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    Verlag Zrich

    Beitrge zu einem neuen christlichen Zeitalter

    Offene Tore

    Vierteljahres

    schrift|57.

    Jahrgang

    |ISSN0

    030-0101

    Thomas Noack

    Der Sp(i)rit von oben

    Seite 65

    Thomas Noack

    Die Schpfungslehre als Beispiel

    einer Relecture Swedenborgs

    durch Lorber

    Seite 66

    Olle Hjern

    Emanuel Swedenborgs Einfluss

    in Skandinavien

    Seite 104

    Gerhard Wehr

    Gefhrten auf dem inneren Weg

    Seite 125

    2|1

    3

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    Herausgeber

    Neue Kirche der deutschen

    Schweiz

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    Thomas Noack

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    Bernhard FthTelefon 08053-2090 03Hohenrieststrae 10D-83139 Schwabering

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    Einzel- und Abopreis

    Einzelheft sFr. 7. / 4.50

    Jahrgang sFr. 25.50 / 17.Interessenten knnen sie einJahr lang gratis abonnieren.

    Inhalte

    Fr den Inhalt sind die Autorenselbst verantwortlich. DieSchriftleitung legt Wert auf dieDarstellung unterschiedlicherStandpunkte, sofern sie ihreneigenen Zielen nicht schonim Ansatz widersprechen.

    Verwendete Abkrzungen

    Oft zitierte Werke EmanuelSwedenborgs:HG Himmlische Geheim-

    nisseEO Die Enthllte Offen-

    barungOE Offenbarung Johanniserklrt

    HH Himmel und HlleWCR Die wahre christl.

    ReligionLW Die Gttl. Liebe und

    WeisheitGV Die Gttliche VorsehungEL Eheliche & buhlerische

    LiebeNJ Vom Neuen JerusalemVH Vier Hauptlehren der

    Neuen Kirche

    Offene Tore

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    Die Schpfungslehre als Beispieleiner Relecture Swedenborgs

    durch Lorbervon Thomas Noack

    1. Das Relecturemodell

    ei der Beschreibung des Verhltnisses Swedenborg und Lorberstehen sich zwei Modelle wie These und Antithese gegenber.

    Das eine strebt den Nachweis der vollstndigen bereinstimmung derbeiden Offenbarungen an, das andere den Nachweis der vollstndigenVerschiedenheit. Das erste nenne ich das Harmonisierungs- oder Kon-kordanzmodell, das zweite das Differenzmodell.

    Der erste Ansatz begegnete mir am reinsten in den Arbeiten von Pe-ter Keune und Karl Dvorak. Er wird von Personen vertreten, welche dieSchriften Swedenborgs und Lorbers, also die Schriften beider, als gttli-che Offenbarungen bejahen knnen. Diesem Personenkreis ist aller-

    dings die vollstndige und rational nachvollziehbare Durchfhrung ih-res Glaubens bisher nicht gelungen. Unbefriedigend ist insbesondere,dass sich innerhalb des Wunsches nach Harmonisierung die Differen-zen nicht wirklich thematisieren lassen, sie werden von vornherein alsscheinbare Differenzen deklariert.1

    1 Peter Keune verwendet als ein Vertreter des Harmonisierungsmodells regelmigdas Adjektiv scheinbar zur Charakterisierung der Widersprche und Differen-

    zen. In einem Brief an den Swedenborgianer Horand Gutfeldt (1922-1997) vom17. Januar 1978 schrieb er: Ich bin nach wie vor davon berzeugt, da beide(Swedenborg und Lorber)TN aus derselben Quelle schpften, und da scheinbareWidersprche sich bei rechter Betrachtungsweise auflsen bei mir jedenfalls.In seinem Aufsatz Die Sache mit Luzifer (1998) findet man die folgendenStatements: Eine der scheinbaren Differenzen zwischen den geistigen Weltbil-dern Swedenborgs und Lorbers sind jeweils unterschiedliche Aussagen ber dieExistenz eines gefallenen Urgeistes namens Luzifer (Seite 1). Vor allen Dingenliegt mir am Herzen, da sich die scheinbaren Differenzen auflsen mgen undstatt dessen in einen sich ergnzenden Zusammenhang fgen. (Seite 47).

    Der 1992 verstorbene Karl Dvorak aus der Schule von Armin Schumann (gest.1977) sah in Meister Eckehart, Jakob Bhme, Emanuel Swedenborg und Jakob

    B

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    Obwohl auch ich das Harmonisierungsmodell progagiert habe undnoch immer mit ihm sympathisiere, muss ich inzwischen doch auchsagen, dass sich die Einheit der beiden Offenbarungen vermutlich

    ebensowenig wird zeigen lassen, insbesondere unter der Bedingungeines historisch-kritischen Denkens, wie die Einheit des Alten undNeuen Testaments, das heit der Schrift. Und dennoch hat die Kirchebeide zu der einen christlichen Bibel vereint mit allen Schwierigkeiten,die aus heutiger Sicht damit verbunden sind. In diesem Sinne glaubeich nach wie vor, dass die Offenbarungen durch Swedenborg und Lor-ber in den Gesamtzusammenhang der Wiederkunft Christi und der Kir-che des neuen Jerusalems gehren. Ja, ich glaube auch, dass sie im In-

    newerden des Herzens zu einer einzigen Stimme verschmelzen kn-nen. Doch das sind innerste Glaubensberzeugungen. Tatsache ist,dass bisher keinem Anhnger des Harmonisierungsmodells, der ratio-nal nachvollziehbare Nachweis einer vollstndigen bereinstimmungder beiden Offenbarungen gelungen ist.2

    Der zweite Ansatz begegnete mir am reinsten in einer Arbeit vonAlfred Dicker aus dem Jahr 1998: Lorber und Swedenborg: Eine Ge-genberstellung3. Dicker brachte den Gedanken in die Diskussion ein,

    dass es nicht ausreiche, ein paar Gemeinsamkeiten und Unterschiedezu sammeln und von da aus auf das Ganze zu schlieen, vielmehrmsse man von gemeinsamen oder unterschiedlichen Grundgedankenin den Lehrsystemen Swedenborgs und Lorbers ausgehen und sich aufdieser systematisch-theologischen Grundlage die Eigenart der beidenOffenbarungen erschlieen. Dieser methodische Einwand leuchtete mirsofort ein, weswegen ich Friedemann Horn, dem damaligen Schriftlei-ter der Offenen Tore, die Verffentlichung des Aufsatzes empfahl.4 Al-

    2 Peter Keune hat sich in seinem Aufsatz Die Sache mit Luzifer (1998) der auffl-

    ligsten Differenz zwischen Swedenborg und Lorber gestellt. Bezeichnenderweisehat der exzellente Lorberkenner Wilfried Schltz der darin geuerten Thesepostwended auf das heftigste widersprochen hat (Zeitschrift Das Wort: Zeitschriftfr ein vertieftes Christentum, 1999, 135-159, 228-247).

    3 Verffentlicht in: OT 1998, 75-100.4 Auf diesen Vorgang bezieht sich die Vorbemerkung des Schriftleiters: Von drit-

    ter, mit den Werken Swedenborgs und Lorbers wohlvertrauter Seite wird dem

    Schriftleiter dieser umfangreiche Artikel zur Verffentlichung empfohlen. Diehinzugefgte Bemerkung der Aufsatz ist sehr sachlich und fundiert ermutigt

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    lerdings wrde ich den Ansatz etwas anders durchfhren, als es Dickerseinerzeit tat, insbesondere wre sehr viel grndlicher die Differenz imGottesbild zu untersuchen. Dicker verlagerte seine Ausfhrungen zu

    schnell und unmittelbar auf das anthropologische und soteriologischeFeld. Auerdem habe ich einen grundstzlichen Vorbehalt gegenberdem Differenzmodell. Es tendiert dazu, nun die Gemeinsamkeiten alsscheinbare darzustellen, sie als Tuschung zu entlarven und ins Nichtseiner bloen Illusion aufzulsen. Meines Erachtens muss man der Re-zeption Swedenborgs durch Lorber mehr Gewicht beimessen als es derSuche nach dem totalen Unterschied mglich ist.

    Zwischen diesen beiden Extremen ist natrlich auch die mittlere

    Position einnehmbar, dass es Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt.Der wichtigste Vertreter dieser gemigten Richtung war FriedemannHorn (1921-1999). Gegenber den Lorberfreunden forderte er die An-erkennung der bei allem Gemeinsamen nun einmal bestehenden Un-terschiede ein (OT 1976, 39). Gleichzeitig betonte er aber auch die engegeistige Verwandtschaft: Trotz der sehr unterschiedlichen Art, wieLorber und Swedenborg ihre Offenbarungen empfingen und trotz derUnterschiede inhaltlicher Art halte ich die Freunde Lorbers fr die

    engsten geistigen Verwandten der Freunde Swedenborgs. (OT 1977,140). Mit diesem Ansatz war der Wunsch verbunden, die Beziehungender Neuen Kirche zu den Lorberfreunden nach der ra Fedor (1835-1908) und Adolf Ludwig Goerwitz (1885-1956) auf eine neue Grundla-ge zu stellen.5

    An dieser Stelle ist ein Hinweis auf die Horn-Hutten-These ange-bracht. Friedemann Horn war der berzeugung: In der Schpfungs-lehre bestehen die grten Differenzen. Lorber glaubt (im Unterschied

    zum Bibeltheologen Swedenborg)TN an den biblisch nicht oder doch nur

    ihn, dieses Wagnis einzugehen (OT 1998, 75). Von 1993, dem Jahr meines Um-zugs nach Zrich, bis 1999, dem Todesjahr von Friedemann Horn, ergaben sichfters Gelegenheiten ber die Swedenborg-Lorber-Thematik zu sprechen.

    5 Einen geschichtlichen berblick ber die Gestaltung des Verhltnisses der NeuenKirche zu den Lorberschriften und -freunden findet man in: Thomas Noack, DieNeue Kirche und das Phnomen Jakob Lorber, in: OT 2011, 2-31 und ders., Der Se-

    her und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber imVergleich, 2004, 218-222.

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    bereinstimmung. Die diesbezglichen Aufstze aus den Jahren 1990bis 2002 sind derzeit am besten im Sammelband Der Seher und derSchreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Ver-

    gleich (2004) zugnglich. Bezeichnenderweise ist darin jedoch derBeitrag ber die Schpfung mit einem Umfang von nur zwei Seiten derkrzeste. An der Schpfungslehre scheiterte mein Vorhaben, die Ein-heit der Offenbarungen nach dem Konkordanzmodell darzustellen. Dasveranlasste mich schlielich dazu, das nun vorzustellende Relecture-modell anzuwenden.

    Unter einer Relecture ist die Reinterpretation eines vorgegebenenTextes zu verstehen. Im hier vorliegenden Fall sind die Werke Swe-

    denborgs der vorgegebene Text und die Werke Lorbers das Ergebnisder Reinterpretation oder Relecture. Ich will mit diesem Ansatz nichtden Offenbarungscharakter der Werke Lorbers in Abrede stellen. Aller-dings muss es erlaubt sein darauf hinzuweisen, dass Lorber nach einerAussage seines Biografen Karl Gottfried Ritter von Leitner (1800-1890)9 unter anderem etwas von Swedenborg gelesen hat, der zudemmehrmals hchst anerkennend in der Neuoffenbarung durch Lorbererwhnt wird. Insofern ist eine gewisse literarische Abhngigkeit si-

    cherlich gegeben.10

    Doch die Behauptung eines solchen Zusammen-hangs ist fr die Anwendung des Relecturemodells keineswegs unbe-dingt erforderlich, denn von Relecture kann man auch sprechen, wennman es dabei bewenden lsst, dass die Werke Swedenborgs und Lor-bers Offenbarungen Gottes sind. Dann ist denkbar, dass Gott, der ei-gentliche Urheber der Werke Swedenborgs, ein knappes Jahrhundertspter diese Werke durch Lorber einer grndlichen Relecture unterzo-gen hat.

    Das Relecturemodell nimmt die Wahrheitsmomente der beiden obengenannten auf und vereinigt sie zu einer umfassenderen Gesamtan-sicht, insofern ist dieses Modell die Synthese der beiden anderen. Kon-kret sieht das so aus: In der Neuoffenbarung durch Lorber ist eine swe-

    9 Karl Gottfried Ritter von Leitner, Jakob Lorber, ein Lebensbild nach langjhrigem

    persnlichen Umgang, Bietigheim 1969, Seite 17.10 Siehe Thomas Noack,Kannte Jakob Lorber einige Werke Swedenborgs? in: OT 2002,

    198-204, und in: ders., Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swe-denborg und Jakob Lorber im Vergleich, 2004, 218-222.

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    denborgsche Rezeptionsschicht nachweisbar. Das ist das Wahrheits-moment des Konkordanzmodells. Doch schon in dem, was Lorber vonSwedenborg bernommen hat, sind Modifikationen zu beobachten. Sie

    sind die Auswirkungen eines neuen Gesichtspunktes, der in der Neuof-fenbarung durch Lorber hinzutritt. Im Falle der Schpfungslehre ist esder Luziferkomplex bzw. die Thematik Urschpfung und Urentstehungvon Materie und Kosmos. Dieser neue Gesichtspunkt fhrt zu einer um-fassenden Reinterpretation des swedenborgschen Erbes. Das ist dasWahrheitsmoment des Differenzmodells. Abschlieend kann man vonLorber auf Swedenborg zurckschauen und ihn im Lichte der nun er-folgten Reinterpretation betrachten, denn nach einer Relecture er-

    scheint der Ursprungstext in einem neuen Licht, natrlich nur fr den,der die Relecture nachvollzogen hat. Die hier skizzierte Schrittfolge be-stimmt die Gliederung meiner nun folgenden Ausfhrungen.

    2. Swedenborgs Schpfungslehre

    2.1. Sinn und Unsinn der creatio ex nihilo

    Swedenborg lehrt wie die jdisch-christliche Bibel, dass Himmel

    und Erde oder das Weltall Schpfung Gottes ist. Eine wichtige Aussa-ge in diesem Zusammenhang ist die creatio ex nihilo. Das Schaffen Got-tes und das des Menschen sind durchaus vergleichbar, aber ein wesent-licher Unterschied besteht. Gott bentigt fr seine Schpfungen keinihm vorgegebenes Material11. Damit wandte sich die christliche Lehregegen die platonische Annahme einer ebenso wie Gott ungewordenenMaterie12. Diesem verneinenden Verstndnis des ex nihilo knnenwir ohne Weiteres zustimmen.

    Nachdem gesagt worden ist, aus was Gott die Dinge nichtgeschaf-fen hat, stellt sich nun allerdings die weitergehende Frage: Aus was hat

    11 Wilfried Hrle,Dogmatik, 2007, Seite 409.12 Der evangelische Theologe Wolfhart Pannenberg schreibt: Besonders Theophilus

    (von Antiochien) hat sich ausdrcklich gegen die platonische Annahme einerebenso wie Gott ungewordenen Materie gewendet (ad Autolycum II,4): Die GreGottes und seiner Schpfertat zeige sich erst dann, wenn er nicht wie menschli-

    che Knstler aus einer vorgegebenen Materie, sondern aus gar nichts hervorbrin-ge, was immer er will. (Systematische Theologie, Band 2, 1991, Seite 28).

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    er sie geschaffen? Swedenborg geht von dem philosophischen Grund-satz aus aus nichts wird nichts (ex nihilo nihil fit)13 (WCR 76) und ge-langt so zu einer Ablehnung der creatio ex nihilo: Gott hat das Weltall

    nicht aus nichts (ex nihilo) erschaffen, da ja aus nichts nichts wird.(WCR 76).14 Wir mssen daher unsere soeben gegebene Zustimmungprzisieren. Wenn das ex nihilo nur die Bedeutung einer relativenVerneinung hat, also nur die Anknpfung an eine vorgegebene Materieausschlieen soll, dann knnen wir sie aufrecht erhalten. Wenn es aberauch die Bedeutung einer absoluten Verneinung haben soll, dann ms-sen wir sie zurckziehen.

    Da aus nichts nichts entsteht, das Universum aber nach jdisch-

    christlichem Glauben von Gott erschaffen wurde, bietet sich der Ge-danke an, dass es aus Gott erschaffen wurde. Und genau diesen Ge-danken formuliert Swedenborg: Der Herr von Ewigkeit, das heitJHWH, hat das Universum und alles darin aus sich selbst (a se ipso) ge-schaffen, nicht aus nichts (a nihilo) (GLW 282). Der Herr hat aus sichselbst (ex se ipso) alles erschaffen (GV 157, siehe auch GV 46). Dem auf-merksamen Leser ist aufgefallen, das Swedenborg sowohl die Prposi-tion a (von) als auch die Prposition ex (aus) verwendet. Ist damit

    ein Bedeutungsunterschied verbunden? Will er sagen, dass Gott aristo-telisch gesprochen sowohl die causa efficiens ist, das heit die wir-kende Ursache oder der Schpfer, als auch die causa materialis, dasheit die Materialursache oder der Stoff, aus dem der Kosmos ist? Swe-denborg hat tatschlich beides im Sinn. Die erste Bedeutung muss mannicht weiter betrachten, denn sie versteht sich fr einen christlichenPhilosophen von selbst. Aber die zweite bedarf einer genaueren Unter-

    13 Ex nihilo nihil fit ist ein zuerst bei dem griechischen Philosophen Melissos(Hermann Diels, Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker I, Kapitel 30 B)auftretender, nach Aristoteles (Physik I 4) bei den Philosophen berhaupt bli-cher Satz, dem Lukrez (De rerum natura, 150-214) einen besonderen Abschnittwidmete. (Wrterbuch der philosophischen Begriffe, hrsg. von Arnim Regenbogenund Uwe Meyer, 1998, Seite 213).

    14 Swedenborg: Man sagt, die Welt in ihrem Gesamtumfang (das Weltall) sei ausnichts (ex nihilo) erschaffen worden, und von diesem Nichts hat man die Vorstel-lung eines totalen Nichts, obwohl doch aus dem totalen Nichts nichts wird (ex

    plane nihilo nihil fit) und auch nichts werden kann. Das ist eine feststehendeWahrheit. (GLW 55).

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    suchung. Swedenborg entfaltet seinen Gedanken, indem er schreibt:Da Gott die eigentliche und einzige und somit die erste Substanz undForm ist, deren Wesen Liebe und Weisheit ist, und da auerdem alles

    Gewordene aus ihm (ex ipso) geworden ist, so folgt, dass er das Uni-versum und alles darin, vom Grten bis zum Kleinsten, aus der Liebedurch die Weisheit (ex amore per sapientiam) erschaffen hat und dassdaher die gttliche Liebe zusammen mit der gttlichen Weisheit in al-len geschaffenen Dinge und ihren Bestandteilen vorhanden ist. (WCR37).

    Aus dem ex se ipso (aus sich selbst) ist hier also aus der Liebedurch die Weisheit (siehe auch SK 5) geworden. Von ihnen wird gesagt:

    Die gttliche Liebe und die gttliche Weisheit sind als solche die Sub-stanz und die Form, das heit die eigentliche und einzige Substanz undForm (GLW 44). Und: Das vom Gttlichguten ausgehende Gttlichwah-re ist das eigentlichste Reale und das eigentlichste wesenhafte Sein (ip-sissimum reale et ipsissimum essentiale) im Universum. (HG 5272).Das vom Herrn ausgehende Gttlichwahre ist das eigentlichste Reale(ipsissimum reale) und so beschaffen, dass dadurch alles entsteht undbesteht, denn alles, was vom Herrn ausgeht, ist das eigentlichste Reale

    (ipsissimum reale) im Universum. (HG 6880). Wer die Ursachen derDinge uerlich und irdisch betrachtet, kann nur zu der Ansicht gelan-gen, dass das vom Gttlichen ausgehende Wahre nur etwas Gedachtesist, etwas ohne ein reales, wesenhaftes Sein (nullius essentiae realis).Es ist aber das eigentlichste wesenhafte Sein (ipsissimum essentiele),aus dem alles wesenhafte Sein der Dinge in beiden Welten, der geisti-gen und der natrlichen, sein Dasein hat. (HG 8200).

    Wenn nun aber die gttliche Liebe und Weisheit die eigentliche und

    einzige Substanz und Form sind, das wesenhafte Sein, aus dem dieSchpfung ihr Dasein hat, wie kann man dann dem Pantheismus ent-gehen? Swedenborg war sich der Gefahr einer solchen Interpretationseines Ansatzes bewusst. Jeder, der aus einer klaren Vernunft herausdenkt, sieht , dass alles aus einer Substanz erschaffen worden ist, diein sich Substanz (substantia in se) ist. Denn sie ist das absolute Sein(ipsum Esse), aus dem alles kontingente Sein existieren kann (ex quoomnia quae sunt, possunt existere) Viele sahen das wagten aber

    nicht, es mit Bestimmtheit zu ergreifen, weil sie frchteten, daraus

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    knne sich der Gedanke ergeben, das geschaffene Universum sei Gott,weil von Gott, oder die Natur sei aus sich selbst heraus da und ihr In-nerstes sei somit das, was man gemeinhin Gott nennt. (GLW 283). Dass

    man die Stoffursache (causa materialis) des geschaffenen Seins nichtirgendwie in Gott, dem absoluten Sein, suchte, hngt also mit der Be-frchtung zusammen, damit dem Pantheismus unausweichlich ausge-liefert zu sein. Deswegen bleibt auch der Gedanke der creatio ex nihilobei der verneinenden Aussage stehen, dass Gott keine vorgegebeneMaterie bentigt. Doch wie will Swedenborg dem Pantheismus entge-hen? Er bietet uns die folgenden berlegungen an: Das in Gott vonGott Geschaffene (creatum in Deo a Deo) ist keine Emanation von Gott

    (continuum ab Ipso). Denn Gott ist das Sein in sich, und im Geschaffe-nen ist kein Sein in sich. Wre im Geschaffenen Sein in sich, dann w-re es eine Emanation von Gott (continuum a Deo) und somit Gott. DieEngel stellen sich diesen Sachverhalt so vor: Was in Gott aus Gott ge-schaffen worden ist, ist wie etwas im Menschen, das sein Dasein zwaraus seinem Leben bezogen hatte, dem das Leben aber nun entzogen ist,und das nun wohl mit seinem Leben bereinstimmt, aber nicht seinLeben ist. (GLW 55)15. Das Geschaffene hat sich aus Gott objektiviert, ist

    nun aber als Objekt ohne Leben. Obgleich das Gttliche in allem undjedem des geschaffenen Universums ist, so ist dem Sein der Dinge dochnichts in sich selbst Gttliches eigen. Denn das geschaffene Universumist nicht Gott, sondern von Gott. Und weil es von ihm ist, ist in ihm seinBild vorhanden, vergleichbar dem Bild eines Menschen im Spiegel, indem er zwar erscheint, in dem aber nichts von ihm selbst ist. (GLW 59).Swedenborg legt also groen Wert auf die Unterscheidung: Die Schp-fung ist zwar aus dem Gottesleben hervorgegangen, aber ohne dieses

    Leben; sie ist zwar von Gott, aber nicht Gott. Der Vergleich mit demBild eines Menschen im Spiegel soll der Veranschaulichung dienen, imSpiegelbild ist nichts mehr vom Sein oder Wesen des Urbildes vorhan-den. Aber dieser Vergleich wirft auch die Frage auf: Und woraus be-steht der Spiegel? Oder was ist das Wesen der Materie?

    15 vgl. auch GLW 294.

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    2.2. Zwei Sonnen, zwei Welten

    1543 erschien De revolutionibus orbium caelestium (von den Dre-hungen der Himmelskreise) von Nicolaus Copernicus (1473-1543). Mit

    diesem Buch begrndete er das heliozentrische Weltsystem. Da seinerevolutionre Aussage durch das Vorwort des lutherischen GeistlichenAndreas Osiander entschrft wurde, der die heliozentrische Astronomieals mathematische Hypothese ohne Anspruch auf physikalische Wahr-heit darstellte, setzte sich das neue Weltbild erst zu Beginn des 17.Jahrhunderts durch die Forschungen von Johannes Kepler (1571-1630)und die Fernrohrbeobachtungen von Galileo Galilei (1564-1642) all-mhlich durch. Die physikalische Begrndung fr den Heliozentrismus

    fand jedoch erst Isaac Newton (1643-1727) mit der 1686 verffentlich-ten Gravitationstheorie, derzufolge nur die Sonne mit ihrer beherr-schenden Masse die Rolle eines Zentralkrpers im Planetensystemspielen kann.16

    In Swedenborgs Zeit ist das heliozentrische Weltbild akzeptiert. Erselbst geht ganz selbstverstndlich von der Zentralstellung der Sonneaus. So finden wir schon in seinem Brief vom 26. November 1719 anseinen vterlichen Freund Erik Benzelius (1675-1743) die Bemerkung:

    Die Sonne ist der Mittelpunkt unseres Planetensystem (mundus plane-tarius).17 Das Besondere bei Swedenborg ist die theologische Durch-dringung des neuen Weltbildes. Mit ihm beginnt der Prozess der Um-rechnung der Weisheit der Alten in das neue Systems des Wissens auf

    16 Swedenborg hatte whrend seiner Bildungsreise (1710-1715) Newtons Principia

    gelesen. Am 13. Oktober 1710 schrieb er aus London: Ich studiere Newton jedenTag und bin sehr gespannt darauf, ihn zu sehen und zu hren. Die Gravitations-theorie wurde in Schweden allerdings noch mit Skepsis zur Kenntnis genommen.So richtete Professor Pehr Elfvius (1660-1718) aus Uppsala am 28. Juli 1711 diefolgende Frage an Swedenborg: Was denken die gelehrten Mathematiker berNewtons Prinzipien der Bewegung der Planeten? Sie sind doch pure Abstraktio-nen und nicht physikalisch, was insbesondere fr die Vorstellung gilt, wie einPlanetenkrper Gravitationskrfte auf einen anderen ausbt usw. Das scheint ge-gen die Vernunft zu sein.

    17 Entsprechende Bemerkungen sind auch in seinen theologischen Werken zu fin-

    den: Die Sonne steht in der Mitte, weil sie das Zentrum ihres Universums ist.(OE 313).

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    empirischer Grundlage.18 So verbindet sich im Denken Swedenborgsdie Zentralstellung der Sonne mit der Vorstellung, dass sie die Erschei-nungsform Gottes und als solche der Ursprung seiner Schpfungen ist.

    In dem schon erwhnten Brief an Erik Benzelius aus dem Jahr 1719kommt Swedenborg zu dem Schluss, dass es mehr Grnde fr denGlauben gibt, dass Gott seinen Sitz in der Sonne hat, wie es die Bibelsagt.19 Hier beruft sich der Sohn des Bischofs von Skara ausschlielichauf die Bibel. Spter fand er den Glauben an eine geistige und eine na-trliche Sonne oder zwei verschiedenen Lichtern auch in den Schriftenantiker und zeitgenssischer Philosophen wieder. Zu nennen sind dieTheologie des Aristoteles, Augustin, Hugo Grotius (1583-1645), Nicolas

    Malebranche (1638-1715) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).20 In seinen theologischen Werken unterscheidet Swedenborgzwei Sonnen, eine geistige und eine natrliche (GLW 107). Die geistigeSonne ist die Erscheinungsform Gottes: In der geistigen Welt gibt eseine Sonne, in deren Mitte JHWH Gott ist, der Schpfer und Erhalterdes Universums (SK 9). Dabei ist die folgende Unterscheidung zu be-achten: Die Sonne der geistigen Welt ist als solche nicht Gott, sondernvon Gott, sie ist die nchste Sphre um ihn herum und von ihm ausge-

    hend (proxima Sphaera circum Illum ab Illo). (SK 5). Die Sonne der

    18 Die Theologie htte auf diesem Weg weiter voranschreiten sollen. Stattdessen zogsich der neuere Protestantismus seit Schleiermacher aus der Kosmologie zurck:Seit Schleiermacher ist der Streit zwischen Theologie und Naturwissenschaftum Fragen der Kosmologie im Grunde kein Thema mehr. (Ulrich Barth, Abschiedvon der Kosmologie - Befreiung der Religion zu sich selbst, in: Urknall oder Schp-fung? Zum Dialog der Naturwissenschaft und Theologie, hrsg. von Wilhelm Grb,Gtersloh 1997, Seite 35.

    19 Errtert wurde zwischen Benzelius und Swedenborg offenbar die Frage nach demOrt der Verdammten. Denn in dem genannten Brief lesen wir: Was den Ort derVerdammten betrifft, ob derselbe in der Sonne sei, so habe ich genau den entge-gengesetzten Gedanken; mir scheint sie eher der Ort der Seligen zu sein.

    20 Siehe den in der Akademie der Wissenschaften in Stockholm aufbewahrten Codex36 bzw. die bersetzung von Alfred Acton, A Philosopher's Note Book, Philadel-phia 1931. Die uns interessierenden Exzerpte aus Werken der genannten Autorenstammen aus dem Jahr 1741. Ich sttze mich auf die Auswertung von Friede-mann Stengel, Swedenborg als Rationalist, in: Aufklrung und Esoterik: Rezeption -

    Integration - Konfrontation, hrsg. von Monika Neugebauer-Wlk unter Mitarbeitvon Andre Rudolph, 2008, Seite 189 mit Anmerkung 245.

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    geistigen Welt ist das erste Hervorgehende der gttlichen Liebe undgttlichen Weisheit des Herrn (primum procedens Divini Amoris et Di-vinae sapientiae Domini) (GLW 109). Sie ist lebendig (GLW 157), und

    alles ist durch die lebendige Sonne geschaffen worden (GLW 166). DieSonne der natrlichen Welt hingegen ist reines Feuer und daher tot(GLW 157).

    Swedenborg verstand es als einer der ersten, das heliozentrischeWeltgefge als das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses zu lesen.Dieser Blick auf die Naturphnomene wurde ihm seinerzeit durch denGeologen John Woodward (1665-1728) erffnet, den er whrend seinerBildungsreise (1710-1715) besuchte. In seinem Essay toward a Natu-

    ral History of the Earth and Terrestrial Bodies, London 1695, hatteWoodward die Bedeutung der Erd- und Gesteinsschichten fr das Ver-stndnis der Erdentwicklung erwiesen und aus der Sedimentbildungdie einzelnen Stufen der Naturgeschichte unseres Planeten abzulesenversucht. Als Swedenborg John Woodward 1712 besuchte, war diesergerade mit der Ausarbeitung seiner Naturalis Historia Telluris be-schftigt, die 1714 erschien und eine Gesamtdarstellung seiner Theorieder Erdentstehung enthielt. Die entstehungsgeschichtliche Betrach-

    tungsweise war Swedenborg somit durch die Geologie vermittelt wor-den. 1734 verffentlichte er seine Principia Rerum Naturalium. Im 4.Kapitel des 3. Teils dieses bemerkenswerten Werkes entfaltete derschwedische Mineraloge eine Theorie der Entstehung der Planeten ausder Sonne. In der Fachliteratur wird der auf unser Planetensystem an-gewandte Entwicklungsgedanke mit Namen aus spterer Zeit in Ver-bindung gebracht, mit George Louis Leclerc de Buffon (1707-1788), derseine Theorie der Bildung der Himmelskrper erst 1749 verffentlichte,

    und besonders mit der Himmeltheorie von Immanuel Kant aus demJahr 1755 und der Theorie der Planetenentstehung aus von der Sonneabgelster Materie von Pierre Simon Laplace aus dem Jahr 1796.21 An-gesichts der bereinstimmungen zwischen Kant und Laplace auf dereinen und Swedenborg auf der anderen Seite und der zeitlichen Staffe-

    21 Immanuel Kant,Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch

    von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebudes

    nach Newtonischen Grundstzen abgehandelt, Knigsberg und Leipzig 1755. Pier-re-Simon Laplace,Exposition du systme du monde, Paris 1796.

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    lung - 1734, 1755, 1796 - meinte Hans Hoppe: Swedenborg ist nichtnur der Vater der Kantschen Kosmogonie, sondern darf auch als derder Laplaceschen Theorie angesehen werden!22 In seinen theologi-

    schen Werken bezeichnet Swedenborg die Sonne als das Erste derSchpfung und leitet dementsprechend die geistige Welt aus der geis-tigen und die natrliche Welt aus der natrlichen Sonne ab:

    Die Sonne ist das Erste der Schpfung (primum creationis), denndurch sie besteht alles, was in der zu ihr gehrigen Welt vorhanden ist(GLW 152). Die geistige Welt entstand und besteht aus ihrer Sonne,ebenso die natrliche aus der ihrigen. (SK 4). Es gibt zwei Sonnen,durch die der Herr alles erschaffen hat, die der geistigen und die dernatrlichen Welt. Eigentlich hat er alles durch die Sonne der geistigen

    Welt, nicht aber durch die der natrlichen Welt erschaffen Die Sonneder natrlichen Welt wurde erschaffen, um stellvertretende Hilfe zuleisten. (GLW 153).

    Swedenborgs Schpfungslehre setzt mit der Feststellung ein, dasses zwei Sonnen und dementsprechend zwei Welten gibt. Bezeichnendist der kurze Abschnitt Die Schpfung des Weltalls in WCR 75. Dieerste Aussage lautet: Es gibt zwei Welten; die geistige und die natr-liche Daran schliet sich die zweite Aussage an: Beide Welten ha-

    ben ihre eigene Sonne. Zwei Sonnen, zwei Welten, dieser Parallelis-mus bestimmt auch den Aufbau seiner Schpfungsphilosophie in demWerk ber die gttliche Liebe und Weisheit. Swedenborgs Hauptinte-resse gilt dem Entsprechungszusammenhang der beiden Welten, demEinfluss der geistigen in die natrliche Welt. Wie das Materielle ur-sprnglich aus dem Geistigen entstanden ist, das ist nicht sein Thema.

    2.3. Das Menschliche in der Schpfung

    Der Blick in den Sternenhimmel hat zu allen Zeiten im Menschendie Frage nach der eigenen Gre, der tatschlichen oder eingebilde-ten, hervorgerufen. Schon im Psalter lesen wir: Wenn ich den Himmelsehe, das Werk deiner Finger, den Mond und die Sterne, die du hinge-setzt hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Men-schen Kind, dass du dich seiner annimmst? (Ps 8,4f.). Whrend es in der

    22 Hans Hoppe, Die Kosmogonie Emanuel Swedenborgs und die Kantsche und La-placesche Theorie , in: Offene Tore 1960, 25-27, 111-116, Seite 25.

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    Neuzeit Mode geworden ist, angesichts der Unermesslichkeit des Uni-versums ein Bekenntnis zur Bedeutungslosigkeit des Menschen abzu-legen23, hat Swedenborg dem Winzling auf der Erde den Weg zur Er-

    kenntnis seiner wahren Wrde gewiesen. Schon der Philosoph derPrincipia von 1734 schrieb:

    Was also soll der Mensch von sich denken? Ist er wirklich das, was erglaubt zu sein? Du dreiste Kreatur, warum so berheblich im Glauben,alles sei dir untertan? Du Wurm, was bist du so aufgeblasen und ange-schwollen? Wenn du die Unermesslichkeit und Unendlichkeit des Uni-versums betrachtest und gleichzeitig auf dich selbst achtest und einenVergleich anstellst, ach, was fr ein winziges Teilchen des Himmelsund der Welt bist du doch, du armseliges Menschenkind! Gro kannst

    du in diesem Weltenmeer nur dadurch sein, dass du den Grten undUnendlichen anbeten kannst.24

    Im Schpfungsbericht der Bibel heit es: Und Gott sprach: Lasstuns Menschen machen in unser Bild nach unserer hnlichkeit (Genesis1,26). Swedenborg schliet daraus: Gott ist der eigentliche Mensch(GLW 11); andernfalls htte er den Menschen nicht als sein Bild erschaf-fen knnen (GLW 18). Daher wohnt der Schpfung das Humanum innegleichsam als die Handschrift ihres Schpfers. Swedenborg schreibt:

    Im geschaffenen Universum ist das Bild des Menschen vorhanden (GV52).

    Im Einzelnen bedeutet das: Die Schpfung ist der Prozess, durchden das Ich Gottes das Du des Menschen hervorbringen und vollendenwill, um mit ihm in ewiger Gemeinschaft zu leben. Der innerste undeigentliche Beweggrund des Geschehens, das wir Schpfung nennen,ist Gottes Liebe: Das Wesen der Liebe besteht darin, andere auer sichzu lieben, eins mit ihnen sein zu wollen und sie aus sich selig zu ma-

    chen. (WCR 43). Diese Eigenschaften der gttlichen Liebe fhrten zur

    23 So kommt beispielsweise der Wissenschaftshistoriker und Philosoph Jrgen Ha-mel zu dem Schluss: Fr den Kosmos hat die Menschheit jedoch keine Bedeu-tung. Wir haben uns damit abzufinden, dass unsere Existenz keinem hherenZweck dient, keinen tieferen Sinn fr irgendetwas oder irgendwen hat. (Meilen-steine der Astronomie: Von Aristoteles bis Hawking, 2006, Seite 285).

    24 Emanuel Swedenborg,Principia Rerum Naturalium sive Novorum Tentaminum phe-

    nomena mundi elementaris philosophice explicandi, 1734, Pars Tertia, Paragraphus1,11.

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    Schpfung des Weltalls und sind der Grund seiner Erhaltung. (WCR 46).Der Mensch ist das Endprodukt der Schpfung, die Krone der Schp-fung.25 Allerdings gilt diese Aussage fr den irdischen Menschen nur

    mit Einschrnkungen, denn das Endziel der ganzen Schpfung ist ernicht, sondern nur das der sichtbaren, materiellen Schpfung. Im Men-schen tritt die Urform des Schpfers in Erscheinung, insofern ist er informaler Hinsicht das Endziel der Bemhungen Gottes. Doch in dieserforma humana, die zugleich die Urform des gttlichen Geistes ist, sollsich nun auch der Geist der gttlichen Liebe und Weisheit entwickeln;im Menschen soll sich der Engel entwickeln. Daher ist der eigentlicheEndzweck der Schpfung ein Engelshimmel aus dem menschlichen Ge-

    schlecht. Bei Swedenborg liest sich das so:Der Zweck der Schpfung des Weltalls ist der Mensch, damit sich ausdem Menschen ein Engelshimmel bilde (EW 126). Der Zweck derSchpfung ist ein aus dem menschlichen Geschlecht gebildeter Engels-himmel, somit (zunchst) das menschliche Geschlecht. (GLW 330). DerZweck der Schpfung war der Engelshimmel aus dem menschlichenGeschlecht, also (zunchst) der Mensch, in dem Gott als in seinem Auf-nahmegef wohnen konnte. (WCR 66).26

    In diesem Zusammenhang bezeichnet Swedenborg das menschlicheGeschlecht als die Pflanzschule des Himmels (seminarium caeli) (HG6697, JG 10, EW 3, HH 417). Auerdem geht er in bereinstimmung mitdem Glauben seiner Zeit von der Bewohnbarkeit aller Erdkrper imWeltall aus. Den ersten Hinweis auf auerirdisches Leben findet manbei Giordano Bruno (1548-1600). Die Gleichfrmigkeit der materiellen

    25 Die Hervorbringung des Menschen erfolgt ber die drei Naturreiche, das heit

    ber das Mineral-, das Pflanzen- und das Tierreich. Diese drei Reiche sind diekonkrete Erscheinungsform der aufsteigenden Grade, die zum Menschen fhren.Ich verweise hierzu auf Swedenborgs Ausfhrungen in GLW 65.

    26 Untersttzung erfhrt diese Schau vom Menschen als dem Endprodukt des kos-mischen Geschehens mglicherweise durch das sogenannte anthropische Prinzip.Dazu der evangelische Theologe Wolfhart Pannenberg: Erst die naturwissen-schaftliche Kosmologie des 20. Jahrhunderts hat im Zusammenhang mit ihren Be-rechnungen von Alter und Entwicklung des Universums zu Betrachtungen dar-ber gefhrt, da eine Reihe von grundlegenden kosmologischen Daten gerade soeingerichtet sind, wie es fr die Entstehung des Lebens und damit auch des Men-

    schen auf dieser Welt unerllich ist. (Systematische Theologie, Band 2, 1991, Sei-te 93).

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    Verhltnisse im gesamten Weltall fhrt ihn zu der Annahme, die vonSonnen erwrmten Planeten anderer Systeme mssten, unserer Erdegleich, von Lebewesen - Tieren und Menschen - bewohnt sein.27 Weite-

    re, wichtige Stationen vor Swedenborg waren Bernard Le Bovier deFontenelle (1657-1757) mit seinem Buch Entretiens sur la pluralitdes mondes (Unterhaltungen ber die Vielzahl der Welten) (1686) undChristiaan Huygens (1629-1695) mit seinem Buch Kosmotheoros (derWeltbeschauer) (1698).28 Swedenborg schrieb: Wer glaubt, und dassollte jeder tun, die Gottheit habe das Universum zu keinem anderenZweck geschaffen, als dass dadurch ein Menschengeschlecht und ausdiesem der Himmel entstehe , der muss auch der Meinung sein, dass

    es berall, wo es einen Erdkrper gibt, auch Menschen gibt. (EW 3, sieheauch HH 417).Dieser Sicht entsprechend entstammen alle Engel des Himmels aus

    dem menschlichen Geschlecht eines Planeten. Urgeschaffene Engelsind im Himmel nirgendwo zu finden: Michael, Gabriel und Raphaelsind nichts anderes als Engelsgesellschaften (HH 52). Und die Ablei-tung der Hlle aus dem Fall eines Engels ist in der geistigen Welt gnz-lich unbekannt:

    In der Christenheit ist vllig unbekannt, da Himmel und Hlle ausdem menschlichen Geschlecht hervorgegangen sind. Man glaubt allge-mein, die Engel seien am Anfang erschaffen worden und daher stammeder Himmel. Der Teufel oder Satan aber sei ein Engel des Lichts ge-wesen, sei jedoch, weil er sich emprt habe, mit seiner Schar hinabge-stoen worden und daher stamme die Hlle. Die Engel wundern sichsehr darber, dass ein solcher Glaube in der Christenheit herrscht und wollen daher, dass ich aus ihrem Mund versichere, dass es im gan-zen Himmel keinen einzigen Engel gibt, der am Anfang erschaffen

    worden, noch in der Hlle irgendeinen Teufel, der als Engel des Lichts

    27 Bernhard Lang, Auch noch andere Menschen und andere Geschlechter der Tiere,Menschliches Leben im auerirdischen Weltall aus der Sicht von Fontenelle (1686),Huygens (1698) und Swedenborg (1758), in: Science & Fiction II: Leben auf ande-ren Sternen, hrsg. von Thomas P. Weber, Frankfurt am Main 2004, Seite 14.

    28 Siehe auch: Ernst Benz, Kosmische Bruderschaft: Die Pluralitt der Welten, Zur Ide-engeschichte des Ufo-Glaubens, Freiburg im Breisgau 1978, Seite 27ff. (Fontenelle)und Seite 31ff. (Huygens). Jrgen Hamel stellt fest: Die berzeugung der Exis-

    tenz von Leben auf anderen Himmelskrpern war zwischen 1750 bis um 1850weit verbreitet. (Meilensteine der Astronomie , 2006, Seite 242).

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    erschaffen und spter hinabgestoen worden ist. Vielmehr seien alle imHimmel wie in der Hlle aus dem menschlichen Geschlecht. (HH311).29

    Der aus dem seminarium caeli hervorgegangene Engelshimmelstellt in seinem Gesamtumfang einen Menschen dar, den maximushomo: Der Himmel in seinem Gesamtumfang erscheint in der Formwie ein Mensch, weswegen der Himmel Maximus Homo (grterMensch) genannt wird. (Anmerkung HH 59).30 Die Schau Swedenborgsvom Menschlichen in der Schpfung ist nach Ernst Benz die hchsteVerherrlichung des Menschen in der europischen Geistesgeschich-te31.

    3. Lorbers Schpfungslehre

    Da ich Lorbers Schpfungslehre als Relecture derjenigen Sweden-borgs begreifbar machen will, ist zunchst die swedenborgsche Rezep-tionsschicht herauszuarbeiten, wobei schon hier Modifikationen un-bersehbar sind, auf die ich hinweisen und eingehen werde (3.1. bis3.3.). Daran anschlieend verlangt die Lehre vom Fall Luzifers und demWesen der Materie eine gesonderte Betrachtung (3.4.).

    3.1. Gottes Gedanken oder die Urstoffe der Schpfung

    Gelegentliche Erwhnungen der creatio ex nihilo lassen erkennen,dass auch nach Lorber die Anknpfung an eine vorgegebene Materie

    29 Speziell zu Lucifer in der Vulgatabersetzung von Jesaja 14,12 uert sich Swe-denborg an verschiedenen Stellen, beispielsweise in HH 544: Unter Lucifer sinddiejenigen zu verstehen, die aus Babel oder Babylonien stammen, das heit Geis-ter, die ihre Herrschaftsbereiche bis in den Himmel ausdehnen. Vgl. auch WCR146, OE 405.

    30 Der Indologe Heinrich Zimmer (1890-1943) sagt zum Glauben der Jainas: Derganze Kosmos hat nach diesem Glauben menschliche Gestalt (Seite 222). Erkommt dann auch auf Swedenborgs Homo Maximus zu sprechen und stellt fest:Der bedeutsamste Unterschied zwischen dem Kosmischen Menschen des Abend-landes und dem Indiens liegt darin, da in Swedenborgs Vision nur der Himmelnach dem gttlichen Menschenbilde (diesem Abbild der archetypischen GestaltGottes) geformt ist, whrend im Jainismus das ganze Weltall im gttlich-anthropomorphen Organismus enthalten ist (Philosophie und Religion Indiens ,

    1961, Seite 226).31 Ernst Benz,Emanuel Swedenborg: Naturforscher und Seher, Zrich 2004, Seite 402.

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    abgelehnt wird. So uerte sich beispielsweise ein Grieche Jesus ge-genber folgendermaen: wir Heiden nehmen vor dem ausgebilde-ten Dasein der Erde und des Himmels einen chaotischen Stoff an, aus

    dem dann irgend uns unbekannte mehr oder weniger intelligente Krf-te, die spter von den phantasiereichen Menschen zu Gttern gemachtwurden, die Erde mit allem, was sie trgt, und auch den Himmel nachund nach geformt haben; ihr aber lasset alles von dem einen Gott insechs Tagen oder etwa Zeitperioden aus nichts erschaffen. Welches istda wahr? (GEJ 9,10,9).32 Der Grieche stellt hier die Weltentstehungslehredes platonischen Timaios, die Formung einer gestaltlosen Materiedurch einen Demiurgen33, der angeblich schon jdischen Vorstellung

    einer Schpfung aus nichts gegenber.34

    Auch Lorber bleibt nicht bei der Verneinung stehen. Nach Sweden-borg hatte der Herr alles aus sich selbst (ex se ipso) (GV 157) erschaf-fen, das heit aus der Liebe durch die Weisheit (WCR 37), die die ei-gentliche und einzige Substanz und Form (GLW 44) und somit das ei-gentlichste Reale und das eigentlichste wesenhafte Sein (HG 5272) sind.Von dieser Position ausgehend ist es nur ein kleiner Schritt zu der beiLorber alles beherrschenden Vorstellung, dass Gottes Gedanken die

    eigentlichen Ursubstanzen und die Urstoffe der Schpfung sind:

    32 Die Wendung aus nichts in einer schpfungstheologischen Aussage ist bei Ja-kob Lorber auch in den folgenden Stellen vorhanden: GEJ 3,160,2; 3,216,6;3,216,11; 4,253,7; 7,149,21; 8,201,13; RB 2,209,10.

    33 Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie, Band 2, 1991, Seite 29.34 Inwieweit werden dogmengeschichtlich sptere Stadien durch das groe Evange-

    lium Johannis in die Zeit Jesu zurckverlegt? Gerhard May kommt in seinem Buch

    ber die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo zu dem Ergebnis: Inder zweiten Hlfte des zweiten Jahrhunderts setzt die theologische Entwicklungein, die unmittelbar zur Formulierung der kirchlichen Lehre von der creatio exnihilo fhrt. (Schpfung aus dem Nichts: Die Entstehung der Lehre von der creatioex nihilo, 1978, Seite 151). Ebenso Wolfhart Pannenberg: Entscheidend fr dieDurchsetzung der Lehre von der creatio ex nihilo in der christlichen Patristik wur-den Theophilus von Antiochien und Irenus von Lyon. (Systematische Theologie,Band 2, 1991, Seite 28). Im zweiten Makkaberbuch schliet die Wendung vonder Schpfung aus nichts noch nicht die vorgegebene Materie aus. Dort heit es:Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was

    es da gibt, und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen, und so entstehenauch die Menschen. (2. Makkaber 7,28).

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    Seine [Gottes] Gedanken sind die eigentlichen Ursubstanzen und dieUrstoffe, aus denen alles ... besteht. (GEJ 7,17,3). alles ist die ewigendlose Flle Seiner [Gottes] Gedanken und Ideen (GEJ 6,226,8). dieganze Welt und alle Himmel sind nichts als durch den allmchtigen, al-

    lerunerschtterlichst festesten Willen festgehaltene Gedanken undIdeen Gottes (GEJ 2,136,4). Ich werde ewig nimmer aufhren zuerschaffen, - weil Ich als Gott ewig nimmer zu denken aufhren kann.Denn Meine Gedanken sind die Wesen. (NS 73,10). Seht, die ganzeSchpfung und alles, was ihr mit euren Sinnen nur immer wahrnehmet,sind fixierte Gedanken, Ideen und Begriffe Gottes (GEJ 5,229,3). Gottist dem Geiste nach ewig und unendlich. Alles entsteht und besteht ausIhm, alles ist in Ihm, alles ist die ewig endlose Flle Seiner Gedankenund Ideen vom Kleinsten bis zum Grten. (GEJ 6,226,8). Gott Selbst

    erfllt die ewig aus Ihm hervorgehende Unendlichkeit mit Seinen gro-en Gedanken und Ideen, die, durch Seine Liebe erfllt zu einem Ihmgleichen Lebensfeuer, durch Seine Weisheit zu geordneten Formen unddurch Seinen Willen zu voneinander abgesonderten und wie fr sichbestehenden Wesen werden (GEJ 7,72,9). Gottes Gedanke und Wille istja alles, was der endlose Schpfungsraum enthlt! (GEJ 7,213,9). dieganze Schpfung ist Sein groer Gedanke (GEJ 8,49,6). diese Erde,der Mond, die Sonne und alle die zahllos vielen Sterne sind im Grun-de ja auch nur pur Geistiges, weil sie nur der durch den Willen Gottes

    festgehaltene Ausdruck Seiner Gedanken, Ideen und Anschauungen inIhm Selbst sind. (GEJ 9,141,6). Es gibt keinen andern Stoff in der gan-zen Unendlichkeit als den Willen Gottes. Alles, was du siehst, ver-nimmst, fhlst und durch irgendeinen Sinn wahrnimmst, sind Gedan-ken Gottes, und so Er will, so sind sie auch schon wesenhaft da. (GEJ10,17,5). Die puren Gedanken Gottes sind der Stoff, aus dem alles, wasdie Unendlichkeit fat, entstanden ist (GEJ 4,119,2).

    Das Relecturemodell achtet auf Akzentverschiebungen als Ausdruck

    einer Reinterpretation. Bei Swedenborg liegt der Akzent auf der Ur-sprungsrelation, weil hier die Formeln a se ipso bzw. ex se ipsohervorstechend sind. Bei Lorber hingegen liegt er auf dem Stoff, ausdem die Schpfung besteht, weswegen hier alle Aufmerksamkeit aufdie Gedanken Gottes gerichtet ist. Es wre zu untersuchen, inwieferndiese Verschiebung auch Ausdruck des Wandels vom Rationalismusder Zeit Swedenborgs zum Idealismus der Zeit Lorbers ist.35

    35 Die Schpfung als Gedanke Gottes, diese Anschauung lag im Zeitalter des deut-schen Idealismus (1770-1830) in der Luft. Einen Grundgedanken Friedrich Wil-

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    3.2. Sonnen im grer gewordenen Universum

    Die astronomischen Wissensfortschritte zwischen Swedenborgs Tod1772 und dem Beginn der Schreibttigkeit Lorbers 1840 machten in-

    nerhalb der grundstzlichen Unterscheidung von zwei Sonnen, dergeistigen und der natrlichen, weitere Unterscheidungen notwendig.Wir vergegenwrtigen uns die Fortschritte anhand von Friedrich Wil-helm Herschel (1738-1822) und Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846),zwei der bedeutendsten Astronomen dieser Zeit. Herschel erkannte,dass unser Milchstraensystem im Weltall keine einmalige Ansamm-lung von Sternen, sondern nur ein Vertreter der groen Gruppe gewal-tiger Sternsysteme36 ist. Auerdem war er sich ber die extragalakti-

    sche Natur zahlreicher Nebelflecken im Klaren und kam auch hin-sichtlich ihrer Entfernung zu durchaus richtigen Grenordnungen37.Bessel gelang es 1838 erstmals, die Entfernung eines Sterns mittelseiner Parallaxenmessung zu bestimmen. Der Doppelstern 61 Cygni imSternbild Schwan war demnach etwas mehr als 10 Lichtjahre entfernt.Damit waren die kosmischen Dimensionen zum ersten Mal mit einerZahl erfasst. Das Universum ist also in den Jahrzehnten vor derSchreibttigkeit Lorbers grer geworden. Der Wissenschaftshistoriker

    Jrgen Hamel urteilt : Erschien manchem das vorherschelsche Uni-

    helm Joseph Schellings (1775-1854) fasst der Philosophiehistoriker JohannesHirschberger so zusammen: Entstanden aus dem gttlichen Selbstblick, sind so-mit die Ordnungen und Stufen des Alls Gedanken Gottes, Ideen im gttlichenGeist, wie der Neuplatonismus sie schon lehrte, und die Welt wird so zu einerManifestation Gottes. (Geschichte der Philosophie, Band 2, 1991, Seite 385). DerVerweis auf Schelling ist auch deswegen interessant, weil er einerseits von Swe-denborg beeinflusst war siehe die Forschungen von Ernst Benz und FriedemannHorn und andererseits durch Lorbers Stimme als Vorbereitung fr die Protes-tanten auf die Lehre der Neuoffenbarung angesehen wird (Kundgabe vom 23. Juni1844 in: Himmelsgaben, Band 2, 1936, Seite 278). Der Philosoph Hermann Ulrici(1806-1884): Die absolute Natur oder das Weltall selbst in seiner absoluten Uni-

    versalitt ist nicht wesentlich identisch mit Gott, und nur formell verschieden,sondern es ist wesentlich und formellzugleich Eins und verschieden mit Gott, d.h .es ist ein Gedanke Gottes, eine unendliche, ewige, absolute Beziehung Gottesauf sich selbst in der Anschauung seiner selbst. (Geschichte der HellenischenDichtkunst, Erster Theil, Berlin 1835, Seite 10).

    36

    Jrgen Hamel,Meilensteine der Astronomie , 2006, Seite 21337 Jrgen Hamel,Meilensteine der Astronomie , 2006, Seite 215

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    versum fr den Menschen viel zu gro und leer, so vereinsamte esunter den ihm von Herrschel gegebenen Dimensionen noch weiter.38Auerdem dominierte noch immer die Himmelsmechanik. Bessel, der

    1846 starb, betrachtete die Analyse der mechanischen Bewegung derHimmelskrper als das einzige wirkliche Ziel der Astronomie39.Die Spektralanalyse, die den Weg zur Astrophysik ffnete, wurde erst1859 von Robert Wilhelm Bunsen und Gustav Kirchhof entwickelt, ge-rade einmal 5 Jahre vor Lorbers Tod. Die Situation des Grazer Schreib-knechts ist damit umrissen. Staunend stand er vor den ungeheurenDimensionen des Weltenalls; es galt, die Bewegungen in diesem kos-mischen Uhrwerk und somit den Aufbau desselben zu erfassen. Diese

    Vorgaben bestimmten die modifizierende Rezeption Swedenborgs.Die Sonne als Erscheinungsform Gottes ist auch bei Lorber vorhan-den, allerdings heit sie dort Gnadensonne: Gott wohnt in einemunzugnglichen Lichte, das in der Welt der Geister die Gnadensonnegenannt wird. Diese Gnadensonne aber ist nicht Gott selbst, sondernsie ist nur das Auswirkende Seiner Liebe und Weisheit. (GEJ VI,88,3).40Die Begriffe geistige und natrliche Sonne gibt es bei Lorber auch, erhat sogar zwei Werke mit diesen Titeln empfangen, aber die geistige

    Sonne im engeren Sinne ist nun das Inwendigste der (natrlichen)Sonne (GS 1,1,13). Somit hat bei Lorber eine Ausdifferenzierung derswedenborgschen sol spiritualis in Gnadensonne und geistige Sonnestattgefunden. Dieselbe Beobachtung machen wir auch in dem, was beiSwedenborg einfach nur sol naturalis heit. In der Neuoffenbarung

    38 Jrgen Hamel,Meilensteine der Astronomie , 2006, Seite 21639

    Jrgen Hamel,Meilensteine der Astronomie , 2006, Seite 23240 Ich Selbst bin im Grunde des Grundes in dieser Sonne, und die Sonne bin IchSelbst. Aber dennoch ist ein Unterschied zwischen Mir und dieser Sonne. Ich binder Grund, und diese Sonne ist gleich einer Ausstrahlung Meines Geistes, (RBII,283,13). In dieser Sonne bin Ich ureigentmlich vollkommen zu Hause. DieseSonne befindet sich im ewigen unverrckten Zentrum Meines gttlichen Seins.Die Strahlen, die aus dieser Sonne ausgehen, erfllen in ihrer Art die ganze Un-endlichkeit und sind in sich selbst nichts anderes als Mein Liebewille und die ausdemselben ewig gleichfort ausgehende Weisheit. Diese Strahlen sind demnach al-lenthalben vollkommen gleich Meiner Wesenheit. (GS I,60,1). Ich bin die Sonne

    aller Sonnen und aller Geisterwelten und der auf ihnen befindlichen Wesen allerArt und Gattung. (GEJ 5,14,1).

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    durch Lorber werden fnf aufsteigende Gattungen von Sonnen ge-nannt: Planetarsonnen wie die unsrige, Gebietssonnen wie fr unsereSonne der Sirius (GEJ 4,255,5), Allsonnen, All-Allsonnen und die Urzent-

    ralsonne eines Universums respektive einer Hlsenglobe. Das hinterdiesen Sonnen stehende, hierarchisch gegliederte Bild des Weltallskann hier nicht dargestellt werden41, es hat aber eine gewisse hnlich-keit mit dem von Johann Heinrich Lambert (1728-1777) in seinem1761 verffentlichten Buch Cosmologische Briefe ber die Einrichtungdes Weltbaus. Nach Lambert schlieen sich verschiedene Sonnensys-teme, die um ein gemeinsames Zentrum rotieren, zu greren Syste-men zusammen, die wiederum um ein gemeinsames Zentrum rotieren,

    und so weiter ad infinitum.42

    Den zwei Sonnen entsprechen zwei Welten. Und wieder gilt, waswir schon von Swedenborg wissen, dass zwischen diesen Welten einEntsprechungszusammenhang besteht und die geistige Welt in die na-trliche einfliet:

    zwischen den Naturdingen und den geistigen Dingen, weil jene ausdiesen hervorgegangen sind, ist und besteht ein genaue Entsprechung.(GEJ 1,42,5). Lorber kennt die Geisterwelt in ihrer einflieend ent-

    sprechenden Wirkung auf die materielle Welt (Jenseits der Schwelle,102). Denn alles, was auf dieser naturmigen Welt geschieht, kannnicht anders geschehen als durch das Einflieen aus den Himmeln Got-tes; und was da einfliet durch aller Engel Himmel in die Naturwelten,geht ursprnglichst von Mir aus. (GEJ 7,182,9). Wer da aber dann,vom Geiste heraus geleitet, die Entsprechungen zwischen der Sinnen-und Geisterwelt wohl innehat, dem kann es dann freilich wohl auchmglich sein, daraus zu ersehen, wie so ganz eigentlich aus der Geis-terwelt die Sinnenwelt hervorgegangen, wie und von woher die Sonnen

    und am Ende die Planeten und Nebenplaneten und auf all denselben al-lerlei Geschpfe entstanden sind. (GEJ 2,215,6).

    Obwohl man bei der Schpfungslehre Lorbers zuerst an den Fall Lu-

    41 Siehe aber Wilfried Schltz,Das kosmische Weltbild Jakob Lorbers und die moderne

    Wissenschaft, in: Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob Lorbers: Gedenk-schrift des Lorber Verlags zum 150. Jahr der Berufung Jakob Lorbers zumSchreibknecht Gottes, Bietigheim 1990, Seite 47-58.

    42 Beitrge zur Astronomiegeschichte , Band 9, hrsg. von Wolfgang R. Dick, Hilmar W.

    Duerbeck, Jrgen Hamel, Frankfurt am Main 2008, Seite 218. Vgl. Lambert,Cosmologische Briefe , 1761, Seite 219f.

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    zifers denkt, sollte nicht bersehen werden, dass er die solare bzw. ho-rizontale Entwicklungslinie Swedenborgs rezipiert hat, wonach diePlaneten (und die untergeordneten Sonnen) aus den bergeordneten

    Sonnen entstanden sind:Siehe, in der Urzeit der Zeiten erschuf Ich nur eine, fr deine Begriffeunermelich groe Sonne (GEJ 10,211,1). Zuerst wurden Hauptzentral-sonnen, und aus ihnen wurden endlich alle zahllosen anderen Sonnenund Weltkrper (GEJ 4,103,3). Sehet, ihr wisset, wie zuerst alle Plane-ten nach der gerichteten Ordnung aus der Sonne ihren Ursprung nah-men also wie diese selbst den ihrigen genommen hat aus denZentralgrund- und Fundamentalsonnen. (NS 2,5).

    Das Licht (der Sonnen) ist der Grundstoff der Materie (GEJ 7,209,20).Diese bildet sich aus dem Zusammentreffen von Lichtstrahlen imtherraum (Fliege 8). So entstehen Kometen und schlielich Planeten(Fliege 8; GEJ 4,105,13ff.). Am Ende wird alles auf den Planeten durch dasausstrahlende Licht der Sonne geformt (NS 1,15).

    3.3. Menschlich bis ins materielle Universum hinein

    Auch nach Lorber ist Gott der erste und eigentliche Mensch: Gott

    Selbst ist der hchste und allervollkommenste, ewigste Urmensch ausSich Selbst (GEJ 4,56,1). bevor alle Engel und Menschen waren, warIch (der Herr)TN von Ewigkeit her wohl der erste Mensch (GEJ 2,39,3).43Menschsein ist in der Polaritt von Mann und Weib realisiert, deswe-gen gilt auch in Bezug auf Gott: Ich bin ein Mann und Weib zugleichin Meiner Gottheit Tiefen (HGt 3,27,5). Die daran anschlieenden Aus-fhrungen zeigen, das damit die schon von Swedenborg erkannte Dua-litt von Liebe und Weisheit im gttlichen Wesen gemeint ist (WCR 37).

    Daher bringt auch nach Lorber Gott durch die Schpfung schlielichden Menschen hervor. Er ist das Endziel der gesamten Schpfung Erist das endlich zu gewinnende Produkt all der Vormhen Gottes. (GEJ2,222,4). Denn alles, was die Unendlichkeit fasset, ist allein des kleinenMenschen wegen da, und es gibt ewig nichts, das nicht da wre alleindes kleinen Menschen wegen. (GEJ 2,6,5). Diesen Gedanken fhrt Lorber

    43 Aber Ich zeigte dir dann auch, wie Gott Selbst ein Mensch ist, und wie aus die-

    sem einzigen Grunde auch du und alle dir hnlichen Wesen Menschen sind. (GEJ1,155,5).

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    in der Lehre von der Naturseelenentwicklung aus. Die drei Reiche derNatur, das Mineral-, das Pflanzen- und das Tierreich, sind die Stufendes Aufsteigens und der Sammlung von Seelensubstanzen bis hin zu

    einer Naturseele, die durch den bekannten Geschlechtsakt in ein ir-disch-menschliches Dasein bergehen kann (GEJ 10,185,4). Der Menschist dann nach einem eindrcklichen Wort Herders, das aber auch ganzim Sinne Lorbers ist, der erste Freigelassene der Schpfung44, der inseinem kurzen Erdenleben die sogenannte Lebensfreiheitsprobe (GEJ6,190,3) durchzumachen hat. Vorformen der Lehre von der Naturseelen-entwicklung kann man bei Swedenborg finden, etwa wenn es heit:Wie es das Streben der Erze der Erde ist, in Vegetation berzugehen,

    so ist es das Streben der Pflanzen, ins Leben (Tierreich)TN

    berzuge-hen. (GLW 62). Oder: Die Funktionen (usus) aller geschaffenen Dingesteigen stufenweise auf vom Untersten zum Menschen und durch denMenschen hindurch zu Gott, dem Schpfer, von dem sie ausgegangensind. (GLW 65). Swedenborg kennt also ebenfalls eine Stufenleiter desLebens.

    Die auf diese Weise hervorgebrachten Menschen sind noch nicht amOrt ihrer eigentlichen Bestimmung. Sie befinden sich erst in einer

    Pflanzschule; dieses uns bereits von Swedenborg bekannte Wort istauch bei Lorber nachweisbar: Auf der Erde habe Ich die PflanzschuleMeiner Kinder fr die ganze Unendlichkeit aufgerichtet (GEJ 4,250,3).45Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass auchnach Lorber alle Engel des Himmels aus einer irdischen Pflanzschule,das heit aus einem menschlichen Geschlecht hervorgegangen sind. Esgibt im Himmel keine urgeschaffenen Engel und in der Hlle keineTeufel, die aufgrund eines Engelfalls dort angekommen wren. Alle En-

    gel und alle Teufel der geistigen Welt entstammen dem menschlichenGeschlecht. Insofern bleibt Lorber also innerhalb des swedenborgschenAnliegens:

    44 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit,1820, 4. Buch, IV. Kapitel, S. 119.

    45 Siehe auch: auf da dann Ich Selbst eine ganz andere Pflanzschule fr wahreMenschen auf dieser Erde werde errichten knnen (GEJ 6,150,17). die groe

    gttliche Pflanzschule (GEJ 1,78,13). die junge und zarte Pflanzschule derMenschen (RB 1,95,9).

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    brigens gab es im wahren Himmel niemals irgendeinen Engel, dernicht zuvor auf irgendeiner Erde ein Mensch gewesen wre (GEJ7,56,8). Auch wir (Engel)TN waren einmal auf irgendeinem Weltkrperdas, was ihr (Menschen)TN nun seid (GEJ 6,190,3; vgl. auch Vers 17). Die

    Hauptnachkommen des ersten Menschenpaares waren in einer stetenVerbindung mit Gott und den Engeln, die ehedem auch, wennschon aufeinem anderen Erdkrper, als Krpermenschen gelebt haben (GEJ8,128,2).

    Aber nicht nur die Engel, auch die Teufel sind allesamt aus demmenschlichen Geschlecht: Bevor es aber keinen Menschen auf einemWeltkrper gab, da gab es auf demselben auch keinen persnlichenTeufel (GEJ 8,35,16). Es gibt in der ganzen Natur- und Geisterwelt kei-ne sogenannten Urteufel, sondern nur solche, die schon frher als un-verbesserlich schlechte und lasterhafte Menschen einmal auf der Erdegelebt haben (GEJ 5,97,5). Da dieses Wesen, nmlich Satan, sich aberschon in solcher Zeit eine Menge gleichgesinnter Geister aus dem men-schlichen Geschlechtherangebildet hatte, so wirkte es dann durch dieseseine Engel; denn ein Diabolus oder Teufel ist nichts anderes als ein inder Schule des Satans herangewachsener und ausgebildeter Geist(EM 56).

    Bei Lorber wird unser Blick im Unterschied zu Swedenborg aus-

    drcklich auf zwei groe Menschen gerichtet, nmlich auf einengroen Menschen, der da heit Welt, und auf einen andern groenMenschen, der da heit der Himmel. (Fliege 12). Sie heien auchWeltenmensch und Himmelsmensch (Fliege 12). Bei Swedenborgstellte nur der Engelshimmel in seinem Gesamtumfang einen Men-schen dar. Obwohl es aufgrund der Entsprechungen zwischen demGeistigen und dem Natrlichen ein naheliegender Gedanke ist, dassdem himmlischen Maximus Homo ein materieller oder natrlicher

    Gromensch gegenberstehen muss, vollzieht Swedenborg diesenSchritt nicht. Maximus Homo (grter Mensch) begegnet uns in denSchriften Swedenborgs immer nur in Verbindung mit Himmel (HG3637, 4219, 9276 usw.). Wollte man Lorbers groen Weltenmenschendennoch schon bei Swedenborg finden, wenigstens ansatzweise, dannknnte man meines Wissens hchstens auf eine Aussage wie die fol-gende hinweisen: Der Mensch ist in einem gewissen Sinne ein Bilddes Universums, whrend umgekehrt das Universum im Blick auf sei-

    ne Funktionen im Bilde eines Menschen erscheint. (GLW 317). Man

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    kann auch an das denken, was Swedenborg ber den MicrocosmosMensch und den Macrocosmos der natrlichen Welt sagt (GLW 319, WCR71). Doch klar ist, dass Swedenborgs gesamte Aufmerksamkeit auf den

    himmlischen Menschen gerichtet ist und dessen Entsprechungen mitdem irdisch-leiblichen Menschen, nicht etwa mit dem materiellen Uni-versum. Hier wirken wohl seine anatomischen Studien nach, die ihnunmittelbar vor seiner Berufung beschftigt haben.

    3.4. Luzifer oder das Wesen der Materie

    Mit der Lehre von den urgeschaffenen Geistern und dem Fall einesTeils derselben unter der Fhrung des Lichttrgers oder lateinisch Luzi-

    fers (EM 56) kommt ein aus swedenborgscher Perspektive gnzlich neu-er Gesichtspunkt ins Spiel.

    Zunchst ist etwas ber die urgeschaffene(n) Engel (GEJ 4,105,11) zusagen. Es handelt sich hierbei nicht um die Engel des Himmels, denndie stammen ja auch nach Lorber allesamt aus dem menschlichen Ge-schlecht (GEJ 7,56,8). Die Lehre von den urgeschaffenen Engeln (oderGeistern) ist vielmehr die Prolongation oder Verlngerung der Lehrevon den Gedanken Gottes als den Ursubstanzen und Urstoffen der

    Schpfung (GEJ 7,17,3). Die urgeschaffenen groen Geister sind ja ebendie Gedanken in Gott und die aus ihnen hervorgehenden Ideen. (GEJ7,18,2). Nur kommt jetzt noch die Vorstellung hinzu, dass sich diesegttlichen Gedanken wesenhaft oder in Wesen personifizieren. SchonSwedenborg hatte bemerkt: Die Liebe zusammen mit der Weisheit istin ihrer Gestaltung Mensch, weil Gott, der die Liebe und Weisheitselbst ist, Mensch ist. (GLW 179).46 Immer wenn sonach Liebe undWeisheit konkret in Erscheinung treten, tun sie das in der geistigen

    Haut einer persona humana, das heit personifiziert in einer menschli-chen Erscheinungsform. Die sogenannten Urgeister oder Urengel sind

    46 Swedenborg verwendet in seinen exegetischen Schriften relativ oft die Formulie-rung sensus abstractus. Abstrahiert wird von Personen und Orten, das heit

    von all dem, was aus den materiellen Stoffen des Krpers und der Welt seinekonkrete Beschaffenheit bezieht (OE 625). Vor diesem Hintergrund knnte mansagen: Die swedenborgsche Schpfung des Universums aus der Liebe durch die

    Weisheit (WCR 37) ist die abstrakte Formulierung. Die konkrete lge demgegen-ber bei Lorber in Gestalt der urgeschaffenen Geistern vor.

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    nichts anderes als die personifizierten Erscheinungsformen der gttli-chen Gedanken. Dementsprechend heit es bei Lorber: wir (urge-schaffenen)TN Engel sind im Grunde ja nichts anderes als Ausstrah-

    lungspunkte des gttlichen Geistes! Wir sind gewisserart der personifi-zierte, krftigst wirkende Wille Gottes (GEJ 3,180,2; vgl. a. GEJ 5,106,9). Dasie bloe Personifikationen Gottes bzw. des schpferischen Prozessessind, wird sodann ihre gnzliche Unselbstndigkeit betont, sie sindeben noch nicht wie die Engel aus dem menschlichen Geschlecht durch die Sonderung der Snde hindurchgegangen: Wir Urengel sindnichts als Arme und Finger des Herrn und rhren und bewegen unserst dann handelnd, wenn wir vom Herrn also angeregt werden, wie ihr

    eure Hnde und Finger zum Handeln anreget. Von uns gehrt alles,was du an mir siehst, dem Herrn; nichts ist als irgend selbstndig unszu eigen, es ist eigentlich alles an uns der Herr Selbst. (GEJ 3,180,5).Abgesehen von ihrer zuweilen menschlichen Erscheinungsform sinddiese Urwesen nur Licht und Feuer, hinauszuckend durch alle dieendlosen Rume als groe, schpferische Gedanken (GEJ 3,180,3).Wir sind um Gott herum so ungefhr das, was das aus der Sonne aus-flieende Licht ist (GEJ 5,106,5). Diese Chrakterisierung erinnert mich

    an die Strahlengrtel der Gottessonne, von denen Swedenborg spricht:Die ersten beiden Sphren sind ber den Himmeln und sind gewis-sermaen Strahlengrtel (cingula radiosa) aus dem Flammenmeerrings um die Sonne des Herrn. (HG 7270; siehe auch HH 120).47

    Diese wesenhaften Urgedanken oder Urgeister Gottes werden dannbei Lorber in einer Ordnung dargestellt, die uns sehr an die jdischeKabbala48 bzw. die zehn Sephiroth erinnert, denn es heit: Und siehe,da wurden gebildet drei, und aus ihnen gingen hervor sieben! Und die

    drei waren gleich der Liebe, dem Lichte und der Gottheit; und die sie-ben waren gleich den sieben Geistern Gottes (HGt 1,5,12). Auch derSephirothbaum der gttlichen Potenzen oder Emanationen ist in die

    47 Zur Engellehre siehe ausfhrlicher: Thomas Noack, Die Engel bei Swedenborg undLorber: Ein Beitrag der Reihe Neuoffenbarungsstudien, in: Offene Tore 1 (1992)18-37 oder in: ders., Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Sweden-borg und Jakob Lorber im Vergleich, 2004, S. 158-170.

    48 In den Schriften Lorbers wird eine Kabbala zur Zeit Jesu thematisiert (GEJ10,203,11; DT 11,46).

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    oberen drei und die anschlieenden sieben Sephiroth gegliedert.49An dieser Stelle bringt Lorber nun den Fall der Engel (GEJ 2,224,2;

    7,17,12) zur Sprache. Denn der Oberste der drei, gleich dem Lichte der

    Gottheit, entzndete sich in seiner Begierde, um sich der Gottheit voll-ends zu bemchtigen. (HGt 1,5,14). Dieser oberste Geist heit auch derHauptgeist des Lichtes (GEJ 2,231,5), Luzifer oder Lichttrger (EM 56).Weitere Namen dieses Urgeistes werden im 56. Kapitel des WerkesErde und Mond errtert. Von den dort genannten sei nur noch Sata-na an dieser Stelle hervorgehoben, wodurch dieser Urgeist als derGegenpol gegen die Gottheit gekennzeichnet wird. Als Satana wardieser Geist von Gott aus wirklich also gestellt gegen die Gottheit, wie

    das Weib gestellt ist gegen den Mann. Die weibliche Form Satanabezeichnet also dem empfangenden Gegenpol. Durch den sogenanntenFall vermnnlichte dieser Geist gewissermaen, verschloss sich gegen-ber der zeugenden Geistsphre der Gottheit und wurde zum Widersa-cher im gleichpolarischen Sinne. Seitdem heit er in der mythologisch-personifizierenden Sprache der alten Weisheit Satan, als solcher ister der Inbegriff der Materie als des uersten Gegensatzes gegenberdem Geist. Die Folge dieser Abschnrung des trotz seiner Machtflle

    immer noch geschaffenen Geistes von der impulsgebenden Geistsphreder Gottheit war die Sichselbstgefangennehmung (des Lichtgeistes) inseiner Trgheit und wieder die Folge davon war die Schpfung derMaterie (GEJ 2,231,6). Der Satan ist (somit)TN die Zusammenfassung desgesamten Materiemugerichts (GEJ 8,35,14). Einen Griechen namensPhilopold belehrt der Jesus des groen Evangeliums Johannis, indem ersagt: Es gibt zwar keine urgeschaffenen Erzteufel in der Art, wie ihreuch dieselben vorstellet, aber dennoch ist alles der Materiewelt in

    seinem Urelement ebensoviel wie ein urgeschaffener Erzteufel (GEJ9,134,7). Materie ist sonach ein Gericht des Geistigen (GEJ 5,71,5), ge-richtetes und festgehaltenes Geistiges (GEJ 9,102,1) oder fixiertes Geis-tiges (EM 27,2; GEJ 2,195,4). Die Materie selbst ist nichts anderes alsein gerichtetes und aus sich selbst verhrtetes Geistiges; noch deutli-

    49 Die Zahl Sieben hat eine symbolische Bedeutung: Unter der mystischen Zahl

    Sieben wird verstanden das vollkommen ursprnglich Gttliche und Gotthnliche

    in jedem von Ihm (= Gott) ausgehenden Gedanken und in jeder von Ihm gefatenund wie aus Sich hinaus gestellten Idee. (GEJ 7,18,1).

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    cher gesprochen, ist sie eine allergrbste und schwerste Umhutungoder Umhlsung des Geistigen. (GEJ 4,103,4).50

    Wir halten also fest: Erstens: Nach Lorber muss man zwischen den

    urgeschaffenen Engeln und den Engeln des Himmels unterscheiden.Whrend die Engel des Himmels ausnahmslos dem menschlichen Ge-schlecht und somit der materiellen Schpfung entstammen, sind dieurgeschaffenen Geister oder Engel als die groen, wesenhaften Gedan-ken Gottes vor jeder materiellen Schpfung anzusiedeln. Aus sweden-borgscher Perspektive zu beachten ist, dass Lorber somit einerseits dasAnliegen Swedenborgs in HH 311 aufnimmt, andererseits aber einenneuen Gesichtspunkt einfhrt. Das ist die typische Situation einer Re-

    lecture. Dieselbe Beobachtung machen wir zweitens beim Fall der En-gel. Swedenborg hatte ebenfalls in HH 311 die kirchliche Vorstellungzurckgewiesen, nach der die Hlle aus der Emprung und dem Sturzeines Engels des Lichts (lucis angelus) entstanden sei. Lorber sagtdemgegenber, dass es einen urgeschaffenen Lichtgeist dennoch gege-ben habe, allerdings sei das Ergebnis seiner Emprung tatschlichnicht die Entstehung der Hlle gewesen, sondern die Schpfung desmateriellen Universums. Lorber deutet den alten Mythos also kosmolo-

    gisch. Und wiederum beobachten wir die Wahrung des swedenborg-schen Anliegens bei einer gleichzeitigen Weiterentwicklung desselben.

    4. Der Blick von Lorber auf Swedenborg

    Der letzte Schritt des Relecturemodells ist der Blick vom spterenText auf den frheren. Denn im Lichte des spteren stellen sich neueFragen an den frheren Text. Auch nimmt man ihn nun mit anderenAugen wahr.

    50 Vgl. Schellings Natur- und Identittsphilosophie. Johannes Hirschberger schreibtmit Blick auf Schelling: Auch das sogenannte tote Sein der anorganischen Weltwird noch als Leben gedeutet Nur weil die Natur in ihrem inneren Wesen im-mer schon Leben ist, knnen die Erscheinungen des Lebens auftauchen. (Ge-schichte der Philosophie, Band 2, 1991, Seite 380). Natur ist der sichtbare Geist,Geist die unsichtbare Natur, im Wesen aber handelt es sich immer um ein und

    dasselbe. (aaO., Seite 384). Schelling: Die sogenannte tote Natur ist mithinnichts anderes als unreife Intelligenz (zit. nach Hirschberger, aaO., Seite 380).

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    4.1. Die Differenzierung des Begriffs geistige Welt

    Rckblickend von Lorber auf Swedenborg erkennt man einen Zir-kelschluss (circulus vitiosus), denn die materielle Schpfung ist sowohl

    die Wirkung als auch die Ursache der geistigen Welt. Einerseitsschreibt Swedenborg: Die geistige Welt fliet in die natrliche ein wiedie Ursache in die Wirkung. (HH 567). In der geistigen Welt liegen dieUrsachen zu allem und in der natrlichen die Wirkungen von allem.(GLW 154). Andererseits ist die natrliche Welt bzw. das dort lebendemenschliche Geschlecht aber die Pflanzschule des Himmels, und dasbedeutet, dass alle Engel des Himmels und alle Teufel der Hlle undsomit die ganze geistige Welt aus dem menschlichen Geschlecht der

    natrlichen Welt hervorgegangen ist.Die Antwort Lorbers auf diesen Sachverhalt lautet: Man muss eine

    Differenzierung innerhalb des Begriffs der geistigen Welt vornehmen.Man muss zwischen der geistigen Urschpfung und dem Jenseits un-terscheiden. Die geistige Urschpfung ist die Ursache der materiellenSchpfung. Und das Jenseits oder wenn man so will die geistigeNachschpfung ist das Ziel der materiellen Geschpfe. So ergibt sichdas Schema: Gott, Gottes Urgeister oder die Urschpfung, die natrli-

    che Welt und schlielich die geistige Welt der Engel.Wir hatten gesehen, dass Swedenborg zur uranfnglichen oder

    erstmaligen Entstehung der Materie aus dem Geist nichts oder kaumetwas zu sagen hat. Um nicht missverstanden zu werden: Selbstver-stndlich war sich Swedenborg immer darber im klaren, dass die end-lichen Dinge (finita) aus dem Unendlichen (infinitum) abgeleitet wer-den mssen. Daher muss im schlechthinigen Anfang (in principio) dieMaterie irgendwie aus dem Nichts des Geistes hervorgegangen sein.

    Aber Genaueres ber dieses Urgeschehen erfahren wir in den theologi-schen Werken Swedenborgs meines Wissens nicht. Seine Schpfungs-lehre setzt vielmehr immer schon mit der Existenz oder dem Vorhan-densein der beiden Welten ein, indem er mit der Feststellung beginnt:Es gibt zwei Welten (Sunt duo mundi) (GLW 83, SK 3, WCR 75). SeinInteresse ruht ganz und gar auf dem Zusammenhang der beiden Wel-ten, auf den Entsprechungen zwischen dem Geistigen und dem Natr-lichen. Ihm geht es nicht um die Urschpfung, sondern um die immer-whrende Schpfung oder Erhaltung. Bezeichnend ist ein Satz wie der

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    folgende: Das Bestehen (subsistentia) ist ein stndiges Entstehen(existentia) oder, was dasselbe ist, die Erzeugung (productio) ist einekontinuierliche Schpfung (continua creatio). (HG 3648). Oder: Die na-

    trliche Welt entsteht und besteht aus der geistigen Welt. (HG 10185).Diese Aussagen setzen das Vorhandensein der natrlichen Welt schonvoraus und fragen nur noch, wie sie, die an sich vergngliche Welt ,dennoch immerfort erhalten werden kann. Der Unterschied zwischender Urschpfung nach Lorber und der Creatio continua nach Sweden-borg ist wie der zwischen der Geburt eines Menschen und dem an-schlieenden Stoffwechsel zur Erhaltung und Erneuerung der Zellen,Gewebe und Organe. Lorber schildert die uranfngliche Geburt des

    groen Weltenmenschen, Swedenborg hingegen sein immer wiederneues Entstehen aus dem himmlischen Homo Maximus.Die Differenzierung zwischen der geistigen Welt vorder natrlichen

    Welt und der geistigen Welt nach der natrlichen Welt, das heit zwi-schen Urschpfung und Jenseits, weist uns darauf hin, dass die Blick-richtungen Swedenborgs und Lorbers verschieden sind. Swedenborgschaut von der Erde in den Himmel, von unten nach oben. Er zeigt dieEntwicklungslinien auf, die mit der irdischen Existenz beginnen und

    im Angelus humanus, im Engel aus dem menschlichen Geschlecht, en-den. Damit gibt er der Krone der Schpfung ein Ziel und demmenschlichen Leben einen Sinn. Der Mensch versinkt nicht mehr imGrab, sondern erhebt sich in den Himmel der Engel Gottes. Das istSwedenborgs Schau. Sie ist bei Lorber rezipiert, aber eingebettet in ei-ne andere Geschichte, die unseren Blick von der Urschpfung der gro-en Gedanken oder Geister Gottes zur Erde lenkt, von oben nach unten.Whrend uns von Swedenborg her die Frage vertraut war: Was kann

    aus der Erde werden?, stellt Lorber die Frage: Wie ist die Erde gewor-den? Whrend nach Swedenborg eigentlich nur der Mensch erlsungs-bedrftig ist, ist es nach Lorber die gesamte Schpfung. Ein Urereigniswlzt sich durch die kosmischen Gesteinsmassen, der Fall der Geisterund ihr stummer Schrei nach Erlsung. In dieses kosmische Drama istSwedenborgs Schau integriert, aber da eben der Rahmen bei Lorber einanderer ist, kommt es zu einer umfassenden Reinterpretation. Lorberist daher kein Swedenborgianer, sondern ein Beispiel fr einen uerst

    kreativen Umgang mit der vorgegebenen Tradition.

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    4.2. Vorformen des lorberschen Materiebegriffs bei Swedenborg

    Wir erinnern uns: Nach Lorber ist Materie fixiertes Geistiges (GEJ2,195,4) oder eine allergrbste und schwerste Umhutung oder Um-

    hlsung des Geistigen. (GEJ 4,103,4). Hinter diesen Aussagen steht dieErzhlung vom Fall der Engel. Bei Swedenborg gibt es diese Erzhlungnicht, dennoch weist sein Materiebegriff Merkmale auf, die Lorber auf-greifen und mit der besagten Erzhlung unterlegen konnte.

    Atome im Sinne unteilbarer Materiekgelchen gibt es nicht. DiePhysik des 20. Jahrhunderts hat den Materialismus des 19. Jahrhun-derts berwunden, allerdings sind die philosophischen Konsequenzennoch nicht in allen Kpfen angekommen.51 Schon Swedenborg war der

    Ansicht: Eine Sinnestuschung ist es, dass es einfache Substanzen,sogenannte Monaden oder Atome gebe. (HG 5084). Das innere Wesender Materie und ihrer Bausteine ist auch nach Swedenborg geistig. Dasfolgt schon aus seiner Gradlehre, denn die Grade der Hhe knnenauch als ineinanderliegende verstanden werden, dann ist das Geistigedas Innere des Natrlichen: In der aufeinanderfolgenden Ordnung bil-det der erste Grad das Oberste und der dritte das Unterste; in dergleichzeitigen Ordnung hingegen bildet der erste Grad das Innerste,

    der dritte das uerste. (GLW 205). Nach der gleichzeitigen Ordnunggilt: Der letzte Grad (oder die unterste Seinsstufe)TN ist die Zusammen-fassung, der Behlter und die Unterlage der vorhergehenden Grade.(GLW 209). Diese Aussage findet sich brigens auch bei Lorber, wenn esdort heit: Und so entspricht die Materie, Meinem Willen nach, derLiebe dadurch, da sie ist ein gefesteter Grund als letzte Unterlage allesGeistigen (Groglockner 5). Bei Swedenborg gibt es zahlreiche Aussagen,die uns das Geistige als das innere Wesen der Materie vor Augen fh-

    ren.

    51 Der Philosoph Karl R. Popper hat die These vertreten, da sich der Materialismus,der im 19. Jahrhundert lautstark propagiert wurde und als Erblast im 20. Jahr-hundert fortwirkte, selbst berwindet, denn - so Popper - man knne sagen, dadie Ergebnisse der modernen Physik es nahelegen, die Vorstellung von einer Sub-stanz oder einem Wesen aufzugeben die Atome besitzen eine Struktur, diekaum als materiell und gewi nicht als substantiell bezeichnet werden kann:Mit dem Programm, die Struktur der Materie zu erklren, war die Physik ge-

    zwungen, ber den Materialismus hinauszugehen. (Karl R. Popper, John C.Eccles,Das Ich und sein Gehirn, Mnchen, Zrich, 1991, Seite 26).

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    So schreibt er, dass in jedem geschaffenen Dinge dieser Welt etwasGeistiges und etwas Natrliches ist, nmlich das Geistige gleichsam alsdie Seele, und das Natrliche gleichsam als der Leib, oder das Geistigeals das Innere und das Natrliche als das uere, oder auch das Geisti-

    ge als die Ursache und das Natrliche als die Wirkung. (OE 1196). DasGeistige umkleidet (induat) sich mit dem Natrlichen wie der Menschmit einem Gewand (veste) (SK 11). Die natrlichen Dinge aber sinddazu geschaffen, die geistigen zu umhllen (WCR 78). Die Sonne dernatrlichen Welt ist dazu geschaffen, da ihre Wrme und ihr Lichtgeistige Wrme und geistiges Licht in sich aufnehmen, und diese mit-tels der Atmosphren bis zu den letzten Dingen auf Erden bringen sol-len, um die Zwecke zu verwirklichen, die der Herr in seiner Sonne hat,wie auch um die geistigen Dinge mit entsprechenden Hllen zu beklei-

    den, das heit, mit materiellen Stoffen (et quoque ut amiciant spiritua-lia vestibus adaequatis, hoc est, materiis,), zur Auswirkung der letztenZwecke in der Natur. Dies geschieht, wenn die geistige Wrme der na-trlichen Wrme eingefgt ist (EL 235).

    Wem von Lorber herkommend die Aussage gelufig ist, dass Mate-rie fixiertes Geistiges (GEJ 2,195,4) ist, der wird aufhorchen, wenn erbei Swedenborg Stze wie die folgenden liest, die einen Zusammen-hang zwischen Materie und der dadurch bewirkten Fixierung geistiger

    Erscheinungen herstellen. Der Gedanke ist zwar nicht mit dem bei Lor-ber vollkommen identisch, aber bei einer Relecture kann es ja zu Ak-zentverschiebungen kommen.

    Das Bild der Schpfung ist geistig. Um aber in Erscheinung zu tretenund in der natrlichen Welt Nutzen zu schaffen, um fixiert (ut fixa stet)und dauerhaft zu sein, muss es materiell werden, das heit aus materi-ellen Stoffen (materiis) dieser Welt zusammengesetzt werden. (GLW315). Daher sind die materiellen Stoffe (materiae) auf unserem Erdkr-

    per fixiert (fixae) (OE 1211). Das Geistige fgt sich aus den materiellenStoffen (materiis) der Erde dicht zusammen, damit ihre Formen fixiert(fixae) und dauerhaft (constantes) seien. (GLW 340). Er (Sir Hans Slo-ane) erklrte, wenn jener Vogel (gemeint ist eine Erscheinung in dergeistigen Welt) in seinen kleinsten Einzelheiten mit den entsprechen-den irdischen Stoffen (materiis correspondentibus) angefllt und damitfixiert (fixata) wrde, so wre er ein ebenso dauerhafter Vogel, wie dieVgel auf Erden (GLW 344). Fixiert (fixentur) und bestndig aber wer-den sie durch die Substanzen und materiellen Stoffe (per substantias et

    materias), die sich auf den Erdkrpern und in deren Luft und ther fin-den. (GLW 370). Infolgedessen werden die Atmosphren stets dichter

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    und trger, bis sie schlielich im Letzten zu ruhenden Substanzen(substantiae quietis) geworden sind, und zwar in der natrlichen Weltzu fixierten (fixae), also zu irdischer Materie (materiae). (GLW 302).

    4.3. Ist die Schpfung bse?Die eingangs erwhnte Horn-Hutten-These spitzt den Gegensatz

    zwischen Swedenborg und Lorber mit Hilfe der Bibel zu, indem sie be-hauptet, dass Swedenborg mit der biblischen Botschaft von der gutenSchpfung bereinstimme, Lorber aber nicht. Friedemann Horn undKurt Hutten dachten hierbei an den bekannten Schpfungsbericht undinsbesondere an die Billigungsformel: Und Gott sah, dass es gut war.Nun geht es aber nach Swedenborg in Genesis 1 gar nicht um dieSchpfung des Universums (creatio universi) (HG 8891), sondern umdie neue Schpfung oder Wiedergeburt (HG 8510, siehe auch HG 9408 undHG 4). Die Billigungsformel ist daher auf die Fortschritte in der Wieder-geburt zu beziehen. Doch abgesehen davon muss man, wenn man diebiblischen Schpfungsaussagen dennoch kosmologisch verstehen will,die ganze Bandbreite derselben aufnehmen. Genesis 1 ist zwar sicherder bekannteste schpfungstheologische Text der Bibel, aber lngst

    nicht der einzige. Wir richten unsere Aufmerksamkeit an dieser Stellenur auf Aussagen, die uns erkennen lassen, das der (geordnete) Kos-mos aus einem uranfnglichen Chaos hervorgegangen ist. Das belegtausgerechnet schon der Schpfungsbericht von Genesis 1, indem aufdie berschrift in Vers 1 vier Chaoselemente in Vers 2 genannt wer-den.

    Vier Elemente sind dem Schpfergott vorgegeben, die er nicht er-schafft, sondern erschaffend bearbeitet: 1. die Tohuwabohu-Erde, das

    heit die lebensfeindliche Welt; 2. die Finsternis als bedrohliche Un-heilsmchtigkeit; 3. das Urmeer und 4. die Wasser als die chaotischenGestalten der zwei Urwasser (vgl. den Enuma-Elisch-Mythos). Ausdiesem Chaos als Gegenwelt gliedert der Schpfergott dann in denersten drei Schpfungstagen die Welt aus.52

    Die Vorstellung, dass die Schpfung aus einem Kampf hervorge-gangen ist, ist im Alten Orient weit verbreitet und daher auch in der

    52 Karl Lning, Erich Zenger, Als Anfang schuf Gott: Biblische Schpfungstheologien,1997, Seite 30.

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    Bibel zu finden. Im babylonischen Schpfungsmythos Enuma Elischbeispielsweise zerstckelt Marduk Tiamat, die monsterhafte Salzflut,um dann einen Teil ihres Leichnams zum Bau des Kosmos zu verwen-

    den.

    53

    Der Gott Israels tritt sehr hufig in der Rolle des Chaoskmp-fers auf (Ijob 40-41; Pss 74,12-18; 89,10ff), der kosmische Bedrohun-gen in verschiedener Gestalt (Finsternis, Wste, Feinde, vor allem aberWasser) berwltigt und sich gerade dadurch als Schpfer erweist JHWH kmpft gegen Leviatan, den Ringler, der in Jes 27,1 mit derflchtigen Schlange verglichen wird. Er kmpft gegen Rahab, dieDrngende oder Ungestme, gegen Tehom, die Urflut, und gegenTannin, das drachenartige Monster.54 Besonders hufig wird bei Jo-

    hannes und Paulus die(se) Welt (gr. kosmos) oder die bestehende Welt-zeit (gr. aion) negativ gewertet (Joh 8,23; 1. Joh 5,19; Gal 1,4; 1. Kor3,19). Der Herrscher dieser Welt ist nach Joh 12,31; 14,30 und 6,11Titel Satans, und bei Paulus heit er Gott dieser Weltzeit (2. Kor 4,4).Lorbers Erzhlung von einem Urkampf, der zur Entstehung des Kos-mos fhrte, sollte angesichts dieser Tatsachen nicht von vornherein alsunbiblisch abgetan werden. Lorber jedenfalls entdeckt ihn schon in derSchpfungsgeschichte: Der Fall der erstgeschaffenen Geister oder der

    freien und belebten Ideen Gottes im endlosen Raume ist die groeScheidung, von der Moses sagt: Da schied Gott das Licht von der Fins-ternis! (GEJ 2,224,1).

    Doch stellen wir die Frage nach der biblischen Begrndung beiseite,denn es geht mir ja primr um das Verhltnis Swedenborg und Lorber,nicht um ihr Verhltnis zur Bibel. Ausschlussreich scheint mir die fol-gende Aussage Lorbers zu sein:

    Ihr sehet daraus, da selbst Gott, so Er nicht aus Sich Selbst den fr

    eure Begriffe endlos groen Gegenpol gestellt htte, keine Schpfungals materiell bestehend aus Sich htte hervorrufen und hinstellen k-

    53 Othmar Keel, Silvia Schroer, Schpfung: Biblische Theologien im Kontext altorienta-

    lischer Religionen, 2008, Seite 124.54 Othmar Keel, Silvia Schroer, aaO., Seite 131. Leviatan in Ps 74,14; 104,26; Jes

    27,1; Rahab in Ijob 9,13; 26,12; Pss 87,4; 89,11; Jes 51,9; vgl. Ps 74,13; 149,7; Spr8,29; Jes 27,1; Tehom (verwandt mit der Salzflutgttin Tiamat im babylonischenEnuma Elisch) in Gen 1,2; 8,2; Ijob 38,16; Pss 33,7; 42,8; 77,18; 107,26; Spr

    8,24.27f; Tannin in Gen 1,21; Ex 7,9 (Schlange); Ijob 7,12; Ps 148,7; Jes 21,1;51,9; Ez 29,3 (Krokodil). (Keel, Schroer, aaO., Funote Seite 131).

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    nen, weil eben der groe Gegenpol die Schpfung selbst ist. Diese mualso gerichtet, fest, so gut wie tot und beharrlich sein, so sie ihrem vomSchpfer gestellten Zwecke entsprechen soll. Und weil sie das ist, wasund wie sie ist, so ist sie auch gut Gott gegenber. Bse der Wirkung

    nach ist sie nur den Menschen gegenber, weil diese der Seele und teil-weise sogar dem Fleische nach die Bestimmung haben, als aus dem To-de erweckte Wesen sich fr ewig mit dem reinen, positiven Geiste ausGott zu vereinen mit Gott, ohne dadurch je mehr ihre absoluteste Frei-heit und Selbstndigkeit einzuben. (GEJ 5,230,1).

    Gut und bse werden hier in einem relationen Sinne thematisiert.Die Schpfung ist gut Gott gegenber, aber bse der Wirkung nach den Menschen gegenber. Wie das zu verstehen ist, zeigen die fol-

    genden Stellen: weil die Materie das nicht ist, als was sie dir er-scheint, so ist sie dem sich selbst probenden Menschen gegenber L-ge und Trug (GEJ 5,70,5). Was dein Schatten ist zu dir, so du irgendim Lichte stehst oder gehst, dasselbe ist alle Materie und ihre Schtzegegenber dem Geiste! Sie ist ein notwendiger Trug und in sich selbsteine Lge, weil sie das nicht ist, als was sie den Sinnen des Leibes er-scheint. (GEJ 5,70,10). So stellt die Materie gegenber dem Menschen,der dazu berufen ist, ein Engel der Himmel Gottes zu werden, eine be-

    stndige Versuchung dar. Er kann sich dem Scheinsein hingeben, darinverlieren, oder dem wahren Sein seiner inneren Geistnatur aus dergttlichen Liebe und Weisheit ffnen.

    Diese Sicht ist interessanterweise auch bei Swedenborg zu finden.Auch er sah im Weltbezug die Quelle aller Tuschungen und Versu-chungen. Der diesbezgliche Basistext ist seine Auslegung von Genesis3 und dort insbesondere seine Auslegung der Schlange. Sie reprs