Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle...

65
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Thema: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG mit Hilfe der Anlagen- und Logistiksimulation Diplomarbeit In Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG, Business Unit Braunschweig Themensteller: Dipl.-Ing. (FH) Horst Brinkmann, Volkswagen AG Betreuer: Prof. Dr.-Ing. habil. Graham Horton, Universität Magdeburg Gutachter: Prof. Dr.-Ing. habil. Graham Horton, Universität Magdeburg Dr. rer. nat. habil. Rüdiger Hohmann, Universität Magdeburg vorgelegt von: Benjamin Rauch Am Reuthen 23 39638 Berge OT Ackendorf Tel.: +49-171-2044251 eMail: [email protected] Abgabetermin: 23. Mai 2005

Transcript of Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle...

Page 1: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Thema:

Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG

mit Hilfe der Anlagen- und Logistiksimulation

Diplomarbeit

In Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG, Business Unit Braunschweig

Themensteller: Dipl.-Ing. (FH) Horst Brinkmann, Volkswagen AG Betreuer: Prof. Dr.-Ing. habil. Graham Horton, Universität Magdeburg Gutachter: Prof. Dr.-Ing. habil. Graham Horton, Universität Magdeburg Dr. rer. nat. habil. Rüdiger Hohmann, Universität Magdeburg vorgelegt von: Benjamin Rauch

Am Reuthen 23 39638 Berge OT Ackendorf Tel.: +49-171-2044251 eMail: [email protected]

Abgabetermin: 23. Mai 2005

Page 2: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

II

Erklärung

Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig, ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.

Magdeburg, den 23. Mai 2005

Page 3: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

III

Kurzfassung

Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur und der dazu gehörigen Logistikanbindung, die für den Teiletransport zwischen den Anlagen verantwortlich ist. Nur wenn diese zwei unterschiedlichen Systeme perfekt aufeinander abgestimmt sind, ist eine Produktion mit maximaler Wirtschaftlichkeit möglich. Die Faktoren, die darauf maßgeblichen Einfluss haben, sind vielschichtig und haben untereinander unbekannte Wechselwirkungen. Daher existiert Optimierungspotential, das die Produktivität weiter erhöht. Um diese Einflussfaktoren und deren Zusammenhänge schnell und zuverlässig aufzuzeigen, werden digitale Verfahren, wie zum Beispiel die Materialflusssimulation, eingesetzt.

Das Ziel der Diplomarbeit ist die Optimierung eines dieser komplexen Produktionssysteme mit Hilfe eines geeigneten Simulationsmodells. Dazu werden die existierenden Grundlagen intensiv analysiert und darauf aufbauend verschiedene Konzepte erarbeitet, welche die Erstellung eines allgemeingültigen und aussagekräftigen Modells unterstützen. Es werden während der Modellierung besonders die Anforderungen zur Untersuchung aktueller Fragestellungen und zum Benutzerinterface berücksichtigt. Anhand der offenen Fragen und den gegenwärtigen Problemstellungen werden spezielle Szenarien entwickelt, um das bisher unbekannte Optimierungspotential zu bestimmen. Die Resultate der anschließend durchgeführten Experimente werden dem aktuellen Produktionssystem gegenübergestellt, um Rückschlüsse auf die Auswirkungen der untersuchten Szenarien zu erhalten. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Ergebnisse zur Auslastung der Logistik und einzelner Anlagen, sowie die produzierte Stückzahl des Gesamtsystems. Weiterhin werden wichtige Erkenntnisse darüber erzielt, welche komplexen Zusammenhänge im Fertigungsprozess existieren und wie sie das Produktionssystem beeinflussen.

Die Ergebnisse der Untersuchungen tragen maßgeblich dazu bei, die Produktivität der betrachteten Anlagen- und Logistikstruktur zu steigern. Weiterhin werden gegenseitige Wechselwirkungen der Einflussfaktoren aufgedeckt und somit die Transparenz des gesamten Fertigungssystems erhöht. Daher sind die zukünftigen Entscheidungen zur Produktionssteuerung durch die erzielten Simulationsergebnisse abgesichert. Das erstellte Simulationsmodell, sowie die durchgeführten Experimente und deren Resultate bilden eine hervorragende Grundlage für weitere Analysen und Optimierungen.

Page 4: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

IV

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................... IV

Verzeichnis der Abkürzungen und Akronyme............................................................. VI

Abbildungsverzeichnis...............................................................................................VII

Tabellenverzeichnis ..................................................................................................VIII

1 Einleitung................................................................................................................. 1 1.1 Motivation ...................................................................................................... 1 1.2 Vorstellung des Produktionssystems und der Aufgabenstellung....................... 3 1.3 Grundlagen und Randbedingungen.................................................................. 5 1.4 Ziele................................................................................................................ 7

2 Grundlagen, Konzepte, Randbedingungen................................................................ 9 2.1 Anforderungen an das Simulationsmodell ....................................................... 9

2.1.1 Fragestellungen und Szenarien ............................................................ 9 2.1.2 Benutzerinterface .............................................................................. 11

2.2 Gegenüberstellung der Anforderungen mit vorhandenen Lösungen ............... 13 2.2.1 Modell zur Analyse des führerlosen Transportsystems ...................... 13 2.2.2 Gesamtmodell während der Planungsphase ....................................... 14 2.2.3 Bewertung......................................................................................... 16

2.3 Vorstellung des Produktionssystems ............................................................. 16 2.3.1 Fahrerlose Transportfahrzeuge .......................................................... 16 2.3.2 Anlagen und Bodenspeicher .............................................................. 18 2.3.3 Logistiksteuerung .............................................................................. 20

2.4 Bewertung der Grundlagen und vorliegenden Gegebenheiten........................ 22

3 Modellerstellung .................................................................................................... 23 3.1 FTS-Wege-Module ....................................................................................... 23

3.1.1 Vorstellung der entwickelten Softwaremodule................................... 23 3.1.2 Vereinfachungen und Probleme......................................................... 25

3.2 Adaption der vorhandenen Logistiksteuerung................................................ 26 3.2.1 Gemeinsamkeiten.............................................................................. 26 3.2.2 Notwendige Erweiterungen ............................................................... 27

3.3 Simulationsmodell ........................................................................................ 29 3.3.1 Anpassungen über den Umfang der Softwaremodule hinaus.............. 29 3.3.2 Vorstellung des erstellten Simulationsmodells ................................... 30

3.4 Verifizierung des Modells ............................................................................. 32 3.4.1 Strategien zur Überprüfung des Modells............................................ 32 3.4.2 Datenanalyse und Datenmessung....................................................... 33

Page 5: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

V

4 Experimente........................................................................................................... 36 4.1 Beschreibung der Experimentdurchführung................................................... 36 4.2 Validierung ................................................................................................... 37 4.3 Lackgestelle .................................................................................................. 41 4.4 Arbeitszeitmodelle ........................................................................................ 44 4.5 Kombination der Szenarien ........................................................................... 47 4.6 FTS............................................................................................................... 48 4.7 Diskussion der Ergebnisse und Bewertung .................................................... 50

5 Bewertung und Ausblick ........................................................................................ 52 5.1 Zusammenfassung......................................................................................... 52 5.2 Bewertung der Simulationsergebnisse ........................................................... 53 5.3 Randbedingungen des Simulationsmodells .................................................... 55 5.4 Ausblick........................................................................................................ 57

Page 6: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

VI

Verzeichnis der Abkürzungen und Akronyme

BDE Betriebsdatenerfassung bzw. beziehungsweise d.h. das heißt EKG Elektrokardiogramm FTF fahrerloses Transportfahrzeug FTFs fahrerlose Transportfahrzeuge FTS führerloses Transportsystem LG Lackiergestell LGs Lackiergestelle z.B. zum Beispiel

Page 7: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

VII

Abbildungsverzeichnis

Abb.1.01 – Schematische Darstellung des Produktionssystems ..................................... 3

Abb.1.02 – Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) vor einer Anlage............................... 4

Abb.2.01 – Beispielhafte Darstellung der Simulationsergebnisse ................................ 12

Abb.2.02 – Materialfluss der Lackiergestelle .............................................................. 19

Abb.2.03 – Arbeitsweise der Logistiksteuerung .......................................................... 21

Abb.3.01 – Erweiterungen der bestehenden Logistiksteuerung.................................... 27

Abb.3.02 – Ausschnitt des Simulationsmodells ........................................................... 31

Abb.4.01 – Zeitlicher Verlauf über FTFs, die einen Transportauftrag ausführen.......... 37

Abb.4.02 – Auslastung der Lackanlage ....................................................................... 38

Abb.4.03 – Übersicht über Anzahl der angelieferten Lackiergestelle ........................... 40

Abb.4.04 – Ergebnisse zum Experiment „Erhöhung Lackiergestelle“.......................... 42

Abb.4.05 – Auslastung der FTFs bei optimierten Schichtmodellen.............................. 44

Abb.4.06 – Verteilung der FTF Zustände pro Tag....................................................... 45

Abb.4.07 – Ergebnis zum Experiment „Arbeitszeitmodelle“ ....................................... 46

Abb.4.08 – Ergebnis zum Experiment „Kombination der Szenarien“ .......................... 47

Abb.4.09 – Zeitlicher Verlauf über Ausbringungsverluste........................................... 49

Page 8: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

VIII

Tabellenverzeichnis

Tab.2.01 – Pro und Kontra des ersten Simulationsmodells .......................................... 13

Tab.2.02 – Pro und Kontra des zweiten Simulationsmodells ....................................... 15

Tab.2.03 – Tabelle zur Quelle-Senke-Beziehung......................................................... 18

Page 9: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

1

1 Einleitung

In diesem Kapitel wird dargelegt, warum die Arbeit entstanden ist. Dazu gehören vor allem die Beweggründe und die Motivation, d.h. welche aktuell vorliegenden Fragestellungen gibt es, die es zu lösen gilt. Die Probleme müssen sorgfältig analysiert und anschließend zielorientiert bearbeitet werden. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird die daraus resultierende Aufgabenstellung genau beschrieben und bereits die ersten Meilensteine präsentiert. Es existieren Grundlagen und Randbedingung, die es zu beachten und einzuhalten gilt. Diese werden ebenfalls in der Einleitung vorgestellt und die wichtigsten Schwerpunkte deutlich hervorgehoben. Im Anschluss werden die Ziele exakt definiert, da hieran der Erfolg der Diplomarbeit gemessen werden kann.

1.1 Motivation

In der Automobilindustrie existiert ein hoher Grad an Automatisierung. Ebenso nimmt die Komplexität einzelner Anlagen und somit auch die eines gesamten Fertigungsprozesses stetig zu. Dazu gehört neben den Produktionsanlagen ebenfalls die Logistikanbindung, die für den Teiletransport zwischen den verschiedenen Anlagen verantwortlich ist. Viele Entscheidungen zu Investitionen und Umsetzung von Anlagenneubauten und -erweiterung, sowie zur Optimierung von Transportkonzepten und Steuerlogiken werden auf der Basis von Erfahrungswerten getroffen. Die hier zu beachtenden Probleme sind allerdings vielschichtig:

• Unbekannte Wechselwirkungen im neuen Fertigungsprozess

• Räumliche Begrenzungen

• Limitierte Investitionsgelder

• Einhaltung der Termintreue zum Kunden

Diese ausschlaggebenden Einflussfaktoren erschweren es, die optimale Alternative zu bestimmen und umzusetzen. Genau hier setzt die Materialflusssimulation als aussagekräftige Entscheidungshilfe an. Durch die Nachbildung der wesentlichen und interessantesten Eigenschaften des zu optimierenden Systems in einem Modell entsteht ein digitales Abbild im Computer. Ohne in den laufenden Produktionsprozess eingreifen zu müssen, können nun mit der Unterstützung dieses Simulationsmodells und gezielten Experimenten verlässliche Aussagen getroffen werden. Daher ist die Simulation eine kostengünstige Methode, das Maximum an Wirtschaftlichkeit zu erreichen und gleichzeitig den dafür notwendigen Aufwand möglichst gering zu halten. Bereits die

Page 10: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

2

Planungsphase wird durch die Simulation aktiv unterstützt, indem Layouts überprüft und gegebenenfalls alternative Lösungsvorschläge bestimmt und diskutiert werden. Es wird dank dieser Planungssicherheit gewährleistet, dass stets der beste Kompromiss zwischen Investition und Produktivität gefunden wird. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die im Vorfeld festgelegten Produktionsziele erreicht werden. Hierzu gehört vor allem die Anzahl der zu fertigenden Teile.

Aber nicht nur während der Planungsphase ist die Materialflusssimulation ein wichtiges Werkzeug zur Optimierung. Ebenso ist es sinnvoll, die aktuellen Produktionsanlagen in einem geeigneten Simulationsmodell abzubilden. Die mitunter komplexe Vernetzung von Anlagen durch die Logistik macht es schwierig, den gesamten Produktionsprozess zu überschauen. Dadurch ist das Aufzeigen und Beseitigen von Engpässen innerhalb der Produktion kaum möglich. Hier wird mittels der Simulation und den daraus resultierenden Erkenntnissen die Transparenz des Fertigungsprozesses deutlich erhöht. Dies hilft wiederum, Entscheidungen zur Produktionssteuerung sicherer zu treffen. Wichtige Fragen, die durch die Materialflusssimulation beantwortet werden, sind:

• Welche Anlagen haben noch nicht aufgedecktes Optimierungspotential bzw. existieren noch unbekannte Engpässe?

• Durch welche Strategien oder Maßnahmen kann die produzierte Stückzahl mit der existierenden Anlagenstruktur erhöht werden?

• Können an der vorhandenen Logistik Einsparpotentiale aufgedeckt werden?

• Gibt es eine bessere Steuerlogik, nachdem Anlagen umgebaut und die Logistik verändert wurden? Mit welcher Stückzahlerhöhung ist anschließend zu rechnen?

• Welchen Einfluss haben einzelne Anlagenstillstände tatsächlich auf den gesamten Fertigungsprozess? Welche Anlagen sind dabei besonders kritisch?

Alle diese Fragestellungen zielen darauf ab, die Produktivität einer vorhandenen Anlagenstruktur zu erhöhen. Durch den Einsatz der Materialflusssimulation ist es möglich, bisher unbekanntes Potential aufzuzeigen und gleichzeitig einen optimierten Lösungsvorschlag zu erarbeiten. Diese Eigenschaft erhebt die Simulation zum führenden Werkzeug in der Planung, Kontrolle und Optimierung von komplexen Produktionssystemen und dies nicht nur in der Automobilindustrie. Im Hinblick auf die „digitale Fabrik“ spielt die Materialflusssimulation die Vorreiterrolle. Durch das digitale Abbild von allen Anlagenstrukturen und Steuerungslogiken als Modell im Computer ist die Simulation das Grundgerüst der „digitalen Fabrik“ und daher unverzichtbar für aktuelle und zukünftige Planungsaufgaben.

Page 11: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

3

1.2 Vorstellung des Produktionssystems und der Aufgabenstellung

Die Aufgabenstellung ergibt sich aus der dargelegten Motivation. Es soll mit Hilfe der Materialflusssimulation ein Produktionssystem optimiert werden. In diesem speziellen Fall handelt es sich um zwei miteinander verbundene Hallen, in denen jeweils Fahrwerkskomponenten für die aktuellen Modellserien des Volkswagen Konzerns gefertigt werden. Im folgenden wird eine kurze Beschreibung der Anlagen- und Logistikstruktur, die zu analysieren und optimieren sind, gegeben. Die nachstehende Abb.1.01 zeigt eine grobe schematische Darstellung des Produktionsprozesses.

Abb.1.01 – Schematische Darstellung des Produktionssystems

Zu Beginn der Produktion schweißen verschiedene Anlagen (grün) Rohteile zusammen. Dabei existiert für jedes Teil, das produziert wird, mindestens eine separate Anlage. Nach dem Schweißen werden die Teile zur Lackanlage (gelb) transportiert, dort lackiert und mit einer Schutzschicht überzogen, damit später das Bauteil gegen Umwelteinflüsse geschützt ist. Von der Lackanlage werden die Teile zu weiteren Produktionsanlagen (blau) gebracht, wo die abschließende mechanischen Bearbeitung und die Vorbereitung für den Versand stattfinden. Zusätzlich sind Bodenspeicher (braun) in den Hallen vorhanden. Dort werden die verschiedenen Teile zeitweilig zwischen gespeichert. Die Organisation und Verwaltung der Transportaufgaben übernimmt ein führerloses Transportsystem (FTS). Dieses besteht aus einer zentralen Logistiksteuerung und

Page 12: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

4

mehreren Stapler-ähnlichen Fahrzeugen, die sich völlig selbständig auf definierten Fahrwegen (rot) in den Produktionshallen bewegen und die dortigen Anlagen mit den jeweils benötigten Teilen versorgen. Das Bild eines einzelnen beladenen fahrerlosen Transportfahrzeuges (FTF) ist in der folgenden Abb.1.02 dargestellt.

Abb.1.02 – Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) vor einer Anlage

Dieses Produktionssystem ist sehr komplex und beinhaltet dadurch erhebliches und bisher noch nicht untersuchtes Optimierungspotential. Besonders das gesamte führerlose Transportsystem ist hier hervorzuheben. Daher wird das Hauptaugenmerk dieser Diplomarbeit auf der Analyse und Optimierung des FTS und dessen Einflüsse auf die verschiedenen Produktionsanlagen liegen. Von speziellem Interesse sind hierbei die sogenannten logistischen Verluste, die durch das führerlose Transportsystem verursacht werden. Diese treten immer dann auf, wenn eine Produktionsanlage arbeiten könnte, doch ihr die nötigen Teile fehlen, weil die Logistikanbindung es nicht geschafft hat, diese rechtzeitig an die betroffene Anlage zu liefern. Während der Planungsphase werden diese Produktionsausfälle mit einem konstanten Prozentwert angenommen, da zu diesem Zeitpunkt noch keine exakten Informationen darüber vorliegen. Auf Grund dieser Tatsache beinhalt die Optimierung des FTS großes Potential, da bereits jede Anlage für eine höhere Teilestückzahl ausgelegt ist und diese auch produziert, wenn die kalkulierten logistischen Verluste in der realen Anlage minimiert werden.

Page 13: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

5

Für die Analyse und anschließende Optimierung des gesamten Produktionssystems soll ein Simulationsmodell erstellt werden. Anhand von typischen Szenarien, die sich aus den Fragestellungen der laufenden Produktion ergeben, werden Vorschläge zur Verbesserung des aktuellen Systems erarbeitet. Im Vorfeld müssen allerdings wesentliche Analysen zur vorliegenden Ausgangssituation durchgeführt werden, um die vorhandenen Grundlagen exakt zu prüfen und die verschiedenen Randbedingen abzustecken. Hierzu werden verschiedene Konzepte erstellt, welche die Umsetzung der Anlagenstruktur in ein realitätsnahes und aussagekräftiges Simulationsmodell unterstützen. Dazu gehören primär die Festlegung der Anforderungen an das Modell, sowie Untersuchungen zur Bedienbarkeit und Oberfläche des Modells. Weiterhin sollen universelle Softwaremodule entwickelt und zum Aufbau des Modells verwendet werden, die ebenfalls für zukünftige Simulationsaufgaben mit ähnlichem Charakter genutzt werden können. Dazu existiert bereits eine Bausteinbibliothek. Diese wird durch die neu erstellten Module erweitert und aktualisiert. Nach der Validierung und Verifizierung des Simulationsmodells folgt die Durchführung der ausgewählten Experimente mit anschließender Präsentation der Ergebnisse.

1.3 Grundlagen und Randbedingungen

Als Simulationswerkzeug wird „eM-Plant“ von der Firma Tecnomatix eingesetzt. Dieses Tool ist im Volkswagen Konzern das Standardwerkzeug zur Materialflusssimulation und wird von speziell geschulten Mitarbeitern aus dem Bereich der Planung verwendet. Allerdings wird das Simulationsmodell nach der Fertigstellung nicht von diesen Experten benutzt. Vielmehr sind es die Verantwortlichen für die Produktionssteuerung, die das Modell einsetzen werden. Diese Tatsache stellt hohe Anforderungen an die Stabilität und Bedienbarkeit, da die Materialflusssimulation bisher nicht zum Aufgabenbereich dieser Mitarbeiter gehörte. Sie werden nicht ohne weiteres in der Lage sein, Fehlermeldungen zu interpretieren oder gar Erweiterungen am Modell durchzuführen. Damit stellt diese Zielgruppe besondere Ansprüche, die berücksichtigt werden müssen. Weiterhin spielt die Gestaltung der Benutzeroberfläche eine große Rolle. Die Anwender müssen sich in dem Simulationsmodell „wiederfinden“. Dazu gehört eine einfach und gleichzeitig ansprechende Darstellung, die aus dem Arbeitsalltag der zukünftigen Anwender bekannt ist. Weiterhin müssen die Ergebnisse nach Beendigung der Simulation automatisch so aufgearbeitet werden, dass keine Missdeutungen möglich sind.

Page 14: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

6

In der Planungsphase für den zu optimierenden Produktionsprozess wurden bereits zwei Simulationsmodelle erstellt. Es ist daher genau zu untersuchen, ob diese Modelle verwendet und erweitert werden können. Dazu ist eine intensive Analyse notwendig, die alle Vor- und Nachteile abwägt. Auf Basis dieser Informationen wird dann die Entscheidung getroffen, ob die Weiterverwendung eines der vorhandenen Modelle sinnvoll ist. Eventuell ist ein kompletter Neuaufbau eines Simulationsmodells besser geeignet, um die festgelegten Ziele des Projektes zu erreichen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, Softwaremodule einer vorangegangenen Diplomarbeit in modifizierter Form zu verwenden. Auch hier muss genau geprüft werden, welche benötigten Funktionen bereits abgedeckt sind und wie groß der Aufwand ist, diese Module gegebenenfalls an die veränderten Anforderungen anzupassen.

Da es sich bei diesem Projekt um die Untersuchung eines sehr umfangreichen und komplexen Produktionssystems handelt, müssen Annahmen und Abstrahierungen getroffen, sowie die Grenzen des Simulationsmodells klar definiert werden. Hier gilt es zu prüfen, welche Vereinfachungen zulässig sind und welche Auswirkungen sie auf die Ergebnisse der Simulation haben. Um die Systemgrenzen festzulegen, wird davon ausgegangen, dass die Schweißanlagen am Beginn der Produktion stets mit Rohteilen versorgt sind und die Anlagen, die fertige lackierte Teil für den Versand vorbereiten, diese immer an die nachfolgenden und dafür vorgesehenen Flächen abgeben können. Das heißt zusammengefasst, dass alle Einflussfaktoren außerhalb der Hallen nicht berücksichtigt werden. Einige Bereiche des Produktionssystems sind sehr individuell angelegt und erfordern unter Umständen eine nachträgliche Anpassung der universellen Softwaremodule, die in der Aufgabenstellung gefordert sind. Umgekehrt wird aber auch geprüft, ob hier nicht einige Vereinfachungen bei gleichzeitiger Verwendung dieser Softwaremodule zulässig sind.

Als Vorteil für die Simulation spricht ganz klar die Tatsache, dass die zu optimierenden Fertigungshallen existieren und so eine Vielzahl an Produktionsdaten vorhanden sind. Diese Informationen werden sehr detailliert im System zur Betriebsdatenerfassung (BDE) gespeichert. Die Daten bilden eine hervorragende Basis als Eingabedaten für das Simulationsmodell. Allerdings werden dort nicht alle benötigten Informationen abgelegt, so dass noch geprüft werden muss, wie die fehlenden Daten gemessen oder beschafft werden können. Diese sollen einfach und intuitiv zu ermitteln und anschließend problemlos ins Modell integrierbar sein.

Page 15: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

7

1.4 Ziele

Das primäre Ziel dieser Diplomarbeit ist die Untersuchung und Optimierung des beschriebenen Produktionsprozesses. Im Vordergrund steht dabei die Kostenreduzierung für zukünftige Investitionen zur Erweiterung der Anlagen- und Logistikstruktur. Weiterhin steht das führerlose Transportsystem im Mittelpunkt der Optimierungen. Hierbei soll vor allem die benötigte Anzahl an Fahrzeugen bei häufig auftretenden Situationen während der aktuellen Produktion bestimmt werden. Zudem soll ermittelt werden, wie groß die logistischen Verluste in den realen Anlagen wirklich sind. Auf dieser Basis werden Alternativen erarbeitet und gleichzeitig überprüft, um diese Produktionsausfälle zu minimieren. Für eine reibungslose Fertigung spielen die Arbeitszeitmodelle der einzelnen Anlagen ebenfalls eine wichtige Rolle. Das bedeutet, dass bisher die Einflüsse von Pausenzeiten in einzelnen Produktionsbereichen und die daraus möglicherweise resultierenden Beeinträchtigungen nachfolgender Produktionsanlagen unbekannt sind. Auch hier können Kosten gesenkt werden, wenn eine Harmonisierung und Koordination der Arbeitszeiten scheinbar unabhängiger Anlagen erreicht wird. Hier sind vor allem die Lohnkosten zu nennen, die gesenkt werden können, wenn Sonderschichten vermieden oder Schichten verkürzt werden. Weiterhin wird beabsichtigt, die Anzahl der produzierten Teile zu erhöhen, indem optimierte Schichtmodelle vorgeschlagen werden können. Zukünftig sollen in ausgewählten Szenarien aktuelle Problemsituationen analysiert werden, um den komplexen Produktionsprozess besser zu verstehen und Wechselwirkungen zu erkennen. Anhand dieser Szenarien werden kritische Situationen des Produktionsprozesses provoziert. Aus den Ergebnissen der Simulation werden dann Steuerlogiken und Strategien abgeleitet. Diese können in Notfallsituationen sofort herangezogen werden, um die Produktionsausfälle möglichst gering zu halten. Vor allem soll damit die Stillstandszeit der Gesamtproduktion reduziert werden. Durch all diese neuen Erkenntnisse wird die Transparenz des Fertigungsprozesses erhöht, damit in kritischen Situationen vor Ort die getroffenen Entscheidungen zur Produktionssteuerung schnell und vor allem sicher sind. Diese Sicherheit kann nur mit Hilfe der Materialflusssimulation und deren Ergebnissen gewährleistet werden.

Dies ist auch gleichzeitig das sekundäre Ziel. Es ist ein Simulationsmodell zu erstellen, das auf die vorliegenden Fragestellungen zugeschnitten ist. Das Modell muss die Funktionalität erfüllen, ausgewählte und daher besonders interessante Probleme zu untersuchen. Weiterhin ist eine anwenderfreundliche Bedienbarkeit und hohe Stabilität gefordert, so dass auch unerfahrene Simulationsanwender das Modell bedienen können. Dazu gehört die Parametrisierung von Simulationsläufen und besonders die korrekte Interpretation der Ausgabedaten. Hier dürfen keine Doppeldeutigkeiten oder gar

Page 16: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

8

Unklarheiten das Erkennen der korrekten Ergebnisse behindern. Weiterhin soll das Simulationsmodell aus universellen Softwaremodulen bestehen, die in zukünftigen Projekten mit ähnlichem Charakter eingesetzt werden können. Durch die Integration in die Bibliothek bestehender Software-Bausteine werden die während dieser Diplomarbeit ermittelten Erkenntnisse und das erreichte Know-how dauerhaft konserviert.

Zusammenfassend sind folgende Ziele durch diese Diplomarbeit zu erreichen:

• Analyse eines komplexen Produktionssystems mittels eines geeigneten Simulationsmodells

• Aufzeigen von Optimierungspotential, besonders bei der Logistikanbindung

• Kostenreduzierung durch gezielte Verbesserungsvorschläge

• Harmonisierung des gesamten Produktionsprozesses durch aufeinander abgestimmte Schichtmodelle

• Entwicklung von Notfallsstrategien anhand kritischer Szenarien

Das Erreichen dieser Ziele trägt maßgeblich dazu bei, die Wirtschaftlichkeit des betrachteten Produktionssystems zu erhöhen und dadurch Kosten zu reduzieren. Gleichzeitig werden zukünftig alle Entscheidungen zur Planung und Produktionssteuerung unterstützt durch die fundierten Simulationsergebnisse. Alle diese entscheidenden Vorteile vereinigen sich in der „digitalen Fabrik“. Durch diese Diplomarbeit wird die Umsetzung der „digitalen Fabrik“ im Volkswagen Konzern einen wichtigen Schritt vorangebracht.

Page 17: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

9

2 Grundlagen, Konzepte, Randbedingungen

Zu Beginn dieses Kapitels wird ein umfangreicher Anforderungskatalog für das Simulationsmodell erarbeitet, damit sichergestellt wird, dass alle im ersten Kapitel definierten Ziele erreicht werden. Dazu gehören vor allem die Festlegungen der zu untersuchenden Szenarien, die Gestaltung der Benutzeroberfläche, sowie die Bestimmung des zulässigen Abstraktionsgrades im Modell. Die Basis dieses Anforderungskataloges bilden mehrere Konzepte, die im Vorfeld erstellt werden. Diese Grundlagen bestehen aus einer Bestandsaufnahme des zu optimierenden Produktionssystems und der Anforderungen der späteren Benutzer des Modells. Weiterhin werden existierende Lösungen anderer Simulationsmodelle überprüft und bewertet. Auf dieser Basis wird dann ein Gesamtkonzept der benötigten Softwarebausteine erstellt.

2.1 Anforderungen an das Simulationsmodell

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Analyse und der Optimierung der komplexen Logistikanbindung der Anlagenstruktur. Dazu werden ausgewählte Szenarien ermittelt und hier vorgestellt. Die Entscheidungen, die auf Grund der Simulationsergebnisse getroffen werden, haben großen Einfluss auf den gesamten Produktionsprozess und die Investitionslage. Das betrifft zum einen die Neubeschaffung oder Reduzierung von logistischem Material, wie z.B. die fahrerlosen Transportfahrzeuge, sowie zum anderen die Umstrukturierung bestehender Schichtsysteme. Im Mittelpunkt steht aber immer die Erhöhung der produzierten Teile durch Verringerung der logistischen Verluste bei gleichzeitiger Reduzierung der Betriebskosten. Ferner liegt ein Schwerpunkt auf einer bedienerfreundlichen Oberfläche des Simulationsmodells und einer anschließenden Aufbereitung der Ergebnisse.

2.1.1 Fragestellungen und Szenarien

Die Szenarien und die sich daraus ergebenen Einflussfaktoren sind mit den Verantwortlichen der Produktionssteuerung abgestimmt und daher im Simulationsmodell exakt auf ihre Anforderungen zugeschnitten. Die aktuellen Fragestellungen können so mit gezielten Experimenten untersucht werden.

Page 18: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

10

Besonders interessant ist die Frage nach der Anzahl der benötigten fahrerlosen Transportfahrzeuge in bestimmten Situationen, wie z.B. bei laufender Produktion, beim Stillstand einiger Anlagen und bei kurzzeitiger Erhöhung der zu fertigenden Teilestückzahl. Dazu müssen Untersuchungen durchgeführt werden, wie das gesamte System auf die dynamische Reduzierung bzw. Erhöhung der Anzahl der FTF reagiert. Darunter ist hier zu verstehen, dass während einer Schicht ein Fahrzeug komplett ausfällt und erst wieder in der darauffolgenden Schicht oder gar erst am nächsten Tag wieder zur Verfügung steht. Wie verkraftet das Produktionssystem den relativ langen Ausfall eines Fahrzeugs? Welche Anlagen sind davon am meisten betroffen? Welche Anlagen profitieren wiederum besonders von der Erhöhung der Fahrzeuganzahl?

Weiterhin ist die Anzahl der benötigten Lackiergestelle (LGs) ein wichtiger Punkt zur Optimierung. Ein Lackiergestell (LG) ist eine in ihrer Dimension genormte Transporteinheit für die FTFs. Für jede zu fertigende Fahrwerkskomponente wird ein spezielles Lackiergestell benötigt. Daher befinden sich davon sechs verschiedene Typen im Umlauf. Die individuelle Anzahl der LGs ist stark abhängig von der zu produzierenden Stückzahl des jeweiligen Teiles. Wenn sich allerdings in der Summe zu viele Gestelle im Umlauf befinden, kann es passieren, dass die Fahrzeuge zu sehr damit ausgelastet sind, diese zusätzlichen LGs zu transportieren. So entsteht das Problem, dass andere Produktionsanlagen vernachlässigt werden, indem sie nicht mit dringend benötigten Lackiergestellen beliefert werden oder die bearbeiteten LGs nicht mehr abgeholt werden. Das hat zur Folge, dass dort weniger Teile produziert werden können und die logistischen Verluste stark ansteigen. Wenn auf der anderen Seite zu wenige Lackiergestelle im Umlauf sind, dann kommt es vor, dass die Schweißanlagen ausgebremst werden, da leere Gestelle fehlen oder die entsprechenden Montageanlagen stehen bleiben, da diese nicht mit vollen Gestellen mit lackierten Teilen beliefert werden. Die Aussage zur optimalen Anzahl der verschiedenen LGs ist schwierig, da mehrere Einflussfaktoren die benötigte Stückzahl an Gestellen bestimmen. Diese sind:

• Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge

• Höhe der Produktion der jeweilige Fahrwerkskomponente

• Größe der vorhandenen Bodenspeicherplätze in den Produktionshallen

• Kurzzeitig erhöhte Produktion in einigen Anlagen des Produktionssystems

Diese Faktoren haben gegenseitig einen sehr starken Einfluss aufeinander, die eine exakte Aussage zur benötigten Anzahl an Lackiergestellen unmöglichen machen. Nur unter Zuhilfenahme der Materialflusssimulation ist es möglich, hier verlässliche

Page 19: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

11

Aussagen zu treffen. Daher muss im verwendeten Simulationsmodell gewährleistet sein, dass es wie im realen System einen Kreislauf der Lackiergestelle gibt, um diese Fragestellung beantworten zu können. Weiterhin soll in Experimenten die Anzahl der jeweiligen LGs und somit ebenfalls deren Gesamtanzahl variiert werden können.

Zur Aufgabe der Produktionssteuerung gehört ebenfalls die Koordinierung von Schichtplänen für den gesamten Fertigungsprozess. Bisher sind die Arbeitszeiten der einzelnen Anlagen im Produktionssystem nicht aufeinander abgestimmt. Das bedeutet, dass alle Anlagen den gleichen Schichtbeginn und ebenfalls zur selben Zeit Pause haben. Lediglich die Lackanlage läuft durchgängig, da es aus wirtschaftlichen und qualitativen Gesichtpunkten nicht sinnvoll ist, diese für eine Pause kurzzeitig anzuhalten. Dadurch entstehen allerdings Probleme mit der Auslastung der fahrerlosen Transportfahrzeuge. In den Schichtpausen liefern sie Gestelle mit unlackierten Teilen, die in den Bodenstellplätzen zwischengespeichert wurden, an die Lackanlage. Da nun alle anderen Anlagen gleichzeitig mit der Arbeit wieder beginnen, aber die FTFs teilweise mit anderen Transportaufgaben beschäftigt sind, stauen sich abholbereite Lackiergestelle an den Produktionsanlagen. Dies führt dann unweigerlich zu Stillständen und demzufolge zu logistischen Verlusten. Parallel dazu müssen die Montagen einige Zeit warten, bis wieder die ersten vollen Lackiergestelle dort eintreffen. Diese Verzögerung verringert die produzierte Teilestückzahl, da die Maschinen dann nicht voll ausgelastet sind und verringert gleichzeitig ebenso die Wirtschaftlichkeit. Daher ist der Einsatz von Mitarbeitern durch Abstimmung der Arbeitszeitmodelle und besonders der Pausenzeiten aufeinander ein großer Kostenfaktor mit hohem Optimierungspotential.

2.1.2 Benutzerinterface

Die Oberfläche des Simulationsmodells und die Darstellung der Simulationsergebnisse haben einen großen Einfluss auf die Akzeptanz und die kontinuierliche Verwendung des Modells. Da es sich bei den Anwendern nicht um Simulationsexperten handelt, muss das Modell dem bekannten „Look and Feel“ von bereits eingesetzten Softwareprodukten entsprechen. Durch dieses Abstimmen werden Einarbeitungszeiten mit dem Simulationsmodell verkürzt und Bedienungsfehler vorgebeugt. Weiterhin werden die bekannten Layouts der Fabrikplanung und der Produktionsanlagen benutzt, sowie die aus dem Arbeitsalltag bekannte Namensgebung verwendet. Daher werden zur Parametrisierung des Modells und Festlegung der Experimente Tabellen im Stil von „Microsoft Excel“ angelegt. Alle hierin aufgeführten Informationen tragen die wohl bekannten Bezeichnungen.

Page 20: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

12

Als weitere wichtige Anforderung an das Modell darf die Darstellung der Ergebnisse keine Zweideutigkeiten erlauben. Das heißt, die Simulationsergebnisse müssen am Ende der Experimente automatisch aufbereitet werden. Die Darstellungsform soll dem in Abb.2.01 gezeigten Diagramm entsprechen. Sie zeigt beispielhaft den zeitlichen Verlauf einer beobachteten Größe (blau) für jeden einzelnen Simulationslauf, sowie den daraus resultierenden Mittelwert (rot). Dieser Verlauf ist mit einem Elektrokardiogramm (EKG) vergleichbar. Hierbei werden ebenfalls die „Lebensfunktionen“ visualisiert. Anhand von entsprechenden Charakteristika in diesem Diagramm können nun sehr einfach und schnell Rückschlüsse auf die Auswirkung der Experimente im Produktionsprozess erkannt werden.

Abb.2.01 – Beispielhafte Darstellung der Simulationsergebnisse

Durch diese gemeinsam mit den Verantwortlichen abgestimmte Darstellung aller Ergebnisse der Simulationsläufe wird stets gewährleistet, dass alle betrachteten Szenarien schnell und vor allem fehlerfrei ausgewertet werden können. Die Interpretation der Ergebnisse lässt keine Missdeutungen zu. Als Beobachtungsgröße kann z.B. der Verlauf von Pufferfüllständen oder die Auslastung von Produktionsanlagen auf der y-Achse des Diagramms aufgetragen werden. Weiterhin ist diese Darstellung besonders gut geeignet, um die Auswirkungen auf das Produktionssystem durch die dynamische Reduzierung bzw. Erhöhung der verfügbaren Fahrzeuge aufzuzeigen.

Ergebnis der Simulation

Zeitachse t

Beo

bac

htu

ng

sgrö

ße

x

Page 21: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

13

2.2 Gegenüberstellung der Anforderungen mit vorhandenen Lösungen

Es existieren bereits zwei verschiedene Simulationsmodelle mit denen das Produktionssystem in der Vergangenheit analysiert wurde. Diese Grundlagen werden im folgenden Abschnitt genauer untersucht. Die eingehende Analyse bildet die Voraussetzung für die Entscheidung, ob eines der vorhandenen Simulationsmodelle benutzt und erweitert wird, oder ob ein komplett neues Modell zu erstellen ist.

2.2.1 Modell zur Analyse des führerlosen Transportsystems

Das erste Simulationsmodell, das sich in Ansätzen mit der Analyse und Optimierung dieses Produktionssystem befasst hat, kommt direkt vom Lieferanten des führerlosen Transportsystems und wurde während der Planungsphase erstellt. Hier lag der Schwerpunkt der Untersuchungen und Experimente auf der Bestätigung der geforderten Leistung des installierten FTS. Dafür sind eine Vielzahl von Vereinfachungen getroffen wurden, die der aktuellen Situation nicht entsprechen. Die folgende Tabelle ist eine Gegenüberstellung der wichtigsten Argumente, die für und gegen die Weiterverwendung dieses Simulationsmodells sprechen. Im Vordergrund steht dabei stets die Frage, ob die in Kapitel 2.1 definierten Anforderungen bezüglich der Szenarienauswahl und der Benutzeroberfläche eingehalten werden können.

Tab.2.01 – Pro und Kontra des ersten Simulationsmodells

Pro Kontra

- Sehr detaillierte Modellierung des gesamten FTS

- Zielstellung dieses Modells

- Keinen geschlossenen Kreislauf von Lackiergestellen

- Stark idealisierte Anlagen

Page 22: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

14

Für die Weiterentwicklung dieses Modells spricht die sehr genaue Abbildung des gesamten führerlosen Transportsystems. Hier kommt dem Modell zu Gute, dass viele Detailinformationen vorhanden und umgesetzt wurden sind, um die installierte Leistung des FTS überprüfen und gewährleisten zu können. Hieraus ergibt sich aber auch gleichzeitig der größte Kritikpunkt am Simulationsmodell. Die aktuellen Fragestellungen können nicht ohne erheblichen Programmieraufwand beantwortet werden. Es besteht nicht die Möglichkeit, die gewünschten Experimente und Szenarien durchzuführen. Weiterhin existiert kein geschlossener Kreislauf für die verschiedenen Lackiergestelle und alle Produktionsanlagen arbeiten unter Optimalbedingungen. Hier wurde jeweils eine idealisierte Lösung umgesetzt. So sind z.B. keine unterschiedlichen Schichtmodelle implementiert und die realen Produktionsstückzahlen werden ebenfalls nicht berücksichtigt.

In der Summe aller betrachteten Faktoren ist das erste der vorhandenen Simulationsmodelle nicht dazu geeignet, die neuen Problemstellungen zu lösen und die erwarteten Anforderungen zu erfüllen. Diese ist nur mit einem riesigen Einarbeitungs- und Programmieraufwand möglich. Daher wird das Modell als verwendbare Alternative verworfen.

2.2.2 Gesamtmodell während der Planungsphase

Das zweite hier betrachtete Simulationsmodell ist ebenfalls schon in der Planungsphase entstanden und wurde dazu verwendet, die mehr als zwei Jahre zurückliegende Planung des gesamten Produktionsprozesses abzusichern. Inzwischen befindet sich das Modell nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Das bedeutet, dass in den letzten Jahren viele Veränderungen am Layout der Produktionsanlagen und Logistikanbindung vorgenommen und diese im Simulationsmodell nicht aktualisiert wurden. So müssen zusätzliche Produktionsanlagen und neue Steuerstrategien noch in das Modell nachimplementiert werden. Des weiteren ist es noch in einer älteren Version des Simulationswerkzeuges „eM-Plant“ erstellt und daher nicht ohne beträchtliche Anpassung an den aktuellen Stand der Simulationssoftware lauffähig. Zusätzlich wurde das Modell von einem externen Simulationsdienstleister mit dessen eigenen Softwaremodulen erstellt. Diese sind in ihrem Aufbau und der Handhabung sehr komplex, da viele unterschiedliche Funktionen mit einem einzigen Modul abgedeckt werden. Daher ist die Bedienung, aber vor allem die Erweiterung dieser Softwaremodule sehr schwierig. Alle hier aufgeführten Argumente zum zweiten vorhandenen Simulationsmodell sind in der Tabelle auf der nächsten Seite zusammengefasst.

Page 23: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

15

Tab.2.02 – Pro und Kontra des zweiten Simulationsmodells

Das zweite Simulationsmodell erfüllt bereits viele der Anforderungen. So sind die beiden Produktionshallen mit den Anlagen und dem führerlosen Transportsystem detailliert abgebildet. Dadurch sind einige der Experimente und Szenarien durchführbar, die von aktuellem Interesse sind. Als sehr nachteilig wirkt sich allerdings aus, dass der Stand des Modells schon mindestens zwei Jahre alt ist. Dies gilt für das abgebildete Hallenlayout und besonders für die verwendete Softwareversion. Da das Simulationsmodell zu den aktuellen Fragestellungen noch eine gewisse Zeit genutzt werden soll, ist nicht sichergestellt, dass die ältere Version der Simulationssoftware noch lang genug unterstützt wird. Hier stellen vor allem die Volkswagen-internen Richtlinien zur Softwarearchitektur eine große Hürde dar. Eine nachträgliche Implementierung der benötigten Ergänzungen am Simulationsmodell ist ebenfalls ausgeschlossen, da keine Dokumentation des Quelltextes existiert. Das eigenständige Erarbeiten des benötigten Wissens, um die komplexen Softwaremodule anzupassen und zu erweitern, ist zu zeitaufwendig. Des weiteren kann nicht vollständig garantiert werden, dass die Erweiterungen dann korrekt funktionieren und demzufolge aussagekräftige Ergebnisse erreicht werden.

Das zweite vorhandene Simulationsmodell muss als homogenes und abgeschlossenes Produkt angesehen werden. Die neu benötigten Erweiterungen können nicht hinzugefügt werden, so dass im Modell das aktuelle Layout der Produktionshallen nicht abzubilden ist. Diese Tatsache ist daher das entscheidende Argument, dass gegen die Weiterverwendung dieses Simulationsmodells spricht.

Pro Kontra

- Detaillierte Modellierung der Anlagen und des FTS

- Aktualität des Anlagen- und Logistiklayouts

- Ältere Softwareversion

- Komplexe Modellierung

Page 24: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

16

2.2.3 Bewertung

Nach intensiver Analyse der vorhandenen Modelle und Gegenüberstellung mit den neuen Anforderungen und Zielen hat sich gezeigt, dass keines dieser beiden als Grundlage bzw. als Ausgangspunkt Verwendung finden kann. Somit wird ein komplett neues Simulationsmodell erstellt. Hierbei werden nun besonders die gestellten Forderungen zur Benutzeroberfläche und Darstellung der Ergebnisse berücksichtigt. Weiterhin kann während der Modellierung auf eine umfangreiche Bibliothek an Softwaremodulen zurückgegriffen werden. Dazu gehören vor allem Module zur Abbildung von Produktions- und Montageanlagen, sowie der Logistiksteuerung. Diese werden ebenfalls in weiteren aktuellen Projekten eingesetzt und haben daher einen hohen Bekanntheitsgrad und Akzeptanz innerhalb des Volkswagen Konzerns. Dadurch verfügen diese Softwaremodule bereits über eine benutzerangepasste Bedienoberfläche und lassen sich darüber hinaus einfach an neue Bedürfnisse anpassen. Dieser Vorteil wird durch die Neuerstellung eines Simulationsmodells genutzt, um kosten- und zeitoptimiert die geforderten Ziele zu erreichen.

2.3 Vorstellung des Produktionssystems

Nachdem nun die Erstellung eines komplett neuen Simulationsmodells entschieden wurde, muss das zu optimierende Produktionssystem eingehend untersucht werden, um die realistische Abbildung und Modellierung zu gewährleisten. Daher wird im folgenden eine genauere Betrachtung bestimmter Anlagen und derer Besonderheiten beschrieben. Dabei werden die fahrerlosen Transportfahrzeuge, die Produktionsanlagen und die Logistiksteuerung getrennt voneinander betrachtet, da hier jeweils andere Charakteristika hervorzuheben sind.

2.3.1 Fahrerlose Transportfahrzeuge

Die fahrerlosen Transportfahrzeuge sind für die Beförderung der einzelnen Fahrwerkskomponenten verantwortlich. Dazu wird das Transportgut in jeder der Anlagen einzeln in die speziellen Lackiergestelle eingelegt. Diese Gestelle bieten Platz für mehrere der Einzelteile, die von den Produktionsanlagen hergestellt werden. Die fahrerlosen Transportfahrzeuge holen selbständig die Gestelle bei den Anlagen ab und bringen sie zum richtigen Zielort. Das kann jeweils die Lackanlage, eine andere Produktionsanlage oder ein Platz im Bodenspeicher sein. Die Fahrzeuge bewegen sich völlig frei auf ihrem definierten Fahrweg durch die beiden Produktionshallen. Sie

Page 25: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

17

orientieren sich mittels Funksender und erkennen Hindernisse auf ihrem Weg von allein und reagieren entsprechend.

Die Eigenschaften der FTF eignen sich sehr gut, um in einem Simulationsmodell abgebildet zu werden. Die Fahrzeuge bewegen sich mit einer konstanten Geschwindigkeit und folgen stets bestimmten Grundregeln. So nimmt ein FTF immer den kürzesten Weg von seiner aktuellen Position bis zum Ziel. Weiterhin gibt es Bereiche auf dem Fahrweg, in denen sich nur eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen gleichzeitig aufhalten bzw. bewegen darf. Dies ist meistens der Fall, wenn ein FTF in den Rangierbereich einer Fertigungsanlage einfährt. Allerdings existiert für fast jede Anlage ein spezielles Fahrverhalten, da bedingt durch das Hallenlayout hier stets individuelle Lösungen installiert sind. An dieser Stelle muss ein Konzept entwickelt werden, um diese verschiedenen Speziallösungen in einem allgemeingültigen Regelsatz abzubilden. Ein weiterer großer Vorteil zur realistischen Abbildung des Transportsystems in einem Simulationsmodell liegt in der vorliegenden Streckencharakteristik. Fast alle Abschnitte des Fahrweges sind Einbahnstraßen. Das ist in der Abb.1.01 des ersten Kapitels zu erkennen. Auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein hat, dass sich Fahrzeuge in einigen Abschnitten der Produktionshallen entgegenkommen können, so ist es aber nicht möglich, die Fahrtrichtung durch einfaches Wenden, wie auf einer zweispurigen Strasse, zu ändern. Dies ist nur an den wenigen Kreuzungspunkten am Ende des jeweiligen Fahrweges erlaubt. An diesen Kreuzungen hat dann dasjenige FTF Vorfahrt, das die Kreuzung zu erst erreicht hat. Weiterhin muss der „Faktor Mensch“ bei der Modellierung der fahrerlosen Transportfahrzeuge nicht berücksichtigt werden. Die physikalischen Eigenschaften eines FTF sind stets konstant und die festen Verhaltensregeln können ebenfalls nicht geändert werden. Maximal als Hindernis auf dem Fahrweg ist es möglich, kurzzeitig ein Fahrzeug zu behindern und dadurch zu beeinflussen.

Page 26: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

18

2.3.2 Anlagen und Bodenspeicher

Bei den Produktionsanlagen existieren drei verschiedene Arten. Dazu werden hier ebenfalls die Bodenspeicher mit aufgeführt, die in den Hallen zur Verfügung stehen:

• Schweißgruppen

• Montagen

• Lackanlage

• Bodenspeicher

Die Produktionsanlagen sind jeweils Quelle und Senke für eine ganz bestimmte Variante von Lackiergestellen. Zum Beispiel ist eine Schweißanlage immer eine Senke für leere Lackiergestelle, da diese Anlage leere Gestelle mit Teile befüllt. Dadurch ist sie gleichzeitig aber auch eine Quelle für volle LGs mit unlackierten Teilen. In der nachstehenden Tab.2.03 sind diese Zusammenhänge noch mal für die verschiedenen Anlagen genau dargestellt.

Tab.2.03 – Tabelle zur Quelle-Senke-Beziehung

Die Bodenspeicher sind in der Tab.2.03 nicht extra aufgeführt, da sie für jedes unterschiedlich beladene Lackiergestell stets Quelle und Senke gleichzeitig sind. Das ist zulässig, da in den Bodenstellplätzen keine Bearbeitung der Teile stattfindet, sondern diese dort nur zeitweilig zwischengelagert werden.

Schweißgruppen Lackanlage Montagen

Leeres LG Senke - - - Quelle

LG mit unlackierten Teilen

Quelle Senke - - -

LG mit lackierten Teilen

- - - Quelle Senke

Page 27: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

19

S c h w e iß g r u p p e n

B o d e n s p e ic h e r L a c k a n la g e

M o n t a g e n

S c h w e iß g r u p p e n

B o d e n s p e ic h e r L a c k a n la g e

M o n t a g e n

S c h w e iß g r u p p e n

B o d e n s p e ic h e r L a c k a n la g e

M o n t a g e n

Diese Quelle-Senke-Beziehung ist besonders wichtig, um die Transporte durch die FTFs zu koordinieren. Es kann stets nur ein Transport zwischen einer Quelle und der dazugehörigen Senke erfolgen. Dadurch entsteht ein kontinuierlicher Kreislauf der Lackiergestelle. In der folgenden Abb.2.02 ist dieser Materialfluss schematisch dargestellt. Die Lackanlage ist im gesamten Produktionsprozess die zentrale Anlage, da diese von allen Fahrwerkskomponenten auf den LGs einmal durchlaufen werden muss. Die Bodenspeicher werden nur dann benutzt, wenn Lackiergestelle nicht an die jeweilige Zielanlage geliefert werden können. Diese Situation tritt ein, wenn z.B. nach Störungen diese Produktionsanlage im Moment keine weiteren Lackiergestelle aufnehmen kann.

Abb.2.02 – Materialfluss der Lackiergestelle

Da jede Abgabe- und Aufnahmemöglichkeit von Lackiergestellen an den Anlagen und Bodenspeichern individuell angelegt ist, muss hier für die Implementierung in ein geeignetes Simulationsmodell eine allgemeingültige Vereinfachung erarbeitet werden. Es ist in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht realisierbar, für jede Schnittstelle von den Produktionsanlagen zum Fahrweg die reale Steuerung und das exakte Verhalten der Fahrzeuge nachzubilden. Daher muss mit den Verantwortlichen für die Produktionssteuerung ein abstraktes, aber zugleich valides Modell erarbeitet werden. Als besonders kritisch für den optimalen Materialfluss hat sich die Situation herausgestellt, wenn ein Fahrzeug in einen Abgabe- bzw. Aufnahmebereich einer Anlage rangiert. Solange dies der Fall ist, wird der parallele bzw. der direkt davor befindliche Fahrweg blockiert und andere FTFs müssen solange ihre Fahrt

Page 28: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

20

unterbrechen, bis das einfahrende Fahrzeug den Fahrweg komplett verlassen und somit wieder frei gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist es sehr einfach möglich über den „Faktor Zeit“ ein allgemeingültiges Modell für die Schnittstelle „FTS-Fahrweg – Anlagen“ zu entwickeln. Das bedeutet, dass durch ein exaktes Bestimmen der Rangierzeiten ermittelt werden kann, wie lange Wechselwirkungen zwischen einem ein- bzw. ausfahrenden FTF und dem angrenzenden Fahrweg besteht. Diese Abstrahierung kann nach sorgfältiger Prüfung aller vorhandenen Abgabe- und Aufnahmemöglichkeiten an den Anlagen für ein Simulationsmodell benutzt werden. Der Parameter „Rangierzeit“ wird zu einer primären Eingabegröße des Simulationsmodells und bedarf dadurch einer sehr exakten Verifizierung während der Datenmessung.

Als Ergebnis der recherchierten Gegebenheiten vor Ort und den daraus erarbeiteten Anforderungen an das Simulationsmodell steht das Konzept eines universellen Softwaremoduls, das Interface. Hieran können alle vorgestellten Anlagentypen angebunden werden. Weiterhin bietet das Interface die Möglichkeit, jede der angebundenen Anlagen in einem beliebigen Abstraktionsgrad abzubilden. Diese Eigenschaft unterstützt die nachträgliche Detaillierung des künftigen Simulationsmodell. Gleichzeitig wird die Modellierung der „Rangierzeit“ berücksichtigt und so die ausschlaggebenden Wechselwirkungen zwischen Anlage und Fahrweg korrekt abgebildet. Es existieren einzelne Anlagen und Bodenspeicher, die nicht nur ihren eigenen vorgelagerten Fahrkursbereich beeinflussen, sondern darüber hinaus ebenfalls andere Abschnitte des Fahrwegs. Diese Anzahl ist allerdings sehr gering und wird daher im Simulationsmodell separat und individuell angepasst abgebildet. Diese spezielle Steuerung ist dann nicht Bestandteil der neuen Softwaremodule.

2.3.3 Logistiksteuerung

Die Logistiksteuerung ist das Herzstück des führerlosen Transportsystems und verantwortlich für die komplette Organisation und Koordinierung des Materialflusses der Lackiergestelle innerhalb des Produktionssystems. Sie ist primär dafür zuständig, dass die LGs an den Anlagen durch die fahrerlosen Transportfahrzeuge abgeholt werden und ihren richtigen Zielort erreichen. Die folgende Abb.2.03 auf der nächsten Seite zeigt eine schematische Darstellung, wie die Logistiksteuerung im einzelnen funktioniert.

Page 29: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

21

Abb.2.03 – Arbeitsweise der Logistiksteuerung

Um einen Transport durch ein FTF veranlassen zu können, müssen Meldungen und Anforderungen nach Lackiergestellen von den verschiedenen Anlagen und den Bodenspeichern vorliegen. Das heißt, dass alle Produktionsanlagen an die zentrale Logistiksteuerung melden, wenn sie LGs benötigen (Anforderung) und LGs zur Abholung bereit stehen (Meldung). Daraus ermittelt die Logistiksteuerung eine Transportanforderung, wenn eine Anforderung zu einer Meldung passt. Das ist immer dann der Fall, wenn z.B. eine Montage ein leeres Lackiergestell gemeldet und die dazugehörige Schweißgruppe ein entsprechendes leeres LG anfordert. Für die so bestimmte Transportanforderung wird nun ein freies Fahrzeug gesucht, damit ein Transportauftrag erzeugt werden kann und das leere Lackiergestell von der Montage zur Schweißanlage gebracht wird. Sollte mal kein freies FTF vorhanden sein, werden alle Transportanforderungen gesammelt und dann später versucht einem Fahrzeug zu zuordnen, sobald eines nach der Beendigung eines anderen Auftrages wieder frei ist.

In einer vorangegangenen Diplomarbeit wurde ebenfalls eine komplette Fertigung in einem Simulationsmodell abgebildet. Hierbei wurde die Logistikanbindung allerdings durch Gabelstapler und nicht durch ein führerloses Transportsystem bewerkstelligt. Die hierfür entwickelten Softwaremodule zur Steuerung des Gabelstaplerverkehrs sind als Softwaremodule in der Bausteinbibliothek hinterlegt und lassen sich gut an die Bedingungen und Besonderheiten des FTS anpassen. Dazu müssen allerdings die Schnittstellen zwischen dem neuen Interface-Baustein und den bestehenden Modulen der Logistiksteuerung sehr genau aufeinander abgestimmt werden. Weiterhin sind

Meldung

Transportanforderung

Anforderung

Transportauftrag

Freies Fahrzeug

Anlagen Bodenspeicher Lackanlage

Meldung

Transportanforderung

Anforderung

Transportauftrag

Freies Fahrzeug

Anlagen Bodenspeicher Lackanlage

Page 30: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

22

zusätzliche Erweiterungen an der vorhandenen Steuerung notwendig, um die spezifische Auftragszuordnung an die einzelnen FTFs korrekt abzubilden. Diese Anpassungen beziehen sich vor allem auf die optimierte Zuweisung von Transportanforderungen und Transportaufträgen, die im realen Produktionssystem vorhanden sind. Daher ist es unerlässlich, die existierenden Optimierungen in das neue Simulationsmodell zu integrieren, um eine realistische Abbildung des gesamten Produktionsprozesses zu erstellen. Die Umsetzung und genaue Funktionsweise wird im Kapitel 3.2 beschrieben.

2.4 Bewertung der Grundlagen und vorliegenden Gegebenheiten

Nach der eingehenden Analyse aller gegebenen Grundlagen und der im Vorfeld definierten Anforderungen ist die einzige umsetzbare Möglichkeit diese Ziele zu erreichen, der Aufbau eines neuen Simulationsmodells. Dadurch können die späteren Anwender aktiv auf die Gestaltungen der Oberfläche und der Szenarienauswahl Einfluss nehmen. Weiterhin werden die vorhandenen Softwaremodule erweitert und vervollständigt, so dass zukünftige Projekte von den zusätzlich entwickelten Modulen profitieren. Es werden dadurch die Entwicklungskosten und Einarbeitungszeit drastisch reduziert.

Während der detaillierten Analyse der verschiedenen Elemente des Produktionssystems hat sich ein weiteres, abstraktes Konzept herausgestellt. Dieses wird im folgenden als der „Körper“ und der „Geist“ bezeichnet. Den „Körper“ bilden die Anlagen- und Bodenspeicherstruktur, sowie das starre physikalische Verhalten der fahrerlosen Transportfahrzeuge auf dem Fahrweg. Der „Geist“ ist die Logistiksteuerung, die für das Zuweisen von Transportaufträgen und Zielen verantwortlich ist. Ohne einen funktionierenden „Geist“ bewegen sich die Fahrzeuge ziellos umher und gehorchen nur ihrem fest vorgegebenen Regelsatz. Die hier aufgezeigte Trennung entspricht ebenfalls der realen vorhandenen Situation und erleichtert auf der anderen Seite gleichzeitig die Implementierung im Simulationsmodell.

Durch die klare Zieldefinition der Modellierungsschwerpunkte für das Simulationsmodell im Vorfeld wird gewährleistet, dass ein Modell erstellt wird, das die gestellten Anforderungen erfüllt. Dazu tragen die hier entwickelten Konzepte zur Implementierung bei. Die Ergebnisse dieses zweiten Kapitels bilden die Grundlage für die folgenden Kapitel.

Page 31: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

23

3 Modellerstellung

In diesem Kapitel wird besonders auf die einzelnen Teilschritte der Modellerstellung eingegangen, sowie die aufgetretenen Probleme und deren Lösungen beschrieben. Im weiteren werden die zu entwickelnden und benötigten Softwaremodule, sowie die Adaption der existierenden Logistiksteuerung beschrieben. Hier kommt das bekannte Konzept von „Körper“ und „Geist“ zum tragen, das sich während der Modellierung als sehr effektiv herausgestellt hat. Abschließend wird das Simulationsmodell vorgestellt und die Methodik zur Validierung und Verifizierung dargelegt.

3.1 FTS-Wege-Module

Der gesamte Fahrweg lässt sich trotz vieler individueller Besonderheiten in der Realität sehr gut durch wenige Softwaremodule abbilden. Diese bilden den „Körper“ des zukünftigen Simulationsmodells, welcher die kompletten Fahreigenschaften der FTF übernimmt. Jeder Softwarebaustein verfügt über allgemeine Attribute, die für ein realistisches Verhalten der fahrerlosen Transportfahrzeuge auf dem Fahrweg sorgen. Dazu gehören die Länge, die gefahrene Geschwindigkeit auf dem Weg und die zulässige Maximalanzahl der FTF. So lässt sich der gesamte Fahrweg in einzelne Abschnitte unterteilen und später effektiv und zeitoptimiert modellieren.

3.1.1 Vorstellung der entwickelten Softwaremodule

Nach genauer Analyse der Struktur des Fahrkurses der FTF im zweiten Kapitel hat sich herausgestellt, dass für alle in der Realität auftretenden Fälle vier universelle Module ausreichen. Diese werden hier nun genauer vorgestellt. Es sind:

• Die Gerade

• Die Verzweigung

• Die Zusammenführung

• Das Interface

Die „Gerade“ verfügt über die bereits genannten Attribute und zusätzlich über die Möglichkeit, dass ein freies FTF ohne Transportauftrag am Ende der Gerade anhält bis es einen Auftrag und somit ein Ziel zugewiesen bekommt. Alle Geraden verfügen daher über eine weitere Eigenschaft, ob diese Parkposition auf der speziellen Gerade aktiv ist

Page 32: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

24

oder nicht. Anhand des Hallenlayouts kann so während des Modellaufbaus sehr schnell und flexibel entschieden werden, ob der gerade betrachtete Wegabschnitt über eine Parkposition verfügt, oder nicht.

Die „Verzweigung“ und die „Zusammenführung“ haben die gleichen Eigenschaften wie die „Gerade“. Darüber hinaus werden diese zwei Softwaremodule dazu benutzt, um Kreuzungen und Abbiegungen auf dem Fahrkurs abzubilden. Dazu verfügt die „Abzweigung“ über zwei Ausgänge. Anhand einer Tabelle werden die Ziele angegeben, die beim Abbiegen erreicht werden. Erreicht ein FTF nun eine „Verzweigung“ prüft es selbständig, ob es beim Abbiegen seinem Ziel näher kommt. Ist das der Fall ändert das Fahrzeug seine Richtung, ansonsten fährt es weiter geradeaus. So wird gewährleist, dass ein FTF stets den kürzesten Weg zu seinem Ziel zurücklegt. Die „Zusammenführung“ hat zwei Eingänge und ist somit das Gegenstück zum Modul „Verzweigung“

Das „Interface“ ist die Schnittstelle der Produktionsanlagen zum Fahrkurs. Dieser Softwarebaustein ist Bestandteil des Weges, bietet allerdings gleichzeitig die Möglichkeit eine der Produktionsanlagen oder einen Bodenspeicher anzufahren. Das heißt, im Simulationsmodell ist ein Interface stets ein potentielles Ziel für ein FTF. Erreicht ein fahrerloses Transportfahrzeug ein Interface wird überprüft, ob es hier sein Auftragsziel hat. Ist dieser Test negativ, befährt das FTF den Weg weiter bis es das Interface wieder verlässt. Andernfalls biegt es in den Übergabebereich der Anlage ab und verlässt den Fahrkurs. Beim Einfahren in den Rangierbereich der Produktionsanlage wird der Fahrweg für eine zu ermittelnde Zeit gesperrt, damit keine Behinderungen mit einem anderen Fahrzeug möglich sind. Dieses Verhalten entspricht dem im realen Produktionssystem. Die so erreichte wirklichkeitsnahe Abbildung entspricht dem erarbeiteten Anforderungsprofil für das Simulationsmodell. Weiterhin spielt es keine Rolle, ob die an das Interface angebundene Produktionsanlage als idealisierte Anlage („Blackbox“) oder als Detailmodell abgebildet ist. Diese so definierte Schnittstelle hat viele Vorteile. So können sehr schnell Änderungen am Anlagenlayout nachgepflegt werden. Die Anpassungen und Erweiterungen am gesamten Simulationsmodell lassen sich so sehr einfach durchführen.

Page 33: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

25

3.1.2 Vereinfachungen und Probleme

Um das komplexe Fahrwegslayout in den vier beschriebenen Softwaremodulen abbilden zu können, wird der Parameter „Zeit“ als entscheidende Einfluss- und Modellierungsgröße verwendet. Die Anwendung erfolgt nur bei den „Interfaces“, um die gegenseitige Beeinflussung eines FTF zwischen Produktionsanlage und Fahrweg darzustellen. Die Modellierung über die „Zeit“ hat darüber hinaus zwei sehr entscheidende Vorteile. Zum einen können alle Rangierbereiche vor Anlagen mit nur einem Baustein abgebildet werden, wo sonst viele individuelle und aufwendige Lösungen erforderlich sind. Zum anderen ist es für die Ermittlung der Eingabegrößen und anschließendem Parametrisieren im Simulationsmodell eine sehr flexible und schnelle Lösung. Über bekannte Größen wie dem zurückgelegten Weg beim Rangieren und die dabei gefahrene Geschwindigkeit lässt sich ebenfalls die Zeit für das Ein- und Ausfahren aus einem Anlagenbereich bestimmten. Die benötigten Zeiten lassen sich ebenfalls sehr gut und intuitiv vor Ort an der betreffenden Anlage bestimmen und so auch bei Änderungen am Layout gut nachpflegen. Durch die gewählte Modellierungsmethode wurde eine erhebliche Zeitersparnis bei der Modellentwicklung und dem anschließenden Aufbau gespart. Weiterhin ist die Bedienung im Simulationsmodell durch die geringe Anzahl von intuitiven Parametern einfach und somit besonders anwenderfreundlich.

Eine spezielle Eigenschaft der fahrerlosen Transportfahrzeuge ist die Vertreibungsfahrt. Diese tritt immer dann auf, wenn ein parkendes freies FTF ein Fahrzeug mit Transportauftrag blockiert und kurzzeitig dessen Weiterfahrt verhindert. Durch das existierende Einbahnstraßenprinzip kommt dieser Problemfall häufig vor, da sich die Fahrzeuge nicht gegenseitig überholen können. Daher wird das parkende FTF zur nächstgelegenen Parkposition vertrieben, wenn ein beauftragtes Fahrzeug auf jenes aufläuft. Dieses Verhalten hat großen Einfluss auf die Verteilung der FTF auf dem Fahrweg. So ist es zeitweilig möglich, dass sich in einigen Bereichen des Produktionssystems ein Großteil der eingesetzten Fahrzeug befindet und gleichzeitig andere Bereiche nun nicht mehr so gut abgedeckt sind. Unter Umständen erhöht sich demzufolge die Zeit, die ein FTF benötigt, um seinen neuen Zielort zu erreichen. Dieses Problem ist besonders dann als kritisch einzuschätzen, wenn nur eine geringe bzw. kritische Anzahl an fahrerlosen Transportfahrzeugen eingesetzt wird. Daher ist dieses besondere Fahrverhalten der FTF in allen Softwaremodulen, die zur Abbildung des Fahrweges benutzt werden, enthalten.

Page 34: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

26

3.2 Adaption der vorhandenen Logistiksteuerung

Die in Kapitel 2.3.3 kurz beschriebene und bereits als Softwaremodul vorhandene Logistiksteuerung wird hier genauer vorgestellt. Dazu gehört vor allem die Beschreibung der internen Funktionsweise, die den „Geist“ des bestehenden Produktionssystems darstellt. Der Fokus hier liegt allerdings auf der Darlegung der Modifikationen und Veränderungen im Bezug auf die neue Verwendung im hier zu optimierenden Produktionsprozess.

3.2.1 Gemeinsamkeiten

Während der Erarbeitung von Konzepten zur Erstellung des Simulationsmodells wurde bereits die existierende Lösung einer Logistiksteuerung vorgestellt und die grobe Funktionsweise präsentiert. Da es viele Gemeinsamkeiten zur Koordination der Logistikabläufe gibt, wurde die Entscheidung getroffen, die Softwaremodule der vorhandenen Logistiksteuerung an die aktuellen Anforderungen anzupassen. Es bestehen viele Synergien, die sich benutzen lassen, um den zukünftigen „Geist“ des Simulationsmodells schnell und zugleich sehr realitätsnah abzubilden.

Eine Vielzahl der bereits vorhandenen Softwaremodule dieser Logistiksteuerung können ohne Änderungen übernommen werden. Dazu gehören die „Lager“ und die „Bereitstellplätze“. Die Lagerbausteine werden in Ihrer bestehenden Funktionalität dazu verwendet, die Bodenspeicher und die Puffermöglichkeiten vor und nach der Lackanlage abzubilden. Hier werden jeweils die Lackgestelle zwischengespeichert und je nach gewählter Verwendungsart werden die Transportgüter durch das Lager transportiert oder verweilen dort bis zu ihrer Abholung durch die FTFs. Die „Bereitstellplätze“ hingegen lassen sich hervorragend dazu verwenden, um die Rollenbahnen für die Lackiergestelle zwischen dem Fahrkurs und der jeweiligen Produktionsanlage zu modellieren. In der ursprünglichen Anwendung wurden die „Bereitstellplätze“ dazu genutzt, um Pufferplätze für Behälter, die ein Gabelstapler direkt an die Produktionsanlage liefert, abzubilden. Die aktuelle Verwendung entspricht ebenfalls diesem Prinzip, nur dass keine Behälter an die Anlagen geliefert werden, sondern Lackiergestelle. Die Anbindung dieser Softwaremodule wird an dem bereits vorgestellten „Interface“ stattfinden. Durch diese Tatsache wird während der Implementierung des Moduls „Interface“ speziell darauf geachtet, die Schnittstelle zum „Bereitstellplatz“ so abzustimmen, dass das bestehende Softwaremodul nicht angepasst werden muss. Diese Vorgehensweise garantiert, dass die in der so erweiterten Bibliothek enthaltenen Module für zukünftige Projekt problemlos kombinierbar und einsetzbar sind.

Page 35: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

27

Weiterhin wird das bekannte Benutzerinterface zur Parametrisierung verwendet. Diese Vorgehensweise verringert die Einarbeitungszeit auf das neue Simulationsmodell und erhöht gleichzeitig den Wiedererkennungswert aus vorangegangenen Projekten. Ferner entsteht so eine sehr gute Grundlage, die eine fehlerfrei Bedienung und Parametrisierung des Modells sicherstellt. Zusätzlich verfügen die existierenden Softwaremodule der Logistiksteuerung über eine umfangreiche Statistikerfassung. Diese wird als weitere effektive Interpretationshilfe der Simulationsergebnisse verwendet und unterstützt die bereits vorgestellte Darstellungsform.

Bei der Verwendung der existierenden Softwaremodule steht vor allem die korrekte An- und Abmeldung der einzelnen Lackgestelle an der zentralen Logistiksteuerung im Vordergrund. Diese Funktion ist unabdingbar, da nur so den FTF mitgeteilt werden kann, wo die LGs abgeholt oder hingebracht werden müssen. Daher ist besonders die Koordination und Verwaltung von Meldungen, Bedarfe, Aufträgen und Transporten der ausschlaggebende Pluspunkt zur Adaption dieser Logistiksteuerung.

3.2.2 Notwendige Erweiterungen

Natürlich müssen einige spezielle Funktionen noch nachgepflegt werden, die für die reine Steuerung von Gabelstaplern bisher nicht notwendig waren. Diese Erweiterungen beziehen sich besonders auf die optimierte Bestimmung von Transportanforderungen und Transportaufträgen. Die Einordnung in das schematische Logistikkonzept stellt die folgende Abb.3.01 dar.

Abb.3.01 – Erweiterungen der bestehenden Logistiksteuerung

Me ldung

Transportanforderung

Anforderung

Transportauftrag

Freies Fahrzeug

Anlagen Bodenspeicher Lackanlage

ErweiterungenMe ldung

Transportanforderung

Anforderung

Transportauftrag

Freies Fahrzeug

Anlagen Bodenspeicher Lackanlage

Erweiterungen

Page 36: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

28

Dazu sollen hier nun exemplarisch die Priorisierung, das „Doppelspiel“ und der Auftragstausch beschrieben werden. Die Priorisierung ist eine wichtige Anpassung der bestehenden Logistiksteuerung und greift, bevor eine Transportanforderung aus Meldung und Anforderung gebildet wird. Diese steht im klaren Gegensatz zur bisher eingesetzten zeitgebundenen Disposition. Das bedeutet, es wird nun speziell versucht, die Forderungen nach benötigten Lackiergestellen der Produktionsanlage, denen der Bodenspeicher zu bevorzugen. Der Zeitpunkt der Anforderung ist nur noch eine untergeordnete Entscheidungsgröße. Im realen Fertigungsprozess wird diese Steuerstrategie angewendet, um zu gewährleisten, dass die Produktionsanlagen bestmöglich ausgelastet sind und die Bodenstellplätze wirklich nur zum Zwischenspeichern der Lackiergestelle verwendet werden.

Das „Doppelspiel“ ist die optimale Transportabfolge für ein Fahrzeug und ist eine Optimierung, die ebenfalls vor der Transportanforderung eingesetzt wird und gleichzeitig das Ermitteln von Transportaufträgen beeinflusst. Beim „Doppelspiel“ werden Leerfahrten der FTFs zwischen den einzelnen Transportaufträgen vermieden. Wird bereits ein Lackiergestell durch ein Fahrzeug transportiert, dann versucht die Logistiksteuerung eine passende nachfolgende Transportanforderung zu bestimmen. Das heißt, wenn ein fahrerloses Transportfahrzeug an seinem Ziel ein Lackiergestell abgegeben hat, dann kann es dort gleich ein neues LG aufnehmen. Daher ist auch die Steuerung des Produktionssystems darauf angepasst, stets entsprechende aufeinanderfolgende Aufträge zu vergeben, um die FTFs perfekt auszulasten. Diese entscheidende Funktionalität muss deshalb unbedingt in der Logistiksteuerung implementiert sein. Es ergeben sich auch ohne ein gezieltes Bestimmen von aufeinander passenden Aufträgen diese „Doppelspiele“. Doch die einfache Modellierung reicht nicht aus, da ebenfalls Fahrzeugen, die gerade unbeladen auf dem Weg zur Aufnahme eines LGs sind, der Transportauftrag entrissen wird, wenn anderes FTF dadurch ein „Doppelspiel“ durchführen kann. Der Auftragstausch ist dadurch ebenfalls eine notwendige Eigenschaft, welche der „Geist“ des Simulationsmodells erfüllen muss. In der bisher eingesetzten Logistiksteuerung sind einmal zugewiesene Aufträge an die Gabelstaplern nicht tauschbar oder können gar wieder weggenommen werden. Diese intelligente Steuerung hat allerdings entscheidenden Einfluss auf die Auslastung der fahrerlosen Transportfahrzeuge. In der realen Anlagenstruktur ist zusätzlich für das Bestimmen eines geeigneten FTF eine Optimierung auf Basis des Entfernungskriteriums eingebaut. Das bedeutet, dass stets mit dem freien FTF der Transportauftrag zu Stande kommt, das den kürzesten Weg zum potentiellen Ziel zurücklegen muss. Diese Optimierung hat allerdings eine geringere Priorität als das „Doppelspiel“. Nur bei leeren Fahrzeugen, die sich auf einer einfachen Fahrt befinden, kann der Transportauftrag noch gewechselt werden. Führt ein Fahrzeug bereits einen

Page 37: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

29

Transport aus, dann ist eine Änderung des Ziels nicht mehr möglich. Die Logistiksteuerung prüft aber weiterhin, um passende Anschlussaufträge zu ermitteln, damit das „Doppelspiel“ und somit die optimale Auslastung des FTS zu erreichen.

Anhand dieser vorgestellten existierenden Strategien zur Bestimmung von Transportanforderungen und Transportaufträgen im realen Produktionsprozess wird deutlich, dass diese Logistiksteuerung bereits wichtige interne Optimierungen durchführt. Daher sind die bestehenden Softwaremodule der Logistik um diese essentiellen Funktionen erweitert wurden. Diese haben einen entscheidenden Einfluss auf den abgebildeten Realismus im Simulationsmodell und dürfen daher unter keinen Umständen vernachlässigt werden, um aussagekräftige Ergebnisse zum führerlosen Transportsystem zu erhalten.

3.3 Simulationsmodell

Das gesamte Simulationsmodell wird mit den zuvor entwickelten und implementierten Softwaremodulen und der angepassten existierenden Logistiksteuerung aufgebaut. Diese Vorgehensweise bringt insgesamt eine große Zeitersparnis für den Aufbau des Modells. Im Folgenden werden einige notwenige spezifische Anpassungen am Modell beschrieben, die über den eigentlichen Funktionsumfang der verwendeten Softwaremodule hinausgehen. Weiterhin wird das erstellte Simulationsmodell vorgestellt und anschließend dargelegt, welche Szenarien genauer betrachtet werden können.

3.3.1 Anpassungen über den Umfang der Softwaremodule hinaus

Wie bereits beschrieben, verfügen die Fahrweg-Softwaremodule über die Eigenschaft, die Anzahl der zulässigen FTF pro Wegeabschnitt zu begrenzen. Allerdings existieren einige globale Restriktionen, welche die Fahrzeugsanzahl über mehrere Abschnitte des Fahrkurses hinweg begrenzt. Diese werden Blockstrecken genannt. Die Strategie wird besonders in den Bereichen um den Einlauf und dem Auslauf der Lackanlage eingesetzt. Hier existieren auf engen Raum mehrere Ab- und Aufgabemöglichkeiten der FTFs für die Lackiergestelle. Daher sind hier auf dem realen Fahrkurs sehr viele kurze Wegelemente definiert. Beim Entladen bzw. Beladen eines fahrerlosen Transportfahrzeugs werden beim Rangieren in diesen Bereichen der Lackanlage mehrere der Wegabschnitte durchfahren. Alle diese Teilstücke sind dann für die übrigen FTFs gesperrt, damit es nicht zu Kollisionen kommt. Erst wenn das rangierende

Page 38: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

30

Fahrzeug komplett in den Anlagenbereich eingefahren ist und seinen Auftrag ausführt, werden die gesperrten Abschnitte des Fahrweges wieder frei gegeben. Das eben beschriebene Verhalten tritt nicht nur im Umfeld der Lackanlage auf, sondern auch in den Kreuzungsbereichen auf dem Fahrweg. Besonders hier muss sichergestellt werden, dass die FTFs diese Kreuzungen nach den realen Fahrregeln durchfahren. Damit wird ausgeschlossen, dass sich die Fahrzeuge gegenseitig blockieren und so der komplette Verkehr zum erliegen kommt. Durch diese zusätzliche Implementierung in das Simulationsmodell wird sichergestellt, dass der gesamte Fahrzeugverkehr korrekt abgebildet wird. So entstehen wie in der Realität z.B. Warteschlangen mit Fahrzeugen, die sich aufstauen, weil ein anderes FTF eine Blockierung des Fahrweges verursacht.

Da die Lackieranlage eine zentrale Rolle im Produktionsprozess inne hat, ist bei der Erstellung des Simulationsmodells für diese komplexe Anlage besonders viel Zeit aufgewendet wurden, um eine realistische Abbildung zu erreichen. Nach gründlicher Analyse und intensivem Informationsaustausch mit den Verantwortlichen vor Ort ist eine sehr realistische Modellierung dieser Lackanlage im Modell entstanden. In allen vorangegangenen Projekten, die diesen Fertigungsprozess untersucht haben, wurde die Lackanlage stets nur als „Blackbox“ dargestellt, ohne die interne Dynamik zu berücksichtigen. Bisher gab es keine derart detaillierte Abbildung. Diese Tatsache erhöht weiter entscheidend den Realitätsgrad im Simulationsmodell.

3.3.2 Vorstellung des erstellten Simulationsmodells

An dieser Stelle wird ein kurzer Überblick über das Simulationsmodell gegeben. In der folgenden Grafik Abb.3.02 auf der nächsten Seite ist ein kleiner Ausschnitt dieses Modells dargestellt. Hierin sind alle verwendeten Softwaremodule vertreten, die in den vorangegangenen Abschnitten und Kapiteln entwickelt und vorgestellt wurden.

Das Simulationsmodell verfügt über eine intuitive Oberfläche. Die Anordnung und Gestaltung der Fahrwege, Anlagen und Bodenspeicher orientiert sich am originalen Layout der Produktionshallen. Weiterhin ist ein komfortables Benutzerinterface implementiert, in dem alle Parameter zur Definierung der Szenarien in Tabellen zusammengefasst sind. Durch die so gewährleistet freie Auswahl aller Stellgrößen ergibt sich eine Vielzahl an möglichen Experimenten, die untersucht werden können. So lassen sich z.B. verschiedene Schichtmodelle in den Produktionsanlagen mit variierender Fahrzeuganzahl kombinieren. So wird gewährleistet, dass ein breites Spektrum an Szenarien abgedeckt wird, die auch in der laufenden Produktion auftreten. Zusätzlich können weitere Fragestellungen analysiert werden, die sich auf Grund der

Page 39: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

31

Ergebnisse der durchgeführten Experimente entstehen. Diese Flexibilität garantiert einen langen Zeitraum, in dem das Modell zur Produktionsteuerung benutzt wird.

Abb.3.02 – Ausschnitt des Simulationsmodells

Ebenso ist in der Abb.3.02 deutlich zu erkennen, dass der gesamte FTS-Fahrkurs aus verschieden farbigen Teilstück besteht. Das sind die einzelnen Softwaremodule, die hier miteinander kombiniert sind, um die realen Bedingungen abzubilden. Weiterhin sind einige der Produktionsanlagen und der Bodenspeicher hervorgehoben. In der Lackanlage befinden sich gerade mehrere Lackiergestelle, die in der Abbildung blau-rot dargestellt sind.

Alle Anforderungen an die Modellierung des Simulationsmodell sind somit erfüllt. Das führerlose Transportsystem beinhaltet das größte Optimierungspotential und ist daher sehr realitätsnah abgebildet. Zusätzlich ist viel Wert auf die genaue Modellierung der Lackanlage gelegt wurden, die als die zentrale Anlage im Fertigungsprozess einen sehr großen Einfluss auf das gesamte System hat.

Page 40: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

32

3.4 Verifizierung des Modells

Im folgenden werden die angewendeten Strategien und die speziellen Einzeltests vorgestellt, die angewendet wurden, um die korrekte Funktionsweise des erstellten Simulationsmodells zu überprüfen. Dazu gehört vor allem die Kontrolle des realistischen Verhalten der Fahrzeuge in den Abgabebereichen der Anlagen und auf dem gesamten Fahrweg. Weiterhin wird die durchgeführte Datenmessung beschrieben und die daraus resultierenden Ergebnisse vorgestellt.

3.4.1 Strategien zur Überprüfung des Modells

Während der Programmierung ist besonders darauf geachtet wurden, dass der gesamte Fahrkurs der FTF in wiederverwendbaren Softwaremodulen abgebildet wird. Beim Verbinden der einzelnen Elemente zum abgebildeten Fahrweg im Modell sind allerdings einige Probleme aufgetreten, die beim ersten Betrachten während der Konzeptphase nicht abzusehen waren.

Die grobe Struktur des Fahrweges bilden zwei einspurige Rundkreise, die über eine Kreuzung miteinander verbunden sind. Einer dieser Rundkurse wird jedoch mehrmals durch Abkürzungen in weitere Teilkreise untergliedert. Während der Verifikation des Modells hat sich durch diese Streckencharakteristik ein sehr großes Problem ergeben. Wenn sich ein Großteil der eingesetzten Fahrzeuge in einem dieser Teilkreis des Fahrweges befinden. Als Auswirkung dieser Problematik ergibt sich zuweilen ein permanenter Stau von FTFs. Dieser tritt stets dann auf, wenn ein fahrerloses Transportfahrzeug versucht in den kleinen Teilkreis einzufahren, aber stehen bleiben muss. Dies passiert meist dann, wenn ein weiteres Fahrzeug in diesem Bereich eine Störung hat und liegen bleibt. So wird die Kreuzung dauerhaft zugestellt. Daher ist es nicht ausreichend, nur die Anzahl der FTF pro Wegelement zu berücksichtigen, sondern auch die maximal zulässige Anzahl pro Teilkreis. Als Konsequenz ist nach der kompletten Modellierung des Fahrkurses eine zusätzliche Steuerung implementiert wurden, welche die Anzahl von FTF auf zusammengehörigen Wegelementen kontrolliert und die dargestellte Aussperrsituation so verhindert wird. Das hier angewendete Prinzip ist mit dem der „Blockstrecke“ vergleichbar und wurde daher auf ähnliche Art und Weise umgesetzt.

Um die Belastbarkeit der Fahrwege zu analysieren und alle möglichen Begegnungssituationen der FTF untersuchen zu können, wurde das Modell mit einem Verfahren, das “Heavy-Load“ getauft wurde, getestet. Dazu wird die maximal mögliche Anzahl von Fahrzeugen erzeugt und mit zufällig ausgewählten Zielen ausgestattet.

Page 41: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

33

Dadurch entstehen willkürlich zahlreiche Begegnungen der FTF, die so auch in der Realität auftreten, sich aber nur sehr schwer im Simulationsmodell provozieren lassen. Anhand der benötigten Echtzeit, die z.B. für einen Simulationstag benötigt wurde, konnten genaue Zeitpunkte ermittelt werden, an denen das Simulationsmodell nicht korrekt arbeitet. Da unter den Testbedingungen die benötigte Zeit pro Simulationstag relativ konstant ist, konnten hier Abweichungen als potentieller Fehler in der Implementierung identifiziert werden und anschließend im Einzelfall genauer analysiert werden. Durch dieses Verfahren wurde eine erhebliche Zeitersparnis und gleichzeitig eine hohe Robustheit erreicht, die es erst ermöglichte dieses komplexe Simulationsmodell überhaupt zu erstellen.

Während der Implementierung und Umsetzung des Fahrverhaltens der FTF und bei der Adaption der Logistiksteuerung ist nicht mit dem Verfahren “Heavy-Load“ gearbeitet wurden. Zur Überprüfung der korrekten Funktionsweise einer neu erstellen Strategie oder Steuerung wurde in einem separaten Testmodell stets die spezielle Situation im Modell provoziert, die diese neue Funktion in Anspruch nimmt. So konnte der Einzelfall verifiziert und die erlangten Erkenntnisse sehr einfach und schnell auf das gesamte Modell übertragen werden.

Insgesamt betrachtet sind nur wenige Probleme während der Verifikation des Simulationsmodells aufgetreten. Dieser positive Effekt ist durch die im Vorfeld exakte Definition der Funktionen und Schnittstellen der Softwaremodule zu erklären. Außerdem konnte durch die Adaption der vorhandenen Logistiksteuerung auf existierendes Wissen zurückgegriffen werden, welches bereits in vorangegangenen Projekten sein Potential und seine Robustheit unter Beweis gestellt hat.

3.4.2 Datenanalyse und Datenmessung

Um die Verteilungsfunktionen für das Störverhalten der Produktionsanlagen zu bestimmen, wurde auf das Datenbanksystem zur Betriebsdatenerfassung (BDE) zurückgegriffen. Aus diesem System sind folgende Informationen ausgelesen wurden:

• Produktionsstückzahlen

• Störprotokolle

• Taktzeiten

• Schichtmodelle

Page 42: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

34

Anhand dieser Daten konnten alle benötigten Input-Parameter der abgebildeten Anlagen im Simulationsmodell ermittelt werden. Exemplarisch für den Prozess der Datenanalyse soll dies hier am Beispiel der komplexen Lackanlage beschrieben werden. Als Ausgangssituation liegt ein Störprotokoll vor, das einen Zeitstempel, Fehlercodes und eine Beschreibung der Warnmeldung bzw. der Störung beinhaltet. Das größte Problem an dieser Darstellung ist, dass Warn- und Fehlermeldungen nicht separat aufgeführt werden und nur durch den mitprotokollierten Fehlercode voneinander unterschieden werden können. Weiterhin werden parallele Störungen erfasst. Somit kam es zu dem Phänomen, dass die Summe aller Einträge im Anlagenmitschnitt eine Stördauer von über 18 Jahren suggerierte, obwohl das Störprotokoll lediglich einen Zeitraum von 38 Tagen betrachtete. Somit muss nach dem ersten Begutachten festgestellt werden, dass die Stördaten nicht ohne einen sorgfälligen Filterprozess verwendet werden können. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit den zuständigen Anlagenbetreibern vor Ort konnten die Fehlercodes identifiziert werden, die einen kompletten Anlagenstillstand beschreiben. Anschließend wurden parallele Störungen entfernt und direkt aufeinanderfolgende zu einer Störmeldung zusammengefasst. Um diesen aufwendigen Filterprozess nicht komplett manuell durchführen zu müssen, ist dafür ein spezielles Programm zur Datenanalyse erstellt wurden. Dieses kann für alle zukünftigen Berechnungen und Filteraufgaben an der Art umfangreichen Datenmengen verwendet werden. Die so ermittelten Verteilungsfunktionen tragen maßgeblich dazu bei, das Störverhalten aller Anlagen im Produktionssystem korrekt abzubilden. Als positiver Nebeneffekt konnten die gesammelten Erfahrungen während der Datenfilterung dazu verwendet werden, um die Datenbank zur Betriebsdatenerfassung den Anforderungen der Materialflusssimulation anzupassen. Durch diesen wichtigen Schritt und bei der gleichzeitigen Verwendung des Filtertools bedarf die Auswertung zukünftiger Störprotokolle nur noch einen Bruchteil der aktuell dafür aufgewendeten Zeit.

Für die vollständige Parametrisierung des Modells ist eine umfassende Datenmessung des Produktionssystems durchgeführt wurden. Hierbei wurden Anlagentaktzeiten unter realen Bedingungen erfasst, um diese später für die Überprüfung der Eingabeparameter des Simulationsmodells verwenden zu können. Der Schwerpunkt der Datenmessung lag allerdings auf der Bestimmung der bereits beschriebenen Rangierzeiten der FTF, die zum Abbilden der Wechselwirkungen zwischen rangierendem FTF und Fahrweg benötigt werden.

Page 43: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

35

Durch die vor Ort gegebene Layoutstruktur konnten der Zyklus des Be- und Entladens des Fahrzeugs in einige wenige Teilschritte unterteilt werden:

• Beginn des Herunterfahrens vom FTS-Fahrkurs bis zum gänzlichen Eintritt in den Rangierbereich der Anlage

• Fahren im Bereich der Anlage und Durchführung des Be- bzw. Entladevorgangs

• Verlassen des Anlagenbereiches und vollständiger Wiedereintritt auf den Fahrweg

Da sich durch diese einfache Aufteilung ein Großteil der Anlagenlayouts sehr ähnlich ist, konnte die Anzahl der zu ermittelnden Zeitparameter mehr als halbiert werden. Exemplarisch soll hierfür die Dauer der Messung herangezogen werden. Veranschlagt waren vier Stunden, da berücksichtigt werden musste, dass einige Produktionsanlagen, bedingt durch die aktuellen Produktionsstrategien, relativ selten angefahren werden. Durch die beschriebene Unterteilung des Be- und Entladens der Fahrzeuge in die drei Teilschritte konnte die Datenmessung bereits nach weniger als zwei Stunden erfolgreich beendet werden. Alle benötigten Parameter wurden ermittelt oder ließen sich auf Grund der erfassten Daten berechnen. Dieser Effekt untermauert die im Vorfeld getroffene Entscheidung, den „Faktor Zeit“ als entscheidenden Parameter für das Simulationsmodell zu verwenden. Weiterhin lassen sich so neue oder veränderte Größen, die durch Anpassungen am Modell oder durch bauliche Veränderungen an der Anlagenstruktur hervorgerufen werden, sehr schnell ermitteln und unkompliziert integrieren.

Page 44: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

36

4 Experimente

Zu Beginn dieses Kapitel wird die Vorgehensweise zur Durchführung der Experimente vorgestellt. Im Anschluss daran werden die Experimente zu den ausgewählten Szenarien, die zur Beantwortung der aktuellen Fragestellungen zur Optimierung des Produktionssystems erarbeitet wurden, genau beschrieben und die Ergebnisse präsentiert. Als erstes Experiment wird allerdings die Validierung des Simulationsmodells in seiner Gesamtheit durchgeführt, indem die Resultate der realen Anlage gegenübergestellt werden. Dieser abgebildete Ist-Stand stellt die Grundlage für die Bewertung der anschließenden Experimente dar. Als Zusammenfassung werden die erzielten Ergebnisse und daraus geschlussfolgerten Erkenntnisse kontrovers diskutiert.

4.1 Beschreibung der Experimentdurchführung

Für die Durchführung der Experimente ist eine feste Vorgehensweise definiert, damit die erzielten Ergebnisse der Simulation stets valide und aussagekräftig sind. Bei der Initialisierung bzw. dem Start des Modells wird keine spezielle vorbestimmte Produktionssituation erzeugt. Das bedeutet, dass sich zu Beginn der Simulation noch keine Fahrzeuge im Umlauf befinden und alle Anlagen leer sind. Daher benötigt das System eine Einschwingphase, um keine verfälschten Aussagen zum möglichen Verlauf der Produktion zu tätigen. Die Dauer dieser Einschwingung ist im Vorfeld einmal abgestimmt und anschließend exakt definiert wurden. Somit ist diese für alle ausgeführten Experimente identisch, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Je nach Szenario werden mehrere Replikationen von je einem Simulationstag bzw. einer Simulationswoche durchgeführt. Diese Methodik ist sehr wichtig, um die statistische Sicherheit in den Ergebnissen zu gewährleisten. Besonders während der Validierung werden die zugehörige Konfidenzintervall zur Überprüfung in der Beschreibung stets angegeben. Die Resultate der durchgeführten Experimente sind ebenfalls statistisch abgesichert, auch wenn nicht immer das Konfidenzintervall mit angeführt ist. Als Output-Daten steht anschließend ein breites Spektrum an Informationen zur Verfügung. Dieses umfasst Angaben zur Auslastung von Anlagen und Fahrzeugen, zur jeweilig produzierten Stückzahl an den Anlagen, sowie den zeitlichen Verlauf aller interessanten Parameter des Produktionssystems. Das sind zum Beispiel Informationen über die Anzahl der Lackiergestelle, die sich aktuell in der Lackanlage befinden, oder die Anzahl der im Augenblick freien Fahrzeuge. Diese erzeugte Datenbasis ist die primäre Grundlage zur Interpretation der Simulationsergebnisse.

Page 45: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

37

4.2 Validierung

Im Referenzlauf zur Validierung des Simulationsmodells werden als Input-Parameter alle ermittelten Daten, die den Ist-Stand des Produktionssystems darstellen, eingegeben. Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass sich die Aussage zur Korrektheit des Modells nur auf den Zeitraum bezieht, aus dem auch die Datengrundlage stammt. Als Vergleichsbedingungen werden hier die Auslastung der fahrerlosen Transportfahrzeuge, die Füllung der Lackanlage, sowie Anzahl der jeweils produzierten Teile aus dem gleichen Beobachtungszeitraum herangezogen. Stimmen diese Werte miteinander überein, so wird das Modell als valide und allgemeingültig erklärt. Das bedeutet, dass im erstellten Simulationsmodell das Produktionssystem realistisch abgebildet ist und sich demzufolge die Ergebnisse der durchgeführten Experimente auf die realen Anlagen und das führerlose Transportsystem übertragen lassen.

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

0:00 2:00 4:00 6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00

1 T a g

A n

z a

h l

F T

F

Abb.4.01 – Zeitlicher Verlauf über FTFs, die einen Transportauftrag ausführen

Die Abb.4.01 zeigt Resultate des Referenzmodells in der Darstellungsform, die im zweiten Kapitel im Konzept zur Ergebnispräsentation festgelegt wurde. In der Grafik sind gleichzeitig arbeitenden Fahrzeuge im Verlauf eines Tages dargestellt. Als blaue Kurven im Diagramm sind der Übersicht halber nur einige der Wiederholungen dargestellt, die durchgeführt wurden, um die statistische Sicherheit zu erreichen. Die

Page 46: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

38

deutlich hervorgehobene rote Kurve ist der Mittelwert, der sich aus diesen Replikationen ergibt. Als primäres Ergebnis lässt sich zusammenfassen, dass von den aktuell eingesetzten zwölf FTFs im Mittel stets circa zehn Fahrzeuge pro Tag gleichzeitig Transportaufträge ausführen und daher zwei FTFs frei auf dem Fahrkurs warten. Diese Aussagen werden durch das berechnete Konfidenzintervall bestätigt. Der berechnete Mittelwert für die arbeitenden Fahrzeuge pro Tag liegt bei 9,8 und das Konfidenzintervall hat maximal eine Breite von 0,3 FTFs um diesen Mittelwert. Dieses Ergebnis wird durch die Verantwortlichen vor Ort in den Produktionshallen bestätigt. Weiterhin sind insgesamt neue markante und regelmäßige Einbrüche in der roten Mittelwertkurve zu erkennen. Dieses Phänomen ist einfach zu interpretieren. Das sind die Schichtpausen an denen die Produktionsanlagen keine Lackiergestelle zur Abholung für die fahrerlosen Transportfahrzeuge bereitstellen. Diese beiden Kernaussagen stimmen mit den im realen Produktionssystem festgestellten Beobachtungen und Erfahrungen überein und sind daher die erste Bestätigung für die Korrektheit des erstellten Simulationsmodells.

Die nächste Grafik zeigt den zeitlichen Verlauf der mittleren Anzahl der Lackiergestelle, die sich in der Lackanlage befinden. Hier wurde wiederum die Darstellung gewählt, die im Anforderungsprofil für das Simulationsmodell definiert wurde. Die Grundlage für die Mittelwertberechnung bilden die verschiedenen Replikationen, die für die Durchführung der Experimente vorgeschrieben sind. In Abb.4.02 ist der Verlauf zur Auslastung der Lackanlage dargestellt.

0

12

24

36

48

60

72

84

0:00 2:00 4:00 6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00

1 T a g

A n

z a

h l

L a

c k

i e

r g

e s

t e

l l e

Abb.4.02 – Auslastung der Lackanlage

Page 47: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

39

Die in der Abbildung verwendete Farbgebung ist mit der aus Abb.4.01 identisch. Daher ist der Mittelwert wieder deutlich in rot hervorgehoben. Dieser bewegt sich recht gleichmäßig um den Wert 67. Das Konfidenzintervall für die Anzahl der LGs in der Lackanlage pro Tag ist maximal zwei LGs breit. Das bedeutet, dass der bestimmte Mittelwert nur um je ein Lackiergestell nach oben oder unten abweicht. Da die optimale Füllung für die Lackanlage 81 LGs beträgt, liegt die mittlere Auslastung bei ca. 82,5 %. Dieser Wert ist ebenfalls durch die verantwortlichen Betreiber der Lackanlage vor Ort bestätigt. Weiterhin wird bei keiner der einzelnen Replikationen jemals die komplette Vollbelegung der gesamten Lackanlage erreicht. Diese Aussage unterstützt ebenfalls die Korrektheit des Simulationsmodells, da auch in der realen Anlage bisher unter Produktionsbedingungen nie diese optimale Auslastung erreicht wurde. Das deutlich zu erkennende Absinken der Lackiergestellanzahl während einzelner Replikationen ist durch lange Stillstände in einigen Teilbereichen der Lackanlage zu begründen. Diese Großstörungen treten in der Realität nur selten auf, können aber dann bis zu mehrere Stunden andauern.

Die letzte Methode, die angewendet wird, um die Gültigkeit des Simulationsmodells zu belegen, betrachtet die produzierten Stückzahlen der jeweiligen Anlage im Produktionssystem. Hierbei werden allerdings nicht die reinen Anlagenausbringungen miteinander verglichen, sondern die Anzahl der Lackiergestelle, die während eines Tages zu den jeweiligen Montagen transportiert werden konnten. Diese Werte lassen sich wesentlich besser gegenüberstellen und sind gleichzeitig für die Verantwortlichen der Produktionssteuerung das entscheidende Kriterium zur Kontrolle der Leistungsfähigkeit des gesamten Fertigungsprozesses. Durch diese Betrachtungsweise muss die unterschiedliche Anzahl der jeweiligen Fahrwegskomponenten pro LG nicht berücksichtigt werden. In den folgenden Diagrammen und Abbildungen werden stets nur fünf der eigentlich sechs verschiedenen Fahrzeugkomponenten aufgeführt. Das hängt damit zusammen, dass sich zwei produzierte Teile sehr ähnlich sind und stets in einem festen Stückzahlverhältnis zueinander gefertigt werden. Weiterhin werden diese in einer gemeinsamen Montage bearbeitet und daher während der Ergebnispräsentationen in der „Fahrwerkskomponente 4“ zusammengefasst. Trotzdem werden zwei verschiedene LGs benutzt, so dass dennoch sechs unterschiedliche Kreisläufe von Lackiergestellen existieren. Folglich wird keine Fahrwerkskomponente in den Betrachtungen der Experimente nicht berücksichtigt. Die nachstehende Abb.4.03 auf der nächsten Seite zeigt den Vergleich zwischen der zugrundeliegenden Datenbasis und den Ergebnissen, die das Simulationsmodell liefert. Hierbei ist jeder Anteil einer Fahrwegskomponente an der Gesamtanzahl durch eine andere Farbe gekennzeichnet.

Page 48: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

40

0

100

200

300

400

500

600

700

Ergebnis auf dem Simulationsmodell Daten aus dem BDE

A n

z a

h l

L a

c k

i e

r g

e s

t e

l l e

Fahrwegskomponente 1 Fahrwegskomponente 2

Fahrwegskomponente 3 Fahrwegskomponente 4

Fahrwegskomponente 5

Abb.4.03 – Übersicht über Anzahl der angelieferten Lackiergestelle

Die in Abb.4.03 präsentierten Ergebnisse sind die Mittelwerte aus den unterschiedlichen Wiederholungen für die Anzahl der Lackiergestelle, die während eines Tages an die jeweilige Montage für eine der Fahrwerkskomponenten geliefert wurde. Die dargestellten Resultate aus dem Simulationsmodell sind ebenfalls zusätzlich durch ein Konfidenzintervall abgesichert. Dieses ist für keine der betrachteten Fahrwerkskomponenten breiter als zwei Prozent vom jeweiligen Mittelwert. Das bedeutet, dass die in Abb.4.03 präsentierten Ergebnisse mit einer gewissen Irrtumswahrscheinlichkeit maximal noch um zwei Prozent schwanken können. Die im Diagramm gezeigte Summe der gelieferten LGs unterscheidet sich nicht von denen der Realität. Lediglich im Verhältnis der einzelnen LGs zueinander sind geringe Unterschiede zu erkennen. Diese sind jedoch so minimal, dass sie kaum Auswirkungen auf die Korrektheit des Modells haben. Diese Schwankungen bewegen sich innerhalb der Toleranzen, die sich ebenfalls während der laufenden Produktion ergeben.

Zusammenfassend ergibt sich, dass hier ein sehr realitätsnahes Modell des zu optimierenden Produktionssystems erstellt wurde. Dieses bietet nun eine hervorragende Grundlage, um die ausgewählten Szenarien zu testen, da das Simulationsmodell während der aufwendigen Validierung seine Allgemeingültigkeit erfolgreich unter Beweis gestellt hat.

Page 49: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

41

4.3 Lackgestelle

Das erste Szenario, das analysiert wird, ist die Veränderung der Anzahl der Lackiergestelle, die sich aktuell im Umlauf befinden. Da für jede Fahrwerkskomponente ein eigenes LG existiert, werden insgesamt sechs verschiedene Lackgestelle mit dem führerlosen Transportsystem befördert. Daraus ergibt sich eine besondere Problematik. Für eine optimale Produktion ohne logistische Verluste durch das FTS muss garantiert werden, dass stets leere LGs für die jeweilige Schweißgruppe zum Befüllen und für die Montageanlage immer volle Lackgestelle zur Verfügung stehen. Da diese Vorgabe für jede Fahrzeugkomponente in diesem Produktionssystem gilt, entstehen Wechselwirkungen, die nur sehr schwer vorrausgesagt werden können. Befinden sich z.B. in der Summe zu viele LGs im Umlauf, so werden die verfügbaren FTFs mit zusätzlichen Transportaufträgen zu den Bodenspeicherplätzen belastet, da die Anlagen die Lackiergestelle nicht schnell genug bearbeiten können. Weiterhin werden wertvolle Speicherplätze dauerhaft blockiert, die für Notfallsituationen, z.B. Stillstand der Lackanlage, dringend benötigt werden. Alle diese Aussagen und Einflüsse auf den Produktionsprozess können mit dem Simulationsmodell untersucht werden, um die optimale Anzahl an Lackiergestelle zu bestimmen.

Im folgenden Experiment wird die Anzahl der LGs jeweils erst einzeln für die drei Fahrwegskomponenten um je 15% gesteigert, die den größten Anteil der zu befördernden Gestelle haben. Anschließend wird untersucht, wie sich das Produktionssystem verhält, wenn alle drei Erhöhungen gleichzeitig durchgeführt werden. Als Ergebnisse sind zu erwarten, dass bei zusätzlich verfügbaren Lackiergestellen für eine Fahrwerkskomponente die Ausbringung dieses Teils steigt. Auf der anderen Seite ist aber auch denkbar, dass die Anzahl der gefertigten Komponente fällt, wenn bereits die optimale Anzahl an LGs vorhanden ist. Die anderen Fahrwerkskomponenten werden in ihrer produzierten Stückzahl leicht sinken, da die fahrerlosen Transportfahrzeuge mehr Gestelle befördern müssen. Daher werden insgesamt weniger LGs für die anderen Fahrwegskomponenten transportiert und dort steigen dann die logistischen Verluste.

Die nachstehende Abb.4.04 zeigt die Zusammenfassung der durchgeführten vier Experimente. Dabei ist zur besseren Übersicht der zu optimierende Ist-Stand als erster Balken im Diagramm zusätzlich mit angegeben.

Page 50: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

42

050

100150200250300350400450500550600650700

Ausgangs-situation

Erhöhung fürKomponente 1

Erhöhung fürKomponente 2

Erhöhung fürKomponente 3

Erhöhung fürKomponente 1,

2 & 3

Fahrwerkskomponente 1 Fahrwerkskomponente 2

Fahrwerkskomponente 3 Fahrwerkskomponente 4

Fahrwerkskomponente 5

Abb.4.04 – Ergebnisse zum Experiment „Erhöhung Lackiergestelle“

Im ersten Experiment sind die Lackiergestelle für die „Fahrwerkskomponente 1“ erhöht. Als Ergebnis lässt sich eine geringe Erhöhung der Anzahl an LGs um ein Prozent, welche die entsprechende Montage erreicht hat, erkennen. In der Summe sind allerdings nicht mehr Teile im gesamten Fertigungsprozess produziert wurde, da alle anderen Montagen jeweils minimal weniger mit vollen Lackiergestellen beliefert wurden. Diese Erkenntnis lässt darauf schließen, dass die „Fahrwerkskomponente 1“ nicht besonders stark von den zusätzlich verfügbaren LGs profitieren konnte. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass sich nicht ausreichend Fahrzeuge im Umlauf befinden, da die Gesamtanzahl der Transportfahrten zu den Montagen nicht gestiegen ist. An den Anlagen der „Fahrwerkskomponente 1“ sind die logistischen Verluste leicht gesunken, da an den Schweißgruppen nun einmal öfter ein leeres Gestell vorhanden war. Auf der anderen Seite allerdings sind die logistischen Verluste für alle anderen Teile des Produktionsprozesses leicht gestiegen, da nun ab und zu kein Fahrzeug frei war, um die benötigten Gestelle an die betreffenden Anlagen zu liefern. Die gleiche Auswertung trifft auf das dritte Experiment zu. Hier hat „Fahrwerkskomponente 3“ ebenfalls leicht

Page 51: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

43

von der 15%igen Erhöhung seiner Lackiergestelle profitiert und alle anderen Teile sind minimal benachteiligt wurden.

Beim zweiten Experiment wurden die LGs für „Fahrwerkskomponente 2“ erhöht. Hier zeigt sich in Abb.4.04 ein ganz anderes Ergebnis im Vergleich zu den beiden vorher beschriebenen Experimenten. Die Anzahl, der an die Montagen gelieferten Lackiergestellte, ist für alle Fahrwerkskomponenten gleichmäßig gesunken. Das durchgeführte Experiment hat dadurch keinen positiven Effekt für das Produktionssystem gebracht, doch dafür ist die Bedeutung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse umso höher. Die einzig zulässige Schlussfolgerung ist, dass für „Fahrwerkskomponente 2“ einfach viel zu viele Lackiergestelle eingesetzt wurden. Es sind nicht genug Kapazitäten für diese LGs in den Bodenspeicherplätzen vorhanden. Dadurch kam es mehrmals vor, dass die Lackanlage angehalten werden musste, weil die Gestelle der „Fahrwegskomponente 2“ den kompletten Lackauslauf blockierten haben. Dieses Verhalten bewirkt das im zweiten Experiment zu erkennende Ergebnis. Durch eine stehende Lackanlage werden stets alle Produktionsanlagen beeinflusst. In der Realität würde es nicht zu einem Blockieren der Lackanlage kommen, da hier vorher manuell eingegriffen wird. Mit Hilfe eines Gabelstaplers werden „störende“ Lackiergestelle kurzzeitig komplett aus dem Fertigungsprozess ausgeschleust. Als Umkehrschluss aus diesem Experiment lässt sich zusammenfassen, dass in der Ausgangssituation bereits eine optimierte Anzahl an LGs für „Fahrwegskomponente 2“ eingesetzt wird. Weiterhin werden hier einige der komplexen Wechselwirkungen aufgedeckt und so Transparenz für den Produktionsprozess geschaffen.

Im letzten Experiment sind die ersten drei Experimente miteinander kombiniert wurden. Allerdings wurde jede der drei Fahrwerkskomponenten nur noch um 5% erhöht, um das System vergleichbar zu den anderen Experimenten zu analysieren. Es ist in der Abb.4.04 deutlich zu erkennen, dass kaum Unterschiede zur Ausgangssituation existieren. Dieses Resultat untermauert die bereits getroffene Aussage, dass für eine wirtschaftliche Erhöhung der Lackgestellanzahl im Augenblick nicht genügend fahrerlose Transportfahrzeuge eingesetzt werden. Die logistischen Verluste werden nicht verringert, sondern entstehen nur anders. Das bedeutet, dass nun Produktionsanlagen nicht mehr primär auf entsprechende Lackiergestelle warten und daher stillstehen, sondern bearbeitet LGs nicht schnell genug durch die FTFs abgeholt werden. Um eine höhere Ausbringung von den Fahrwerkskomponenten zu erhalten, müssen zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt werden. Die zwölf verwendeten FTFs bewältigen eine Steigerung der Produktion nicht. Soll allerdings nur die Stückzahl eines speziellen Teiles erhöht werden, dann ist das möglich, wenn gleichzeitig dafür die Produktion einer anderen Fahrwerkskomponente reduziert wird.

Page 52: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

44

4.4 Arbeitszeitmodelle

Nach Rücksprache mit den verantwortlichen Anlagenbetreibern haben die Schichtmodelle einen großen Einfluss auf den Produktionsprozess. Diese Aussage konnte bereits während der Validierung des Simulationsmodells bestätigt werden. Um dieses Szenario zu untersuchen, wird für die Experimente im Modell für jede Anlage ein eigenes Schichtmodell definiert. Als besonders kritisch für einen gleichmäßigen Materialfluss werden die Produktionsanlagen eingeschätzt, die im Verhältnis zu anderen Anlagen wesentlich mehr Lackiergestelle verarbeiten. Daher werden im folgenden Experiment die Schichtmodelle dieser Anlagen so aufeinander abgestimmt, dass jetzt keine zwei Anlagen zur gleichen Zeit mehr pausieren.

In der Realität nutzt die Lackanlage, die ohne Pausen arbeitet, den Produktionsstillstand in allen anderen Anlage, um volle und in den Bodenspeichern gepufferte LGs mit geschweißten Teilen zu lackieren. Dadurch wird regelmäßig ein Rückstand, der durch Störungen und Stillstände der Lackanlage entstanden ist, wieder aufgeholt. Anhand von Experimenten mit aufeinander abgestimmten Schichtmodellen einiger Produktionsanlagen soll nun untersucht werden, ob es möglich ist, die Lackanlage gleichmäßig auszulasten. Das bedeutet, dass die Lackiergestelle nun nicht mehr stoßweise eintreffen und einige dadurch in die Bodenstellplätze zwischengespeichert werden müssen. Auf der anderen Seite wird durch diese Steuerung erreicht, dass mögliche Leertakte in der Lackanlage und gleichzeitig die zusätzlichen Transporte zu den Bodenspeichern durch die Fahrzeuge vermieden werden.

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

0:00 2:00 4:00 6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00

1 T a g

A n

z a

h l

F T

F

Abb.4.05 – Auslastung der FTFs bei optimierten Schichtmodellen

Page 53: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

45

Die Abb.4.05 steht im direkten Vergleich zur Abb.4.01. Hier ist ebenfalls der zeitliche Verlauf aller fahrerlosen Transportfahrzeuge dargestellt, die gerade einen Auftrag ausführen. Bei der Gegenüberstellung beider Diagramme fällt deutlich auf, dass die Einbrüche während der Schichtpausen nicht mehr vorhanden sind. Im Mittel sind nun 10,20 Fahrzeuge auf dem Fahrkurs unterwegs, die einen Transportauftrag ausführen. Das zugehörige Konfidenzintervall hat erneut eine Breite von 0,30 FTFs. Damit konnte erfolgreich nachgewiesen werden, dass die Abstimmung der Schichtmodelle in den Anlagen aufeinander eine höhere Auslastung der Fahrzeuge bewirkt, da sich die Konfidenzintervalle der Ausgangssituation und dieses Experimentes nicht überschneiden.

Das folgende Diagramm zeigt die mittlere Verteilung der Zustände, die ein fahrerloses Transportfahrzeug während eines Tages annimmt. Dabei werden die folgenden fünf Zustände unterschieden:

• Batteriewechsel in der Ladestation

• Gestört

• Frei

• Disponiert

• Transportiert

Hier wird ein FTF auch dann als arbeitend definiert, wenn es disponiert ist und dementsprechend leer zu einem Ziel fährt, um dort erst ein Lackiergestell aufzunehmen.

0,0

20,0

40,0

60,0

80,0

100,0

Ausgangssituation optimierte Schichtsysteme

Ver

t e

i l u

n g

p

r o

T

a g

i n

%

transportiert disponiert frei gestört Batteriewechsel

Abb.4.06 – Verteilung der FTF Zustände pro Tag

Page 54: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

46

In der Abb.4.06 auf der vorherigen Seite ist deutlich zu erkennen, dass die Summe der Zeiten, in der ein Fahrzeug disponiert ist oder ein LG transportiert während des Experiments zu den optimierten Schichtsystemen größer ist. Insgesamt arbeiten die FTFs zu vier Prozent mehr und dadurch reduzieren sich die logistischen Verluste in allen Produktionsanlagen gleichmäßig. Allerdings profitieren die Schweißgruppen und Montagen nicht komplett von der besseren Auslastung der Fahrzeuge, da auch einiges dieses neuen Potentials für Transporte in die Bodenspeicher verwendet wird. Diese Aussagen werden durch die folgende Abb.4.07 unterstützt.

0

50

100

150

200

250

300

350

400

450

500

550

600

650

700

Ausgangssituation optimierte Schichtsysteme

A n

z a

h l

L a

c k

i e

r g

e s

t e

l l e

Fahrwegskomponente 1 Fahrwegskomponente 2Fahrwegskomponente 3 Fahrwegskomponente 4

Fahrwegskomponente 5

Abb.4.07 – Ergebnis zum Experiment „Arbeitszeitmodelle“

In der Grafik ist wiederum die aufsummierte Anzahl der Lackiergestelle, die an die jeweiligen Montagen geliefert wurden, dargestellt. Im Gegensatz zur Ausgangssituation ist die produzierte Stückzahl je Fahrwerkskomponente um circa drei Prozent gestiegen. Die resultierende Differenz zur erhöhten Auslastung der FTFs ist durch die bereits angesprochenen Transportfahrten zu den Bodenspeichern zu begründen. Da in diesem Experiment keine Erhöhung von LGs durchgeführt wurde, profitieren hier diesmal alle Fahrwerkskomponenten von der besseren Auslastung der Transportfahrzeuge.

Page 55: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

47

4.5 Kombination der Szenarien

Alle bisher durchgeführten Experimente zum Einfluss von zusätzlichen Lackiergestellen und die Abstimmung von Schichtmodellen haben untereinander unbekannte Wechselwirkungen. Anhand der Kombination der bisherigen Ergebnisse miteinander, wird an dieser Stelle untersucht, ob sich die ermittelten Optima weiter steigern lassen, oder ob sie sich gegenseitig aufheben.

Im folgenden Experiment werden die erfolgreich analysierten Schichtmodelle mit einer Erhöhung der Lackgestelle für die „Fahrwerkskomponente 1“ kombiniert, die im vorangegangenen Experiment davon Nutzen gezogen hat und die Ausbringung leicht steigern konnte. Weiterhin wird die Erhöhung nun nicht mehr so stark durchgeführt, da ja bereits nachgewiesen wurde, dass zu viele LGs im Umlauf von den aktuell verfügbaren FTFs nicht bewältigt werden.

0

50

100

150

200

250

300

350

400

450

500

550

600

650

700

Ausgangssituation Erhöhung LGs fürKomponente 1

Kombination

A n

z a

h l

L a

c k

i e

r g

e s

t e

l l e

Fahrwerkskomponente 1 Fahrwerkskomponente 2

Fahrwerkskomponente 3 Fahrwerkskomponente 4

Fahrwerkskomponente 5

Abb.4.08 – Ergebnis zum Experiment „Kombination der Szenarien“

Page 56: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

48

In der Abb.4.08 ist das Ergebnis des Experiments zur Kombination der bisherigen Erkenntnis den Resultaten der bisherigen Experimente gegenübergestellt. Bei der betrachteten Untersuchung wurden die optimierten Schichtsysteme und eine 5%ige Steigerung der Lackiergestellanzahl für „Fahrwerkskomponente 1“ durchgeführt. Anhand der Ergebnisse und Schlussfolgerungen zur Analyse von zusätzlichen LGs im Umlauf, wurden die LGs hier nicht so stark erhöht, da beim letzten Mal zu viele Lackiergestelle eine wirtschaftliche Ausbringungssteigerung verhindert hatten.

Im obigen Diagramm ist zu erkennen, dass sich diesmal die zusätzlichen Lackiergestelle für „Fahrwerkskomponente 1“ positiv auf dessen produzierte Stückzahl ausgewirkt haben, aber gleichzeitig die anderen Fahrwerkskomponenten nicht beeinträchtigt wurden. Das Ausbringungsplus bei „Fahrwerkskomponente 1“ liegt noch über dem Zugewinn als beim Experiment zur reinen Erhöhung der Lackiergestelle. Alle anderen Teile, die sich im Produktionsprozess befinden, liegen auf dem gleichen Niveau wie in der Ausgangssituation.

Als Zusammenfassung zu dieser Untersuchung bedeutet dies, dass hier insgesamt nun ein Optimum für die Stückzahlerhöhung einer der Fahrwerkskomponenten erarbeitet wurde. Dabei stand beispielhaft die „Fahrwerkskomponente 1“ im Vordergrund der Analysen, da diese mit annähernd 50% Anteil an den zu bewältigenden Lackiergestellen den größten Einfluss im Produktionssystem hat, und weiterhin darauf die Priorität der Verantwortlichen der Produktionssteuerung liegt. Die durchgeführten Experimente an der bestehenden Anlagen- und Logistikstruktur bilden die Basis für weitere Untersuchungen. Die erarbeiteten Erkenntnisse lassen sich auf die übrigen Fahrwerkskomponenten übertragen, müssen aber zusätzlich noch durch die Simulation verifiziert werden.

4.6 FTS

Als besonderes gefordertes Feature der Simulationssteuerung soll hier das dynamische Erhöhen bzw. Verringern der verfügbaren Anzahl der fahrerlosen Transportfahrzeuge hervorgehoben werden. Durch die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sollen Rückschlüsse auf die Sensibilität des Produktionsprozesses bei dauerhaftem Ausfall eines oder mehrerer Fahrzeuge, sowie die optimale Anzahl an FTF für die aktuelle Produktionssituation möglich sein. Weiterhin kann dadurch untersucht werden, ob und vor allem wie lange das betrachtete System benötigt, um eine dermaßen starke Beeinflussung der Logistik wieder auszugleichen.

Page 57: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

49

Anhand der neuen Erkenntnisse aus den vorherigen Experimenten steht nun die Untersuchung der minimal notwendigen Anzahl der fahrerlosen Transportfahrzeuge im Mittelpunkt. Es soll die Fragestellung untersucht werden, ob es möglich ist, die erste Hälfte der Woche nur mit elf FTFs zu bestreiten und dann in der zweiten Hälfte ein zusätzliches Fahrzeug zur Verfügung zu haben. Dabei soll das neu aufgezeigte Potential dazu verwendet werden, um lange Ausfallzeiten eines FTF z.B. durch aufwendige Reparaturmaßnahmen zu kompensieren. Von besonderem Interesse ist daher die Frage, ab welchem Tag das weitere Fahrzeug benötigt wird, um die geforderte Wochenausbringung an Fahrwerkskomponenten noch zu erreichen. Diese Untersuchung behandelt eine sehr produktionsnahe Problematik und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden umgehend in die Steuerung des Produktionsprozesses eingehen.

Die Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit des Produktionssystems mit elf im Umlauf befindlichen Fahrzeugen werden ebenfalls bereits mit den ermittelten Optimierungen aus den vorangegangenen Experimenten durchgeführt.

-10

0

10

20

30

40

Tag1

Tag2

Tag3

Tag4

Tag5

Tag6

Tag7

Kritisch

im Soll

11 FTFs 12 FTFs

Abb.4.09 – Zeitlicher Verlauf über Ausbringungsverluste

In Abb.4.09 ist der Wochenverlauf für die aufsummierten Mittelwerte der Ausbringungsverluste aller Montagen des Produktionssystems dargestellt. Das bedeutet, dass hier alle Lackiergestelle aufaddiert wurden, die binnen eines Arbeitstages nicht

Page 58: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

50

geliefert werden konnten. Nach 2,5 Arbeitstagen fehlen bereits circa 40 LGs, da die elf eingesetzten FTFs die notwendigen Transporte nicht bewerkstelligen, um die geforderte Gesamtausbringung des Produktionssystems zu erreichen. Daher wird ab diesem Zeitpunkt das fehlende zwölfte Fahrzeug wieder eingeschleust. Ab dem Augenblick wird der bis dahin gemachte Verlust langsam wieder aufgeholt. Nach etwa sieben Arbeitstagen konnten die Auswirkungen durch die reduzierte Fahrzeuganzahl schlussendlich wieder ausgeglichen werden.

Diese Erkenntnis ist unverzichtbar für eine erfolgreiche Steuerung dieses Produktionssystem. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, die Termintreue zu gewährleisten. Das bedeutet, dass der Kunde der produzierten Fahrwerkskomponenten die Teile stets pünktlich zum vereinbarten Termin bekommt. Durch die hier getroffenen Aussagen zum Verlust- und Gewinnpotential dieses Fertigungsprozesses kann die Termintreue zuverlässiger garantiert werden, da nun rechtzeitig Gegenmaßnahmen getroffen werden können, um einen Abriss der Versorgung des Kunden mit Teilen zu verhindern.

4.7 Diskussion der Ergebnisse und Bewertung

Insgesamt sind zwei verschiedene Arten von Ergebnissen durch die Experimente ermittelt wurden. Das sind zum einen die gewonnenen Erkenntnisse zur Optimierung des Produktionsprozesses und um anderen die getroffenen Aussagen zum Einfluss von unterschiedlichen Fahrzeuganzahlen auf die Termintreue zum Kunden.

In den ersten Experimenten wurde die Anzahl der Lackiergestelle für einzelne Varianten der Lackiergestelle erhöht. Dieses Optimierungspotential wird bei der momentan eingesetzten Anzahl von zwölf Fahrzeugen als gering eingeschätzt. Die zusätzlichen LGs belasten die FTFs mit extra Transportfahrten, wodurch die Ausbringung in den Anlagen sogar sinkt. Erst durch den Einsatz weiterer Fahrzeuge wird das Potential der Lackiergestellerhöhung ausgeschöpft. Hierzu sind allerdings weitere Untersuchungen notwendig, um die genaue Anzahl an LGs je Fahrwerkskomponente zu ermitteln.

Die Untersuchungen zu den aufeinander abgestimmten Schichtsystemen haben in den durchgeführten Experimenten die größte Steigerung der Ausbringung erbracht. Daher werden die Analysen hierzu als sehr erfolgreich betrachtet. Durch das Unterbinden von gleichzeitigen Arbeitspausen konnte ein gleichmäßiger Materialfluss erzeugt werden, der allen Schweißgruppen und Montagen im System zu Gute kommt. Anhand von zusätzlichem Feintuning an den Pausenzeiten ist eine weitere Erhöhung von

Page 59: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

51

Transporten durch die fahrerlosen Transportfahrzeuge zu erwarten. Dadurch steigt die produzierte Stückzahl weiter an.

Durch diese zwei erarbeiteten Optimierungsansätze konnten die logistischen Verluste in den Produktionsanlagen gesenkt werden. Somit ist durch diese Diplomarbeit eine der wichtigsten Fragestellungen erfolgreich beantwortet wurden. Allerdings ist es sehr schwierig vorherzusagen, welche Faktoren den größten Einfluss auf das Produktionssystem hat. Weiterhin wird es nur durch eine kontinuierliche und aufeinander abgestimmte Folge von Experimenten möglich sein, das perfekte Optimum für die betrachtete Anlagen- und Logistikstruktur zu ermitteln. Insbesondere die Bestimmung der bestmöglichen Anzahl von Lackiergestellen unter Berücksichtigung der eingesetzten FTFs und der momentan geforderten Teilestückzahlen ist eine sehr aufwendige und zeitintensive Untersuchung. Das erstellte Simulationsmodell bietet dazu die beste Grundlage, um die notwendigen Analysen durchzuführen.

Die zweite wichtige Aussage ist von immenser Bedeutung für die Verantwortlichen der Produktionssteuerung. Anhand der Simulationsresultate können die verfügbaren FTFs kostenoptimiert eingesetzt und gleichzeitig die Gefahr eines Lieferabrisses zum Kunden stark vermindert werden. Es können Engpässe nun schnell und zuverlässig erkannt und durch den rechtzeitigen Einsatz zusätzlicher Fahrzeuge vermieden werden. Die Leistung der Logistikanbindung zwischen den Anlagen kann jetzt optimal abgeschätzt werden. Die Erzeugung dieser Transparenz im Produktionssystem ist ebenfalls eines der wichtigen Ziele dieser Arbeit. Durch die hier getroffenen klaren Aussagen ist dieses Ziel erreicht wurden. Gleichzeitig wird das nun ermöglichte Treffen von sicheren Entscheidungen in der Produktionssteuerung momentan als höherwertig eingestuft als das aufgezeigte Optimierungspotential, da diese Erkenntnisse mit sofortiger Wirkung im Fertigungsprozess angewendet werden können.

Page 60: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

52

5 Bewertung und Ausblick

Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und abschließend bewertet. Dabei wird ganz klar die Bedeutung der erreichten Ziele herausgestellt. Weiterhin werden die noch vorhandenen Einschränkungen und Randbedingungen des Simulationsmodells diskutiert. Im Anschluss daran wird ein Ausblick gegeben, der die weiteren Möglichkeiten des Modells näher beschreibt und gleichzeitig die Einbeziehung der Resultate auf den Produktionsprozess darlegt.

5.1 Zusammenfassung

Alle im ersten Kapitel aufgeführten Ziele sind in dieser Diplomarbeit erreicht wurden. Das komplexe Produktionssystem wurde umfassend analysiert und nach der Erarbeitung verschiedener Konzepte realitätsnah in einem detaillierten Simulationsmodell abgebildet. Hierbei stand besonders das führerlose Transportsystem im Vordergrund der Modellierung und der durchgeführten Experimente. Durch die Optimierung der Fahrzeuge und der zu transportierenden Lackiergestelle konnten konkrete Lösungsstrategien aufgezeigt werden, um die logistischen Verluste in den Anlagen zu minimieren. Gleichzeitig wird dadurch die Leistung des gesamten Produktionssystems gesteigert. Dazu trägt besonders die Neustrukturierung der Schichtmodelle in den Produktionsanlagen bei, so dass eine bessere Auslastung der FTFs erreicht wird, die sich sehr positiv auf die gefertigte Stückzahl an Fahrwerkskomponenten auswirkt.

Während dieser Arbeit wurde eine umfassende und flexible Lösungsmöglichkeit erarbeitet, die jeder Zeit herangezogen werden kann, um die aktuellen, aber gleichzeitig auch die zukünftigen, Fragestellungen zur Produktionssteuerung zu beantworten. Anhand von ausgewählten Szenarien wurde die Leistungsfähigkeit des Simulationsmodells unter Beweis gestellt. In den durchgeführten Experimenten konnten bereits erste wichtige Ansätze erarbeitet werden, die eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des Produktionssystems erreichen.

Weiterhin ist durch die gewonnenen Erkenntnisse die Transparenz des betrachteten Systems stark gestiegen. Einige der existierenden Wechselwirkungen z.B. von Fahrzeuganzahl, Lackiergestellanzahl, Schichtmodellen und der aktuellen Produktionssituation wurden aufgedeckt und können nun aktiv beeinflusst werden. Angestrebte Optimierungen wirken sich nicht nur auf eine der Fahrwerkskomponenten aus, sondern beeinflussen ebenfalls alle anderen zufertigenden Teile im Produktionsprozess. Das bedeutet, dass negative Rückkopplungen von Änderungen an der Anlagenstruktur oder der Logistikanbindung jetzt frühzeitig erkannt werden.

Page 61: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

53

5.2 Bewertung der Simulationsergebnisse

Die Untersuchungen zur veränderten Lackiergestellanzahl beschränkten sich auf die Fahrwegskomponenten, die an der Gesamtanzahl, der sich im Umlauf befindlichen LGs, die größten Anteile haben. An dieser Stelle wurde die Hypothese überprüft, ob zusätzliche Lackiergestelle für eine der Fahrwerkskomponenten sich positiv auf die Ausbringung dieses Teiles auswirken. Als Resultat dieser Experimente lässt sich zusammenfassen, dass eine 15%ige Erhöhung der Lackiergestelle zu hoch kalkuliert war, da die eingesetzten fahrerlosen Transportfahrzeuge überfordert waren. Die Fahrwerkskomponente, die zusätzliche LGs zur Verfügung hatte, konnte jeweils eine leichte Erhöhung der Produktion um etwa ein Prozent verzeichnen. Allerdings verlieren alle anderen Fahrwerkskomponenten im Produktionsprozess, wodurch die Gesamtausbringung des Systems nur unwesentlich steigt, oder gar unter das Ausgangsniveau absinkt. Die Erhöhung der Lackiergestelle bei der augenblicklich verwendeten Anzahl an FTFs erbrachte keinen entscheidenden wirtschaftlichen Nutzen.

Die Experimente zur Auswirkung von aufeinander abgestimmten Schichtmodellen haben die erwarteten Ergebnisse bei weitem übertroffen. Durch das gezielte Verhindern von gleichzeitigen Pausen in den Produktionsanlagen konnte eine deutliche Steigerung der Auslastung der fahrerlosen Transportfahrzeuge erreicht werden. Insgesamt war jedes FTF zu vier Prozent mehr beansprucht während eines Tages. Die zusätzlichen Transporte durch die Fahrzeuge führen zu einer Steigerung der gesamten Produktion um circa drei Prozent. Dieses aufgedeckte Optimierungspotential wird durch einen gleichmäßigeren Materialfluss erreicht, da nun stets Lackiergestelle durch die Anlagen bereitgestellt werden und seltener Situationen entstehen, in denen die FTFs kaum Fahraufträge auszuführen haben. Anhand der erzielten Resultate müssen die aktuell verwendeten Schichtsysteme neu diskutiert werden, da die durch die Anpassung erreichte Ausbringungssteigerung nicht ungenutzt bleiben darf. Die Experimente zu den Arbeitszeitmodellen erfordern allerdings weitere Analysen, da bei der Abstimmung der Anlagen zusätzlich die aktuelle Produktionssituation und Störungen berücksichtigt werden können. Das bedeutet, die Pausenzeiten individuell und sehr flexibel an aufgetretene Anlagenstillstände anzupassen. Damit kann unter optimalen Bedingungen erreicht werden, dass zu jedem Zeitpunkt stets eine konstante Anzahl an Transportaufträgen für die Fahrzeuge vorliegt. Damit wird ein perfekter und sehr gleichmäßiger Materialfluss an LGs ohne Stoß- und Leerzeiten erzeugt. Dieser reduziert dann ebenfalls die notwendige Zahl an FTFs und erhöht weiter die Leistungsfähigkeit des Produktionssystems. Weiterhin bestätigen die Untersuchungen zu den Schichtmodellen ein beträchtliches Potential zur Kostenreduzierung. An der bestehenden Anlagen- und Logistikstruktur wurden keine Investitionen vorgenommen

Page 62: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

54

und es ist dennoch gelungen, eine wirtschaftliche und effektive Optimierungslösung zur Erhöhung der Gesamtausbringung zu erarbeiten.

Die Kombination der Erkenntnisse aus den eben dargelegten Untersuchungen erbrachte die erwarteten Resultate. Durch die abgestimmten Schichtmodelle wurde die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Fahrzeuge erhöht und daher werden zusätzliche Lackiergestelle vom Produktionssystem nun besser bewältigt. Die im anschließenden Experiment durchgeführte 5%ige Erhöhung der LGs für eine der Fahrwerkskomponenten erbrachte eine Steigerung der Ausbringung. Der Zugewinn dieses Teiles liegt zwischen einem und drei Prozent. Gleichzeitig verringert sich aber nicht die Stückzahl der anderen produzierten Teile. Dieser positive Effekt ist auf die bessere Auslastung der FTFs zurückzuführen.

Im letzten Szenario wurde untersucht, wie das optimierte Produktionssystem nun die Reduzierung der eingesetzten Fahrzeuge verkraftet. Bisher waren zwölf FTF notwendig, um die geforderte Tagesausbringung zu bewältigen. Im durchgeführten Experiment sind daher von Beginn an nur elf Transportfahrzeuge im Umlauf. Dadurch wird die geforderte Teilestückzahl nicht erreicht. An dieser Stelle wird nun überprüft, ab welchem Zeitpunkt das zwölfte Fahrzeug zwingend wieder eingesetzt werden muss, um die Ausbringungsverluste bis zum Ende der Woche wieder auszugleichen. Die erzielten Resultate belegen, dass dieser kritische Zeitpunkt nach 2,5 Arbeitstagen erreicht ist. Diese Aussage hat große Bedeutung für die Verantwortlichen der Produktionssteuerung, da nun exakte und sichere Entscheidungen getroffen werden können, unter welchen aktuellen Produktionsbedingungen welche Anzahl an FTFs mindestens benötigt wird. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sind besonders wichtig, um rechtzeitig Notfallstrategien einsetzen zu können, damit die garantierte Termintreue zum Kunden stets eingehalten wird. Weiterhin ist der zukünftige Einsatz der fahrerlosen Transportfahrzeuge sehr wirtschaftlich und kostenoptimiert möglich, da nun die Anzahl der benötigten FTFs exakt auf die noch geforderte restliche Ausbringung abgestimmt werden kann. In zukünftigen Experimenten wird untersucht, inwieweit sich Reparaturen und Wartungsarbeiten an den FTFs mit der augenblicklichen Situation im Fertigungsprozess koordinieren lassen. Hier ist denkbar, dass bei Stillständen von Anlagen die Fahrzeuge repariert werden. Dadurch müssen FTFs zu diesem Zweck nicht aus dem Umlauf genommen werden, wenn gerade besonders viele Transportaufträge durch die Produktionsanlagen anstehen. Die Untersuchungen dazu sind sehr vielschichtig, beinhalten aber gleichzeitig noch beachtliches Optimierungspotential.

Page 63: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

55

Mit den durchgeführten Analysen zu den ausgewählten Szenarien wurde ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Transparenz des komplexen Produktionssystems unternommen. Welche Eingriffe am Fertigungsprozess bewirken welche Änderungen? Welche Größenordnung haben diese Änderungen und beeinflussen sie das System positiv oder negativ? Es sind weitere Untersuchungen notwendig, um wirklich die letzten unbekannten Wechselwirkungen aufzudecken. Mit dem erstellten Simulationsmodell wurde während dieser Diplomarbeit ein mächtiges Werkzeug geschaffen, dass optimal darauf abgestimmt ist, alle noch anstehenden Experimente zu diesen offenen Fragen durchzuführen.

5.3 Randbedingungen des Simulationsmodells

Vor der Erstellung des Simulationsmodells wurden verschiedene Konzepte erarbeitet, die sicherstellen, dass die Ziele dieser Arbeit mit dem Modell erreicht werden. Hierzu gehören vor allem die definierten Anforderungen zur Modellierung und zum Benutzerinterface.

Das Modellierungskonzept hatte großen Einfluss auf die erfolgreiche Erstellung des Simulationsmodells. Durch die Trennung des Produktionsprozesses in „Körper“ und „Geist“ war es möglich, eine bereits existierende Logistiksteuerung als „Geist“ zu adaptieren. Durch den so gewonnenen Zeitvorteil konnten die nun verfügbaren Ressourcen für die detaillierte Abbildung des „Körpers“, d.h. für die Fahrzeug- und Anlagenstruktur, genutzt werden. Hier stand besonders das Fahrverhalten der fahrerlosen Transportfahrzeuge, sowie die komplexe Lackanlage im Mittelpunkt der Modellierung. Diese zwei Bestandteile bilden die Kernelemente des Produktionssystems und sind daher sehr realitätsnah im Simulationsmodell dargestellt. Die Schweißgruppen und Montagen sind als einfache Stationen abgebildet wurden. Das bedeutet, dass die interne Struktur dieser Anlagen bei der Modellierung noch nicht berücksichtigt, sondern in einer „Blackbox“ zusammengefasst wurde. An dieser Stelle ist allerdings die Möglichkeit zur Erweiterung des Simulationsmodells offen gehalten wurden. Für zukünftige Fragestellungen, die sich primär auf diese Produktionsanlagen beziehen, muss das Modell an dieser Stelle erweitert werden, um verlässliche Ergebnisse zu erhalten.

Die durchgeführte Datenmessung und die enthaltenen Störprofile der Anlagen, die dem Betriebsdatenerfassungssystem entnommen wurden, sind die Grundlage für das Simulationsmodell und haben ihre Richtigkeit während der aufwendigen Validierung unter Beweis gestellt. Da das gesamte Produktionssystem kontinuierlich in kleinen

Page 64: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

56

Bereichen verbessert wird, muss die Datengrundlage regelmäßig überprüft und gegebenenfalls neu eingepflegt werden, um stets korrekte Resultate zu erhalten. Daher wird an dieser Stelle nochmals mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die im vierten Kapitel ermittelten Ergebnisse und Aussagen nur für die aktuell verwendeten Input-Daten gelten. So liefern z.B. aktualisierte Störprofile oder veränderte Anlagentaktzeiten für die durchgeführten Experimente andere Resultate.

Eine weitere wichtige Randbedingung, die bei der Bewertung der Simulationsergebnisse berücksichtigt werden muss, ist der manuelle Eingriff in das Produktionssystem durch die Mitarbeiter vor Ort. Als sehr gutes Beispiel dafür wird hier die Benutzung eines separaten Gabelstaplers angeführt. Dieser wird hin und wieder eingesetzt, wenn an den Produktionsanlagen abholbereite Lackiergestelle nicht schnell genug durch eines der FTFs abtransportiert werden. Auf diese Weise werden Produktionsstillstände und somit die logistischen Verluste in den Anlangen verringert, die durch die fahrerlosen Transportfahrzeuge verursacht werden. Nach Rücksprache mit den Verantwortlichen vor Ort gibt es keinen festen Regelsatz, nach dem der Gabelstapler eingesetzt wird. Daher lässt sich dieses manuelle Verhalten nicht realistisch als Automatismus im Simulationsmodell implementieren. Diese Gegebenheit muss stets bei der Interpretation der Simulationsergebnisse berücksichtigt werden.

Die letzte hier aufgeführte Randbedingung bezieht sich auf das aktuell im Modell verfügbare Benutzerinterface. Dieses orientiert sich am erarbeiteten Konzept. Alle Parameter, die zum Einstellen von Experimenten verändert werden können, sind übersichtlich in Tabellen zusammengefasst. Ebenfalls ist bereits die geforderte Aufbereitung der Simulationsergebnisse vorhanden. Allerdings sind bisher nur die wichtigsten Resultate, wie Füllung der Lackanlage, Auslastung der fahrerlosen Transportfahrzeuge und die Anlagenausbringungen in einer aufbereiteten Darstellung zusammengefasst. Um die Bedienung des Simulationsmodell für die zukünftigen Anwender weiter zu vereinfachen, müssen alle noch nicht aufbereiteten Simulationsergebnisse ebenfalls zusammengetragen und in Tabellen strukturiert werden. Nach der Umsetzung dieser noch offene Maßnahme sinkt die Zeit weiter, die benötigt wird, um die Simulationsläufe auszuwerten.

Page 65: Optimierung eines Produktionssystems bei der Volkswagen AG ... · III Kurzfassung Aktuelle Produktionssysteme in der Automobilindustrie bestehen aus einer umfangreichen Anlagenstruktur

57

5.4 Ausblick

Wie zuvor beschrieben, sind die durchgeführten Experimente zu den ausgewählten Szenarien der Anfang zur Optimierung des Produktionssystems. Durch die Resultate der bisherigen Untersuchungen wurden bereits neue Fragestellungen aufgeworfen, die im Anschluss an diese Diplomarbeit mit dem erstellten Simulationsmodell beantwortet werden.

Dazu gehört vor allem die Frage, wo das Maximum des gesamten Fertigungsprozesses liegt. Welche produzierten Tagesstückzahlen je Fahrwerkskomponente sind zu erwarten, wenn das gesamte Optimierungspotential angewendet wird? Das setzt natürlich voraus, dass zuvor das perfekte Zusammenspiel von Anlagen und Fahrzeugen unter Einbeziehung aller Einflussfaktoren ermittelt wird. Dieses Optimum ist nicht nur unter Berücksichtung der Anzahl von FTFs im Umlauf oder der Summe an verfügbaren Lackgestellen erreichbar. Ebenso muss die Aufteilung der begrenzten Bodenspeicherplätze auf die jeweiligen Fahrwerkskomponenten, sowie deren Positionierung in den Fertigungshallen genau analysiert werden. Dieses Experiment wurde in der Vergangenheit noch nicht durchgeführt und birgt so ungenutztes Optimierungspotential. Durch verkürzte Wegestrecken werden die Fahrzeuge schneller wieder frei für weitere Aufträge und können dadurch zusätzliche Transporte bewältigen.

Diese zukünftigen Experimente lassen sich sehr einfach mit dem erstellten Simulationsmodell durchführen, da es bereits für diese Untersuchungen vorbereitet ist. Allerdings sind durch diese Diplomarbeit neue Ideen zur Optimierung des Produktionssystems erarbeitet wurden, die sich nicht ohne grundlegende Änderungen am Modell analysieren lassen. Dazu gehört zum einen die Auftragsvorausschau für die fahrerlosen Transportfahrzeuge. Dieses neue Feature der Logistiksteuerung bietet unbekanntes Optimierungspotential, da freie FTFs bereits dann einen Zielort anfahren, wenn dort in der nächsten Zeit ein Lackiergestell abgeholt werden muss. Hier kann nur mit Hilfe der Simulation bewiesen werden, ob es wirtschaftlich ist, die Fahrzeugsteuerung in der realen Anlage dahingehend zu ändern. Zum anderen ist es denkbar, das reale Produktionssystem direkt mit dem Simulationsmodell zu koppeln. So sind sehr präzise Aussagen zur künftigen Entwicklung des Systems möglich, da die aktuelle Produktionssituation als Ausgangspunkt verwendet wird.

Zusammengefasst existieren eine Vielzahl an zukünftigen Verwendungszwecken und Erweiterungsmöglichkeiten, die auf die Ergebnisse dieser Diplomarbeit aufbauen und so die Entwicklung der „digitalen Fabrik“ weiterhin kontinuierlich voranbringen.