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Thomas ScheskatAggression als Ressource

Forum Koumlrperpsychotherapie Band 10

Psychosozial-Verlag

Thomas Scheskat

Aggression als RessourceEine verkannte Kraft neu erleben

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Originalausgabecopy 2020 Psychosozial-Verlag GieszligenE-Mail infopsychosozial-verlagde

wwwpsychosozial-verlagdeAlle Rechte vorbehalten Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet vervielfaumlltigt oder verbreitet werden

Umschlagabbildung JNEphotos 2018 (httpswwwistockphotocomdefotogro C3 9Fe-welle-brechen-bei-sonnenuntergang-gm933906546-255775991)

Umschlaggestaltung und Innenlayout nach Entwuumlrfen von Hanspeter Ludwig WetzlarFotos im Innenteil Ralph Hormes Goumlttingen

ISBN 978-3-8379-2969-0 (Print)ISBN 978-3-8379-7661-8 (E-Book-PDF)

ISSN 2567-5745

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Inhalt

Vorwort 7

Eine persoumlnliche Einfuumlhrung 11

Aggression ndash Neu betrachtet 17Koumlrperlichkeit Authentizitaumlt und Dialogfaumlhigkeit 23Die Erweiterung des Aggressionsbegriffes als Mittel gegen Verleugnung 25Aggressionsbalance 26

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression 29Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen 29VorbereitungAchtsamkeit 321 Uumlbungsfeld Stand und Halt 352 Uumlbungsfeld Boxen 423 Uumlbungsfeld Schlagkraft 494 Uumlbungsfeld Ringen 64Uumlbungsfelder kombinieren Zugang zu verdraumlngten Hassgefuumlhlen ermoumlglichen sie halten und wandeln 79

Teil II Wie die integrative Dialogarbeit mit Aggression wirkt 855 Thesen1 Aggression als Aufbruchskraft 872 Das Dialogprinzip 913 Aggression als Kraft-Kontinuum zwischen Gut und Boumlse 984 Transformation gefesselter und vergifteter Aggression 1015 Niederlagen koumlnnen lohnen 124

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

Abbi

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g 2

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

Abbi

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g 3

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

Abbi

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Forum Koumlrperpsychotherapie Band 10

Psychosozial-Verlag

Thomas Scheskat

Aggression als RessourceEine verkannte Kraft neu erleben

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Originalausgabecopy 2020 Psychosozial-Verlag GieszligenE-Mail infopsychosozial-verlagde

wwwpsychosozial-verlagdeAlle Rechte vorbehalten Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet vervielfaumlltigt oder verbreitet werden

Umschlagabbildung JNEphotos 2018 (httpswwwistockphotocomdefotogro C3 9Fe-welle-brechen-bei-sonnenuntergang-gm933906546-255775991)

Umschlaggestaltung und Innenlayout nach Entwuumlrfen von Hanspeter Ludwig WetzlarFotos im Innenteil Ralph Hormes Goumlttingen

ISBN 978-3-8379-2969-0 (Print)ISBN 978-3-8379-7661-8 (E-Book-PDF)

ISSN 2567-5745

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Inhalt

Vorwort 7

Eine persoumlnliche Einfuumlhrung 11

Aggression ndash Neu betrachtet 17Koumlrperlichkeit Authentizitaumlt und Dialogfaumlhigkeit 23Die Erweiterung des Aggressionsbegriffes als Mittel gegen Verleugnung 25Aggressionsbalance 26

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression 29Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen 29VorbereitungAchtsamkeit 321 Uumlbungsfeld Stand und Halt 352 Uumlbungsfeld Boxen 423 Uumlbungsfeld Schlagkraft 494 Uumlbungsfeld Ringen 64Uumlbungsfelder kombinieren Zugang zu verdraumlngten Hassgefuumlhlen ermoumlglichen sie halten und wandeln 79

Teil II Wie die integrative Dialogarbeit mit Aggression wirkt 855 Thesen1 Aggression als Aufbruchskraft 872 Das Dialogprinzip 913 Aggression als Kraft-Kontinuum zwischen Gut und Boumlse 984 Transformation gefesselter und vergifteter Aggression 1015 Niederlagen koumlnnen lohnen 124

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Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Psychosozial-Verlag

Thomas Scheskat

Aggression als RessourceEine verkannte Kraft neu erleben

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Originalausgabecopy 2020 Psychosozial-Verlag GieszligenE-Mail infopsychosozial-verlagde

wwwpsychosozial-verlagdeAlle Rechte vorbehalten Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet vervielfaumlltigt oder verbreitet werden

Umschlagabbildung JNEphotos 2018 (httpswwwistockphotocomdefotogro C3 9Fe-welle-brechen-bei-sonnenuntergang-gm933906546-255775991)

Umschlaggestaltung und Innenlayout nach Entwuumlrfen von Hanspeter Ludwig WetzlarFotos im Innenteil Ralph Hormes Goumlttingen

ISBN 978-3-8379-2969-0 (Print)ISBN 978-3-8379-7661-8 (E-Book-PDF)

ISSN 2567-5745

5

Inhalt

Vorwort 7

Eine persoumlnliche Einfuumlhrung 11

Aggression ndash Neu betrachtet 17Koumlrperlichkeit Authentizitaumlt und Dialogfaumlhigkeit 23Die Erweiterung des Aggressionsbegriffes als Mittel gegen Verleugnung 25Aggressionsbalance 26

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression 29Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen 29VorbereitungAchtsamkeit 321 Uumlbungsfeld Stand und Halt 352 Uumlbungsfeld Boxen 423 Uumlbungsfeld Schlagkraft 494 Uumlbungsfeld Ringen 64Uumlbungsfelder kombinieren Zugang zu verdraumlngten Hassgefuumlhlen ermoumlglichen sie halten und wandeln 79

Teil II Wie die integrative Dialogarbeit mit Aggression wirkt 855 Thesen1 Aggression als Aufbruchskraft 872 Das Dialogprinzip 913 Aggression als Kraft-Kontinuum zwischen Gut und Boumlse 984 Transformation gefesselter und vergifteter Aggression 1015 Niederlagen koumlnnen lohnen 124

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

6

Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

29

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

30

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

32

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

Abbi

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g 2

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

33

VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

Abbi

ldun

g 3

Abbi

ldun

g 4

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

Abbi

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Page 4: omas Scheskat Aggression als Ressource

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in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Originalausgabecopy 2020 Psychosozial-Verlag GieszligenE-Mail infopsychosozial-verlagde

wwwpsychosozial-verlagdeAlle Rechte vorbehalten Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet vervielfaumlltigt oder verbreitet werden

Umschlagabbildung JNEphotos 2018 (httpswwwistockphotocomdefotogro C3 9Fe-welle-brechen-bei-sonnenuntergang-gm933906546-255775991)

Umschlaggestaltung und Innenlayout nach Entwuumlrfen von Hanspeter Ludwig WetzlarFotos im Innenteil Ralph Hormes Goumlttingen

ISBN 978-3-8379-2969-0 (Print)ISBN 978-3-8379-7661-8 (E-Book-PDF)

ISSN 2567-5745

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Inhalt

Vorwort 7

Eine persoumlnliche Einfuumlhrung 11

Aggression ndash Neu betrachtet 17Koumlrperlichkeit Authentizitaumlt und Dialogfaumlhigkeit 23Die Erweiterung des Aggressionsbegriffes als Mittel gegen Verleugnung 25Aggressionsbalance 26

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression 29Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen 29VorbereitungAchtsamkeit 321 Uumlbungsfeld Stand und Halt 352 Uumlbungsfeld Boxen 423 Uumlbungsfeld Schlagkraft 494 Uumlbungsfeld Ringen 64Uumlbungsfelder kombinieren Zugang zu verdraumlngten Hassgefuumlhlen ermoumlglichen sie halten und wandeln 79

Teil II Wie die integrative Dialogarbeit mit Aggression wirkt 855 Thesen1 Aggression als Aufbruchskraft 872 Das Dialogprinzip 913 Aggression als Kraft-Kontinuum zwischen Gut und Boumlse 984 Transformation gefesselter und vergifteter Aggression 1015 Niederlagen koumlnnen lohnen 124

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Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Page 5: omas Scheskat Aggression als Ressource

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Inhalt

Vorwort 7

Eine persoumlnliche Einfuumlhrung 11

Aggression ndash Neu betrachtet 17Koumlrperlichkeit Authentizitaumlt und Dialogfaumlhigkeit 23Die Erweiterung des Aggressionsbegriffes als Mittel gegen Verleugnung 25Aggressionsbalance 26

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression 29Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen 29VorbereitungAchtsamkeit 321 Uumlbungsfeld Stand und Halt 352 Uumlbungsfeld Boxen 423 Uumlbungsfeld Schlagkraft 494 Uumlbungsfeld Ringen 64Uumlbungsfelder kombinieren Zugang zu verdraumlngten Hassgefuumlhlen ermoumlglichen sie halten und wandeln 79

Teil II Wie die integrative Dialogarbeit mit Aggression wirkt 855 Thesen1 Aggression als Aufbruchskraft 872 Das Dialogprinzip 913 Aggression als Kraft-Kontinuum zwischen Gut und Boumlse 984 Transformation gefesselter und vergifteter Aggression 1015 Niederlagen koumlnnen lohnen 124

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

6

Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

29

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

32

Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

Abbi

ldun

g 2

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

Abbi

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g 3

Abbi

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g 4

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

Abbi

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g 5

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Inhalt

Teil III Aggressionsarbeit und die Aumlnderung von Ich-Zustaumlnden (Ego-States) 131Abspaltungen uumlberwindenIch-Zustand als ganzheitliches Modell 131Ein Modellbeispiel Ego-States in der dialogischen Konfrontation 136

Teil IV Erprobte Praxisfelder der integrativen Aggressionsarbeit mit Dialogischer Konfrontation 143Beziehungen klaumlren Seminare zur Maumlnner-Frauen-Begegnung 145Maumlnnlichkeit erweitern Anwendung in Maumlnnerseminaren 156Selbstermaumlchtigung staumlrken Einzelarbeit in themenzentrierten Kurzprozessen 165Aggression integrieren ndash Selbstverantwortung uumlben Anwendung in der forensischen Psychiatrie 170Psychohygiene und Resilienzstaumlrkung in der Supervision fuumlr helfend Taumltige 185Empowerment in spezieller Lebenslage Seminar mit Blinden und Sehbehinderten 192

Teil V Ergaumlnzungen und Ausblick 197Zur Kontroverse um den erweiterten Aggressionsbegriff 198Hintergrundwissenschaft zu Aggression und Gewalt 200Gesellschaftliche Aspekte 203

Dank 209

Literatur 211

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Page 7: omas Scheskat Aggression als Ressource

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

Stehen ndash Boxen ndash Schlagen ndash Ringen Diese vier markanten Begegnungs-formen haben sich mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten als beson-ders geeignet dafuumlr erwiesen die Kraft der Aggression im Kontakt erlebbar zu machen Zusammen mit der Vor- und Nachbereitungsebene bilden sie die wesentlichen Uumlbungsfelder unserer Aggressionsarbeit

2 Boxen

3 Schlagen 4 Ringen

Abbildung 1 Koumlrper-Selbst-Wahrnehmung

1 Stehen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

Abbi

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

Abbi

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

In der Vorbereitung wie im Anschluss an die kraftvollen Uumlbungen erfol-gen vielfaumlltige Anleitungen zur Selbstwahrnehmung Die Arbeit mit Ag-gression ist damit eingebettet in viele Spuumlrraumlume zur Vor- Zwischen- und Nachbereitung der Erlebnisse fuumlr die Teilnehmenden

Die Schwerpunkte der dialogischen Konfrontations-Settings im Uumlber-blick1 Stehen das sind Uumlbungen zum Gehen Stehen und Haltfinden zur

Erforschung von Standfestigkeit und Standschwaumlche sowie von Ab- und Anlehnung Zusaumltzlich gibt es Uumlbungen mit dem Wegschieben um sich Raum zu verschaffen

2 Boxen bedeutet Stoszligkraft in der Bandbreite zwischen Anstoszlig geben und Anstoszlig erregen ndash u a mit der Form des raquosicheren Boxenslaquo kann der Mut zur Zumutung geuumlbt werden

3 Schlagen ermoumlglicht im Schlagdialog den Ausdruck von Kraumlften die in der direkten Einwirkung aufeinander schaumldigen wuumlrden ndash es ist ein schuumltzendes Ritual zum Erleben der eigenen puren Kraft zunaumlchst im raquoRohzustandlaquo Gelingt eine Wandlung im Sinne von Entgiftung kann diese Kraft psychisch als Empowerment im Sinne von Ermuti-gung und Selbstermaumlchtigung erlebt werden

4 Ringen ist die direkteste Form der gegenseitigen Reibung im Kon-takt ndash hier kann man den Anderen einmal physisch anpacken sich ihn oder sie buchstaumlblich raquozur Brust nehmenlaquo oder in Gestalt des Gegenuumlbers so etwas wie raquodie eigenen Daumlmonen niederringenlaquo

Um solche herausfordernden Uumlbungen fuumlr die Teilnehmenden vertraumlglich zu gestalten muumlssen von der Leitung zu folgenden Punkten Rahmen und Grenzen markiert werden

Die Anleitenden bringen eine Haltung der Einladung und Akzeptanz ein die fuumlr die Teilnehmenden die Sicherheit schafft dass sie stets frei-willig und selbstregulierend entscheiden ob und wie sie den Uumlbungs-anleitungen folgen wollen Es braucht einen mindestens muumlndlichen Vertrag dass die Teilnehmenden jederzeit selbstverantwortlich fuumlr sich entscheiden Sie koumlnnen diese Freiheit gar nicht von der Leitung gewaumlhrt bekommen sondern besitzen sie ohnehin brauchen aber unter Umstaumlnden Hinweise sie auch zu nutzen um sich z B bei dro-hender koumlrperlicher Gefaumlhrdung oder psychischer Uumlberforderung rechtzeitig zu schuumltzen Dies kann erfordern sich ggf gegen einen subjektiv empfundenen Gruppendruck oder Gruppensog mutig ab-

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

Abbi

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Die Haupt-Uumlbungsfelder fuumlr dialogische Konfrontationen

zugrenzen Hier ermutigt die Leitung dazu Schamgefuumlhle oder Ver-sagensaumlngste zu uumlberwinden etwa wenn man die einzige Person ist die einer Uumlbungsanleitung nicht folgen mag oder kann

Der Rahmen muss eine klare Struktur mit Regeln und Grenzen fuumlr die Begegnungs-Uumlbungen bereitstellen wobei die Teilnehmenden ihr Vertrauen im Wesentlichen dadurch gewinnen dass alle Prozesse in genuumlgend kleinen Schritten geschehen und stets auf allen Uumlbungsstu-fen verlaumlssliche Ausstiegstuumlren offenstehen So sind sich alle durch-gaumlngig der Freiheit zur Abwandlung zum Distanznehmen und zum Auslassen von Uumlbungsteilen gewiss Die Uumlbungen werden so trans-parent demonstriert dass potenzielle Verletzungsrisiken analog zum Sport nach individueller Fitness selbst eingeschaumltzt werden koumlnnen

Es hat sich bewaumlhrt die Teilnehmenden mithilfe eines bildhaften Vergleichs darauf hinzuweisen dass sie im eigenen Empfinden quasi zwischen zwei raquoAlarmkreisenlaquo unterscheiden moumlgen Ist der erste erreicht geht im Instinktsystem eine raquorosa Lampelaquo an die einen innehalten laumlsst Sie markiert aber meist Scham- und Peinlichkeits-grenzen oder schlicht die Grenzlinie des aumlngstigenden Ungewohn-ten Diese raquorosa Linielaquo lohnt es in der Regel mutig zu uumlberschreiten Ist aber der zweite Alarmkreis erreicht leuchtet der Instinkt nicht rosa sondern rot bis dunkelrot Es droht die Gefahr von koumlrperli-cher Verletzung oder eine seelische Beeintraumlchtigung die uumlber das Seminar hinauswirken koumlnnte und auch laumlngerfristig keinen Wachs-tumsgewinn verspricht Diese nun wirklich rote Linie soll man nicht uumlbertreten Manche Teilnehmende fuumlhlen sich in diesem Bereich der Gefaumlhrdungs-Selbstwahrnehmung ein bisschen raquofarbenblindlaquo und neigen dazu rot und rosa zu verwechseln Sie werden dann dazu er-muntert einen auftauchenden Alarmkonflikt offen anzusprechen

Es kann vorkommen dass Teilnehmende traumatische Erlebnisse schildern nachdem sie sich vom Uumlbungsgeschehen daran beruumlhrt fuumlhlten Fuumlr den Umgang damit gibt es verschiedene Optionen vom Beschreiben des inneren Erlebens uumlber das sofortige Aussteigen aus Uumlbungen bis hin zu gemeinsamen kreativen Veraumlnderungen des Set-tings Sobald die Traumadynamik von den Betroffenen selbst oder von der Leitung als solche erkannt wurde laumlsst sich flexibel heraus-finden wie nah oder weit der Uumlbungsverlauf an der traumatischen Thematik vorbeifuumlhren soll Je nachdem auf welchem Stand der Ver-arbeitung die Betroffenen damit und ob sie noch in einem anderen

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

therapeutischen Zusammenhang geborgen sind koumlnnen punktuelle Beruumlhrungen damit stattfinden Grundsaumltzlich gilt es aber jede un-noumltige Reaktualisierung des Traumatischen zu vermeiden und das Be-wusstsein fuumlr die eigene Bewaumlltigungsstaumlrke zu unterstuumltzen

Im Laufe der Uumlbungsschilderungen werde ich am Beispiel der Schlag-Uumlbung Betrachtungen zur speziellen Bedeutung der Gruppe des Blickkon-taktes oder zu unserem Verstaumlndnis von Kraft einfuumlgen Sie erfolgen dort weil es mir aus dem Zusammenhang heraus besonders sinnfaumlllig erscheint Sie gelten aber im Prinzip fuumlr alle Uumlbungsfelder

VorbereitungAchtsamkeit

Die Arbeit mit Aggressions-Uumlbungen erfordert eine aus-reichende Vorbereitung inne-rer Achtsamkeit Gerade das Mobilisieren heftiger Impulse und der damit oft verbunde-nen heftigen Affekte ist nur fruchtbar wenn die Uumlbenden den Ablauf ihrer koumlrperlichen Reaktionen genuumlgend bewusst

in sich wahrnehmen Dazu gehoumlrt der gesamte Prozess des energetischen An- und Abschwellens eines Impulses vom Ruhezustand an Eine Uumlbungs-sequenz beginnt zunaumlchst mit ruhigem Atmen im Sitzen oder Liegen und der Sensibilisierung fuumlr die Wahrnehmung des eigenen KoumlrperbefindensAuch kleine Experimente mit Schreckreizen z B in Form eines ange-kuumlndigten Haumlndeklatschens das mit geschlossenen Augen erwartet wird koumlnnen eine bewusste Stressverarbeitung anregen Dazu werden bewuss-tes Atmen und gezieltes An- und Entspannen der gesamten Muskulatur einbezogen In uumlberschaubaren Kurzsequenzen folgen dann Kontaktex-perimente mit zunaumlchst leichten Beruumlhrungen bis hin zum Erproben von raquoklassisch-aggressivenlaquo Handlungen wie Druumlcken Schieben Ziehen sich gegenseitig aus dem Stand bringen Grimassieren Anknurren Hier sind der Fantasie keine Grenzen dafuumlr gesetzt sich spielerisch vom noch harm-losen raquoAufeinanderzulaquo zum heikleren raquoAufeinanderloslaquo vorzutasten

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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VorbereitungAchtsamkeit

Eine Uumlbung die wir immer wieder vor zwischen und nach Konfronta-tions-Uumlbungen einsetzen ist das verlangsamte Gehen durch den Raum um elementare Dinge wie Sich-Aufrichten Stehen das Gehen selbst sowie das Zusammenspiel von Atem und Bewegung bewusster wahrzunehmen

Erst nach solchem gruumlndlichem raquoWarmuplaquo geht es weiter zu den zent-ralen Konfrontationsaufstellungen

Achtsamkeit in der Koumlrperpsychotherapie ndash Vom bewussten Umgang mit der Wahrnehmung

Wir nutzen den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit innerhalb der Uumlbungseinheiten indem wir das achtsame Hinspuumlren auf den Koumlrper mit den Teilnehmenden durch Koumlrperwahrnehmungs-Uumlbun-gen (Body-Scan) Gehmeditation u a wiederholt schulen Bei allen Uumlbungen steht das nicht wertende Annehmen dessen was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist im Vordergrund Das koumlnnen Koumlrper-empfindungen Emotionen Stimmungen Sinneswahrnehmungen oderund Gedanken sein Diese Methode ermoumlglicht einen einfa-chen und natuumlrlichen Zugang zum vorbegrifflichen und praumlverba-len Erleben So wird die Bedeutung einer Situation die auszligen oder innerpsychisch sein kann zuerst im Koumlrper repraumlsentiert und erst spaumlter werden Fragmente davon mental zugaumlnglich Zuerst kommt die koumlrperliche Wahrnehmung und dann die Sprache Vor diesem Hintergrund bekommt der Koumlrper eine zentrale Bedeutung bei der therapeutischen Intervention Bei der Arbeit mit Gefuumlhlen Imagi-nationen Kognitionen u a liegt der wesentliche Ansatz fuumlr Inter-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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Teil I Koumlrperarbeit mit Aggression

ventionen darin die Achtsamkeit hin zum koumlrperlichen Erleben zu fuumlhren da sie aus dem Koumlrpererleben entstehen (vgl Geuter 2019 S 126ff 2015 S 217ff)

Die Erkenntnis aus der Koumlrperpsychotherapie dass Sprache Bilder das gesamte explizite Erleben mit dem Koumlrper verbunden sind anstatt ausschlieszliglich im Gehirn stattzufinden wird zuneh-mend neurobiologisch verifiziert sodass von einem umfassenden Body-turn in der Wissenschaft gesprochen wird (Geuter 2015 S 9)

1 Uumlbungsfeld Stand und Halt

raquostandfest und durchlaumlssiglaquo ndash statt raquostarr und labillaquo

In diesem Uumlbungsfeld koumlnnen metaphorische Begriffe wie Boden finden Standpunkte bilden Stellung beziehen Stand halten sich vorstellen oder wi-derstehen woumlrtlich genommen und koumlrperlich erforscht werden

Die Stand-Stoszlig-Uumlbung

Technischer Ablauf und Regeln

Die Partnerinnen stehen sich einen Schritt weit in schulterbreitem und parallelem Stand gegenuumlber und heben die Haumlnde zu einer schiebend-

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