehmen vermochte. In den Sozialwissenschaften blieb lange Zeit eine gewisse Skepsis vorherrschend, ob und in welcher Weise Parteien wie der französische Front National, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) oder die bundesdeutschen Republikaner als eigenständiger Typus interpretiert werden könnten und ob Rechtspopulismus in diesem Zusammenhang eine geeignete

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analytische Kategorie für eine durch spezifische Merkmale gekennzeichnete Parteienfamilie darstellt (vgl. Decker 2000: 25ff.), zumal viele dieser Parteien in ideologischer Hinsicht auch als rechtsextrem klassifiziert werden können. Spe-ziell in der deutschsprachigen Diskussion blieb sehr lange eine Lesart dominant, die entsprechenden Parteien unter dem bereits eingeführten Begriff Rechtsex-tremismus zu subsumieren und dabei entsprechende ideologische Anknüpfungs-punkte und personelle Kontinuitäten hervorzuheben – im Falle der oben genann-ten Formationen durchaus mit einiger Berechtigung.

Im Vordergrund dieser Benennungsstrategie stand in erster Linie aber wohl weniger die Angst vor theoretischen Unschärfen – der Begriff ›Rechtsextremis-mus‹ entzieht sich bis in die Gegenwart selbst in seinen politikwissenschaftli-chen Verwendungsweisen einer im Forschungsfeld breit geteilten Arbeitsdefini-tion1 –, sondern vielmehr die Befürchtung, die Verwendung des Begriffs ›Rechtspopulismus‹ könne in politischer Hinsicht verharmlosend wirken (vgl. etwa Amesberger/Halbmayr 2002b: 28f.; Butterwegge 1996: 27ff.; Jaschke 1994: 32ff.; Kowalsky/Schroeder 1994b: 11).2 Mit den zunehmenden Erfolgen ›populistisch‹ ausgerichteter Rechtsparteien, mit ihrem Aufkommen in den jungen Demokratien Osteuropas (vgl. Held 1996; Bayer 2002) sowie ihrer Etab-lierung in einer Vielzahl westeuropäischer Staaten setzte sich ›Rechtspopulis-mus‹ in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften jedoch mehr und mehr als eigenständige analytische Kategorie durch und steht mittlerweile im Zentrum einer Vielzahl von Untersuchungen.3 Dabei stehen länder- und parteispezifische Detailanalysen bislang im Vordergrund, übergreifende theoretische Konzeptua-lisierungen sind nur selten anzutreffen und tendieren nicht selten zur Verallge-meinerung spezifischer Momentaufnahmen und Einzelfälle. Die Kontroversen um die ›richtige‹ Begriffswahl haben indes deutlich nachgelassen. Vorherr- 1 Zur Kritik der Ausgestaltung des Rechtsextremismusbegriffs in der deutschsprachigen For-

schung vgl. etwa Druwe/Mantino 1996; Stöss 1994; Winkler 2000; in internationaler Perspek-tive vgl. Mudde 1996.

2 Die der innerwissenschaftlichen Debatte zugrunde liegende Skepsis gegenüber dem Begriff reflektierte damit auch dessen Verwendungsweisen in medialen und politischen Kontexten. Zum einen dienen die Begriffe ›Populismus‹ bzw. ›populistisch‹ dort vornehmlich der abwer-tenden Klassifizierung des politischen Gegners. Zum anderen wird ›Rechtspopulismus‹ hier zumeist in einer Weise von ›Rechtsextremismus‹ abgegrenzt, die die entsprechende Partei als noch auf dem Boden der Verfassung stehend und damit potentiell koalitionsfähig erscheinen lässt. Bisweilen beziehen sich die mit dem Begriff bezeichneten Parteien selbst in positiver Weise auf die Klassifikation ›populistisch‹, aber nur, wenn in der Öffentlichkeit noch deren Einordnung als ›rechtsextrem‹ vorherrscht.

3 Mit Pierre Bourdieu (1998: 26ff) kann man die deutschsprachige Rechtsextremismus- bzw. Rechtspopulismusforschung als heteronomes wissenschaftliches Feld klassifizieren, das relativ stark durch nicht-wissenschaftliche Felder beeinflusst wird. Die Art und Weise des Agenda-Setting durch Politik bzw. Medien wirkt sich deutlich auf innerwissenschaftliche Perspektiven und Forschungsschwerpunkte aus.

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schend ist nun eine pragmatische Sichtweise, die beide Termini voneinander entkoppelt. Es kann im Einzelfall gerechtfertigt sein, eine ›rechtspopulistische‹ Formation hinsichtlich ihrer ideologischen Ausrichtung auch als ›rechtsextrem‹ zu klassifizieren. Umgekehrt findet sich gerade im ›Rechtsextremismus‹ eine Vielfalt von Erscheinungsformen, denen nichts ›populistisches‹ anhaftet.4

Begriffslogisch muss bei einer näheren Bestimmung des Terminus ›Rechts-populismus‹ zunächst nach dem Gehalt des Populismusbegriffs gefragt werden. Dessen Verwendungsweisen zeichnen sich in erster Linie durch ein hohes Maß an Unbestimmtheit aus. Darstellungen von Erscheinungsformen des Politischen, die als ›populistisch‹ klassifiziert werden können, münden nicht selten in Auflis-tungen einer Vielzahl von Merkmalen und Kategorien (vgl. etwa Ernst 1987: 10ff.). Diese stellen ideologische Bestimmungen sowie Beschreibungen von Politikstilen und Strategien zumeist relativ unvermittelt nebeneinander. Zudem setzen sie in historischer Rückschau die unterschiedlichsten Bewegungen zueinander in Beziehung, vom nordamerikanischen Agrarpopulismus des 19. Jahrhunderts über den argentinischen Peronismus bis hin zu globalisie-rungskritischen Bewegungen der Gegenwart (vgl. Puhle 2003: 18ff.). Im Ver-gleich der verschiedensten populistischen Erscheinungsformen und Bewegun-gen sieht Margaret Canovan (1981: 285f.) jedoch lediglich zwei konstante Ge-meinsamkeiten, den Rekurs auf das Volk sowie eine ausgeprägte Frontstellung gegen die gesellschaftlichen Eliten. Eine ebenfalls auf diese beiden Struktur-merkmale fokussierte Begriffsbestimmung liefert Cas Mudde (2004: 543):

„I define populism as an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, 'the pure people' versus 'the corrupt elite', and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people.”5

Populismus könnte – an die Definitionen von Canovan und Mudde anschließend – somit zunächst als spezifische Art und Weise verstanden werden, in der „sich Politiker, Parteien und andere politische Formationen zu dem umworbenen 'Volk' in Beziehung setzen“ (Dubiel 1986b: 7).

Die relative Unbestimmtheit der in Medien, Politik und Teilen des Wissen-schaftsbetriebs dominierenden Definitionen bzw. Verwendungsweisen des Beg-riffs ›Populismus‹ entsteht primär aus der vorschnellen Generalisierung von 4 Für einen Überblick über diese Erscheinungsformen vgl. Stöss 1999. 5 Mudde (2004: 560) macht zurecht darauf aufmerksam, dass populistische Formationen zwar

beständig Ressentiments gegen die Eliten schüren, es sich bei ihren Führungspersönlichkeiten meist aber keineswegs um Angehörige randständiger sozialer Gruppen handelt. Viele Partei-führer seien deshalb treffend mit dem Begriff ›Außenseiter-Eliten‹ zu beschreiben, „connected to the elites, but not part of them“.

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Einzelphänomenen.6 Zur relativen Verunklarung der Diskussion dürfte zudem auch beigetragen haben, dass die Gesamtheit aller populistischer Formationen in Bezug auf die für sie grundlegenden Werte und die von ihnen vertretenen Poli-tikinhalte nicht eindeutig auf der Links-Rechts-Achse verortet werden kann. Dies führte vielfach zu der Einschätzung, mit dem Begriff ›Populismus‹ lasse sich in erster Linie oder gar ausschließlich eine spezifische Politikform be-schreiben (vgl. etwa Butterwegge 1996: 27; Pfahl-Traughber 1994: 17f.), die in einem zweiten Schritt entlang inhaltlicher Kriterien spezifiziert werden müsse.7 Die für die gegenwärtige Situation in Europa sicherlich relevanteste Erschei-nungsform, die eines rechtsgerichteten Populismus, wird von Hans-Georg Betz über ihren „ausschließlichen Fokus auf das eigene Volk und seine Interessen“ (Betz 2001a: 126) definiert. Anton Pelinka konstatiert, der Rechtspopulismus ergänze „den (antielitären) vertikalen Affekt des allgemeinen Populismus durch einen (xenophoben) horizontalen Affekt“ (Pelinka 2002: 284f.). Darstellungen des Rechtspopulismus verweisen in der Regel auf eine – analytisch zumeist nicht ausgearbeitete – Kombination von Politikinhalten und -verfahren. Frank Decker (2004: 47) merkt an, dass bei einer rechtspopulistischen Partei sowohl die Technik der Ansprache als auch die Organisationsform mit den vermittelten Politikinhalten in enger Verbindung stehe, dass „die Form, in [der] sie auf be-stimmte inhaltliche Anschauungen zurückverweist, selbst ideologische Qualität annimmt“. Urs Altermatt (1996: 193) und Martin Reisigl (2002: 154) verbinden diese Ebenen im Terminus des ›rechtspopulistischen Syndroms‹, womit sie hervorheben, dass die als ›rechtpopulistisch‹ bezeichneten Merkmale bei einer spezifischen Partei nie in ihrer ganzen Bandbreite in Erscheinung treten. In der Beschreibung des Rechtspopulismus als Syndromkomplex können vier zentrale Linien in ihrem Zusammenspiel bestimmt werden: der antielitäre Rekurs auf das Volk als politische Kategorie, der legitimierende Rückgriff auf Alltagserfahrun-gen und den ›gesunden Menschenverstand‹, spezifische Prinzipien der politi-schen Kommunikation bzw. Rhetorik sowie die organisatorischen Strukturen rechtspopulistischer Politik.

Der Rekurs auf 'das Volk' steht im Zentrum (rechts-)populistischer Politik. 'Das Volk' wird in einer Konstellation verortet, die es als 'schweigende Mehr-heit' sieht, die den politischen und kulturellen Eliten (sowie den von diesen 'protegierten' Minderheiten) in einer direkten Frontstellung gegenüber steht. 6 Die beiden von Canovan und Mudde eingeführten Grundelemente werden zwar durchgängig

von allen Autoren angeführt, zumeist aber nur im Rahmen weitaus umfangreicherer, von Län-der- bzw. Organisationsspezifiken geprägter Merkmalskataloge.

7 Zur Stützung dieser Haltung ließe sich anführen, dass die im Populismus auffallend häufig eingesetzten Techniken – etwa im Bereich der politischen Kommunikation – mitunter auch in sozialdemokratischen oder christlich-konservativen Parteien Verwendung finden (vgl. Jun 2006; Korte 2003; Puhle 2003: 41ff.; Reisigl 2002: 152f., 160f.).

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Während den Eliten vorgeworfen wird, nur die eigenen Partikularinteressen zu verfolgen, schlägt sich der Rechtspopulismus auf die Seite 'des Volkes', stellt sich als dessen einziger legitimer Vertreter auf der politischen Bühne dar, als jene Strömung, die 'dem Volk' wieder zu seiner Stimme verhilft. Zumeist bleibt jedoch unklar, welche Bevölkerungssegmente 'das Volk' konkret umfasst. Es erscheint zumeist nur als Negation der politischen und kulturellen Eliten, der politischen Gegner rechtspopulistischer Parteien sowie von Migranten und an-deren gesellschaftlichen Minderheiten. Positiv wird es bisweilen in Konstrukti-onen wie 'der kleine Mann' oder 'die einfachen/anständigen Leute' gefasst, deren hervorstechendstes, wenn auch nicht ausschließliches Merkmal in der Regel in der Zugehörigkeit zur je 'nationalen Abstammungsgemeinschaft' oder anderen kollektiven Identitätsformationen besteht.

Die Kategorie 'Volk' wird im Rechtspopulismus grundsätzlich als homoge-ne Einheit begriffen. Aus der Abstammungsgemeinschaft wird die Existenz gemeinsamer Interessen abgeleitet, die sich an einem gleichsam ›überhistori-schen‹, dem politischen Willensbildungsprozess entzogenen Gemeinwohl orien-tieren müssten (vgl. Pfahl-Traughber 1994: 136ff.). Die in modernen Gesell-schaften vorfindbaren Interessensgegensätze werden als Ergebnis einer eigen-süchtigen Politik der herrschenden Eliten interpretiert, als wieder aufhebbare und wieder aufzuhebende Fragmentierung: „'the people' are one, (...) divisions among them are not genuine conflicts of interest but are manufactured by a few men of ill will” (Canovan 1981: 265). Der (rechts-)populistische Volksbegriff erweist sich somit als rückwärtsgerichtete Idealisierung (vgl. Taggart 2000: 95ff.). Rechtspopulistische Kampagnen bergen häufig einen identitätspoliti-schen Kern, der den Ausgangspunkt für die Problematisierung einer fortschrei-tenden Auflösung traditionaler Bindungen markiert.

Sebastian Reinfeldt (2000: 64) weist darauf hin, dass die inhaltlichen Be-zugspunkte sowie die Artikulationsweisen, mit der die Konfliktkonstellation ›Volk vs. Elite‹ fortwährend thematisiert wird, Anknüpfungspunkte an das All-tagswissen und die Alltagserfahrungen der vom Rechtspopulismus umworbenen Wähler aufweisen müssen, um politisch Wirkung entfalten zu können. Der ar-gumentative Rückgriff auf gesellschaftlich möglichst breit verankerte Common Sense-Deutungen zählt dementsprechend zu den zentralen Herangehensweisen rechtspopulistischer Politik (vgl. Decker 2000: 51; Hall 1986: 99ff.; Holmes 2000: 199f.). Die Analogisierung öffentlicher und privater Haushalte ermöglicht es etwa, marktliberale Politiken wie die Forderung nach einer Intensivierung staatlicher Sparanstrengungen, nach ausgeglichenen Budgets oder einer ver-stärkten privaten Eigenvorsorge als bloßen Ausdruck des 'gesunden Menschen-verstands' zu legitimieren. In gleicher Weise lässt sich über Formen der Gleich-setzung von ›Familie‹ und ›Nation‹ die Präferenz der Blutsverwandtschaft be-

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gründen, die dann in einem zweiten Schritt ethnozentristische Ausgrenzungspo-litiken als legitimen Ausdruck eines 'familiären Schutzbedürfnisses' darzustellen vermag (vgl. Thimm 1999: 114ff.).

Mit dieser semantischen Strategie eng verbunden sind spezifische kommu-nikative Praktiken, insbesondere solche der politischen Rhetorik. So bewegt sich etwa der vereinfachende argumentative Rückgriff auf den Common Sense in der Regel auch sprachlich im Modus der Komplexitätsreduktion. Zu den für den Rechtspopulismus kennzeichnenden Elemente der politischen Kommunikation werden daneben auch die Inszenierung von Tabubrüchen, Formen kalkulierter Ambivalenz, die Emotionalisierung der politischen Auseinandersetzung, das Einfordern radikaler Lösungen, das Denken in Verschwörungstheorien und dichotomen Weltbildern, die Verwendung von biologistischen und von Ge-waltmetaphern sowie der Einsatz von persönlichen Beleidigungen gerechnet (vgl. Decker 2000: 50ff.; Pfahl-Traughber 1994: 143 ff.; Reisigl 2002: 166ff; Thimm 1999: 114ff.).

Die Selbstverortung rechtspopulistischer Formationen in einer dichotom konstruierten Konfliktstruktur, in der sie auf der Seite des Volkes gegen die Macht der gesellschaftlichen Eliten kämpfen, spiegelt sich auch in ihrer Organi-sationsstruktur wider. Da die in einer politischen Arena bereits etablierten Par-teien dem Rechtspopulismus als Hauptangriffsfläche dienen, versucht er häufig, sich auch in seiner organisatorischen Form von diesen zu unterscheiden. Vor allem in der Phase ihres Entstehens begreifen sich rechtspopulistische Formati-onen häufig als ›Bewegung‹ oder lediglich als Wahlplattform. Selbst im Prozess der Institutionalisierung als Partei, der trotz aller Skepsis gegenwärtig dominie-renden Form rechtspopulistischer Organisierung, versucht der Rechtspopulis-mus beständig, sich von seinen Konkurrenten auch in organisatorischer Hinsicht zu unterscheiden. Dies kann über eine enge Verbindung mit außerparlamenta-risch agierenden Gruppierungen geschehen oder über den Verzicht auf die Selbstbezeichnung als Partei, die durch Begriffe wie Liga, Bund oder Front ersetzt wird (vgl. Decker 2000: 48ff.). Seine generelle Skepsis gegen intermedi-äre demokratische Institutionen zeigt sich neben dem Eintreten für sowie dem Lancieren von Plebisziten bzw. Volksabstimmungen allerdings am häufigsten in der Existenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit, die nicht nur die von ihr dominierte Partei nach außen repräsentiert, sondern auch – zumindest ihrem Selbstanspruch nach –, „aus dem Volk heraus kommend und im Einklang mit dem gesunden Volksempfinden stehend, den Volkswillen instinktiv zu er-fassen und zu reflektieren weiß“ (Betz 2001a: 125). Diese spezifischen Struktu-ren machen rechtspopulistische Organisationen indes häufig zu recht fragilen Gebilden, etwa dann, wenn sie ihre jeweilige Führungspersönlichkeit verlieren oder diese an Charisma einbüßt (vgl. Pehdazur/Brichta 2002). Noch wahrschein-

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licher ist ein plötzlicher Niedergang jedoch dann, wenn ihre anfänglichen Mobi-lisierungserfolge dazu führen, dass eine rechtspopulistische Partei zwar Regie-rungsverantwortung übernehmen kann, es ihr aber an geeignetem Personal mangelt, sowie an politischen Strategien, die über eine fundamentale Oppositi-onshaltung hinausweisen (vgl. Heinisch 2003; Taggart 2000: 99ff.).

2.2 Politisches Feld und Diskurs Der bei weitem größte Teil der Forschungen zum Rechtspopulismus ist von einem klassisch politikwissenschaftlichen Blick geprägt, an den interpretativ-hermeneutisch angelegte Untersuchungen nicht unmittelbar anschließen kön-nen.8 Wenn aber, wie in der vorliegenden Studie, rechtspopulistische Parteien hinsichtlich der von ihnen produzierten und in Umlauf gebrachten Deutungsan-gebote analysiert werden sollen, so kann es nicht genügen, die inhaltliche Aus-gestaltung von Reden, Parteiprogrammen und politischen Forderungen zu ana-lysieren. Für ein tiefergehendes Verständnis der im und durch den Rechtspopu-lismus produzierten Bedeutungen ist es notwendig, die strukturellen Rahmenbe-dingungen ihrer Genese mit zu berücksichtigen, sowohl Diskurse als auch die diese hervorbringenden und rahmenden Praktiken sozial zu kontextualisieren.

Auch ein semiotisches Kulturkonzept, das Kultur als „selbstgesponnene[s] Bedeutungsgewebe“ (Geertz 1997b: 9) auffasst, kommt kaum umhin zu fragen, welche Akteure mit welchen Motivationen und mit welchen Effekten an diesen Bedeutungsgeweben mitspinnen. Ein „processual view of culture as activity“ (Hannerz 1992: 17) beleuchtet immer auch die soziale Organisation der Produk-tion und Distribution von Bedeutungen, berücksichtigt die Interdependenz von Kultur und sozialer Struktur. Diese prozessuale Sicht auf Kultur grenzt sich strikt von einem essentialistischen Kulturverständnis ab, begreift Kultur viel-mehr „als einen offenen und instabilen Prozess des Aushandelns von Bedeutun-gen“ (Wimmer 2005: 32) und betont damit deren konfliktären Charakter. Die entsprechenden Aushandlungsprozesse finden auf den verschiedensten gesell-schaftlichen Ebenen statt, in je aufeinander bezogenen Öffentlichkeiten, in und zwischen verschiedensten Institutionen, Milieus und sozialen Gruppen. Prozesse der Verständigung auf kollektiv geteilte Normen, Klassifikationen und Deu-tungsmuster – gewissermaßen auf ›Leitplanken‹ des kulturell Verbindlichen – sind allerdings immer nur vorläufig abschließbar. Symbolische Kämpfe um die Durchsetzung der Gültigkeit von Deutungen existieren in Permanenz. Sich ver-schiebende Kräfteverhältnisse haben in der Regel zur Folge, dass bestehende 8 Zur Marginalität von dem ›interpretativen Paradigma‹ verpflichteten Ansätze innerhalb der

Politikwissenschaft vgl. Nullmeier 1997; Zifonun 2004.

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›kulturelle Kompromisse‹ in Frage gestellt und ›Neuverhandlungen‹ angestrebt werden (vgl. Wimmer 2005: 25ff.).

Im folgenden werden nun zwei Perspektiven eingeführt, die dem Prozess- und Konfliktcharakter sowohl von Politik als auch der dort lokalisierten Produk-tion von Deutungsangeboten gerecht werden können und damit die Wechsel-wirkungen zwischen Struktur- und Akteursebene miteinbeziehen. Während mit der Diskursforschung auf eine Untersuchungsperspektive zugegriffen werden kann, die innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte innerhalb der Sozial- und Kulturwissenschaften stetig expandiert ist und sich zunehmend ausdifferenziert hat, erfolgt mit der Einführung von Pierre Bourdieus Konzept des politischen Feldes die Bezugnahme auf einen analytischen Ansatz, der bislang selbst in Politikwissenschaft und Politischer Soziologie kaum ausgebaut worden ist.9

2.2.1 Politik als Feld Im Theoriegebäude des Soziologen und Ethnologen Pierre Bourdieu besteht der soziale Kosmos in funktional differenzierten Gesellschaften aus einer Vielzahl relativ autonomer, aber miteinander verbundener Felder. Im Mittelpunkt seiner Feldanalysen stehen dabei die Relationen zwischen den einzelnen Akteuren, die Kämpfe um die Aufrechterhaltung oder Verschiebung der internen Machtver-hältnisse sowie die strategischen Mittel, mit denen diese Kämpfe (in ›legitimer‹ Weise) geführt werden können. Diese Felder bestehen in Bourdieus Verständnis allerdings nicht a priori, als gleichsam ›räumlich begehbare‹ soziale Handlungs-felder, wie sie für klassische Formen ethnographischer Feldforschung konstitu-tiv sind,10 sondern nur als Ergebnis einer theoretischen Konstruktion, die die von den Intentionen der einzelnen Akteure jeweils relativ unabhängigen feldspezifi-schen Logiken, Regularien und Einsätze hervorhebt – ohne jedoch die Analo-gien mit Prozessen in ähnlich strukturierten Feldern zu vernachlässigen. Im

9 Behr (2001: 380) konstatiert in seiner Einführung in Bourdieus „Politische Theorie des Relati-

onalismus“, dass deren Rezeption in der Politikwissenschaft bislang sowohl national als auch international ein „blinder Fleck“ sei, in ähnlicher Weise äußert sich Bittlingmayer (2002). In der Tat finden sich nur wenige deutschsprachige Autoren, die auf das Konzept des politischen Feldes detailliert Bezug nehmen. Vgl. Raphael 1989 für Vorschläge zur Fortschreibung der Konzeption innerhalb der Politischen Soziologie, Janning 1998 für eine ausführliche und avan-cierte politiktheoretische Einordnung des Konzepts sowie Zurbriggen 2004 für die einzige bis-lang im deutschsprachigen Raum existierende empirische Studie.

10 Es beginnt sich allerdings auch in der Kultur- und Sozialanthropologie die Vorstellung durch-zusetzen, dass politische Prozesse nicht auf der Basis lokal begrenzter Feldstudien untersucht werden können (vgl. Shore/Wright 1997b: 14f.).

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Mittelpunkt der Identifizierung eines Feldes steht in der Regel eine feldspezifi-sche Kapitalform.11

Bourdieu widmet sich in mehreren Aufsätzen auch einer eingehenden Ana-lyse des politischen Feldes.12 In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt er dabei die in der nationalen politischen Arena tätigen, parteigebundenen Berufs-politiker, die in parlamentarischen Demokratien über ein Quasi-Monopol verfü-gen, legitime politische Deutungen anzubieten und diese zugleich in allgemein-verbindlichen Handlungsvorgaben – etwa in Form von Gesetzen oder Verwal-tungsvorschriften – zu institutionalisieren. Dies bedeutet nicht, dass politische Debatten nicht auch von anderen, etwa zivilgesellschaftlichen Akteuren initiiert werden könnten. Die Dauerhaftigkeit und Wirkmächtigkeit solcher Debatten aber hängt ganz zentral davon ab, in welcher Weise sich etablierte Parteien sowie die auf diese fokussierten Massenmedien positiv auf solche Deutungsan-gebote beziehen und ihnen damit den Status ›legitimer‹ politischer Aussagen verleihen, denn:

„Das politische Feld übt in der Tat eine Zensur aus, indem es das Universum des politischen Diskurses und damit des politisch Denkbaren auf den endlichen Raum der Diskurse beschränkt, die in den Grenzen der politischen Problematik produziert oder reproduziert werden können“ (Bourdieu 2001d: 69f.)

In dieser Sichtweise stellen sich die Austauschbeziehungen zwischen Repräsen-tanten und Repräsentierten als asymmetrische dar. Denn je höher der Professio-nalisierungsgrad in einem politischen Feld, je höher die faktischen Eintrittshür- 11 Bourdieu unterscheidet in seiner ressourcentheoretischen, aber keineswegs ökonomistisch

verkürzten Kapital- und Feldtheorie vier Kapital-Grundformen: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Mit dem Begriff symbolisches Kapital werden in der Regel die öffentlich an-erkannten Teile des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals bezeichnet. Die Akkumu-lation und Verfügungsgewalt über eine feldspezifische Kapitalform – die immer eine Kombi-nation der vier Grundkapitalien darstellt – ist zentral für die Handlungsmöglichkeiten, die die Akteure innerhalb eines Feldes besitzen. Die relative Wertigkeit der Grundformen unterschei-det sich von Feld zu Feld und ist permanent umkämpft, ebenso die Möglichkeiten der Trans-formation einer Kapitalform in eine andere (vgl. Bourdieu 1992: 49ff.). Für Bourdieus Theorie sozialer Felder vgl. Bourdieu/Wacquant 1996b: 124ff. Für die verschiedenen Formen des poli-tischen Kapitals, also den spezifischen Ressourcen, die Akteuren im politischen Feld Macht verleihen und die Voraussetzung für deren Handlungsfähigkeit bilden vgl. Zurbriggen 2004: 28ff.

12 Diese Analysen basieren nicht auf empirischen Detailstudien, beziehen sich aber – wenn auch vornehmlich in illustrativer Form – auf das politische Geschehen in Frankreich. Es ist davon auszugehen, dass die von Bourdieu herausgearbeiteten und hier dargestellten Grundstrukturen parteipolitischen Handelns auch die gegenwärtigen Prozesse in anderen westlichen Demokra-tien zu fassen vermögen. Empirische Analysen müssen darüber hinaus allerdings immer auch die je spezifischen Strukturen, Akteurskonstellationen und Interaktionsmuster der je nationalen politischen Felder berücksichtigen.

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den für Mandatsträger, desto mehr ähnelt das politische Feld einer marktförmi-gen Arena:

„Das politische (Produktions-)Feld ist der Ort, an dem von den dort befindlichen, miteinander konkurrierenden Akteuren politische Produkte hergestellt werden (Probleme, Programme, Analysen, Kommentare, Konzepte, Ereignisse), unter de-nen die auf den Status von 'Konsumenten' reduzierten gewöhnlichen Bürger wählen sollen, wobei das Risiko eines Missverständnisses umso größer ist, je weiter sie vom Produktionsort entfernt sind.“ (Bourdieu 2001d: 68f.)

Praktiken von Politikern und politischen Organisationen können nie isoliert von ihren Positionen im sozialen Raum betrachtet werden. Diese Positionen deter-minieren die Praktiken zwar nicht, doch die regelhaften Grundstrukturen des politischen Feldes lassen in einer gegebenen Situation für jede Position spezifi-sche Sets von Praktiken effizient erscheinen und damit wahrscheinlich werden. Bourdieu untersucht die Handlungspraktiken der Berufspolitiker und der sie tragenden Organisationen in zwei grundlegenden Relationssystemen, zum einen im Verhältnis zu anderen professionellen Akteuren im Mikrokosmos des politi-schen Feldes,13 zum anderen im Verhältnis zu den ›Laien‹, deren regelmäßiges Votum bei Wahlen und Abstimmungen starken Einfluss auf die Kräfteverhält-nisse im politischen Feld hat. Das Handeln von Politikern und politischen Orga-nisationen ist immer durch eine Dualität der Orientierung an eso- und exoteri-schen Zwecken gekennzeichnet, d.h. schon im Vorgang des Generierens einer politischen Aussage durch einen Politiker ist dessen Verortung im Mikrokosmos des politischen Feldes mindestens ebenso relevant, wie die gegenüber seiner

13 Zu diesen Akteuren zählen etwa die Parteiorganisation, der ein Politiker angehört, seine (par-

tei-)politischen Konkurrenten, die Vertreter des politischen Journalismus oder die politische Meinungsforschung. Insofern die Konzeption des politischen Feldes grundlegende Struktur- und Interaktionsmerkmale je nationaler politischer Arenen und damit den öffentlich sichtbars-ten Teilbereich des politischen Geschehens analysiert, ist sie deutlich von dem in der deutsch-sprachigen Politikwissenschaft verwendeten Terminus Politikfeld zu unterscheiden. Die Poli-tikfeldanalyse – im Anschluss an die im angelsächsischen Sprachraum verbreitete semantische Differenzierung des Politikbegriffs in Polity, Politics und Policy (vgl. Schubert/Bandelow 2003b: 3ff.) häufig auch als Policy-Analyse bezeichnet – untersucht in spezifischen materiellen Politikbereichen (wie der Umwelt- oder der Verkehrspolitik) Prozesse der Formulierung und Implementierung von Politiken, mit einer deutlichen Fokussierung auf staatliche Akteure (vgl. Jann/Wegrich 2003). Um Missverständnisse auszuschließen, wird in dieser Arbeit der Feldbeg-riff für eine an Bourdieu orientierte Theorieperspektive reserviert bleiben. Der Vorgehensweise von Janning (1998: 191) folgend, werden die bereichspezifischen Prozesse der Politikgestal-tung im folgenden mit Begriffen wie policy area oder Politikbereich markiert. Für eine instruk-tive Konzeptualisierung des Verhältnisses von politischem Feld und policy areas vgl. Janning 1998.

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(potentiellen) Wählerschaft. Beide Referenzrahmen sind untrennbar miteinander verbunden, denn:

„Das politische Feld ist (...) der Ort der Konkurrenz um die Macht, der eine Kon-kurrenz um die Laien ist, genauer: um das Monopol auf das Recht, im Namen eines mehr oder weniger großen Teils der Laien zu sprechen und zu handeln.“ (Bourdieu 2001d: 96)

Bei Legislaturperioden von mindestens vier Jahren können Politiker jedoch zumeist in relativer Autonomie von den Laien agieren – ein Faktum, das bestän-dig den Argwohn der Repräsentierten gegenüber den Volksvertretern nährt und ein hohes Maß an Desinteresse am politischen Tagesgeschehen nach sich ziehen kann (vgl. Bourdieu 2001b: 30f.; 2001c: 44ff.).

Je weniger sich die Laien allerdings für die alltägliche Kleinarbeit des Poli-tikbetriebs interessieren, desto eher wird das spezifische politische Kapital – also die Einflussmöglichkeiten und Handlungsoptionen – eines Kandidaten nicht mehr primär durch seine Leistungen und die von ihm vertretenen Stand-punkte bestimmt. Für die Wahlchancen des Kandidaten werden vielmehr das von ihm mobilisierbare Vertrauen, sein ›Ruf‹ und seine ›Autorität‹ entschei-dend. ›Personalisiertes‹ politisches Kapital besteht im wesentlichen aus symbo-lischem Kapital, aus dem Maß an öffentlicher Anerkennung und Wertschätzung. Wenn aber die öffentliche Präsenz des Politikers zu einem entscheidenden Er-folgsfaktor wird, so kann ein Wahlerfolg nur gewährleistet werden, wenn ein medialer Zugang zu eben dieser Öffentlichkeit hergestellt wird. Die Vorausset-zungen für eine breite mediale Präsenz aber kann in der Regel nur eine Parteior-ganisation schaffen, auch für die Wählermobilisierung ist sie unentbehrlich. Die Chancen eines Politikers, symbolisches Kapital zu akkumulieren, hängen des-halb maßgeblich von seiner Position innerhalb seiner Partei sowie deren Stel-lung im Gefüge des politischen Feldes ab. Da eine relativ erfolgreiche Parteior-ganisation ihren Aktivisten zudem unabhängig von schwankenden Wahlkon-junkturen dauerhaft materielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen vermag, über die Besetzung von Machtpositionen im sozialen Raum sowie über die Verwendung von politischen Machtinstrumenten (mit-)entscheiden kann und somit den Zugriff auf ›institutionalisiertes‹ politisches Kapital zu organisieren in der Lage ist, wird bei den Politikern eine Tendenz befördert, ihr Tun in erster Linie an den Belangen der eigenen Partei auszurichten:

„Ein sehr großer Teil der von den Politikern vollzogenen Handlungen hat keine an-dere Funktion, als den Apparat zu reproduzieren und sich selbst zu reproduzieren,

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indem sie den Apparat reproduzieren, der ihre Reproduktion garantiert.“ (Bourdieu 2001c: 54f.)14

Der im politischen Feld zentrale Kampf um die Durchsetzung der eigenen Sichtweisen auf die soziale Welt ist nicht von der Konkurrenz um die Machtin-strumente des Staates zu trennen. Diese verleihen den eigenen Weltdeutungen ein hohes Maß an öffentlicher Legitimität, nicht nur, weil sie als Mehrheitsmei-nung deklariert werden können, sondern auch, weil sie in ihrem praktischen Vollzug, vermittelt über die staatliche Bürokratie, im Gewand der Un- oder Überparteilichkeit auftreten. Der Versuch, eine spezifische Sichtweise in der Öffentlichkeit zu etablieren oder dieser gar zur Hegemonie zu verhelfen, ist demnach immer an das strategische Ziel gekoppelt, zumindest mittelbar eine größtmögliche Zahl von Laien an die eigene Organisation zu ›binden‹ – und sie zugleich davon abzuhalten, sich bei Wahlen oder Meinungsumfragen für eine konkurrierende Partei zu entscheiden:

„Dies bedeutet, dass, wenn man eine politische Stellungnahme, ein Programm, eine Intervention, eine Wahlrede etc. verstehen will, es zumindest genauso wichtig ist, das Universum der im Feld offerierten konkurrierenden Stellungnahmen zu kennen wie die Nachfrage der Laien (...). Eine Stellungnahme, der Begriff sagt es, ist ein Akt, der nur in der Relation Sinn bekommt.“ (Bourdieu 2001d: 77)15

Als zentralen Modus der Genese politischer Aussagen markiert Bourdieu das Prinzip des distinktiven Abstands, das auf die für eine Wahlentscheidung not-wendige Unterscheidbarkeit der eigenen Programmatiken und Standpunkte zielt. Zwar müssten empirische Analysen von politischen Feldern gleichermaßen untersuchen, in welchen Fällen dem – von Bourdieu nicht berücksichtigten – gegenteiligen, auf Nicht-Unterscheidbarkeit zielenden Prinzip der Aussagenge-nerierung die größere Relevanz zukommt,16 die zugrundeliegende Produktions-logik ist jedoch in beiden Varianten die gleiche. 14 Diese Tendenz ist bei denjenigen Akteuren am weitesten verbreitet, die ihre (relativ hohe)

Position im gesellschaftlichen Gefüge maßgeblich ihrer Tätigkeit innerhalb der Partei zu ver-danken haben.

15 Das Konkurrenzmotiv ist auch im Kampf um Macht und Einfluss innerhalb der eigenen Partei präsent, einer Konstellation, in der „Parteifreunde“ (temporär oder partiell) zu Gegnern werden können. Diese Kämpfe bzw. das erfolgreiche Bestehen in ihnen ist für den einzelnen Politiker in der Regel die Voraussetzung, um als öffentlich wahrgenommener Vertreter seiner Partei in direkte Konkurrenz zu einem Repräsentanten einer anderen Partei treten zu können.

16 Es kann für eine Partei strategisch durchaus von Nutzen sein, in spezifischen Politikbereichen nicht die inhaltliche Differenz zu konkurrierenden Parteien herauszustellen, sondern eine weit-gehende Übereinstimmung hervorzuheben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die politischen Gegner von der Betonung von (vermeintlichen) Differenzen zu von ihnen vertrete-nen und gesellschaftlich weitgehend anerkannten Positionen und Prinzipien (etwa: 'Kontinuität