O q ñ hû q · 2016. 7. 1. · kalt, warm, feucht, tut etwas weh, kribbelt es, ist es angenehm...

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Achtsamkeit ist die Methode der Stunde, wenn einemmal wieder alles zu viel wird. Ein Selbstversuch

Das Gefühl pausenlosen Marschierens.Hetze bis zur Erschöpfung, und das Zielbleibt immer gleich weit entfernt: Ichstehe unter Stress. Mein Sympathikusist überreizt. Von zwei Seiten spanntmich der Konjunktiv auseinander: Ein«Hätte ich doch!» zerrt aus der Vergan-genheit, das «Ich sollte und müsste!» ausder Zukunft. Mein Hals ist gespannt undsteifwie bei einem Cello, die Saiten sindüberzogen. Beim Schreiben, meinem Be-ruf, bringe ich nur noch schrille Laute her-vor, Tieferes - also tiefere Gefühle - fin-de ich nicht mehr. Beim autogenen Trai-ning (o.Mein Arm ist jetzt ganz entspanntund schwer ... »), das mir früher so half,liege ich wie eine starre Planke auf demSofa; mein Holzkörper will sich nicht inKautschuk verwandeln.

In schlaflosen Spaziergängen mor-gens um zwei, drei, vier Uhr lerne ich dieStadt neu kennen: Das Gedankenecho inden hohlen Strassen, der summend un-sichtbare Kuhdraht, der schwarze,schwappende See. Es sind Wochen ohneSabbat - ich bin der Leibeigene meinerselbst. Monate. Mehr. Das hat Folgen. DieKreativität leidet. Sie wird genährt vomGefühlshaushalt des Erzählers, dem in-nermenschlichen Wasserreservoir alsonach der in der mittelalterlichen astro-logischen Spekulation entwickelten Ele-mentenlehre - doch da herrscht Trocken-heit. Dürre. Vielleicht ist es tatsächlichein musikalisches Problem, und mein in-nerer Rhythmus und der Takt der Weltgehen nicht kongruent.

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Von Maurus Federspiel

Ein Bekannter macht mich aufMBSR auf-merksam: Mindfulness-Based Stress Re-duction, Stressbewältigung durch Acht-samkeit. Ich bin skeptisch. Ein weiteresProgramm für karrieristische Manager,um den Chi-Speicher aufzuladen undim ökonomischen Dschungelkampf nochleistungsfähiger und potenter zu wer-den? Achtsamkeit als streng definiertesmeditatives Konzept hat im Westen einesteile Karriere genommen. Religiös un-verdächtig, findet es Zuspruch unterGläubigen und Ungläubigen aller Art, enmasse erscheinen wissenschaftliche Stu-dien zur Mindfulness, die weltweit in Se-minaren vermittelt wird. Entwickelt hatdie MBSR-Methode [on Kabat-Zinn, leseich, ein New Yorker Molekularbiologeund Arzt, der bekannt dafür wurde, dieAchtsamkeitsmeditation als Hilfe ge-gen chronische Schmerzen und Stresseinzusetzen. Achtsamkeit sei «offenes,nichturteilendes Gewahrsein von Augen-blick zu Augenblick». Wer könnte dasnicht gebrauchen?

Die besondere Auffassung von Acht-samkeit in der MBSR hat ihren Ursprungunverkennbar im Fernen Osten: Kabat-Zinn ist vertraut mit der buddhistischenTradition. Die dazu im therapeutischen(oder die Lebensqualität steigernden)Sinne verwendeten Übungen lassen sichals volkstümliche Varianten der Zen -undbesonders der Vipassana- Meditation ver-stehen. Mit der Zen-Meditation hatte icheigentlich gute Erfahrungen gemacht;nur fehlte es mir an Durchhaltewillen.

Die Vipassana- Meditation hat zum Ziel,durch ein neutrales Benennen und Eti-kettieren jedes Sachverhalts «höchsteRealitäten» zu erkennen (also wohl dieWirklichkeit so zu sehen, wie sie ist) unddas Leid zu überwinden, dem - so derBuddhismus - alles Dasein unterworfenist. Viele Studien belegen die Wirksam-keit des Achtsamkeitstrainings: Schonnach kurzer Zeit seien Verbesserungender Gehirnfunktion und des Immunsys-tems nachzuweisen. Faszinierend, wennes stimmt; ich will den Versuch unter-nehmen.

Die Rosinen-MethodeDer Kurs, den ich im Zürcher Englisch-viertel besuche, hält sich eng an das Pro-gramm, das Kabat-Zinn in seinem Kran-kenhaus entwickelte: zwei Monate langwöchentlich eine Gruppensitzung, amEnde ein ganztägiges Schweige- Retreat.Das Seminarprogramm ist sauber struk-turiert und klar aufgebaut. Achtsameben. Die meisten Teilnehmer sind imSelbsterfahrungsalter (also zwischenfünfunddreissigund fünfzig), keine Bau-arbeiter, Metzger oder Fernfahrer, son-dern eher feinsinnige urbane Gewäch-se. In der Vorstellungs runde nennt jederden Grund für seine Anwesenheit: Tren-nungsschmerz, Burn-out, Depression,Sinnverlust, Krankheit, Getriebenheit,

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Unruhe, Schock - alle zivilisatorischenKollateralschäden sind vertreten.

Wir fangen an mit einer Rosinen-Meditation. Wir befühlen, beriechen, be-lauschen, schmecken eine verschrum-pelte kleine Weinbeere, als hätten wirkeinerlei begriffliches Vorwissen von ihr.Das ist natürlich Spiritualitätsfolklore -und trotzdem: Die mickrige Frucht ent-faltet plötzlich einen verblüffendenReichtum. In ihrer runzligen Klebrigkeitliegt etwas Verspieltes, die kleine Rosi-ne vermag den Gaumen auszufüllen, jascheinbar das ganze Gehirn. Steckt inder Rosine schon die Ankündigung, wiedie Praxis der Achtsamkeit unsere Wahr-nehmung schärfen, unsere Welterfah-rung vertiefen kann?

Die Bodyscan -ÜbungEs folgt die erste formale Übung, der«Bodyscan»: Auf dem Rücken liegend,gehen wir unter Anleitung mit dem Be-wusstsein langsam durch den Körper,angefangen bei den Zehen, über dieFüsse und die Beine weiter hoch überdie Hüften. Zum Torso in all seinen Tei-len. Dann zu den Händen und den Un-terarmen. Bei jedem Körperteil nur diestille Frage, wie er sich anfühlt: Ist erkalt, warm, feucht, tut etwas weh, kribbeltes, ist es angenehm oder unangenehm?Nichts soll bewertet werden, nichts ver-ändert. Eine Mücke umschwirrt mich mitdünnem Sirren. Ob ich das süsseste Bluthier im Raum habe? Andererseits, ichesse ja gar keinen Zucker. In Berlin hat-te ich allerdings ein Glace mit Fruchtzu-cker, das ging. Zuletzt bin ich mit der Mit-fahrgelegenheit hingefahren, der Fah-rer war ein begeisterter Paintballer. Ichglaube nicht, dass mir das liegt, meinesist das Bogenschiessen. Warum man da-bei an manchen Tagen wohl einfach nichttrifft? Na ja, ich liege ja auch sonst oft da-neben. Mein Sohn lag auch kürzlich da-neben, neben dem Bett nämlich, aus demer plumpste. Vielleicht müsste man ihmein Polster hinlegen ... Ah, jetzt ertappeich mich bei der Assoziationskette, diemich von mir davongeführt hat: Stopp,aufwachen. Zurück zur Körperwahrneh-

mung - wir sind inzwischen beim Kopfangelangt, beim Mund, dem Nasen-rücken, den Ohren, dem Scheitel.

Der Bodyscan, so die Hausaufgabe,soll täglich praktiziert werden. In der ers-ten Sitzung daheim steige ich, begleitetvon der geduldigen Stimme aus den Laut-sprechern, in meinen Körper ein, alswäre er ein U-Boot - also ein Unterbe-wusstseinsboot: Welch kurioses Gefährt,in dem ich mich durch die Welt bewege.Im Geist bin ich plötzlich bei einemClint-Eastwood-Film, «Blood Work»; ichversuche mich zurückzuhangeln, sucheden Gedankengang, der mich wegführ-te: Richtig, da ging es um eine Herz-transplantation. Gegen Ende der drittenSitzung ist mir, als wäre ich von einemdichten weissen Schaum umhüllt odervon Bast; ein aussergewöhnliches Wohl-gefühl ist damit verbunden, ich erlebemich als leibliche Einheit. Ein paar Stun-den später folgt ein emotionaler Aus-bruch, den ich mit der Meditation in Ver-bindung bringe: Mir kommt es vor, alshätte in meinen Organen Gespeichertesendlich die gebührende Aufmerksamkeiterhalten und würde jetzt mit einem Malfrei werden - als Wutausbruch. Bei dernächsten Sitzung wird mein innerlichnoch zuckendes, überspanntes, überreiz-tes Ich gleichsam von einer gewaltigenHand sanft, aber bestimmt auf seinemLager flach ausgewalzt. Das tut gut. Inder letzten Sitzung vor dem zweiten Kurs-teil fühle ich mich, als wäre ich jeman-des Skulptur oder Skizze, die Gestaltungeines umsichtigen und fürsorglichenKönners. Manche aus der Gruppe sindeingeschlafen während des Bodyscans.Die meisten von uns haben zumindesteine erste Ahnung davon bekommen,dass mit der Praxis ein Versprechen vonFrieden verbunden ist. Die Atembeob-achtung kommt als zweite Übung hinzu.Immer wieder soll die Aufmerksamkeitzum Atem zurückgeführt werden. Zumsanften, kühlen Ein- und Ausströmen derLuft, wie es in der Nase spürbar ist, zurAusdehnung der Lunge, zum Heben undSenken der Bauchdecke. Einatmen, aus-atmen; ausdehnen, loslassen; heben, sen-ken: Man schweift ab, kehrt wieder zu-rück, dreissig, vierzig Minuten lang. Aufder Autobahn wäre das lange genug fürzwei Dutzend Unfälle, so oft etwa schnellt

mein Kopf hoch aus dem Sekunden-schlaf. Glücksgefühle überkommen mich,als ich, weniger übermüdet, konzentrier-ter, die Übung zu Hause ausführe. Ist esso einfach? Es ist nicht schwer. Aber wieleicht fällt man aus dieser inneren Hei-mat wieder hinaus.

Der AutopilotenmodusHausaufgabe für die dritte Woche isteine Reihe einfacher Yoga-Stellungen.Jede Bewegung, jede Dehnung, jedeSpannung soll «mit liebevoller Aufmerk-samkeit» begleitet werden: ein leisesBrennen auf der Oberschenkelinnensei-te, ein kleiner Schmerz in der Hüfte, dieallmähliche Verlängerung des Nackens.Wiederum gilt: feststellen, aber nichtbeurteilen. Ich könnte heulen vor Unge-duld und Langeweile, möchte die Stim-me im CD-Player anbrüllen, endlich dasMaul zu halten. Danach aber fühle ichmich durchatmet und gelöst.

[on Kabat-Zinn spricht vom «Auto-pilotenmodus», in dem wir durch dieWelt gehen. Gemeint ist, dass wir in uns-rem Alltag, bei der Arbeit, ja selbst in un-seren intimsten Beziehungen, leicht derSelbstverständlichkeit etablierter Mus-terverfallen: Handlungsmustern, Denk-mustern, Gefühlsmustern. Man wieder-holt ständig das Gewohnte, die Nadelspringt immer in dieselbe Rille, auf dengleichen Reiz folgt roboterhaft die glei-che Reaktion. Unangenehm deutlich wirddas natürlich erst bei negativen Mustern- bei der depressiven Gedankenspirale,beim Zornesreflex, bei der frustrieren-den Monotonie des Immergleichen, ausder kein Ausweg möglich scheint.

Dieser seelischen Verklebung stelltdas Achtsamkeitstraining den Begriff derDisidentifikation entgegen: Der Denken-de löst sich durch wachsende Bewusst-heit von seinen Gedanken ab, der Füh-lende von seinen Gefühlen; man lässtsich vom Strom der Erfahrungen nichtmehr fortreissen, sondern wird zum Be-obachter des Geschehens; das Ich wirdfreigesetzt. In dieser Freisetzung soll derMeditierende nach und nach die Souve-ränität über sein Dasein erlangen, indem

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er das Uneigentliche loslässt - die Gedan-kenmühle, das innere Ringen, sogar denkörperlichen Schmerz.

Tatsächlich scheint sich in mir überdie Wochen hinweg ein Puffer, eine ArtLuftkissen zwischen mir und der Weltzu bilden: Die Anfechtungen durch äus-sere (also ärgerliche) Reize und die da-mit verbundenen emotionalen Ketten-reaktionen werden zurückgedrängt, ichbin gelassener. Zugleich eröffnet die Dis-tanz eine klarere Sicht auf die Dinge.Bisweilen ist mir, als würde sich das Ge-triebe der Aussenweltverlangsamen, so-dass ich mehr Zeit für meine Entschei-dungen habe. Die innere Bedrängnis lässtnach. Ich schlafe besser. Beim Sport wer-den die Wirkungen des geistigen Trai-nings am deutlichsten spürbar. BeimTischtennis werde ich unbesiegbar. Undbesonders beim Bogenschiessen sind dieErgebnisse unverkennbar: Wer in seinerMitte ist, trifft vielleicht auch die Mitteder Zielscheibe leichter.

Das achtsame GehenMit dem Gruppentreffen am «Tag derAchtsamkeit», einem ganztägigenSchweige-Retreat, neigt sich der Kursnach sechs Wochen dem Ende zu. Wiratmen in folgsamer Gewahrsamkeit. Wirführen eine Geh-Meditation aus: spürenbei jedem Schritt der Fusssohle nach;beobachten, wie sich das Körpergewichtverlagert; lösen mit konzentrierter Be-wusstheit den hinteren Fuss vom Boden;wandeln mit introspektiv gesenktemBlick durch den Garten wie die Gespens-ter griechischer Philosophen oder Schau-spielschüler in einem postmodernenStück. Wir praktizieren Yoga, die Übun-gen heissen «Baum», «Tisch», «Hund»- in den Bezeichnungen scheinen alleElemente einer geruhsamen bürgerli-chen Existenz vertreten zu sein; ich er-finde im Geist ein paar neue Asanas - sonennt man die Yoga-Übungen - dazu, dieweniger elegant sein mögen, aber origi-nellere Namen haben: «Saucisson»,«Steueramt», «Erzkaplan». Das Schwei-gen in der Gruppe hat eine ganz andereQualität als das Schweigen allein, das ja

nichts anderes ist als unfreiwilliges Mit-niemandem-reden-Können. Ich merke,dass sich in dem verbalen Fasten meineEnergie verdichtet, jedenfalls stellt sichzum Ende des Tages hin eine sprudeln-de Heiterkeit ein.

Meine Gedanken werden klarer, las-sen sich ablegen und sortieren wie in ei-nem Setzkasten; ich gewinne Übersicht.Die Begriffe, Wissensinseln, Ideenclus-ter scheinen in meinem Kopfvorher alleaufeinandergepappt gewesen zu sein zueinem starren Klumpen; jetzt haben siesich voneinander gelöst, teilweise we-nigstens, und gehen andere Verbindun-gen ein, schliessen sich zu neuen Mole-külen zusammen. Das ist gut. Resultatder Meditation? Ich vermute es. (Nichtganz so gut ist die Feststellung, dass esmit meinen Tischtenniskünsten leiderdoch nicht so weit her ist.)

In der letzten Gruppensitzung desMBSR-Kurses am Ende der acht Wochengehen wir noch einmal die erlerntenMeditationstechniken durch - das acht-same Gehen, den Bodyscan, die Atem-beobachtung: Ich fühle mich luftig, alswürden neugierige Kohlensäurebläs-chen in mir aufsteigen. Was ich mitneh-me? Ich bin erstaunt darüber, was so un-scheinbare Übungen bewirken können.Und ich frage mich, ob ich nicht eigent-lich im Schreiben meine eigene Medita-tionsvariante schon gefunden habe: DerSchreibende hängt zwar im unermessli-chen Assoziationsnetz der Sprache, istdabei aber doch gezwungen, sich auf eineeinzige Sache zu konzentrieren, einenGegenstand, einen Satz, darin ein Wort.Er bleibt bei seinem Thema, achtsam so-zusagen, und blendet aus, was nicht da-zugehört, lässt es los, kehrt geduldig im-mer wieder zum Wesentlichen zurück.Das Gefühl nach einer gelungenen Stun-de beim Schreiben ist gar nicht sehr ver-schieden von demjenigen nach der Medi-tation. Nur: Hier scheitert man immerwieder aufs Neue; in der Meditationscheint das Gelingen erlernbar .•

14MAUR US FE DERS PI EL ist freier Autor und lebt in Zürich; [email protected]