Oktober 2015 Ausgabe 65 Schwerpunkt: Sterben und Tod in den ...

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Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Oktober 2015 Ausgabe 65 Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Schwerpunkt: STERBEN UND TOD IN DEN MEDIEN

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Ansprechstellen imLand NRW zurPalliativversorgung,Hospizarbeit undAngehörigenbegleitung

Oktober 2015 Ausgabe 65Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen

Schwerpunkt:STERBEN UND TOD IN DEN MEDIEN

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Liebe Leserinnen und Leser,

vor allem durch die politische Entwicklung – hinsichtlich der Diskussionum den assistierten Suizid oder dem zuerwartenden Hospiz- und Palliativ -gesetz – finden wir immer wieder tagesaktuelle Pressemitteilungen. Aberunabhängig davon gab es schon immer

Fernsehberichte, Dokumentationen oder auchSpielfilme, in denen Sterben und Tod auf sehrunterschiedliche Weise nahegebracht wurden,sensibel und einfühlsam, zuweilen auch mit einem zwinkernden Auge. Wie Journalismus, Regie oder Schauspiel aus eigenen Erfahrungendazu stehen, wird in dieser Ausgabe exemplarischund anschaulich geschildert.

Welche Wirkung dies auf Menschen hat, die sichdieses Themas bisher noch nicht angenommenhaben, ist nicht belegt. Aber es ist sicher zu Rechtdie Hoffnung damit verbunden, dass mit einer medialen auch eine persönliche Auseinanderset-zung verbunden ist.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!

Ihre

Gerlinde Dingerkus

Editorial

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INFORMATION

Fünf Jahre PalliativTeam im MKK Krankenhaus Bad OeynhausenElisabeth Arning 4

OMEGA – Mit dem Sterben lebenInge Kunz 6

Ambulante Palliativpflege in NRWFelix Grützner, Gerlinde Dingerkus, Thomas Montag,Christiane Ohl 9

SCHWERPUNKTSTERBEN UND TOD IN DEN MEDIEN

Der Hochglanz-Tod der MedienMarianna Deinyan 10

Der Tod gehört zum LebenDie Sendereihe 37 Grad hat keine BerührungsangstMichaela Pilters 12

Fotojournalismus mit Sterbenden Eine GratwanderungAchim Pohl 14

Den Tod heiter erzählenInterview mit Hubertus Meyer-Burckhardt 17

BlaubeerblauInterview mit Stipe Erceg 20

Veranstaltungen 23

Inhalt

IMPRESSUM

HerausgeberALPHA – Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zurPalliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung

RedaktionALPHA-Westfalen, Ansprechstelle im Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung im Landesteil Westfalen-LippeGerlinde Dingerkus, Sigrid Kießling, Mary WottawaFriedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 [email protected] · www.alpha-nrw.de

LayoutArt Applied, Hafenweg 26a, 48155 Münster

DruckBuschmann, Münster

Auflage2.500

Die im Hospiz-Dialog veröffentlichten Artikel geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Herausgeberwieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keineGewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der abgebildeten Personen.

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Wo ist denn Ihre Palliativstation? Mitdieser Frage werden die Mitgliederdes PalliativTeams immer wiederkonfrontiert. „Wir haben ein integra-

tives Konzept im Krankenhaus Bad Oeynhausen“,erklärt Dr. Achim Rehlaender, einer von drei Pallia-tivmedizinern im Team. „Unsere Patienten sind imganzen Krankenhaus“, ergänzt Dr. Dietmar RolfKrautheim. „Je nachdem, ob sie beispielsweise auf-grund einer chronisch fortgeschrittenen Lungener-krankung, einer Herzinsuffizienz oder z. B. einerKrebserkrankung bei uns sind, werden sie von unsauf der entsprechenden Station behandelt.“

Neben drei spezialisierten Ärzten arbeiten im PalliativTeam Palliative Care-Pflegekräfte, eine So-zialpädagogin und eine Seelsorgerin. Mindestenseinmal in der Woche kommt das Team zusammenund bespricht, welche Entwicklung bezüglich derPatienten und Angehörigen es gibt. Heute z. B. be-

ginnt die Teamsitzung mit dem Austausch zu einemPatienten, der an COPD, einer chronischen Lungen-erkrankung mit einer fortgeschrittenen Einschrän-kung der Lungenfunktion leidet. „Ich hatte in dervergangenen Woche ein Gespräch mit seinen beiden Söhnen …“, berichtet Krankenhausseelsor-gerin Elisabeth Arning. Die Teammitglieder kennen

sich aus und bewegen sich in ihrer Arbeit ständigauf dem schmalen Grat aus persönlicher Betroffen-heit über schwere Schicksale und dem hilfreichenprofessionellen Umgang mit schwerer Krankheitund einem möglichen Sterbeprozess. „Im Momentist die Situation bei dem Patienten nicht eindeutig“,antwortet Dr. Rehlaender, Oberarzt in der Klinik fürInnere Medizin und Pneumologie. „Wir geben ihmschmerzstillende und beruhigende Medikamente.Er schläft viel, ist aber auch immer wieder bei kla-rem Bewusstsein.“ Der 63-Jährige Patient weiß seitetwa einem Jahr, dass er mit hoher Wahrscheinlich-keit an seiner Lungenerkrankung sterben wird undso hatte er schon eine Patientenverfügung verfasst.In der heißt es, dass er keine lebensverlängerndenMaßnahmen wünscht.

Kommunikation ist allesDas PalliativTeam des Krankenhauses Bad Oeyn-hausen arbeitet auf der Grundlage der „Charta zurBehandlung schwerstkranker und sterbender Men-schen in Deutschland“ der Deutschen Gesellschaftfür Palliativmedizin und des Deutschen Hospiz- undPalliativVerbandes. Beim Umgang mit Schwerkran-ken und Sterbenden ist sehr viel Einfühlung gefragt. Der Zustand und auch die eigene Haltungzum Tod können sich von Tag zu Tag ändern. Ange-hörige sind in dieser Zeit emotional sehr belastetund müssen miteinbezogen werden; gleiches giltauch für die Mitarbeitenden auf der jeweiligen Station. „Unsere Aufgabe ist vor allem Kommuni-kation“, unterstreicht Gabi Schneider, Kranken-schwester mit Palliative Care-Weiterbildung. „Wirversuchen, alle Facetten rund um den Patienten zu-sammenzutragen. Dann können wir zusammen mitdem Patienten und seinen Angehörigen das weitereVorgehen festlegen.“

Über das PalliativAmbulante Netzwerk im KreisMinden-Lübbecke – PAN – steht das PalliativTeamim ständigen Austausch mit niedergelassenen Pal-liativmedizinern und Hausärzten sowie den Pflege-einrichtungen. „Zu uns kommen Patienten in aku-ten Krisen“, erklärt Dr. Krautheim, Oberarzt in derKlinik für Innere Medizin und Gastroenterologie.

FÜNF JAHRE PALLIATIVTEAM IM MKK KRANKENHAUS BAD OEYNHAUSENELISABETH ARNING

PalliativTeamsitzung jeden Donnerstag © Mühlenkreiskliniken

ma „Palliativ“ ist gewachsen, eine ‚Sterbe- und Ab-schiedskultur‘ entwickelt sich (wobei ‚palliativ‘nicht mit ‚präfinal‘ / Sterben gleichzusetzen ist,was leider immer noch häufig geschieht). Die for-malen Arbeitsanweisungen des Qualitätsmanage-ments ‚Sterbebegleitung‘ und ‚Palliativversorgung‘werden mit Leben gefüllt und umgesetzt. Wir habenzu einer Ver-Ortung des Themas beigetragen: DieUmgestaltung und Nutzung des Abschiedsraumesund regelmäßige Gedenk-Gottesdienste für Ange-hörige sind nur zwei Beispiele dafür. Die belasten-de Versorgung schwerkranker und sterbender Patienten wird auf viele Mitarbeitende verteilt.Außerdem ist eine Anmeldung als Palliativpatientniedrigschwelliger als eine räumliche Verlegung aufeine andere Station, d. h. der Entscheidungsdruckwird minimiert.

Aber die Schwierig-keiten sollen nichtverschwiegen wer-den: Unsere Patien-ten werden im gesamten Kranken-haus versorgt, dasbedeutet viel Kon-takt und unter Umständen auchKonflikte mit denP r i m ä r t e a m s ,außerdem sind alleTeammitglieder nuranteilig in diesemArbeitsbereich tä-tig, was manchmalproblematisch ist(Zuständigkeiten,

Vertretungsregelungen, Dienstzeiten …).

Für unser Team ist eine verlässliche und vertrau-ensvolle Zusammenarbeit absolut wichtig, verbind-liche Absprachen und eine hohe Flexibilität sindnötig.

Die personelle Verbindung zum Klinischen Ethik-komitee des Krankenhauses erweist sich als positiv– kritische Patientensituationen können ethisch re-flektiert werden, zu Themen wie „Ethische Fragenam Lebensende“ bieten wir gemeinsam Fortbildun-gen an.

Wir sind in der glücklichen Situation, dass die Be-triebsleitung unsere Arbeit würdigt und wünscht.Im Zeitalter der Ökonomisierung im Gesundheits-

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„Sie leiden dann oft an starken Schmerzen, Übel-keit oder auch Atemnot. Unter stationärer Kontrollehaben wir hier die Möglichkeit, sehr gezielt das Lei-den zu lindern.“ Anke Bernhard, Sozialpädagoginim Team, ergänzt: „Ist die akute Krise überstanden,können die Patienten wieder nach Hause und dortambulant palliativmedizinisch weiterbehandeltwerden oder bei Bedarf in ein Hospiz verlegt werden.“

Wenn Patienten im Krankenhaus sterben, bietetdas PalliativTeam Unterstützung an, sei es in spiri-tueller Hinsicht oder ganz praktisch. Beispielsweisewird dem Angehörigen, der am Bett wacht, ein bequemer Lehnsessel hingestellt. Hilfreich sindspezielle Angebote aus der Palliativpflege wieHand- oder Fußmassagen, zu denen Angehörigeangeleitet werden können, oder der Einsatz von besonderen Aro-malampen, um dieAtmosphäre erträg -licher zu gestalten.

Wir arbeiten alsmultiprofessionel-les und interdiszi-plinäres Team imKrankenhaus BadOeynhausen. ImFolgenden soll esum die Besonder-heiten unseresModells gehen:

PalliativTeaminnerhalb desKrankenhausesDie Teambesprechung jeden Donnerstagnach-mittag ist das Zentrum der Palliativ-Arbeit. Hierwird die aktuelle Situation der Patienten bespro-chen und die gesamte Arbeit koordiniert. Wichtigist dafür ein festes Büro, Erreichbarkeit, verlässli-che Kontaktmöglichkeiten für interne und externeGesprächspartner. Hier treffen wir uns regelmäßigzur Supervision, auch das ist unerlässlich für guteTeamarbeit. Wir haben uns in der Gründungsphasebewusst für die Variante „PalliativTeam in einer Klinik“ im Unterschied zu einer eigenen Station ent-schieden. Auf diese Weise tragen wir den Palliativ-Gedanken in die gesamte Einrichtung – auch aufder Intensivstation versorgen wir immer wieder Pa-tienten, was kein Widerspruch ist, wie oft vermutet!Inzwischen haben wir viele Mitarbeitende mit aufden Weg genommen. Das Bewusstsein für das The-

Palliativteam: untere Reihe von links nach rechts: Dr. Achim Rehlaender, Gabi Schneider,Carola Niermann, Regina Lange · obere Reihe von links nach rechts: Elisabeth Arning,

Dr. Dietmar Krautheim, Anke Bernhard (auf dem Foto fehlt Dr. Sigrid Winter) © Mühlenkreiskliniken

wesen sind wir – noch – nichtgewinnbringend, dennocherfahren wir große Unterstüt-zung. Keine Selbstverständ-lichkeit!

Bislang haben wir zwei Öffentlichkeitstage veranstal-tet, mit großer Resonanz, beidenen die Palliativarbeit inall ihren Facetten vorgestelltwurde und die Besucher zureigenen Auseinandersetzungeingeladen wurden. Dass es

kein rein akademisches Thema bleibt, sondernletztlich jeden Menschen betrifft und somit eine Frage der Haltung ist, wurde dabei mehr alsdeutlich.

Blicken wir abschließend auf die gesamtpolitischeLage zur Palliativversorgung, sind wir auf einemguten Weg. Der aktuell im Bundestag diskutierte

Gesetzesentwurf sieht eine Stärkung der Hospiz-kultur und Palliativversorgung vor, für kleinere Kliniken soll es einen sogenannten Palliativ-Beauf-tragten geben. Mit unserem multiprofessionellenTeam haben wir diese Ziel-Vorgabe bereits ‚über-erfüllt‘ (die Leser mögen das damit verbundene Lächeln wahrnehmen).

Auch wenn wir in den zurückliegenden fünf Jahrenschon Vieles geschafft und erreicht haben, wissenwir durchaus, dass noch viele Aufgaben auf unswarten! Genügend Ideen und Visionen haben wir,vielleicht berichten wir darüber dann in fünf Jahrenan dieser Stelle.

Elisabeth ArningPfarrerin/Klinikseelsorge

PalliativTeam Krankenhaus Bad OeynhausenWielandstr.28

32545 Bad [email protected]

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D er Name ist Pro-gramm, denn:Das Zeichen unse-rer Organisation

ist der letzte Buchstabe desgriechischen Alphabets. Aus-geschrieben stellt er einenTorbogen dar. Das Tor stehtfür das Sterben, für die letzteLebensphase, durch die derMensch unweigerlich gehenmuss. Der Baum im Zeichensymbolisiert das Leben biszur letzten Minute.Die Gestalt des Symbols istdie eines offenen Kreises –

OMEGA. Wir sind eine Vereinigung, die allen offensteht, die sich der „Aufgabe des Lebens mit demSterben“ stellen wollen, d. h. die sich für die

Begleitung von schwerkranken, sterbenden undtrauernden Menschen und deren Angehörigen solidarisch einsetzen wollen.

Omega ist konfessionell und weltanschaulich nichtgebunden; wir sind eine Gemeinschaft von Men-schen, die ehrenamtlich ihre Zeit und ihr (Fach)wis-sen im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu nutzen,die Bedingungen, unter denen Sterben geschieht,im Interesse des Sterbenden zu gestalten und zuverändern.

Seit 1985 ist OMEGA – Mit dem Sterben leben e.V.die erste überregionale Hospizvereinigung mit demZiel, den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer stärkerim gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern.

In bundesweit 20 Regional- und Arbeitsgruppenaktiviert, organisiert und entwickelt Omega gesell-

OMEGA – MIT DEM STERBEN LEBENzwischen „Ich sterbe – störe ich?“ und „Haste mal … nen Euro?“INGE KUNZ

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schaftliche Ressourcen, die von sozialen Institutionennicht zu erreichen sind. Ehrenamtlich engagierteMenschen setzen sich mit Sterben, Tod und Trauerauseinander und bringen ihre Erfahrungen in diegesellschaftspolitische Diskussion ein.

Der Weg zu einem verbindlichen und abrufbarenEngagement ist allerdings eine anspruchsvolle He rausforderung. Es gilt, mit Ausdauer ein Ziel zuverfolgen, das ohne erkennbare Alternative ist:

Die Menschen, die begleitet werden, erfahrensolidarische Unterstützung, damit sie bis zuletztihr Leben selbstbestimmt gestalten und wennmöglich zu Hause sterben können.

Menschen, die sich engagieren, gewinnen fürihren weiteren Lebensweg wichtige Erfahrungenund Kompetenz für den Umgang mit schwieri-gen Lebenslagen.

Die soziale Gemeinschaft profitiert von der Aktivierung kreativen Potentials, das sich ambes ten in der praktischen Arbeit entfalten kann.

Die Arbeit der sozialen Institutionen wird er-gänzt durch ein bürgerschaftliches Element, dasein wesentliches Bindeglied in der Gesellschaftdarstellt.

„Haste mal …?“ Zeit, ’ne Idee, eine Bleibe im Krankenhaus, Hos -

piz, Einrichtung …

„Kannste mal …“ kommen, fahren, dich kümmern um … meine

Kinder, meinen Mann, den Antrag …

Und nicht zuletzt: „Haste mal ’nen Euro?“

Genau das waren die Fragen und Bitten der Menschen, als wir vor 30 Jahren damit anfingen,Unterstützungs- und Entlastungsangebote fürSchwerkranke, Sterbende und ihre Angehörigen zuermöglichen.

„Die Frage ‚Haste mal …?‘ begleitet unser Leben intausendfacher Variation vom ersten Augenblick biszum letzten Atemzug. Sie ist die symbolischeGrundfrage menschlicher und gemeinschaftlicherExistenz, keine Bettelei, sondern eine Bitte, unsereIdeen, Ressourcen und Möglichkeiten zu teilen. Insoweit ist Leben immer an Unterstützung, an Teil-

habe und Teilen gebunden. Gerade auch fürschwerkranke und sterbende Menschen und ihreAngehörigen.“ (Prof. Dr. Annelie Keil) Das gilt bisheute.

Die Antwort auf das „Haste mal …“ ist für dieSchwerkranken und Sterbenden

ein Zuhause mit entlasteten Angehörigen undFreunden

gute medizinische, palliative Behandlung, besonders eine gute Schmerztherapie

Menschen, die ‚da sind‘, Signale verstehen, telefonieren, Anträge stellen, Auto fahren,Spenden/Geld sammeln.

„Würde ist kein Zustand, sondern eine soziale Beziehung, die nicht das leiseste Schwanken imGleichgewicht zwischen der Selbstachtung und derdurch die anderen erfahrenen Bestätigung zulässt“. (David le Betron: Schmerz. Eine Kultur -geschichte)

Das Zitat steht auch im gemeinsamen Positionspa-pier von Omega e. V. und Bioskop e. V.: „Hilfreicheoder gefahrvolle Vorsorge?“ Unser nachdenklicherKommentar zur gesetzlichen Regelung der Patien-tenverfügung ist das Ergebnis vieler, auch kontro-verser Debatten im wissenschaftlichen Beirat vonOmega, in Mitgliederversammlungen und Veran-staltungen.

Genau das macht Omega aus: Der Mut zur Kontroverse, die Suche nach Erkennt-nissen.

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In Omega wird gerungen:

• um die letzten Dinge am Lebensende, die sichnicht mit ‚Dienstleistungslösungen‘ und ‚profes-sionell‘ genanntem Wissen über Sterben oderkurze Lebensfristen begnügen.

Patientenverfügungen sind attraktiv, weil sie Sicherheit versprechen für besorgte Menschen undweil sie ein öffentlich sichtbares Angebot sind vonbeispielsweise Hospiz- und Betreuungsvereinen.In Form einer Dienstleistung – ein Vordruck, ein Beratungsgespräch, ein Registrierungsangebot –scheint das Sterben gebändigt werden zu können.An ärztlichen Diagnosen und Prognosen werden eigenes Nachdenken und hospizliches Angebotüber die letzten Dinge geschult. In Omega habenwir immer wieder diskutiert, gezweifelt und gefragt: Wird so das Sterben Teil des Lebens? Wirdso die medizinische Dominanz in existentiellen Lebenslagen gemildert? Wird so die besondereKompetenz der Hospizbegleitung wahrgenommen?

• um die sozialen und sozialpolitischen Bedingun-gen des Alltags mit schwerer Pflegebedürftigkeit– auch der Armen und Ärmsten in diesem Land.

Im öffentlichen Bewusstsein ist die hospizliche Begleitung der Sterbenden zentral. Bilder von Händen, die gehalten werden, verstärken diesenEindruck. Die Unterstützung und Entlastung derAngehörigen, die einen Großteil der hospizlichenBegleitung ausmachen, sind weniger präsent. Undnoch weniger ist die Rede von armen Familien, diepflegerische Unterstützung, Haushaltshilfen oderTaxifahrten zu ihren Angehörigen nicht ohne weiteres bekommen. In Omega ist die Hilfe für Angehörige ein zentrales Thema. Sterbebegleitungist hier immer auch ein sozialpolitisches Engage-ment, um den armen Familien, alleinerziehendenMüttern ihren Alltag zu erleichtern, sozialstaatlicheLücken zu schließen oder berechtigte Ansprücheeinzufordern.

• um Sterbebegleitung und ‚Sterbeideale‘, dieauch den letzten Lebensabschnitt unter gelingen-den oder misslingenden Leistungsanforderungenzu stellen droht.

In dem Bemühen der Hospizbewegung, das Ster-ben zum Teil des Lebens zu machen, aus den Insti-tutionen in die soziale Lebenswelt und auch in denpersönlichen Gestaltungsraum zu holen, sind ‚Sterbeideale‘ entstanden, die für alle Beteiligten

problematisch sein können. Zu Hause, persönlichangenommen und souverän gestaltet, mutig, spi-rituell erfüllt, so ist das Sterbeideal. Solche Idealesind problematisch. Viele können daran scheitern,die Angehörigen, die Hospizbegleiterinnen und Hospizbegleiter. Und einige können es umdeuten,in einen ‚Entscheidungstod‘, der vom Zeitpunkt biszur Todesart souverän und ‚selbstbestimmt‘ seinsoll. Aber auch die Schattenseiten des Sterbensgehören zum Leben, die beängstigend sind, dieKontrollverluste bedeuten, die sozialen oder auchkörperlichen Bedingungen, die ein Sterben zu Hause verunmöglichen können.

Auch zukünftig wird diese Nachdenklichkeit unddas Querdenkertum Omega ausmachen; und dasheißt

•• Alltags- und Lebenserfahrungen der Begleiterin-nen und Begleiter ernst nehmen;

•• die Sterbenden und ihre Angehörigen anspruchs-voll machen, was ihre – nicht nur – sozialstaat-lichen Ansprüche betrifft;

•• die Alltagsprobleme der Angehörigen oder Freun-de und deren Unterstützung als Hauptaufgabeansehen;

•• soziale Phantasie entwickeln, um nachbarschaft-liche oder andere Formen sozialen Lebens zu fördern oder zu erfinden, um der zunehmendenEinsamkeit Paroli zu bieten;

•• öffentliche Gespräche über Tod und Sterben,über den Zustand der Gesundheitsversorgungund die sozialpolitischen Kürzungsdrohungen zurständigen Aufgabe zu machen.

Inge KunzOMEGA

Mit dem Sterben Leben e.V.Bundesgeschäftsstelle

Dickampstr. 1245879 Gelsenkirchen

Tel.: 02 09 - 9 13 28 - [email protected]

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W ie in jedem Jahr kamen Vertreterin-nen und Vertreter von Palliativpfle-gediensten zusammen, dieses Jahrim Haus der Technik in Essen. Einge-

laden hatten in gemeinsamer Initiative der Hospiz-und PalliativVerband NRW, die Deutsche Gesell-schaft für Palliativmedizin (DGP), LandesvertretungNRW, sowie die beiden ALPHA-Stellen.

Besondere Versorgungsstruktur in Nordrhein-WestfalenIm Jahr 2006 hatten die Kassenärztliche VereinigungNordrhein mit den Primärkassen, der AOK Rhein-land/Hamburg, der IKK Nordrhein, der Knappschaftund der Landwirtschaftlichen Krankenkasse NRWeinen Vertrag geschlossen, der die ambulante pal-liativmedizinische und -pflegerische Versorgungverbessern sollte. Grundlage war damals das NRW-Rahmenprogramm zur Palliativversorgung gewesen. Im Jahr 2014 sind auch die betrieblichenKrankenkassen (BKK) dieser Vereinbarung beige-treten. Rund 120 Palliativ-Pflegedienste sind derzeitNRW-weit im Rahmen der allgemeinen wie der spe-zialisierten Palliativversorgung für schwerstkrankeund sterbende Menschen im Einsatz.

Der Austausch ist wichtigIn Essen wurde sehr schnell deutlich, dass sich vieleDienste künftig weitere solche Angebote wünschen,um Fragen und Anliegen zu diskutieren, die sich ausder Arbeit ergeben, und um Informationen sowieHilfestellungen durch HPV, DGP und ALPHA zu er-halten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mach-ten deutlich, dass der Austausch untereinander –wie er jetzt möglich war – als sehr hilfreich und stär-kend empfunden wurde. Deutlich wurde dies vorallem im Gespräch über die Nahtstellen zwischeneinzelnen Versorgungsstrukturen (z. B. ambulant/stationär) und möglichen Spannungen zwischenden an der Versorgung der Patientinnen und Patien-ten beteiligten Institutionen und Berufsgruppen.

Relevante ThemenEine Sammlung der als wichtig empfundenen The-men ergab bereits Inhalte für kommende Veran-staltungen: der Umgang mit dem geäußerten Todeswunsch von Patientinnen und Patienten, diePositionierung des eigenen Dienstes zur Frage des

assistierten Suizids, die Nahtstelle Ehrenamt/Hauptamt, Vollversorgung versus Teilversorgung,die Gewährleistung der 24-stündigen Erreichbar-keit, Übernahme von Beratungsleistungen durchAmbulante Palliativpflegedienste, zu erwartendeÄnderungen durch das kommende Hospiz- und Pal-liativgesetz (HPG). Ein weites Feld öffnete sich imAustausch über die Grenzen und Möglichkeiten vonKooperationen: Wie können durch vertraglicheRahmenbedingungen ,verordnete‘ Kooperationenmit Leben gefüllt werden? Wie können sie organi-siert werden?

Der Nachmittag in Essen enthielt zudem informati-ve Teile, etwa im Vortrag von Thomas Montag (DGPNRW), der die aktuellen Entwicklungen im Charta-Prozess und in der Erarbeitung einer NationalenStrategie zur Betreuung Schwerstkranker und Ster-bender referierte und den Stand zum kommendenHospiz- und Palliativgesetz skizzierte.

Zehn Jahre Palliativpflege in NRWGemeinschaftlich verabredet wurde, dass im kom-menden Frühjahr wieder ein Treffen für Palliativ-pflegedienste stattfinden soll – im zehnten Jahr ihres Bestehens. Zu diesem Zeitpunkt werden dasneue Hospiz- und Palliativgesetz wie auch das Ge-setz zum assistierten Suizid aller Voraussicht nachin Kraft getreten sein und die ersten Rahmenver-einbarungen zur Umsetzung konkret. Dann werdenwir mehr darüber wissen, ob diese bundesweit ein-zigartige Versorgungsstruktur in dieser Form undmit diesen Ausprägungen Bestand haben wird.Schon jetzt möchten wir alle Interessierten zu die-sem Tag einladen. Der Veranstaltungsort wird nochbekannt gegeben werden. Wie in diesem Sommerin Essen, so sollen auch die kommenden Angebotefür die Dienste gemeinsam von DGP, HPV und ALPHA sowie unter Einbeziehung der Wohlfahrts-verbände ausgerichtet werden.

Für die Organisatoren:Dr. Felix GrütznerALPHA-Rheinland

Heinrich-Sauer-Straße 1553111 Bonn

Tel.: 02 28 – 74 65 [email protected]

AMBULANTE PALLIATIVPFLEGE IN NRWPalliativpflegedienste trafen sich zu einem Austausch in EssenFELIX GRÜTZNER, GERLINDE DINGERKUS, THOMAS MONTAG, CHRISTIANE OHL

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E s ist wohl die größte Angst, diein jedem Menschen steckt.Die Angst vor dem Tod. Obvor dem eigenen oder vor

der Trauer, wenn man einen geliebtenMenschen verliert – die Angst vor demTod gehört zu den Themen, die im Alltag oftmals nicht angesprochenwerden. Offene Gespräche über denTod sind eine Seltenheit.

Und trotzdem: In den Medien ist derTod allgegenwärtig. Er ist ein belieb-

tes Stilmittel, um in Filmen und FernsehserienSpannung aufzubauen. Sterbeszenen vermittelnDramatik. Und auch Szenen, in denen Leichen ge-zeigt werden, lösen beim Zuschauer Emotionenaus. Schließlich ist der Anblick einer Leiche für vieleetwas Ungewöhnliches. Doch was Film und Fernsehen in solchen Szenen zeigen, ist eine ästhetisierte Darstellung. Eine Art Hochglanz-Tod.

Die Berliner Soziologin Tina Weber hat die Darstel-lung vom Tod in Fernsehserien untersucht und ineinem Gespräch mit der Deutschen Presse Agenturihre Studienergebnisse erläutert. Es ist eine Mi-schung aus Schönem und Abstoßendem, sagt sie,wenn sie über die Darstellung vom Tod in TV-Serienspricht. Die Szenen müssen interessant bleiben,jedoch in der richtigen Dosis, sodass die Leute vordem Fernseher nicht abschalten.

Medien stehen in der VerantwortungIn Deutschland werde demnach „anders als in denUS-Serien bis heute fast immer nur angedeutet,wenn eine Leiche seziert wird“, so Weber. Die Dar-stellungen hätten sich jedoch über die Jahre an dieRealität angenähert. Und trotzdem seien die Serienmit ihrer Darstellung vom Tod noch weit von derRealität entfernt. Weber, die selbst in der amerika-nischen Gerichtsmedizin gearbeitet hat, sieht daskritisch. „Wenn die jüngere Generation keine echtenLeichen sieht, welche Vorstellungen vom Tod bildensich dann?“ Sie sieht die Medien in der Verantwor-tung, denn das Kollektivwissen über den Tod werdevon ihnen geprägt.

Doch nicht nur in fiktiven Medienformaten spieltder Tod eine wichtige Rolle. Auch in den täglichen

Nachrichten ist er allgegenwärtig. Kein Tag vergeht,in der die Nachrichtensendungen der Republiknicht mit Meldungen über Tote in Syrien, im Irakoder auf dem Mittelmeer gefüllt sind. Und doch wirken all diese Meldungen auf den normalen Zuschauer eher wie Zahlen als wirklich einzelneSchicksale. Es fehlt schlichtweg die Nähe zu denBetroffenen.

Greifbar werden diese Schicksale erst, wenn sie mitInformationen gefüllt werden. Mit Bildern der Opfer, mit Namen, mit persönlichen Details aus ihrem Leben. Gerade in Zeiten der sozialen Netzwerke sind diese Informationen für Medien-machende besonders einfach verfügbar. Es ist verlockend, sie zu nutzen, um Quoten und Klickzah-len in die Höhe schießen zu lassen.

Neugier der Menschen am Schicksal der AnderenDer Absturz der Germanwings-Maschine im Früh-jahr dieses Jahres gilt als Negativbeispiel der quotengetriebenen Medien. So wissen wir zum Beispiel, dass unter den deutschen Opfern des Absturzes zwei Opernsänger aus Düsseldorf anBord waren. Einer von ihnen sollte bald bei denBayreuther Festspielen auftreten – vermutlich einerder Höhepunkte seiner Karriere. Wir wissen auch,dass die 16 Schüler aus Haltern für den Schüler-austausch ausgelost wurden, weil sich zu viele fürdie Reise nach Barcelona beworben hatten. DerAustausch endete für sie im Tod.Unter den spanischen Opfern des Absturzes warein dreifacher Familienvater. Seine Frau erwartetegerade das vierte Kind. Auch ein frisch verheirate-tes Paar saß in der verunglückten Maschine. Diebeiden wollten gerade in Düsseldorf ihr gemeinsa-mes Leben aufbauen. Auch das wissen wir.

All diese Informationen – sie dienen zur Befriedi-gung der Neugier des Lesers und Zuschauers. „Öffentliches Interesse“ wird es in der Medienweltgenannt. Wir wollen mehr erfahren über die Men-schen, die so tragisch zu Tode gekommen sind.Über Schicksale, die an Dramatik kaum zu über-treffen sind. Es hat etwas Unfassbares, etwas Unbegreifliches, dass Menschen von einem Moment auf den anderen ihr Leben verlieren, ausdieser Welt gelöscht werden.

DER HOCHGLANZ-TOD DER MEDIENMARIANNA DEINYAN

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Vor allem Boulevard-Medien bedienen diese Neugier,die teilweise bereits als Voyeurismus bezeichnetwerden kann. Doch auch in sonst als seriös ange-sehenen Blättern wurden derartige Lebensläufe derOpfer des Germanwings-Absturzes abgedruckt. Aber abgesehen von der ethischen Vertretbarkeitdieses medialen Umgangs mit dem Tod, zeigt dieNeugier nach derartigen Details, dass der Tod – beziehungsweise der Umgang mit diesem – längstnicht im Alltag der Menschen angekommen ist. Undwird noch so oft von ihm in den Nachrichten gesprochen.

ARD-Themenwoche mit gemischten ReaktionenIm November 2012 widmete die ARD deshalb ihrealljährliche Themenwoche dem Thema „Leben mitdem Tod“. Mit Beiträgen im Fernsehen, Radio undauf den Onlineportalen der ARD-Sender wurde eineWoche lang der Tod besprochen. Dabei ging es einerseits um den Umgang mit dem Tod, das Ver-schweigen und das Verdrängen des Todes. Auchder Sterbeprozess an sich wurde besprochen undschließlich auch die Zeit nach dem Tod. Die Beiträ-ge sollten Tabus sichtbar machen. So viel ist klar.

In einem Artikel, in dem die Themenwoche anhandvon Zuschauerreaktionen rekapituliert wird, erklärtdie Redaktion die Hintergründe der Themenwoche:„Der Tod ist kein leichtes Thema, es wird nicht ger-ne über ihn gesprochen und er ist nie einfach zuverarbeiten. Die ARD-Themenwoche hatte zum Ziel,diese Sprachlosigkeit zu überwinden“, heißt es in

dem Artikel. Ängste sollen beleuchtet werden, demVerdrängen soll entgegengewirkt werden.

Die Reaktionen der Zuschauer: gemischt. Manchebemängelten den Zeitraum der Themenwoche. Imnebligen November wolle doch niemand über traurige Themen wie den Umgang mit dem Todsprechen, so der Tenor der Kritiker. „Zu lang, Tod inÜberdosis, bedrückendes Thema, erzeugt Depres-sionen, nur etwas für ältere Leute, zu provokativerWerbeslogan ‚Sie werden sterben‘ – dies warenkurz gefasst wiederkehrende Kritikpunkte“, so dieARD.

Über soziale Netzwerke oder Kommentare auf derWebseite der Themenwoche hatten sich jedochauch viele über den offenen medialen Umgang mitdem Tod gefreut. „Erstaunlich viele Menschen haben offen ihre Gedanken und Erfahrungen geteilt, anderen Mut gemacht, indem sie von ihremSchmerz, der Trauer, aber auch ihrer Freude am Leben erzählten“, kommentieren das die Verant-wortlichen der ARD.

Dennoch zeigen die Reaktionen, egal ob positivoder negativ, dass der Tod weiterhin ein unbeque-mes Thema bleibt. Eine Enttabuisierung durch dieständige Präsenz in Nachrichten hat offenbar nichtstattgefunden.

Marianna DeinyanFreie Journalistin, Radio und Online

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A ls das ZDF 1971erstmals eineSendung überSterbebeglei-

tung ausgestrahlt hat,war die Aufregung groß.Der Film hieß „Noch 16Tage“ und berichteteüber eine Sterbeklinik inEngland. Die heftigen Re-aktionen in der Öffent-lichkeit führten dazu,dass eine Diskussions-sendung ins Programmgenommen wurde, diedas Thema aufgriff unddie Ängste, es könntesich bei der Hospizbewe-gung um aktive Sterbe-hilfe handeln, zerstreuenkonnte.

Seitdem ist viel Aufklärungsarbeit geleistet wordenund das Wort ‚Hospiz‘ ist kein Tabu mehr. Dem ers -ten Film sind viele weitere gefolgt, zuletzt im Märzdieses Jahres in der Reihe 37° der Film über dieKinder krebskranker Eltern „Solange Du da bist“.Auch in dieser Sendung spielte das Hospiz eineentscheidende Rolle, als ein Ort, an dem die krankeMutter ihre letzten Tage verbringen konnte. Für dieminderjährigen Kinder war das wichtig; ihre Angst,mit der sterbenden Mutter allein zu Hause zu sein,war zu groß. Der Autorin Mechthild Gassner war esgelungen, durch viele Besuche vorab das Vertrauender Familien zu bekommen und mit der Kamera beobachten zu dürfen, wie sehr das Wissen um denbevorstehenden Tod den Alltag geprägt hat. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erlebten die vielenemotionalen Situationen mit, die stabilen und instabilen Phasen von Trotz und Trauer, von Abgrenzung und Abschied. Sie fühlten mit denMädchen und konnten sehen, wie die professio-nellen Helferinnen dazu beigetragen haben, dieschwierige Situation für Mutter und Kinder zu erleichtern.

Viele Zuschauer haben geschrieben, dass sie ge-weint hätten bei der Ausstrahlung des Filmes. Sie

waren voller Bewunderung für die Kraft, mit der dieMutter ihr Schicksal angenommen hat. Im Internetwurde viel diskutiert, aber auch erzählt von eige-nen Erlebnissen. So dramatisch die Geschichteauch war, sie wurde auch als tröstlich und ermuti-gend wahrgenommen, als ein Beispiel, dass manmit dem Tod offen und vorausschauend umgehenkann. Die Möglichkeit, sich über einen solchen Filmanschließend bei facebook auszutauschen, gehörtzu den modernen Angeboten des Fernsehens undhilft bei der Verarbeitung des Gesehenen.

Trotzdem bleiben Filme zum Thema Tod immer einRisiko. Denn es gibt auch eine Reihe von Zuschau-ern, die sich damit nicht konfrontieren wollen, dieab- oder umschalten, wenn es ums Sterben geht.Für einige ist es nur die späte Sendezeit, man willvor dem Schlafengehen nicht solch harte Kost, son-dern sich unterhalten lassen. Für sie ist die ZDF-Mediathek ein gutes Angebot, das auch genutztwird, um sich in aller Ruhe damit zu beschäftigen.Andere verdrängen ganz bewusst und sind auchnicht bereit, zu anderer Uhrzeit einen solchen Filmanzuschauen. Krimis und Action-Filme, in denengestorben wird, haben immer ihr Publikum, weilder Tod fiktional ist, er ist sogar Bestandteil derUnterhaltung. Eine Dokumentation über das Ster-ben oder auch ein Spielfilm zum Thema fordern inganz anderer Weise das eigene Nachdenken he raus.

Es gibt vielfältige Fernsehformate, von der Diskus-sion über Fiktion, Magazine und Dokumentationenbis hin zu Nachrichten, Reportagen, Porträts undShows. Sie alle haben ihre eigenen Herangehens-weisen an ein Thema und sind unterschiedlich ge-eignet, schwierige Sachverhalte aufzugreifen unddarzustellen. Die Sendereihe 37° mit ihrem Ansatz,Menschengeschichten zu erzählen, sehr nah undemotional, eignet sich gut, auch Themen wie Tod

DER TOD GEHÖRT ZUM LEBENDie Sendereihe 37 Grad hat keine BerührungsangstMICHAELA PILTERS

Michaela Pilters © ZDF/Rico Rossival

» Eine Dokumentation oder auch einSpielfilm über das Sterben fordernin ganz anderer Weise das eigeneNachdenken he raus.

und Abschied, Trauer undPflege aufzugreifen. Dennwir haben immer ‚Helden‘,Männer, Frauen und Kinder,die in bewundernswerterWeise ihr Schicksal meistern– mit aller Verzweiflung, diedazu gehört. Das erleichtertes den Zuschauern, weil siees mit konkreten Beispielenzu tun haben, nicht mit einerabstrakten Wirklichkeit. Faktenund Statistiken verwenden wirnur spärlich, es kommen in derRegel auch keine Experten zuWort, die mit der jeweiligenGeschichte nichts zu tun ha-ben. Weil Lebensgeschichtenspannend sind, wenn sie gut erzählt werden, blei-ben auch Zu schau e rin nen und Zuschauer hängen,die sich nicht für das Programm entschieden hät-ten, wenn es nur nach der Fernsehzeitschrift geht.Rein zappen und dabei bleiben, das wollen wir mitunserer Erzählweise immer erreichen. Und das gelingt uns viel besser als allen Fachvorträgen, Se-minaren und öffent lichen Dis kussionen, weil es kei-ner großen Anstren-gung bedarf, sich auf-zuraffen und aus demHaus zu gehen – derbequeme Fernseh -sessel und die Fernbe-dienung reichen aus.

Für die Macher der Filme ist es eine starke emotio-nale Belastung. Autoren und Kameraleute müssenauf der einen Seite professionelle Distanz wahren,gleichzeitig leben sie mit ihren Protagonisten, haben eine große, fast schon intime Nähe zu ihnen.Die Kamera ist dabei, wenn Menschen zusammen-brechen, und oft wird sie ausgeschaltet, um die Privatsphäre zu schützen.

Wie viele Tränen können dem Zuschauer zugemutetwerden, ohne die Würde des Weinenden zu verlet-zen? Welche Auswirkungen hat es auf die Angehö-rigen, wenn Millionen von Menschen miterleben,was gesagt und erlitten wird? Was dürfen wir zeigen, was nicht? Diese Fragen beschäftigen unsbei jedem Film, beim Thema Sterben müssen sieaber noch intensiver gestellt werden.

Inzwischen haben wir gesellschaftlich eine ganzandere Diskussion um die Sterbehilfe. Das „Recht

auf den eigenen Tod“ (genauer gesagt, das Recht,den eigenen Todeszeitpunkt zu bestimmen) wirdvon einigen Gruppen lautstark eingefordert. Auf-klärung tut Not darüber, wie die Palliativmedizindie Angst vor dem Sterben lindern kann, welcheHilfen es gibt und wie ein guter Sterbeprozess ge-lingen kann. Auch darüber haben wir schon Filmegemacht, immer sehr behutsam und in Abstim-

mung mit den Protagonis ten.

Wir verstehen uns als Journalis ten,die relevante gesellschaftliche undindividuelle Entwicklungen aufgrei-fen, darstellen und vermitteln. Wirwollen das Leben der Menschen zeigen, und das Sterben gehört zum

Leben dazu. Die Entscheidung, ob sie diese Programme sehen wollen, liegt allerdings bei denZuschauerinnen und Zuschauern.

Michaela PiltersZDF

ZDF-Str. 155100 Mainz

Tel.: 0 61 31 - 7 01 23 [email protected]

Michaela Pilters ist seit 1985 Redaktionsleiterinbeim ZDF in der Redaktion Kirche und Leben/kath.Sie ist unter anderem für ein Drittel der Sendereihe37 Grad verantwortlich.

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Katrin und ihre beiden Töchter Lilly und Laurien wissen, dass ihnen nur noch wenig gemeinsame Zeit bleibt © ZDF/Stefan Neuburger

» Wie viele Tränen können dem Zuschauer zugemutetwerden, ohne die Würde desWeinenden zu verletzen?

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A uf der Terrasse einesHospizes, für das ichvor etlichen Jahren eineImage-Broschüre er-

stellte: Im Rollstuhl wird ein Bewohner ins Freie gebracht; erbekommt zu trinken, kann dasGlas nicht alleine halten. Mit sei-nem Einverständnis fotografiereich die Szene. Während er zunächst zusammengesunkendasitzt, fällt sein Blick schließlichauf meine Kamera, eine der erstendigitalen Spiegelreflexka-

meras seinerzeit. Da erwacht sein Interes-se, er habe so etwas noch nie gesehen, obich die ihm mal zeigen könne. Die nächstenzwei Stunden sitzen wir dann zusammenund ich zeige ihm die neuartige Technik. ImGespräch stellt sich heraus, der Mann warIngenieur und immer interessiert an Tech-nik. Schließlich blickt er versonnen ins Leereund bedankt sich. Er wirkt erschöpft, aberzufrieden. Am nächsten Tag höre ich von denMitarbeitern, dass er in der vergangenenNacht verstorben ist. In seinen letzten Le-bensstunden hatte der Mann offenbar mehrInteresse an einem Technik-Talk als überletzte Dinge oder das Jenseits zu reden.

Solche Begegnungen prägen sich bei mirein, wie auch der Besuch bei einer Frau mitHirntumor im Endstadium, die ich fröhlichrauchend in ihrem Bett fotografieren konn-te, da ich vorher mit ihr herumgealbert habe. Fingerspitzengefühl in heiklen Situ-ationen ist hier natürlich entscheidend,ebenso Respekt vor den Abgebildeten, ge-rade in Umständen, in denen sie verletzlichund hilfsbedürftig erscheinen mögen. Ichmuss mir noch mehr als bei anderen Por-traitsituationen Gedanken um meine Ver-antwortung und die Bewahrung der Würdedes Dargestellten machen, aber letztlich istes nur ein gradueller Unterschied.

Wie wird man als Fotojournalist ‚Spezialist‘ für der-artige Themen? Diese Frage habe ich mir schon öf-ter gestellt. Als ich vor vielen Jahren zum erstenMal für eine Caritas-Zeitschrift in einem Altenheimfotografierte, fand ich die Szenerie überaus verstö-rend. Ich war vorher noch nie in einer Alteneinrich-tung; mich irritierten die Gerüche, die apathischenMinen der Bewohner auf den Fluren, die allgemeindeprimierende Stimmung. Ich hatte vorher schonfür Hilfsorganisationen in einigen der übelstenSlums der Dritten Welt Fotoreportagen gemacht,aber dieses ganz normale Altenheim in Deutsch-land erinnerte mich jäh daran, dass auch ich älterAchim Pohl

FOTOJOURNALISMUS MIT STERBENDEN –EINE GRATWANDERUNGACHIM POHL

Auf dem Flur eines Altenheims. Die Bewohnerin ist verstorben, der Rollator wirdnicht mehr gebraucht.

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Hospiz-Schwester Hildegard Richartz (rechts) nimm Asyl A. bei einem Besuch in den Arm, als sie sich Sorgen um ihre Kinder macht.

Vor der Kappelle des Altenheims

werde und womöglich meine letzten Jahre in einersolchen Einrichtung verbringen könnte. Die Blech-hütten im haitianischen Port-au-Prince dagegenmögen erschütternd sein, haben aber weniger mitmir zu tun, der ich das Privileg habe, in einem reichen Land zu leben.

Ich begriff schließlich meine Vorbehalte als Lern-aufgabe und blieb dem Thema treu. So fotografiereich bis heute regelmäßig für unterschiedliche Auf-traggeber in Alteneinrichtungen, Palliativstationenund Hospizen. Und mein Blick hat sich natürlichverändert, die Fremdheit ist Vertrauen gewichen.Als meine Mutter auf Grund von körperlichen Ein-schränkungen und Demenz nicht mehr in ihrerWohnung bleiben konnte, war ich froh, sie in einemgut geführten Altenheim – das kann ich mittlerweilerasch erkennen – sicher untergebracht zu wissen.Bei ihrem Tod vor wenigen Wochen war ich dabei,meine Erfahrungen mit dem Thema machten denAbschied wahrscheinlich einfacher. Mittlerweile binich selbst Mitte 50, die Bewohner der Hospize teilweise jünger als ich. Die Gelassenheit, mit der viele Bewohner ihr Schicksal annehmen, lehrtmich, mich meinen eigenen Ängsten vor dem Todzu stellen.

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16 SCHWERPUNKT

mich in meinen freien Arbeiten schwerpunktmäßigmit dem Thema Jugendkulturen und den Lebens-weisen Jugendlicher beschäftige, in denen das Leben als solches unbekümmert gefeiert wird.

Achim PohlFotojournalist

www.achim-pohl.deAlle Fotos dieses Artikels © Achim Pohl

Die meisten Publikationen – etwa Buchveröffentli-chungen – zum Thema Tod, Hospiz und Palliativ-medizin verwenden als Fotografien meist Symbol-fotos: das Herbstblatt im Wind, der kahle Baum imWinter. Fotos, die direkt aufs Thema zugehen, blei-ben die Ausnahme. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ein Altenheim mit dem Wunsch aufmich zutrat, ein Buch über Leben und Sterben zukonzipieren. So lernte ich über mehrere WochenBewohner und Mitarbeiter des Hauses kennen undfotografierte auch in sehr intimenMomenten der Krankensalbung,des Abschiednehmens und derTrauer. Zwei Mitarbeiter schriebeneinfühlsame Texte zu dem Bild-band mit dem Titel „So nahe wurdest du mir ...“

Privat bin ich eher ein optimisti-scher und gut gelaunter Mensch,dankbar, den spannenden Beruf ei-nes Fotojournalisten auszuüben,der mich immer wieder mit neuenHerausforderungen konfrontiertund mich herausfordert, Dinge inanderem Licht zu sehen. Und viel-leicht ist es kein Zufall, dass ich Bewohnerin eines Altenheims in Emsdetten in der Nacht

Als ihre Kräfte zu Ende gehen, bekommt Asyl A. noch einmal Besuch.

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H ubertus Meyer-Burckhardt, 1956 in Kas-sel geboren, ist Produzent, Moderator,Journalist und Autor. Er ist Pate des Kin-derhospiz Bethel und unterstützt weite-

re Hospize. 2011 produzierte er den Film „Blaubeer-blau“ mit Stipe Erceg, Devid Striesow und NinaKunzendorf als Hauptdarsteller. Blaubeerblau istu. a. mit dem Publikumspreis der Marler Gruppe,dem Publikumspreis des 8. Festivals des deutschenFilms in Ludwigsburg und auch als bestes TV-Dramabeim 48. Hugo Award des Chicago InternationalFilmfestivals ausgezeichnet worden.

Was glauben Sie, hat zu diesen Auszeichnungengeführt, lag es vielleicht auch an dem eher tabu-isierten Thema?Wissen Sie, bei der Frage, warum Filme Auszeich-nungen bekommen, versagt bei mir jede Logik.Wenn Sie selber einmal in der Jury eines Fernseh-preises gesessen haben, wissen Sie, dass das sehrviel mit subjektiven Dingen oder auch mit Strömun-gen zu tun hat. Auch eine Jury ist nicht ganz freiz. B. von individuellen Interessen. Mit anderen Worten: Das kann ich nicht kommentieren, warumFilme oder Schauspieler Preise bekommen.

Aber es handelt sich hier natürlich um ein tabui-siertes Thema. Und dieser Tabuaspekt war präsent,als ich damals an die Autorin Beate Langmaack he -rangetreten bin. Ich habe zu ihr gesagt, ich möchteden Tod heiter erzählen. Ich sage ausdrücklich ‚hei-ter’ und nicht ‚lustig’. Ich wollte etwas versuchen,was die Engländer sehr gut können, den Tod vonseiner protestantisch tragischen Dimension befreien. Denn das Sterben kann auch heitere Momente haben. Deswegen haben wir diese Geschichte erzählt.

Die Finanzierung des Films hat etwa fünf Jahre gedauert. Es waren drei verschiedene Sender Finanziers: die Degeto, der Bayerische und derMitteldeutsche Rundfunk dabei. So können Sie sichvorstellen, dass, bis wir die drei Etatfragmente zusammen hatten, vier, fünf Jahre vergangen sind.

Was, glauben Sie, spielt bei der Auswahl derSchauspieler eine Rolle?Naja, ich bin ja kreativer Produzent, das habe ichzusammen mit Rainer Kaufmann gemacht und auch

mit den Kollegen der Sender. Objektive Kriterienkönnen sie bei einer Besetzung nicht benennen.Natürlich kommen immer viele Schauspieler für dieBesetzung einer Rolle infrage, das ist im Theaterwie im Film so. Und hier hatten wir nun mit StipeErceg, Devid Striesow und Nina Kunzendorf ein Triofür die drei Hauptrollen, was ihresgleichen sucht.Es hat aber natürlich auch etwas mit der Verfüg-barkeit zu tun. Nicht immer ist es so, dass, wennStriesow kann, zufällig auch Frau Kunzendorf Zeithat. Das hat auch etwas mit Zufälligkeit zu tun.Aber wir hatten hier die A-Liga in den drei Haupt-rollen und das macht als Produzent viel Spaß, sofern es finanzierbar ist.

Wie haben Sie die Schauspieler im Umgang mitihren Rollen erlebt – ist es eher ein professionell-distanziertes Arbeiten oder ergibt sich dadurchauch eine Auseinandersetzung mit dem Thema?In der Frage ist ein Widerspruch, aber in meinerAntwort nicht: Jeder Schauspieler, der gut ist, gehtan eine Rolle professionell immer distanziert ran,anders kann er ja eine Rolle nicht erarbeiten.Gleichzeitig ist eine persönliche Betroffenheit undAuseinandersetzung da.

DEN TOD HEITER ERZÄHLENINTERVIEW MIT HUBERTUS MEYER-BURCKHARDT

Hubertus Meyer-Burckhardt © Gerald von Foris

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18 SCHWERPUNKT

Gab es auch Gespräche während der Dreharbei-ten darüber? In Grenzen. Wir dürfen nicht vergessen: Heute wirdein Film, ein Fernsehspiel in viel weniger Tagen pro-duziert als noch vor zehn Jahren. Die Kostengren-zen sind enger, das heißt, so viel Möglichkeit fürDiskussionen oder kontemplative Gespräche beiDreharbeiten, die morgens um acht Uhr beginnenund abends um acht Uhr beendet sind, mit Umbau-pausen und mit Kostüm- und Motivwechsel gibt esda nicht.

Aber natürlich im Vorfeld, wenn man den Schau-spielern das Drehbuch schickt, wenn man sie ver-sucht zu gewinnen, da finden die Gespräche statt.Und da kommt natürlich jeder auch ab einem be-

stimmten Lebensalter mit eigenen Erfahrungen umdie Ecke: „Ich habe XY verloren, obwohl sie oder ernoch so jung war“ oder mit Gedanken über die End-gültigkeit des Todes. Also, im Vorfeld passiert dasschon, während der Dreharbeiten nicht oder kaum.

Sie selbst haben, nach Medienberichten, dasThema aufgegriffen, weil Sie im persönlichen

Umfeld in Berührung mit dem Thema kamen.Glauben Sie, dass es diesen persönlichen Auslöser ‚braucht‘, um so einen Film machen zuwollen?Ich glaube, wenn sie ein kreativer Produzent sind,also die Stoffe anstoßen und entwickeln und auchfinanzieren oder mit anderen die Finanzierung aufdie Beine stellen, können sie gar nicht anders, alsdass Sie eine persönliche Beziehung zu dem Themahaben. Ich sag es mal so: Ein Film begleitet einenProduzenten ungefähr sieben Jahre. Drei, vier Jahre,wenn sie Pech haben sogar fünf Jahre Finanzierung,danach die Dreharbeiten und dann die Auswertungüber die verschiedenen Vertriebskanäle. Wenn siealso zu den Themen keine oder eine problemati-sche Beziehung haben, fragen sie sich ab einem

bestimmten Lebensalter zumindest, will ich michjetzt fünf, sechs oder sieben Jahre mit einem Filmbeschäftigen, nicht jeden Tag, freilich, aber dochnahezu jede Woche, zu dem ich kein Verhältnisoder ein problematisches Verhältnis habe? Sie ha-ben immer ein Verhältnis zum Thema, ich habe,glaube ich, noch nie einen Film gemacht, der nichtin irgendeiner Form in einer Relation zu meiner Bio-

Szenenbild aus „Blaubeerblau“ © MDR/BR/POLYPHON/Jürgen Olczyk

grafie oder zu meinen Beobach-tungen steht.

Ist es in solch einem Film wie„Blauberblau“ oder ähnlichenMedien eher möglich, zur Enttabuisierung beizutragen als z. B. über Fachveranstaltungen?Ich glaube das schon, weil ein Film Sie natürlichemotional abholt. Das war ja auch genau das An-sinnen, dass ich einen unterhaltsamen, heiterenFilm über das Sterben machen wollte, weil, nie-mand weiß das besser als Sie, Sterben eben auchLeben ist. Und das war mein Ansinnen.

Und natürlich holen Sie ein Publikum emotionalimmer wirkungsvoller ab als rational. Also wennSie sich erinnern, vor vielen, vielen Jahren gab esmit Meryl Streep die Serie Holocaust, die hat, glaubich, viel mehr angestoßen zur Verarbeitung des Faschismus als manches noch so gute Suhrkamp-Sachbuch. Die Emotion, im Übrigen auch im Nega-tiven, holt sie ab. Sich gegen Emotion zu sperren,ist unglaublich schwer.

Haben Sie Pläne, sich dieses Themas in kreati-ver Form noch einmal anzunehmen?Also das ist ja so, ein Produzent braucht eine guteGeschichte, die die Leute neunzig Minuten hält. Gehen Sie mal davon aus, so ein Fernsehspiel kostet immer so zwischen 1,2-1,3 Millionen Euro.Das heißt, wenn mir eine Geschichte einfällt, diegut ist, dann ja. Aber ich bin kein Botschafter, son-dern erst einmal ein Geschichtenerzähler, wenn dieGeschichte dann eine Botschaft hat, umso besser.

Ja, ich würde gerne das Thema nochmal aufgreifen,aber es bedarf eben der guten dramaturgischenIdee.

Sie erwähnten den Satz, dass Sterben auch Lebenist. Das ist ein wichtiger Leitsatz für Hospizmit-arbeiterinnen und -mitarbeiter; für Sie auch,nicht wahr?Wir sind ja in der ARD-Themenwoche „Leben mitdem Tod“ gelaufen und da hatte die ARD Themen-plakate geklebt, auf denen stand „Du wirst ster-ben“. Das fand ich eine ganz tolle Geschichte. Ichfuhr mit dem Auto durch irgendeine deutsche Groß-stadt mit irgendwelchen Alltagsthemen im Kopf,die man so naturgemäß hat, und plötzlich wird manüber so einen Leuchtkasten daran erinnert, du wirststerben. Das ganze Leben relativiert sich in einerganz wunderbaren Weise.

Also das, finde ich, ist auch einAufruf des Films, „Vergiss nicht zuleben!“ Ich habe lange in katho-lisch beeinflussten und lange inprotestantisch beeinflussten Städ -ten gewohnt und mir als jemand,der kein Kirchenmitglied ist,

scheinen die Katholiken immer ein bisschen mehrTalent zu haben, das Leben zu genießen. Z. B. steheich in München auf einer Straßenkreuzung, wo vormir zwei alte Herren zwei Glas Wein trinken. Einfachleben, das kenn ich von protestantisch beein -flussten Gegenden gar nicht.

Sie sind ja schon ein bisschen in die Hospiz -szene eingetaucht. Wie haben Sie diese Menschen denn wahrgenommen?Fabelhaft! Ich habe ja mit Bettina Tietjen, die hierschon lange aktiv ist, ein bisschen bei der Hospiz-gründung in Hamburg-Harburg mitgewirkt. DasHos piz dort wurde mitten in einem Wohngebiet gebaut, wogegen es zunächst große Vorbehaltegab. Mittlerweile sind diese ausgeräumt und dieArbeit konnte aufgenommen werden. Ich habe dortmit vielen Mitarbeitern Kontakt gehabt, auch schonvor dem Film, bevor ich diese Thematik sozusagenversenkt habe. Und natürlich ist es klar, dass dieMenschen, die tagtäglich mit der Endlichkeit desLebens zu tun haben, eine hohe Sensibilität, Be-hutsamkeit zum Thema haben und oft auch einensehr guten Humor. Denn sie beschäftigen sich mitden wesentlichen Dingen des Lebens und nicht mitden unwesentlichen.

Insofern darf ich wirklich sagen, dass es im Zugeder Unterstützung der Hospizarbeit, durch die Bankmenschlich nur sehr angenehme, berührende, kluge und humorvolle Begegnungen gab.

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» Es ist wichtig, das Publikum emotionalabzuholen.

» Menschen, die mit der Endlich-keit des Lebens zu tun haben,zeigen eine hohe Sensibilitätund oft auch einen sehr gutenHumor.

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S tipe Erceg ist 40 Jahre alt. Er ist in Kroa-tien geboren und lebt mit seiner Frau undseinen zwei Kindern in Berlin. In dem2011 gedrehten Film „Blaubeerblau“

spielte Stipe Erceg den Hospizgast Hannes. DieSchauspielpartner waren Nina Kunzendorf und Devid Striesow, Produzent des Films war HubertusMeyer-Burckhardt. Für Stipe Erceg als besterSchauspieler gab es den Hessischen Filmpreis2012.

Was war Ihre erste Reaktion, als die Rolle des‚Hannes‘ an Sie herangetragen wurde?Meine erste Reaktion: ein Typ im Rollstuhl? Das fin-de ich cool. Das heißt, ich hatte hier eher einenphysischen als einen psychischen Zugang zu derRolle. Ich bin auch eher ein physischer Schauspie-ler. Insgesamt war ich sehrgespannt darauf, was die-ser Film mit mir macht.

Was meinen Sie, warum man Sie für diese Rolleausgewählt hat?Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass ich vonNatur aus so hager bin. Das war eine ganz prakti-sche Frage, auch wenn ich damit vielleicht das Gan-ze entzaubere.

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Haben Sie zur Vorbereitung der Rolle ein Hospizbesucht?Nein, ich war vorher nicht in einem Hospiz. Und ichfrage mich, ob man sich auf solch eine Rolle oderauf den Tod überhaupt vorbereiten kann.

Außerdem bleibt es ja immer ein Spiel, ein Schau-spiel. Mitfühlend werden kann ich im Grunde nicht,denn ich bin Stipe und ich sterbe nicht. Es ist immer

gut, den richtigen Ton zutreffen. Es ist ein komplexesZusammenspiel von vielenDingen: die Einstellung der

BLAUBEERBLAUINTERVIEW MIT STIPE ERCEG

Szenenbild aus „Blaubeerblau“ © MDR/BR/POLYPHON/Jürgen Olczyk

» Ich frage mich, ob man sich aufsolch eine Rolle oder auf denTod überhaupt vorbereiten kann.

Kamera, das Arrangement usw.Was über mich erzählt wird,sagt ja mein Partner.

Wurde der Film in einem Hospiz gedreht?Nein, der Drehort war kein Hospiz, sondern eineVilla in München.

Wie haben Sie die Zeit des Drehens erlebt, wares schwierig aus der Rolle wieder herauszukom-men und zum Alltag überzugehen?Nein, denn ich war nicht in der Rolle drin. Man fühltsich nicht hinein. Man muss den richtigen Gedan-ken haben, um die Intention zu transportieren. Undes stellt sich eh die Frage: Was bedeutet es, sich inetwas hineinzuversetzen, was man nicht erlebt hat?

Ich versuche, eigentlich technisch da heranzuge-hen. Dabei spielen vielleicht dennoch die Erfahrun-gen, die ich beim Sterben meiner Mutter hatte, eineRolle.

Was ist Ihr Bild von Leben und Sterben?Dadurch, dass ich meine Mutter sterben sah, habeich ein Bild … Diese Situation hat mir schon viel ge-

geben – nicht nur explizit fürdie Rolle, sondern auch für dasLeben. Ich hab gesehen, wasphysisch passiert, bis zumletzten Augenblick. Das hat

Auswirkungen auf mich und prägte mich.

Eigentlich hatte ich schon früh Erfahrungen mitSterben und Tod. Ich war dreieinhalb Jahre alt, alsmein Großvater starb. Für mich als Kind war er nichtwirklich tot. Meine weitere Erfahrung mit einem To-ten hatte ich als FünfJähriger.

Aber da stellt sich ja grundsätzlich die Frage: Washeißt Sterben oder was ist das, was stirbt?

Der Mensch begreift in meinen Augen manchmalnicht, was Leben heißt. Ich glaube auch nicht, dassder Tod ein Tabuthema ist. Nein, Tod passiert über-all, es ist kein Tabu. Es ist die Angst, tiefer da hin-einzugehen. Wenn man einen Menschen fragenwürde, ob er denkt, dass er sterben muss, würdeer sagen: „ Klar muss ich sterben.“ Aber wenn mandie Frage anders stellt, dann muss er klären, wasbedeutet Tod, was bedeutet Leben und Sterben?Und was stirbt und was stirbt nicht? Das bewirkt

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Szenenbild aus „Blaubeerblau“ © MDR/BR/POLYPHON/Jürgen Olczyk

» Der Mensch begreift inmeinen Augen manchmalnicht, was Leben heißt.

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dann eine andere Art der Auseinandersetzung.

Sicher hat auch der Kulturkreis eine Bedeutung.Als Kind haben wir Zeit und Raum, Leben und Ster-ben anders wahrgenommen. Dann kommt Erzie-hung und Kultur, und man vergisst das, was vorherintuitiv da war. Dabei ist im Grunde die Wahrheitder Kinder die einzige Wahrheit. Sie sind der Fragenach Leben und Tod viel näher. Es wäre gut, wennwir uns davon etwas bewahren könnten.

Wie sehen Sie den Umgang unse-rer Gesellschaft mit dem Thema?Ich glaube, man soll leben lernen,bevor man stirbt. Und es ist eigent-lich nie zu spät, sich auf den Tod vor-zubereiten. Dazu gehört auch dieAuseinandersetzung mit der Frage:Wer begleitet uns? Da spielt die Familie eine wich-tige Rolle. Meine Mutter zum Beispiel ist zu Hausgestorben, das war in Kroatien. Mein Vater hat Mor-phinpflaster für sie bekommen, die hat er ihr nachGefühl gegeben. Ich war in der Zeit, als sie starb,eine Woche dort. Mein Vater sagte zu dem Zeit-punkt, es ist alles gut, die Hauptsache ist, dass siekeine Schmerzen hat.

Meine Mutter hat sich gut auf ihren Tod vorbereitet.Sie war sich dessen sehr bewusst. So wie sie gelebthat, ist sie auch gestorben. Sie wollte zum Beispielunbedingt noch meine Schwester sehen, die 1600km entfernt wohnte, und ihr war klar, dass sie nichtmehr bis Weihnachten warten konnte. Es war ihrvergönnt, dann noch so lange zu leben, bis meineSchwester bei ihr war. Dann konnte sie auch los-lassen.

Ich glaube, es ist wichtig, solcheWünsche und Bedürfnisse wahr- undernstzunehmen.

Wie denken Sie über die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter in die-sem Bereich?Ich finde, sie machen einen sehr

guten Job. Ein wenig kenne ich es durch meine Frau,sie arbeitet als Clown im Altenheim, aber auch inKinderhospizen. Der Verein nennt sich „Rote Nasen“. In den Kinderhospizen ist es schon einebesondere Situation, da kommt es vor, dass einKind, das beim letzten Besuch noch da war, beimnächsten Besuch nicht mehr lebt. Ich denke jedoch,dass die Tragik des Sterbens nicht abhängig ist vomAlter. Es ist immer eine einzigartige Situation undich glaube, dass die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter dem auch sehr gerecht werden.

» Es ist nie zu spät, sich auf den Todvorzubereiten.

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09.10.-10.10.2015 Berlin10. Fachtagung Palliative Geriatriein Berlin am Kompetenzzentrum Palliative Geriatrie –KPG I Unionhilfswerk Senioren-EinrichtungenTel,: 0 30 - 42 26 58 [email protected]

29.10.2015 HerneNRW Fachtagung DemenzAmbulanter Hospiz- und PalliativdienstHerne, Demenz Servicezentrum Ruhr, Alzheimergesellschaft BochumTel.: 0 23 23 - 98 82 [email protected]

06.11.-07.11.2015 Berlin9. Forum Palliativmedizin an der Aesculap AkademieTel.: 0 74 61 - 95 13 15 [email protected]@med.uni-goettingen.de www.palliativmedizin.med.uni-goettingen.de

06.11.2015 KleveGrenzen überwinden - aufeinander zuge-hen - gemeinsam handelnFachtagung für Ehrenamtliche deutsch-niederländischer HospizgruppenWasserburg RindernTel.: 0 28 21 - 73 21 -0 [email protected]

Veranstaltungen

09.11.-13.11.2015 BonnBasiskurs Physiotherapie in PalliativmedizinAkademie für Palliativmedizin MalteserKrankenhaus Seliger GerhardTel.: 02 28 - 6 48 15 39palliativmedizin.bonn@malteser.orgwww.malteser-krankenhaus-bonn.de

13.11.2015 Essen6. Deutsches Kinderhospizforum –Lebensfreude, Lebensbrüche, Lebensfülle –Wege entstehen beim GehenDeutscher Kinderhospizverein e.V.Tel.: 0 27 61 - 94 12 [email protected]

13.11.2015 DüsseldorfSeminar Zertifizierte/r Case Manager/in im Gesundheits- und Sozialwesen (DGCC)Kaiserwerther DiakonieTel.: 02 11 - 4 09 30 [email protected]

14.11.2015 EssenSymposium – Eine Stadt entscheidet sich für Palliativversorgung und HospizkulturTel.: 02 01 - 17 44 99 99 info@netzwerk-palliativmedizin-essen.dewww.netzwerk-palliativmedizin-essen.de

02.12.2015 PaderbornAktuelle Aspekte der PalliativmedizinHeinz-Nixdorf-MuseumsForum PaderbornPallium e.V. – Lebensqualität für [email protected]

ALPHA-RheinlandHeinrich-Sauer-Straße 1553111 BonnTel.: 02 28 - 74 65 47Fax: 02 28 - 64 18 [email protected]

ALPHA-WestfalenFriedrich-Ebert-Straße 157-159 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48Fax: 02 51 - 23 65 [email protected]