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Über die Anfänge des Denkens und zum frühen Gehirn Aufsatz zur Soziologie der Steinzeit – von der Höhlenmalerei zum Göbekli Tepe Lars Hennings Berlin 2020 ( 23.02.20 )

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Über die Anfänge des Denkensund zum frühen Gehirn

Aufsatz zur Soziologie der Steinzeit – von der Höhlenmalerei zumGöbekli Tepe

Lars Hennings

Berlin 2020

( 23.02.20 )

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Über die Anfänge des Denkens und zum frühen Gehirn Aufsatz zur Soziologie der Steinzeit – von der Höhlenmalerei zum Göbekli Tepe

Lars Hennings

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Berlin 2020 / 23.02.20

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Inhaltsverzeichnis

Einführung ....................................................................................5Re-konstruktion und Sinn .............................................................6Zum Vorlauf dieser Studie ...........................................................7Sich selbst verändernder Prozess .................................................9Frühes (Prä-) Bewusstsein ..........................................................10Sinn als Differenz zum Tier .......................................................12Zum humanen Gehirn .................................................................14Nachgeburtliche Ontogenese ......................................................17„Urbanität“ in der Steinzeit? ......................................................20Exkurs: Lucy ..............................................................................24Zäsuren der Kognition ................................................................26

Ältere Wildbeuter¡nnen .....................................................................26Jüngere Wildbeuter¡nnen ..................................................................27Sozial-differenzierte Gemeinschaft ..................................................28

Literatur ......................................................................................29Kurzfassung des Gesamtkonzepts ..............................................32

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4 | Einführung

Modell-Fotos: Göbekli Tepe Anlage D

Göbekli Tepe: Anlage D; Bau ca. vor11.500 Jahren; System-Modell/ Aufsicht;Dunkelgrau = Pfeiler, Hellgrau = vermu-tet; dünne grüne Linie = ungefähr Innen-begrenzung Mauer und „Sitzbank“; Pfeil = Mauer mit Einstieg. Die Wände erreichten wohl die Pfeilerköpfe.

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Einführung Mit einer interdisziplinären Soziologie die Steinzeit erkunden zu wollen,

wird spontan als fragwürdig erscheinen. Dafür sei doch die Archäologie mit ihren Hilfswissenschaften zuständig, zu deren Deutungsmacht auch das Soziale gehöre, mag die Vorstellung sein; und der Generalnenner bleibe doch die Evo-lution, deren Grundlage – seit Darwin – die Biologie sei. Und stadessen soll eine soziologische Analyse bereits für die Epoche des Jung-Paläolithikums, die von vor 40.000 bis vor 10.000 Jahren datiert ist und mit der Entwicklung der Landwirtschaft endete, möglich sein? Wo als Quellen nur ein paar steinere Werkzeuge und erste Skulpturen, Flöten und Malereien bekannt sind? Hier set-zen meine Thesen an, um eine gegenteilige Ansicht mit weitgehender empiri-scher und naturwissenschaftlicher Basis darzustellen. Denn es gibt noch eine weitere wesentliche Quelle für jene Zeit: der Mensch selbst, Homo sapiens. Vorallem kann geprüft werden, welche kognitive Konstitution nötig gewesen ist, umjene Quellen herzustellen und wann welche Kompetenz entstanden war.

Wesentlich für den Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist jenes Bauwerk mit der Bezeichnung Göbekli Tepe im Süd-Osten Anatoliens nahe der früheren Stadt Edessa, die heute Şanlıurfa heisst. Erst Ende des letzten Jahrhunderts wur-den Teile ausgegraben, und Überraschendes wurde sichtbar: Wildbeuter¡nnen hatten bereits vor 11.500 Jahren in der untersten Schicht der bislang bekannten Grabung vor allem drei kreisförmige Bauten errichtet, deren Kennzeichen grosse T-förmige Steinpfeiler von an zehn Tonnen Gewicht sind. Im Rund ste-hen etwa ein Dutzend dieser T-Pfeiler, die an die drei Meter Höhe haben und mit Mauern zu wahrscheinlich nach oben offenen Räumen gruppiert waren, in deren Mitte zwei ausdrücklich als männlich charakterisierte Figuren von fünf-einhalb Meter Höhe errichtet wurden; vielleicht sollten sie den Himmel stützen. Die Pfeiler sind allseitig aus dem Fels geschlagen und mit Flachreliefs versehen,die wahrscheinlich eine Geschichte erzählen. (Schmidt, 2008)

Ich bezeichne diese Stätte – deren Anlage D ich in der obigen Skizze in Form eines (scharfkantigen) System-Modells zeige – als ein Geistiges Zentrum. Ob es ausschliesslich eine Art Tempel gewesen ist, klösterlich abgeschieden womöglich, oder der Verkehrsmittelpunkt einer Art „urbaner Region“ gewesen ist, bleibt derzeit offen, wenn mir letzteres nach der Quellenlage auch als hoch-wahrscheinlich gilt. In jedem Fall kann zu jener Zeit die gedankliche Basis sol-chen Bauwerks nur eine definierte Religion gewesen sein, die das allgemein religiöse Denken früherer Zeit bereits überwunden hatte, das meist als Animis-mus bezeichnet wird. Doch alles in der Welt blieb weiterhin von – erst jetzt benannten – Geistwesen geschaffen und bewegt. Die Figuren zeigen sich mir deshalb – im allgemeinen Verständnis historischer Wissenschaften – als Gött¡n-nen, als ein Pantheon, das – sei betont – jenen in Sumer und noch Griechenland ähnelte: eine kleine Gruppe von Hochgött¡nnen mit einem oder zwei führenden

Einführung | 5

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Männern und wahrscheinlich auch seinerzeit bereits einer grossen Zahl weniger wichtiger Geist- oder Gottes-Figuren. Die waren möglicherweise ältere animis-tische Geistwesen, primär Naturgeister, worauf die in den Reliefs am häufigstendargestellten Schlangen und Füchse verweisen könnten.

Der Göbekli Tepe, zu dem die Siedlung seiner Erbauer¡nnen nicht bekannt ist – sie wird unter Şanlıurfa vermutet –, (Schmidt, 2008) veränderte die Sicht auf die Steinzeit grundlegend. Noch heute werden Wildbeuter¡nnen an kompe-tenter Stelle als blosse „Jäger und Sammler“, verstanden, die in kleinen Grup-pen durchs Land zogen, zu kriegerischen Konflikten keinen Anlass hatten, denen sozialer Status fremd war und die Besitztümer teilten. So stellt Doyle denStand des Wissens der Max-Planck-Gesellschaft für Menschheitsgeschichte jüngst noch dar. (2017) Dabei sind grössere Siedlungen sesshafter Wildbeuterei lange als viel älter bekannt. (Eiszeit, 2009) Nun wurde es nötig, jenes Geistige Zentrum in die Geschichtsforschung einzuordnen, zu fragen, wie es entstehen konnte, welche Lebensweise vorhanden sein musste, um es religiös als Symbol zu konzipieren, als Bauwerk zu planen und zu errichten. Wir müssen sein Ent-stehen zu re-konstruieren und den Sinn zu ergründen versuchen.

Re-konstruktion und Sinn Es sind diese zwei Begriffe, Re-Konstruktion und Sinn, an denen vorab

methodische Hinweise gegeben werden sollen, unter welchen theoretischen Vorstellungen in dieser Studie vorgegangen wird, und aus welchem Umfeld die analytische Basis kam, um diese Studie zu beginnen. Mit einem „realen Kon-struktivismus“ wird seit Piaget gemeint, Säuglinge müssten nach ihrer Geburt sich die neue, nun viel differenziertere Umwelt aktiv in ihren Geist konstru-ieren, um sie langsam, aber sicher, verstehen zu lernen, sich in ihr bewegen zu können. Dabei geht es – mit besonderer Betonung gesagt – um einen empiri-schen Zugriff auf die „Welt“, den die Kinder unbewusst leisten müssen, um in ihrer frühen Zeit vor allem durch Imitieren von Bezugspersonen Handlungs-schemata erwerben zu können. (Piaget/ Inhelder, 1955; Tomasello, 2006; Bischof-Köhler, 2011)

Und ebenso ist der reale Konstruktivismus oder konstruktive Realismus, dereinem ideell-symbolischen Konstruktivismus deutlich entgegensteht, (Dux, 2008) als sozialwissenchaftliche Theorie eine empirische Analyse. Wird kindli-ches Prozessieren des Gehirns analog in die Geschichtswissenschaft übertragen,weil in der Entwicklung der Gattung Homo nur Praxis werden konnte, was jene Frühmenschen individuell jeweils lernen konnten, gilt es ebenso die Empirie zurBasis zu machen. Beispielsweise ist zu re-konstruieren, wie Sprache von Tierenherkommend bei Homo sapiens ohne Vorlauf erstmals eigenständig entstehen konnte, und sie nicht einfach an den Anfang der Geschichte zu setzen, zu behaupten, mit ihr sei Geist und Bewusstheit quasi von selbst in die Welt

6 | Re-konstruktion und Sinn

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gekommen. Dabei wird es durchaus darum gehen, wie Sprache als Teil von Sinn und Kognition sich vom Tier her entwickelte, wie sich die kategoriale Logik über die Zeiten (und bis heute) änderte und die Ausweitung der Kognitionnicht bloss ein mehr oder weniger stetiges Ansammeln von Wissen ist. Wie alsoim Tier-Mensch-Übergang aus blosser Natur Sinn werden konnte, den – in der hier verwandten Definition – nur Menschen entwickelten. Dabei ist zu betonen, in der Frühzeit des Homo sapiens fand – anders als beim heutigen kindlichen Bewusstseins- und Spracherwerb – die Ontogenese ohne Sprache statt, da auch Erwachsene beides noch nicht kannten. Es entstand damals etwas ganz Neues! Und wir werden die Stufen dieser Entwicklung noch besprechen, wie mit non-verbaler Zeichensprache im Gehirn die Grundlage für das Sprechen geschaffen werden musste. (Tomasello, 2011) Wie mit der Sprache eben angedeutet, sind mehrere Pfade historischer Entwicklung re-konstruktiv zusammenzufügen, um die besondere Phase der Menschwerdung ab dem Beginn des Jung-Paläolithi-kums zu verstehen, als durch die archäologischen Funde eine neue Form der Kommunikation sichtbar wird. Das (1) Formen oder Schnitzen kleiner Figuren und (2) Flöten (Musik) zusammen mit der (3) Höhlenmalerei verbinden sich mitund aus der Gestik der frühen Zeichensprache und ersten erlernten Lauten im Sinne von Namen zu dieser neuen Kognition; zusammen zu einer neuen Form der Kommunikation.

Zum Vorlauf dieser Studie Diese Studie entstand in mehreren Schüben – die in einem Band von

Materialien zusammengefasst wurden, (Hennings, 32020) – aus einer früheren Arbeit zur Wissenschaftsgeschichte der Soziologie am Beispiel von Marx und Engels. Die hatten in ihrem Werk – wesentlich Francis Bacon folgend – wohl erstmalig in konzentrierter moderner Form herausgestellt, dass Menschen auf Basis ihrer Lebenswelt eigene jeweilige Umwelten erschaffen, und mit ihrer Skizze zur Urgeschichte auf den Beginn des Prozesses der Sozialität als „Urkommunismus“ verwiesen, auf die Frage nach den frühen Institutionalisie-rungen. Später entstand bei ihnen daraus die Idee einer „Weiberherrschaft“ als anfänglichste soziale Lebensform jenseits von Tieren, woraus wiederum, ver-mittelt über die Sowjetideologie, viel später bei einem Teil früher feministischerBewegung eine Vorstellung von einer Urmutter als Göttin entstand. (Hennings, 142017) Sie wirkt bis heute fort. Denn von Anfang an geht es in der Geschichte auch um den offenkundig „ewigen“ Geschlechterkonflikt, wie er am Göbekli Tepe mit der ausdrücklichen Betonung der beiden Haupt-Götter als Männer besonders deutlich erscheint.

Mein weitergehender Zugang zur Urgeschichte schien dann durch die kon-zeptionelle Verbindung der nachgeburtliche Ontogenese als Movens der Phy-logenese möglich zu werden, wie ihn Dux herausstellt. (2008, 2019) Damit

Zum Vorlauf dieser Studie | 7

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konnte historisch, über den Göbekli Tepe weit zurück, entlang der archäologi-schen Funde zu den Anfängen des Homo sapiens in Eurasien abgestiegen wer-den, der seine Streifgebiete über etwa 10.000 Jahre aus Afrika kommend hierherimmer wieder ausgeweitet hatte.

Mein Interesse an der Steinzeit kam also aus einer eher beiläufigen Vorstel-lung von einer „Urgemeinschaft“, die als einfachste Menschengruppen kaum schon soziale Verhältnisse institutionalisiert hatte. Sich mit ihr zu beschäftigen schien als konkrete Darstellung, wie die Menschen früh ihre eigenen Umwelten schufen, möglich zu werden, als die Kenntnis des Göbekli Tepe hinzukam. Dassdieses Bauwerk nicht von einfachsten Wildbeuter¡nnen erbaut worden sein konnte, schien selbstverständlich (ich war früher Architekt). Also entstand die Frage, ob die Archäologie hinreichend Material bereit hielt, um einen Prozess vorerst absteigend in die frühere Zeit verfolgen zu können. Und bald wurde klar, es konnte der Beginn des Jung-Paläolithikums als dessen Anfang analy-siert werden, weil es noch weiter zurück viel weniger Material gibt, (Garcea, 2010) weil aber zugleich mit dem als (ziemlich) sicher anzunehmenden Beginn der Höhlenmalereien im Zusammenhang mit der neuen Form der Kommunika-tion vor fast 40.000 Jahren zugleich ein Anfang von Handlungen erkennbar wurde, der in den grafischen Darstellungen vom Göbekli Tepe eine mehr oder weniger direkte Fortsetzung zu finden schien. Von hier aus zeigte sich die auf-steigende Beschreibung der Geschichte als re-konstruierbar.

Auch aus dem Vor-Wissen, erst seit jener Zeit habe Homo sapiens Eurasien aus Afrika kommend erreicht, wurde beim gedanklichen Absteigen vom Göbe-kli Tepe zu den jeweils früheren historischen Zuständen deutlich, die Quellen-lage würde es nicht nur erlauben, sondern nötig machen, mit dem Anfang jener Epoche zu beginnen. Und ebenso wurde plausibel, nur eine soziologische Ana-lyse sei dafür geeignet, sofern gültig ist, Homo sapiens sei als Art/ Spezies lange zuvor im Sinne Darwins genetisch stabilisiert gewesen. Dann kann Wan-del der Lebensweisen, der die Geschichte prägt, nur ein sozialer Wandel gewe-sen sein, der Lernprozessen und dem daraus folgenden (immer sozialen) Han-deln folgt. Und als wichtigste Möglichkeit bei der Analyse der archäologischen Funde hinsichtlich der Kognition der Menschen entstand die Frage: was war mindestens nötig, um jene Artefakte herzustellen? Musste es beispielsweise für die neue Form der Kommunikation mit dem Schnitzen der Figuren von Tier, Mensch und Flöte, dann der Projektion dieser Objekte in die zweidimensionale Darstellung, der Zeichnung und Malerei, eine grammatikalisch ausgeprägte Sprache gegeben haben, wie sie am Göbekli Tepe zweifellos bestand? Nein!

Zudem fielen in die Zeit meiner Forschung zu diesem Thema und erst kürz-lich, meine Thesen nachdrücklich bestätigend, neue Funde an. Eine Grabung förderte in Nordafrika ein Skelett zutage, das Homo sapiens nun als 100.000 Jahre früher als zuvor einordnete. Ergänzt wurde diese Forschung durch die

8 | Zum Vorlauf dieser Studie

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Erkenntnis, die hohe Stirn sei bei Sapiens bereits zu diesem früheren Zeitpunkt entwickelt gewesen, nicht aber die runde Form des Hinterkopfes, die erst vor etwa 35.000 Jahren allgemein ausgebildet sei. (MPF, 2.2017; Neubauer u. a., 2018) Hinter der hohen Stirn entstand mit dem Präfrontalen Kortex der wich-tigste Teil unseres Gehirn für die Sozialität; er ist relativ deutlich grösser als bei allen anderen Lebewesen. (Affentranger, 2006) Aus der späten Ausbildung der Schädelform entsteht die Frage, ob die Spezies Homo sapiens überhaupt erst dann als stabilisiert im Sinne Darwins anzusehen ist. Und aus dem Wissen um den Präfrontalen Kortex und dem über das humane Gehirn heute jene, ob im Rahmen des stabilierten Körpers das sich zu einer hochgradigen Dynamik und Plastizität fähig zeigende Gehirn (Rössler, 2011) überhaupt als stabilisiert zu verstehen ist.

Sich selbst verändernder Prozess Historische Re-Konstruktion für jene frühe Zeit knüpft an der Quelle:

Mensch an, und dort an der nachgeburtlichen Ontogenese. Analog wie ein Kind vieles Lernen muss, bevor es Sprechen kann, mussten die aus dem Tierischen evolutiv, d. h. biologisch/ genetisch entstandenen Urmenschen (der Gattung Australopithecus) und dann die Frühmenschen der Gattung Homo in ihrem his-torischen Werden Geist und Sprache erstmals entwickeln oder erwerben. Der Tier-Mensch-Übergang wurde zur sozialen Phylogenese. Homo sapiens stammt von Homo erectus in Afrika ab, nicht aber vom Affen, mit dem es wiederum gemeinsame Vorfahren gibt, und auch nicht von Homo neanderthalensis, der nur in Eurasien aus Erectus entstand. Der Beginn des Jung-Paläolithikums wird mit dem Erscheinen von Sapiens in Eurasien vor 40.000 Jahren datiert (und immer sichtbarer werden Funde von Sapiens jener Zeit in Ostasien).

Die angesproche elementare Frage zu beantworten, wie anstelle einer blos-sen Setzung oder Behauptung der Sprache als den Menschen immer schon gegeben, deren Entstehung möglich wurde, erlaubt nur die Re-Konstruktion ihres Erwerbs. Um ihre Entstehungsgeschichte zu erfassen, ist also der Prozess zu analysieren, wie sie entstehen konnte. Vor allem, ob sie aus tierischen Lautensich bilden konnte, oder ob diese nur das Instrument dazu sind, das Sprechen aber nicht tierischen Lauten, sondern dem Zeigen, Zeichen geben und dann der Gebärde als kognitive Vorbereitung nur folgen konnte. (Tomasello, 2011) Und ob damit verbunden Veränderungen im Gehirn nötig waren. Dazu müssen wir wiederum den Anfang des Prozesses erkennen können, von dem aus eine Re-Konstruktion möglich ist, was sich empirisch zugetragen hat.

So weit ich sehe waren es ebenfalls Marx/ Engels, die erstmalig den Prozessals Basis der Geschichte hinreichend komplex erkannten, wenn sie ihn auch nicht hinreichend erklärten. (Hennings, 142017) Marx erläutert ihn zuerst etwas genauer in Hinsicht auf sozialwissenschaftliche Begriffe in einem nicht zur Ver-

Sich selbst verändernder Prozess | 9

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öffentlichung gedachten Text am Beispiel der Bevölkerung und das nötige Vor-gehen eher beiläufig in einem Nachwort zum „Kapital“. Es müsse das Phäno-men Bevölkerung zuerst durch das Absteigen zu einfacheren begrifflichen Elementen angegangen werden, wobei er auf die Ware für die Bevölkerung der kapitalistischen Gesellschaft kam. Erst dann könne nun von dort aus ein Auf-steigen in der Beschreibung hin zu deren Begriff führen. Statt vom Begriff nun auf die Geschichte bezogen heisst dies: von einer bestimmten, bekannten histo-rischen Situation ist absteigend zurückzugehen, um erstmal zu erkennen, was der vorherige Schritt und die jeweilige Ursache für ihn gewesen ist. Gelingt das Epoche über Epoche über die notwendigen Zeiträume, lässt sich nun aufstei-gend der Prozess beschreiben. Die Archäologie macht es – vereinfacht – vor: siegräbt Schritt für Schritt an einem Fundort in die tieferen Schichten, gegebenen-falls auf den gewachsenen Boden, analysiert und dokumentiert alles, und beschreibt dann aufsteigend den dort stattgefundenen historischen Prozess.

Von entscheidender Bedeutung zum Verständnis des von mir gemeinten Prozesses ist dabei, ihn als einen neuen „sich selbst verändernden Prozess“ zu sehen, begründet auf einer Prozesslogik, (Dux, 2008) die sich erst mit den Naturwissenschaften entwickeln konnte. Bis zum Beginn der Moderne und oft noch in der heutigen Nach-Moderne (Beck/ Giddens/ Lash, 1996) wird Prozess bloss als Veränderung zwischen zwei Zuständen verstanden, implizit mit der Vorstellung, es sei im den Prozess auslösenden Zustand das Ergebnis dieser angestossenen Veränderung am Ende bereits vorgegeben (Teleologie). Wir sehen dies bei früheren Kulturen als allein mögliche Vorstellung, als Verän-derung zudem, die von Geistwesen oder Gött¡nnen bereits mit ihrem Beginn vorgeben wurde. Heute geht es darum, einen Prozess sich durch erste Ergeb-nisse seines Prozessierens als sich ändern könnend zu begreifen. War die frü-here Form – in einer bereits relativ ausführlichen historischen Vorstellung bei den Griechen – die einer teleologisch gesteuerten Entwicklung durch „Gott“, so ist ein solcher Prozess heute auf Basis der Naturwissenschaften einer mit offe-nem Ende.

Frühes (Prä-) Bewusstsein Soziale Entwicklung, heisst das für mein Thema, mag immer wieder einem

Richtungssinn durch das strukturale Anschliessen an vorherige Strukturen oder Situationen folgen, mag dabei komplexere Verhältnisse erzeugen oder nicht, doch ist eine Vorbestimmung des Endergebnisses nicht möglich; es kann immerganz anders kommen. Ausserhalb der Hochkulturen fehlte bei Wildbeuter- und einfachen Landbau-Kulturen, sei es in der Steizeit oder bei rezenten Urvölkern, wie ich jene nenne, die noch ohne nennenswerte Kenntnis europäischer Kultur waren, als sie beschrieben wurden, ein Verständnis dazu gänzlich. Menschen handeln zwar als Ergebnis allgemeiner Erfahrung in ihrer von einer Umwelt

10 | Frühes (Prä-) Bewusstsein

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vermittelten Praxis auf Grundlage von Sinn, wie bewusst und wie reflektiert in unserem Verständnis zuerst auch immer. Aber diese Umwelt bewegt sich in allen Teilen scheinbar selbsttätig, da etwa Wind noch nicht verstanden ist, des-sen Wirkung, die wir kausal verstehen, Kinder wie frühe Menschen jedoch nichterkennen. Das beginnt bei Säuglingen, denen etwas Hingereichtes als selbsttätigerscheinen muss, da sie die dahintersteckende Handreichung noch nicht erken-nen können können. Deshalb erscheint ihnen Alles in der Welt ebenfalls als handelnd, wie sie es von sich kennen. Sie empfinden „irgendwie“ anonyme (prä-animistische) Kräfte, bevor viel später Namen für vielleicht einen Wind-geist, für sie vergeben werden können – so entsteht, als Grundlage einer sub-jektiv handelnden Natur: Gott.

Mit der Bezeichnung der Vorsilbe „prä-“ betone ich hier nur sehr schlicht eine jeweils frühe Form von beispielsweise Animismus, oder ich spreche von prä-symbolisch, auch von prä-logisch und prä-bewusst. Mir scheint eine Diffe-renz für die Menschen des frühen Jung-Paläolithikums sinnvoll, deren Entwick-lung diese Vorsilbe später überwindet. Beispielsweise ist es in der Archäologie (und Fach-Journalistik) üblich, hinsichtlich der Schöpfer¡nnen der frühen Höh-lenmalerei als von symbolisch denken Menschen zu sprechen. Die Höhlen wer-den gar als Heiligtümer definiert, ohne zu reflektieren, ob ein Heiligtum über-haupt schon gedacht werden konnte; in einer Zeit, von der ich nun sage, es habenur eine primäre Zeichensprache gegeben; und selbst die musste zu Zeiten ent-standen sein als es noch keine Zeichensprache gegeben hat. All dies wird nicht einmal begründet, sondern einfach behauptet/ gesetzt, wie das Vorhandensein von weitgehender Geistigkeit und komplexer Sprache oft auch. Später werden anstelle des „prä-“ wohl einmal präzisere Begriffe für entsprechende Entwick-lungsreihen bestimmt werden. Für die frühe Zeit verwende ich primär die Begriffe: prä-bewusstes oder traditionales Denken.

Die einzige Begründung dafür – um dies noch einmal zu betonen –, wodurch Homo sapiens wachsendes Wissen und komplexere Logik entwickelt haben kann, ist eine biologisch entstandene, zuerst rudimentäre Lernfähigkeit über die von Tieren qualitativ hinaus. Dafür hat ganz wesentlich die Entwick-lung des Präfrontalen Kortex eine Schlüsselfunktion inne, um in geistloser Natur humane Kognition durch Handeln in der Ontogenese immer wieder neu entstehen zu lassen und in die Phylogenese strukturell einzubinden, in der wie-derum die Ontogenese weitergeführt wird. Das ist ein rein humaner Prozess, derauf die Natur als eine neue Qualität des Lebens nur aufgesetzt ist. So wie wir unseren Körper brauchen, um Geist, Bewusstsein, Sinn und „freies Denken“ zu bilden. Es ist etwas Neues; doch wann entsteht es?

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Sinn als Differenz zum Tier In meiner Definition von Sinn ist er ein Phänomen, das nur Menschen ent-

wickelt haben; die interessanten Forschungen bei Tieren in diese Richtung fin-den so oder so auf einem völlig anderen Niveau statt, zumal sie neuerdings wohlauch mit einfacherem Lernvermögen erklärt werden als zuvor. Es scheint nicht einmal klar, wie ich unten an einem Exkurs zu Lucy zeigen werden, ob nicht diemenschliche Linie nach der Trennung von tierischen Vorfahren sich geistig generell anders als sie entwickelt haben, ob humane Kognition sich nicht trotz weitgehender genetischer Übereinstimmung und manch „ähnlicher“ Erschei-nungsform beim Lernen qualitativ anderer Grundlagen bedient. Sinn entsteht – auch als Frühform von Bewusstheit (Damasio, 2011) – beim rudimentären (Prä-) Reflektieren von Handeln, also auch in Alternativen zu denken bezie-hungsweise ersteinmal nur zu fühlen (welcher Weg an der Gabelung?). Für den hier behandelten Zeitraum muss das nicht genauer eingegrenzt werden, weil ein solcher Sinn den Menschen des beginnenden Jung-Paläolithikum nach meinen Thesen eindeutig zuzuordnen ist, wenn auch nur mit einer Form von Zeichen-sprache verbunden. Sinn ist also Produkt des menschlichen Geistes, eine Kon-struktion im Gehirn im Sinne Piagets, wie wir es auch beim Kleinkind erken-nen; Dux hat darauf ausführlich verwiesen. (2008)

Das Gehirn von Homo sapiens, einzig in der Welt, ist dennoch wie bei höhe-ren Tieren biologisch eine Art von Organismus im Organismus, der als Funk-tion materialer Prozesse verstehbar ist. Neuronen und Gliazellen bilden ihn, synaptische Strukturen vernetzen dieses Gehirn, das dennoch bloss durch Elek-trizität und chemische Transmitter seine Funktionen srukturiert, allerdings unterBezugnahme auf vom Gehirn gebildete Emotionen rückgekoppelt. Eine wesent-liche Frage hinsichtlich der Menschwerdung ist der Zeitpunkt der biologischen Stabilisierung des Gehirns und ob es in diesem Verständnis überhaupt stabili-siert sein kann, nachdem es eine bestimmte synaptische Basis-Struktur ausge-bildet hat, etwa die zum Beginn des Jung-Paläolithikums, als sozusagen der Sinn in neuer Qualität und als Kommunikation in die Welt kam und Handeln nun weitergehend bestimmte als noch bei Erectus und Neanderthalensis; erste-rer hatte hinter der fliehenden Stirn ein deutlich kleineres Gehirn als Sapiens, letzterer besass bei fliehender Stirn vielleicht ein ähnliches Hirnvolumen, konnte damit jedoch nicht viel anfangen, (Gunz, 2015) weil vielleicht der Präfrontale Kortex nicht hinreichend ausgebildet war.

Wäre die evolutive Biologie der Massstab für die Veränderungen von der Steinzeit zu heutigen Lebensweisen der sich immer noch wandelnden Men-schen, und nicht die Soziologie die Leitwissenschaft der Geschichte, gäbe es bisheute keine gefestigte biologische Spezies, weil der Mensch sich qualitativ kognitiv mehrfach änderte, worauf es vor allem ankommt. Doch (fast) niemand nimmt wohl an, die immensen Veränderungen sozialer und kognitiver Lebensart

12 | Sinn als Differenz zum Tier

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seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Industrialisierung und nun darüber hinauszur Informationsgesellschaft habe genetische Ursachen. Wenn jedoch die schnellste und grundlegenste geistige Wandlung in die Moderne und nun die (digitale) Nach-Moderne fällt, muss offenkundig anstelle der Biologie das Soziale die jeweiligen Menschen ausmachen. Auf die lange Sicht unserer Geschichte bezogen müssen beide Entwicklungsstränge miteinander verbunden werden. Und es ist zu (er-) klären, wann der entscheidende qualitative Übergangvom primär biologischen Wesen zum primär sozialen Menschen stattfand.

Generell, so ist ja meine These, kann wohl dieser Prozess mit der Ausfor-mung des (runden) Schädels vor etwa 35.000 Jahren als abgeschlossen verstan-den werden. Aber gilt das auch für das Gehirn, das sich als extrem wandelbar zeigt? Und wir werden in den nächsten Jahren bei Fortschreiten der Wissen-schaft der Epigenetik vielleicht noch Einflüsse kennenlernen, die Geschichte schon in der Steinzeit beeinflusst haben können. Es scheint nun als wahrschein-lich, epigenetische Schaltungen der DNA hätten eine nennenswerte Auswirkungauf die Vererbung über Generationen haben können, etwa hungernde Grossel-tern auf die Enkelgeneration, sorgende Mäusemütter auf die Aktivität ihrer Jun-gen, (Kegel, 2015) oder auch, psychisch auffällige Eltern auf die Weitergabe von Depressionen und antisozialer Persönlichkeitsstörung an Kinder. (Roth/ Strüber, 2014) Welche solcher Auswirlungen waren möglich, als bei noch undifferenzierter Kognition in der Steinzeit einige kleine Gruppen beispiels-weise zu sprechen anfingen, andere aber nicht?

Ist Homo sapiens als eine biologische Art – im Sinne Darwins – stabilisiert, also eine (vorerst) fertig ausgebildete Spezies, die jedenfalls seit Jahrtausenden sich nur im Rahmen der natürlichen Variation von Individuen veränderte, dann ist die soziale und kognitive Veränderung anders als durch Mutationen und ähn-liche evolutive Schritte bedingt. Kulturelle Veränderungen, kann also gesagt werden, entstehen durch sozialen Wandel und müssen entsprechend analysiert und erklärt werden. In diesem Gedanken-Modell gilt dann andersrum zugleich, die Sozialgeschichte hat es stets, heute wie früher, mit der gleichen Spezies Mensch zu tun, der früher wie heute einen (relativ) gleich bleibenden Körper und – viel wichtiger – eine gleiche Grundlage zum Denkenlernen besass – sein Gehirn. Denn sonst müssten wir von einer neuen biologischen Art ausgehen, alsdas hochkomplexe Denken im heutigen Verständnis begann. Deshalb, betone ich noch einmal, ist die interdisziplinär orientierte Soziologie für die Zeit nach der biologischen Stabilisierung die Leitwissenschaft der humanen Entwicklung. Nur sie kann erklären, warum sich in der bekannten Geschichte die Kognition, und damit die Emotion, so frappant verändern konnte; mehrfach sogar.

Nicht biologisch-evolutive Veränderungen, sondern soziale Prozesse, sol-che, die ich als sich selbst verändernde Prozesse definiere, haben offensichtlich die Geschichte mit ihren jeweils aufstrebenden Kulturen bestimmt, wenn die

Sinn als Differenz zum Tier | 13

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auch Rückschritte erfuhr und andernorts – sozusagen – neu begann. Dabei beob-achten wir richtungsweisende Fortschritte mal hier mal dort; ich nenne Alter-tum, Antike, Scholastik, Renaissance, Aufklärung. Das ist eine „eurozentristi-sche“ Sicht, was denn sonst? Es lassen sich aber andere historische Denkweisenin diese (nur grob skizzierte) Reihe integrieren. Beispielsweise entstanden viele der heute erhaltene bedeutenden frühesten Schriften – auch in östlichen Kultu-ren – ziemlich gleichzeitig vor etwa 2.500 Jahren (Gilgamesch, Ilias/ Odyssee, ebenso östliche Mythen: Daoismus, Buddhismus).

Darin wird so etwas wie eine analoge Geistesentwicklung erkennbar, wenn ganz verschiedene Menschen nach Jahrtausenden fast gleichzeitig mit dem Schreiben von Mythen zu ihrem Ursprung beginnen. Es gibt weitere Ereignisse dieser Art, etwa die ähnlich früh entstehende Höhlenmalerei ab vor 40.000 Jah-ren sowohl im westlichen als östlichen Eurasien, die kaum gemeinsame äussere Ursprünge hatten, so wie keine Ursprache die Basis aller Sprachen sein musste. Das stellt die Frage nach der Autonomie der kognitiven Geschichte, ob ohne biologisch-genetische Veränderung dennoch das Ausdifferenzieren des Denkenseine generelle Rolle gespielt hat, etwa durch komplexer werdende Umwelten. Ob also generelle Ausdifferenzierungen des Denkens an die Zeit gebunden waren, um unabhängig voneinander bestimmte Formen zu erreichen, wie Kin-der nur in bestimmten, aufeinander aufbauenden Stadien komplexer lernen können.

Zum humanen Gehirn Ist das humane Gehirn seit der Zeit, mit der diese Untersuchung beginnt,

also den Anfängen der Schnitzerei kleiner Figuren und Flöten sowie der Höh-lenmalerei, also immer gleich geblieben? Vorerst kann auf Basis der archäologi-schen Funde von Werkzeug gesagt werden, mit dem Erwerben einer neuen Form der Kommunikation, als die die genannten drei Fähigkeiten zusammenge-fasst werden können, begann vor etwa 40.000 Jahren Homo sapiens sich über Frühmenschen (Homo erectus und neanderthalensis) geistig hinaus zu bilden. Durch einen „kognitiven Systemwechsel“, wie ich sage, erwarb unsere Art eine neue Qualität der Lernfähigkeit, die nun die Zukunft bestimmte und in den fol-genden Jahrtausenden zur Sprachentwicklung führte.

Biologisch sprechen primär zwei Entwicklungen dafür: erstens war bereits vor etwa 300.000 Jahren, wie aktuelle Ausgrabungen in Nordafrika zeigen, die hohe Stirn zu einer äusserlichen Veränderung gegenüber Frühmenschen gewor-den. (MPF, 2.2017) Hinter der hohen Stirn entstand mit dem Präfrontalen Kor-tex der wichtigste Teil unseres Gehirn für die Sozialität; er ist relativ deutlich grösser als bei allen anderen Lebewesen. (Affentranger, 2006) Und neue Stu-dien sagen uns zweitens, erst vor etwa 35.000 Jahren habe Sapiens die vollstän-dige Kugelform des zuvor noch flacheren und nach hinten ausladenen Schädels

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ausgebildet. (Neubauer u. a., 2018) Es ist, nach dem neueren Wissen über die Funktion unseres Gehirns kaum vorstellbar, dies sei nur eine äusserliche Ver-änderung gewesen. Jedenfalls findet sich zu dieser Zeit die erwähnte kognitive Zäsur; die Differenz zu Frühmenschen, die damals ausstarben, wird nun expo-nentiell grösser. (Gunz, 2015)

Der äussere Rahmen, den die Archäologie beschreibt, (Eiszeit, 2009) weist neben der von mir so genannten neuen Form der Kommunikation auch neue Artefakte auf und unterstützt damit meine These, seinerzeit habe sich aus einer primären Zeichensprache erst langsam die Sprech-Sprache entwickelt. Bevor der Mensch Sprechen lernen konnte, sagen neue Forschungen der kognitiven Anthropologie, musste er eine non-verbale Kommunikation erlernt haben, Zei-gen und Zeichen geben, dann Gebärden. (Tomasello, 2011) Sie lassen sich gut mit dem Formen, Zeichnen und Malen zusammendenken; hinzu kommen erste Laute, die im Sinne von Namen erworben wurden. Wieder erinnern die Stufen der Typen historischer Phylogenese an die der nachgeburtlichen Ontogenese.

Ich spreche für diese ganz frühe Zeit von prä-bewusster Kognition und vom Typus der Älteren Wildbeuter¡nnen. Erst grössere Siedlungen jener frühen Wildbeuter¡nnen, die ab vor gut 20.000 Jahren die Menschen generell sesshaft werden lassen, machen eine halbwegs bewusste sprachliche Reflexion nötig undbilden sie aus; die Jüngeren Wildbeuter¡nnen. Die riesigen Bauten am Göbekli Tepe belegen dann eine Kognition mit grammatikalisch ausgeprägter Sprache und der Fähigkeit der Erzählung und der des Planens, um die offenkundig als Gottesfiguren verstanden Pfeiler begründen und errichten zu können, bei mir der Typus Sozial-differenzierte Gemeinschaft. Bald oder im Zusammenhang mitjener Hochkultur entsteht mit der Landwirtschaft eine weitere gravierende Ver-änderung der Lebenswelten, deren Basis die Sesshaftigkeit war.

Zwei Ansätze müssen besonders reflektiert und mitgedacht werden: die Basis des Gehirns unserer Art scheint tatsächlich seit Jahrtausenden biologisch gleich zu sein; jedenfalls lässt es sich modellhaft so denken, dass immer schon die Zahl der Neuronen bei der Geburt von Kindern gleich sind, wie es für heute angenommen wird. Es ermöglicht eine ungeheure Dynamik und Flexibilität bei der Konstruktion der Welt im Gehirn bereits der Kinder, die als Erwachsene fähig bleiben, immer wieder neu zu denken, also zu lernen. Und das gilt sowohlin ihrer nachgeburtlichen Ontogenese als auch in der kulturellen Phylogenese, die ersteres sozusagen sammelt und an jüngere Generationen weitergibt.

Auf biologisch-genetischer Basis operiert ein Gehirn, das sich – neben der Beobachtung und Kontrolle des Körpers – in der Steinzeit mit noch simpler äusserer wie sozialer Umwelt ebenso orientieren kann wie in der nach-moder-nen digitalen Abstraktheit. Ist ein solches Gehirn biologisch immer gleich? Um diese Frage wird es in den folgenden Überlegungen gehen, ob nicht die Kogni-tion, die Gefühle wie wachsende Bewusstheit einbezieht, der entscheidende

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Faktor der humanen Entwicklung, des Handelns und sozialen Wandels ist. Und dazu gehört, die frühe nachgeburtliche Ontogenese als Basis des sozialen Wan-dels zu begreifen, in der Kinder universell, immer und überall, die Grundlagen der jeweiligen Weltvorstellungen sich erarbeiten (müssen).

Dass ein humanes Gehirn an eine Billion Neuronen und eine kaum fassbare Zahl von Verbindungen zwischen ihnen aufweist, soll hier als Hinweis ausrei-chen, um an dessen Komplexität zu erinnern. Die Struktur des Gehirns führt im Wesentlichen zu zwei Blicken auf die Funktion dieses Organs: mit nur (1) weni-gen Typen an Schaltungen zwischen Neuronengruppen/ Kernen wird vorstell-bar, wie dennoch aus ihnen (2) eine ausserordentliche Dynamik und Plastizität entstehen kann, obwohl Neuronen nur zwei Hauptzustände kennen: Feuern odernicht Feuern, die durch elektrische und chemische Signale gesteuert werden. (Rösler, 2011) Zum Beispiel können wir durch Wiederholungs-Schleifen im Gehirn detaillierter sehen als unsere Augenoptik es möglich macht. Durch intensive Arbeit mit den Fingern, etwa beim Geigenspiel, erweitern sich die zuständigen Hirn-Bereiche und können miteinander verwachsen, so dass zwei Finger nur noch zusammen bewegt werden können (reversibler „Musiker-krampf“). Von klein auf bilden sich – allerdings im biologisch angelegten Rah-men – bei Säuglingen individuelle Strukturen der Verschaltungen; zuerst gemessen bei den Londoner Taxifahrer¡nnen mit einem grossen Hirn-Bereich für örtliche Orientierung (vor GPS).

Nach Schädigungen können manche Funktionen durch Rehabilitationsme-dizin neu angelegt werden. Lernen beispielsweise erwachsene Analphabet¡nnen Lesen, ist eine Veränderung bis hin zum Kleinhirn erkennbar. (Scienexx.de, 26.10.18) Auf der anderen Seite haben Schäden nicht nur oft irreversible Fol-gen, sondern besonders solche im Bereich des Präfrontalen Kortex können den „Charakter“ massiv negativ beeinflussen. Legende ist ein Arbeiter, bei dem 1848 ein drei Zentimeter dickes Rohr bei einer Explosion von unten durch Kinn, Auge und Stirn getrieben wurde. Er überlebte dies um etliche Jahre, wurde jedoch unzuverlässig und cholerisch. Ähnliche Folgen können negative Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben, bis hin zu einer reduzierten Grösse des Präfrontalen Kortex. (Affentranger, 2006) Die Sozialität, die dieser Hirnbe-reich koordiniert, wird dabei eingeschränkt, was für die Geschichte der Kogni-tion in der Phylogenese wichtig ist. Denn wir wissen ja aus Mythen wie Beob-achtungen sehr einfacher Völker von erheblichen Unterschieden bei Logik und Verhalten, vor allem im Konflikt.

Da es unstrittig im Tier-Mensch-Übergang zur Ausbildung nicht nur biolo-gisch aufbauender Gehirnteile kam, sondern seit der Trennung von Primaten voretwa sieben Millionen Jahren sich auch äffische und humane Linie unterschied-lich entwickelten, stammen wir nicht vom Affen ab. Bereits seit etwa dreiein-halb Millionen Jahren leben mit Affen und dem Urmenschen Australopithecus

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(„Lucy“) zwei Gattungen nebeneinander, die bei ähnlicher Hirngrösse unter-schiedliche Fähigkeiten entwickelt hatten; vor allem der aufrechte Gang steht dafür. Der muss sich im Gehirn nicht nur als biologisch körperliches Merkmal eingeschrieben, sondern zugleich weitere Merkmale entwickelt haben; dazu gleich im Exkurs zu „Lucy“.

Wird heute ein Kind des Homo sapiens geboren, ist nicht nur die nötige Körperkontrolle ausgebildet. Es bringt bestimmte Fähigkeiten mit, wie Greifen, Saugen und solche, die bislang allgemein als Instinkte bezeichnet werden, doch besser begrifflich vom Tierischen getrennt werden. (Damasio, 2011) Im Rah-men einer biologisch vorgegebenen Strukturentwicklung beginnt es, sich in neuer Qualität auf die nun komplexere Umwelt zu orientieren. Das noch kleine Gehirn konstruiert für sich, individuell, diese Umwelt als Erkenntnisfähigkeit indie Strukturen der neuronalen Verschaltungen, die zugleich ein massives Wachstum zeigen. Neben den („grauen“) Neuronen bilden sich die, Signale empfangenen und sendenden Leitungen und Schaltungen im Zusammenhang mit den stützenden und wohl auch nährenden („weissen“) Gliazellen aus. Die entscheidende Fähigkeit, die ein Säugling mitbringt, ist die gegenüber Tieren qualitativ erweiterte Lernfähigkeit, die einerseits durch das richtungsgebene Strukturwachstum schnell zunimmt, wenn bestimmte Verknüpfungen sich regelhaft ausbilden. Andererseits beginnt zugleich ein „freies“ Denken und Ler-nen (prä-bewusst).

Wie mit der empirisch analysierten Theorie des realen Konstruktivismus seitlangem beschrieben, (Piaget/ Inhelder, 1977) zeigt sich heute bereits sehr diffe-renziert die kindliche nachgeburtliche Ontogenese als gerichtete, aufeinander aufbauende Stadien des Lernens. (Bischof-Köhler, 2011; Tomasello, 2006) Kanten- und Flächen-Erkennung, oder Hören von Lauten- und Silbenunter-scheidung, seien hier für die „körperlichen“ Funktionen nur erwähnt, die ausge-bildet werden müssen, während Grundfunktionen des Lebenserhalts fast ganz autonom ablaufen, solange das Kind ernährt und gepflegt wird.

Nachgeburtliche Ontogenese Mehr geht es nun um die kognitiven Stadien, die alle Kinder universal in

ähnlicher Folge erwerben, soweit sie die Stufen kategorialer Logik, als Grund-lagen der Logik der Weltvorstellung, überhaupt kennenlernen: Raum, Zeit, Sub-stanz/ Materialität und vor allem die Kausalität von Ursache und Wirkung seiengenannt. Ein Blick in unsere Märchen oder die frühen Begründungen der Welt in Mythen geben Auskunft über die Entwicklung dieser Vorstellungen von prä-animistischen Weltvorstellungen anonymer Geistwesen in allen Dingen über Gött¡nnen des Altertums zur Antike hin zum christlichen Schöpfergott, der den-noch selbst nicht in die Welt kam, sondern einfach da war – mit heutiger kausa-ler Logik nicht nachvollziehbar. So kann gesagt werden, die Weltvorstellung hat

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sich von einer rudimentären traditionalen Form zur rationalen Logik entwick-elt, soweit dies in Gemeinschaften überhaupt der Fall war, der Prozess dauert noch in modernen Gesellschaften an (selbst wenn schon viel von Prozessen die Rede ist).

Die angedeutete Entwicklung sehen wir also heute bei Kindern universal, soweit sie überhaupt über das frühe traditionale Denken hinauskommen, das siein modernen Gesellschaften mit etwa fünf bis sechs Jahren erreichen. In den älteren Darstellungen Piagets, das heute noch als Grundlage dieser weiterge-führten Wissenschaft gilt, (Bischof-Köhler, 2011; Tomasello, 2006) folgen das konkret-operationale Stadium und ab gut zwölf Jahren das formal-operationale Denken, zu diesen beiden Stadien ist eine systematische (Schul-) Bildung nötig;operationales Denken kann über Denken nachdenken, zuerst mit Hilfe konkreterObjekte, mit Fingern zählen etwa, dann vollständig abstrakt nur „im Kopf“. (Ginsburg/ Opper, 1993)

Im Tier-Mensch-Übergang und dann bei der Gattung Homo zeigt sich die Entwicklung des Gehirns (das seine biologischen Anfänge, das Stammhirn, sehrviel früher zumindest bei Reptilien hat). Dieses „sich entwickeln“ als kognitiverProzess gilt insbesondere bei der Spezies Homo sapiens, der ja eine biologische Stabilität zugeordnet wird. Deshalb muss für die Fähigkeit bei Kindern hinsicht-lich des Lernens in der frühen Ontogenese universal gelten: das war immer so, wie Dux es formuliert. (2008) Und das erlaubt, auch in die Steinzeit zu blicken, zumal da wir das Gehirn immer differenzierter erkennen. Der Prozess des früh-kindlichen Erwerbens der kategorialen Logik stammt ja aus der strukturalen Entwicklung des neuronal-synaptischen Netzwerks.

Daraus ergeben sich zwei Sichtweisen. Für Kleinkinder scheinen – wie gesagt – (1) alle Dinge, die es sieht, die ihm gezeigt oder gereicht werden, sich von allein zu bewegen, da die führende Hand noch nicht erkannt werden kann. Alles in der Welt ist Handeln, Subjektivität. Hinter allem steckt eine Kraft, ein Geistwesen, später Gott. Und wenn die Bezugspersonen das immer noch so sehen, ist aus dieser Vorstellung kaum herauszukommen – traditionales Denkenwird zur Ewigkeit; von den Religionen erzwungen, bis die Naturwissenschaften sich durchsetzten.

Mit dem Blick der historischen Analyse wird nun (2) deutlich, wenn alle Kinder des Homo sapiens ihre Kognition in bestimmter Stadienfolge erwerben, soweit sie das in schlichter Umwelt überhaupt können, dann kann sich die Phy-logenese auch nur darauf aufbauend entwickelt haben. Nur was Individuen als (soziales) Handeln erlernt haben, kann soziale Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften prägen, in denen wiederum wechselwirkend Kinder geprägt wer-den. Nach der Stabilisierung der Art musste der nur noch soziale Wandel, der die Lebensweisen des Homo sapiens gekennzeichnet hat, den Stadien des tradi-tionalen Denkens folgen. Was als parallele Prozesse erscheint, hat allerdings

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unterschiedliche Ursachen, wechselwirkend individuelles Lernen wie die sozialePrägung der Kinder in der Phylogenese über die Umwelten und sozialen Gemeinschaften.

Auf dieser Basis wird die Kognition zum Movens der Geschichte. Und es wird möglich, diese Geschichte rückwärts blickend zu analysieren, um sie dann in ihrer wesentlichen, empirisch gefundenen Entwicklung zu beschreiben. Des-halb kann gesagt werden, die archäologischen Funde und interdisziplinäre For-schung lassen seit dem Beginn des Jung-Paläolithikums vor 40.000 Jahren nur eine soziologische Analyse der Geschichte zu, weil seither der Mensch biolo-gisch gleich geblieben ist und entsprechend seine Fähigkeiten durch Betrach-tung seiner Werke analysiert werden können. Das gilt, wenn auch das Gehirn seither biologisch stabil blieb; ich schlage vor, diese Frage forschungstaktisch mit einem „Sowohl als Auch“ zu beantworten oder sie noch offen zu lassen.

Manches spricht dafür, die Biologie des Gehirns blieb stabil, nur die der jeweiligen Umwelt angepasste synaptische Vernetzung führt zu strukturellen Veränderungen, so wie jedes Blickwenden Spuren im Gehirn aufweist; kurz gesagt. Jedoch gibt es offenkundig im humanen Lernprozess gravierende Ver-änderungen, die sich ebenso angepasst haben müssen. Das gravierendste Ele-ment in diesem Prozess oder diesen Prozessen der Menschwerdung ist wohl das Erwerben der auf Gebärden aufbauenden Sprache und des Bewusstseins. Spra-che wird – wissen wir heute, –wesentlich in zwei linksseitigen sogenannten Sprachzentren prozessiert (Broca- und Wernicke-Zentrum). Als neuronale Kerne sind sie bereits bei (einigen?) Tieren angelegt. Sie konnten nur durch Sprechen werden, was sie heute sind. Bei Menschen werden sie auch für Hand-gebrauch und Musik verwendet. Das wäre mit der genannten These verbindbar, es habe sich aus Zeigen und Gebärden die Basis für Lautbildung, die zugleich eine neue körperliche Basis in der Veränderung des Kehlkopfes fand, und dann Sprechen entwickelt als diese Fähigkeiten immer häufiger genutzt wurden. Das Gehirn, lässt sich dann sagen, hat von „normalen“ Kernen ausgehend eine Spezialisierung entwickelt und sich dabei zugleich strukturell ausdifferenziert. Diese Vorstellung liesse sich jedoch nicht nahtlos an die Vorstellung binden, solche Änderungen müssten mit der DNA verbunden sein, die die Art spezi-fiziert.

Doch ist nach den grossen DNA-Auslesungen am Ende des 20. Jahrhun-derts, die nicht den erhofften vollständigen Durchblick auf den Menschen brachten, heute die Epigenetik in den wissenschaftlichen Blick gekommen. Während die DNA eher das Archiv für den menschlichen Aufbau darstellt, kanndie Epigenetik, die aus dem Rest des Zellkerns wirkt, der früher als Müll-DNA bezeichnet wurde, nennenswert für das Schalten der DNA wirksam sein. Damit einher geht die Vorstellung, Eigenschaften des Menschen könnten zumindest über einige Generationen vererbt werden. Eine von Hunger geplagte Genera-

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tion, zeigt eine Analyse, konnte beispielsweise Auswirkungen auf ihre Enkel¡n-nen gehabt haben. (Kegel, 2015) Solche Folgeerscheinungen – scheint mir – könnten in früher Zeit differenzierenden Einfluss auf die kleinen Gruppen und Gemeinschaften von Wildbeuter¡nnen gehabt haben.

Die eben genannte Differenzierung der Gehirn-Funktionen ist möglicher-weise damit verbindbar, wenn in einzelnen Gemeinschaften beim Beginn rudi-mentären Sprechens sich relativ schnell, unabhängig zumindest zuerst vom DNA-Archiv, Sprachen entwickelten. Wo von kleinen Gruppen bei Treffen in der Wildnis die Zeichensprache besonders zur Verständigung geeignet ist, wird in der sich entwickelnden grossen Siedlung die Kombination mit Sprechen wichtiger. Das gilt insbesondere zwischen Kindern ohne gemeinsame Sprache, die für sich in solcher Situation sehr schnell eine neue (Pidgin- und Kreol-) Sprache generieren. (Bussmann, 1990) Auch die Umwelt wird in einer grösse-ren Siedlung differenzierter, und das gilt entsprechend für ihre (Re-) Konstruk-tion im Gehirn. Vor allem gilt es nun, auch mit Fremden friedlich zu kommuni-zieren, was für isoliert lebende Gruppen meist schwierig ist, die Fremde oft nicht einmal als Menschen akzeptieren (der Eigenname ist oft mit Mensch zu übersetzen).

„Urbanität“ in der Steinzeit? Mit der grösseren Siedlung entsteht ab vor gut 20.000 Jahren ein neuer

Typus der Lebensweise, die Jüngeren Wildbeuter¡nnen. Bald wurde es am Randgrosser Siedlungen für das Sammeln der Wildbeuter¡nnen zu eng; die (ideellen Torten-) Stücke des Umlandes werden zum Sammeln für „Familien“ immer kleiner. Gärten und dann Landbau konnten die Lösung beim Flächenmanage-ment sein, bis die sumerischen Grossstädte diese Landwirtschaft kolonisieren mussten, um existieren zu können. Es beginnt noch vor der Landwirtschaft so etwas wie eine kulturelle Entwicklungslinie der „Urbanität“, die ich – wechsel-wirkend – für ein entscheidendes Bewegungselement von Kultur und Kognition halte; in einer ersten Phase bis hin zu den Grossstädten Sumers und Ägyptens. Die Sozial-differenzierte Gemeinschaft vom Göbekli Tepe erscheint dabei als erste Hochkultur; vor allem angesiedelt in der (unbekannten) Siedlung dessen Erbauer¡nnen. Hier entstand nach heutigem Wissen erstmalig eine voll ausge-bildete traditionale Kognition mit Sprech-Sprache, Bewusstsein, Mythen und einer definierten Religion; womöglich auch ersten Strukturen institutionali-sierter Herrschaft.

Die Entwicklung des humanen Gehirns ist seit Beginn des Jung-Paläolithi-kums erkennbar die Ausdifferenzierung und Spezialisierung seiner Strukturen – bis heute. Das zeigen die archäologischen Funde von Wohnstätten und Werk-zeug, die seit jener Zeit zuerst nur langsam eine gegenüber Homo erectus und neanderthalensis bessere Qualität zeigen und die neue Kommunikation. Die

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runde Schädelform ab vor 35.000 Jahren steht mit grosser Wahrscheinlichkeit ebenfalls für eine Veränderung der synaptischen Strukturen, die vielleicht das Gedächtnis förderten, das kein Zentrum analog zu den Sprachzentren hat und Informationen über weite Bereiche des Hirns abgespeichert.

Die kognitive Ausdifferenzierung beobachten wir doch bereits bei Kleinkin-dern. Sie zeigt sich analog beispielsweise in der sich langsam entwickelnden Weltvorstellung, die wir als allgemein-religiöse (prä-animistische) Entwicklung in der Geschichte erkennen, lange bevor definierte Religionen entstehen. Eine ähnliche Differenzierung sieht die Forschung bei bestimmten Verhaltensweisen während der Geschichte, etwa bezüglich der Impulsivität, wenn spontane Hand-lungen nur schlecht kontrolliert werden und dann oft die Kraft zum Einsatz kommt, also aggressives Verhalten. Wir erkennen diese Tendenz noch heute beibestimmten bildungsfernen Gruppen. Denken wir dazu bei rezenten Wildbeute-r¡nnen und kleinen Ackerbauvölkern an die universale Blutrache, oder an das beständige Führen von Kleinkriegen, oft wenn eine Ehre verletzt wird – sofern es die bereits gab. Die stellt ja eine kognitive Leistung dar, die nicht immer schon ausgebildet wurde, und macht spontane Wut- und Gewaltausbrüche regel-bar, etwa durch Gruppenvorstände, die stattdessen einen Gegenwert festlegen.

In der frühen Anthropologie war vom „wilden“ Denken die Rede, (Tylor, 1873; Lévy-Bruhl, 1910) während die Industriegesellschaften auf Basis der neuen Naturgesetze als weitgehend rational denkend verstanden werden. Bli-cken wir von den dabei betrachteten traditionalen Völkern noch ohne nennens-werten europäischen Einfluss, die ich „rezente Urvölker“ nenne, zurück in die Steinzeit, dann erkennen wir wieder einmal historische Entwicklung der Kogni-tion, die mehr ist als nur das Ansammeln von Wissen. Auf dieser Grundlage sollten sich frühere Denkformen genauer bestimmen lassen. Ich habe – etwas salopp – für das frühe Jung-Paläolithikum zur Zeit des historischen Spracher-werbs vorgeschlagen, von einem prä-bewussten oder auch „wirren“ Denken zu sprechen, das also noch undifferenzierter verstanden sein soll als wildes Den-ken. In jener Zeit der Älteren Wildbeuter¡nnen begannen, sei erinnert, erste Malereien, die fast nur als Höhlenmalerei überliefert sind (deren bedeutende Malereien sind weit jünger). Das traditionale (wilde) Denken ist dann – wie gezeigt – am Göbekli Tepe durch die Grossbauten erstmals als vollständig erworben ausgewiesen. Die weiteren Entwicklungen des traditionalen Denkens über die Städte Sumers, Ägyptens, Griechenlands und darüber hinaus bleiben generell auf dieser kognitiven Ebene, wenn die Logik sich innhalb dieser auch beständig erweitert.

Es gibt zwei weitere Pfade zum Durchdenken der Historizität und Differen-zierung der Kognition, die sich immer im Gehirn „materialisieren“ muss, das sind Psyche und Bewusstsein. Blicken wir auf heutige psychische Probleme undAbweichungen, wird als wesentliche Ursache oft Stress genannt. (Roth/ Strüber,

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2015) Und manche Beschreibung dieser Probleme erinnern an solche von rezen-ten Urvölkern, (Lévy-Bruhl) die wir ähnlich bei Leuten mit Verletzungen des Präfrontalen Kortex finden: impulsiv, unzuverlässig, ohne Vorausschau und Kontrolle, was manchmal als Mut erscheint und für Krieger hilfreich sein mag. Daraus ergibt sich die Frage, ob solche Verhaltensweisen nicht generell auf frühere verweisen, die ich eben als „wirr“ charakterisiert habe. Das wäre ein weiterer Hinweis auf eine historisch fortschreitende Differenzierung der Kog-nition, die jedoch in unserer rationalen Gesellschaft in manchen Fällen nicht erreicht und als Abweichung erst heute diagnostiziert wird.

Zu dieser Betrachtung „passt“ eine Theorie zur Bewusstseinbildung. (Dama-sio) Oben wurde von der entstehenden Kommunikation gesprochen, davon auch, dass zu Beginn des Jung-Paläolithikum bei jenen Menschen prä-animis-tische Weltvorstellungen anzunehmen sind, bei denen die Umwelt von Geist-wesen durchdrungen gewesen ist, jedoch noch keine namentlich bestimmten Geister benannt werden konnten. Später sind animistisch-religiös verbrämte Gött¡nnen wahrscheinlich, bis am Göbekli Tepe eine definierte Religion mit differenzierten Gött¡nnen ausgearbeitet war, in der zwei mittig aufgestellte Figuren sogar als Männer gekennzeichnet sind; kein gutes Zeichen für die Frauen, ohne hier von so etwas wie einem urzeitlichen Matriarchat mit der grossen „Muttergöttin“ auszugehen, für das es keinerlei Funde gibt.

Als Kennzeichen jener ganz frühen Teil-Epoche wurde hier von prä-bewusstgesprochen. In der bisherigen Geschichtsforschung ist demgegenüber zum Teil für jene Zeit (und wesentlich früher bei Homo erectus) von der Fähigkeit nicht nur der Sprache, damit auch Bewusstheit, die Rede, sondern oft wird ein sym-bolisches Denken zumindest für die Anlage der Bilderhöhlen als Heiligtümer vor fast 40.000 Jahren unterstellt. Nun ist unstrittig bereits bei Tieren von einer Repräsentanz der Umwelt im Gehirn zu reden, sonst wäre ihnen eine Orientie-rung nicht möglich. Doch sollte der Klarheit der Begriffe wegen und weil hier eine historische Forschung behandelt wird, eine möglichst effektive Unterschei-dung angestrebt werden. Dies zu bedenken gilt um so mehr, als es für die Stein-zeit noch keine hinreichenden Definitionen gibt. Deshalb wurde in dieser Studieoben für die erste Phase des Jung-Paläolithikums generell die Reihe von Begrif-fen mit der Vorsilbe „prä-“ eingeführt: prä-animistisch, prä-bewusst und weiteremehr. Das entspricht der These vom späten Spracherwerb erst ungefähr ab vor 35.000 Jahren, für den es ja über die Jahrtausende keine halbwegs präzise Ter-minierung geben kann; es wird zudem viele parallele differente Kulturstände gegeben haben. Es gibt jedoch keinen Bericht über ein Volk ohne Sprache. Und auch für ein (prä-) Bewusstsein, das „irgendwie“ zusammen mit einer Gebär-densprache entstand, begann so etwas wie Bewusstheit und Sinn. Für reines Zeichengeben, das zwar Affen lernen können, die das in der Wildnis aber nicht

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tun, soll das noch nicht gelten, also insgesamt nicht für Tiere; dafür wären in meiner Thematik andere Begriffe sinnvoll.

Eine wichtige Arbeit unterteilt die Genese des Bewusstseins in drei Phasen: 1. Protoselbst, 2. Kern-Selbst als Bedingung für Sprache und 3. autobiogra-fisches Selbst zusammen mit der Schrift ab vor 5.000 Jahren. (Damasio, 2011) Das Protoselbst umfasst wesentlich die Körperfunktionen, es gibt noch kein Bewusstsein. Kommt die Interaktion mit äusseren Objekten hinzu entsteht das Kern-Selbst, das ich mir ab dem Übergang von Frühmenschen zu Homo sapiensvorstelle, wenn also der grössere Präfrontale Kortex die prä-bewusste Lern-fähigkeit möglich macht. Das autobiografische Selbst entsteht durch die erwor-bene Fähigkeit zur Selbstreflexion. Damasio sieht sie zusammen mit der Schrift vor etwa 5.000 Jahren in Sumer entstehen. Unsere neueren Kenntnisse über den Göbekli Tepe sprechen wohl dafür, dort die Ausbildung von autobiografischer Selbst-Bewusstheit als generell vorhanden zu sehen, auch wenn dieses individu-ell noch nicht am Ich gedacht worden sein wird, sondern am Wir der eigenen Gruppe, (Frankfort/ Wilson/ Jacobsen, 1954) deren Mitglieder sich als identischempfanden; das ist zusammen mit der traditionalen Form von auf Gotteshandelngründender „Kausalität“ ein wichtiges Kennzeichen früher Kognition, das wir wiederum auch bei Kindern finden. (Bischof-Köhler, 2011)

Eine ähnliche Entwicklungsreihe sehen wir für Denken und Sprache bei Tomassello. Der unterscheidet für die Fähigkeit der Kommunikation die Phasenvon 1. Homo, 2. Früherem sapiens und 3. dem Späteren sapiens. Er will diese Stufen nicht zeitlich einordnen, wie ich es aber mache. Homo kann kaum andersverstanden werden als damit Frühmenschen der Gattung Homo zu sehen (vorm Frühen sapiens). Den Späteren sapiens mag er sich – wie Damasio – ebenfalls für die Städte Sumers vorgestellt haben. Doch aus seinen Beschreibungen dieserStufen ist nunmehr wieder der Göbekli Tepe als Ort der ersten Erscheinung anzunehmen. Nach Ergänzung der früheren Zeichensprache entstehe die Kom-munikation des Späteren sapiens durch Ausbildung der primären grammatika-lischen Sprech-Sprache und die Fähigkeit zur Erzählung und Mythe. Beide mussten – wie oben begründet – für die Konzeption der dortigen Religion und die Planung jenes Geistigen Zentrums vorhanden gewesen sein. Dort wurde die Entwicklungslogik von Bewusstsein und Sprache (erstmalig?) als qualitativ bedeutender Stand der Kognition vor 11.500 Jahren in Stein gehauen. Auch des-halb nenne ich jenes, aus der Entwicklung verdichteter Wohnformen als frühe „Urbanität“ erst möglich gewordene Bauwerk den Beleg für eine erste Hochkul-tur.

Der Blick auf die Biologie des Gehirns und die Geschichte der Kognition lässt es wohl sinnvoll erscheinen, noch nach der Stabilisierung der Spezies Homo sapiens, die vielleicht erst vor 35.000 Jahren abgeschlossen war und seit-her im Rahmen der typischen biologischen Variation verblieb, dennoch dem

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Gehirn eine Sonderrolle zuzuweisen, in Frage zu stellen, ob dieses Organ über-haupt sinnvoll als stabilisiert eingeordnet werden sollte, bevor wir mehr wissen. Wie mit der Ausbildung rudimentärer neuronaler Kerne die physiologisch fest-stellbaren Sprachzentren entstanden, so haben sich offensichtlich immense Ver-änderungen der prozessualen synaptischen Verknüpfungen seit dem Jung-Paläo-lithikum ausgebildet. Und die Differenzierung der Kognition zur rationalen Weltvorstellung scheint angesichts der Digitalisierung zu immer komplexerem und vor allem abstrakterem Denken noch lange nicht am Ende der Möglichkei-ten zu sein.

Hier wurde thesenhaft davon ausgegangen, es wäre bereits mit der Stabili-sierung des Homo sapiens bei der Geburt die heute bekannte Zahl der Neuronenvorhanden, die dann zu einem guten Teil individuell vernetzt werden. Doch selbst, wenn es zuerst eine geringere Zahl der Nervenzellen gegeben haben sollte, ist das noch keine Negierung der bisher vorgetragenen Entwicklung von Kognition und Logik. Als Sapiens entstand, lebten die ersten von ihnen ja zwischen Frühmenschen der Art Homo erectus. Jener Stand des Denkens konnte auch mit weniger Neuronen erreicht werden. Das humane Gehirn wurde doch Jahrtausende nicht annähernd im heutigen Mass gefordert. Wahrscheinlichist die Frage bedeutender, ob sich nach dem Beginn des Jung-Paläolithikums mit der neuen Form der Kommunikation und der Ausdifferenzierung des Den-kens, wie der Umnutzung dann der späteren Sprachzentren, nur die Gliazellen und die Vernetzung mit Leitungen und Synapsen vermehrt haben können?

Wir wissen von wichtigen synaptischen Leitungsverbindungen zwischen den Sprachzentren, die bei Tieren nicht vorkommen, (Friederici, 2017), aber nicht, ob diese erst mit dem Sprechen onto- und damit phylogenetisch gewach-sen sind. Ähnlich ist es mit einer für die werdende Individualität bedeutenden Verknüpfung zwischen den Frontallappen des Grosshirns und dem hinteren Schläfenlappen, mit der erst ab dem vierten Lebensjahr die Theory of Mind ausgebildet werden kann, die nach dem Erwerb der Empathie das Wissen über das eigene Denken erlaubt. (MPF, 1.2017) Entsteht sie immer, oder nur bei entsprechender geistiger Betätigung, die heute normal ist? Auch deshalb scheintes forschungstaktisch sinnvoll, nicht vorschnell feste Bestimmungen zu treffen; bis vor einigen Jahrzehnten galt das Gehirn als mit der Geburt stabil fertig ausgebildet.

Exkurs: Lucy Jenes recht gut erhaltene vorgeschichtliche Skelett, das als Lucy (in the sky)

bekannt wurde, gehört zur Art Australopithecus afarensis und ist knapp drei-einhalb Millionen Jahre alt. Diese Urmenschen hatten eine Hirngrösse ähnlich wie Schimpansen und wurde deshalb kognitiv wie die eingeschätzt. Dabei wird die damals herausragende Fähigkeit von Lucy übersehen, die ich hier als Typus

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für eine Reihe von Arten jener Gattung bepreche: das aufrechte Gehen mit dessen Bedeutung für die Entwicklung des Gehirns. Heute wissen wir nicht nur,wie wenig allein die Gehirngrösse aussagt, da die Zellen mal enger, mal weniger eng zusammenliegen können, (Munk, 2011; Roth, 2010) übersehen wurde auch, dass alles, was tierische Wesen inclusive Menschen tun, im Gehirn kontrolliert und gesteuert wird. Jede Blickveränderung, jedes Armheben oder Schlucken hat eine Entsprechung im Gehirn. (Rössler, 2011) Entsprechend musste das aufrechte Gehen mit neu gestalteten Füssen und Beinen wahrschein-lich genetische Ursachen in der DNA aufweisen, obwohl heute Schimpansen und Menschen 97% der Genausstattung teilen, die nun anders zusammenwirkt.

Das Gehen veränderte viel mehr. Insbesondere könnte diese Fähigkeit bereits genutzt worden sein, nicht nur freier mit den Händen zu arbeiten, wenn die Arme auch noch äffisch lang blieben, sondern – viel wichtiger – kommuni-kativ auf etwas zu zeigen. Der Blick in die Welt wurde anders, die Körperhal-tung ergab ein anderes Skelett, die andere Lage des Kehlkopfs erlaubte eine dif-ferenziertere Lautgebung; ab wann das genutzt wurde ist eine andere Frage. Und es konnte das Verhältnis zu den nun öfter Gesicht zu Gesicht zu haltenden Säuglingen beeinflust haben. Da „Brutpflege“ im Tierischen offenkundig ange-boren ist, könnte bereits zu jener Zeit der Moment liegen, an dem der soziale Aspekt der Ontogenese ihren Anfang fand. Jedenfalls waren diese Möglichkei-ten nun wohl angelegt. Ob sie genutzt wurden ist wiederum eine andere Frage. So wie Sapiens nach seiner Stabilisierung ein komplexeres Gehirn erworben hatte, es jedoch lange noch nicht über die Fähigkeiten von Frühmenschen hin-aus nutzen konnte, wie die frühen Werkzeuge es für Nordafrika und noch in Eurasien belegen. (Garcea, 2010)

Eine Untersuchung zu Steinfunden aus der Zeit von Afarensis bespricht zer-schlagene Steine gar als hergestelltes Werkzeug, wobei Steine nur zerteilt wur-den, um scharfe Kanten zu erzeugen, aber noch nicht durch mehrere Schläge geformt. (Scinexx.de, 21.5.15) Sie sind – nach der Trennung zum einen der Affen und zum anderen der Urmenschen von Primaten vor fast sieben MillionenJahren – knapp dreieinhalb Millionen Jahre alt; eine genaue Zuordnung ist noch nicht erfolgt. Das könnte für den Typus Lucy ein zusätzliches Indiz für eine gegenüber Affen weitergehende Ausbildung des Gehirns sein; ob Denken schondas richtige Wort wäre, lasse ich offen.

Mir geht es vor allem um etwas anderes. Wenn das aufrechte Gehen ein Kennzeichen für die geistige Weiterentwicklung ist, dann hätte Lucy bereits damals einen Vorsprung zu Affen von wiederum knapp dreieinhalb Millionen Jahren. Die Trennung vom evolutiven Zweig der Affen wäre gravierender als bisher gedacht, und es ist nicht mehr sinnvoll, Homo als Nachfolge von Affen zu besprechen. Wenn es so früh eine geistige Trennung gegeben hat, sind bei Homo sapiens doch mit einiger Wahrscheinlichkeit andere Denkvorgänge anzu-

Exkurs: Lucy | 25

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nehmen als nur etwas bessere oder weitergehendere. Wir stammen nicht vom Affen ab, und unser Denken hat eine neue Qualität, folgere ich thesenhaft dar-aus. Was zu überprüfen ist (wie alles hier).

Zäsuren der Kognition In meiner Studie wird von folgenden sieben wesentlichen Zäsuren

ausgegangen. Als ersten gravierenden historischen Umbruch sehe ich den mit der bio-

logischen Ausbildung des Präfronatlen Kortex lange zuvor als Möglichkeitgeschaffenen „kognitiven Systemwechsel“, der neuerdings mit der erst vor35.000 Jahren erfolgten vorerst endgültigen Schädelform verbunden gedacht wird. Als qualitativen Ausdruck sehe ich die neue Form der Kom-munikation zu Beginn der Epoche an.

Der zweite Umbruch ist die generelle Ausbildung einer noch rudimentä-ren Sprech-Sprache aus Gebärden, die,

drittens, in wachsenden grösseren Siedlungen weiter ausgeprägt wird und,

viertens, im Vorlauf zum Göbekli Tepe eine primäre grammatikalisch strukturierte Form gewinnt.

Fünftens entsteht parallel dazu mit der ausgeprägteren Sesshaftigkeit, dieeine Reduzierung der siedlungsnahen Sammelregionenpro „Familie“ nach sich zieht, weitergehender Druck zur Grosssiedlung, wodurch

sechstens die Notwendigkeit zur konzentrierteren Nahrungsvorsorge ent-steht, dazu Lagermöglichkeiten und beginnender Anbau.

Siebtens gibt es hinreichende Anzeichen dafür, das Geistige Zentrum sei zugleich an Handelsnetze angebunden gewesen, wie sie wenig später in relativer Nähe belegt sind. Eine erste Hochkultur war entstanden.

Auf dieser Grundlage wurde von mir die Gesamtepoche in drei Typen von Lebensformen unterteilt, in Ältere und Jüngere Wildbeuter¡nnen sowie in die Sozial-differenzierte Gemeinschaft, die den Göbekli Tepe errichtete. Auf siesei nur skizzenhaft noch einmal hingewiesen:

Ältere Wildbeuter¡nnen Für die langsame Ausweitung der Streifgebiete, von Afrika über die Levante

zum Schwarzen Meer und dann die Donau hinauf, werden 10.000 Jahre veran-schlagt. (Cavalli-Sforza, 1996) Lange zuvor hatte es einige erste Besiedlungen in die Levante (Ronen, 2012) und auf den Peloponnes gegeben hat, (Scinexx.de,11.7.19) die sich wohl nicht verstetigen konnten. Als im Moment ältester Beleg im Westen gilt ein von Sapiens hergestellter roter Fleck in einer Höhle des El

26 | Ältere Wildbeuter¡nnen

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Castillo in den Pyrenäen, der auf 40.800 Jahre vor heute datiert ist; die Unge-nauigkeit der Messwerte kann jedoch für die frühe Zeit an ± 1.000 Jahre betra-gen, wie es für manche Höhlenmalerei angenommen wird. (Lorblanchet, 1997) Die ersten wesentlichen Funde der Epoche, die die Archäologie das Aurigna-cien nennt, das etwa bis vor 32.000 Jahre dauerte, sind die Zeichnung eines halben Rindes von vor etwa 37.000 Jahren am Abri Castanet, und dann folgen aus Schichten, die um 1.000 Jahre jünger eingeschätzt sind, kleine Figuren – u. a. Mammut, Frau und der sogenannte Löwenmensch – und die mehrlöchrigen Flöten auf der Schwäbischen Alb. Von vor 32.000 Jahren stammen die ersten weiteren Höhlenbilder in der Grotte Chauvet an der Ardèche, zwei einfach dar-gestellte Nashörner; (Lorblanchet) die meist mit Höhlenbildern in „Heiligtü-mern“ verbundenen ausgemalten Bilder sind zum Teil deutlich jünger (Magda-lenien). Als erste Siedlungsplätze dieser Epoche gelten – bis vor 35.000 Jahren vor heute – sechs Orte, nach den nächsten 3.000 Jahren sind es dann bereits 20 so datierte Fundstellen im westlichen und östlichen Eurasien. (Eiszeit, 2009)

Die Fundsituation für jene frühe Zeit des Jung-Paläolithikums zeigt Ergeb-nisse, die heute ähnlich noch Homo neanderthalensis zugeordnet werden, wenn auch nicht unstrittig. Auch diese Frühmenschen werden mit Schnitzerei und Malerei in Verbindung gebracht. Erst in dieser Anfangsphase der neuen Epoche hat sich die Werkzeugherstellung von Sapiens von diesem Standard entfernt. Nichts deutet aus der Sicht der hier vorgetragenen Thesen zur kognitiven Ent-wicklung darauf hin, für die Herstellung dieser Funde sei eine ausgeprägte Sprech-Sprache Voraussetzung gewesen. Gebärdensprachen werden allzuleicht unterschätzt. Die Fähigkeit zum Zeichnen und Malen, die wohl der Fähigkeit der dreidimensionalen Darstellung folgte, kann alltäglich praktiziert worden sein, in Sand oder an Wände; sie ist nur bloss in Höhlen überliefert. Der Zeit-raum, der bislang im Westen Eurasiens als Aurignacien benannt ist, erscheint dementsprechend als die wichtige Umbruchzeit zur beginnenden Sprech-Spra-che auf Basis von Gebärden und zuerst nur als Namen verwendeten Lauten. ZurWohnsituation sind wesentlich nur Abris, wie dem von Castanet, und Höhlen, wie besonders am Monte Castillo und auf der Schwäbischen Alb bekannt.

Jüngere Wildbeuter¡nnen Ab vor 32.000 Jahren, nach dem Ende des Aurignaciens, sind in der Grotte

Chauvet zuerst schlichtere Höhlenmalereien entstanden als später die heute meist angesprochen Darstellungen, die dann meist mit den Höhlen wie Altamiraund Lascaux genannt werden, die aber zum guten Teil erst im Magdalenien entstanden sind, der letzten Epoche des Jung-Paläolithikums im Westen. Ab erstvor gut 20.000 Jahren kann der Typus der Jüngeren Wildbeuter¡nnen als inten-siver sesshaft in grösseren Siedlungen lebend aus den Funden erschlossen wer-den. Die Speerschleuder und die Nähnadel mit Öhr werden erfunden, beides

Jüngere Wildbeuter¡nnen | 27

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Werkzeug, für deren Nutzung zwei Teile koordiniert benutzt werden müssen! Vor allem weisen frühe Grabfunde bereits auf sozial geschichtete Lebensweisenhin: die Gräber von Sunghir von vor 24.000 Jahren (Russland), in denen bei einem Mann und im zweiten Fall bei zwei Jugendlichen eine grosse Zahl an Perlen gefunden wurden; besonders letztere verweisen auf sozialen Status, den die jungen Menschen, vor allem die Frau, kaum schon selbst erworben haben können. Etwa 18.000 Jahre alt ist das Grab einer Frau in Spanien, die als „Rote Königin“ bezeichnet wird, weil auch dieses in herausragender Weise ausge-stattet ist. Zuletzt sei im Bereich des Urals auf eine als 18.000 Jahre alt neu datierte grosse menschliche Figur aus Holz verwiesen, die ebenfalls auf eine relativ weitgehende kulturelle Entwicklung zu schliessen erlaubt, obwohl die Schnitzerei noch an den älteren kleinen Löwenmenschen der Schwäbischen Alberinnert (wie an eine grosse, nun steinerne Figur am Göbekli Tepe und zeit-gleich eine im heutigen Şanlıurfa). Wachsende Siedlungen wurden ergraben undgeben ein besonders wichtiges Zeugnis für die weitergehende Sprech-Sprache ab, die bereits in den erwähnten sozial geschichteten Gemeinschaften bestandenhaben wird.

Sozial-differenzierte Gemeinschaft Auch wenn die Sozial-differenzierte Gemeinschaft vom Göbekli Tepe weit

entfernt von den eben besprochen Wildbeuter¡nnen entstand, passt sie doch in die Entwicklung der Typen von Lebensweisen zum Ende des Jung-Paläolithi-kums. Die Kulturgemeinschaft, die das Geistige Zentrum vom Göbekli Tepe religiös konzipieren, planen und bauen konnte, hatte vielleicht ihren Hauptort unter der Altstadt des heutigen Şanlıurfa. Grössere Siedlungen im Verständnis einer frühen Urbanisierung wurden deutlich früher in der weiteren Umgebung gefunden. Ein nur wenig jüngeres Verkehrsnetz in dessen Nähe und dann – deutlich jünger – die Städte der Urukisierungsphase zeigen eine für Wildbeute-r¡nnen zuvor nicht einmal erahnte archäologische Situation bereits im Übergangzu den sumerischen Grossstädten. Das rasch ablaufende Ende der Eiszeit ab vor 14.000 Jahren hatte die Nahrungssituation deutlich verändert, ein neues Denken wurde nötig, um dieser Situation gewachsen zu sein, das ich mit dem Bau des Göbekli Tepes als Geistiges Zentrum vor allem symbolisiert sehe. Der Bestand jener Gemeinschaft über 1.000 Jahre, der durch den Ort Nevalı Çori mit der zweiten Generation der (kleineren) T-Pfeiler belegt ist und womöglich weitere 1.000 Jahre existiert hat, macht es wahrscheinlich, jene Entwicklung auch mit der Durchsetzung der Landwirtschaft in Verbindung zu bringen, wofür es in derälteren Fundschicht (Anlage D u. w.) noch keine Belege gibt.

28 | Sozial-differenzierte Gemeinschaft

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Literatur Wo es sinnvoll ist, auf die Ersterscheinung zu verweisen, wird die vorn hin-

ter dem Namen der Autor¡nnen in Klammern angezeigt, gefolgt von der benutz-ten Ausgabe. Weitere Bände einer AutorIn im gleichen Jahr sind mit einem Kleinbuchstaben versehen, wie: 1987b; eine Auflage wird gegebenenfalls vorn mit der betreffenden Ziffer gekennzeichnet, wie: 51989. Mehrere Bände werden durch: - abgetrennt, wie: 1979-2. Bei zwei gleichnamigen Autorinnen bei glei-chem Jahrgang wird ein Hinweis auf Vornamen gegeben: Fletcher, J. 2004.

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Kurzfassung des Gesamtkonzepts Nach Hinweisen auf die prozessorientierte Methode einer historischen

Soziologie werden drei Typen des Homo sapiens des Jung-Paläolithikums vorgestellt: Ältere und Jüngere Wildbeuter¡nnen sowie die Sozial-differenzierte wildbeuterische sesshafte Gemeinschaft. Letztere steht für jene, die das GeistigeZentrum am Göbekli Tepe planen und errichten konnte, weil sie offensichtlich arbeitsteilig und hierarchisch strukturiert war. Die zentralen männlichen Götter-figuren in den Kreisbauten dort symbolisieren das; ähnliches gilt für den Turm-bau von Jericho. Dagegen begannen noch sehr schlicht organisierte und den-kende Leute die Höhlenmalerei und Schnitzerei. Da die Schädelform bei Homo sapiens erst vor 35.000 Jahren ihre heutige Kugelform erreichte, wurde es umso nötiger, die ersten Jahrtausende als besondere, frühe Form der Kompetenz zu untersuchen. Bei der Analyse von Kognition und Emotion wurden auch die Neurowissenschaften, Bewusstsein und psychische Entwicklung, einbezogen.

Piagets Stadien der kindlichen Ontogenese – die der individuellen Entwick-lung des Präfrontalen Kortex folgen – geben Hinweise, dass die neue frühe Kommunikation (Schnitzerei, Malerei, Musik) nur mit Zeigen und Gebärden und noch ohne Sprech-Sprache entstehen konnten. Sie ging deutlich einher mit der Transformation der materiellen Kultur, an der Denken und Logik als histori-sche Kompetenz sich ausbildet. Dazu wurde kontinuierlich schon früh die Sess-haftigkeit zur generellen Lebensform. Grössere Siedlungen erforderten einen Lernprozess des Zusammenlebens, des Verzichts auf Aggression als Reaktion etwa auf Ehrverlust. Eine wichtige Bedeutung bekam die Institutionalisierung der Verwandtschaft von nur gefühlten Formen bei Mutter und Kind hin zur organisierten Stammesverfassung, die eine erhebliche Machterweiterung mit

32 | Kurzfassung des Gesamtkonzepts

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sich brachte. Speziell die alltägliche Macht, die Geschlechterdifferenz, der Pro-zess der Institutionalisierung und die Entwicklung des Religiösen werden als Movens dieser Gemeinschaften erkennbar. Sesshafte Wildbeuter¡nnen schufen am Göbekli Tepe die erste Hoch-Kultur, als die Folge des Endes der Eiszeit eineerweiterte Kognition verlangte. Hier, und nicht im Neolithikum, erleuchtet der menschliche Geist, dessen Entwicklung in den Stadtstaaten Sumers (und in Ägypten) erneut sichtbar wurde.

Kurzfassung des Gesamtkonzepts | 33

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