Olympia

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Ein Jahrhundertprojekt der Archäologie Basierend auf den wissenschaftlichen Ergebnissen der Ausgrabungen in Olympia werden in diesem Band Geschichte und Bedeutung des olympischen Zeusheiligtums spannend und anschaulich vorgestellt.

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Der Zeustempel von Olympia zählt aus heutiger Sicht zu den bedeutendsten Schöpfungen der antiken

Baukunst. Die Bewunderung des Altertums galt jedoch nicht der Größe und Harmonie seiner Architektur, son-dern dem Wunderwerk aus Gold und Elfenbein in sei-nem Inneren, dem Zeus des Phidias. Den Auftrag zur Er-schaffung der kolossalen Kultstatue des Zeus verdankte der große Athener Bildhauer gewiss dem Ruhm des von ihm geschaffenen, 438 v. Chr. vollendeten goldelfen-beinernen Riesenstandbildes der Athena im Parthenon, einem Bildwerk das an Größe, Pracht und göttlicher Würde alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. In Olympia sollte der geniale Götterbildner sich selbst übertreffen (Abb. 30) 42.

Unter den antiken Beschreibungen des olympischen Zeuskolosses ist diejenige des Pausanias (5, 11, 1 ff.) die ausführlichste: «Der Gott sitzt auf einem Thron und ist aus Gold und Elfenbein gemacht, und ein Kranz liegt auf seinem Haupt in der Form von Ölbaumzweigen. In der Rechten trägt er eine Nike, ebenfalls aus Elfenbein und Gold, die eine Binde hält und auf dem Kopf einen Kranz trägt. In der linken Hand des Gottes ist ein Szepter, das mit Metalleinlagen aller Art verziert ist. Der Vogel aber, der auf dem Szepter sitzt, ist der Adler. Aus Gold sind auch die Sandalen des Gottes und ebenso sein Mantel. In den Mantel sind Figuren und Lilienblüten eingear-beitet. Der Thron ist abwechslungsreich mit Gold, Stei-nen, Ebenholz und Elfenbein verziert, und an ihm sind gemalte und plastische Figuren dargestellt. Vier Niken in der Gestalt von Tanzenden befi nden sich an jedem Thronbein und zwei weitere am Fuß jeden Thronbeins. Über jedem der beiden vorderen Beine liegen Knaben der Thebaner, die von Sphingen gepackt werden, und unter den Sphingen töten Apollon und Artemis die Kinder der Niobe mit dem Bogen. Zwischen den Beinen des Thro-nes sind vier Querstreben, von denen jede von einem Bein zum anderen reicht. Auf der Strebe, die dem Ein-gang gegenüber liegt, sind sieben Figuren; die achte ist, man weiß nicht wie, verlorengegangen. Dies sind wohl

Darstellungen früherer Wettkämpfe (…) Auf den übrigen Streben ist die Schar dargestellt, die mit Herakles gegen die Amazonen kämpft. Es sind insgesamt an die 29 Fi-guren, und auch Theseus ist unter den Mitstreitern des Herakles dargestellt. Die Beine tragen aber nicht allein den Thron, sondern zwischen den Beinen stehen ebenso viele Säulen. Unter den Thron zu gelangen, so wie wir in Amyklai ins Innere des Thrones gehen können, ist nicht möglich. In Olympia versperren Schranken, die wie Mauern gebildet sind, den Zugang. Von diesen Schran-ken ist diejenige, die der Tempeltür gegenüberliegt, nur mit blauer Farbe bemalt43, die anderen zeigen Gemälde des Panainos. Unter diesen ist Atlas, der Himmel und Erde trägt, und Herakles steht dabei, um Atlas die Last abzunehmen; ferner Theseus und Peirithoos und Hellas sowie Salamis, die in der Hand den am Heck der Schiffe angebrachten Zierat hält; von den Taten des Herakles der Kampf mit dem Löwen in Nemea; der Frevel des Aias an Kassandra; auch Hippodameia, die Tochter des Oi-nomaos, mit ihrer Mutter; und Prometheus, der noch in Fesseln liegt, Herakles aber ist über ihn gebeugt (…) Das letzte Bild zeigt die sterbende Penthesilea und Achilleus, der sie stützt, und zwei Hesperiden bringen die Äpfel, deren Bewachung ihnen, wie man sagt, anvertraut war (…) An den oberen Enden der Thronlehne hat Phidias auf der einen Seite Chariten, auf der anderen Seite Ho-ren geschaffen, von beiden je drei. Auch diese, so heißt es in den Epen, seien Töchter des Zeus. Homer hat in der Ilias gedichtet, dass den Horen der Himmel anvertraut sei wie Wächtern eines Königshofes. Der Schemel unter den Füßen des Zeus, von den Leuten in Attika Thranion genannt, hat goldene Löwen und in Relief ausgeführt den Kampf des Theseus gegen die Amazonen, die erste Heldentat der Athener gegen nicht Stammverwandte. An der Basis die den Thron und das schmückende Bei-werk um den Zeus trägt, an dieser Basis sind goldene Figuren: Helios, der den Wagen besteigt, und Zeus und Hera (…) bei diesem aber Charis. Auf diese folgt Hermes, auf Hermes aber Hestia. Nach Hestia kommt Eros, der

Die Spur des Weltwunders

Abb. 30

Die frühchristliche Basi-

lika des 5. Jhs. n. Chr. ist

auf den Grundmauern des

Werkstattbaues errichtet,

in dem Phidias das ko-

lossale Kultbild des Zeus

geschaffen hat.

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Aphrodite empfängt wie sie aus dem Meer steigt, Peitho aber bekränzt Aphrodite. Weiter sind dargestellt Apollon und Artemis, Athena und Herakles und am Ende der Ba-sis Amphitrite und Poseidon sowie Selene, die wie mir scheint ein Pferd reitet (…)». An anderer Stelle (5, 10, 2) teilt Pausanias mit, dass zwischen den Füßen des Zeus eine Inschrift angebracht sei, die lautete «Phidias, Sohn des Charmides, ein Athener, hat mich geschaffen». Aus anderen Literaturzitaten, wie z. B. einem in Fragmenten erhaltenen Gedicht des hellenistischen Dichters Kalli-machos, geht hervor, dass die Statue über 12 m hoch war, und der Baubefund in der Cella des Zeustempels lässt noch die gewaltigen Ausmaße der 6,65 x 9,93 m großen Basis erkennen.

Vom eigentlichen Aussehen der berühmten Figur vermitteln außer der Beschreibung des Pausanias nur einige elische Münzbilder der mittleren Kaiserzeit, auf denen Figur und Haupt des olympischen Zeus en mini-

ature dargestellt sind, eine Vorstellung44. Kleinformatige Nachbildungen der ganzen Figur wie sie von der Athena Parthenos erhalten sind, lassen sich nicht nachweisen. Kopien im eigentlichen Sinne hat es von der riesenhaften Figur in dem engen Gehäuse ihrer Cella wohl auch gar nicht gegeben. Wie es scheint, sind aber Teile der fi gu-renreichen Verzierungen des Thrones in Kopien auf uns gekommen. In einer Reihe von kaiserzeitlichen Reliefs mit der Darstellung der Tötung der Niobiden werden mit guten Gründen Kopien nach der Szene am Thron des Zeus gesehen, die Pausanias beschrieben hat45. Während dieser Gedanke manches für sich hat aber auch nicht un-bestritten geblieben ist, hat der Vorschlag, in einer aus zahlreichen Fragmenten aus schwarzem Stein rekonst-ruierten Skulpturengruppe aus Ephesos eine Kopie nach den knabenraubenden Sphingen unter den Seitenlehnen des Thrones zu erkennen46, allgemeine Zustimmung ge-funden. Dargestellt ist eine Sphinx, die einen unter ihr liegenden Jüngling mit den Krallen gepackt hält. Der Jüngling hat etwa zwei Drittel Lebensgröße, was unge-fähr der Größe des Originals entsprechen könnte, und das ungewöhnliche dunkle Material dieser Kopie imi-tiert anscheinend das Ebenholz, aus dem nach Pausa-nias Teile des Thrones gefertigt waren. In dieser virtuos gearbeiteten Gruppe haben wir noch einen Abglanz des reichen und kunstvollen Beiwerks, das die majestätische Götterfi gur einst umgab.

Im Tempel selbst hat sich außer dem Unterbau der riesigen Basis nicht der geringste Rest des Kultbildes gefunden. Dennoch ist seine Spur in Olympia nicht völlig ausgelöscht. Baugeschichtliche Untersuchungen und Ausgrabungen der Jahre 1954–1958 an der früh-

christlichen Basilika westlich des Zeustempels brachten nämlich Beweise dafür, dass das klassische Bauwerk, auf dessen Unterbau die Kirche im 5. Jh. n. Chr. errichtet worden war, ursprünglich nichts anderes war als die von Pausanias in diesem Bereich erwähnte Werkstatt, in der Phidias die Zeusstatue geschaffen hat47. Werkstätten von Bronzegießern, Töpfern und Bauhandwerkern muss es in Olympia sehr viele gegeben haben. Man wird sie sich als einfache Schuppen oder Hütten an der Peripherie des Heiligtums vorstellen können. Auch im unmittelbaren Bereich der Phidiaswerkstatt sind solche anspruchslosen Werkschuppen nachzuweisen. Mit dieser Art von Werk-stätten hat das massive Gebäude, in dem der Zeus des Phidias entstanden ist, allerdings wenig gemeinsam. Al-lein schon seine Lage in der Nachbarschaft des Zeustem-pels, v. a. aber die aufwendige Bauart und Ausstattung lassen erkennen, welche Bedeutung die Entstehung des Kultbildes und die sichere Verwahrung seiner kostbaren Materialien für das Heiligtum gehabt haben. Wie bei der Cella eines Tempels besteht der steinerne Wandso-ckel dieses 14,57 x 32,18 m großen Baues aus zwei Rei-hen fast 1 m hoher Orthostaten, die nach oben mit einer Deckschicht von 0,32 m hohen und 1,15 m tiefen Platten abgeschlossen wurden. Darüber folgten ca. 1 m dicke Wände aus Lehmziegeln, die man sich mit weißem Stuck verputzt vorstellen muss. An Tempelarchitektur erinnert auch das Dach, das mit seinen exquisit ornamentierten tönernen Simen und Eckakroteren zu den schönsten Dä-chern klassischer Zeit zu zählen ist.

Das gigantische Götterbild bestand anscheinend aus einer inneren Holzkonstruktion und einer Verkleidung aus Gold, Elfenbein, Ebenholz und anderen kostbaren Materialien. In der Werkstatt, deren Breite und Höhe etwa dem Raum innerhalb der Cella des Zeustempels entsprach, wurden die einzelnen Teile der Figur geschaf-fen und zusammengebaut. Das riesige Kultbild, das als Ganzes weder durch die Säulen noch durch die Tür des Tempels gepasst hätte, wurde dann wieder in seine Ein-zelteile zerlegt, in den Tempel transportiert und dort end-gültig zusammengesetzt.

Von der handwerklichen Praxis bei der Entstehung zeugen Überreste des künstlerischen Arbeitsprozesses, die sich in Schuttschichten klassischer Zeit unmittelbar außerhalb der Phidiaswerkstatt fanden: Abfälle von El-fenbein und von Intarsien aus Obsidian, sogar ein kleines Stück Ebenholz sowie Bleischablonen für Ornamente, zahlreiche Glassplitter und Bruchstücke von Rohglas-barren sowie Reste pfl anzlicher Ornamente aus Glas und der tönernen Formen zu ihrer Herstellung. Dazu beinerne Spatel und Stichel, ein Goldschmiedehammer

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aus Bronze, Zeichenstifte aus Blei und bearbeitete Stücke von Bimsstein, wie sie noch bis in die Neuzeit zum Glät-ten von Elfenbein benutzt worden sind. Diese bescheide-nen, aber authentischen Reste lassen noch erahnen, mit welcher handwerklichen Sorgfalt jedes Detail des Zeus-Kolosses ausgearbeitet war, und sie bestätigen auf ihre Weise die antiken Nachrichten von der glanzvollen Ma-terial- und Formenvielfalt des verlorenen Kunstwerks.

Eine Sonderstellung aber unter diesen Fundmateri-alien nehmen Hunderte von Bruchstücken sowie einige ganz erhaltene Exemplare von Matrizen aus gebranntem Ton ein, die der Herstellung von Gewandfalten gedient haben. Das eingehende Studium dieser «Phidiasformen» durch W. Schiering, unter Einbeziehung technologischer Untersuchungen und Experimente48, hat Erstaunliches zutage gebracht und wirft völlig neues Licht auf die Vielfalt und Raffi nesse künstlerischer Ausdrucksmit-tel der Hochklassik. Es stellte sich nämlich heraus, dass die tönernen Modelle nicht, wie ursprünglich vermutet, Treibformen für Goldblech waren, sondern dass in ihnen Gewandpartien aus dünnem, farblosem Glas hergestellt worden sind. Dies geschah mittels des sog. «Einsinkver-fahrens»: Ca. 5–6 mm dicke Platten aus Glas wurden auf die Matrizen gelegt und zusammen mit diesen auf 600 bis 700 °C erhitzt, wobei die Glasplatten allmählich einsan-ken und sich der Form der Matrize anpassten. Als Trenn-mittel wurde Korundpulver verwendet, das sich in vielen der Matrizen analytisch nachweisen ließ. Die relative Kleinteiligkeit der Faltenmotive verbietet es, diese Mat-rizen mit dem Gewand der kolossalen Zeusstatue zu ver-binden. Einige der Formen zeigen dagegen die typischen Knöpfe und Faltenbündel der Ärmel eines Chitons. Hie-raus und aus der Größe dieser Formen ergibt sich, dass die gläsernen Falten den Chiton einer weiblichen Figur von annähernd dreifacher Lebensgröße zierten, wofür im vorliegenden Zusammenhang nur die Nike auf der rechten Hand des Zeus in Frage kommt49, die ja auch als Nebenfi gur ebenfalls noch kolossales Format gehabt haben muss. Das Glas war anscheinend direkt auf dem hölzernen Kern der Figur angebracht und farbig oder mit Ornamenten aus Goldfolie unterlegt, wodurch in einzigartiger Weise der Eindruck durchscheinender, sei-dig schimmernder Stoffl ichkeit des kostbaren Gewandes hervorgerufen wurde. Eingefasst und befestigt waren die einzelnen Glasstücke wohl mit vergoldeten Streifen aus Blei, die man sich als bewegtes Gittermuster des Chitons vorstellen kann.

Ein ganz besonderer Fund unter diesen Werkstatt-resten jedoch war ein unscheinbares Trinkgefäß aus schwarzglasiertem Ton, in dessen Unterseite die Inschrift

eingeritzt ist: ΦΕΙΔΙΟ ΕΙΜΙ «Pheidio[u] eimi» («Ich ge-höre dem Phidias») – ein in seiner alltäglichen Schlicht-heit unmittelbar anrührendes, persönliches Zeugnis des großen Künstlers, vermutlich sogar ein Autograph des Phidias50 (Abb. 31).

Auch in der umstrittenen Frage, ob Phidias den Zeus von Olympia vor der Athena Parthenos geschaffen hätte, was im Hinblick auf die Baudaten des Zeustempels na-hegelegen hätte, oder ob der Zeus nach der Parthenos entstanden wäre, was zu einer langjährigen Vakanz des Zeustempels führen musste, haben die Ausgrabungen an der Phidiaswerkstatt die entscheidenden archäologischen Hinweise gegeben: Nach dem durch die Fundkeramik datierten Schichtbefund ist die Werkstatt erst in der Zeit nach ca. 440 v. Chr. erbaut worden51. Da die Athena Par-thenos 438 v. Chr. vollendet war, kann der Zeus in Olym-pia also erst später entstanden sein. Aufgrund des Gra-bungsbefundes haben die Ausgräber angenommen, dass der Bau der Werkstatt etwa 435 v. Chr. fertiggestellt war und dass die Arbeiten an der Zeusstatue analog der über-lieferten Enstehungszeit der Parthenos etwa zehn Jahre gedauert hätten.

Der Zeustempel ist also anscheinend etwa drei Jahr-zehnte nach seiner Erbauung ohne Kultbild geblie-ben. Nachträgliche Veränderungen am Fußboden der Cella lassen darauf schließen, dass ursprünglich eine wesentlich kleinere Kultstatue geplant war, die aber aus unbekannten Gründen nicht zur Ausführung gekommen ist.

Abb. 31

Boden eines Kännchens

mit eingeritzter Besitzer-

inschrift des Phidias.

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Kein anderes Werk der antiken Kunst ist so häufi g und so bewundernd in Dichtung und Prosa des Altertums erwähnt worden wie der Zeus des Phidias, der zu den Sieben Weltwundern gezählt wurde. Die überwältigende Größe und Pracht der Erscheinung, v. a. aber die gött-liche Aura dieses Bildwerks müssen, wie aus zeitgenös-sischen Quellen hervorgeht, den antiken Betrachter tief beeindruckt haben. Es hieß sogar, wer den Zeus des Phi-dias gesehen habe, der könne im Leben nicht mehr ganz unglücklich werden.

Über die kunstgeschichtliche Wirkung der weltbe-rühmten Statue lassen sich mangels genauerer Kenntnis des Originals nur Vermutungen anstellen. Dass aber von dem Zeus des Phidias ganz allgemein ein maßgebender Einfl uss auf die künstlerische Konzeption des thronen-den Zeus nachfolgender Bildhauergenerationen ausge-gangen sein dürfte, lassen allein schon die in der schrift-lichen Überlieferung erhaltenen Äußerungen über die Vorbildlichkeit des phidiasischen Zeus vermuten. Über-liefert ist z. B. der bewundernde Ausspruch des römi-schen Feldherrn Aemilius Paulus bei seinem Besuch 168 v. Chr. in Olympia, allein Phidias habe wahrhaftig den Zeus Homers dargestellt (Polybios 30, 10, 6) und eben dies, dass nämlich Homer in den vielzitierten Versen der Ilias 1, 528–30 das Vorbild geliefert habe, wurde dem Phidias selbst in den Mund gelegt (Strabon 8, 354):

«Sprach´s und winkte Gewährung mit dunklen Brauen Kronion,Und die ambrosischen Locken des Herrschers wallten ihm niederVon dem unsterblichen Haupt; es erbebten die Höhn des Olympos.»

Selbst der nüchterne Ingenieur Philon von Byzanz (3. Jh. v. Chr.), der auch über die Sieben Weltwunder verfasst hat, schrieb über den Zeus des Phidias (De sep-

tem miraculis 3, 3): «(…) die anderen der sieben Schau-stücke bewundern wir, dieses aber verehren wir. Denn als Kunstwerk übertrifft es alle Vorstellungen, als Abbild des Zeus aber ist es diesem ebenbürtig.» In der 12. Rede des Philosophen und Rhetors Dion Chrysostomos, die die-ser in Olympia vorgetragen hat, kommt aus der Sicht des Klassizismus der frühen Kaiserzeit zum Ausdruck, dass in dem Zeus des Phidias die Idee und das wahre Bild des Gottes Gestalt angenommen hätten. Ähnlich äußert sich etwa zur selben Zeit Quintilian (Institutio oratoria 12, 10, 9), der anscheinend eine verbreitete Meinung wie-dergibt, wenn er zur Kunst des Phidias schreibt: «(…)

Olympium in Elide Iovem fecisset, cuius pulchritudo

adiecisse aliquid etiam receptae religione videtur; adeo

maiestas operis deum aequavit». «… er hat auch den

Zeus Olympios in Elis geschaffen, dessen Schönheit, wie es scheint, noch die dem Gott entgegengebrachte heilige Ehrfurcht vermehrt hat; so sehr kommt die Erhabenheit des Werkes dem Göttlichen gleich».

Diese und andere Stimmen der Antike lassen erken-nen, dass der Zeus von Olympia in den Augen der Nach-welt nicht allein das sensationelle «Weltwunder», sondern die ideale Verkörperung, ja geradezu die Offenbarung des höchsten Gottes war, und auch wenn uns das wahre Aus-sehen des Originals im einzelnen unbekannt ist, darf man vor diesem Hintergrund doch getrost davon ausgehen, dass spätere Zeus- und Jupiterstatuen oder auch Kaiser-statuen im Typus des thronenden Jupiter als Weltenherr-scher, in der einen oder anderen Weise von der maßge-benden Schöpfung des Phidias abhängig gewesen sind. Nach Flavius Josephus (Bellum Iudaicum 1, 414) gab es in Caesarea «einen Koloss des Kaisers (Augustus), der dem Zeus in Olympia, dem er nachgebildet ist, nicht nachsteht». Bezeichnend auch der wirkliche oder angeb-liche Plan des Caligula, den Zeus des Phidias nach Rom zu holen und ihn mit den eigenen Porträtzügen versehen im capitolinischen Jupitertempel aufzustellen (Sueton, Caligula 22; Cassius Dio 59, 28, 3). Mag dies auch nach-träglich erfunden sein, um den Cäsarenwahn des Cali-gula zu charakterisieren, so zeigt doch allein schon der Gedanke an ein solches Vorhaben, dass das Kultbild in Olympia rund ein halbes Jahrtausend nach seiner Entste-hung in der ganzen antiken Welt als das Bild des Zeus / Jupiter schlechthin angesehen wurde. Indirekt bezeugt dies auch der christliche Philosoph Clemens von Alexan-dria (ca. 150–210 n. Chr.), wenn er in der Streitschrift ge-gen das Heidentum (Protreptikos 4, 41 f. 47.) die griechi-schen Götterbilder als eitles Menschenwerk brandmarkt und als Beispiel hierfür den Zeus in Olympia nimmt.

Ungeachtet der zunehmenden christlichen Kritik am hergebrachten Götterkult blieb der Zeus des Phidias auch in der Zeit der ersten christlichen Kaiser noch ein gefei-ertes Kunstwerk. Jedenfalls konnte der Theodosius I. nahestehende Philosoph Themistios noch wenige Jahre vor dem Verbot paganer Kulte in einer Rede zu Konstan-tinopel erwähnen, dass er selbst «den Zeus in Pisa (d. h. in Olympia) bewundert» habe. Es war auch keineswegs so, dass nach der endgültigen Schließung und Aufgabe der alten Heiligtümer die Götterbilder und Votivstatuen überall von christlichen Eiferern zerstört worden wären. Solche Fälle wie beispielsweise die unter dem streitbaren Bischof Theophilos von fanatischen Mönchen angezet-telte Zerstörung des Serapeion von Alexandria mit seinem berühmten Kultbild im Jahr 391 n. Chr. hat es gegeben. Doch suchten gerade auch die christlichen Herrscher des

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späten 4. und frühen 5. Jhs. n. Chr., Theodosius I., Ar-cadius und Honorius, wohl unter dem Einfl uss gelehrter und gemäßigter Persönlichkeiten wie Libanios oder The-mistios, solchen Exzessen entgegen zu steuern und durch kaiserliche Erlasse die eigenmächtige Vernichtung heid-nischer Kulturgüter und Bauten zu verbieten. Die zahl-reichen antiken Kunstwerke, die in dieser Zeit in Paläste und auf öffentliche Plätze Konstantinopels gelangten52, wurden keineswegs als anstößig empfunden, sondern gal-ten offenbar ähnlich wie die Texte der antiken Autoren als Zeugnisse der klassischen Tradition, die es vor der Will-kür ungebildeter Eiferer zu schützen galt.

Zu diesem geistigen und politischen Klima, das ne-ben dem Ringen um repräsentative Formen des neuen Glaubens durchaus noch von dem Respekt vor der an-tiken Literatur und Kunst geprägt ist53, passt die in einer byzantinischen Quelle erhaltene Nachricht, dass sich die

Statue des olympischen Zeus zuletzt zusammen mit an-deren Kunstwerken der heidnischen Antike in dem Pa-last des vornehmen Patriziers Lausos in Konstantinopel54 befunden hätte und erst beim Brand dieses Palastes im Jahre 475 n. Chr., fast 900 Jahre nach ihrer Erschaffung, endgültig zugrunde gegangen wäre. 426 n. Chr. ordnete Theodosius II. die Zerstörung aller heidnischen Tempel an. In Olympia ist dieser Befehl offenbar nicht wörtlich genommen worden, denn der Zeustempel stand nach-weislich noch bis weit ins 6. Jh. n. Chr. aufrecht und ist erst bei dem großen Erdbeben des Jahres 551 n. Chr. eingestürzt (Abb. 32). Vermutlich war er 426 n. Chr. bereits seines Kultbildes beraubt, und es ist immerhin denkbar, dass Lausos, der als Kammerherr (praepositus

sacri cubiculi) des Kaisers Theodosius II. eine einfl uss-reiche Stellung am byzantinischen Hof innehatte55, mit allerhöchster Duldung das kostbare Werk in seinen Be-

Abb. 32

Säulen der Südseite des

Zeustempels in Sturzlage.

So wie sie beim Einsturz

des Tempels durch ein

schweres Erdbeben im

6. Jh. n. Chr. hingefallen

sind, bilden sie heute ein

eindrucksvolles Sinnbild

der Vergänglichkeit einsti-

ger Größe.

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sitz zu bringen vermocht hat. Dass der Zeus des Phidias an Ort und Stelle in Olympia zugrunde gegangen wäre, ist dagegen kaum vorstellbar. Für eine Zerstörung durch einen fanatisierten Pöbel, wie sie in Alexandria und in anderen Städten des Ostens vorgekommen ist, fehlten in Olympia, wo man bis in die Spätzeit stolz auf den Besitz des Weltwunders war, alle Voraussetzungen. Überhaupt hat sich in Griechenland das Christentum später und zö-gernder durchgesetzt als etwa in Kleinasien oder im hel-lenisierten Orient. Bezeichnend für das zähe Weiterleben traditioneller antiker Formen des Denkens und Glaubens im griechischen Mutterland ist die Tatsache, dass erst im Jahr 529 n. Chr. – ein Jahrhundert nach dem Edikt Theodosius’ II. – unter Justinian die neuplatonische Philosophenschule von Athen geschlossen wurde. Unter diesen Umständen wäre die Zerstörung des von der gan-zen antiken Welt verehrten Götterbildes auf kaiserliches Geheiß ein Akt der Kulturbarbarei gewesen, der wohl kaum ohne Widerhall in den Schriftquellen geblieben wäre. Die Überführung der Statue nach Konstantinopel dagegen konnte, ähnlich etwa wie die Aufstellung des von

den vereinten Griechen nach der Schlacht von Plataiai in Delphi gestifteten Dreifußes im Hippodrom dieser Stadt, als respektvolle Aneignung verstanden werden, als Teil eines Programms zur Ausschmückung der Kapitale mit berühmten Denkmälern der hellenischen Kultur.

Hat demnach höchstwahrscheinlich der Zeus des Phidias noch mehr als ein halbes Jahrhundert in Kon-stantinopel gestanden, so ist er auch dort sicher nicht unbeachtet geblieben, sondern hat weiterhin seine unver-gleichliche Wirkung auf die Betrachter und möglicher-weise auch auf die gestalterische Phantasie von Künst-lern ausgeübt. Bedenkt man, wie stark die frühchristliche Ikonographie des 4. und 5. Jhs. n. Chr. von antiken Vor-bildern und Bildtypen geprägt ist, dann erscheint es als möglich, dass auch von der überragenden Gestalt des phidiasischen Zeus ein bedeutender Einfl uss auf die Ent-stehung christlicher Bildvorstellungen ausgegangen ist. Und so ist es zumindest ein faszinierender Gedanke, dass diese großartigste künstlerische Vision des Herrschers des Olymp in dem machtvollen Bild des thronenden Christus als Pantokrator weiterlebt56.

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