Objektive Messung von Restspannungen in Echtzeit · methode ist der so genannte Total Gage R&R...

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1 GLASIngenieur 5 • 2011 Fachberichte Jahrzehnte lang waren manuell zu bedienende Polariskope und Polari- meter die Standardmethode zur Be- stimmung von Restspannungen in Glas, bei Flaschen z.B. gemäß ASTM C148. Polariskope machen Spannun- gen durch Falschfarben sichtbar, die visuell mit Referenzstandards (z.B. Strain Discs oder Verzögerungs- skalen) verglichen werden, um die Spannungen größenmäßig abzuschät- zen. Diese Methode liefert allerdings eher qualitative als quantitative Er- gebnisse und ist bei Farbgläsern nur eingeschränkt oder gar nicht anwend- bar. Polarimeter hingegen ermögli- chen eine quantitative Messung durch Bestimmung der spannungsindu- zierten Polarisationsänderung mittels eines drehbaren Analysators. Die mit manuell bedienten Polarime- tern erzielten Messergebnisse sind jedoch stark vom jeweiligen Benut- zer abhängig und damit subjektiv. Außerdem ist Farbglas schwer zu messen, da die Lichtmenge bei dunk- len Gläsern für eine verlässliche Mes- sung oft nicht ausreicht. Die Ergeb- nisse von statistischen Gage R&R- Tests zeigen daher, dass die mit ma- nuell/visueller Messung erzielbare Reproduzierbarkeit nicht im akzep- tablen Bereich liegt. Automatische Messung Die automatischen Polarimeter-Sys- teme der StrainMatic ® -Serie (Bild 1) Henning Katte, Erlangen Objektive Messung von Restspannungen in Echtzeit Mechanische Spannungen können die Bruchfestigkeit und Verarbeitbarkeit von Glasprodukten stark beeinträchtigen. Die produktionsnahe Prüfung auf Restspannungen ist daher ein wichtiger Bestandteil der Qualitätskontrolle. Die Neuentwicklungen StrainScope ® und StrainCam ® ermöglichen die objek- tive Messung von Eigenspannungen in Echtzeit in Form von Stichprobenprü- fungen oder direkt im Produktionsprozess. Bild 1: StrainMatic ® M2/250 Polarimeter-System zur automatischen und objektiven Messung von Restspannungen in Behälterglas. Bild: ilis Bild 2: StrainMatic ® Bedienoberfläche mit Messergebnis. Bild: ilis

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Jahrzehnte lang waren manuell zubedienende Polariskope und Polari-meter die Standardmethode zur Be-stimmung von Restspannungen inGlas, bei Flaschen z.B. gemäß ASTMC148. Polariskope machen Spannun-gen durch Falschfarben sichtbar, dievisuell mit Referenzstandards (z.B.Strain Discs oder Verzögerungs-skalen) verglichen werden, um die

Spannungen größenmäßig abzuschät-zen. Diese Methode liefert allerdingseher qualitative als quantitative Er-gebnisse und ist bei Farbgläsern nureingeschränkt oder gar nicht anwend-bar. Polarimeter hingegen ermögli-chen eine quantitative Messung durchBestimmung der spannungsindu-zierten Polarisationsänderung mittelseines drehbaren Analysators.

Die mit manuell bedienten Polarime-tern erzielten Messergebnisse sindjedoch stark vom jeweiligen Benut-zer abhängig und damit subjektiv.Außerdem ist Farbglas schwer zumessen, da die Lichtmenge bei dunk-len Gläsern für eine verlässliche Mes-sung oft nicht ausreicht. Die Ergeb-nisse von statistischen Gage R&R-Tests zeigen daher, dass die mit ma-nuell/visueller Messung erzielbareReproduzierbarkeit nicht im akzep-tablen Bereich liegt.

Automatische Messung

Die automatischen Polarimeter-Sys-teme der StrainMatic®-Serie (Bild 1)

Henning Katte, Erlangen

Objektive Messungvon Restspannungen in EchtzeitMechanische Spannungen können die Bruchfestigkeit und Verarbeitbarkeitvon Glasprodukten stark beeinträchtigen. Die produktionsnahe Prüfung aufRestspannungen ist daher ein wichtiger Bestandteil der Qualitätskontrolle.Die Neuentwicklungen StrainScope® und StrainCam® ermöglichen die objek-tive Messung von Eigenspannungen in Echtzeit in Form von Stichprobenprü-fungen oder direkt im Produktionsprozess.

Bild 1: StrainMatic® M2/250Polarimeter-System zurautomatischen und objektivenMessung von Restspannungenin Behälterglas. Bild: ilis

Bild 2: StrainMatic® Bedienoberfläche mit Messergebnis. Bild: ilis

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wurden entwickelt, um den Bediener-einfluss auf das Messergebnis zu eli-minieren und so verlässliche Mess-werte zu erhalten. Die Messung undAuswertung der Restspannungen isthier voll automatisiert, der Bedienerwählt lediglich das passende Mess-programm (in dem Parameter wie dieArtikelhöhe und der Bodendurch-messer festgelegt sind) und startet dieMessung. Bild 2 zeigt exemplarischdas Messergebnis einer Flaschenwandin Falschfarbendarstellung (blau stehtfür kleine Werte, grün und gelb fürmittlere und rot für hohe Werte). DieBereiche mit der höchsten Rest-spannung werden automatisch ermit-telt und mit hinterlegten Grenzwertenverglichen.

Im Fall von Behälterglas ist die Mes-sung des Bodens in der Regel ausrei-chend, da hier die Restspannungendurch den Kontakt mit dem Trans-portband am kritischsten sind. Bild 3zeigt ein typisches Messergebnis fürden Boden eines Konservenglases.Aus historischen Gründen werden dieMesswerte in der Einheit scheinbareroder realer Tempergrad (gemäßASTM C 148) angezeigt.

Die Reproduzierbarkeit der Messungliegt im Bereich von 1/10 Tempergrad,was z.B. eine Auswertung der Ergeb-nisse in Abhängigkeit von der Positi-on auf dem Kühlband und der Form-nummer ermöglicht. Die StrainMaticfindet seit einigen Jahren in derQualitätskontrolle und in der Kühl-bahn-Optimierung Verwendung. Inmehreren Projekten wurde gezeigt,dass der Energieverbrauch durch kon-sequente Optimierung der Kühlofen-Einstellungen auf Basis genauerSpannungsmessung signifikant redu-ziert werden kann.

Messung in Echtzeit

Die Messdauer von ca. 20 Sekundenbegrenzt den Probendurchsatz, so dassdie Prüfung typischerweise in Formvon Stichproben erfolgt. Um die Mes-

Bild 3: Verteilung der Restspannungen im Bodenbereich einesBehälterglases. Bild: ilis

sung zu beschleunigen und dieMessfrequenz zu erhöhen, wurde eineneue Produktlinie entwickelt. DasStrainScope® (Bild 5) misst und visu-alisiert Restspannungen in Glas inEchtzeit und ist flexibel überall dorteinsetzbar, wo bisher konventionelle

Polariskope und Polarimeter verwen-det werden. Im Gegensatz zu diesenliefert das StrainScope jedoch objek-tive und reproduzierbare Messwerte;der Einfluss von verschiedenen Be-dienern auf das Messergebnis istdadurch weitgehend eliminiert.

Bild 4: StrainScope® S3/180 Polarimeter-System zur automatischenMessung von Restspannungen in Echtzeit. Bild: ilis

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Bild 5 zeigt einen Screenshot derStrainScope-Bedienoberfläche. Dasgroße Farbbild zeigt die Spannungs-verteilung in der Probe innerhalb desSichtfeldes der Kamera (hier derBodenbereich einer Getränkeflasche).Zusätzlich wird zur Orientierung daszugehörige Grauwertbild rechts obenim Fenster angezeigt. Auch enghalsigeFlaschen können durch Neigen desFlaschenhalses zerstörungsfrei ver-messen werden. Der angezeigte Er-gebniswert bezieht sich auf das Fa-denkreuz in der Bildmitte. Durch Be-tätigen des Stopp-Schalters, der auchüber einen Fußschalter aktiviert wer-den kann, wird das aktuelle Bild ein-gefroren und kann zu Doku-mentationszwecken gespeichert wer-den. Beim Speichern wird optionalder Messwert per RS-232/422/485 anein QS-System übermittelt.

Wiederholbarkeit undReproduzierbarkeit

Um die Verlässlichkeit der drei Mess-methoden (manuell mit Standard-Polarimetern, automisch mitStrainMatic, halbautomatisch mitStrainScope) zu ermitteln, wurde eineGage R&R-Studie (Gage Repeat-ability and Reproducibility) durchge-führt. Zu diesem Zweck wurden achtGlasbehälter mit unterschiedlichenRestspannungsniveaus mit jedemGerät vermessen. Jede Probe wurdedrei Mal von drei verschiedenen Be-dienern vermessen, insgesamt also 72Messungen pro Messgerät durchge-führt.

Ein Maß für die Eignung einer Mess-methode ist der so genannte TotalGage R&R Percentage Value, der ausden Messergebnissen berechnet wird.Ein hoher Wert signalisiert dabei ei-nen großen Bedienereinfluss. PerDefinition gelten Gage R&R-Werteunterhalb von 30% als akzeptabel,Werte unter 20% als gut und Werteunter 10% als ausgezeichnet. DieStrainMatic schnitt mit einem Total

Bild 5: StrainScope® Bedienoberfläche mit Anzeige der Spannungs-verteilung im Bodenbereich einer Getränkeflasche. Bild: ilis

Das Herz des StrainScopes ist dieebenfalls neu entwickelte StrainCam®,eine intelligente Kamera, die für je-des Pixel zusätzlich zum Grauwerteinen Spannungswert liefert. DieStrainCam ist auch als eigenständigesProdukt zur direkten Integration in

die Produktion und in Prüflinien ver-fügbar. Die hohe Messfrequenz von600 Messungen pro Minute ermög-licht die 100%-Prüfung der Produkti-on – ein großer Vorteil zur Vermei-dung von Fehlproduktionen und Re-klamationen.

Bild 6: Grafische Darstellung der Gage R&R-Testergebnisse. Dieblauen Linien zeigen die Streuung der Messungen (je länger dieLinie, desto höher die Varianz). Bild: ilis

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Gage R&R-Wert von 6% am bestenab, gefolgt vom StrainScope mit 18%und dem Standard-Polarimeter mit35%. Bild 6 fasst die Messergebnissefür alle Prüfkörper (mit A bis H be-zeichnet) zusammen.

Zusammenfassung undAusblick

Auch wenn die vollautomatischeMessung mit der StrainMatic die bes-ten Ergebnisse in Bezug auf Re-produzierbarkeit zeigt und umfang-reiche Auswertemöglichkeiten bietet,ist das StrainScope in der Anwen-dung schneller und flexibler. Außer-dem unterscheidet sich das Proben-

handling nicht von einem Standard-Polarimeter, so dass der Schulungs-aufwand für neue Bediener geringausfällt. Letztlich entscheidet der Ein-satzzweck, welches Gerät besser fürdie Messaufgabe geeignet ist. Stehtdie Prozessoptimierung im Vorder-grund, wird die StrainMatic die ersteWahl sein. Wenn der Hauptfokus aufder routinemäßigen Qualitätskontrollenahe zur Produktion liegt und Flexi-bilität wichtiger ist als eine optimaleReproduzierbarkeit, dürfte dasStrainScope das geeignetere Mess-mittel sein.

Durch die hohe Messfrequenz von biszu 20 Hertz ist die StrainCam für denEinsatz in Inline-Inspektionsmaschi-

nen prädestiniert. Anstelle der bisherverwendeten einfachen Intensitäts-prüfung mit gekreuzten Polarisatorenwird so die 100%-Prüfung der Pro-duktion auf Restspannungen möglich.Außerdem können Schwellwerte fürdie Defekterkennung unabhängig vonder Glasfarbe und anderen Parame-tern definiert werden.

Weitere Informationen/Autor:ilis gmbh, Henning Katte,Konrad-Zuse-Str. 12,D-91052 Erlangen,T: +49 (9131) 9747791,Fax: +49 (9131) 9747799e-Mail: [email protected],www.ilis.de