Überfachliche Kompetenzen im Beruf Eine...
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Überfachliche Kompetenzen im Beruf – Eine
Herausforderung für die Hochschule?
Prof. Dr. Joachim Thomas
Professur für Psychologische Diagnostik und
Interventionspsychologie
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Wissen und Können
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Prof. Dr. Joachim Thomas Überfachliche Kompetenzen
Gliederung
Prof. Dr. Joachim Thomas Überfachliche Kompetenzen
|1 • Warum sprechen wir von Kompetenzen? Von der
Schwierigkeit „Kompetenz“ zu definieren.
• Überfachliche Kompetenzen im Beruf – Annahmen und
Befunde
• Wie überfachlich sind überfachliche Kompetenzen?
Der Kompetenzbegriff im Rahmen von Theorien
Situierter Kognitionen
• Konsequenzen für Diagnostik und Vermittlung
• Schlussfolgerungen für Curricula an Hochschulen
Warum sprechen wir von Kompetenzen im
Rahmen der Lehre an Hochschulen?
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• Zentraler Paradigmenwechsel in Zusammenhang mit
Bologna-Reform: Fachliche Systematik wird ergänzt
durch Beschreibung von Kompetenzen
• Es geht nicht nur um Wissen – sondern um Können
• Modellvorstellungen über den Erwerb von
Kompetenzen für:
• Gestaltung von Testverfahren
• Entwicklung von Lehr-Lernformen
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Definition von überfachlichen Kompetenz
|3 Erste Ansätze im Bereich der beruflichen Bildung:
Mertens (1974) führt den Begriff der „Schlüsselqualifikation“
ein.
überfachliche Kompetenzen - neben Fachkompetenzen
zentral für betriebliche Weiterbildung
Problem: Mangel an Konkretheit – weitgehend abstrakte
Diskussion (Mertens, 1988)
„Schon der Qualifikationsbegriff hat nicht gehalten, was er versprach:
Nämlich eine gegenüber dem als verschwommen und unklar
unterstellten und hochbelasteten Bildungsbegriff gesteigerte
theoretische und kategoriale Präzision und empirische Fundierbarkeit.
In der „Schlüsselqualifikationsdebatte“ sind alle Messbarkeitsillusionen
zerstoben und der Begriff Kompetenz droht ebenfalls zunehmend hohl
zu werden.“ (Faulstich, S. 15)
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Projekt DeSeCo der OECD
|4 • Projekt „Defining and Selecting Key Competencies“,
(Rychen & Salgarnik, 1999):
• Versucht eine allgemeine Systematik von
Schlüsselkompetenzen zu entwickeln
• 3 breite Kategorien von Kompetenzen:
> Use tools interactively (e.g. language, technology)
> Interact in hetergeneous groups
> Act autonomously
• Wesentliches „Beiprodukt“ des Projektes eine kritische
Sicht des Kompetenzbegriffes von F.E. Weinert
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Kompetenzbegriff nach Weinert
|5 Weinert (The Concept of Competence – A conceptual
clarification) 1999, 2001
Vielzahl von Verwendungen des Kompetenzbegriffs
• Angeborene Persönlichkeitsmerkmale
• Erworbener Wissensbesitz
• Fächerübergreifende Schlüsselqualifikationen
• Fachbezogene Fertigkeiten
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Handlungsorientierte Definition nach Weinert
|6 Kompetenzen sind die bei Individuen verfügbaren oder von
ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten,
bestimmte Probleme zu lösen,
sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen
und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die
Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und
verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2001,
S. 27f).
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Kompetenz als Zusammenspiel von ...
|7 • Gegebene Fähigkeiten werden genutzt
• Auf vorhandenes Wissen wird zurückgegriffen, bzw. auf die
Fertigkeit, sich Wissen zu beschaffen
• Zentrale Zusammenhänge der Sachdomäne werden
verstanden
• Angemessene Handlungsentscheidungen werden getroffen
• Bei der Durchführung der Handlungen wird auf verfügbare
Fertigkeiten (skills) zurückgegriffen
• Das Handeln wird mit der Gelegenheit zum Sammeln von
Erfahrungen verknüpft
• Die handlungsbegleitenden Kognitionen geben genügend
Motivation zu angemessenem Handeln
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Beispiel Fremdsprachenkompetenz
|8 • Bewältigung von kommunikativen Situationen (Handeln
und Erfahrung)
• Verstehen von Texten unterschiedlicher Art
• Verfassen adressatengerechter Texte (Können)
• Fähigkeit, grammatische Strukturen aufzubauen und ggf.
zu korrigieren (Fähigkeit und Wissen)
• Motivation sich offen und akzeptierend mit anderen
Kulturen auseinanderzusetzen (Motivation)
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Schlussfolgerungen für die Messung von
Kompetenzen
|9 • Nicht nur das Wissen wird erfasst, sondern auch das
Können, das ihrerseits über den Bereich reiner
Fertigkeiten (skills) hinausgeht
• Kompetenzen können daher im Prinzip nur im konkreten
Handeln erfasst werden
• Als sinnvoll haben sich Kompetenzstufenmodelle
erwiesen, die Kompetenzentwicklung als Abfolge
qualitativer und quantitativer Möglichkeiten darstellen.
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Beispiel I: Kompetenzstufen des Europäischen
Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen
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Beispiel II: Aufgabe zur sozialen Kompetenz
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Du willst Dir am Bahnschalter eine Fahrkarte kaufen. Dein Zug fährt in
wenigen Minuten und vor Dir wartet bereits eine weitere Person.
Du versuchst die Sympathie der Person vor Dir
zu gewinnen. Vielleicht lässt sie Dich vor.
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Kompetenzen domänenspezifisch oder
domänenübergreifend?
|12 zentrale Rolle fachbezogener Fertigkeiten und
fachbezogenen Wissens
Kompetenzen zunächst domänenspezifisch
Was bedeutet dies nun für die Schlüsselkompetenzen?
Fachgebundene Kompetenzen stellen eine notwendige
Grundlage für die Entwicklung fächerübergreifender
Kompetenzen dar.
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Überfachliche Kompetenzen im Beruf –
Annahmen und Befunde
|13 Zahlreiche Studien mit Arbeitgeberbefragungen:
Besondere Bedeutung von überfachlichen Kompetenzen
im Beruf.
Gemeinsames Memorandum von BDA, BDI und HRK
fordert eine Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit der
Absolventen.
Welche Kompetenzen sind hierfür relevant?
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Memorandum zur Beschäftigungsfähigkeit
|14 1. Fachwissenschaftliche und methodische Kompetenzen:
Kenntnis der Inhalte und Methoden einer
wissenschaftlichen Disziplin
Fachliches und disziplinübergreifendes Urteilsvermögen
Fähigkeit., erlerntes Wissen und Methoden produktiv auf
andere Zusammenhänge und Probleme anzuwenden und
weiterzuentwickeln
Fähigkeit zur Nutzung von Recherche- und
Arbeitstechniken, Zeit- und Projektmanagement
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Memorandum zur Beschäftigungsfähigkeit (2)
|15 2. Soziale Kompetenzen als Voraussetzung für gezielte Interaktion:
Kommunikationsfähigkeit in verschiedenen Sprachen
Teamfähigkeit
Führungsfähigkeit
Interkulturelle Kompetenzen
Konfliktfähigkeit
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Memorandum zur Beschäftigungsfähigkeit (3)
|16 3. Personale Kompetenzen Entfaltung des eig. Potentials
Leistungsbereitschaft und Erfolgsorientierung
Verantwortungsbewusstsein
Selbstvertrauen
Kreativität, Flexibilität
Unternehmerisches Denken und Handeln
Fähigkeit, den eigenen Arbeits- und Lernweg
verantwortlich zu gestalten
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Kompetenzen von Hochschulabsoventen –
Anforderungen des Arbeitsmarktes
|17 Projekt REFLEX: Befragung von 36.000
Hochschulabsolventen im Jahr 2005 (5 Jahre nach
Abschluss des Examens)
Zentrale Themen u.a.: • Beschäftigungssituation von Hochschulabsolventen im
internationalen Vergleich;
• Übergang in eine erste Beschäftigung;
• Beschäftigungssituation fünf Jahre nach Studienabschluss;
• Qualifikation und Tätigkeit, Berufserfolg;
• neue berufliche Anforderungen;
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Einschätzung der Anforderungen an
Kompetenzniveau für die berufliche Tätigkeit
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Wahrgenommene Stärken und Schwächen (1)
Relative Stärken
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Wahrgenommene Stärken und Schwächen (2)
Relative Schwächen
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen (Schweizer
Sample) – nach Studienfächern (Fachkompetenzdefizite)
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Fachkompetenzdefizite)
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Problemlösekompetenzdefizite)
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Selbstkompetenzdefizite)
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Sozialkompetenzdefizite) |25
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Defizite in der Kommunikationskompetenz)
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Relative Verfügbarkeit von Kompetenzen
(Organisationskompetenzdefizite)
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Schlussfolgerungen: Wie lassen sich überfachliche
Kompetenzen verbessern?
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Bologna-Reform: Verstärkte Anstrengungen,
Schlüsselkompetenzen in das Studium einzubinden
Dabei stellt sich die Frage, wie Schlüsselkompetenzen zu
vermitteln sind.
Erste Ansätze versuchen mit additiven Modulen die
Verfügbarkeit von Schlüsselkompetenzen zu verbessern.
(Vermittlung im Rahmen von general studies)
Das ist problematisch!
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Überfachliche Kompetenzen am Beispiel der
des Missionare- und Kannibalenproblems
3 Kannibalen und 3 Missionare wollen einen Fluss überqueren.
Es passen immer nur 2 Personen gleichzeitig ins Boot. Wenn auf
einer Seite des Flusses einschließlich der Personen im angelegten
Boot mehr Kannibalen als Missionare sind, so werden die Missionare
dort gefressen. Wie können alle übersetzen, ohne dass den
Missionaren etwas passiert?
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Die Situated-Cognition –Bewegung -
Grundpositionen
|30 Wissen nicht als abgespeicherte, abstrakt-dekontextualisierte
mentale Repräsentationen.
Dichotomie zwischen Wissen und Handeln wird aufgegeben:
Wissen ist immer relational definiert: Es konstituiert sich immer in
der Koordination zwischen einer Person, d.h. deren Erfahrungen
und der Situation, die Handlungsmöglichkeiten und
Handlungsbegrenzungen vorgibt.
Greeno (1993):“ In this relativistic view, knowing is ability to interact
with things and other people in situation.“
Lernen ist immer an die inhaltlichen und sozialen Erfahrungen
der Lernsituation gebunden
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Ein Beispiel aus dem schulischen Kontext: Die Jasper
Woodbury-Serie der Anchored Instruction
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1. Video-gestützte Situations-Präsentation
2. Narrative Struktur: Erzählung mit realistischen Problemen
3. Generatives Problemlösen: Zur Aktivität anregende
Darstellung (d. h. das Ende der Geschichte und die
Lernenden definieren das zu lösende Problem
4. Eingebettetes Daten-Design (d. h. alle für die Problemlösung
benötigten Informationen sind in dem Videofilm enthalten
5. Sinnvolle Komplexität (d. h. jedes Abenteuer schließt
mindestens 14 Schritte ein)
6. Diskursives Problemlösen durch kooperative Lernformen
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Schlussfolgerungen für die Vermittlung
überfachlicher Kompetenzen
|32 • Weg von additiven Modulen zur Vermittlung von
Schlüsselkompetenzen
• Integratives Vorgehen bei der Vermittlung:
überfachliche Kompetenzen entwickeln sich aus der
Beschäftigung mit fachlich gebundenen Inhalten
• Wie ist das umzusetzen?
• Didaktische Konzepte mit verstärkt sozial-interaktiven,
problemorientierten und komplexen Lehr-
Lernarrangements
• Spezifische Fokussierung von überfachlichen
Kompetenzen im Rahmen des inhaltlichen Kontextes
(analytische Trennung)
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Was ist zu tun?
|33 • Ausgehend von empirischen Befunden aus
Absolventen- und Arbeitgeber- und
Expertenbefragungen aus dem Bereich der
Hochschule:
• Formulierung der zentralen überfachlichen
Kompetenzen in der Konkretisierung für das Fach
• Einbinden in die Formulierung von
Qualifikationsrahmen – konkret verhaltensbezogen
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Beispiel Qualifikationsrahmen für Soziale
Arbeit (Masterlevel)
|33 MA-Level-Absolventinnen und -Absolventen besitzen
die Fähigkeit, mit wissenschaftlichen Methoden auch
neue, unklare und untypische Aufgabenstellungen in der
Sozialen Arbeit vor dem Hintergrund der aktuellen
wissenschaftlichen Diskussion eigenständig zu
beschreiben und zu analysieren.
die Fähigkeit, Kollegen bei der Analyse neuer, unklarer
und untypischer Aufgabenstellungen fachlich anzuleiten.
die Fähigkeit, zur umfassenden Analyse von internen und
externen sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren und
zur verantwortlichen Einbindung anderer Fachdisziplinen
in die eigene fachliche analytische Arbeit.
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Welche Möglichkeiten/Notwendigkeiten zur
Unterstützung dieses Prozesses sind sinnvoll?
|36 • Formulierung von Strategien zur Einbindung von
überfachlichen Kompetenzen in die Curricula
• z.B. durch prototypische Aufgabenstellungen in
spezifischen Kontexten
• Entwicklung von Konzeptionen zur Vermittlung von
Transferkompetenz
• Entwicklung von validen Assessmenttools auf der
Basis von Kompetenzstufenmodellen
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Interventionspsychologie
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Vielen Dank für Ihr Interesse.
Missionare und Kannibalen II
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