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Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft 63. Jahrgang // 1.12.2008 // Seiten 2637 - 2692 www.betriebs-berater.de // WIRTSCHAFTSRECHT Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler, Jun.-Prof. Dr. Stefan Müller und Sebastian Synnatzschke Technologie- und technikorientiertes Unternehmens- recht 2638 BGH: Anlageberatung – Auf vereinzelte kritische Stimmen in einem Brancheninformationsdienst muss eine Bank nicht hinweisen BB-Kommentar von Klaus Rotter, RA 2645 OLG Saarbrücken: Vorrang einer individualvertraglichen Laufzeitklausel gegenüber einer Verlängerungsklausel in AGB beim Leasingvertrag BB-Kommentar von Dr. Patrick Ayad, RA 2649 // STEUERRECHT Axel Kroninger, StB, CPA, und Markus Korb Die Handhabung von Sanierungsgewinnen vor und nach dem Urteil des Finanzgerichts München vom 12.12.2007 2656 Dr. Andreas Geist, RA Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen – Zur Anwendbarkeit, Systematik und Auslegung des BMF-Schreibens vom 27.3.2003 2658 FG Köln: Besteuerung von Sanierungsgewinnen BB-Kommentar von Dr. Thomas Wagner, StB 2666 // BILANZRECHT & BETRIEBSWIRTSCHAFT Dr. Carl-Bernhard Funnemann, WP/StB, und Dr. Otto-Ferdinand Graf Kerssenbrock, WP/StB/RA Ausschüttungssperren im BilMoG-RegE 2674 Sächsisches FG: Buchwertverknüpfung auch bei zurück- behaltenem Produktionsgrundstück BB-Kommentar von Dr. Martin Bünning, RA/StB 2679 // ARBEITSRECHT Prof. Dr. Bernd Waas, Patrick Hoffmann, RA, und Anita Palonka, RAin Rechtsprechung zum Betriebsübergang nach § 613a BGB in den Jahren 2006/2007 2682 // BB-MAGAZIN Lars Zipfel, StB Entwurf des Erbschaftsteuerreformgesetzes: Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge M1 Anton-Rudolf-Götzenberger, StB, und Sonja Winner Attraktive Geschäftschancen für Mittelständler auf Malta M16 Verlag Recht und Wirtschaft NEU: Mit Wochenrückblick und Entscheidungsreport in allen vier Ressorts 49.2008

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Objekt: BBXX - Ausgabennummer: 049 - Seite: U001/ 999 - Datum: 02.12.08 - Uhrzeit: 09:23’30’’ - Belichter: DFVINTERN- Farbigkeit: CMYK- Weitere Auszüge: Diese.

Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft63. Jahrgang // 1.12.2008 // Seiten 2637 - 2692

www.betriebs-berater.de

// WIRTSCHAFTSRECHTProf. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler, Jun.-Prof. Dr. Stefan Müller undSebastian SynnatzschkeTechnologie- und technikorientiertes Unternehmens-recht 2638

BGH: Anlageberatung – Auf vereinzelte kritische Stimmen in einem Brancheninformationsdienst muss eine Bank nichthinweisenBB-Kommentar von Klaus Rotter, RA 2645

OLG Saarbrücken: Vorrang einer individualvertraglichen Laufzeitklausel gegenüber einer Verlängerungsklausel in AGB beim LeasingvertragBB-Kommentar von Dr. Patrick Ayad, RA 2649

// STEUERRECHTAxel Kroninger, StB, CPA, und Markus KorbDie Handhabung von Sanierungsgewinnen vor und nachdem Urteil des Finanzgerichts München vom 12.12.2007 2656

Dr. Andreas Geist, RADie Besteuerung von Sanierungsgewinnen – Zur Anwendbarkeit, Systematik und Auslegungdes BMF-Schreibens vom 27.3.2003 2658

FG Köln: Besteuerung von SanierungsgewinnenBB-Kommentar von Dr. Thomas Wagner, StB 2666

// BILANZRECHT & BETRIEBSWIRTSCHAFTDr. Carl-Bernhard Funnemann, WP/StB, undDr. Otto-Ferdinand Graf Kerssenbrock, WP/StB/RAAusschüttungssperren im BilMoG-RegE 2674

Sächsisches FG: Buchwertverknüpfung auch bei zurück-behaltenem ProduktionsgrundstückBB-Kommentar von Dr. Martin Bünning, RA/StB 2679

// ARBEITSRECHTProf. Dr. Bernd Waas, Patrick Hoffmann, RA, und Anita Palonka, RAinRechtsprechung zum Betriebsübergang nach § 613a BGBin den Jahren 2006/2007 2682

// BB-MAGAZINLars Zipfel, StBEntwurf des Erbschaftsteuerreformgesetzes:Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge M1

Anton-Rudolf-Götzenberger, StB, und Sonja WinnerAttraktive Geschäftschancen für Mittelständler auf Malta M16

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und Entscheidungsre

port

in allen vier R

essorts

49.2008

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Wirtschaftsrecht

Prof. Dr. Dr. J�rgen Ensthaler, Jun.-Prof. Dr. Stefan M�ller undDipl.-Ing. Sebastian Synnatzschke

Technologie- und technikorientiertesUnternehmensrecht

Das Unternehmensrecht etabliert sich zunehmend als eigenst�ndiges

Rechtsgebiet im Sinne einer Querschnittsmaterie; im Vordergrund steht

insoweit die Beziehung zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschafts-

wissenschaften. Was bisher nicht untersucht wurde, sind die Bez�ge zu

den technischen Disziplinen. Durch diese Vers�umnisse l�uft die Unter-

nehmensrechtswissenschaft nicht nur Gefahr, die Unternehmenswirk-

lichkeit nur unvollst�ndig zu erfassen, zugleich wird auch das Potential

interdisziplin�rer Forschungsans�tze zwischen Juristen, �konomen und

Ingenieuren nicht ausgesch�pft und somit die Chance f�r die Entwick-

lung eines funktionalen Wirtschaftsrechts vergeben. Im vorliegenden

Beitrag werden die Verwobenheit des Unternehmensrechts mit techni-

schen Disziplinen an Beispielen aufgezeigt und zukunftstr�chtige Pers-

pektiven der Kooperation zwischen „Recht und Technik“ f�r Praxis und

Wissenschaft dargelegt.

I. Eine Standortbestimmung zumUnternehmensrecht

Die Bedeutung des Rechtsbegriffes „Unternehmen“ h�ngt vom jeweils

betroffenen Rechtsgebiet ab1. Dementsprechend vielf�ltig sind die

Ann�herungsversuche an das Unternehmensrecht. W�hrend sich K.

Schmidt mit Nachdruck f�r eine Entwicklung des Handelsrechts zum

Unternehmens(außen)recht einsetzt2, verstehen Rittner/Dreher das

Unternehmensrecht als Organisationsrecht im weitesten Sinne, bei

dem gesamtwirtschaftliche Belange im Vordergrund st�nden3. Zuletzt

hat Eidenm�ller eine funktionale Deutung des Unternehmensrechts

vorgenommen, die das gesamte Innen- und Außenrecht des Unter-

nehmens (Gesellschaftsrecht, Finanzierungsrecht, Recht der Leis-

tungsbeziehungen, Verfahrens- und Insolvenzrecht) umfassen soll4.

Das vorgefundene Meinungsbild liefert folgende Erkenntnisse:

1. Der Gegenstand des Unternehmensrechts wird ausnahmslos in mehr

oder minder gel�ufigen Kategorien des Privat- und Wirtschaftsrechts

umschrieben, m�gen dabei auch herk�mmliche Rechtsgebiete �ber-

wunden werden („Finanzierungsrecht“). Die Beibehaltung eines de-

zidiert juristischen Blickwinkels �berrascht besonders bei Eidenm�l-

ler. Wegen der betonten Funktionalit�t seines Ansatzes, der sich von

einem „disziplin�r-dogmatisch[en]“ abzugrenzen sucht, konnte er-

wartet werden, dass die angef�hrten Elemente des Unternehmens-

rechts – im Einklang mit der Praxis – entsprechend den in der Unter-

nehmensorganisation anfallenden Aufgaben entwickelt werden. Eine

in diesem Sinne funktionale, d. h. am betrieblichen Wertsch�pfungs-

prozess hergeleitete Betrachtung unterscheidet nach den im Unter-

nehmen vorgefundenen �konomisch-technologischen Funktionsein-

heiten, d.h. nach Forschung und Entwicklung, Produktion sowie Ab-

satz bzw. Vertrieb, ferner nach Querschnittsfunktionen wie Personal-

wirtschaft, Unternehmensf�hrung, Qualit�t, Controlling, Marketing

sowie Finanzierung5.

2. Die �ber die Bezeichnung von Rechtsgebieten vorgenommene Er-

fassung des gesamten Innen- und Außenrechts von Unternehmen

f�hrt dazu, dass zwar der Gegenstand des Unternehmensrechts ab-

strakt skizziert, jedoch der Gegenstand konkreter Unternehmen

nicht thematisiert wird. Aus diesem Grund werden die Bedeutung

der Technologie- und Ingenieurwissenschaften f�r die unterneh-

merische T�tigkeit und die damit verbundenen Fragestellungen f�r

die �konomie und das Unternehmensrecht �bergangen.

3. Angesichts der fehlenden Ausrichtung an der Unternehmenswirk-

lichkeit verwundert es nicht, dass die bestehenden technologie- und

technikbezogenen6 Bereiche des Unternehmensrechts im Schrifttum

praktisch ausnahmslos außer Betracht bleiben. So wird z.B. der Ge-

werbliche Rechtsschutz, dessen Bedeutung als Mittel zur Technik-

steuerung außer Frage steht7 und dessen unternehmensrechtsprakti-

sche Bedeutung kaum �bersch�tzt werden kann8, in keiner der Kon-

zeptionen zum Unternehmensrecht explizit erw�hnt.

Im Folgenden soll das Unternehmensrecht deshalb �ber eine im un-

ternehmerischen Sinne funktionale Darstellung entwickelt werden, die

auch den konkreten Unternehmensgegenstand ber�cksichtigt. Damit

geht eine bewusste Orientierung an den unterschiedlichen Stufen des

Produktentstehungsprozesses und folglich ein technologie- und tech-

nikbezogener Blickwinkel einher. Die Auspr�gung und Bedeutung ei-

ner solchen Technologieorientierung soll zun�chst (unter II) an einer

konkreten Beispielsituation aus dem Unternehmensalltag illustriert

und sodann (unter III) anhand weiterer juristisch-�konomisch-tech-

nologischer Schnittstellen aufgezeigt werden.

II. Der Technologiebezug des Unternehmens-rechts – beispielhaft illustriert

Als juristischer Rahmen f�r die beispielhafte Skizze dient die Untersu-

chungs- und R�geobliegenheit des Handelsk�ufers gem. § 377 HGB.

2638 Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008

1 Dazu K�bler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, § 5 IV, S. 39 ff., die den Begriff des Unterneh-mensrechts freilich rein gesellschaftsrechtlich deuten, vgl. dort § 1 II, S. 3.

2 K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 1 I und II, S. 5 f., 9 ff. und h�ufiger.3 Rittner/Dreher, Deutsches und Europ�isches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 8, S. 214 ff.4 Eidenm�ller, JZ 2007, 487 f.5 Jung, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 10. Aufl. 2006, S. 26 f.6 Theoretisch lassen sich die Begriffe „Technologie“ und „Technik“ klar gegeneinander abgrenzen, vgl.

etwa die Gegen�berstellung bei Trommsdorff/Steinhoff, Innovationsmarketing, 2006, S. 13: Danach be-deutet Technologie Wissen �ber naturwissenschaftliche Zusammenh�nge, das zur L�sung technischerProbleme angewendet wird. Hingegen ist Technik materielle Anwendung von Technologie in Produktenoder Prozessen. In der Praxis ist die Abgrenzung freilich kaum so trennscharf zu f�hren, vgl. Tromms-dorff/Steinhoff, a a. O., S. 14.

7 G�tting, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht als Mittel der Techniksteuerung, in: Vieweg(Hrsg.), Techniksteuerung und Recht, 2000, S. 121 ff.

8 Vgl. G�tting, Grundlagen des Patentrechts, in: Schulte (Hrsg.): Handbuch des Technikrechts, 2004,S. 209 f. (zum Stellenwert des Patentrechts).

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

Die unternehmenspraktische Einordnung der Beispielsituation liegt

vornehmlich in der Produktion, genauer: der Serienfertigung tech-

nisch komplexer Endprodukte, die der Hersteller aus angelieferten

Komponenten zusammensetzt (Assembler).

Bei der heute �blichen arbeitsteiligen Serienfertigung von Wirt-

schaftsg�tern entlang einer verzweigten Zulieferer-Assembler-Kette

besteht ein unabweisbares Bed�rfnis des jeweiligen Herstellers, die

vom Zulieferer geschuldeten Teile zeitpunktgenau und in der verein-

barten Qualit�t zu erhalten. Das auf Lieferung angelegte Schuldver-

h�ltnis zwischen Zulieferer und Assembler beruht in der Praxis auf

einem Qualit�tsmanagementsystem (kurz: QMS), das regelm�ßig zu-

s�tzliche Logistikkonzepte wie Just-in-time- bzw. Just-in-sequence-

Abreden enth�lt. Damit stellt sich unmittelbar die Frage nach der Be-

deutung qualit�tswissenschaftlicher und logistischer Methoden und

Systeme f�r die Beurteilung der durch § 377 HGB beeinflussten zivil-

rechtlichen Anspr�che des K�ufers im Falle mangelhafter Lieferungen

des Zulieferers.

Das „Dilemma“ des Assemblers besteht vielfach darin, dass er Ware

erh�lt, deren Mangelhaftigkeit sich ihm wegen ihrer technischen

Komplexit�t nicht ohne Weiteres erschließt. Gleichwohl muss er die

Ware unter Zeitdruck und Hinzuf�gung anderer Komponenten wei-

terverarbeiten, da gr�ßere Zwischenlager f�r Zulieferteile und Zwi-

schenstufen der Fertigerzeugnisse h�ufig aus wirtschaftlichen Gr�n-

den nicht einsetzbar sind9. Indes setzt eine rechtzeitige R�ge i. S. des

§ 377 HGB regelm�ßig eine Pr�fung der Ware voraus10, die die be-

grenzten zeitlichen und auch r�umlichen Kapazit�ten zu beachten

hat. In der skizzierten Situation f�llt diese Pr�fung faktisch mit der

Wareneingangskontrolle zusammen, die Begriffe k�nnen im Folgen-

den gleichgesetzt werden11. Es geht mithin um die Ber�cksichtigung

der unternehmenstats�chlichen Rahmenbedingungen f�r die Beurtei-

lung der zum Rechteerhalt erforderlichen Pr�fung der angelieferten

Ware.

1. Pr�fungsmodusAngesichts des offenen Wortlauts („soweit dies nach ordnungsgem�-

ßem Gesch�ftsgange tunlich ist“) muss der Ablauf einer den Vorgaben

des § 377 Abs. 1 HGB entsprechenden Untersuchung f�r die skizzierte

Situation der Serienproduktion gesondert herausgearbeitet werden.

Unter Beachtung des Zeitmoments („unverz�glich nach der Abliefe-

rung“) wird im Schrifttum eine Zweiteilung der Untersuchungslast

vorgeschlagen, wobei sich an eine erste grobsinnliche Pr�fung (erste

Stufe) eine eingehendere Untersuchung (zweite Stufe) anschließen soll,

deren Intensit�t von den Gepflogenheiten der betreffenden Branche so-

wie den Einzelfallumst�nden abh�ngt12. Diese Sicht basiert offensicht-

lich auf der Annahme eines in zeitlicher und r�umlicher Hinsicht vor-

handenen Puffers zwischen grobsinnlicher Pr�fung bei Wareneingang

und der sp�ter erfolgenden Untersuchung, wobei dieser Puffer mut-

maßlich als einheitlicher Zeitabschnitt der Produktion gedacht wird.

Die in der beispielhaft skizzierten Situation vorgefundenen betrieb-

lichen Abl�ufe gestatten einen solchen Puffer indes nicht13. Bei der

Just-in-time-Abrede (produktionssynchrone Teileanlieferung)14 er-

folgt eine zeitpunktgenaue Anlieferung beim Assembler. Die bei Gru-

newald angedeutete Zweiteilung l�sst sich, jedenfalls soweit die n�ti-

gen Lagerkapazit�ten nicht gegeben sind15, h�ufig nicht sinnvoll

durchf�hren, vielmehr kann eine unter Wirtschaftlichkeitsaspekten

vertretbare Pr�fung nur in einem Durchgang (n�mlich bei Anliefe-

rung) vorgenommen werden.

Der Gedanke der Zweiteilung versagt vollends bei Anlieferung auf

sog. Just-in-sequence-Basis (Teileanlieferung in Montagereihenfolge).

Soll in dieser Situation ein einzelnes Pr�fst�ck zum Zwecke der Vor-

nahme der eingehenden Pr�fung (= zweite Stufe) aus der Lieferung

herausgel�st16, die vorgepr�gte Reihenfolge mithin ver�ndert werden,

wird dem Hersteller nicht nur ein �konomisch widersinniges Han-

deln abverlangt; mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sogar techni-

sche Abl�ufe gest�rt und das Produktionsergebnis gef�hrdet. Die ein-

gehende Pr�fung kann daher allenfalls nach Einbau des zugelieferten

Teiles erfolgen, was freilich voraussetzt, dass eine Pr�fung der Funk-

tionalit�ten gerade des Zulieferst�cks dann noch technisch m�glich

und wirtschaftlich vertretbar ist.

Ein Blick auf den Unternehmensprozess f�hrt also vor Augen, dass

der Gedanke der in der juristischen Lehre vorgeschlagenen Zweitei-

lung der Pr�fung weder wirtschaftlich noch technisch zielf�hrend ist.

2. Pr�fungsgegenstand und Pr�fungsmaßstabDie zweifelhafte Praxistauglichkeit mancher juristischer L�sungsan-

s�tze im Zusammenhang mit der Pr�fung stellt f�r den „Anwender

vor Ort“ indes nicht die entscheidende H�rde dar. F�r ihn wiegt

schwerer, dass das Unternehmensrecht zur Konkretisierung der Un-

tersuchungsobliegenheit auf den Einzelfall Aussagen nur �ber das

Maß bzw. die Intensit�t einer Untersuchung trifft, ihm jedoch keine

Ankn�pfungspunkte f�r die Zielrichtung der ihm abverlangten Unter-

suchung liefert.

a) Handelsrechtlicher Rahmen der UntersuchungslastHier ist unstreitig, dass auch bei l�ngerfristigen Gesch�ftsbeziehun-

gen bzw. Sukzessivlieferungsvertr�gen § 377 HGB hinsichtlich jeder

Einzellieferung gilt. Nach ganz vorherrschender Meinung entbinden

eventuelle Schwierigkeiten bei der Entdeckung des Mangels den

K�ufer, der daf�r gegebenenfalls sachverst�ndige Hilfe zu Rate zie-

hen muss, nicht g�nzlich von der Untersuchungsobliegenheit17, die

im �brigen auch nicht durch anders lautenden Handelsbrauch ab-

bedungen werden kann18. Was tunlich ist (d.h. das gebotene Unter-

suchungsmaß) orientiert sich an der verkehrs- und branchen�bli-

chen Sorgfalt, die anhand einer Interessenabw�gung zu ermitteln ist.

Ob dabei versch�rfte Untersuchungsanforderungen anzulegen sind,

hat der BGH an folgenden Kriterien festgemacht19: in erster Linie

an der Schwere zu erwartender Mangelfolgen und an etwaigen Auf-

f�lligkeiten der Ware oder aus fr�heren Lieferungen bekannten

Schwachstellen, daneben die Natur der Ware und die Gepflogenhei-

ten der Branche.

Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008 2639

9 Vgl. zu den Anforderungen an den Wertsch�pfungsprozess umfassend G�nther/Tempelmeier, Produktionund Logistik, 7. Aufl. 2007, S. 3 ff.

10 Da der K�ufer andernfalls das Risiko eingeht, einen bei Untersuchung erkennbaren Mangel nicht zu ent-decken, somit nicht (fristgerecht) zu r�gen und seiner M�ngelrechte verlustig zu gehen.

11 Hierdurch soll die rechtliche Bedeutung des § 377 HGB (Untersuchungs- und R�geobliegenheit) nichtnormzweckwidrig in eine „Pflicht zur Wareneingangskontrolle“ abge�ndert werden. Dass § 377 HGBnicht der Qualit�tssicherung dient, hat Popp, Die Qualit�tssicherungsvereinbarung, 1992, S. 43. f. heraus-gearbeitet.

12 So v. a. Grunewald, NJW 1995, 1777, 1778 f.13 Im �brigen m�ssten solche Puffer auch an allen Stellen des Produktentstehungsprozesses, an denen Zu-

lieferteile integriert werden, bestehen: Den Puffer kann es m. a. W. ohnehin nicht geben.14 Vgl. zum Just-in-time-Konzept Kamiske/Brauer, Qualit�tsmanagement von A-Z, 5. Aufl. 2006, S. 120 ff.15 Die Einsch�tzung h�ngt (in erster Linie) von der physischen Beschaffenheit der Zulieferteile ab: bei der

Automobilherstellung lassen sich kleinteilige Elektronikkomponenten einfacher lagern als volumin�seAbgassysteme.

16 Und, da die �berpr�fung kaum ohne Eingriff in die Sachsubstanz erfolgen kann, eventuell sogar zerst�rtwerden.

17 BGH, NJW 1977, 1150; Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 377 Rn. 25.18 BGHRep. 2003, 285, 286.19 BGHRep. 2003, 285, 286.

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

b) Fehlende �bertragbarkeit dieser Vorgaben aufdie Unternehmenspraxis

Anhand der vom BGH ausgemachten Gesichtspunkte zur Bestimmung

des Untersuchungsmaßstabs allein vermag der mit der Eingangskon-

trolle befasste Mitarbeiter des Assemblers keine Konkretisierung auf

den Einzelfall durchzuf�hren. Die Vorgaben der Rechtsprechung liefern

keine Hinweise zur Ableitung von Pr�fpunkten, es ist somit nicht klar,

woraufhin untersucht werden soll – die Vornahme einer Untersuchung

ohne Definition des Untersuchungsziels gestattet keine Ableitung kon-

kreter Handlungsanweisungen, weshalb eine Erfolg versprechende Wa-

reneingangskontrolle scheitern muss. Dar�ber hinaus tragen die Vor-

gaben nicht zur Kl�rung bei, wie „das Gewicht der Mangelfolgen“ ge-

nau zu bestimmen ist. Soweit die Rechtsprechung eine Orientierung

v.a. an m�glichen Mangelfolgen festlegt, ist eine Risikobewertung m�g-

licher M�ngel unerl�sslich, weshalb potenzielle M�ngel l�ckenlos er-

fasst werden m�ssen. Hierbei erf�hrt der Assembler komplexer techni-

scher Produkte Unterst�tzung durch die Qualit�tswissenschaft.

c) Die sog. FMEA als Methode der Qualit�tswissenschaftDie daraus resultierende L�cke zwischen den Vorgaben des Unterneh-

mensrechts und der vom Anwender erstrebten Konkretisierung kann

mithilfe der Fehlerm�glichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)20 �ber-

wunden werden. Bei der FMEA handelt es sich um eine Qualit�ts-

technik zur Fehleranalyse und -vermeidung. Sie identifiziert zuerst

Systemelemente und -strukturen, ordnet diesen anschließend Funk-

tionen zu, um so eine Fehleranalyse zu erm�glichen, damit diese nach

der Generierung aller Fehlerm�glichkeiten schließlich mit einem Risi-

ko21 belegt werden k�nnen. �blicherweise schließt sich an diese

Punkte eine Optimierungsphase an. Mithilfe der FMEA k�nnen im

Wege der Fehleranalyse Pr�fpunkte abgeleitet werden, die bei einer

einstufigen Wareneingangskontrolle abzuarbeiten sind. Außerdem

l�sst sich im Wege der Risikoanalyse die Anforderung der Ber�cksich-

tigung der Schwere der Mangelfolgen integrieren und somit eine wirt-

schaftlich zumutbare �berpr�fung gew�hrleisten, wenn ausschließ-

lich Pr�fungen durchgef�hrt werden, bei denen die Pr�fkosten (wirt-

schaftliche Zumutbarkeit) in einem zumutbaren Verh�ltnis zu den zu

erwartenden Risiken (Schwere der Mangelfolge) stehen.

d) Die FMEA als Instrumentarium der RechtsanwendungIndem die FMEA aus Sicht der Qualit�tswissenschaft versucht,

Fehlerursachen fr�hzeitig zu identifizieren, antizipiert sie zugleich

m�gliche Fehlerfolgen – und damit eben jenes Kriterium („Mangel-

folgen“), das nach den Vorgaben des BGH bei der Bestimmung der

erforderlichen Intensit�t der Untersuchung federf�hrend zu ber�ck-

sichtigen ist. Die Hilfestellung der Qualit�tswissenschaft besteht inso-

weit22 darin, dass sie einzelne Kriterien zur Ausf�llung wertungsoffe-

ner Rechtsbegriffe, deren Aussagekraft aus rein juristischer Perspekti-

ve kaum sinnvoll und ersch�pfend beurteilt werden kann, berechen-

und bestimmbar macht: Erst durch die Ber�cksichtigung der FMEA-

Ergebnisse werden die abstrakten Vorgaben der Rechtsprechung �ber-

haupt erst subsumtionsf�hig gestaltet; die Qualit�tswissenschaft wird

so zum Mosaikstein im Rechtsauslegungsprozess.

3. Rechtliche Grenzen der Geltungskraft technolo-gischer (hier: qualit�tswissenschaftlicher) Systeme

Allerdings lassen sich aus qualit�tswissenschaftlicher Sicht keine zwin-

genden Argumente f�r die im Schrifttum h�ufig propagierte vollst�n-

dige und kompensationslose Abbedingung des § 377 HGB23 durch im

Wege von assembler-, also k�uferseitig eingebrachten AGB24 inner-

halb von QSV25 ableiten.

Gegen diese Sicht sprechen nicht nur die h�chstrichterliche Recht-

sprechung26, sondern vor allem praktische Einw�nde: Die r�umliche

und zeitliche (Vor-)Verlagerung der Qualit�tskontrolle auf den Be-

trieb des Zulieferers vermag begrifflich diejenigen M�ngel nicht zu er-

fassen, die sich erst nach Verlassen der Ware beim Zulieferer ergeben

bzw. auswirken, mithin eventuelle Transportsch�den oder Irrl�ufer27.

Indes ist nicht erkennbar, weshalb der Assembler auch unter Zugrun-

delegung der beschriebenen Produktions- und Logistikkonzepte noch

nicht einmal zur groben, auf Verpackung und Identit�t der Zulieferer-

ware beschr�nkten Sichtung in der Lage sein sollte. Die Unterneh-

menswirklichkeit redet daher keineswegs einer vollumf�nglichen Ab-

bedingung des § 377 HGB durch Installierung einer Warenausgangs-

kontrolle beim Zulieferer das Wort.

Auch mit einer erheblichen �konomischen Fehlsteuerung des § 377

HGB innerhalb von QSV-Beziehungen28 kann die Abweichung von

der genannten Vorschrift nicht begr�ndet werden. Selbst wenn eine

Wareneingangskontrolle beim Hersteller aufgrund „engmaschig

strukturierter“ Betriebsabl�ufe in Just-in-time-Beziehungen keine si-

gnifikante Reduzierung des Fehlerrisikos nach sich ziehen sollte, kann

aus diesem Befund kein Argument f�r die Einsch�tzung, § 377 HGB

w�rde den Anforderungen von QSV nicht gerecht, abgeleitet werden.

Denn zum einen zeigt ein Blick in die Tagespresse, dass auch bei re-

nommierten, mit modernsten QM-Methoden arbeitenden Zuliefer-

unternehmen (im Endprodukt nachwirkende) Produktionsfehler vor-

kommen29, die die Grundannahme der Bef�rworter einer Abkehr von

der Regelung des § 377 HGB, n�mlich die permanente Funktionsf�-

higkeit und Wirksamkeit ausgefeilter Mechanismen des Qualit�tsma-

nagements, in Zweifel ziehen. In dem genannten Beispiel h�tte eine

wirksame, an m�glichen Mangelfolgen ausgerichtete Wareneingangs-

kontrolle innerhalb der verflochtenen Lieferkette eine Ausbreitung

des Fehlers �ber mehrere Stufen der Wertsch�pfungskette mit hoher

Wahrscheinlichkeit verhindert30. Zum anderen gilt es zu bedenken,

2640 Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008

20 Normiert in der DIN EN 60812: 2006; ausf�hrlich zur Methode Kamiske/Brauer (Fn. 14), S. 72 ff.21 Das Risiko wird im Rahmen der FMEA durch die Risikopriorit�tszahl gemessen, die die Aspekte Auftre-

tenswahrscheinlichkeit des Fehlers, Bedeutung des Fehlers aus Kundensicht und Entdeckungswahr-scheinlichkeit des Fehlers, bevor dieser zum Kunden gelangt, ber�cksichtigt.

22 Hier aus Raumgr�nden nur vertreten durch die FMEA, wenngleich weitere Techniken wie beispielsweisedie statistische Prozesskontrolle oder die Pr�fplanung einschl�gig w�ren.

23 Steinmann, BB 1993, 873 ff., 879; dies., Qualit�tssicherungsvereinbarungen zwischen Endprodukteherstel-lern und Zulieferern, 1993, S. 37 ff.; zuvor schon Lehmann, BB 1990, 1849, 1851 ff. (teleologische Reduk-tion der §§ 377 f. HGB a. F. auf Just-in-time-Kooperationen); anders Quittnat, BB 1989, 571, 573, der eineR�ge des Bestellers als „wenig sinnvolle Formalit�t“ abtut, da der Zulieferer angesichts bestehender ver-traglicher Vereinbarung „das Recht verwirkt [habe], sich auf den Gew�hrleistungsrechteausschluss durchdie unterlassene R�ge zu berufen“. Inwieweit § 377 HGB in der hier in Rede stehenden Rechtsbeziehungdurch assemblerseitig vorformulierte Vertragsbedingungen abbedungen werden kann, wenn der Zulie-ferer im Gegenzug beg�nstigt wird, kann hier nicht untersucht werden, vgl. dazu Grunewald, NJW 1995,1777, 1784.

24 Ensthaler, NJW 1994, 817, 818; ders., in: Ensthaler (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum HGB, 7. Aufl.2007, nach § 377 (QSV) Rn. 6; Merz, Qualit�tssicherungsvereinbarungen, 1992, S. 157 f.

25 Beispiele f�r entsprechende Klauseln etwa bei Steinmann, BB 1993, 873 („Der Hersteller �bernimmt kei-ne Pr�f- oder R�gepflicht gem. §§ 377, 378 HGB [a. F.] f�r eingehende Lieferungen. Fehler k�nnen aberimmer noch nach ihrer sp�teren Entdeckung ger�gt und daraus resultierende Anspr�che geltend ge-macht werden“).

26 Grundlegend BGH, NJW 1991, 2633 ff. = BB 1993, 1732 ff.27 Grunewald, NJW 1995, 1777, 1783; Steinmann (Fn. 23), S. 47 f.28 In diese Richtung Lehmann, BB 1990, 1849 f. (Nutzung der Wettbewerbs- und Kostenvorteile der tech-

nisch-organisatorischen Integration); Steinmann (Fn. 23), S. 38 m. w. N. (�berfl�ssige, aber kosteninten-sive Mehrfachpr�fungen).

29 So etwa beim Automobilzulieferer Bosch in den Jahren 2004/2005 hinsichtlich fehlerhaft gefertigter Die-seleinspritzpumpen und Bremskraftverst�rkern, die in Modelle deutscher und US-amerikanischer Kfz-Hersteller eingebaut wurden und im Fall der Bremskraftverst�rker zum R�ckruf von �ber 150000 Wagenauf dem amerikanischen Markt f�hrten, vgl. dazu F. A. Z. vom 12.2.2005, Nr. 36, S. 15.

30 Im Beispiel der Dieseleinspritzpumpe hat sich der Fehler �ber zahlreiche Zulieferstufen (fehlerhaft her-gestellte Chemikalie zur Beschichtung von Buchsen, die in der Einspritzpumpe verbaut wurden) er-streckt.

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

dass der Zulieferer auch beim sog. verdeckten Mangel Interesse daran

hat, durch die M�ngelanzeige zeitnah von Produktfehlern zu erfahren,

um die Produktionsserie zu �berpr�fen und eventuell umzustellen

oder rasch Untersuchungen bei seinen Zulieferern einzuleiten. Eben

diese Interessen sch�tzt § 377 HGB, dessen Normzweck grunds�tzlich

gegen die kompensationslose Abbedingung des § 377 HGB (auch) in

QSV-Beziehungen streitet31.

III. Dimensionen eines technologie- bzw.technikbezogenen Unternehmensrechts

Der Technologie- und Technikbezug des Unternehmensrechts er-

sch�pft sich freilich nicht in den Unterst�tzungsleistungen der Quali-

t�tswissenschaft bei der Anwendung des § 377 HGB. Vielmehr lassen

sich Ankn�pfungspunkte auf unterschiedlichen Stufen des Produkt-

entstehungsprozesses anf�hren (dazu unter 1 und 2), im �brigen be-

stehen branchenspezifische Fragestellungen (unter 3).

1. Technische Normen und Standards imUnternehmensrecht

Eine technische Norm ist gem. einer g�ngigen Definition der Interna-

tionalen Standardisierungsorganisation (ISO)32

„ein Dokument, das mit Konsens erstellt und von einer anerkannten Ins-

titution angenommen wurde und das f�r die allgemeine und wiederkeh-

rende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale f�r T�tigkeiten oder

deren Ergebnis festlegt, wobei ein optimaler Ordnungsgrad in einem ge-

gebenen Zusammenhang angestrebt wird.“33

Diese Formalisierung des Verfahrens unterscheidet das Verfahren der

technischen Normung von der Standardisierung (als Vorgang des Set-

zens technischer Standards außerhalb konsensualer Verfahren). Nor-

mung und Standardisierung stimmen indes insoweit �berein, als die

Regelsetzung durch private Organisationen erfolgt. Grunds�tzlich hat

eine technische Norm bzw. ein Standard nur empfehlenden, nicht

aber zwingenden Charakter.

a) (Europ�ische) Technische Normung und der Vertriebtechnischer Produkte im europ�ischen Binnenmarkt

Aus Vertriebssicht stellt sich die technische Normung als das zentrale

Instrument zur �berwindung technischer Handelshemmnisse dar.

Dass rein national gesteuerte Normung innerhalb einer auf freien Wa-

renverkehr ausgelegten supranationalen Rechtsordnung eine Be-

schr�nkung des innergemeinschaftlichen Handels bedeutet, hat die

Kommission schon 1968 erkannt und thematisiert34. In der „Ent-

schließung des Rates vom 7.5.1985 �ber eine Neue Konzeption auf

dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung“35

wurde ein gemischtes „�ffentlich-privates“ Rechtssetzungskonzept

entwickelt, bei dem sich die legislative Harmonisierung durch Richtli-

nien auf die Festlegung grundlegender Sicherheitsanforderungen be-

schr�nkte und die Konkretisierung der Anforderungen im Wege der

Ausarbeitung technischer Spezifikationen anerkannten privaten Nor-

mungsgremien auf europ�ischer Ebene �berantwortet wurde36. Das

Bindeglied zwischen der (im Amtsblatt der EG ver�ffentlichten) tech-

nischen Norm und den Anforderungen der Richtlinie besteht in einer

widerleglichen Vermutung37: Bei Einhaltung der europ�ischen Nor-

men werden Richtlinienkonformit�t und Freiverkehrsf�higkeit des

Produktes vermutet. Das Verfahren zur Bewertung der Konformit�t

eines Produktes mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen in

den Harmonisierungsrichtlinien38 erfolgt auf Grundlage eines Be-

schlusses des Rates39 im Wege von Zertifizierungsverfahren, das gr�ß-

tenteils durch akkreditierte benannte Stellen vorgenommen wird, an-

hand eines oder mehrerer von acht zur Verf�gung stehenden Zertifi-

zierungsmodulen40.

Einen Untersuchungsgegenstand kann das Wesen der technischen Nor-

mung im europ�ischen Binnenmarkt f�r die Unternehmensrechtswis-

senschaft auch hinsichtlich der m�glichen Vorbildwirkung des Modells

„kooperativer Rechtsetzung“ f�r die Regelsetzung im Privat- und Wirt-

schaftsrecht41 bilden. Die Bezugspunkte etwa zur Corporate-Gover-

nance-Forschung, namentlich zum Verh�ltnis zwischen § 161 AktG

und dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)42 sind un-

verkennbar, wobei eine vergleichende Betrachtung zur Gew�hrleistung

von Regeltreue mittels privater Rechtsetzung noch aussteht. In dem

Maße wie das Regelungsmodell kooperativer Rechtsetzung an Bedeu-

tung gewinnt, stellt sich die Frage nach seiner Legitimation. Zwar han-

delt es sich bei den technischen Normen im Grundsatz um freiwillige

Normen, ohne jeden obligatorischen Charakter; dies betonen auch die

Neue Konzeption und die in Umsetzung dieser Konzeption geschaffe-

nen Harmonisierungsrichtlinien43. Gleichwohl herrscht aufgrund der

praktischen Bedeutung und Verbreitung der Normen faktisch ein Be-

folgungszwang44, der der T�tigkeit der europ�ischen Normungsorgani-

sationen einen neuen sozio-normativen Stellenwert verleiht und somit

auch die Ausgestaltung des Normensetzungsprozesses durch private

Gremien in den Mittelpunkt rechtswissenschaftlicher Betrachtung

r�ckt. Diskutiert werden hier �berlegungen, die auf eine nachgelagerte

inhaltliche Kontrolle des Normungsergebnisses durch Dritte hinaus-

laufen, ebenso wie Ans�tze zur Verbesserung der Transparenz und �f-

fentlichkeitsbeteiligung im Normungsverfahren45. Zuk�nftig wird sich

die rechtliche Bedeutung technischer Normen im Allgemeinen und der

Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008 2641

31 So im Ergebnis auch Grunewald, NJW 1995, 1777, 1783 f.; Wellenhofer-Klein, Zuliefervertr�ge im Privat-und Wirtschaftsrecht, 1999, S. 349 f.

32 Dabei handelt es sich um die zentrale Normungsorganisation auf internationaler Ebene; vgl. zu europ�i-schen Normungsorganisationen Wiesendahl, Technische Normung in der Europ�ischen Union, 2007,S. 109 ff.

33 Vgl. DIN EN 45020:2007 unter 3.2.34 Programm vom 7.3.1968 zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse im innergemeinschaftli-

chen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erge-ben, ABl. EG Nr. C 48 vom 16.5.1968; S. 24 ff., welches in eine Entschließung des Rates mit dem Titel„Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr, die sich aus den Unterschie-den in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben“ (ABl. EG Nr. C 76 vom17.6.1969) m�ndete.

35 ABl. EG Nr. C 136 vom 4.6.1985, S. 1 ff.36 Vgl. zu Einzelheiten der Neuen Konzeption Ensthaler/Str�bbe/Bock, Zertifizierung und Akkreditierung

technischer Produkte, 2007, S. 60 ff.; Wiesendahl (Fn. 32), S. 68 ff.37 R�thel, JZ 2007, 755, 758 mit Verweis auf die Grundprinzipien der Neuen Konzeption, ver�ffentlicht als

Anhang II zu den Leitlinien des Rates (Fn. 35).38 Vgl. zum Stand der Umsetzung des technischen Sicherheitsrechts der Europ�ischen Union in deutsches

Recht Wiesendahl (Fn. 32), S 133 ff.39 Beschluss 93/465/EWG �ber die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Modu-

le f�r die verschiedenen Phasen der Konformit�tsbewertungsverfahren und die Regeln f�r die Anbrin-gung und Verwendung der CE-Konformit�tskennzeichnung (Modul-Beschluss) vom 22.7.1993, ABl. EGNr. L 220 vom 30.8.1993, S. 23 ff.

40 Vgl. zum Modularen Konzept Ensthaler/Str�bbe/Bock (Fn. 36), S. 68 ff. und Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Str�bbe, Gestaltung von Aufsichtssystemen im Produktsicherheitsrecht, 2006, S. 65 ff.

41 Grundlegend zur Regelsetzung durch Private Bachmann, Private Ordnung, 2006, wo die europ�ischetechnische Normung allerdings an keiner Stelle erw�hnt wird; vgl. zu Qualit�tssicherungsverfahren inanderen Rechtsgebieten P�nder, ZHR 170 (2006), 567, 589 ff. sowie f�r einen Vergleich der Steuerungs-systeme des internationalen Handels-, Sport- und Technikrechts R�thel, JZ 2007, 755 ff.

42 Vgl. zur Akzeptanz der Empfehlungen des DCGK in der Wirtschaftspraxis anhand empirischer Erhebun-gen v. Werder/Talaulicar, DB 2007, 869 ff.m. w. N. zu fr�heren Untersuchungen (dort Fn. 2); zur Corpo-rate-Governance-Forschung als Gegenstand des Unternehmensrechts vgl. j�ngst Leyens, JZ 2007,1061 ff., 1072.

43 Entschließung des Rates vom 7.5.1985 �ber eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Har-monisierung und der Normung (Fn. 35), Anhang II („Leitlinie einer neuen Konzeption f�r die technischeHarmonisierung und Normung“); aus den Harmonisierungsrichtlinien vgl. etwa Art. 6 Abs. 1 der RL2004/108/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften �ber die elektromagnetische Vertr�glichkeit undzur Aufhebung von der RL 89/336/EWG, ABl. EG Nr. L 390/27: „Die Beachtung einer ,harmonisiertenNorm ,ist nicht zwingend vorgeschrieben.“

44 R�thel, JZ 2007, 755, 759 m. w. N (dort unter Fn. 77).45 Vgl. hierzu R�thel, JZ 2007, 755, 760 f. m. w. N.

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

Akkreditierungs- und Zertifizierungssysteme im Besonderen aller Vor-

aussicht nach ausweiten, sowohl geographisch wie materiell. Denn zum

einen wird technische Normung zunehmend im interkontinentalen

Handelsverkehr eine Rolle spielen, indem sie unter dem Aspekt des Ab-

baus nicht-tarif�rer Handelshemmnisse selbst zum Gegenstand des in-

ternationalen Unternehmens- und Wirtschaftsrechts wird46. Hier

zeichnet sich ein „Battle of Standards“ ab, bei dem von US-amerikani-

scher und asiatischer Seite die Vormachtstellung europ�ischer Normen

und Einfl�sse europ�ischer Gremien auf Normungst�tigkeit hart ange-

gangen wird47. Zum anderen sind mittlerweile nicht nur Produkte

i.S. von Sachleistungen, sondern auch Dienstleistungen Gegenstand

gesetzlich vorgepr�gter48 Mindest(qualit�t)standards. Untersuchungen

dar�ber, inwieweit die auf die Gew�hrleistung von Produktsicherheit

zugeschnittenen Akkreditierungs- und Zertifizierungsinstrumente zur

�berpr�fung von Dienstleistungsqualit�t49 geeignet sind50, stehen

noch aus.

b) Technische Normen und Standards in derProduktentwicklung

W�hrend technische Schutzrechte nicht nur Innovationskompetenz si-

gnalisieren51, sondern dem Inhaber exklusive Rechte vermitteln und

Wettbewerb ausschließen k�nnen, erfolgt die technische Normung im

Allgemeininteresse und dient unter Innovationsgesichtspunkten der

Schaffung von M�rkten. Angesichts dieser idealtypischen Ausgangslage

scheint die technische Normung f�r die (zumeist in der Forschungs-

und Entwicklungsabteilung angesiedelte) Aufgabe des Managements

von Rechten des geistigen Eigentums vordergr�ndig ohne Relevanz zu

sein. Diese Sicht entspricht heute jedoch weniger denn je der Unterneh-

menswirklichkeit: Durch Teilhabe an Normungsaktivit�ten auf allen

Ebenen werden auch kleine und mittlere Unternehmen in die Lage ver-

setzt, auf die Gestaltung von M�rkten Einfluss zu nehmen und eigene

Innovationsvorspr�nge zur Norm zu erheben52. Die Beteiligung sol-

cher Unternehmen an Normungs- und Standardisierungsprozessen

steht im Fokus nationaler und europ�ischer Wirtschaftspolitik.

Freilich kann das Einbringen eigener Patente in den Normentwicklungs-

prozess auch rechtliche Probleme nach sich ziehen. Dies sei an sog. Kom-

patibilit�tsstandards in Systemtechnologien verdeutlicht: Der Kompati-

bilit�tsstandard regelt die fehlerfreie Zusammenf�hrung unterschiedli-

cher Ger�te und Teilprozesse durch Beschreibung von Schnittstellen.

Aus marktstrategischer Sicht ist der Kompatibilit�tsstandard die techni-

sche Norm, die der Systeminnovator (mit)entwickeln muss, um sowohl

seinen Systemtr�gern (Komponentenherstellern, Dienstleistern) als

auch den Anwendern der Technologie Anreize f�r den Einstieg in das

neue System und f�r die T�tigung der hierzu erforderlichen Investitio-

nen zu bieten53. Durch die Herstellung von Kompatibilit�t k�nnen sich

�ber Technologien hinweg sog. Netzwerkeffekte einstellen, die dem

Standardsetzer Zugang zu weiteren M�rkten er�ffnen54.

Soweit die Standardsetzung davon abh�ngt, dass technische Schutz-

rechte zwangsl�ufig vom Standard betroffen sind (sog. essentielles55

Patent), stellen sich entsprechend den divergierenden Interessen der

Beteiligten zwei Problemkreise, die juristischer Kl�rung bed�rfen und

hier nur kurz skizziert werden sollen.

(1) Der mitwirkungsbereite Schutzrechtsinhaber wird daran interes-

siert sein, �ber die Lizenzgeb�hr f�r die Patentnutzung hinaus noch

einen „Normungslohn“ zu erhalten. Hier ist bisher sowohl die Be-

gr�ndung wie auch die Bemessung eines solchen Lohnes (i. S. einer

Erh�hung der Lizenzgeb�hr) weitgehend offen56.

(2) Soweit der Schutzrechtsinhaber seine Mitwirkung jedoch verwei-

gert, sind die Standardsetzer darauf angewiesen, die Gestattung der

Patentanwendung notfalls mit Zwang durchzusetzen. Neben den Mit-

teln des geltenden Wettbewerbsrechts57 ist die Entwicklung prakti-

scher, organisatorischer und legislativer Instrumente58 unumg�nglich.

2. Produktverantwortung als technologischeManagementaufgabe

Der Bereich der herstellerspezifischen Produktverantwortung z�hlt zu

den Kernmaterien des privaten Technikrechts. Angesichts der Weite

des Herstellerbegriffes59 ist er damit zugleich genuines Unterneh-

mensrecht. Letztlich geht es dabei um die Verantwortlichkeit f�r Or-

ganisationsm�ngel60 (dazu unter a). Flankiert wird die juristische

Produktverantwortung des Herstellers durch das Produktsicherheits-

recht, das im nationalen Recht v.a. im Ger�te- und Produktsicher-

heitsgesetz (GPSG) kodifiziert ist (dazu unter b).

a) Vermeidung der ProdukthaftungNeben der Fabrikation ist der Bereich der Konstruktion wohl derjeni-

ge Abschnitt im Produktentstehungsprozess, bei dem die meisten

Haftungsf�lle entstehen. Das Zusammenspiel von technischem Sach-

verstand, �konomischem Kalk�l und juristischen Auslegungsgrund-

s�tzen bei der Streitentscheidung war Gegenstand eines unl�ngst vom

OLG Schleswig entschiedenen Sachverhalt bez�glich eines Konstruk-

tionsfehlers an einer Geschirrsp�lmaschine61:

Das OLG hat der klagenden Ger�teeigent�merin gegen den beklagten

Hersteller auf Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz zuge-

sprochen62, den maßgeblichen Begriff des Produktfehlers jedoch im

Wesentlichen anhand § 3 ProdHaftG hergeleitet. Aus den Entschei-

dungsgr�nden des Urteils geht hervor, dass der hinzugezogene techni-

sche Sachverst�ndige dem Senat die Verneinung eines Produktfehlers

im Wesentlichen anhand von Kostenerw�gungen habe suggerieren wol-

len63, was den Senat jedoch aufgrund der produktimmanenten Gefah-

ren, n�mlich dem Zusammenwirken von Strom und Wasser, nicht

�berzeugt hat. Der von sachverst�ndiger technischer Seite beurteilte

„Stand der Wissenschaft und Technik“64 ist ein f�r die Bestimmung der

berechtigten Sicherheitserwartung i.S. des § 3 ProdHaftG maßgebli-

2642 Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008

46 Ensthaler/Str�bbe/Bock (Fn. 36), S. 151 ff.; f�r einen Vergleich nationaler Markt�berwachungssysteme inEuropa im Produktsicherheitsrecht vgl. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Str�bbe (Fn. 40), S. 75 ff.

47 FAZ v. 23.4.2008, Nr. 95, S. 20 („Der internationale Kampf um Normen nimmt zu“).48 Insb. Art. 26 der Richtlinie 2006/123/EG des Europ�ischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006

�ber Dienstleistungen im Binnenmarkt (sog. Dienstleistungs-RL).49 Beispielhaft zur Messung von Dienstleistungsqualit�t Herrmann, QZ 1999, S. 994 ff.50 Ensthaler/Synnatzschke/Vogt, Maßnahmen zur Qualit�tssicherung, in: Leible (Hrsg.): Die Umsetzung der

Dienstleistungsrichtlinie, 2008, S. 237 ff., insb. S. 247 ff.51 Gem�nden/Birke, Patentbasierte Messung von technologischer Kompetenz junger technologieorientier-

ter Unternehmen, in: Pechlaner (Hrsg.), Unternehmertum und Ausgr�ndung, 2007, S. 114 f. m. w. N.52 Vgl. zu den Motiven von Unternehmen, an Normungsaktivit�ten teilzunehmen ausf�hrlich Blind, The

Economics of Standards, 2004, S. 137 ff., 148 ff.53 Ullrich, GRUR 2007, 817, 819.54 Vgl. zur �konomischen Modellierung von Netzwerkeffekten Blind (Fn. 52), S. 28 ff.55 Ein Patent ist essentiell in dem beschriebenen Sinne, wenn es in technischer Hinsicht nicht m�glich ist,

Waren in �bereinstimmung mit der formellen Norm herzustellen, zu verkaufen oder zu gebrauchen,ohne das Patent zwangsl�ufig zu verletzen, vgl. dazu Verbruggen/Lorincz, GRUR Int. 2002, 815, 820.

56 L�sungsans�tze bei Ullrich, GRUR 2007, 817, 822 f.; vgl. zur Problematik des strategischen, eventuell frei-lich missbr�uchlichen Verhaltens von Schutzrechtsinhabern innerhalb von Standardisierungsprozessen(„Hold-Up“) neuerdings S. Bechtold, GRUR Int. 2008, 484, 486 f.

57 Vgl. dazu K�bel, Zwangslizenzen im Immaterialg�ter- und Wettbewerbsrecht, 2004, S. 262 ff.; A. Heine-mann, GRUR 2006, 705, 706.

58 Vgl. dazu Verbruggen/Lorincz, GRUR Int. 2002, 815, 825 ff.59 Vgl. die Rechtsprechung zum Herstellerbegriff (§ 823 Abs. 1 BGB) und den Wortlaut des § 4 ProdHaftG.60 J. Hager in: Staudinger, BGB, 13. Aufl. 1999, § 823 Rn. F 2.61 OLG Schleswig, NJW-RR 2008, 691 ff.62 Einem Anspruch aus § 1 ProdHaftG stand die Ausschlussfrist nach § 13 ProdHaftG (10 Jahre) entgegen.63 NJW-RR 2008, 691, 692 („stark vom Kostendruck gepr�gte[n] �berlegungen“).64 Vgl. zum Begriff Ensthaler/F�ßler/Nuissl, Juristische Aspekte des Qualit�tsmanagements, 1997, S. 42 ff.

sowie grundlegend Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 164 f.

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

cher Umstand65, der jedoch f�r sich genommen nicht geeignet ist, den

Produktfehler zu konstituieren. Technisches Wissen und �konomische

Rahmenbedingungen (Produkt- und Marktvergleiche, Wettbewerbs-

entwicklung) k�nnen bei der Auslegung von Voraussetzungen wer-

tungsoffener Rechtsvorschriften des Technikrechts dienlich sein, die ju-

ristische Auslegung ersetzen k�nnen sie jedoch nicht. Die berechtigte

Sicherheitserwartung des Produktanwenders i.S. des § 3 ProdHaftG

(ebenso die Begr�ndung herstellerspezifischer Verkehrspflichten)

kennt zwar technische und wirtschaftliche Grenzen, doch wird die Pro-

dukthaftung nicht vorrangig vom Stand von Wissenschaft und Technik

oder vom Primat der Markt- bzw. Branchen�blichkeit bestimmt.

Die �ber die Entscheidungsgr�nde verstreuten Auseinandersetzungen

mit den Kriterien, die gegen einen Produktfehler sprechen, belegen

sodann zweierlei: Der Ansatz interdisziplin�ren wissenschaftlichen

Arbeitens darf nicht zum Selbstzweck verkommen, der �ber die juris-

tische Methodenlehre und ggfs. sogar den Schutzgehalt der Grund-

rechte gestellt wird. �berdies erinneren sie daran, dass eine systema-

tische Aufbereitung der Grenzen der Produkt- und Produzentenhaf-

tung, die �ber punktuelle Ans�tze66 hinausgeht und auch technisch-

�konomisches Wissen aufgreift, noch aussteht.

b) Vorausschauende Produktsicherheit: Das GPSGBei Verbraucherprodukten bildet Gew�hrleistung von Produktsicher-

heit inzwischen nicht mehr nur den Ankn�pfungspunkt f�r verwal-

tungsbeh�rdliches Einschreiten und den Maßstab f�r die Produktent-

wicklung und -fertigung, sondern hat sich zur strategischen Manage-

mentaufgabe verdichtet. § 5 Abs. 1 S. 1 lit. c) GPSG verpflichtet n�m-

lich v.a. Hersteller Vorkehrungen zu treffen, die den Eigenschaften

des von ihnen in Verkehr gebrachten Verbraucherprodukts angemes-

sen sind, damit sie imstande sind, zur Vermeidung von Gefahren ge-

eignete Maßnahmen zu veranlassen. Die Vorschrift f�hrt eindringlich

vor Augen, dass sich die herstellerseitig geschuldete Produktbeobach-

tung nicht in einem passiven „Blick auf das Marktgeschehen“ er-

sch�pft, sondern zu aktivem und vorausschauendem Planen und

Handeln zwingt. Denn sie fordert nichts weniger als die Ausgestal-

tung eines effizienten R�ckrufmanagementsystems, was am ehesten

durch eine enge, interdisziplin�re Zusammenarbeit zwischen Juristen,

�konomen und Ingenieuren gelingen wird67. Die dabei gewonnenen

Ergebnisse sind zugleich f�r die Rechtswissenschaft von Interesse, da

beispielsweise die Stellung des § 5 GPSG im Gef�ge des zivilen Haf-

tungsrechts noch nicht hinreichend gekl�rt ist68.

3. Branchenspezifische Ans�tze eines technologie-orientierten Unternehmensrechts: am Beispielder IuK-Technologien

Bisweilen l�sst sich der Anwendungsbereich des Unternehmensrechts

anhand des „allgemeinen“ Produktentstehungsprozesses nicht mehr

treffend f�r die Branche der Informations- und Kommunikations-

technologie (IuK) darstellen. Das IT-Recht hat sich mittlerweile als ei-

genst�ndiges Rechtsgebiet und „Recht einer Branche“ etabliert. Dass

unternehmerische T�tigkeit auf vielf�ltige Weise durch das IT-Recht

betroffen ist, bedarf keiner weiteren Erl�uterung. Bestimmte Bereiche

k�nnen noch innerhalb der Technologie (z.B. Fragen des Erwerbs

von IT-Produkten, Recht des E-Commerce) betrachtet werden, w�h-

rend sonstige Entwicklungen inzwischen in andere Technologiezweige

�bergreifen. Die Vernetzung zwischen Technologien soll an zwei

Schnittstellen aufgezeigt werden.

a) mit Bezug zur Verkehrstelematik: Fahrerassistenz-und -informationssysteme

Die Erzeugung, �bermittlung und Verarbeitung von Daten vollzieht

sich schon seit langem nicht mehr nur am bzw. im Personal-Computer,

sondern auch innerhalb anderer „technischer Systeme“. So ist etwa der

Einsatz von IuK-Technologien im Kfz bekannt, auch die juristischen

Folgen von innerhalb des Kfz wirkenden Fahrerassistenzsystemen wur-

den bereits beschrieben69. Neu sind hingegen Entwicklungen in der

Verkehrstelematik, die zwecks Erh�hung der Verkehrssicherheit und

Verbesserung des Verkehrsflusses in eine WLAN-gest�tzte Vernetzung

zwischen verschiedenen am Straßenverkehr teilnehmenden Fahrzeugen

(Car-to-Car-Communikation) oder zwischen einem Fahrzeug und der

straßenseitigen Infrastruktur (Car-to-Infrastructure-Communikation)

m�nden sollen70. Soweit hier die �bermittlung und Verarbeitung er-

forderlicher Informationen gest�rt wird71, kann es zu Unfallsituationen

mit komplexen Haftungsfragen kommen. Zwar wird die Haftung f�r

Informationen schon l�nger im Privat- und Unternehmensrecht disku-

tiert72, doch stehen dabei bisher vom Menschen erhobene und/oder

verbreitete Informationen im Vordergrund. Im beschriebenen Ver-

kehrstelematikprojekt geht es hingegen prim�r um die Verantwortlich-

keit f�r systemgenerierte Informationen aus Datens�tzen, bei der die

Informationsbeschaffung bzw. -�bermittlung durch den Menschen al-

lenfalls veranlasst, aber nicht mehr willentlich gesteuert wird. Hier

m�ssen Fragen der Verantwortlichkeit f�r Systemfehler(folgen) neu ge-

stellt und beantwortet werden73.

b) mit Bezug zur modernen LogistikDie Logistik hat sich aus der Materialfluss-, sp�ter auch der Informa-

tionsflusstechnik entwickelt und ist heute zu einer eigenst�ndigen, an

der Schnittstelle zwischen Management- und Ingenieurwissenschaften

angesiedelten Disziplin herangereift. W�hrend die „klassische“ Logi-

stik lediglich an den Ber�hrungspunkten der Funktionsbereiche Be-

schaffung, Produktion und Absatz eingesetzt hat74, integriert mo-

derne Logistik – auf Grundlage prozesshafter Strukturen – Wert-

sch�pfungsketten zu globalen Netzwerken unter Einbeziehung sozio-

�konomischer Faktoren75 und wirkt so auf s�mtliche betriebliche

Funktionsbereiche ein. Aufbauend auf diesem umfassenden Logistik-

verst�ndnis lassen sich in der Praxis vielf�ltige Netzwerke erkennen,

die auf die Bereitstellung physischer Ressourcen gerichtet sind (Sup-

ply Network)76. Innerhalb der Wertsch�pfungskette sind dabei in ho-

rizontaler und vertikaler Ebene Kooperationen denkbar.

Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008 2643

65 So auch Kullmann, ProdHaftG, 5. Aufl. 2006, § 3 Rn. 40 ff.; Ensthaler/F�ßler/Nuissl (Fn. 64), S. 63.66 Wirtschaftliche Zumutbarkeit, technische Machbarkeit; Haftungsausschl�sse des § 1 Abs. 2 ProdHaftG;

Produktfehlgebrauch oder gar -missbrauch; bewusste Selbstgef�hrdung, Sozialad�quanz.67 Vgl. dazu etwa die Ans�tze inkl. Praxisbeispielen bei Klindt/Popp/R�sler, R�ckrufmanagement, 2. Aufl.

2007.68 Klindt, GPSG, 2004, § 5 Rn. 85 („Die zivilrechtlichen Folgefragen werden erheblich sein“). Ungekl�rt ist

bisher etwa, ob § 5 GPSG als Schutzgesetz i. S. des § 823 II BGB anzusehen ist, daf�r (ohne Begr�ndung)Laschet, PHi 2006, 150, 152.

69 Grundlegend Bewersdorf, Zulassung und Haftung bei Fahrerassistenzsystemen im Straßenverkehr, 2005.70 Vgl. dazu etwa die Beschreibung des Projektes „Sichere intelligente Mobilit�t – Testfeld Deutschland

(SIM-TD)“ in Wirtschaftswoche Heft 6/2007, S. 72 ff. sowie den �berblick �ber den Stand der Technik inF. A. Z. vom 22.4.2008, Nr. 94, Seite T1.

71 Die Bandbreite m�glicher St�rungen des Informationsflusses und der Informationsauswertung ist im-mens.

72 Zuletzt bei Kersting, Die Dritthaftung f�r Informationen im B�rgerlichen Recht, 2007, der vor allem An-wendungsf�lle aus dem Kapitalmarkt- und Bilanzrecht anf�hrt.

73 Nicht nur am Maßstab des Privatrechts, sondern auch des Straßen(verkehrs)rechts und Staatshaftungs-rechts.

74 Und durch die Begriffe Transport, Umschlag und Lagerung („TUL“) umfassend zu beschreiben war.75 Baumgarten, Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz in: Baumgarten (Hrsg.),

Das Beste der Logistik, 2008, S. 13 f.76 Wallenburg/Weber, Kooperationen in Logistik und Supply Chain Management, in: Zentes (Hrsg.): Koope-

rationen, Allianzen und Netzwerke, 2. Aufl. 2005, S. 747 ff., 751.

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WirtschaftsrechtEnsthaler/M�ller/Synnatzschke · Technologie- und technikorientiertes Unternehmensrecht

Solche wechselseitigen Beziehungen innerhalb von Netzwerken k�n-

nen auch vertragsrechtlich abgebildet werden: Die Untersuchung

komplexer vertraglicher Beziehungen, auch als „hybride“ Netzwerke77

bezeichnet, hat neben Kettenvertr�gen vor allem Netzvertr�ge zum

Gegenstand, bei denen ein Systemf�hrer mit verschiedenen Beteilig-

ten kontrahiert und diese zusammenf�hrt, um gemeinsame Ziele zu

erreichen. Grundlagen einer Lehre vom Recht der Netz(werk)vertr�ge

sind bereits gelegt78. Als Auspr�gungen unternehmensrechtlich rele-

vanter Netzwerke werden u.a. Just-in-time-Beziehungen behandelt79,

vereinzelt auch der mehrgliedrige G�tertransport und damit, zumal

im Verbund mit Just-in-time-Gesch�ften, Logistikbeziehungen80.

Hier darf erwartet werden, dass unter Ber�cksichtigung der Grundbe-

dingungen logistischer Prozesse die Lehre vom Netzvertrag exemplifi-

ziert und fundiert werden kann. Erste �berlegungen zur Frage, inwie-

weit die Organisation des Netzvertragssystems als eigenst�ndiges (de-

liktisch) gesch�tztes Schutzgut gegen Angriffe außen stehender Drit-

ter zu betrachten ist81, werden nur den Anfang bilden. Anst�ße aus

der Logistik k�nnen m�glicherweise auch zur rechtlichen Beurteilung

von Leistungsst�rungen im Netzwerk herangezogen werden: So wird

seitens der Logistik das zwischen den Kooperationspartnern be-

stehende Vertrauen, das in den Aufbau eines Vertrauenscontrollings

m�nden soll, als Gradmesser zur Beurteilung des Gelingens von Sup-

ply Chain Netzwerken ausgemacht82, was vertragsrechtlich f�r die Be-

urteilung von Nebenpflichten und Haftungsfolgen bedeutsam sein

kann.

Dass die mit der Bew�ltigung logistischer Prozesse zusammenh�ngen-

den rechtlichen Probleme die Entwicklung eines (sich nicht im Trans-

portrecht ersch�pfenden!) Logistikrechts nach sich ziehen m�sse,

wird seitens der Fachwissenschaft inzwischen gefolgert83. Rechtspre-

chung und juristische Lehre tun sich mit der Erfassung der Logistik

als eigenst�ndigem Rechtsgebiet hingegen noch schwer84. Wenn die

betroffene wissenschaftliche Disziplin jedoch entsprechenden Bedarf

anmeldet, sollte sich das Unternehmensrecht dem nicht verschließen.

Dies gilt umso mehr, als an der Schnittstelle zwischen Informations-

technologie und Logistik moderne Technologien entwickelt werden,

die eine handfeste juristische Herausforderung bedeuten. Das Verfah-

ren der Radio Frequency Identification (kurz: RFID) ist eine Technik

zur automatischen Identifizierung und Datenerfassung mithilfe von

Funkfrequenzen, die es gestattet, Gegenst�nde oder auch Lebewesen

mittels Mikrochip mit einer eindeutigen Kennung und Angaben zu

versehen, die dann drahtlos ausgelesen werden k�nnen. In der Logis-

tik wird der Einsatz der Technik insbesondere im Zusammenhang

mit der Verbesserung von R�ckmeldesystemen auf verschiedenen Stu-

fen der Wertsch�pfung genannt85. Aus juristischer Sicht sind bisher

vornehmlich pers�nlichkeits- bzw. datenschutzrechtliche86 sowie ent-

sorgungsrechtliche(!)87 Probleme diskutiert worden, juristische �ber-

legungen zur Nutzung der mit dem Einsatz der RFID-Technologie

verbundenen Chancen waren, soweit ersichtlich, noch nicht Gegen-

stand konkreter Untersuchungen. Dabei bedarf es nicht viel Phanta-

sie, um sich m�gliche vertrags-, haftungs- und handelsrechtliche

Konsequenzen dieser Technologie auszumalen.

IV. Fazit

Plakativ gewendet f�hren die vorstehenden Ausf�hrungen zu folgen-

dem Ergebnis: „Unternehmensrecht ist, was im Unternehmen an

rechtlich relevanten Sachverhalten stattfindet.“ Diese (Ein-)Sicht wird

durch die herk�mmliche Dogmatik und Gliederung des Unterneh-

mensrechts eher verdeckt als gef�rdert, da die traditionelle Lehre den

hier untermauerten Befund ausblendet, dass modernes Unterneh-

mensrecht aber ohne Ber�cksichtigung und Beurteilung der Erkennt-

nisse �konomisch-technologischer Disziplinen nicht auskommen

kann. Die Erkenntnisse sind zahlreich und umfassend:

H�ufig l�sst sich der rechtlich zu w�rdigende Sachverhalt nur unter

Zuhilfenahme technischen Sachverstands erfassen und beurteilen.

Bisweilen fungieren Technologie und Technik als Indikatoren f�r die

(fehlende) Sachgerechtigkeit juristisch-dogmatischer Annahmen. Im

Rahmen der Auslegung wertungsoffener Rechtsbegriffe kann die Be-

r�cksichtigung technologischen Wissens sogar ein Baustein im Sub-

sumtionsprozess sein. Zum Teil kommt technischer Erkenntnis die

Aufgabe zu, Rechtssetzungsorgane zu unterst�tzen bzw. zu entlas-

ten88, an anderer Stelle vermag sie juristische Institutionen auszuf�l-

len. Namentlich im Umfeld neuer Technologien setzen vielfach be-

triebswirtschaftlich-technologische Erscheinungen Maßst�be, die das

Bed�rfnis nach einer Weiterentwicklung des Rechts ausl�sen.

Doch bei aller Verwobenheit kennt die �bernahme technologischen

Wissens oder technologischer Methoden in die Rechtsanwendung

2644 Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008

// AutorenhProf. Dr. Dr. J�rgen Ensthaler ist ord. Professor f�rWirtschafts-, Unternehmens- und Technikrecht an derTechnischen Universit�t Berlin und Richter am OLGZweibr�cken. Er ist Herausgeber der Gemeinschafts-kommentare zum HGB und zum GmbHG. Prof. Ensthalerist St�ndiger Mitarbeiter des „Betriebs-Berater“.

Jun.-Prof. Dr. Stefan M�ller ist seit 2008 Inhaberdas Fachgebietes Zivil- und Handelsrecht (Schwerpunktmoderne Technologien) an der Technischen Universit�tBerlin. Promotion 2006 mit einer Arbeit zu den dogma-tischen Grundlagen des § 253 Abs. 2 BGB n. F. Er forschtund lehrt v. a. zu den privat- und unternehmensrechtli-chen Aspekten von Qualit�t, Innovation und Informa-tion.

Dipl.-Ing. Sebastian Synnatzschke (Wirtschaftsinge-nieur, Patentingenieur) ist seit 2006 als Wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Lehrstuhl f�r Wirtschafts-, Unter-nehmens- und Technikrecht an der Technischen Univer-sit�t Berlin t�tig und promoviert dort bei Prof. Ensthaler�ber die juristischen Aspekte des Qualit�tsmanage-ments unter besonderer Ber�cksichtigung des Risiko-managements.

77 Teubner, ZHR 165 (2001), 550.78 Insbesondere durch Rohe, Netzvertr�ge, 1998.79 Vgl. z. B. M. Wolf, KritV 2006, 253, 261 ff.80 Rohe (Fn. 78), S. 323 ff.81 M. Wolf, KritV 2006, 253, 263 ff.82 Wallenburg/Weber (Fn. 76), S. 747 ff., 759 ff.83 Vgl. dazu die neueste Auflage des zweib�ndigen Werks von Gudehus, Logistik, 3. Aufl. 2006, die erstmals

ein eigenes Kapital Logistikrecht enth�lt (Bd. 2, Kap. 22, S. 1031 ff.).84 Wieske, VersR 2006, 336, der anmerkt, dass sich sogar im Standardkommentar zum Transportrecht von

Koller (5. Aufl. 2004) „nur ganze f�nf Hinweise […] zum Stichwort Logistik“ f�nden.85 Vgl. dazu Straube, e-Logistik, 2004, S. 295 ff. mit einem Ausblick auf k�nftige Entwicklungslinien.86 Holznagel/Bonnekoh, MMR 2006, 17 ff.87 Gliesche/Helmigh, StoffR 2007, 132 ff.88 Dass Technologiefolgenabsch�tzung im Rechtssetzungsprozess außerdem als Entscheidungsgrundlage

dienen kann, sei an dieser Stelle nur erg�nzend angemerkt.

Page 9: Objekt: BBXX - Ausgabennummer: 049 - Seite: U001/ 999 - … · 2008. 12. 2. · Dr. Andreas Geist, RA Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen – Zur Anwendbarkeit, Systematik und

Betriebs-Berater // BB 49.2008 // 1.12.2008 2645

und -fortbildung auch Grenzen: Gelangen Recht und Technik zu un-

terschiedlichen Beurteilungen eines Sachverhalts, muss jede Wissen-

schaft L�sungen aufzeigen, die ihrem Methodenkanon entsprechen.

Schließlich existieren Fallgestaltungen, bei denen sich die Aussagen

der Rechts- und der Technikwissenschaften nicht auf einen gemeinsa-

men Bezugspunkt zur�ckf�hren lassen.

Ein grundlegender Bedeutungsverlust des Rechts muss mit der hier ver-

fochtenen Perspektive allerdings nicht einhergehen. Denn das Aufgrei-

fen technologischen und technischen Wissens bei der Auslegung und

Ausgestaltung von Unternehmensrecht stellt keine „interdisziplin�re

Einbahnstraße“ dar – es bewegt sich umgekehrt die Technik, wie etwa

die laufende �berarbeitung der Norm DIN EN ISO 9001 beweist89, auf

das Recht zu. Eben deshalb sind mittelfristig Untersuchungen �ber den

Stellenwert des Technikrechts in der Gesamtrechtsordnung sowie �ber

die Bedeutung der Technikwissenschaften im Recht und innerhalb an-

derer Gesellschaftswissenschaften unerl�sslich. Im Rahmen des vorlie-

genden �berblicks �ber technologie- und techniknahe Aspekte des Un-

ternehmensrechts konnte dies selbstverst�ndlich nicht geleistet werden.

Eidenm�ller hat das Unternehmensrecht unter Verweis auf eine �uße-

rung aus dem US-amerikanischen Schrifttum als „hottest game in

town“ vorgestellt90 – eine zumindest im Ansatz durchaus treffende

Einsch�tzung. Solange die Unternehmensrechtswissenschaft die viel-

f�ltigen technologie- und technikorientierten Dimensionen jedoch

weitgehend ausblendet, wird die Diskussion, um im Bilde zu bleiben,

ihren Siedepunkt noch nicht erreichen.

BGH: Anlageberatung – Auf vereinzelte kritische Stimmen ineinem Brancheninformationsdienst muss eine Bank nichthinweisen

BGH, Urteil vom 7.10.2008 – XI ZR 89/07

Volltext des Urteils: // BB-ONLINE BBL2008-2645-1

unter www.betriebs-berater.de

LEITS�TZE

1. Aus einem Beratungsvertrag ist eine Bank verpflichtet, eine Kapi-

talanlage, die sie empfehlen will, mit bank�blichem kritischen Sach-

verstand zu pr�fen; eine bloße Plausibilit�tspr�fung ist ungen�-

gend.

2. Eine Bank kann zur Pr�fung von Kapitalanlagen, die sie in ihr Anla-

geprogramm genommen hat, auch bankfremde Erf�llungsgehilfen

einsetzen; hier�ber muss sie einen Anlageinteressenten grunds�tzlich

nicht aufkl�ren.

3. Eine Bank muss nicht jede negative Berichterstattung in Branchen-

informationsdiensten �ber von ihr vertriebene Kapitalanlagen ken-

nen.

4. Hat eine Bank Kenntnis von einem negativen Bericht in einem Bran-

cheninformationsdienst, muss sie ihn bei der Pr�fung der Kapitalanla-

ge ber�cksichtigen. Anlageinteressenten m�ssen aber nicht ohne Wei-

teres auf eine vereinzelt gebliebene negative Publikation, deren Mei-

nung sich in der Fach�ffentlichkeit (noch) nicht durchgesetzt hat, hin-

gewiesen werden.

BGB § 278 S. 1, § 280 Abs. 1 S. 1

SACHVERHALT

Die Kl�gerin begehrt von der beklagten Volksbank Schadensersatz wegen

fehlerhafter Anlageberatung.

Die Kl�gerin und ihr verstorbener Ehemann (nachfolgend: Kl�gerin) wa-

ren seit 1980 Stammkunden der Rechtsvorg�ngerin der Beklagten

(nachfolgend: Beklagte). Im November 1994 ließ sich die Kl�gerin von

dem Mitarbeiter F. der Beklagten �ber eine Kapitalanlage beraten. Der

Inhalt des Beratungsgespr�chs ist streitig. Auf Empfehlung von F. er-

warb die Kl�gerin mit Vertrag vom 5.12.1994 eine Beteiligung an dem

geschlossenen Immobilienfonds „D.“. Dem Beratungsgespr�ch lag der

Verkaufsprospekt der Streithelferin der Beklagten zugrunde. Nicht Ge-

genstand des Beratungsgespr�chs war eine als „Prospekt-Check“ be-

zeichnete Ver�ffentlichung im Brancheninformationsdienst „k.“ (nachfol-

gend: „k.“) vom 12.8.1994, in der es u. a. heißt:

„Der Prospekt enth�lt nicht s�mtliche Informationen, die f�r eine umfas-

sende wirtschaftliche Beurteilung – und somit f�r eine Kapitalanlageent-

scheidung – erforderlich sind. Außerdem werden uns Anleger durch den

gew�hlten Ver�ußerungsfaktor zu sehr reich gerechnet.“

Die Immobilienfondsbeteiligung erwies sich als unrentabel. Unter Beru-

fung auf eine nicht anleger- und objektgerechte Beratung, insbesondere

unterlassene Aufkl�rung �ber im Einzelnen vorgetragene Prospektm�n-

gel, nimmt die Kl�gerin die Beklagte auf R�ckzahlung des Anlagebetrages

nebst eines Agios von 5 % in H�he von insgesamt 37 579,95 Euro sowie

eines entgangenen Gewinns in H�he von 18 920,49 Euro in Anspruch.

Das Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach f�r gerechtfer-

tigt erkl�rt. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zur�ck-

gewiesen. Die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Beklag-

ten f�hrte zur Zur�ckverweisung.

AUS DEN GR�NDEN

9II. … 1. Richtig ist lediglich der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,

dass in Bezug auf die streitgegenst�ndliche Kapitalanlage stillschweigend

ein Beratungsvertrag nach den Grunds�tzen des Bond-Urteils (Senat

BGHZ 123, 126, 128) zwischen den Parteien zustande gekommen ist.

Entscheidungen // WirtschaftsrechtBGH · Anlageberatung – Auf vereinzelte kritische Stimmen in einem Brancheninformationsdienst muss eine Bank nicht hinweisen

89 Vgl. den Entwurf einer Neufassung der Norm DIN EN ISO 9001 (ISO/DIS 9001:2007), bei der erstmaligneben den Kundenanforderungen auch gesetzliche und beh�rdliche Anforderungen explizit Ber�cksich-tigung finden (vgl. etwa „Einleitung unter 0.1. Allgemeines“). Die Norm DIN EN ISO 9001 ist f�r das Qua-lit�tsmanagement von herausragender Bedeutung.

90 Eidenm�ller, JZ 2007, 487 (dort Fn. 2) mit Bezug auf Buxbaum Del. J. Corp. 18 (1993), 867, 868.