Originalklausur - lernhelfer.de · THEMA 1 Thomas Bernhard (1931 - 1989): Vorurteil (e. 1978)...

15
In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan- weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern. Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“. Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe. Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums. Das Schnell-Merk-System fürs Abi – aufschlagen, nachschlagen, merken Buch … Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen … und Download Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren kostenlos auf www.duden.de/abitur Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft Originalklausur mit Musterlösung Abitur Deutsch Thema 1: Thomas Bernhard: Vorurteil Thema 2: Christoph Meckel: Rede vom Gedicht / Novalis: Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren … Thema 3: Hermann Hesse: Der Steppenwolf / Alfred Wolfenstein: Wölfischer Traktat

Transcript of Originalklausur - lernhelfer.de · THEMA 1 Thomas Bernhard (1931 - 1989): Vorurteil (e. 1978)...

In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“.

Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe.

Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums.

DasSchnell-Merk-SystemfürsAbi– aufschlagen,nachschlagen,merken

Buch…

■ Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur ■ systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip ■ Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen

…undDownload■ Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren ■ kostenlos aufwww.duden.de/abitur

Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte,Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft

Originalklausurmit Musterlösung

AbiturDeutschThema1: Thomas Bernhard: VorurteilThema2: Christoph Meckel: Rede vom Gedicht / Novalis: Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren …Thema3: Hermann Hesse: Der Steppenwolf / Alfred Wolfenstein: Wölfi scher Traktat

Sächsisches Staatsministerium Geltungsbereich: für Kultus - allgemeinbildendes Gymnasium - Abendgymnasium und Kolleg Schuljahr 2007/08 - schulfremde Prüfungsteilnehmer

Schriftliche Abiturprüfung

Leistungskursfach Deutsch

- E R S T T E R M I N -

Material für den Prüfungsteilnehmer

Allgemeine Arbeitshinweise

Ihre Arbeitszeit (einschließlich Zeit für Lesen und Auswahl des Themas) beträgt 300 Minuten.

Erlaubtes Hilfsmittel: Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung

Zu Thema 3, das sich auf eine umfangreiche Ganzschrift bezieht, ist zur Gedächtnis-stütze ein Figurenverzeichnis angegeben. Daraus leitet sich nicht die Verpflichtung ab, alle Figuren in die Bearbeitung des Themas einzubeziehen.

Prüfungsinhalt

Wählen Sie eines der nachstehenden Themen aus und bearbeiten Sie dieses entspre-chend der Aufgabenstellung.

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 1 von 8

THEMA 1

Thomas Bernhard (1931 - 1989): Vorurteil (e. 1978)

Interpretieren Sie den Text. Beziehen Sie die Aussage Thomas Bernhards „Ich brauch’ überhaupt nix erfinden. Die Wirklichkeit ist viel scheußlicher.“1 in Ihre Deutung ein.

THEMA 2

Christoph Meckel (geb. 1935): Rede vom Gedicht (e. 1974)

Novalis (1772 - 1801): Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren … (1802)

Interpretieren Sie das Gedicht „Rede vom Gedicht“ und vergleichen Sie es mit dem Gedicht „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren …“.

THEMA 3

Hermann Hesse (1877 - 1962): Der Steppenwolf (1927)

Alfred Wolfenstein (1883 - 1945): Auszug aus „ Wölfischer Traktat“ (1927)

Erörtern Sie ausgewählte Positionen Alfred Wolfensteins auf der Grundlage Ihres Wissens über Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“.

1 In: Nachlaßverwaltung Thomas Bernhard (Hrsg.): Thomas Bernhards Häuser. Gmunden. Österreich:

Residenz Verlag 1995, S. 67.

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 2 von 8

THEMA 1:

Thomas Bernhard1: Vorurteil

5

10

15

20

25

30

35

Nahe Großgmain, wohin wir an den Wochenenden sehr oft mit unseren Eltern in einem sogenannten Landauer, welcher noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte und der in einer für den Bau von Landauern berühmten Werkstätte in Elixhausen hergestellt worden war, unterwegs gewesen waren, hatten wir aufeinmal mitten im Wald einen ungefähr vierzig- bis fünfundvierzigjährigen Mann gesehen, der uns, die wir ziemlich schnell bergab gefahren waren, um noch rechtzeitig zu unserem schwerkranken Onkel, der in jener Jagdhütte zuhause gewesen war, die unser Großvater Anfang des Jahrhunderts einem Fürsten Liechtenstein abgekauft und für seine, wie er sich immer ausgedrückt hatte, philosophischen Zwecke ausgebaut hatte, aufzuhalten versucht, indem er sich vor uns mitten auf die Straße gestellt und die Kühnheit gehabt hatte, selbst den Pferden in das Geschirr zu greifen, um unseren Landauer zum Halten zu zwingen, was ihm natürlich nicht gelungen war. Der Mann hatte tatsächlich nur im letzten Moment auf die Seite springen und sich, mehrmals überschlagend, wie ich in der gerade hereinbrechenden Finsternis nur undeutlich festgestellt hatte, in Sicherheit bringen können. Tatsache war, daß wir der Meinung gewesen waren, auf eines jener gerade hier an der bayerisch-österreichischen Grenze ihr Unwesen treibenden Subjekte gekommen zu sein, die einer unserer zahlreichen Strafanstalten, wie die Justizsprache sagt, entsprungen sind, was auch der Grund gewesen war, warum wir nicht stehengeblieben sind. Wir hätten es tatsächlich darauf ankommen lassen und hätten den so urplötzlich vor uns aufgetauchten Fremden auch überfahren, um nicht Opfer eines Verbrechens sein zu müssen, wie wir gedacht haben. Am nächsten Tag hatte uns ein bei meinem Onkel in Dienst stehender Holzarbeiter darauf aufmerksam gemacht, daß in dem Wald, durch welchen wir am Vorabend mit dem Landauer gefahren waren, ein Mann erfroren und schwer verletzt aufgefunden worden war, welcher, wie sich bald herausgestellt hatte, der beste Arbeiter und der treueste Mensch, den mein Onkel jemals gehabt hatte, gewesen ist. Wir hatten naturgemäß nichts von unserem vorabendlichen Erlebnis verlauten lassen und bedauerten die Witwe des auf so tragische Weise ums Leben gekommenen.

Aus: Bernhard, Thomas: Vorurteil

In: Bernhard, Thomas: Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag 1996, S. 30 f.

1 Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard setzte sich intensiv mit Gedanken um Leben und

Tod auseinander, u. a. auch weil sein Leben jahrelang von einer schweren Erkrankung bedroht war. Seine distanzierte Weltsicht ist die Basis seiner Werke.

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 3 von 8

THEMA 2:

Christoph Meckel Rede vom Gedicht Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird.

5

Hier ist die Rede vom Salz, das brennt in den Wunden. Hier ist die Rede vom Tod, von vergifteten Sprachen. Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen. Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird.

Hier ist die Rede vom Blut, das fließt aus den Wunden. Vom Elend, vom Elend, vom Elend des Traums. Von Verwüstung und Auswurf, von klapprigen Utopien. Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Schmerz verheilt wird.

10

15

Hier ist die Rede von Zorn und Täuschung und Hunger (die Stadien der Sättigung werden hier nicht besungen). Hier ist die Rede von Fressen, Gefressenwerden von Mühsal und Zweifel, hier ist die Chronik der Leiden. Das Gedicht ist nicht der Ort, wo das Sterben begütigt wo der Hunger gestillt, wo die Hoffnung verklärt wird.

Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit.

Flügel! Flügel! Der Engel stürzt, die Federn fliegen einzeln und blutig im Sturm der Geschichte!1

Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Engel geschont wird.

In: Conrady. Das Buch der Gedichte. Frankfurt/Main: Cornelsen- Hirschgraben, S. 552

1 Anspielung auf den Engel der Geschichte in der häufig zitierten 9. geschichtsphilosophischen These

(1940) von Walter Benjamin (Literaturkritiker und Schriftsteller 1892 - 1940): Der Engel der Geschichte habe sein Gesicht der Vergangenheit zugewendet, die er als „eine einzige Katastrophe“ sehe. Er habe zwar das Bedürfnis zu helfen, könne aber nicht verweilen, weil der Sturm des Fortschritts, vom Paradies herkommend, sich in seinen Flügeln verfangen habe und ihn mächtig und unaufhaltsam - rückwärts - in die Zukunft treibe, „während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel“ wachse. nach www.literaturwissenschaft-online.de vom 24. Januar 2008

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 4 von 8

Novalis

5

10

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen, Wenn die, so singen oder küssen, Mehr als die Tiefgelehrten wissen, Wenn sich die Welt ins freie Leben Und in die Welt wird zurückbegeben, Wenn sich dann wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit wieder gatten Und man in Märchen und Gedichten Erkennt die wahren Weltgeschichten, Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort.

In: Conrady. Das Buch der Gedichte. Frankfurt/Main: Cornelsen-

Hirschgraben, S. 224

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 5 von 8

THEMA 3:

Hermann Hesse: Der Steppenwolf

Alfred Wolfenstein: Auszug aus „ Wölfischer Traktat“

5

10

15

20

25

30

35

40

[…] Ein Mensch aus der Steppe der Gegenwart. Von drei Seiten können wir ihn sehen: Irgendwer berichtet, wie jener Mann sich als Mieter bei seiner Tante benahm; dann hört man ihn selbst; dazwischen taucht eine gelbe Broschüre als „Tractat vom Steppenwolf“ auf, mit intim-objektiven Eröffnungen über diesen Mischling uns-rer Zeit. Es handelt sich um einen Mann, der so männlich ist, sich nicht für eine Persönlichkeit zu halten, nämlich nicht für eine, sondern für eine ganze Masse davon. Um eine Bestie handelt es sich, die gegen die verlogene ent-artete Vorstellung von unsrer innern Einheit, diese wohl vom antiken Körper her aufgebaute schöne Selbst-täuschung, die Zähne bleckt. Es handelt sich um ein „ins Herdenleben und in die Städte verirrtes“ Sonderlingstier; um einen Anarchisten, der voll rasender Wut auf dieses falsch dastehende Dasein Warenhäuser und Kathedralen zerschlagen und der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick drehen möchte. Es handelt sich um einen Revolutionär des Ichs. Die Uneinigkeit des Ichs ist ein wichtiges Thema unsrer heutigen Dichtung. Schizophrenie und Phantasie sind im Schöpferischen schon an sich Verbündete, - und der Zeit-genosse hat auch sonst allen Grund, an der Einigkeit sei-nes Innern zu zweifeln. […] Der Krieg stammt vom Krieg, und wir kennen uns; das ist bei alledem noch ein Vorzug, vielleicht sogar ein Unterschied gegen einst. Wir sehen, daß die Risse im heutigen Ich in jeder Kategorie ihre Folgen haben. Moralisch: wie sollen wir den Nächsten lieben, wenn wir mit uns selbst nicht einverstanden sind; psychologisch: wie sollen wir eine Figur darstellen, wenn unser Wesen ein ganzes Schachbrett miteinander streitender Figuren ist; soziologisch: wie sollen wir eine Gemeinschaft bilden, wenn wir weder runde Figuren noch richtige Liebende sind. Diese Hauptfrage: ist uns Gemeinschaft möglich? wütet im Steppenwolf, einem Geschöpf mit Urinstinkten und mit Einordnungsverlangen. Dabei weiß er, diese zwei Seelen sind nicht etwa zuviel für seine Brust, sondern noch zu wenig, tausend vom Boden irdischer Energie bis zum Licht der Unsterblichkeit sausen darin, und er unterschei-det nicht einmal, was aufwärts, was abwärts saust. Die-ser Steppenwolf schnobert an der Grenze hin, zwischen seinem vielfachen Ich und der vielfachen Menge der Menschen, - am Rande der Erlösung.

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 6 von 8

45

50

55

60

65

70

75

80

[…] Dies Werk spricht in scharfen, erschütternden, phantasti-schen und klaren Worten zu uns, es hat eine wunderbare Höhe über jener einst seinen Dichter umfangenden Sen-timentalität erreicht (die ihm jetzt nur wertvoller erscheint als etwa überhaupt keine Gefühle zu haben). Der Tumult der Gegenwart zeichnet sich deutlicher als an den mit-schwankenden Gestalten an solchem Werk eines über-ragend redlichen Dichters ab. Es ist, glaubt man sagen zu dürfen, ein willkommener Vorstoß zur immer noch so schwachen Front aller Freunde einer zukunftsreichen Auflösung, aller Feinde dieser alten, in ihrem Gegenein-ander wie in ihrer Ordnung gleich falschen Welt. Weniger der einzelne Lebende als diese Welt leidet an jener Schi-zophrenie. Und da es bei der Spaltung des heutigen Ich nicht um das Doppelgängerspiel der Romantik geht, auch nicht um die weltschmerzliche Zerrissenheit des Byron1-Menschen, da es vielmehr die Vorstufe zu einer wohl grandiosern Zusammenführung der Menschen ist als die Erde je eine gesehen hat: so wird auch die Dichtung, diese wesentlichste, menschlichste Äußerungsart, das starke Motiv in einer unmittelbarern Wirklichkeitsform als je behandeln, wie es im „Steppenwolf“ schon geschehen ist. Dann muß ein solches Werk freilich nicht mit dem wölfi-schen Weiterschweifen an der europäischen Mauer en-den, auch nicht mit dem Ausblick in die rettende Weite des Humors, was bei so weiter chaotischer Problematik eher selbst nur ein humoristischer Einfall genannt werden kann. Sehe ich eins der letzten Bilder des Dichters und sein vom Leben durchgearbeitetes Gesicht an, so spüre ich Hermann Hesses graden, von seiner schönen Musik begleiteten Vormarsch auf jenem Wege der Kunst und des Kampfes, wo es gegen die Erbfeinde unsrer menschlichen Zukunft geht. Und wer diesen Schritt ge-gen sich selbst getan hat, will ihn nicht mehr zurück tun. Der Steppenwolf ist eine Dichtung des gegenbürgerlichen Mutes.

Aus: Wolfenstein, Alfred: Wölfischer Traktat. In: Materialien zu Hermann Hesses “Der Steppenwolf“. Hrsg.

Michels, V., Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1972, S. 273 ff.

1 Byron-Mensch: Anspielung auf Lord Byron (1788-1824) Dichter der englischen Romantik

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 7 von 8

Figurenverzeichnis:

Harry Haller der Steppenwolf Hauswirtin Hallers Neffe der Hauswirtin Herausgeber der Aufzeichnungen Hallers Erika „ferne böse“ Geliebte Hallers Hermine „Kurtisane“, Seelenführerin Hallers Maria Kollegin Hermines, Geliebte Hallers und PablosPablo Musikant, Freund Hermines und Marias Gustav Hallers Schulkamerad

Signatur 31/1 (Deut-LK-ET/Ma) Seite 8 von 8

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 1

Musterlösungen für die Prüfungsaufgaben Abitur Prüfungsfach: Deutsch (Sachsen 2008) Autorin: Annette Schomber

I. Thema Folgende Aspekte können bei der Interpretation der Textpassage berücksichtigt werden: a) inhaltliche Aussage: In der Textpassage wird ein Vorfall geschildert, der als besonders tragisch und schmerzlich bezeichnet werden kann, weil der Tod eines Menschen durch eine Fehleinschätzung der Situation herbeigeführt wird. Der Ich-Erzähler berichtet von einem Wochendausflug, der ihn und seine Familie zur Jagdhütte seines schwerkranken Onkels führen soll. Während sie in temporeicher Fahrt in ihrem Landauer unterwegs sind, versucht ein Mann sie zu stoppen. Der Leser erfährt nicht, warum dieser den Landauer anhalten möchte. Da die Familie des Ich-Erzähler fürchtet, es könne sich bei diesem ‚Anhalter’ um einen aus den zahlreichen Strafanstalten Entflohener handeln, weigern sie sich, ihre Fahrt zu unterbrechen. Dem Mann gelingt es gerade noch, dem sich in Fahrt befindlichen Wagen aus dem Weg zu gehen, indem er zur Seite springt und sich überschlägt. Am nächsten Tag erfahren der Ich-Erzähler und seine Familie von einem Mann, der erfroren und schwer verletzt aufgefunden worden ist. Dabei handelt es sich um einen sehr guten und treuen Holzarbeiter, der im Dienst des oben erwähnten Onkels stand. Der Ich-Erzähler und seine Familie haben dem Onkel von dem abendlichen Vorfall nichts erzählt und so können sie lediglich die Witwe des Verunglückten bedauern. b) Der Erzähler:

Ich-Erzähler, der Teil der Handlung ist; beschränkter Blickwinkel, da er nur von seinen eigenen Gefühlen und Gedanken berichten kann;

die anderen Figuren werden lediglich aus der Außensicht dargestellt (z. B. erfährt der Leser in Z. 14 ff. zwar etwas über einen Mann, der den Landauer anhalten möchte, der Grund bleibt ihm jedoch verschlossen), der Ich-Erzähler kennt die Gefühlslage des Menschen nicht;

der Erzähler tritt in der Rolle des erzählenden Ichs auf: er erzählt völlig distanziert, fast gefühllos, was sich ereignet hat; ohne Empathie;

der Erzähler bedient sich verschiedener Erzählformen: er wählt die Beschreibung, wenn es um den Landauer und die Jagdhütte geht (Z. 1 ff.); der Vorfall mit dem Mann, der verunglückt, wird in einem raffenden Bericht wiedergegeben(Z. 13ff.) – die materiellen Gegenstände und deren Ursprung/Geschichte stehen im Vordergrund; dies wird durch die sachlich-nüchterne Darstellung des Ich-Erzählers unterstrichen; die

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 2

Begegnung mit dem Mann wird rasch abgehandelt, ähnlich rasant wird auch über den Tod des Mannes berichtet.

c) Handlung, Raum und Zeit:

die äußere Handlung dominiert den Text; der Leser bekommt fast keinen Einblick in die innere Handlung;

es wird kontinuierlich erzählt, wobei die Fahrt zur Jagdhütte den Rahmen für den Unfall bildet;

der Landauer hat fast leitmotivische Funktion, denn dieser dominiert die Ausgangssituation (Z. 2ff.) und auch die Art der Fortbewegung und wie der Wagen gestoppt werden soll, sind indirekt mit dem Landauer verbunden (Z. 15 ff.); schließlich wird dieser auch noch in Z. 31 erwähnt, obgleich nun der Tod des Mannes das Geschehen dominieren sollte; dieser Wagen bzw. die Erwähnung dieses Wagens wirkt fast störend und penetrant in Anbetracht der eigentlichen Wichtigkeit und Bedeutung des Verunglückten; Figuren sind weniger wichtig – Gegenstände stehen im Vordergrund; dies unterstreicht die Herzlosigkeit der Figuren, die wohl selbst mehr von den Gegenständen als von dem Menschen beeindruckt sind (Landauer/ Jagdhütte), ansonsten hätten sie sich nicht von einem „Vorurteil“ leiden lassen;

trotz konkreter Ortsangaben (Z. 1/ Z. 6 ) erscheint der Raum als Handlungsort abstrakt und anonym – dies wird vor allem durch die Erzählform bestimmt – emotionsloses beschreiben von Fakten, die in dem Raum stattfinden;

dieses ‚Raumgefühl’ wird auch besonders durch das zeitraffende Erzählen, wodurch der Text an Fahrt aufnimmt – in Anlehnung an die Fahrgeschwindigkeit – die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen, nur dort, wo die Jagdhütte oder der Landauer erwähnt werden, verliert sich der Erzähler in Details.

d) sprachliche Besonderheiten/ Stil

Landauer und Jagdhütte sind Schlüsselwörter, die zeigen, dass die Figuren von jenen Dingen geleitet werden und diese auch besser zu kennen scheinen als die menschliche Natur (daher kommt es zu dem Vorurteil);

Auffälligkeiten in der Satzlänge, d. h. lange verschachtelte Sätze/ Hypotaxe unterstreichen die Geschwindigkeit des Wagens und die Intensität, mit welcher die Dinge des Lebens geschätzt werden – in diesem Geschwindigkeitsrausch hat der Mensch nicht Zeit und Lust, sich auf andere Menschen und deren Nöte einzulassen – ein dummes Vorurteil ist dann angebrachter; so eilen die Figuren von einem zum anderen und übersehen die Not des Einzelnen;

Partizipialkonstruktionen dienen der Verkürzung und unterstützen die Hast; Figuren sind namenlos (der Mann, die Witwe) und werden schließlich als „ihr Unwesen treibende Subjekte“ deklassiert;

eine Sprache, die wenig konkret wird, sobald es um Menschen geht.

e) Hinsichtlich der Aussage Bernhards „Ich brauch’ überhaupt nix erfinden. Die Wirklichkeit ist viel scheußlicher“:

Bernhard findet in der Wirklichkeit, die ihm genug ‚Scheußlichkeiten’ bietet, ausreichend Vorfälle/Menschen/ Begebenheiten, die er als Schriftsteller verwerten kann;

sein literarisches Schaffen ist nicht das Produkt seiner Fantasie, sondern bildet die Wirklichkeit ab, die allerdings noch grausamer zu sein scheint;

er folgt hier – in Abwandlung – dem naturalistischen Literaturverständnis, wobei Bernhard die Wirklichkeit als per se ‚scheußlich’ empfindet;

Bernhard erfindet nicht neu, er bildet ab – die Art, wie er abbildet, zeigt jedoch wiederum, wie „scheußlich“ die Wirklichkeit tatsächlich ist;

Bernhard reduziert die Wirklichkeit auf das eigentlich Schreckliche, in dem er in seinen Texten den entseelten Menschen darstellt, der gleich einer Maschine funktioniert, aber nicht mehr zur Empathie fähig ist; ist die Wirklichkeit „scheußlicher“, dann ist Bernhards Fiktion „scheußlich“, d. h. was er darstellt.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 3

II. Thema Interpretation des Gedichts von Christoph Meckel: a) Thema/ inhaltliche Aussage

in dem Gedicht werden die eigentlichen Themen von Lyrik behandelt, dabei stehen die negativen Dinge des Lebens im Vordergrund;

das Gedicht fasst all die Themen des Leben zusammen, die das Leben schwer machen;

es werden alltäglich-menschliche Nöte genannt („Tod“, „Elend des Traums“, „Zorn“ oder „Täuschung);

mit der Erwähnung des Engels (der Geschichte) (Z. 17) wird auch eine historische Dimension in das Gedicht gebracht; auch die Geschichte ist mit Leid und Tod verbunden;

in dem Gedicht wird nicht nur beschrieben, was ein Gedicht ausmacht, sondern es nennt auch die elementaren Bestandteile des Lebens, wobei das Hässliche nicht durch die Schönheit der Sprache aufgehoben werden soll (Z. 1).

b) Aufbau/ Struktur des Gedichts/ Metrum/ Reim:

das Gedichts besteht aus vier Strophen von unterschiedlicher Länge; die erste und die zweite Strophe bestehen aus jeweils vier Zeilen; die dritte Strophe besteht aus sechs (eine Verszeile wurde in Parenthese geschrieben), die vierte aus drei Zeilen; den Rahmen des Gedichts bildet eine Verszeile in Z. 1 und in Z. 19 – das Gedicht besteht aus insgesamt 16 Zeilen.

reimloses Gedicht ohne regelmäßiges oder auffälliges Metrum; in den Z. 1, 2, 3, 6 oder 13 fällt die Zäsur auf – eine Sprechpause dient hier zur Vorbereitung auf das Schreckliche, das im zweiten Teil der Zeile genannt wird;

Der Dichter hat sich gegen Metrum oder Reim entschieden, denn für ihn ist „[d]as Gedicht nicht der Ort, wo Schönheit gepflegt wird.“ Es ist auch „nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird.“ Meckel entscheidet sich für die Schmucklosigkeit, dennoch sind Klangfiguren auffällig, um bestimmte Inhalte einprägsam zu gestalten:

die Anaphern in den Zeilen 2, 3, 10 und 12 fallen auf; auch die Eingangs- und Endzeile beginnen mit den gleichen Wörtern – allerdings wird das Satzmuster „[d]as Gedicht ist nicht der Ort, wo . . .“ auch an anderen Stellen im Gedicht wiederholt und wirkt so eindringlich auf den Leser ein;

neben ähnlich oder gleich gebauten Verszeilen fallen auch die Wortwiederholungen auf – in Z. 7 das Wort „Elend“

häufige Verwendung von dunkeln Vokalen wie in „Blut“, „Wunden“, „Wahrheit“, „Traum“ oder „Schönheit“ neben der Verwendung von hellen Vokalen wie in „Gedicht“, „Elend“, „Leiden“ oder „Engel“ – dadurch gewinnt das Gedicht an Wirkung, denn diese Wörter „brennen“ sich quasi in das Gedächtnis des Lesers ein – es sind die Wörter, die sich Leser sofort merken kann – es sind die entscheidenden Themen im Leben, die auch das Gedicht prägen – durch diese Substantive wird das Gedicht strukturiert und bekommt seinen eigenen Rhythmus, der den Leser packt.

c) sprachliche/ stilistische Besonderheiten:

Parallelismus (Z. 2 und 3) oder Inversion (Z. 2) sind zusätzliche strukturgebende Elemente, wodurch das Gedicht nicht nur gegliedert, sondern auch die Bedeutung unterstrichen wird;

Häufung von Wörtern/Schlüsselwörtern mit ähnlichem Konnotat – „Blut“, „Elend“ und „Tod“; einige Wörter können in Wortgruppen zusammengefasst werden: „Blut“ und „Wunden“ oder „Fressen, „Hunger“ oder „Zorn“ und „Täuschung“; die menschlichen Gefühle und Befindlichkeiten werden ausschließlich in negativen Substantiven

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 4

wiedergegeben und scheinen das Gedicht zu dominieren, denn das „Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit.“; die zahlreichen Substantive nehmen dem Gedicht jegliche Dynamik, es findet keine Bewegung statt; dort, wo Aktivität genannt wird („gepflegt“, „verziert“ oder „verheilt“) geschieht es passiv und wird durch das vorangegangene „nicht“ negiert; in einem Gedicht wird nicht „geheilt“ oder „verziert“ – in einem Gedicht wird von „Verwüstung“, „Elend“ oder „Tod“ geredet;

Anspielung auf Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ – diese Anspielung ist auch optisch zu erkennen (kursive Schreibweise), wodurch verdeutlicht werden soll, dass das menschliche Elend eine durch die Menschheitsgeschichte wandelndes Gespenst ist, das uns auch in der Zukunft begleiten wird

Meckels Gedicht ist sowohl inhaltlich als auch sprachlich das „Salz“, „das brennt in den Wunden“ – er präsentiert die Wahrheit schmucklos, aber eindringlich; er benennt und umschreibt nicht; seine Lyrik versteckt sich nicht hinter der Metrik oder dem Reim – sie legt offen, ohne zu erläutern oder zu „verklären“. d) Gedichtvergleich Wichtige Grundvoraussetzung für den Vergleich ist die Tatsache, dass es sich bei Novalis um einen Autor der Romantik handelt und als solcher ein Verkünder der so genannten Universalpoesie war, in der sich die Haltung der Romantiker der Natur gegenüber spiegelt. Gemäß dieser romantischen Haltung ist die Poesie das Reelle, die den Dingen einen Sinn gibt – der Gegenstand an sich ist unbedeutend, wichtig ist, welche Stimmungen, welches Gefühl er hervorruft. Vor diesem Hintergrund muss das Gedicht von Novalis gesehen werden, wodurch sich aber gleichzeitig die wesentlichen Unterschiede zu Meckels Gedicht ergeben. Novalis stellt die Welt nicht dar, wie sie ist, sondern wie sie im Traum oder in der Vision gesehen wird. Sie wird nicht rational gesehen, d. h. unter dem Aspekt wissenschaftlicher Erkenntnis und Verwertung; die Wirklichkeit wie sie Novalis darstellt ist eine jenseits des Reiches der Vernunft ( eine Absage an die Aufklärung)- „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren/ Sind Schlüssel aller Kreaturen,“ (Z. 1f.). Die Welt ist nicht über die Vernunft und die Wissenschaft zu erklären (also mit den Mitteln der Aufklärung), sondern in „Märchen und Gedichten/ Erkennt man die wahren Weltgeschichten, “ (Z. 9 f.). Novalis fordert in der Poesie all das, wogegen sich Meckel heftig wehrt; dies zeigt sich auch in der formal-stilistischen Anlage des Gedichts von Novalis:

eine Strophe bestehend aus 12 Verszeilen, die einen Endreim aufweisen (Paarreim; weibliche Reime dominieren das Gedicht: „küssen“ – „wissen“, aber auch mit männlicher Kadenz in Zeile 11f.)

regelmäßiger vierhebiger Jambus Im Gegensatz zu Meckel verzichtet Novalis bei seiner Poesie nicht auf die „Verzierung der Wahrheit“. Novalis sieht in der „Romantisierung der Welt“ eine wichtige Voraussetzung, so dass sich „Licht und Schatten/ Zu echter Klarheit wieder gatten“ können. Meckel wünscht nicht das „geheime Wort“, sondern „klapprige Utopien“. Novalis wünscht die Abkehr von der so genannten „verkehrten Wesen“ der Welt, die genau in Meckels Gedicht thematisiert wird und auch gemäß Meckel grundsätzlich in Lyrik thematisiert werden soll. Beide Lyriker schaffen jedoch mit ihrem Gedicht ein Postulat und stellen für die Kunst bestimmte Forderungen auf. Ihre Gedichte haben programmatischen Charakter, der jeweils unter dem literaturgeschichtlichen Hintergrund gesehen werden muss.

III. Thema 1. Mögliche Positionen Alfred Wolfensteins:

multiple Persönlichkeit /Schizophrenie (psychologische Komponente des Menschseins - Z.8, Z. 43, Z. 57f.);

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 5

der Mensch als „verlogene“ und „entartete“ Bestie (Z. 10f.) und der Mensch als Anarchist und Revolutionär (Z. 15 ff.) und die daraus resultierende Fähigkeit des Individuums, ein funktionierendes Wesen einer Gemeinschaft zu sein, ohne dieser zu schaden (sozoilogischer Aspekt);

der Mensch ist unfähig sich und somit andere zu lieben (moralischer Aspekt des Menschseins – Z. 28 ff.)

2. Aspekte aus Hesses Roman Der Steppenwolf“ , die Wolfensteins Positionen stützen:

Harry Haller ist ein Außenseiter des bürgerlichen Lebens; er führt ein einsames Leben, ohne Verpflichtungen (ohne Familie und Beruf), aber von Büchern bestimmtes Leben – Haller, der antibürgerliche Intellektuelle, der aber unter diese Situation leidet;

Haller selbst liest das „Traktat vom Steppenwolf“ und erkennt, dass der Mensch aus tausenden von Seelen besteht, nichts Vollendetes ist, sondern eine Möglichkeit, die in der Zukunft vielleicht die Perfektion erreicht;

der Selbsthass Hallers; seine Sehnsucht nach Leiden und die Todessehnsucht einerseits, aber sexuelle Abenteuer andererseits (Eros und Thanatos);

Lebensglück und Freude durch Tanz und Musik (Pablo und Hermine als zentrale Figuren für diese Erfahrung);

das „magische Theater“, welches ihm, dem armen, verirrten Harry Haller, das Leben sichtbar macht;

die Zeremonie seiner Hinrichtung, das ihm vor Augen führt, dass er das „Lebensspiel“ mit all den Qualen und dem Unsinn noch einmal von neuem beginnen muss

Haller steht für die Kritik am bürgerlichen Leben; er lebt aber auch das Leben am Rande (Drogenkonsum und psychologische „Selbszerfleischung“); Haller leidet als intellektueller Außenseiter an seiner unbürgerlichen Lebenssituation, weil er eigentlich bürgerliche Bedürfnisse beibehalten hat

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 6

Die hier abgedruckten Lösungsvorschläge sind nicht die amtlichen Lösungen des zuständigen Kultusministeriums. Impressum: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, vorbehaltlich der Rechte die sich aus den Schranken des UrhG ergeben, nicht gestattet. © Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2008 Redaktionelle Leitung: Simone Senk Redaktion: Christa Becker Autorin: Annette Schomber