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    EIN UFO IM JAHR 1561?

    Ulrich Magin

    Seit Carl Gustav Jung in seiner psychoanalytischen Schrift ber die fliegenden Untertassen,Ein moderner Mythus Von Dingen, die am Himmel gesehen werden (1958), einenEinblattdruck von 1561 benutzte, um auf die Kontinuitt der Formen bei seltsamenLufterscheinungen hinzuweisen, sind die Mutterschiffe und UFOs ber Nrnberg zu einemKlassiker der UFO-Literatur geworden. Er wird oft zitiert, aber nie verstanden.Am 14. April 1561, so der Autor und Drucker Hanns Glaser, habe man am Himmel ber

    Nrnberg etwas Seltsames gesehen, nmlich ein sehr erschrcklichen gesicht, also eineerschreckende Vision.Es geschah zur Zeit des Sonnenaufgangs und wurde von vielen manns und weybspersonen

    beobachtet. Die Schrift schildert zahlreiche blutrote, bluliche und schwarze kugeln oderRingscheyben in der Nhe der Sonne, etwo drey inn die lenge / vnterweylen vier inneinem Quatrangel, auch etliche eintzig gestanden / und zwischen solchen Kugeln sein auchetlich blutfarbe Creutz gesehen. Zudem wurden zwey groe rore wahrgenommen, inwelchen kleinen und groen Rorn / zu dreyen / auch vier vnd mehr kugel gewesen. Diesesalles hat mit einander anfahen zu streyten. Der Kampf dauert etwa eine Stunde. Danach istes alles wie obverzeychnet von der Sonnen / vom Hymel herab auff die erden gleich alls ob esalles Brennet gefallen / vnd mit einem groen dampff herunter auff der Erden allgemachvergangen. Unterhalb der Kugeln stand ein lngliches Gebilde, gleichfrmig einem groenschwartzen Speer. Das gesicht sei eine Warnung Gottes.Die gegeneinander anrennenden Elemente, der Speer, das Feuer, die blutrote Farbe und die

    Bezeichnung als Schlacht sowie die gttliche Warnung und die blutenden Kreuze verweisendas Motiv eindeutig in die Tradition der damals gngigen Darstellungen vonHimmelschlachten zwischen Geisterheeren.

    Die nachcolorierte Darstellung von Hanns Glasers Einblattdruc aus dem Jahr 1566

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    Himmelsheere

    Der Druck steht also in Tradition der Berichte ber Himmelsheere, die zu den am hufigstenreportierten Wundern gehrten und stets als Prodigium, als dstere Vorhersage, gedeutetwurden. Das verblfft nicht Einblattdrucke waren vor allem theologische Ermahnungen, dasmitgeteilte Wunder oft genug nur Beiwerk. Und ein genuin jdisch-christliches Motiv istdas der Himmelsarmee. Im klassischen Altertum war sie nicht bekannt, da berichtete manhchstens von Geistern, die auf Schlachtfeldern spukten (es gibt, etwa in der Ilias, Berichte,dass Gtter in den Kampf eingriffen, doch keine Meldungen ber Heere am Himmel). Aberunter den Flugschriften des 16. Jahrhunderts findet man dutzende, die von zwei berittenenArmeen erzhlen, die unter Donner und Waffengeklirr gegeneinander kmpfen, Pfeileabschieen und Sbel zcken.

    Das Motiv der Geisterarmee wird zum ersten Mal in den biblischen Makkaberbchernerwhnt, die allerdings nur im katholischen Alten Testament zu finden sind (Luther hat sie ausder evangelischen Ausgabe gestrichen). Das zweite Makkaberbuch, das generell alshistorisch zuverlssiger gilt als das erste, erwhnt Himmelssoldaten an zwei Stellen:Um diese Zeit unternahm Antiochus seinen zweiten Feldzug gegen gypten. Da erschienenfast vierzig Tage lang ber der ganzen Stadt Reiter, die durch die Lfte jagten, ingolddurchwirkten Gewndern; Lanzentrger rckten in Abteilungen zum Kampf aus,Schwerter zuckten. Reiterscharen ordneten sich zur Schlacht, Angriffe wurden gemacht, von

    beiden Seiten rannte man gegeneinander an, Schilde bewegten sich, Speere gab es in Menge,Wurfgeschosse flogen, goldener Waffenschmuck blitzte auf und man sah Rstungen aller Art.Alle beteten deshalb, die Erscheinung mge etwas Gutes bedeuten. (2 Makkaber 5, 1-4)

    Und: Als nun die Schlacht am heftigsten war, erschienen den Feinden vom Himmel her fnfstrahlende Gestalten auf Pferden mit goldenen Zumen; die zogen vor den Juden her und zweivon ihnen hielten sich zu beiden Seiten neben Makkabus und beschtzten ihn mit ihrenWaffen, sodass ihn niemand verwunden konnte, und schossen blitzende Pfeile auf die Feinde,sodass sie geblendet, verwirrt und niedergeschlagen wurden. Und es wurden erschlagen20500 Mann zu Fu und sechshundert Reiter. Timotheus selbst aber entfloh nach Geser,einem stark befestigten Platz; dort fhrte der Hauptmann Chreas den Befehl. (2 Makkaber10, 29-32)Es gibt auch eine Version der Erzhlung bei Josephus (Antiquitates Judaicae, 12: 237 bis 13:226), selbst noch im koranischen Bericht ber die Schlacht von Badr (Sure 3, 125) finden wirein Echo des Motivs. Es war im 16. Jahrhundert jedem Gelehrten bekannt.

    Einblattdrucke nun berichten nicht tatschliche Ereignisse, ihnen geht es vor allem um dieBotschaft. Hufig sind die Meldungen von anderen Drucken kopiert und nur mit einem neuenSchauplatz und einem neuen Datum versehen worden, wie es dem Drucker zur Verbreitungseiner moralischen Lehren gerade ratsam schien (so berichtet etwa ein Blatt von einemVulkanausbruch bei Freiburg, der benahe wrtlich von einer Meldung ber den Ausbrucheines italienischen Vulkans kopiert wurde).Himmelsheere waren beliebt und folgten immer demselben Muster: Im Himmel sah man zweiArmeen gegeneinander kmpfen, mit Fahnen, Speeren oder Pfeil und Bogen gegeneinanderanrennen, bis eines der Heere unterlag. Dieses Schauspiel wird dann als Vorhersage vonKrieg, Not oder Pestilenz gedeutet. Dem Bericht und der Deutung folgt ein Abschnitt, der dieMenschen zur Umkehr auf den rechten christlichen Weg auffordert. Die jeweilige Abbildungzeigte nicht nur die Heere, sondern oftmals auch groformatig die Waffen: Speere, Pfeile,Schwerter.

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    Um ein Beispiel anzufhren: Am 1. Juni 1554 beobachteten Leonhardt Kellner sowie derPfarherr vnd gantze gemein ber Plech bei Nrnberg kurz nach Sonnenaufgang einen

    bludtigen oder feurigen strain [Streifen]. Nach diesem gesehen worden blawe stern / oder

    kugeln / inn der grsse / als die gelten bden [?] / welches alles vom auffgang der Sonne[Osten] herkommen ist. Darauff sind Reutter [Reiter] kumen [] die haben zwo stundeauff vnd nider gerennet / vnd mit langen [Lanzen] gefochten / Aber die sterne sind allezeyt fr

    jenen her gefahren, nachlich herab bi auff die erden gelassen. [] Welches alles alsoschrecklich anzusehe gewesen, dass jeden befrchtete, der Jngste Tag sei gekommen. Daaber stern und Reutter gar nahe zum Marckt kumen sein / hat es ein fallen / vnd rauschengeben / als wen etwas in ein wasser pflumfet. Aber alsbald hat sichs alles wider in die hhegegen der Sonne gethan / vnd die Reutter wider angefangen / wie zuvor / zu streiten bis inzwo stunde / vn als dem alles verschwunden.Ebenso ausfhrlich wie die Beschreibung des Himmelzeichens ist die Erklrung, dies sei einvom Herrn geschicktes Warnzeichen. Die Menschen sollten geschickt sein / mit heyligem

    wandel vnd gotseligem wesen / auff das wir warten / vn eilen zu der zukunfft des tages / desHERRN / in welchem der Hymel von fewer zu gehen / vndd die Element fr hitzezuschmeltzen werden. (Ulrich Magin: Kontakte mit Auerirdischen im deutschenSprachraum. GEP 1999, S. 46)Der Streit im Himmel ist also eine Vorausschau des letzen Tages, wenn beim JngstenGericht der Himmel in Feuer zergeht und alle Materie in diesem Feuer schmilzt. Wer kann,der ndere sein Leben und werde fromm. In diesem Nrnberger Bericht ber zwei mit Lanzengegeneinander kmpfenden Himmelsarmeen finden wir nun smtliche Elemente der spteren

    Nrnberger Flugschrift, nur lesen wir statt von Rohren eben von zwei Himmelsheeren. Diefallenden Kugeln, der Rauch, selbst der Zeitpunkt kurz nach Sonnenaufgang sind identisch:Es gab einen Streit im Himmel, Kugeln fielen mit Rauch herab.

    Die Zeichen

    Was haben nun die Nrnberger Mutterschiffe und Flugscheiben mit Speeren und Reitern zutun?Ganz einfach: Es handelt sich erneut eindeutig die Parallelen zeigen es um das alte Motivder kmpfenden Himmelsheere, nur hat Glaser dieses fr seine Zeit recht geschicktaktualisiert. Statt herkmmlicher Waffen, statt berittener Kmpfer, streiten nun im Himmeldie modernen Kanonen und ihre Kugeln. Von den tradierten Beschreibungen sind nur nochdie fallenden Sterne und der traditionelle Speer brig geblieben, der nun isoliert am Himmelschwebt.

    Das Rohr, das Jacques Vallee beispielsweise als eine seiner cloud cigar genanntenMutterschiffe interpretiert, ist eine Kanone. Rohr bedeutete vor 500 Jahren noch nicht das,was es heute heit: Ein Rohr war eine Kanone (wir kennen das noch aus Piratenfilmen: Ausallen Rohren feuern!). Wenn der Autor des Einblattdrucks sagt, es seien Rohre am Himmelgesehen worden, meint er nicht irgendwelche Metallrhren, sondern ganz konkretKanonenrohre. Und das erklrt schon, was das Bild zeigt: Nmlich keine UFOs, sondern einefr die Zeit und diesen Medientyp typische Darstellung einer Himmelsschlacht aber nichtaltbacken, mit Lanzen und Rittern, sondern ganz zeitgenssisch, mit der modernstenKriegserfindung, der Kanone und den brennenden, unheilbringenden Kugeln, die sie abfeuert.Seine zeitgenssischen Leser verstanden ihn sie waren ja, wie man sieht, fast gleichlautendeTexte gewohnt. Glaser selbst konnte natrlich nicht ahnen, dass eine viel sptere Zeit dieKanonen mit drei oder vier Kugeln, die gegeneinander kmpfen, nicht mehr verstehenwrde beziehungsweise, die eigenen ngste des Atomzeitalters in sie hineinlesen wrde.

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    Weitere Probleme

    Bei der Abbildung fllt auf, dass Glaser, obwohl er Nrnberg kannte (er war von 1540 bis

    1571 in Sddeutschland ttig), zum ersten die berhmte, alles berragende Burg nichtdarstellt. Dann hat eine genaue Untersuchung gezeigt, dass die rauchenden Kugeln bei derKirche St. Leonhard zu Boden gehen, das Gebude war aber bereits seit 1508 zerstrt(http://www.rafa.at/29ufos.htm). Wir merken: Allzu przise, im modernen Sinn, drfen wirdie Abbildung also nicht deuten.Hinzu kommt, dass gerade zwei Monate zuvor ein Druck erschienen war, der ein Nordlichtam 27. Februar 1561 bei Eisleben schilderte: Da ist die Rede von zwei Rauchsulen, einerRute und einem Cruzifix. Gedruckt wurde die Schrift von Georg Kreydlein in Nrnberg. Einein Augsburg gedruckte Version macht aus den Rauchsulen zwo Aschefarbe Seullen unddeutet sie als zwen grausamen feinden / als do ist der Muscowiter vnd der Tyrck. Eineweitere Variante, in Erfurt gedruckt, interpretiert die beiden Sulen als Spaltung der Lehre

    der Kirche. (wunderzeichen.de) Dem Rauch und dem Kreuz begegnen wir ja auch in demNrnberger Flugblatt, die Sulen hneln verblffend den Kanonenrohren.Diese beiden Fakten zeigen, dass das Nrnberger Blatt nicht nur unprzise ist als Reportage,sondern auch auf eine gerade frisch erschienene Quelle (und sicher auf die Vorluferschriftenwie das angefhrte Himmelsheer bei Plech) zugriff, dass sie die Kriegsvorzeichen, die in ein

    Nordlicht hineingedeutet wurde, bernahm, aber modernisierte. Es berichtet nicht objektiv,sondern folgt einem Standardformat fr solche Meldungen.Die Mutterschiffe waren Kanonen, die Telemeterscheiben Kanonenkugeln, und dasGeschehen wurde nicht berliefert, weil es interessant war, sondern weil es vor einem Kriegwarnte. Die Nrnberger Leser strten sich nicht an der geografisch falschen Darstellung ihrerHeimatstadt sie lasen das Blatt nicht als Reportage, sondern als Warnung, als Ruf zur

    Umkehr. Eine wrtliche Interpretation (wo erschienen die Rohre? wo fielen die brennendenKugeln herab?) stt sofort auf Probleme und ist gar nicht mglich.Ob damals etwas ber Nrnberg gesehen wurde, das wissen wir nicht und knnen wir nichtwissen. Wir wissen nur, dass die Schrift nichts schildert, was die Menschen damals nichtschon lngst sinngem aus hnlichen Zeitungen kannten und was sie mit ihrer religisenBildung sofort begriffen Himmelszeichen waren ein Hinweis auf den jngsten Tag, an dem,so die Bibel, die Sterne vom Himmel fallen werden. Das Wunder von Plech schildert diefallenden Sterne noch als separates Element, Glaser verbindet geschickt die Kanone, ihreKugeln und die fallenden Sterne in eins.Warum das Geschehen aber berichtet wurde und welche Form dieser Bericht annahm, daswissen wir: Es ist die modernisierte Form einer alten Tradition, die die ngste der Menschen

    des 16. Jahrhunderts bediente und sie damit spiegelt.

    Oxford wieder die beiden Rohre

    Erfolgreich brigens, denn so wie Glaser die Berichte ber das Nordlicht von Eisleben unddie Meldungen von streitenden Himmelsheeren aufgreift, so hat ein englischer Druckersiebzig Jahre spter den Nrnberger Bericht benutzt, um seine eigene Schilderung einesMeteoritenfalls interessanter zu gestalten.Es gibt nmlich einen vergleichbarer Holzschnitt, der vom (verbrgten) Fall eines Meteoritenam 9. April 1628 in Oxford berichtet. Er zeigt neben dem strzenden Meteoriten dreiSonnen am Himmel sowie zwei Rohre (deutlich als Kanonen erkennbar), die Kugelnabfeuern ein praktisch identisches Bildmotiv zum Einblattdruck von Nrnberg. (ForteanTimes 44, S. 50). Die Kanonen sollen wohl den Knall symbolisieren, den der Meteoriterzeugt hat.

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    So belegt der Oxforder Schnitt das, was bereits ber Nrnberg gesagt wurde: Diese altenFlugschriften geben nicht Ereignisse wieder, sondern Deutungen von Ereignissen, sie

    bedienen sich, sowohl was Illustration auch als was Text angeht, bei anderen derartigen

    Meldungen. Welches Ereignis jeweils zugrunde lag, lsst sich in vielen Fllen nicht mehrfeststellen. Ein UFO im heutigen Sinne war jedenfalls nicht gemeint, die Nrnberger Rohresymbolisieren zwei feindliche Armeen. Eine Sichtung von Mutterschiffen a la Vallee ist nureine moderne, durch nichts gesttzte Interpretation, die den Schriften das raubt, wozu sieeigentlich verfasst waren: die moralische Botschaft.

    Nachcolorierte Version des Holzschnitts vom Oxforder Meteoritenabsturz