Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Ekstase - Die Vergessene Sprache (1980, 323 S., Text)

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DIE VERGESSENE SPRACHE

BHAGWAN SHREE RAJNEESH

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DIE VERGESSENE SPRACHE

BHAGWAN SHREE RAJNEESH

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Deutsche Erstausgabe HERZSCHLAG, Berlin 1980

Titel der Originalausgabe: ECSTASY: THE FORGOTTEN LANGUAGE Erschienen 1978 bei Rajneesh Foundation International

Copyright © 1978 Rajneesh Foundation International Copyright © 1979 der deutschen Rechte:

Herzschlag, Verlag Brigitte Maier Fotocopyright © 1978 Rajneesh Foundation International

Herausgeber: Aradhana und Jockei Maier Übersetzung: Ma Hari Chetana Fotos: Rajneesh Foundation International Gestaltung: Swami Anand Niyama

Fotosatz: Schmidt & Schmidt, Berlin-West Druck: MovimentoDruck, Berlin-West

Dieses ist die einzige, von Rajneesh Foundation International authorisiertre Übersetzung ins Deutsche. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Herausgeber.

Printed in Berlin-West

ISBN 3-922389-05-8

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INHALT:

EINLEITUNG Seite I

Erster Morgen: JETZT ODER NIE

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Zweiter Morgen: SANNYAS: DIE RADIKALE REVOLUTION

Seite 32

Dritter Morgen: NATÜRLICH, SPONTAN UND BEWUSST

Seite 65

Vierter Morgen: DER WEG DER RELIGION

Seite 94

Fünfter Morgen: KEIN WORT KANN ES BENENNEN

Seite 125

Sechster Morgen: VERTRAUT EURER NATUR

Seite 154

Siebter Morgen: LASS ALLE TRÄUMEREIEN FALLEN

Seite 187

Achter Morgen: DER IRRATIONALE RATIONALIST

Seite 220

Neunter Morgen: DIE VERGESSENE SPRACHE

Seite 249

Zehnter Morgen: DER SCHATZ IST DEIN

Seite 278

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Diese zehn Vorträge wurden zwischen dem elften und zweiundzwanzigsten Dezember 1976 im Shree Rajneesh Ashram in Poona, Indien gehalten.

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in Prosit auf uns, mein Freund. Ein Prosit auf das Leben, seine Freude und seine Ekstase, die wir tief

unter unseren nüchternen Köpfen vergraben haben. Ein Prosit, das uns anstößt, aus unseren ehrgeizigen Träumen aufzuwachen und die Tricks dieser Welt zu durchschauen, die das wahre Leben ersetzt haben.

Laßt uns anstoßen und vom Becher dieses Wahnsinnigen trinken. Uns erlauben, alle Kontrolle fahren zu lassen, unsere Engheit, unsere Be- herrschtheit, die uns zu lange davon abgehalten hat, uns in Freude, in Ek- stase, in Gott zu verlieren.

Ein Prosit wie ein heißer Regen, der unsere steifen Herzen schmilzt und uns zum erstenmal mit unserem ganzen Wesen fühlen und fließen läßt. Darf ich vorstellen: Bhagwan Shree Rajneesh, ein lebender Verrück- ter und Volltrunkener, der einen Geschmack des Weines eines anderen Verrückten eines vergangenen Jahrhunderts anzubieten hat — Kabir — ein Verrückter, der in aller Unschuld und in ergriffenem Staunen ein Lied singt, Kabir, durch den ein Gedicht geboren wird, das von jedem verstan- den werden kann, der unschuldig genug ist.

Bhagwan verführt zum Verlernen, zu einer grundlegenden Verla- gerung der Sichtweise, ein entspanntes Zurücksinken vom Kopf zum Herzen und seiner unschuldigen, unvorbelasteten Sichtweise. Er lehrt wie man ganz normal wird — und eben dadurch, genau dadurch, außerge- wöhnlich. So, wie es diesem Kabir ergangen ist... »und dann wird jeder

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Augenblick so kostbar, so in sich selbst der Lohn, daß einem nichts ande- res übrigbleibt, als ihn zu genießen, sich in ihm aufzulösen und völlig be- trunken vom Leben weiterzufliegen.«

Wenn man durch diese neuen Augen schaut, bekommt man das Ge- fühl, daß das Leben Gott ist und Gott das Leben, und ganz gleich, wie schnell man davonrennt, wie brillant der Intellekt in seinem Versuch, die Sache hinauszuschieben, auch sein mag — man kann Gott nicht entkom- men. Es gibt keine andere Möglichkeit zu sein. Wie Bhagwan es ausdrückt: »Wir leben im Ozean Gottes... der göttliche Ozean umgibt uns, er ist das Dasein an sich.«

Die alten indischen Schriften sagen, daß die Existenz ins Leben tritt, wenn Gott ausatmet — alles wird aus ihm geboren; und wenn Gott einat- met, verschwindet die Existenz — alles stirbt in ihn zurück. Aber man ist nie außerhalb von Gott! Man kann es so sagen: WANTED — tot oder leben- dig. Von Gott. Vom Leben. Vom All.

Wir müssen uns nur wachrütteln und auf die maßlose Gnade, am Le- ben zu sein, besinnen; die Erinnerung an die vergessene Sprache der Ek- stase wachrufen, die schlafend in unseren tauben Herzen verborgen liegt.

Im Westen wurde das Gedächtnis weitgehend getrübt; vom Konkur- renzkampf, von der hektischen Suche nach Zerstreuung, dem Bemühen, bestimmte Bedingungen zu erfüllen, die, wenn sie einmal erfüllt würden, uns das Glück bringen sollen, das am Ende eines legendären Regenbogens angeblich auf uns wartet. Im Osten dagegen galt die Welt des alltäglichen Lebens von jeher als die Welt, der man unbedingt entsagen muß, mit der man überhaupt nichts zu tun haben darf.

Kabir hat weder die eine noch die andere Einstellung. Er ist ein Mann von wahrem Verständnis; ein Mann der weiß, daß es weder um Befriedi- gung der Wünsche, noch um Entsagung allen weltlichen Treibens geht, sondern um Bewußtsein. Oder wie Bhagwan sagt: »Leb in der Welt, aber mit Bewußtsein. Es ist nicht nötig, irgendwo hinzugehen und sich vom Le- ben abzukehren, denn Gott ist nichts anderes als ein bedingungsloses Ja zur gesamten Existenz.«

Von Kabir wird erzählt, daß er als Muslim geboren, und dann von ei-

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nem Hindu großgezogen wurde, und so den Reichtum beider Traditionen absorbieren konnte. Er schränkte sich nicht ein, indem er sich für eine Tra- dition entschied und die andere ablehnte, er sagt Ja zu beiden.

In derselben Weise beansprucht Bhagwan das Erbe der gesamten Menschheit für sich, in einem nie endenwollenden Ja zu jedem: dem Chri- sten, dem Hindu, Parsen, Sikh, Muslim, Juden, Theisten, Atheisten und so weiter bis in alle Unendlichkeit.

Dieses Ja ist das magnetische Schlüsselwort zum Reich der vergesse- nen Sprache. Dieses Ja liefert den Mut, weiterzugehen, über alles hinaus- zugehen. Dieses Ja ist das fehlende Bruchstück in der Kette, die den Ring zur Wiedererinnerung und Wiedergewinnung der Ekstase schließt. Es ist kein Ja des Kopfes — es ist das Ja des Herzens. Nicht der Gedanken son- dern ein Ja der Gefühle.

Und Herz bedeutet unsere Gesamtheit, die Totalität des eigenen We- sens. Jedesmal, wenn man Ja zu irgendetwas sagt, genauso wie mit jeder Reaktion, die von Herzen kommt, reagiert man mit seiner Totalität. Und wenn man in irgendeiner Sache total sein kann, wird man ekstatisch; wie Bhagwan sagt: »Ja, Entzücken ist verrückt. Und nur Verrückte können sich so etwas leisten. Haltet nichts zurück, werdet volltrunken! Gott ist wild, und überschwengliche Freude ist der erste Schritt zu Gott. Ekstase heißt wild werden, sich fallenlassen, in einen bodenlosen Abgrund der Ekstase fallen- lassen.«

Da Freude, Entzücken, nun einmal wahnsinnig und unkontrollierbar ist, muß man bereit sein, den Sprung zu wagen, in Freiheit, in Gefahr zu leben, ohne sich auf die Verhaltensmuster der Gesellschaft, der Religion, des Landes, der Tradition, die man uns beigebracht hat, zu stützen — auf die Verhaltensmuster aus der Vergangenheit, die uns daran hindern, Gott zu leben, das Leben zu leben — und überhaupt, hier jetzt zu leben... Die Sprache der Ekstase jetzt sofort zu sprechen.

Bhagwan und Kabir sind sich darüber einig, daß Gott nirgendwo an- ders als in diesem Leben entdeckt werden kann... daß Gott da ist, wo je- mand total ist... total sein ist die Tür!

Seid ihr also bereit mit mir zu trinken, einen Schluck zu nehmen vom

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Becher dieser Wahnsinnigen — Bhagwan Shree Rajneesh und dem Dich- ter-Mystiker Kabir — eure Kontrolle zu verlieren und damit eure Ängste und Qualen? ...wieder durch eure Natur, durch Freude zu sprechen... die Sprache der Ekstase zu sprechen?

Denn ihr könnt eure Freude nicht kontrollieren, ihr könnt eure Ekstase nicht in den Griff bekommen... ihr müßt davon trinken, während ihr lebt... »Und das Leben gibt seine Weisungen nie lautstark, es flüstert nur. Wenn ihr nicht ungeheuer aufmerksam, feingestimmt und richtig eingestimmt seid, könnt ihr die kleine leise Stimme Gottes nicht hören.«

Betrachtet durch die Augen dieses erleuchteten Meisters, Bhagwan Shree Rajneesh, eine neue Ansicht des Göttlichen, die ewige Reise in die Liebe, und nehmt seinen Glückwunsch zu eurer Göttlichkeit an, sein Prosit auf euren Schwung zu leben und euren Mut, Neues zu entdecken:

»Ich lade euch ein, mit mir in das innerste Reich, bis zum allerinnersten Wesensgrund dieses Verrückten, dieses Kabir, vorzudringen. Ja, er war ein Verrückter, wie alle religiösen Menschen. Verrückt, weil sie nicht der Ver- nunft vertrauen. Verrückt, weil sie das Leben lieben; verrückt, weil sie wie die Wahnsinnigen tanzen und singen. Verrückt, weil das Leben keine Fra- ge für sie ist und kein Problem, das man lösen, sondern ein Mysterium, in dem man sich auflösen muß«

Du mußt nur genießen, mein Freund, genießen können! Lies weiter, nachdem du durch die Tür dieses Buches in das Land der vergessenen Sprache getreten bist und dann breite deine Arme aus und laß den Schwall neuer Liebe, neuen Lebens deinen Kopf zurückwerfen und dich mit einem großen Schschschschwusch mit Abenteuerlust erfüllen, diese vergessene Sprache wiederzuentdecken — die vergessene Sprache der Ekstase.

Ma Yoga Prem

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MO KO KAHAN DHUNRO BANDE

Oh mein Freund, wo suchst du mich? Siehe: Ich bin an deiner Seite. Ich bin weder im Tempel noch in der Moschee. Ich bin weder in der Kaaba noch in Kailash. Ich bin nicht in den Riten und Zeremonien, noch bin ich im Yoga und der Entsagung. Wenn du ein wahrer Sucher bist, wirst du mich sogleich erkennen und mir begegnen — in einem einzigen Moment. Kabir spricht: »Oh, mein Freund, Gott ist der Atem allen Atems.«

SADHO BHAI, JIVAT HI KARO ASA

Oh, mein Freund, hoffe auf Ihn, während du lebst, erkenne, während du lebst, verstehe, solange du lebst, denn die Erlösung liegt in diesem Leben. Wenn deine Fesseln nicht gesprengt werden, während du lebst — welche Hoffnung auf Erlösung kann der Tod dir geben? Es ist nur ein leerer Traum, daß die Seele sich mit Ihm vereinigt, nur weil sie den Körper verlassen hat. Wenn du Ihn jetzt findest, wirst du Ihn im Tod finden. Wenn nicht, gehen wir nur hin, um in der Totenstadt zu wandern. Wenn du jetzt eins mit Ihm wirst, wirst du auch im Jenseits eins sein. Bade dich in den Wassern der Wahrheit, erkenne den wahren Meister, vertraue auf den wahren Namen. Kabir spricht: »Es ist der Geist der Suche, der uns hilft. Ich bin der Sklave dieses Geistes.«

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ier bin ich also wieder — und singe dasselbe alte Lied. Und doch ist es nicht dasselbe Lied, denn das ist unmöglich. Manu

sagt, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Das ist wahr. Heraklit sagt, man kann denselben Fluß nicht zweimal betreten — das ist genauso wahr.

Das Sein ist alt und neu zugleich, und mein Lied ist das Lied des Seins. Ich bin nur ein Instrument, das es euch vorsingt, das euch die Melodie zu- trägt, aber nicht der »Sänger«. Ich bin ganz einfach eine hohle Bambusflöte für das Lied des Seins.

Vergeßt nicht: es sieht vielleicht so aus, als sei es wieder dasselbe Lied, aber es ist nicht dasselbe. Die Worte mögen dieselben sein, die äußere Form mag dieselbe sein, aber irgendetwas Wesentliches, Lebendiges ver- ändert sich in jedem Augenblick. Seid ihr jemals demselben Morgen zum zweiten Mal begegnet? Habt ihr jemals denselben Himmel gesehen? Und doch bleiben Sonne und Himmel dieselben.

Manu und Heraklit haben recht, wenn man beide zusammennimmt. Wenn man sie einzeln betrachtet, haben beide unrecht. Das Leben ist wi- dersprüchlich, das Leben ist paradox. Darum ist es so bezaubernd, so wun- derbar. Es existiert durch die Gegensätze. Es ist allumfassend und enthält alle Widersprüche. Es ist neu und alt zugleich. Es ist Leben und es ist Tod, beides. Darum sage ich, daß ich dasselbe alte Lied singen will, und doch ist es nicht dasselbe. Hört aufmerksam zu.

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Bevor wir in die Worte des mystischen Dichters Kabir eintauchen, soll- tet ihr ein wenig über Kabir wissen. Viel weiß man nicht — zum Glück — denn wenn man zu gut über jemanden als Person Bescheid weiß, ist es eher möglich, ihn mißzuverstehen. Wenn man keine Informationen über die Person hat, ist man unvoreingenommener. Darum wird im Osten tradi- tionsgemäß nie viel über das persönliche Leben der Mystiker berichtet, so daß die Leute nicht davon abgelenkt werden. Wir wissen nicht viel über Krishna oder Buddha, und was wir wissen, sind eher Legenden als ge- schichtliche Tatsachen; keine historischen Wahrheiten, sondern Dichtun- gen. Aber von Kabir sind noch nicht einmal Legenden übriggeblieben. Und dabei lebte er vor gar nicht so langer Zeit; aber er lebte als ein Mensch, der seine Persönlichkeit völlig ausgelöscht hat und keine Spuren hinterließ.

Nur die Politiker hinterlassen ihre Spuren in der Zeit, weil nur die Politi- ker so dumm sind. Die Mystiker leben im Zeitlosen und hinterlassen keine Zeichen. Sie prägen der Zeit nicht ihren Stempel auf. Sie halten nichts da- von, ihren Namenszug in den Sand der Zeit zu schreiben, denn sie wissen, daß es keinen Sinn hat, weil er mit dem nächsten Windstoß wieder ausge- löscht wird.

Kabir hat nicht viel über sich selbst gesprochen. Man weiß nur wenige Dinge über ihn. Man weiß noch nicht einmal, ob er ein Hindu oder ein Mohammedaner war. Es heißt, daß er in eine mohammedanische Familie hineingeboren, und dann von einem Hindu großgezogen wurde. Und das ist wunderschön, so sollte es sein. Daher kommt sein Reichtum. Er ist ein Erbe zweier reicher Traditionen: der hinduistischen und der mohammeda- nischen. Nur als Hindu ist man natürlich arm; nur als Mohammedaner auch. — Seht, wie reich ich bin: Ich bin ein Hindu, ein Mohammedaner, ein Christ, ein Sikh und ein Parse. Und nicht nur das, ich bin ein Theist und ein Atheist dazu. Ich erhebe Anspruch auf das gesamte Erbe der Mensch- heit. Ich fordere das Ganze und weise nichts zurück. Von den Hedonisten bis zu den Buddhas mache ich meinen Anspruch geltend.

Euch gehört die ganze Menschheit, die gesamte Evolution des mensch- lichen Bewußtseins. Aber ihr seid so engstirnig... Jemand wird ein Hindu und erhebt nur Anspruch auf eine kleine Ecke, lebt dort und wird verkrüp- pelt und unfähig, sich zu bewegen. Diese Ecken sind so eng, daß man sich nicht rühren kann. Sie lassen niemandem genug Raum. Ein wahrhaft reli-

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giöser Mensch erhebt Anspruch auf alle; auf Buddha, Mahavir, Christus, Zarathustra, Lao Tse, Nanak, Kabir und so weiter und so weiter. Er erhebt Anspruch auf Alle. Alle Erleuchteten sind ein Teil von mir und ein Teil von dir. Was auch immer dem menschlichen Bewußtsein widerfahren ist — ihr tragt die Samen davon in euerem Inneren.

Das ist das einzige, was man über Kabir wissen muß: er wurde als Mo- hammedaner geboren und von einem Hindu großgezogen. Und es wurde nie mit Sicherheit festgestellt, wohin er eigentlich gehörte. Selbst als er starb, stritten sich seine Jünger über diesen Punkt.

Die Hindus erhoben Anspruch auf seine Leiche, aber auch die Mo- hammedaner wollten seinen Leichnam für sich haben und daraus entstand eine wunderschöne Parabel: Kabir hatte eine Anweisung im Falle seines Todes hinterlassen. Er wußte, daß es so kommen mußte — die Men- schen sind nun einmal dumm — er wußte, daß sie sich um seinen toten Körper streiten würden. Also hinterließ er folgende Botschaft: »Falls ein Konflikt darüber entstehen sollte, zu wem ich gehöre, dann bedeckt mei- nen Körper einfach mit einem Laken und wartet ab. Dann entscheidet sich die Sache von selbst.«

In der Geschichte heißt es, daß Kabirs Körper mit einem Laken be- deckt wurde; die Hindus beteten, die Mohammedaner fingen ihrerseits an zu beten und als man das Laken zurückzog, lagen nur noch ein paar Blu- men auf der Bahre, Kabir war verschwunden. Diese Blumen teilten die Jünger untereinander auf. Selbst die Jünger sind so dumm!

Das ist eine sehr schöne Parabel. Ich nenne es eine Parabel. Ich be- haupte nicht, daß es sich wirklich so zugetragen hat. Aber sie zeigt etwas: Ein Mensch wie Kabir ist schon längst verschwunden. Er lebt nicht in sei- nem Körper. Er lebt in seinem inneren Erblühen. Sein Sahasrar, sein tau- sendblättriger Lotus, war erblüht. Man ist nur bis zu einem bestimmten Punkt im Körper. Der Körper ist vorhanden, um eine bestimmte Funktion zu erfüllen: er soll das Erblühen des Bewußtseins möglich machen. Wenn das Bewußtsein seine Blüte einmal erreicht hat, existiert der Körper nicht mehr. Und es spielt keine Rolle, ob er noch vorhanden ist oder nicht — er wird einfach bedeutungslos.

Die Parabel ist wunderschön: Als sie das Tuch zurückzogen, waren nur noch ein paar Blumen übrig. Kabir ist eine Blüte des Bewußtseins. Nur ein

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paar Blumen waren noch von ihm übrig...

Und die dummen Jünger verstanden es auch dann nicht! Sie teilten die Blumen untereinander auf. Ihr dürft eines nicht vergessen: Alle Ideologien sind gefährlich, denn sie teilen die Menschen untereinander auf. Man wird zu einem Hindu, einem Mohammedaner, einem Jaina oder Christen und damit ist man voneinander getrennt.

Alle Ideologien sind gewalttätig. Ein Mensch von wahrem Verständnis hat keine Ideologie, und darum ist er von nichts getrennt, er ist eins mit der ganzen Menschheit. Und nicht nur das, er ist eins mit der gesamten Exi- stenz. Ein Mensch von wahrem Verständnis ist ein Erblühen des Bewußt- seins. Dieses Erblühen werden wir ausführlich besprechen.

Kabirs Gesänge sind von großer Schönheit. Er ist ein Dichter, kein Phi- losoph. Er hat kein System erfunden. Er ist kein Theoretiker oder Theolo- ge. Er interessiert sich nicht für Schriften und Dogmen, er kümmert sich nur darum, wie ihr aufblühen und zu einem Gott werden könnt. Sein gan- zes Streben geht nur dahin, euch liebevoller und bewußter zu machen, und das ist keine Frage des vielen Lernens. Im Gegenteil, es ist eine Frage des vielen Verlernens. In dieser Hinsicht ist er wirklich eine Seltenheit. Buddha, Krishna und Rama sind alle ganz besondere Leute gewesen; sie alle waren Könige, genossen die beste Erziehung und waren im höchsten Maße kultiviert. Aber Kabir ist ein Niemand, ein Mann aus dem Volk, ganz arm, ganz gewöhnlich, ohne jede Kultur. Und das ist seine Einzigartigkeit. Warum nenne ich es seine Einzigartigkeit? Weil es das Außergewöhnlichste auf der Welt ist, ganz gewöhnlich zu sein. Er war und blieb ein ganz ge- wöhnlicher Mann.

Es ist der natürliche Wunsch des menschlichen Verstandes, etwas Be- sonderes zu werden. Etwas Besonderes in den Augen der Welt; viele Titel zu sammeln, politische Macht zu gewinnen, viel Geld anzuhäufen, Reich- tum — etwas Besonderes darzustellen. Der Verstand ist jederzeit bereit, auf irgendeinen Ego-Trip zu gehen. Und wenn ihr von dieser Welt genug habt, findet das Ego wieder neue Mittel und Wege, sich aufzublasen: es wird spi- rituell. Man wird ein großer Weiser, ein Mensch, der der Welt entsagt hat und damit ist man wieder etwas Besonderes.

Solange dieser Wunsch, etwas Besonderes zu sein, noch vorhanden

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ist, wird man nie etwas Besonderes. Solange man sich nicht ganz gelassen in seiner Gewöhnlichkeit entspannt, kann man sich niemals entspannen. Ein wirklich spiritueller Mensch ist ein Mensch, der einfach ganz normal ist. Kabir ist ganz normal. Ihr hättet ihn in der Menge nicht erkannt, seine Be- sonderheit war nichts Äußerliches. Wenn ihr ihm ins Gesicht seht, könnt ihr ihn nicht ohne weiteres von den anderen unterscheiden. Das ist nicht so einfach.

Buddha war ein außergewöhnlich schöner Mann, eine Persönlichkeit von ungeheurer Ausstrahlungskraft. Jesus war etwas Besonderes, er pul- sierte mit Rebellion, mit Revolution — aber Kabir? Kabir ist ganz und gar gewöhnlich, ein ganz normaler Mensch... Aber vergeßt nicht, wenn ich »normal« sage, meine ich nicht durchschnittlich.

Der Durchschnitt ist nicht das Normale. Der durchschnittliche Mensch ist bloß auf normale Weise anormal. Er ist genauso verrückt wie alle ande- ren. Auf dieser Welt gibt es in Wirklichkeit keine normalen Menschen.

Ich habe einmal gehört: Ein berühmter Psychologe wurde bei einem Universitäts-Kursus, den er leitete, von einem seiner Studenten gefragt: »Herr Professor, Sie haben die ganze Zeit über den anormalen Menschen und sein Verhal- ten gesprochen. Aber wie steht es mit dem normalen Menschen?« Der Professor hielt verdutzt inne und sagte dann: »Ich bin in meinem ganzen Leben noch keinem normalen Menschen begegnet. Aber wenn wir jemals einen zu Gesicht bekommen, werden wir ihn schon kurieren.«

Kabir ist tatsächlich dieser normale Mensch, dem man nie im Leben be- gegnet — ein Mensch ohne jeden Wunsch, etwas Besonderes zu sein. Auch nachdem er erleuchtet wurde, lebte er sein normales Leben weiter. Er war ein Weber und blieb bei seiner Weberei. Die Zahl seiner Jünger wuchs... Hunderte kamen, dann Tausende, und später noch viele Tausen- de mehr. Und sie baten ihn immer wieder, mit dem Weben aufzuhören: »Das hast du jetzt nicht mehr nötig. Wir werden für dich sorgen.« Aber er lachte nur und sagte: »Es ist besser, weiterhin Gottes Willen zu folgen. Ich habe keinen Wunsch, etwas anderes zu sein, als das, was ich bin; was Gott in mir will. Wenn er will, daß ich webe, dann webe ich. Dann wurde ich als einfacher Weber geboren und werde als einfacher Weber sterben.«

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Er fuhr fort, ganz alltägliche Dinge zu tun. Er ging auf den Markt, um seine Waren zu verkaufen; zum Brunnen, um Wasser zu holen. Er lebte ein ganz und gar alltägliches Leben.

Das gehört zu den wichtigsten Dingen, die man über Kabir wissen muß: Er behauptete nie, ein Mann von Wissen zu sein — denn kein Mann von Wissen würde das jemals von sich behaupten. Wissen heißt wissen, daß Wissen Nicht-Wissen ist, und daß Nicht-Wissen Wissen ist.

Ein Mensch von wahrem Wissen weiß, daß er überhaupt nichts weiß. Seine Unwissenheit ist tiefgründig. Und aus solcher Unwissenheit heraus entsteht Unschuld.

Wenn man viel weiß, wird man berechnend und hintertrieben. Wenn man viel weiß, wird man clever, dann verliert man seine kindliche Un- schuld.

Kabir bezeichnet sich als unwissend, er sagt, daß er überhaupt nichts weiß, und das muß man richtig verstehen, denn nur vor diesem Hinter- grund versteht ihr seine Dichtung. Woher kommt diese Poesie? Sie erblüht aus seiner Unschuld. Er sagt, er weiß nichts...

Seid ihr euch jemals der Tatsache bewußt geworden, daß wir im Le- ben immer behaupten, alles zu wissen, ohne eigentlich das geringste zu wissen? Was wißt ihr? Habt ihr jemals irgendetwas gewußt? Wenn ich fra- ge, warum die Bäume grün sind, könnt ihr meine Frage beantworten? Ja?

Die beste Antwort, die ich bis jetzt gehört habe, stammt von D.H. Law- rence. Er ging mit einem kleinen Kind im Garten spazieren und das Kind fragte, so wie Kinder immer fragen: »Warum sind die Bäume grün?« D.H. Lawrence schaute die Bäume an, blickte in die Augen des Kindes und ant- wortete: »Die Bäume sind grün - weil sie grün sind.«

Das ist die ehrlichste Antwort, die jemals gegeben wurde. Was kann man sonst sagen? Alles andere wäre einfach dumm und ergäbe keinen Sinn. Man kann sagen, daß es am Chlorophyll liegt, aber warum ist Chlo- rophyll grün? Die Frage bleibt die gleiche. Ich stelle eine Frage und du gibst eine Antwort, aber die Frage wird nie wirklich beantwortet.

Du hast seit dreißig Jahren mit einer Frau zusammengelebt und nennst sie »deine Frau«, oder mit einem Mann seit fünfzig Jahren — aber kennst du deinen Mann oder deine Frau? Du hast ein Kind in die Welt gesetzt — kennst du dieses Kind? Hast du ihm jemals wirklich ins Herz hineingese- hen? Kannst du behaupten, dein Kind zu kennen? Was weißt du wirklich?

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Weißt du, was ein Stein ist? Ja natürlich, die Wissenschaftler geben viele Erklärungen ab, aber das ist kein Wissen. Sie sagen, daß es sich um Elek- tronen, Neutronen und Protonen handelt. Aber was ist ein Elektron? Da zucken sie mit den Schultern und sagen: »Das wissen wir nicht.« Sie sagen: »Wir wissen es noch nicht«, in der Hoffnung, es eines Tages herauszufin- den. Aber nein, sie werden es niemals herausfinden! Zuerst sagten sie: »Ein Atom besteht aus Elektronen.« Wenn wir jetzt fragen, woraus ein Elektron besteht, sagen sie: »Wir wissen es noch nicht.« Eines Tages sagen sie dann, daß ein Elektron aus diesem oder jenem besteht, X Y Z — aber das kommt auf dasselbe heraus. Der Ursprung allen Seins läßt sich niemals zu Wissen reduzieren. Der Ursprung des Seins bleibt ein Mysterium.

Und wenn alles letztlich ein Mysterium ist, wird das Leben zu einem Wunder. Wenn man den letzten Kern nicht erkennen kann, entsteht Poe- sie.

Wenn man meint, die letzte Wahrheit zu kennen, wenn man denkt und spekuliert, entsteht Philosophie. Das ist der Unterschied zwischen Philoso- phie und Poesie.

Kabir nähert sich der Wahrheit als ein Dichter, ein Liebender, als ein Mensch, der voll Staunen vor dem Wunder des Daseins steht. Außerstan- de, es zu erklären, singt er ein Lied. Außerstande, es zu begreifen, wird er mit Andacht erfüllt. In seiner Unwissenheit fällt er auf die Knie. Ein Dichter nähert sich dem Mysterium nicht mit Hilfe von Erklärungen, sondern mit dem Ausruf: »Aha! Aha! Es ist also ein Geheimnis!« Und überall, wo man dem Geheimnis begegnet, ist Gott.

Je mehr man weiß, desto weniger bemerkt man Gottes Gegenwart. Je weniger man weiß, desto näher ist Gott. Wenn du überhaupt nichts weißt, wenn du aus tiefster Überzeugung sagen kannst: Ich weiß nichts; wenn dieses Nichtwissen aus dem tiefsten Grunde deines Wesens emporsteigt, dann ist Gott bis zum Mittelpunkt deines Seins vorgedrungen. Dann ist er zu deinem eigenen Herzschlag geworden. Und dann entsteht Poesie. Dann verliebst du dich in dieses grenzenlose Geheimnis, das dich umgibt. Dieses Verliebtsein, diese Liebe ist Religion.

Die Religion ist nicht daran interessiert, irgendwelche Erklärungen ab- zugeben. Religion ist keine Suche nach der Erklärung, sondern ein Erfor- schen und Erfühlen der Liebe; eine nie endenwollende Reise in die Liebe.

Ich lade euch ein, mit mir in das innerste Reich, bis zum allerinnersten

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Wesensgrund dieses Verrückten, dieses Kabir vorzudringen. Ja, er war ein Verrückter, wie alle religiösen Menschen. Verrückt, weil sie das Leben lie- ben; verrückt, weil sie wie die Wahnsinnigen tanzen und singen. Verrückt, weil das Leben keine Frage für sie ist, und kein Problem, das man lösen, sondern ein Mysterium, in dem man sich auflösen muß.

Und noch etwas über Kabirs Lebenshaltung: Er bejaht das Leben. Auch das ist ein Merkmal des Mannes von wahrem Verständnis. In dieser Welt gibt es zwei Arten von Leuten: Die Genußsüchtigen und die, die der Welt entsagen. Es sieht aus, als ob diese beiden Typen einander entgegen- gesetzt wären, aber sie sind nur die beiden Seiten derselben Münze. Die Genußsüchtigen sind andauernd frustriert, weil keine Ausschweifung wirk- liche innere Freude bringt... Man kann sich mit allem vollstopfen — man kann sein Leben, seine Energien, seine Chance vergeuden — aber durch die Befriedigung seiner Genußsucht empfindet man nie wirklichen Ge- nuß. Wenn man dadurch glücklich werden könnte, hätte nie ein Mensch der Welt entsagt! Die Leute kehren sich von der Welt ab, weil sie durch die Befriedigung ihrer Wünsche nicht befriedigt worden sind. Aber dann gehen sie ins andere Extrem. In dem Wissen, daß ihre Ausschweifungen zu nichts geführt haben, gehen sie ins genaue Gegenteil. Sie wenden sich vom Le- ben ab, nehmen eine negative, lebensverneinende Haltung ein und fangen an, ihr Wesen zu zerstören. Sie werden zu Selbstmördern.

Diese zwei Arten von Leuten kann man überall finden. Die Ausschwei- fenden auf dem Marktplatz und die Entsager in den Klöstern. Kabir gehört zu keinem von beiden. Ein Mann von wahrem Verständnis ist eine große Synthese. Er weiß, daß es nicht um Ausschweifung oder Entsagung geht, sondern um Bewußtheit: Lebe in dieser Welt, aber mit Bewußtsein. Zieh dich nicht irgendwohin zurück, nimm keine feindselige Haltung dem Leben gegenüber ein.

Kabir bejaht das Leben vollkommen. Er war ein Liebhaber, er hatte ei- ne Frau und zwei Kinder und lebte das Leben eines Familienvaters... und war dennoch einer der größten Seher der Welt.

Er lebte in dieser Welt und blieb dennoch unangetastet. Das ist seine Schönheit. Er ist eine Lotosblume.

Eure sogenannten Mahatmas verbreiten Lebensfeindlichkeit. Sie brin- gen euch bei, daß das Leben euer Feind, daß es böse sei; sie geben euch das Gefühl, daß Gott und das Leben Gegensätze sind — daß ihr nicht bei-

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des haben könnt. Aber Kabir sagt, daß man beides haben kann, weil Gott und das Leben keine Feinde sind. Das Leben ist Gott in seiner sichtbaren Form und Gott ist das Leben in unsichtbarer Form.

Gott und das Leben sind eine Kraft, eine Energie, eine Bewegung. Wenn Gott nicht sichtbar ist, ist er Gott; wenn er sich sichtbar macht, ist er Leben. Und das geschieht ohne Unterlaß, er wird sichtbar und er wird un- sichtbar. Wie der Atem — man atmet ein, man atmet aus.

Die alten indischen Schriften sagen, wenn Gott ausatmet, tritt die Exi- stenz ins Leben und wenn Gott einatmet, vergeht die Existenz. Das ganze Sein verschwindet, wenn er einatmet und taucht auf, wenn er ausatmet. Es ist ein Atemzug — ein und aus.

Wenn Gott ausatmet, werdet ihr geboren und wenn er einatmet, ver- schwindet ihr im Tode. Aber ihr verlaßt Gott nie. Der einströmende Atem ist genauso Gottes Atem, wie der ausströmende. Und diese Dynamik, die- se Dialektik muß man begreifen. Kabir ist weder für die Welt, noch für Ent- sagung. Und seine Aussagen sind sehr einfach und lebensnah. Er ist kein Prediger. Er ist nicht dramatisch und macht sich keine Sorgen, ob ihr beein- druckt seid oder nicht. Er erzählt einfach von dem, was er erlebt hat. Er übertreibt nie und führt nie irgendwelche logischen Beweise für seine Be- hauptungen an. Er sagt sie einfach; es sind reine Feststellungen.

Ich habe eine schöne Geschichte über einen jungen Pastor gehört, der sich, bevor er sein Leben Gott verschrieb, beim Theater versucht hatte, und daher seiner ersten Predigt in einer neugebauten Kirche einen dra- matischen Effekt verleihen wollte. Nachdem er festgestellt hatte, daß sich eine Dachluke über der Kanzel befand, wählte er absichtlich die Bibelstelle: »Und der heilige Geist fuhr herab, in Gestalt einer Taube.« Dann überredete er den Küster, die Luke im verabredeten Moment zu öffnen und eine weiße Taube herauszulassen, die der Pastor abgerich- tet hatte, auf seine Schulter zu fliegen.

Am Abend der Messe steigerte er seine Predigt sorgfältig bis zum Höhepunkt, bei dem er deklamierte: »Und der heilige Geist fuhr herab in Gestalt einer Taube!« — aber nichts geschah. Er wiederholte seinen Text noch einmal lauter und langsamer, aber beim drittenmal verlor er die Geduld und wurde wütend. Daraufhin öffnete sich die Dachluke einen Spalt breit und die versammelte Gemeinde hörte den Küster keuchen: »Euer Hochwürden, die Katze hat den heiligen Geist gefres- sen... Soll ich die Katze runterlassen?«

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Kabir ist nicht dramatisch. Seine Aussagen sind schlicht und klar. Seine Worte kommen direkt aus dem Herzen. Und er ist kein Gelehrter. Seine Gedichte sind rein: von den Schriften unverdorben. Seine Dichtungen können von jedem verstanden werden, der unschuldig genug ist. Darum möchte ich euch vor Beginn unserer Reise sagen: Seid unvoreingenom- men. Nur dann könnt ihr Kabir verstehen. Laßt euren Verstand beiseite. Fangt nicht an, im Kopf mit ihm zu argumentieren, denn er ist kein Logi- ker. Während man ein Gemälde betrachtet, führt man kein Streitgespräch. Man genießt es einfach. Während ihr einem Gitarrenspieler oder einem Dichter zuhört, fangt ihr nicht an, zu argumentieren. Ihr nehmt die Poesie einfach auf, ohne irgendwelche Gegenargumente im Kopf zu haben. Aber sobald es um die Religion geht, gibt es immer Schwierigkeiten. Sobald ihr einem religiösen Menschen zuhört, kommt ihr mit euren Gegenargumen- ten an. Und Schuld daran sind die religiösen Leute selbst, weil sie so lange argumentiert haben. Es hat Leute gegeben, die dumm genug waren zu versuchen, Gott durch Argumente zu beweisen. Als ob Gott von eurer Be- weisführung abhinge! Als ob er nicht existieren könnte, wenn ihr seine Exi- stenz nicht bewiesen habt! Als würde er sich dann auflösen. Als wäre Gott ein Vemunftschluß!

Kabir wird euch keine Beweise liefern. Seine Behauptungen sind wie die Behauptungen der Upanischaden, oder Mohammeds Aussagen im Koran, oder die Worte Jesu in der Bibel — einfache Feststellungen. Er fühlt... und singt über seine Gefühle. Bitte fühlt ihn mit dem Herzen. Es ist keine Angelegenheit des Kopfes. Laßt eure Köpfe beiseite.

Es gibt Leute, denen es fast unmöglich ist, ihre Köpfe beiseite zu lassen. Sie haben völlig vergessen, wie man das macht. Ihr Kopf sitzt immer oben- auf und plappert und argumentiert; nimmt etwas an, lehnt etwas ab, sor- tiert etwas aus, schätzt ab, beurteilt, verurteilt: »Ja, das entspricht mir und das entspricht mir nicht.« Aber Gott hat es nicht nötig, mit euch übereinzu- stimmen. Er ist nicht dazu verpflichtet, euren Vorstellungen zu entspre- chen. Wenn ihr etwas verstehen wollt, müßt ihr euren Verstand zum Schweigen bringen. Nehmt Kabir auf, so wie man ein Gedicht aufnimmt. Er ist ein Dichter.

Ich habe einmal von einem Jungen gehört, der ein solches Mathema- tikgenie war, daß er im Alter von zwölf Jahren Gleichungen im Kopf

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lösen konnte, an denen Einstein im Alter von vierzig Jahren knobelte. Unglücklicherweise ging dieses Wunderkind aber so in seinen Rechne- reien auf, daß es für nichts anderes mehr Interesse zeigte. Er wurde all- mählich immer sonderlicher und die Familie machte sich Sorgen. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, nahmen seine Eltern ihn eines Tages zu einer Staraufführung von Peter Pan mit, und stellten dort zu ihrer größten Freude fest, daß er während des ganzen ersten Aktes vollkommen versunken dasaß. In der Pause sagte der Vater lächelnd: »Na, mein Sohn, wie ich sehe, genießt du das Stück.« »Ist dir aufgefal- len«, sagte der Sohn stirnrunzelnd, »daß der erste Akt insgesamt 71.832 Wörter enthielt?«

Also, das ist keine Art, irgendetwas zu genießen! Darum hört nicht auf die Worte. Lauscht der Stille, die die Worte um-

gibt. Hört nicht auf die Worte. Hört der Poesie zu, die in den Worten schwingt. Hört auf den Rhythmus, den tieferen Klang des Liedes. Hört, wie Kabir seiner Seligkeit Ausdruck gibt.

Er ist nicht hier, um euch zu predigen. Er ist wie ein Kirschbaum, der in einer Vollmondnacht erblüht. Blüten kennen keine Argumente. Sie sind nur einfach da. Seht diese Explosion: Kabir ist in Gesang ausgebrochen.

Diese beiden Möglichkeiten hat man, wenn die Erleuchtung kommt: entweder wird man vollkommen still oder man bricht in überschwenglichen Gesang aus. Das sind die zwei Möglichkeiten. Als Meher Baba erleuchtet wurde, kam absolute Stille über ihn. So schwieg er für den Rest seines Le- bens. Als Meera erleuchtet wurde, fing sie an, zu tanzen und zu singen. Das sind die beiden Möglichkeiten: entweder man wird vollkommen still, oder das ganze Leben wird zu einem einzigen Gesang.

Kabirs Leben ist ein Leben des Gesangs. Aber vergeßt nicht, daß die ewige Stille in seinen Liedern mitschwingt — und die Stille Meher Babas ist voller Musik. Wenn man dem Schweigen Meher Babas aufmerksam zu- hört, wird man mit einem Gesang erfüllt, wie wenn Melodien auf einen niederregnen. Und wenn man Kabir ganz still zuhört, merkt man, daß sei- ne Lieder nichts anderes als Botschaften des Schweigens sind.

Oh mein Freund, wo suchst du mich? Siehe: Ich bin an deiner Seite.

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Kabir sagt: Sucht Gott nicht irgendwo im Außen — er ist direkt an eu- rer Seite. Sucht nicht in der Ferne nach ihm. Das ist der sicherste Weg, ihn zu verpassen. Er ist ganz nah; ja, selbst zu sagen, er ist ganz nah, ist falsch, denn Nähe bedeutet immer noch Entfernung. Er ist in euch — ihr seid Gott! Ihr seid nie von ihm fortgegangen.

Ihr könnt ihn nicht verlassen, denn er ist eure Natur. Jetzt in diesem Augenblick ist er in euch.

Wenn ihr mich anschaut, schaut er mich an. Wenn ihr mir zuhört, hört er mir zu. Sobald ihr euch ein wenig entspannt, erkennt ihr diese Tatsache. Wenn ihr verkrampft seid, seid ihr ein 'Ich': Wenn ihr euch entspannt, ver- schwindet das Ich. Angespannt seid ihr von allem abgeschnitten; wieder entspannt, seid ihr nicht länger festgefroren. Ihr schmelzt und löst euch im Ozean des Seins auf.

Jetzt, in diesem Moment hast du diese beiden Möglichkeiten: entweder du bist ein Eisberg, der eingefroren im Ozean treibt, und fühlst dich von al- lem getrennt, oder du schmilzt und vereinigst dich mit dem Ozean. Das ist alles...

Wenn du denkst, »du« bist, wirst du steif und blockiert. Deine Energien hören auf zu fließen, du grenzt dich ab, du schaffst eine Definition deiner selbst. Diese Definition wird zum Hindernis, zur Barriere.

Oh mein Freund, wo suchst du mich? Siehe: Ich bin an deiner Seite. Ich bin weder im Tempel noch in der Moschee. Ich bin weder in der Kaaba noch in Kailash.

Also geht nicht auf lange Pilgerfahrten. Gott ist euch schon längst be- gegnet! Ihr habt ihn von Anfang an in euch; ihr habt ihn nie verlassen! Auch wenn ihr es völlig vergessen habt, auch wenn ihr einfach nicht mehr imstande seid, euch daran zu erinnern, auch wenn es euch vollkommen entfallen ist: Ihr seid immer noch Gott.

Ich bin weder im Tempel noch in der Moschee. Ich bin weder in der Kaaba noch in Kailash. Ich bin nicht in den Riten und Zeremonien, noch bin ich im Yoga und der Entsagung.

...Nicht in den Riten und Zeremonien...

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Religion entartet zum Ritualismus. Eine tote Religion stützt sich auf die Wiederholung von Ritualen. Solange eine Religion lebt, bleibt sie spontan.

Laßt eure Gebete spontan geschehen. Wiederholt keine Rituale, sonst sind eure Gebete nichts als sinnlose Zeitverschwendung. Wenn ihr jeden Tag zur festgelegten Zeit ein bestimmtes Gebet aufsagt, und euch ange- wöhnt habt, auf eine bestimmte Art und Weise in mechanischer Wiederho- lung zu beten, werdet ihr nie erfahren, was Beten ist.

Beten ist etwas, was man eigentlich nicht selbst tut. Man muß es zulas- sen. .. Du sitzt ganz ruhig da, betrachtest die Bäume und auf einmal kommt es über dich. Manchmal widerfährt es dir und manchmal nicht. Es steht nicht in deiner Macht, ein Gebet herbeizuführen. Ein erzwungenes Gebet ist kein Gebet.

Beten ist wie Liebe — manchmal ergreift sie dich und manchmal nicht. Du stehst ihr hilflos gegenüber. Wenn sie nicht über dich kommt, kannst du nichts machen. Oder? Was kannst du machen?

Ja, du kannst so tun, als ob. Du kannst ein liebevolles Verhalten vor- täuschen, während du tief im Inneren genau weißt, daß du eigentlich kei- ne Liebe fühlst. Aber dann wirst du falsch, dann bist du nicht ehrlich und wenn du dich daran gewöhnst, vergißt du mit der Zeit immer mehr, was Liebe wirklich ist. Du gewöhnst dich an das Unechte, das Vorgetäuschte, das Verlogene.

Wenn du aufpaßt, kannst du feststellen, daß ein Gebet manchmal ganz von selbst zu dir kommt... es kommt wie der Wind.

Im Augenblick weht der Wind gerade nicht; die Bäume stehen re- gungslos da. Was können sie auch sonst tun? Sie warten... Sobald der Wind sich erhebt, werden sie tanzen. Sie haben kein Ritual. Sie sagen nicht: »Jetzt ist es Tag geworden, Zeit zu tanzen. Aber wo ist der Wind?« Und wenn er nicht kommt: »Na schön, dann versuchen wir es eben allei- ne. Wir machen Yoga-Übungen, wir praktizieren irgendein Ritual, ein paar Techniken, und irgendwie werden wir es schaffen, uns hin und her zu wie- gen.« Nein, die Mühe ersparen sie sich. Sie warten einfach ab.

Seht — sie stehen da und warten. Wenn der Wind kommt, werden sie tanzen. So ist Beten. Es kommt von selbst. Kommt ohne jeden Hinweis, ohne euch jemals auf sein Kommen vorzubereiten. Darum bleibt offen und verfügbar.

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Manchmal, wenn du nachts aufwachst, ist es plötzlich da: Der ganze Raum wird von einer unbekannten Gegenwart erfüllt. Nicht, daß du ir- gendetwas dafür getan hast — es ist einfach da. Du kannst es genießen, dich freuen, du kannst dich daran berauschen, der Wind ist da! Jetzt kannst du tanzen und singen, dich hin und her wiegen, ein Lied singen.

Und laß auch dieses Lied unmittelbar aus deinem Herzen aufsteigen, aus diesem Moment heraus entstehen. Es ist nicht notwendig, ein Lied zu wiederholen, das jemand anders komponiert hat. Du mußt dich nicht mit Angelerntem vollstopfen. Es ist nicht nötig, christliche oder hindiustische Gebete zu wiederholen. Die sind alle unecht. Ein wahres Gebete steigt von selbst in dir auf.

Manchmal hat dein Gebet keine Worte, du sagst vielleicht überhaupt nichts, noch nicht einmal Danke. Und manchmal kann es sein, daß du mit Gott reden willst, vielleicht willst du dich sogar mit ihm streiten. Es kommt vor, daß man wütend ist... Was soll man dann anderes machen? Und dann wieder ist man voller Andacht und kniet vor ihm nieder. Und manch- mal sagt man zu Gott: »Also gut, du bist da, aber ich bin nicht in Stimmung mit dir zu reden. So wie ich auf dich warten muß, mußt du auch auf mich warten.« Die Wege der Liebe sind mysteriös — und Gott versteht das.

Laßt euer Gebet ganz spontan und vollkommen real sein. Wenn Wut in eurem Inneren ist, gebt ihm eure Wut. Was könnt ihr ihm sonst geben? Wenn Liebe da ist, gebt ihm Liebe. Aber gebt immer das, was da ist und täuscht niemals etwas vor, was nicht vorhanden ist. Gott wird Verständnis dafür haben... Gott ist ja nichts anderes, als ein grenzenloses Verständnis, das die Existenz euch entgegenbringt.

Wenn ihr unaufrichtig seid, versucht ihr die Existenz zu betrügen und das ist unmöglich. Damit häuft ihr nur alle möglichen Schichten von Täu- schungen um euch herum an, so daß euer Wesen am Ende an euren eige- nen Unaufrichtigkeiten erstickt. Ihr geht an der Last eurer eigenen Falsch- heit zugrunde.

Ich bin weder im Tempel noch in der Moschee. Ich bin weder in der Kaaba noch in Kailash. Ich bin nicht in den Riten und Zeremonien, noch bin ich im Yoga und der Entsagung.

Also, begebt euch nicht an irgendwelche Orte. Bleibt wo ihr seid. Seid

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nur aufrichtig, seid ehrlich und spontan.

Wenn du ein wahrer Sucher bist, wirst du mich sogleich erkennen...

»...Wenn du ein wahrer Sucher bist...« Wenn Leidenschaft, wenn Intensität vorhanden ist, wenn der Drang

danach vorhanden ist, dann ist es kein Problem. Versucht, das zu verste- hen...

Kabirs Betonung liegt auf der Dringlichkeit, auf der Totalität des Verlan- gens. Es ist keine Frage von Ritualen. Man kann die Rituale perfekt beherr- schen, ohne jemals zu Gott zu gelangen. Es ist eine Frage der leidenschaft- lichen Intensität. Wenn du leidenschaftlich nach ihm rufst, erfährst du so- fort, daß Gott lebt. Wenn du wirklich vom Feuer der Leidenschaft erfüllt bist, kannst du ihn nicht verfehlen. Und wenn er sich dir nicht offenbart, mußt du dir über eines im Klaren sein: Deine Leidenschaft ist noch nicht groß genug. Dein Verlangen ist nur halbherzig.

Die Leute kommen zu mir und sagen: »Wo ist Gott? Wir sehen ihn nir- gends.«

Ich sehe sie mir an und frage: »Wollt ihr ihn wirklich sehen? Wirklich? Macht eure Augen zu, und blickt in euer Herz hinein. Empfindet ihr eine tatsächliche, eine leidenschaftliche Liebe für Gott? Wollt ihr ihn wirklich se- hen?«

Und dann sagen sie: »Nein, eigentlich nicht.« Wie stellt ihr euch dann vor, ihn kennenzulernen? Ich habe vielen Leu-

ten ins Herz geschaut und Got t s teht ganz am Ende ihrer Wunschliste. Zuerst gibt es andere, wichtigere Dinge zu tun. Erst wenn alles andere erledigt ist, kommt Gott an die Reihe. Er ist immer der letzte in der Schlange. Und die Schlange ist natürlich endlos lang. Auf diese Weise wird Gott nie an erster Stelle stehen, denn in dieser Welt ist nichts jemals been- det. Man tut eine Sache, und aus der einen entstehen tausendundeine mehr: so verwickelt man sich immer mehr in den Angelegenheiten dieser Welt und die Warteschlange wird immer länger und Gott wird immer wei- ter zurückgedrängt. Immer weiter nach hinten geschoben — und dann wollt ihr ihn sehen? Nein, das geht nicht.

Nur Augen erfüllt von ungeheurer Intensität können ihn sehen. Das dritte Auge ist eigentlich kein drittes Auge, sondern ein Verlangen von ei-

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ner solchen Intensität und Leidenschaft, daß man bereit ist, sein Leben hinzugeben. Wenn Gott sagt: »Du kannst mich sehen, wenn du dein Le- ben dafür hingibst«, dann denkst du keinen einzigen Moment darüber nach. Du fällst auf der Stelle tot um, du sagst: »In Ordnung, ich bin bereit zu sterben, aber ich bin nicht bereit, dich nur noch einen Moment zu ent- behren. Diese Dringlichkeit ist das Kennzeichen eines religiösen Menschen.

Wenn du ein wahrer Sucher bist, wirst du mich sogleich erkennen...

Sofort! Auf der Stelle! Im Bruchteil einer Sekunde!

... Und mir begegnen — in einem einzigen Moment.

Kabir spricht: Oh Freund! Gott ist der Atem allen Atems.

Gott ist das Leben selbst. Gott ist kein Ziel in der Ferne. Gott ist wie das Meer und wir sind die Fische, die im Meer schwimmen. Kabir sagt an einer anderen Stelle: »Ich muß immer lachen, wenn ich die Fische im Ozean dürsten sehe. Ich muß einfach lachen. Ich kann es nicht glauben; ich kann nicht fassen, wie es möglich ist! Die Fische im Wasser haben Durst und fra- gen, wo der Ozean ist?«

Wir schwimmen im Ozean Gottes. Gott ist Lebensenergie. Er umgibt euch. Er umgibt alle Dinge. Alles existiert in ihm und alles existiert wie er. Es gibt keine andere Art, zu existieren.

Aber leider hat es viele Menschen gegeben, die über Gott geredet ha- ben, ohne das geringste über ihn zu wissen. Diese Leute haben viele unnö- tige Probleme in die Welt gesetzt und viele unnötige Ängste geschaffen. Es gibt Menschen, die über Gott aus einer logischen Folgerung heraus spre- chen. Nicht aus ihrer eigenen Erfahrung. Sie haben ihn nicht erlebt; sie fol- gern. Sie denken über das Dasein nach und kommen zu dem Schluß, daß Gott notwendigerweise existieren muß. Er ist eine notwendige Hypothese, denn ohne Gott haben sie Schwierigkeiten, das Vorhandensein des Alls zu erklären. Also akzeptieren sie das Konzept eines Gottes.

Aber Gott ist keine Vermutung. Es ist weitaus besser, ein Atheist zu

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werden und überhaupt nicht an Gott zu glauben, als an das Konzept eines Gottes. Bitte tut das nie, denn ein Ungläubiger kann die Erfahrung eines Tages selbst machen, aber ein Mensch, der schon von vornherein an die Notwendigkeit Gottes als Hypothese glaubt, kann niemals wahrhaft religiös werden. Er ist von Anfang an in die verkehrte Richtung gegangen. Ein Un- gläubiger, der sagt, es gibt keinen Gott, ist wenigstens an Gort interessiert — und kann keine Ruhe finden, denn niemand kann mit einem Nein zur Ruhe kommen. Niemand kann sich auf die Dauer mit einer negativen Hal- tung abfinden. Deshalb denken Atheisten unentwegt nach... Sie hören nicht auf, nachzugrübeln.

Ich kenne einen alten Mann, der ein Atheist ist und sich mit mir ausein- andersetzen wollte: »Ich bin jetzt achtzig Jahre alt, und seit mindestens sechzig Jahren ein überzeugter Atheist. Ich leugne, daß es einen Gott gibt!«

Ich antworte: »Was für ein Schwachsinn, sechzig Jahre damit zu ver- schwenden, Gottes Existenz zu leugnen. Wenn es Gott nicht gibt, dann gibt es ihn nicht! Schluß, fertig! Hör endlich auf damit!«

Sechzig Jahre verschwendet... Und er ist ein sehr militanter Atheist. Er fährt im ganzen Land herum, um den Leuten zu predigen, daß es keinen Gott gibt.

Dann habe ich ihm gesagt: »Bist du denn verrückt? Was regst du dich so auf, wenn es keinen Gott gibt? Mach Schluß mit der Sache! Sechzig Jahre lang unaufhörlich dagegen sein — dein ganzes Leben... Jetzt bist du achtzig Jahre alt, kannst jeden Tag sterben und hast dein ganzes Leben an etwas verschwendet, das es nicht gibt?«

Er war beunruhigt und sagte: »Ja, aber das hat mir noch niemand so direkt gesagt. Du machst mir Angst. Ja, das ist wahr — sechzig Jahre sind dahin...«

Ich sagte: »Selbst sechs Minuten von solcher Intensität hätten gereicht, zu erfahren, ob es Gott wirklich gibt oder nicht, aber du hast dich sechzig Jahre lang nur mit Streitereien abgegeben. Du bist eben sehr streitsüchtig. Ich will mich nicht mir dir auseinandersetzen, das hat keinen Sinn. Ich möchte dir nur eines sagen, eins steht fest, daß du tief im Unbewußten weiterhin auf der Suche bist, weil du mit deinem Nein nicht zufrieden bist. Wenn du zufrieden gewesen wärst, hättest du dein Leben einfach in Frie- den genossen. Was kümmert einen etwas Nichtvorhandenes? Aber du bist unzufrieden, denn niemand kann sich mit einem Nein zufriedengeben.«

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Das muß man ganz klar sehen: Zufriedenheit erwächst nur aus einem Ja. Zufriedenheit entsteht nur durch eine absolut positive Haltung. Gott ist nichts anderes, als ein tiefes Ja zur gesamten Existenz.

Aber es gibt Menschen, die durch logische Folgerungen zu dem Schluß kommen, daß es Gott entweder gibt oder nicht gibt. Beides ist sinnlos, da sie es nicht selbst erfahren haben.

Ich habe von einem Dozenten gehört, der sich einen großen Ruf als Experte für Kindererziehung erworben hatte, ohne dabei jemals selbst verheiratet gewesen zu sein. Titel seiner Vortragsserie: »Zehn Gebote für Eltern.«

Dann begegnete er der Frau seiner Träume, heiratete und wurde Vater. Kurz danach änderte er den Titel seiner Serie zu: »Zehn Rat- schläge für Eltern.«

Nachdem er zum zweiten Mal mit Nachwuchs gesegnet worden war, nannte er seine Vortragsserie: »Zehn vorläufige Hinweise für El- tern.«

Als sein drittes Kind auf die Welt kam, gab er das Reden dann end- gültig auf.

Nur die Erfahrung kann entscheiden. Es ist leicht, anderen zu erklären, was gute Eltern sind, und sehr schwer, selbst ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein. Es ist wirklich einfach, anderen Leuten gute Ratschläge zu geben, wie sie mit ihrer Ehe fertigwerden sollen.

Zu mir kam einmal ein Mann aus Amerika der sagte: »Ich bin ein Ehe- berater und hierhergekommen, weil ich so viele Probleme in meiner Ehe habe.« Ich fragte: »Wieso? Du bist doch selbst ein Eheberater.« Er sagte: »Ja, deshalb bin ich ja hier. In Amerika bin ich zu berühmt, um zu einem anderen Eheberater zu gehen.«

Unter meinen Sannyasins befinden sich viele Psychologen, Psychiater und Therapeuten, die anderen geholfen haben, ohne eine Ahnung zu ha- ben, was hinten und vorne ist. Sie haben schon viel zu vielen Leuten »ge- holfen« und wenn ich in sie hineinsehe, muß ich feststellen, daß sie selbst dringend Hilfe brauchen. Und dann mache ich mir Sorgen um die Leute, die von ihnen behandelt worden sind...

Denkt daran: Nur die eigene Erfahrung kann entscheiden.

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Kennt ihr die berühmte Anekdote von Jalaluddin Rumi, dem Sufi- Mystiker?

Eine Frau kam mit ihrem Kind an und sagte: »Maulana, Meister, ich habe nun auf alle erdenkliche Art versucht, meinem Kind abzugewöhnen, so viel Zucker zu essen. Aber er hört nicht auf mich. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit: Wenn du ihm etwas sagst, wird er auf dich hören, denn der Junge verehrt dich. Er versteht noch nicht, wer du bist, aber er verehrt dich, und als ich ihm sagte: »Komm mit mir zum Maulana«, sagte er: »Na gut, wenn der sagt, daß ich aufhören soll, dann höre ich auf.«

Maulana betrachtete das Kind, erkannte sein tiefes Vertrauen und sag- te: »Warte noch. Komm in drei Wochen wieder.«

Die Frau war verwirrt — so eine simple Antwort — und Maulana war ein weltberühmter Mann! Aus den fernsten Ländern kamen die Leute, um ihm die größten Probleme zu unterbreiten, und er war bekannt dafür, daß er sie auf der Stelle löste. Und nun so eine alberne Antwort! Er hätte sagen können: »Ja, iß keine Süßigkeiten mehr«, und die Sache wäre erledigt ge- wesen. Drei Wochen?...

Drei Wochen später kam die Frau mit dem Jungen zurück und der Maulana sagte: »Warte noch einmal drei Wochen.« Die Mutter rief: »Was ist denn bloß los?« Aber er sagte nur: »Wartet und kommt in drei Wochen wieder.«

Als sie wiederkamen, sagte er zu dem Jungen: »Also hör zu: »Iß kei- nen Zucker mehr.« Der Junge war sofort bereit: »In Ordnung, ich höre da- mit auf.«

Jetzt liegt mir eine Frage am Herzen,« sagte die Mutter, »und ich kann nicht eher ruhen, als bis du sie beantwortet hast. Warum hast du ganze sechs Wochen dazu gebraucht?«

Maulana antwortete: »Ich esse selbst gerne Zucker — und wie kann ich dem Jungen dann einen Rat geben? Das wäre nicht ehrlich gewesen. Also habe ich drei Wochen versucht, ohne Zucker auszukommen. Aber ohne Erfolg. Dann habe ich es noch einmal drei Wochen lang versucht, und jetzt ist es mir gelungen. Jetzt kann ich sagen: »Bitte hör damit auf. Schau, ich bin ein alter Mann und kann sogar in meinem Alter noch damit aufhören. Du bist noch jung, du kannst alles fertigbringen.«

»Jetzt kann ich sagen...« So gehen die Mystiker vor. Und so sind sie schon immer vorgegangen. Sie glauben an die Erfahrung. Alles was Kabir sagt, basiert auf seinen eigenen Erfahrungen.

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Es gibt Menschen, die ständig darüber debattieren und sich mit ande- ren streiten, ob es Gott gibt oder nicht; ob die Seele nach dem Tode weiter- lebt oder nicht; ob es Himmel und Hölle gibt, oder nicht. Das ist reiner Blödsinn, dumm, reine Zeitverschwendung. Kabir ist nicht an solchen Konzepten interessiert.

Ich habe eine wunderschöne Geschichte von Cleveland Amory gehört: Er spricht über die Zeiten, in denen Newport, in Rhode Island, das Sommer-Mekka der High Society war.

Ein eleganter Gentleman und seine Gattin hatten es sich gerade in ih- ren Liegestühlen am Strand bequem gemacht, als ein Unglückseliger, der sich zu weit in die Hut hineingewagt hatte, anfing zu schreien: »Sauvez- moi! Sauvez-moi!«

»Dieser Mensch«, bemerkte der elegante Herr, »ist entweder ein Fran- zose oder ein Snob.«

Während das Paar diese beiden Möglichkeiten diskutierte, nahm das Schreien ein Ende, denn der Schwimmer war freundlicherweise unterge- gangen.

Also, das Paar diskutierte, ob er nun ein Franzose oder ein Snob war, weil nur zwei Arten von Leuten französisch sprechen: die Franzosen und die Snobs. Anstatt zu schreien: »Rettet mich!« sagte er: »Sauvez-moi!« Zu welcher Kategorie gehört er nun? Keiner kümmert sich um seine Rettung, obwohl man ja später feststellen könnte, was für ein Mensch er ist.

Buddha erzählte seinen Schülern gern folgende Geschichte: »Ich habe von einem Philosophen gehört, der von einem Pfeil getroffen im Sterben lag. Ein Arzt kam, der den Pfeil herausziehen wollte, aber der Philosoph sagte: »Warten Sie! Zuerst das Wichtigste: Wer hat versucht, mich umzu- bringen? Ich muß wissen, ob es ein Freund oder ein Feind war; ob der Pfeil mit Absicht auf mich abgeschossen wurde; oder ob es nur ein Unfall war; ob der Pfeil vergiftet ist oder nicht!«

Der Arzt sagte: »Ich weiß wohl, daß Sie ein großer Philosoph sind, aber bitte lassen Sie die Philosophie für einen Moment aus dem Spiel. Las- sen Sie mich erst den Pfeil entfernen. Der Pfeil wird Sie umbringen, wäh- rend Sie Probleme aufwerfen, die unlösbar sind.«

Aber der Philosoph fuhr fort: »Glauben Sie an ein Weiterleben der See- le nach dem Tode? Die wichtigsten Fragen müssen zuerst beantwortet wer-

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den!« Der Arzt antwortete: »Sie sind ein Dummkopf! Das ist doch jetzt nicht wichtig! Die wichtigste Frage im Moment ist, wie man den Pfeil entfernt. Al- les andere können Sie später bedenken!«

Kabir interessiert sich für keine Philosophien und Dogmen. Er sagt, daß dieses Leben göttlich ist. Kümmert euch nicht um Himmel und Hölle. Denkt nicht über Angelegenheiten nach, die in weiter Ferne liegen. Seid realistisch. Bleibt mit beiden Beinen auf der Erde.

Oh, mein Freund, hoffe auf Ihn, während du lebst, erkenne, während du lebst, verstehe, solange du lebst, denn die Erlösung liegt in diesem Leben.

Redet nicht über das, was nach dem Tode geschieht und stellt euch Gott nicht als jemanden vor, der auf einem Thron im Himmel sitzt.

»... Denn die Erlösung liegt in diesem Leben...« Im Leben liegt die Be- freiung. Das Leben als solches ist eine befreiende Erfahrung. Wenn man es total auslebt, wird man befreit.

Wenn deine Fesseln nicht gesprengt werden, während du lebst — welche Hoffnung auf Erlösung kann der Tod dir geben?

Also seid Jetzt Hier. Handelt jetzt sofort!

Es ist nur ein leerer Traum, daß die Seele sich mit Ihm vereinigt, nur weil sie den Körper verlassen hat. Wenn du Ihn jetzt findest, wirst du Ihn im Tode finden. Wenn nicht, gehen wir nur hin, um in der Totenstadt zu wandern.

»...Wenn du ihn jetzt findest, wirst du ihn im Tode finden...« Jetzt oder nie! Grabt euch diese Botschaft tief ins Herz hinein und laßt sie dort Wur- zeln fassen: Jetzt oder nie!

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Gott ist jetzt hier, aber euer Verstand in seiner Schlauheit, versucht die Sache hinauszuschieben. Ihr sagt: »Wir werden sehen. Wenn der Tod kommt und wir vor Gott treten, werden wir weitersehen. Jetzt in diesem Augenblick ist das nicht mein Problem.«

Aber das Problem stellt sich jetzt! In diesem Augenblick! Lebst du Gott in diesem Augenblick oder nicht? Das ist das Problem. Wenn du ihn jetzt nicht lebst, wirst du niemals in der Lage sein, ihn zu leben, denn er ist hier. Er ist immer in der Gegenwart! Nie in der Vergangenheit und nie in der Zu- kunft. Dieser Augenblick ist sein Aufenthaltsort. Genießt ihn, erfreut euch an ihm, in diesem Moment! Darum tut alles, was ihr tut, mit Andacht. Ganz gleich, was ihr tut, tut es in zärtlicher Verehrung. Laßt jede eurer Handlungen liebevoll sein.

Wenn du jetzt eins mit Ihm wirst, wirst du auch im Jenseits eins sein.

Kabir glaubt also an das Leben. Nicht an Gott. Das Leben ist Gott. Laßt es mich so sagen: Er ist »leben« mit einem kleinen »l«, nicht mit einem großen »L« geschrieben; das ganz gewöhnliche leben — schlafen, wa- chen, essen, auf der Straße gehen, lieben, den Leuten helfen... Dieses ge- wöhnliche leben, mit einem kleinen »l«, ist Gott.

Und wenn du ihn nicht im alltäglichen Leben finden kannst, wirst du ihn niemals woanders finden.

Liebt, und laßt eure Liebe so tief werden, daß ihr Gott in euren Gelieb- ten entdeckt. Schließt Freundschaften und laßt eure Freundschaft so tief werden, daß ihr Gott in euren Freunden entdeckt. Immer wenn ihr total in irgendetwas versunken seid, ist er da. Euer totales Versunkensein ist die Tür zu Gott.

Aber der Verstand ist ehrgeizig; er lebt in der Zukunft. Der Verstand ist egoistisch; er entspannt sich nicht in der Gegenwart, sondern entwirft großartige Pläne für die Zukunft. Der Verstand denkt immer darüber nach, wie man »Jemand« werden könnte, und das Problem ist, daß ihr schon längst seid, wonach ihr euch sehnt! Ihr müßt es nicht werden, Ihr seid es schon! Gott ist euer Sein. Es ist keine Frage des Werdens. Doch der Ver- stand denkt politisch und interessiert sich nur für das Werden — dieses oder jenes zu werden.

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Ich habe gehört, daß Adolf Hitler einmal zu einem sehr weisen alten Rabbiner kam und sagte: »Wie ich höre, bist du ein bedeutender My- stiker. Ich glaube eigentlich nicht an solchen Unsinn und werde dich umbringen lassen, falls du mir nicht zu einer Offenbarung Gottes ver- hilfst, aber wenn du trotzdem ein Mystiker bist, dann tu ein Wunder. Kannst du bewirken, daß ich eine Offenbarung Gottes habe?«

Der Rabbiner sagte: »Gesagt, getan. Das werden wir gleich haben. Geh einfach hinaus und stell dich auf die Straße.« Hitler sagte: »Aber draußen regnet es.«

Mach dir darüber keine Gedanken,« sagte der Rabbiner. »Bleib einfach eine Viertelstunde im Regen stehen. Dann hast du eine Offen- barung.« Adolf Hitler war nicht recht willens, aber dann dachte er bei sich, »Was kann es schaden... versuchen wir's. Schlimmstenfalls bekomme ich ei- nen Schnupfen, mehr kann mir eigentlich nicht passieren. Ich versu- che es mal.« Und er sagte zu dem Rabbiner: »Vergiß nicht, daß ich dich umbringen lasse, wenn ich keine Offenbarung habe!«

Der Rabbiner entgegnete: »Geh nur, es hat noch jedesmal ge- klappt. Die Mächte haben mir noch nie ihren Dienst versagt.«

Hitler tat, wie ihm geheißen, und kam nach einiger Zeit bis auf die Haut durchnäßt zurück. »Sieh dir das an!« schrie er, »ich habe über- haupt keine Offenbarung gehabt, sondern mich wie ein Vollidiot ge- fühlt!«

»Nicht schlecht,« sagte der Rabbiner schmunzelnd, »meinst du nicht, daß das eine ganz anständige Offenbarung für den Anfang ist?«

Der Verstand ist dumm, weil er ein Politiker ist. Alle Politiker sind dumm, denn alle Politik entsteht nur aus diesem einen Antrieb: Jemand zu werden. Und die Offenbarung der Religion ist, daß man niemand werden muß — man ist es schon.

Du bist das Allerhöchste. Du bist Gott selbst. Was willst du mehr? Was kannst du sonst noch haben wollen? Mehr ist nicht möglich. Du kannst nicht verbessert werden.

Neulich abend fragte mich eine Frau: »Was soll man machen, wenn ein Mensch im Leben fällt?« Ich sagte ihr: »Niemand kann fallen!« Sie konnte es nicht begreifen; sie dachte, ich hätte ihre Frage mißverstanden und sagte: »Wenn jemand im Leben gefallen ist und eine Sünde begangen

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hat, wie kann man ihm helfen?« Ich sagte: »Niemand kann eine Sünde be- gehen. Es gibt keine Sünde. Zu Fallen ist unmöglich. Tief innen bleibt man das Allerhöchste. Sünden und Tugenden, Gut und Böse, Moral und Un- moral existieren nur an der Oberfläche.«

Mystiker wie Kabir sind nicht gekommen, um euch Moral zu lehren. Sie lehren Religiosität, und der Unterschied ist folgender: Moral ist auch wiederum Politik. Man versucht sich auf moralischem Wege zu verbessern. Aber eure ganze menschliche Gesellschaft ist absolut morallos — also folgt ihr den Geboten einer unmoralischen Gesellschaft. Ihr tut bedenkenlos al- les, was diese unmoralische Gesellschaft von euch verlangt; und so ist es in der Tat das Unmoralischste, was es gibt, in diese Gesellschaft hineinzupas- sen.

Ein wahrhaft moralischer Mensch kann nicht gesellschaftsfähig sein! Es ist nahezu unmöglich für einen solchen Menschen, sich in die Gesellschaft einzufügen. Darum seid euch darüber im Klaren, daß eure sogenannten »Leute von Moral und Ansehen«, eure respektablen Bürger, die eine Stel- lung in der Gesellschaft einnehmen, zutiefst unmoralisch sind. Das sind trickreiche Leute, verlogene Heuchler.

Aber eines muß ich euch sagen: Moralisch oder unmoralisch — alle diese Unterscheidungen existieren nur an der Oberfläche. Tief im Inneren bleibt ihr immer in eurem ursprünglichen, allerhöchsten Sein. Ihr seid Göt- ter und Göttinnen. Diese Tatsache zu erkennen und anzufangen, sie zu le- ben, heißt religiös sein.

Ich sage nicht, daß ihr unmoralisch werden sollt... Ich sage, wenn ihr religiös werdet, folgt moralisches Verhalten wie ein Schatten. Und nur dann ist es wahre Moral. Das ist dann keine Moral, die euch von einer un- moralischen Gesellschaft aufgedrängt wurde. Es ist eine Moral, die aus eu- rem urinnersten Wesenskern aufsteigt. Kein Charaktermerkmal, sondern ein Überströmen eures Seins. Das ist kein totes Gerüst, auf das ihr euch stützt. Ihr werdet dahinfließen, mitfließen, bewußt und spontan von Au- genblick zu Augenblick leben. Ihr werdet in der Lage sein, im Moment zu handeln.

Was die Leute normalerweise Moral nennen, ist nichts anderes als Un- terdrückung.

Ich habe einmal von einer Dame gehört, die ein Muster an Tugend auf

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Erden gewesen war, und trotzdem nach ihrem Tode mit Entsetzen feststellen mußte, daß sie sich in der Hölle befand. Sie beschwerte sich sogleich telefonisch bei Petrus, der sie allerdings bat, noch etwas Ge- duld zu haben, weil der Himmel vorübergehend voll ausgebucht war.

Zwei Wochen später rief sie wieder bei ihm an und wies ihn darauf hin, daß man ihr in der Hölle das Trinken und Rauchen angewöhnen wolle. »Diese Burschen hier sind sehr gefährlich. Ich lebe in ständiger Versuchung. Oh, ich befürchte Schlimmes!« Petrus riet ihr, Geduld und Kraft zu schöpfen. Er werde bestimmt bald Unterkunft im Himmel für sie finden, aber leider noch nicht sofort.

Vierzehn Tage später rief das Muster an Tugend zum letztenmal an: »Hallo Peter, bist du's? Du kannst die Sache abblasen. Und wenn du wissen willst, wo's gemütlich ist, dann komm runter.«

Die Leute, die ihr für moralisch haltet, haben einfach alles verdrängt. Das sind nur Egoisten, die alle möglichen unterdrückten Begierden in ih- rem Inneren verstecken. Sowie sich eine Gelegenheit auftut, explodieren sie. Nur aus Furcht und Habgier haben sie sich solange zurückgehalten. Solche Menschen sind nicht wirklich moralisch. Nur ein religiöser Mensch kann moralisch sein.

Normalerweise wird euch beigebracht, daß ihr erst tugendhaft werden müßt, wenn ihr religiös werden wollt. Ich behaupte genau das Gegenteil: Seid religiös, und ihr werdet zwangsläufig tugendhaft. Wenn ihr euch be- müht, tugendhaft zu werden, gelingt es euch vielleicht nach außen hin, aber damit werdet ihr niemals wirklich religiös, und eure Tugendhaftigkeit bleibt eine Fassade. Von wem wollt ihr denn lernen, was Tugend ist? Von dieser unmoralischen Gesellschaft? Woher sollen die Maßstäbe denn kom- men? Aus demselben verrotteten Gesellschaftsgefüge... Nein, das kann keine Moral sein. Werdet erst einmal religiös.

Jesus sagt: »Suchet erst das Himmelreich Gottes. Dann erlangt ihr auch alles andere.«

Ich sage euch dasselbe und Kabir vermittelt euch dieselbe Lehre: Lebt hier und jetzt. So total wie möglich. So bewußt wie möglich. So liebevoll wie möglich — und alles andere ergibt sich von selbst.

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Wenn du Ihn jetzt findest, wirst du Ihn im Tode finden. Wenn nicht, gehen wir nur hin, um in der Totenstadt zu wandern. Wenn du jetzt eins mit Ihm wirst, wirst du auch im Jenseits eins sein. Bade dich in den Wassern der Wahrheit...

Jetzt! Badet euch jetzt in der Wahrheit! Sie umgibt euch ringsumher.

Ein gutaussehender, aber schüchterner junger Mann aus den streng- gläubigen Südstaaten Amerikas, arbeitete seit kurzer Zeit als Buchhal- ter bei einer Firma. Nach ein paar Tagen erklärte er dem Bürovorste- her:

»Ich muß Ihnen mitteilen, daß mich einige der jungen Damen, die sich in Ihrem Büro befinden, auf unziemlichste Weise versuchen wol- len.«

»Lassen Sie sich nicht erschüttern, junger Mann«, sagte der über- raschte Bürovorsteher, in dem er ein Lächeln unterdrückte, »im Him- mel werden Sie dann dafür belohnt.«

Eine Woche später kam der junge Mann wieder. »Es ist die hüb- sche Rothaarige Sir, sie verfolgt mich mitleidslos. Ich glaube kaum, daß ich ihr widerstehen kann. Aber wenn es mir doch gelingt, was glauben Sie, wird meine Belohnung im Himmel dafür sein?«

Der Bürovorsteher sagte: »Ein Haufen Heu, du Esel.«

Versucht nicht, dem Leben aus dem Weg zu gehen, sonst dürft ihr euch nicht wundern, wenn ihr im Himmel plötziich einen Haufen Heu als Belohnung dafür vorfindet. Die Belohnung ist hier. Die Belohnung ist Lie- be. Die Belohnung liegt in der Totalität. Die Belohnung ist, daß man eins mit dem Leben wird. Jeder Augenblick ist so kostbar und bringt so un- schätzbare Belohnungen mit sich! Genießt es einfach. Berauscht euch am Leben; ihr müßt völlig darin aufgehen, das ist die Belohnung. Badet in den Wassern der Wahrheit — jetzt!

...erkenne den wahren Meister...

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Was meint er mit dem wahren Meister? Kabir meint, daß das Leben selbst der Meister ist. Die Existenz selbst ist der Guru. Wenn euch das Le- ben ruft, dann bleibt nicht unbeweglich stehen. Folgt seinem Ruf. Seid abenteuerlustig und geht voran, auf den unbekannten, Ungewissen Wegen des Lebens.

...vertraue auf den wahren Namen...

Was ist Gottes wahrer Name? Niemand kennt ihn. Man kann den wahren Namen nicht bestimmen.

Alle Namen, die wir kennen, wurden von den Menschen erfunden. Wenn ihr es wirklich wissen wollt, dann erkennt, daß diese gesamte Existenz, die uns umgibt, sein wahrer Name und seine wirkliche Adresse ist. Er ist über- all.

Hört dem Leben zu, vernehmt seinen Ruf, folgt seiner Aufforderung, seiner großen Versuchung. Stellt euch seiner Herausforderung und seid mutig. Dann wird sich Gott auch in jedem Augenblick offenbaren. In inten- siver Leidenschaft, in intensiver Liebe, in intensiver, wacher Bewußtheit offenbart er sich sofort.

Kabir spricht: Es ist der Geist der Suche, der uns hilft...

... Und nichts anderes. Weder die Moschee noch der Tempel, noch die Bibel, noch der Koran, noch die Veden. Es ist der Geist der Suche, der uns hilft. Wenn du wirklich suchst, findest du ihn. Wenn du ihn nicht fin- dest, ist es nicht seine Schuld. Sieh nur in dich selbst hinein: du willst ihn gar nicht finden. Du spielst mit dem Namen Gottes, aber im Grunde hast du Angst. Du bist feige...

Der Mensch bleibt ein Feigling, es sei denn, er wird religiös. Nur ein reli- giöser Mensch beweist echten Mut, denn er begibt sich auf die Reise ins vollkommen Unbekannte. Ohne alle Landkarten, ohne vorgezeichnete Wege — und ohne einen anderen, der ihn führen könnte. Niemand geht dir voran, um dir den Weg zu weisen. Nur das Leben allein — und das Le- ben gibt seine Weisungen nie lautstark. Es flüstert nur. Wenn man nicht un- geheuer aufmerksam, feingestimmt und richtig eingestimmt ist, kann man die kleine, leise Stimme des Inneren nicht hören. Das Leben ist der Guru, der Meister.

Wenn du einem Menschen begegnest, bei dem du das Gefühl hast,

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deinen Meister gefunden zu haben, beweist das nur eines: daß etwas in sei- ner Stimme, etwas in seinem Wesen, das Echo jener kleinen leisen Stimme Gottes auslöst, die in deinem Inneren ist. Der äußere Guru ist nur ein Spie- gel, der dich selbst widerspiegelt; der das Göttliche in dir widerspiegelt. Und ein wahrer Meister wirft dich auf dich selbst zurück. Ein wahrer Meister bindet dich nicht an sich, denn der wahre Meister ist das Leben selbst. Der wahre Guru ist Gott selbst.

Ich bin der Sklave dieses Geistes.

Und Kabir sagt: »Ich verehre den Menschen, der diesen Geist der Su- che in sich hat, der eine intensive Liebe für die Wahrheit empfindet und be- reit ist, alles dafür zu opfern.«

Eine kleine Geschichte über einen Zen-Meister: Ein Schüler fragte den Meister: »Was ist Buddhas Wahrheit?« Der Meister antwortete: »Warum fragst du eher nach dem Be- wußtsein eines anderen, als nach deinem eigenen Bewußtsein oder Selbst?« »Was ist denn mein Selbst, Meister?« fragte der Schüler. »Du mußt wissen, was mit der 'geheimen Handlung' gemeint ist.« »Was ist die 'geheime Handlung', Meister? Erkläre es mir,« sagte der Schüler.

Der Meister öffnete die Augen und schloß sie wieder.

Das ist die geheime Handlung: Öffne deine Augen und sieh Gott. Schließe deine Augen und sieh Gott.

Er ist innen und außen. Macht keine Unterschiede zwischen innen und außen, denn bei Gott gibt es keine Unterschiede. Er ist das Innere, und er ist das Äußere. Der Meister öffnete seine Augen... das ist ein Hinweis nach Art des Zen. Diese Geschichte hätte auch Kabir gefallen. Der Meister öffne- te seine Augen, sah die Welt und sagte damit: »Leben« — schloß seine Augen und sagte damit: »Schau nach innen.«

Das Allerinnerste und das Äußere... Wenn ihr das Innere sowohl als das Äußere lieben könnt, wenn ihr das Innere sowohl als das Äußere wahrnehmen könnt, seid ihr angekommen. Und diese Ankunft kann nur Jetzt stattfinden. Schiebt es nicht hinaus! Sagt nicht, morgen, morgen, morgen, denn das Morgen kommt nie.

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Die erste Frage:

»Was ich unter Sannyas verstehe, ist eine spirituelle Disziplin, durch die man ein religiöser Mensch wird. Aber mit mir geschieht das nicht. Was soll ich machen?«

ein Sannyas ist keine Disziplin. Mein Sannyas ist Freiheit; Freiheit von jeder Kontrolle — sogar von der Selbstkontrolle.

Ein Mensch, der sich kontrolliert, ist tot, und ob man von sich selbst oder von anderen kontrolliert wird, macht keinen großen Unterschied. Mein Sannyas ist Spontaneität. Von Moment zu Moment leben, ohne jede vorgefertigte Disziplin. Mit dem Unbekannten leben, ohne genau zu wis- sen, wo man hingeht, denn wenn man schon im voraus weiß, wo man hingeht, ist man nicht lebendig. Dann läuft das Leben mechanisch ab. Das Leben sollte ein Fließen vom Bekannten zum Unbekannten sein. Du mußt das Bekannte jeden Augenblick wieder loslassen, damit dich das Unbe- kannte ergreifen kann. Nur das Unbekannte befreit.

Eine Disziplin kann niemals aus dem Unbekannten kommen. Eure Dis- ziplin kommt zwangsläufig aus dem Verstand. Der Verstand ist eure gesam- melte Vergangenheit. Alles was ihr gelernt habt, alles worüber ihr nachge-

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dacht habt, ist euer Verstand. Und aus diesem Verstand kommen alle Plä- ne für die Zukunft. Also kann dieses Vorausplanen für die Zukunft nichts anderes, als eine Wiederholung des Vergangenen sein. Es stammt aus der Vergangenheit und kann somit nichts anderes sein. Vielleicht hier und da ein wenig abgewandelt, hier und dort ein wenig zurechtgezupft — aber es kann keine radikale Veränderung sein.

Mein Sannyas ist eine radikale Revolution. Wenn ich euch Sannyas ge- be, gebe ich euch Freiheit. Ich mache euch Mut, ohne alle Pläne, ohne den sogenannten Verstand, ohne die Vergangenheit zu leben. ... Natürlich ist das gefährlich. Aber das Leben ist nun einmal gefährlich. Nur wenn man tot ist, besteht keine Gefahr mehr. Dann ist man sicher; sicher im Grab. Vorher gibt es keinerlei Sicherheit. Wenn du sicher und perfekt gegen alles geschützt sein willst, und dich gegen alle Gefahren absichern willst, darfst du die Welt des Sannyas nicht betreten. Leg dich lieber gleich ins Grab. Hör auf zu atmen, denn Atmen ist gefährlich.

Das Leben existiert in Gefahr, es pulsiert in der Gefahr. Leben exi- stiert im Ozean des Todes. Es muß gefährlich sein! Es kann nicht sich- er sein. Du bist schließlich kein Stein. Du bist eine Blume, zart und verwundbar. Am Morgen lachst du mit der Sonne und am Abend bist du verwelkt.

Wie sollte das Leben sicher sein? In seiner Zerbrechlichkeit, in seiner Hinfälligkeit — wie kann man sich irgendeine Versicherung auch nur vor- stellen? Nein, es gibt keine Sicherheit, das ist unmöglich.

Man darf sein Leben nicht nach der Philosophie ausrichten, die die menschlichen Versicherungsgesellschaften propagieren. Man muß Hand in Hand mit Gefahr und Tod einhergehen, dann eröffnen sich unermeßli- che Dimensionen. Dann wird Gott offenbart.

Gott ist sehr gefährlich. Es gibt kein vergleichbar gefährliches Wort, wie das Wort »Gott«. Gott bedeutet, ein Leben natürlicher Sponta- neität zu leben.

Versucht nicht, eure Zukunft zu beeinflussen. Laßt sie unvorbereitet auf euch zukommen. Versucht nicht, sie zu korrumpieren. Versucht nicht, sie zu verfälschen. Gebt ihr keine Form, kein Muster.

Aber natürlich — wenn du lebst, was ich lehre, verschwinden eine gan- ze Menge Dinge aus deinem Leben. Das erste davon ist die Sicherheit.

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Aber eure sogenannte Sicherheit ist ohnehin unecht. Nur das Unechte ver- schwindet mit Sannyas, nicht das Reale. Das Wahre beginnt an die Ober- fläche zu kommen. Die Sicherheit wird verschwinden — Heirat und Ehe werden verschwinden, aber die Liebe bleibt bestehen. Liebe ist wirklich.

Laßt das noch klarer werden: Liebe kann mit Sannyas existieren, aber keine Heirat, denn zu heiraten ist ein Versuch, der Liebe eine soziale, legale Form zu geben, sie in ein bestimmtes Muster zu zwingen, eine Disziplin aus der Liebe zu machen. Und was macht ihr da? Wie wollt ihr das, was noch nicht ist, beeinflussen? Man kann eine Frau oder einen Mann lieben und in einem Augenblick fühlen, daß man sie immer und ewig lieben wird, aber das ist nur das Gefühl dieses Augenblicks. Wie könnt ihr irgendwelche Ver- sprechungen machen? Ein aufrichtiger Mensch kann niemals etwas ver- sprechen.

Wie könnt ihr etwas für die Zukunft versprechen? Wie könnt ihr voraus- sagen, ob ihr wirklich auch morgen in der Lage sein werdet, zu lieben? Was wollt ihr machen, wenn die Liebe vergeht?

Sie ist von selbst aufgetaucht, ihr habt sie nicht herbeigeführt. Und wenn sie wieder vergeht — was dann? Was könnt ihr tun? Sie kommt und geht. Sie widerfährt euch und sie verschwindet. Sie steht nicht in eurer Macht. Sie ist größer als ihr. Was wollt ihr also machen, wenn ihr gesagt habt: »Ich werde dich immer und ewig lieben«? Wenn die Liebe dann ver- gangen ist, täuscht ihr sie vor, ersetzt sie durch etwas anderes. Das ist es, was in einer Ehe geschieht. Dann leben zwei abgestorbene Leute in einer toten Beziehung und hören nicht auf, miteinander zu streiten, zu kämpfen, sich gegenseitig zu beschimpfen. Sie versuchen einander zu beherrschen, zu manipulieren, sich gegenseitig auszunutzen und zu zerstören. Eine Ehe ist eine häßliche Sache. Liebe ist etwas ungeheuer Schönes.

Mein Sannyas ist wie Liebe. Das althergebrachte Sannyas war eher wie eine Ehe. Mein Sannyas ist einfach der Mut, alles hinzunehmen, wie es kommt, ohne jede Vorbereitung.

Wie kann man sich auch im voraus präparieren? Das Morgen ist doch völlig unbekannt! Alles was man im voraus plant, wird zum Hindernis, zum Schleier vor den Augen, der einem unmöglich macht, zu sehen, was ist. Alle Vorbereitungen sind hinderlich. Bleibt unvorbereitet, dann ist das Da- sein spannend und aufregend. Dann ist jeder Moment eine Freude, ein

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Wunder und bringt etwas noch Niedagewesenes. Und ihr werdet euch nie langweilen.

Das Eheleben, das Leben aller Disziplin, ist ein Leben der Langeweile. Monoton. Monogamie ist Monotonie. Ihr müßt andauernd dasselbe wie- derholen und seid nicht frei, neue Weisen des Seins zu entdecken. Ihr seid nicht frei, neue Dinge zu sehen. Ihr seid nicht frei, neue Wahrheiten, neue Schönheiten zu erleben.

Was bedeutet es, diszipliniert zu sein? Es bedeutet einfach, daß man ei- nen bestimmten Standpunkt einnimmt und die Augen nicht länger offen hält. Man ist ein Christ — dann hat man eine Disziplin. Man ist ein Hindu — dann hat man eine Disziplin, ein Dogma, und dieses Dogma ständig vor Augen. Dann kann man nicht sehen, was ist.

Ich möchte, daß ihr total unkontrolliert werdet. Ich möchte, daß ihr in einem absoluten Chaos, ohne jede Ordnung lebt.

Aber versteht mich bitte nicht falsch — das ist sehr leicht möglich — denn wenn ich etwas sage, muß ich Worte gebrauchen, und alle Worte sind total verdorben, von euch korrumpiert, durch jahrhundertelangen Ge- brauch verfälscht worden. Wenn ich »Chaos« sage, wird euch angst und bange. Aber ihr kennt die Schönheit des Chaos eben nicht. Ihr kennt die spontane Ordnung des Chaos nicht. Ihr kennt nicht die Ordnung, die aus der Freiheit entsteht; die Ordnung, die euch nicht von eurem Verstand und eurer Vergangenheit aufgezwungen wurde, sondern die durch eure Wach- heit, euer Bewußtsein, durch eure Freiheit, im Moment zu handeln, er- wächst.

Ich nenne es deshalb nicht Ordnung, weil es sich mit jedem Moment verändert, und ich nenne es keine Disziplin, weil es nichts mit euch zu tun hat. In diesem Chaos seid ihr nicht mehr als Egos vorhanden, das Ich ist verschwunden. ... Und wer ist es denn, der euch disziplinieren will? Euer Ego! Euer Ego sagt: Werde ein besserer Mensch! Mach etwas aus dir! Du bist ein Sünder — werde ein Heiliger! Du bist gewalttätig — werde friedlich! Du bist immer ärgerlich — werde ein liebevoller Mensch! Aber wer wird diese Veränderungen herbeiführen? Und wer ist es, der sich um Verbesse- rung bemüht?

Das Ego sehnt sich nach Verschönerung; möchte respektabler werden, möchte selbstsicherer werden, ein solides Fundament in dieser Welt haben, sich gefestigter fühlen, jemand Besonderer sein, etwas Außergewöhnli- ches darstellen. Nein, mein Sannyas bietet euch nichts dergleichen.

Ich verkaufe keine toten Sachen. Damit habe ich nichts zu tun. Mein

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ganzes Streben hier ist, euch einen Geschmack der Freiheit zu geben. Wenn ihr diesen Geschmack auch nur einmal gekostet habt, werdet ihr euch mit nichts anderem mehr zufrieden geben. Wenn ihr euch niederlas- sen, euch zufriedengeben wollt, seid ihr am falschen Platz hier. Mein Sann- yas ist eine ewige Wanderschaft und keine Niederlassung. Ihr könnt euch in meinem Sannyas eine Nacht lang ausruhen, aber am nächsten Morgen müßt ihr weiterziehen. Es ist ein ununterbrochenes Fließen wie ein Strom. Solange, bis ihr den Ozean erreicht. Aber der Ozean bildet sich natürlich aus dem fließenden Fluß. Und der Fluß plant nicht im voraus, zum Ozean zu gelangen. Er kennt den Weg nicht, er hat keine Landkarte, die ihm den Weg zum Meer weist.

Und der Fluß hat keine Disziplin. Manchmal fließt er in den Süden und manchmal macht er eine Biegung und fängt an, in den Norden zu fließen. Manchmal geht er in die eine Richtung und dann wieder in eine andere. Seid ihr jemals dem Zickzackkurs eines Flusses gefolgt? Flüsse fließen nicht geradeaus. Sie denken nicht wirtschaftlich, sie kalkulieren nicht. Sie neh- men nie den kürzesten Weg, sondern gehen andauernd im Zickzack hin und her, ohne zu wissen, wohin. Sie gehen einfach weiter, weil die Energie sie vorantreibt.

Und eines Tages erreicht der Fluß sein Ziel. Wenn er vorausplanen würde, hätte er den kürzesten Weg genommen und wäre in direkter Linie zum Ziel geflossen. Dann würde er nie irgendwelche Abweichungen ma- chen und sich sehr konsequent verhalten. Aber dann ist er kein Fluß, son- dern bestenfalls ein Kanal. Ein von den Menschen gebauter Kanal, aber kein Fluß. Dann hat er keine Freiheit.

Ich möchte nicht, daß ihr Kanäle werdet. Kanäle sind etwas Häßli- ches. Ich will, daß ihr Flüsse werdet... Und das Leben ist nun einmal eine hügelige Landschaft...

Bewegt euch in Freiheit, geht in totaler Freiheit voran, und vergeßt nicht, die Vergangenheit, die sich wie eine Staubschicht ansammelt, in je- dem Moment abzuschütteln. Jeden Augenblick erlebt ihr etwas, und das sammelt sich an. Sammelt eure Erfahrungen nicht an. Hört immer wieder auf, der Vergangenheit zu entsprechen. Sterbt, was die Vergangenheit an- belangt, so daß ihr total lebendig sein könnt — überschäumend, pulsie- rend, dahinströmend — und allem was kommt, mit Bewußtsein begegnet.

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Du mußt eine falsche Vorstellung von meinem Sannyas haben. Du sagst: »Was ich unter Sannyas verstehe, ist eine spirituelle Disziplin...« Dann verstehst du etwas anderes darunter, als ich. Nein, es hat nichts mit Disziplin zu tun — und es hat auch nichts mit Spiritualität zu tun.

Als Bodhidarma in China ankam und vom Kaiser empfangen wurde, sagte der Kaiser: »Ich habe mich um viele Dinge verdient gemacht. Ich ha- be unzählige buddhistische Klöster gebaut, lasse Tausende von Buddhas Mönchen mit Geldern aus meinen Schatzkammern ernähren, habe Millio- nen von Chinesen zum Buddhismus bekehrt und Tausende von Tempeln für Buddha errichtet. Was wird mein Verdienst für all diese Taten sein.«

Bodhidharma war ein wilder Mann. Er blickte dem Kaiser scharf in die Augen und sagte: »Majestät, darin liegt keinerlei Verdienst!«

Der Kaiser war völlig schockiert, denn viele buddhistische Mönche und Missionare waren vorher bei ihm gewesen und hatten gesagt, daß er in den siebenten Himmel dafür kommen würde. »Sieh zu, daß du noch mehr tugendhafte Taten vollbringst, stifte noch mehr, lasse noch mehr Klö- ster, Tempel und Buddhastatuen bauen, bekehre das ganze Volk zum Buddhismus! Euer Verdienst ist unübertroffen, Majestät!«

Und hier kommt dieser Bodhidharma und sagt, daß darin keinerlei Verdienst liegt?

Aber der Kaiser war ein sehr kultivierter Mann und wechselte das The- ma. Er wollte nicht vor allen Leuten einen Streit anfangen — und dieser Bodhidharma sah ziemlich unberechenbar aus! Der Kaiser fuhr fort: »Dann erzähle mir etwas über die heilige Wahrheit Buddhas.«

Bodhidharma sagte: »Darüber gibt es nichts zu erzählen, denn sie ist unermeßlich. Und vergiß nicht, daß nichts heilig daran ist! Heiligkeit und Unheiligkeit sind Begriffe einer dualistischen Auffassung. Es gibt nichts Hei- liges und nichts Unheiliges. Alles ist einfach.« Jetzt ging es zu weit! Der Kai- ser fühlte sich persönlich beleidigt. Bodhidharma leugnet selbst Buddhas Wahrheit und sagt, daß nichts heilig daran ist?

Er wurde wütend. Er vergaß allen Anstand und alle Höflichkeit für ei- nen Moment und sagte: »Wenn das so ist, wer ist dann dieser Kerl, der vor mir steht?«* Bodhidharma verneigte sich und sagte: »Ich weiß es nicht, eu- re Majestät.«

* Bodhidharma galt schon zu Lebzeiten in China als erleuchteter Meister.

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Mein Sannyas ist nicht spirituell, weil ich die Welt nicht in Materie und Geist aufteile. Und es ist auch nicht heilig, denn ich trenne die Welt nicht in »Heiliges« und »Unheiliges«. Wenn ihr Sannyasins werdet, seid ihr keine Heiligen geworden, denn ich unterteile die Menschen nicht in die Sünder und die Heiligen. Menschen sind Menschen. Alle sind wunderschön — die Sünder und die Heiligen und alle anderen. In der Tat, wenn es nur Heilige auf dieser Erde gäbe, und keine Sünder, wäre das Leben nicht lebenswert. Stellt euch nur einmal eine Welt vor, die ausschließlich aus Heiligen be- steht! Könnt ihr euch etwas Schlimmeres vorstellen? Nein, eine solche Welt kann nicht viel wert sein. Der Sünder und der Heilige sind wie das linke und rechte Bein, sie gehören zusammen, sie sind eins. Die Dunkelheit und das Licht, der Tod und das Leben begegnen sich in jedem Augenblick.

Also bezeichne ich mein Sannyas nicht als spirituell, denn ich verurteile die Materie nicht. Mit dem bloßen Wort »spirituell«, hast du etwas abge- lehnt, du hast etwas verurteilt. Du erklärst von vornherein: »Das Materielle ist schlecht. Ich möchte spirituell sein.« Kannst du denn die simple Tatsache nicht erkennen, daß du im Körper, als der Körper lebst? Hast du jemals ei- ne Seele ohne Körper gesehen, oder hast du jemals einen lebenden Kör- per ohne Seele gesehen? Diese Zweiteilung ist einfach dumm. Die Seele ist nichts anderes, als die Dynamik deines Körpers, und der Körper ist nichts anderes, als die Erscheinungsform deiner Seele. Der Körper ist deine sicht- bare Seele. Und die Seele ist dein unsichtbarer Körper.

Ich möchte, daß ihr sowohl Materialisten als auch Spiritualisten seid. Ich mache diese Trennung nicht. Ich möchte keine Spaltung in euch her- vorrufen. Ihr seid schon gespalten genug! Eure sogenannten Religionen haben euch ohnehin schon zuviel Schaden zugefügt. Sie haben eine schi- zophrene Welt geschaffen, in der jeder Mensch innerlich gespalten ist. Und natürlich — dann entstehen Spannungen, Ängste und innere Qualen, weil man zu zwei Personen wird. Einfach dadurch, daß man sich als spiritueller Mensch bezeichnet, verurteilt man schon seinen Körper und schafft eine Kluft zwischen dem Körper und der Seele, zwischen Gott und der Welt.

Ihr sagt, Gott erschuf die Welt? Dann drückt ihr es falsch aus. Ich sage, Gott ist die Welt. Gott hat sie nicht erschaffen, weil er nie imstande war, sich davon zu trennen. Gott ist nicht wie ein Maler, der ein Bild malt und frei davon wird, weil das Bild getrennt von ihm existiert — der Maler kann

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sterben und das Bild existiert weiterhin — nein. Damit kann man Gott nicht vergleichen. Er ist eher mit einem Tänzer vergleichbar. Darum liebe ich den Tanz so sehr. Gott ist eher wie ein Tänzer, er ist Nataraj: Der größte al- ler Tänzer. Er tanzt in jeder Blume, in jedem Blatt, in den Regentropfen, im Fluß und in den Pfauen. Sein Tanz wird überall getanzt.

Er hat die Welt nicht erschaffen, er ist die Welt. Die Welt ist sein Tanz. Er existiert nicht getrennt von ihr. Wenn es die Welt nicht gäbe, wäre er kein Tänzer. Wenn es keinen Tanz gäbe, könnte die Welt nicht existieren. Sie sind nicht getrennt voneinander; sie gehören unzertrennlich zusam- men. Und selbst »zusammen« zu sagen, ist falsch, denn sie sind nicht zwei. Wie können sie »zusammen« sein, wenn sie eins sind?

Ich möchte, daß ihr euch immer wieder an diese Einheit erinnert, denn ihr neigt dazu, sie zu vergessen. Euer Verstand wurde von den Dualisten dazu trainiert, in Trennungen zu denken: Materie und Geist, Körper und Seele, Gott und die Welt, Sansara und Nirvana...

Mein Sannyas ist die Vereinigung, die Brücke zwischen allen Zweitei- lungen. Deshalb sage ich nie, daß ihr der Welt entsagen sollt. Schließlich ist es Gottes Tanz. Wohin wollt ihr euch denn abkehren? Seid ihr verrrückt? Es ist sein Marktplatz, es ist seine Welt. Er macht all den Lärm!

Wenn ihr das einmal erkannt habt, verwandelt sich der Lärm in wun- derbare Musik. In all diesem Durcheinander ist nur er vorhanden. Er ist in deiner Frau, er ist in dir, in deinen Kindern. Er ist in deinen Freunden und in deinen Feinden ebenso. Nur er ist.

Geht also nirgendwo hin. Kehrt euch nicht ab. Lebt so total wie mög- lich — und lebt ganz ausgewogen.

Du bist nicht im Körper, du bist der Körper. Laß diesen Unsinn, von wegen: »Ich bin im Körper«. Hmm? Diese unsinnige Vorstellung macht von Anfang an eine Trennung. Damit distanzierst du dich von deinem Kör- per und daraus entsteht ein Konflikt. Du fängst an, deinen Körper zu mani- pulieren, du fängst an, ihn zu kontrollieren, du fängst an, deinem Körper Dinge zuzufügen; du wirst destruktiv und gewalttätig.

Eure sogenannten Heiligen sind alle gewalttätig. Soviel sie auch von Gewaltlosigkeit reden, das ist ganz egal, es macht keinen Unterschied — das sind gewalttätige Leute. Es gibt zwei Arten von gewalttätigen Leuten. Die einen richten ihre Gewalttätigkeit gegen andere und die anderen gegen sich selbst — die Sadisten und die Masochisten. Die Sadisten quälen ande- re und werden zu Menschen wie Adolf Hitler, Mussolini, Stalin und Mao. Dann gibt es die Masochisten, die sich selbst quälen und zu Menschen wie

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Mahatma Gandhi, Vinoba Bhave, Lanza del Vasto und so weiter und so fort, werden; aber beide Typen sind gewalltätig. Die einen quälen sich selbst, und die anderen quälen andere... Meine Sannyasins sollen mit der Quälerei endgültig aufhören.

Mein Sannyas ist also keine Disziplin und hat nichts mit Spiritualität zu tun. Ja, eure Majestät, nichts ist daran heilig! Und werde nicht wütend auf mich und frag nicht, wer dieser Kerl hier ist, der da sitzt und mit dir redet... Ich weiß es nicht.

Du sagt: »Was ich unter Sannyas verstehe, ist eine spirituelle Disziplin und durch diese Disziplin wird man ein religiöser Mensch.«

Wenn du durch Disziplin religiös wirst, wirst du ein Scheinheiliger. Was hat Disziplin schon mit Religion zu tun? Wenn du Religion praktizierst, bist du nicht wirklich religiös. Normalerweise wird euch beigebracht, daß ihr das, was ihr predigt, auch praktizieren müßt; aber ich sage euch, wenn ihr Religiosität praktiziert, seid ihr Schwindler, denn Praktizieren bedeutet, ei- nen Schutzpanzer von Charakter um sich aufbauen. Dann lebt ihr nach den Vorschriften einer bestimmten Ideologie, und diese Ideologie stellt eine Barriere dar, die zu eurem Vorurteil wird. Ein religiöser Mensch ist vollkom- men vorurteilsfrei, er hat keine festen Ansichten, keine Philosophie, keine Ideologie. Ein religiöser Mensch ist vollkommen natürlich. Eher wie die Tie- re oder wie kleine Kinder; eher wie die Blumen und die Steine... Und doch ganz anders. Aber der Unterschied liegt in seiner Wachheit, in seiner Wahrnehmungsfähigkeit.

Du sagst, wenn wir eine bestimmte Disziplin ausüben, werden wir religi- ös — als ob Religiosität ein Ziel in der Zukunft wäre! Man muß heute üben, damit man morgen religiös wird... Nein, Religiosität ist deine Natur, du bist es schon. Du mußt nicht darauf hinarbeiten.

Die Inder haben ein sehr, sehr schönes Wort für Religion — das indi- sche Wort ist Dharma. Dharma bedeutet: Deine ursprüngliche Natur. Al- les, was du werden willst, bist du in Wahrheit schon. Es ist schon längst der Fall! Es geht nicht darum, etwas praktizieren zu müssen, und als Folge da- von, als Belohnung dafür, wird man dann irgendwann religiös. Nein, man wird religiös, wenn man einfach bewußt wahrnimmt, was ist, und das kann nur jetzt sofort in diesem Augenblick geschehen.

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Manchmal seid ihr religiös, ohne es selbst zu wissen. Sobald ihr wach, ruhig und friedvoll in eurem Inneren seid, seid ihr religiös. Sobald ihr unbe- wußt werdet, euch verkrampft und Sorgen macht, seid ihr nicht religiös. Es ist ein ständiges Schwanken zwischen Frömmigkeit und Unfrömmigkeit.

Wenn ihr manchmal mit euren Freunden Musik hört und ganz still und glücklich dasitzt, wenn ihr ohne jeden Grund einfach mit Freude erfüllt seid, seid ihr fromm. Dann seid ihr im Einklang mit eurer Natur. Aber wahrscheinlich ist es euch überhaupt nicht bewußt, daß ihr in solchen Mo- menten tatsächlich fromm seid.

Du gehst am Morgen spazieren. Die Sonne geht auf, ringsumher ent- faltet sich die Schönheit; die Luft ist kühl und voller Duft, die Vögel haben begonnen zu singen, ein paar weiße Wolken schweben am Himmel — und auf einmal bist du nicht mehr dein gewohntes, schlechtgelauntes Selbst. Du fühlst dich beschwingt, auf einmal bist du in Hochstimmung. Der weite Himmel, die Wolken, der Morgenwind und die langsam aufge- hende Sonne — und plötzlich geht auch in deinem Herzen etwas auf. Et- was erwacht. Deine Füße tanzen, schweben, ein Lied kommt dir in den Sinn, du möchtest dich einfach unter einen Baum setzen und laut singen. Du bist fromm, du bist religiös.

Wenn du jemanden liebst, wirst du religiös... Du sitzt nur ganz still da, ohne etwas zu tun, hältst die Hand deines Freundes, oder des Geliebten und betrachtest die Sterne — dann bist du religiös!

Religion ist kein Resultat einer Übung, die man praktizieren kann. Reli- gion widerfährt einem in dem Augenblick, in dem man sich entspannt. Re- ligion ist ein Erblühen aus der Entspanntheit, kein Resultat irgendwelcher Übungen. Erinnert den Unterschied, denn wenn ihr etwas ausübt, ver- krampft ihr euch. Schaut euch die Leute an, die Religion praktizieren. Sie sind völlig verkrampft, weil sie andauernd mit sich selbst kämpfen. Wie könnten sie dann auch entspannt sein? Habt ihr jemals einen »Heiligen« in lockerer Haltung gesehen? Unmöglich. Ein Heiliger kann sich nicht ent- spannen, denn wenn er sich gehenläßt, besteht die Gefahr, daß er sofort sündig wird. Er muß sich ständig in acht nehmen. Er hält sich aufrecht, denn tief im Inneren weiß er, er ist im Unrecht. Ihr könnt euch diese »Heili- gen« in Indien ansehen, sie stellen sich überall zur Schau. Sie sitzen in auf- rechter Haltung, mit gerader Wirbelsäule da, in einer leblosen Yoga-

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Position, wie Statuen. Sie können sich nicht entspannen.

Und fromme Leute können auch nicht lachen, denn Lachen ist gefähr- lich. Wenn man lacht, wird man so gewöhnlich... einfach ein ganz norma- ler Mensch. Sie müssen ernst bleiben und ständig auf der Hut sein. Ihr könnt ihr Unglück gar nicht ermessen. Sie sind gefangen, und zwar in ei- nem Gefängnis, in dem sie gleichzeitig der Gefangene und der Wärter sind. Für einen normalen Gefangenen besteht wenigstens die Möglichkeit, aus dem Gefängnis auszubrechen, denn der Wärter ist ein anderer Mensch — man kann ihm entkommen — aber ein »Heiliger« kann nicht entkommen, denn er ist sein eigener Wärter. Er hört nicht auf, sich zu kasteien, sich selbst zu quälen, sich verhungern zu lassen. Er behandelt seinen Körper auf gemeine Art und Weise, aber ihr sagt: »Das ist ein großer Asket.« Diese ge- meinen Leute! Grausam und widerlich... Und dann warten auch sie auf ein Ergebnis in der Zukunft!

Nein, ich lehre euch kein zweckorientiertes Leben. Überhaupt nicht, ich lehre euch eine entspannte Lebensweise. Hier und jetzt könnt ihr religi- ös sein — ihr seid es ja schon, wenn ihr euch nur mit mir entspannt. Alle, die gekommen sind, um mich zu fühlen, mich zu verstehen, die gekom- men sind, um meine Gegenwart zu absorbieren, sind einfach entspannt. Sie sind nicht hier, um irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen: sie sind nicht hier, um irgendwelche spirituelle Habgier zu befriedigen oder etwas in ei- nem zukünftigen Leben zu erreichen. Sie sind einfach hier, um bei mir zu sein, ein bißchen mit mir zu lachen, ein bißchen lustig zu sein, ein paar Wit- ze zu machen. Und dann ist man religiös. In dem Augenblick, in dem man sich entspannt und fallenläßt, ist man religiös, denn Religiosität ist eure ur- innerste Natur. Sobald ihr einmal nicht verkrampft seid, ist es geschehen. Wenn ihr euch verkrampft, verliert ihr den Kontakt damit.

Und dann fragst du: »... Aber mit mir geschieht das nicht. Was soll ich machen?«

Es hätte mich sehr gewundert, wenn es dir passiert wäre. Ich sage ja, auf diese Art kann es nicht geschehen. Wenn du ein Scheinheiliger werden willst, ist es in Ordnung, das ist dann deine Sache. Aber gib mir nie die Schuld daran. Die Verantwortung liegt bei dir. Wenn du ein pseudo- religiöser Mensch werden willst, kannst du es werden — dann kannst du ir- gendwelche Übungen machen. Aber Wahrheit kann nicht praktiziert wer-

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den — man muß sich darin auflösen. Die Wahrheit kann niemals etwas sein, was du in deinen Händen hältst. Sie ist allumfassend — wie kannst du sie in den Händen halten? Die Wahrheit kann niemals dein Eigentum wer- den. Du mußt dich in sie hineinentspannen, dich hineinverlieren.

Wenn du dich in ihr auflöst, ergreift sie dich, ergreift Besitz von dei- nem ganzen Wesen. Dann lebt sie durch dich und das ist es, was ich ein re- ligiöses Leben nenne: Wenn die Wahrheit anfängt, durch dich hindurchzu- scheinen; wenn Gott anfängt, durch dich zu tanzen, wenn du ihm keine Hindernisse in den Weg legst. Wenn du nicht Nein sagst... Du wirst zu ei- nem Ja-Sager —

du sagst Ja, und dein Ja ist vollkommen und bedingungslos. Dann ist Gott glücklich in dir: und wenn er in dir glücklich ist, stellst du

plötzlich fest, daß er auch rings um dich her glücklich ist. Dann bist du ge- segnet und dann kannst du die ganze Existenz mit Segen erfüllen.

Die zweite Frage:

»Manchmal, wenn ich dir zuhöre, überkommt mich ein überwältigendes Gefühl, wie absurd und lächerlich wir alle sind und gleichzeitig auch, wie unglaublich schön das Leben ist. Ich möchte dir so viel sagen, aber man kann es nicht mit Worten ausdrücken — und dann möchte ich einfach nach vorne rennen und dich umarmen.

Gute Idee — aber tu's nicht, denn selbst damit wirst du nicht imstande sein, zu sagen, was du sagen möchtest: noch nicht einmal mit einer Umar- mung. Damit kannst du nur deine Hilflosigkeit deutlich machen, aber

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nichts wird damit gesagt.

Wenn einem etwas Überwältigendes geschieht, kann man es nicht aus- drücken. Es ist von Natur aus unausdrückbar. Es ist seinem ganzen Wesen nach unaussprechlich. Darum empfindet man jedesmal, wenn so etwas geschieht, eine abgrundtiefe Hilflosigkeit. Alle Worte erschienen sinnlos, bedeutungslos, oberflächlich, und so möchte man es auf irgendeine andere Art sagen, mit einer Umarmung, einem Kuß oder Händedruck — aber selbst dann sagt man nichts darüber aus. Man verdeutlicht nur die eigene Hilflosigkeit. Man möchte weinen oder schreien, aber auch damit ist nichts gesagt. Man findet nur einen Ausdruck für seine Hilflosigkeit. Anstatt zu versuchen, es auszudrücken, rate ich dir, einfach dabei zu bleiben, wenn es passiert. Bemühe dich gar nicht, es auszudrücken oder nicht auszu- drücken, denn wenn du dich mit der Ausdrucksform beschäftigst, ver- säumst du das eigentliche Erlebnis. Dann bist du abgelenkt und mit etwas anderem beschäftigt. Deshalb sage ich, daß es eine gute Idee ist — aber tu's nicht.

Wenn du den Segensreichtum um dich herum fühlst, wenn du fühlst, daß etwas Größeres, Höheres dich umgibt — die Unendlichkeit rings um dich her — dann verliere dich darin, anstatt zu versuchen, es auszu- drücken. Denn jetzt versucht es das Ego auf eine andere Art: jetzt will das Ego einen Ausdruck dafür finden, und wenn du zu sehr daran interessiert bist, einen Ausdruck dafür zu finden... dann fängst du vielleicht an zu ma- len, anstatt es zu fühlen. Ein Maler ist bemüht, das Unausdrückbare mit Farbe auf der Leinwand auszudrücken, aber hat je ein Mensch es fertigge- bracht, etwas Unermeßliches auszudrücken? ... Oder du fängst an zu dich- ten. Ein Dichter versucht, das Unausdrückbare mit Worten auszudrücken — aber war je ein Mensch imstande, es zu sagen?

Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Religion: Ein Künstler be- müht sich um Ausdruck, wenn er von der unfaßlichen Weite ergriffen wird, und ein Mystiker verliert sich einfach darin. Der Mystiker erfährt es und der Künstler verpaßt die Gelegenheit im letzten Moment.

Es wird mehr und mehr Leuten hier widerfahren. Dieser Ashram ist ganz schön verrückt, wirklich far out. Es wird immer mehr Leuten so ge- hen, also grabt euch tief ins Gedächtnis ein, daß ihr euch keine Gedanken um den Ausdruck machen müßte, wenn etwas Unerhörtes, Unbekanntes an eure Türen klopft. Fangt nicht an, darüber nachzudenken, wie ihr es in

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Worte fassen könnt. Laßt es geschehen. Laßt euch hineinfallen, versinkt darin, geht unter, berauscht euch daran. Macht keinerlei Anstrengungen.

Das sind die zwei Arten, sich anzustrengen: Zuerst versuchen die Leu- te, herauszufinden, wie man es erreichen kann und dadurch machen sie es unmöglich — ich lehre euch nicht »wie«. Und wenn es dann tatsächlich ge- schieht, fangen sie an, darüber nachzudenken, wie man es ausdrücken kann und so kommt das »wie« wieder durch die Hintertür ins Spiel. Also möchte ich euch noch einmal daran erinnern, das »wie« aus dem Spiel zu lassen. Es ist doch wunderbar, so wie es ist — unausgedrückt — was ist denn daran nicht in Ordnung? Laßt es einfach so sein. Amen. Laßt es so sein...

»Manchmal, wenn ich dir zuhöre, überkommt mich ein überwältigen- des Gefühl, wie absurd und lächerlich wir alle sind und gleichzeitig auch, wie unglaublich schön das Leben ist.«

Schön und Absurd ist kein Widerspruch. Das Absurde ist nämlich gera- de das Schöne, und das Schöne ist immer absurd. Mach keinen Wider- spruch daraus.

Der Verstand ist immer in Versuchung, überall Widersprüche zu sehen, weil unser Verstand zu einer gewissen logischen Denkweise erzogen wur- de, die die Widersprüche nicht zusammen existieren läßt. Überall in der Welt wurde der Verstand von der Philosophie des Aristoteles beeinflußt. Aristoteles sagt, A ist A und niemals nicht A. Das ist die ganze Logik des Verstandes: A ist A und niemals etwas anderes. A ist A und niemals B. Wie kann A »B« sein?

Aber in Wirklichkeit ist A »B« und »C« und »D« und das ganze Alpha- bet. In Wirklichkeit haben die Dinge multidimensionale Eigenschaften. Ihr seht einen liebevollen Menschen und denkt: »Was für ein wunderbarer Mensch!« Aber im nächsten Augenblick ist er wütend und dann ist der Wi- derspruch da. Ihr sagt: »Dieser Mensch hat uns betrogen... Hat er etwa noch nichts von Aristoteles gehört? A ist A und niemals B! Du bist ein liebe- voller Mensch! Du darfst nicht wütend werden!«

Aber Menschen sind Menschen. Sie sind wütend und voller Liebe und eifersüchtig und besitzergreifend, mal sehr großzügig und dann wieder sehr

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geizig. Hast du das noch nicht beobachtet? Manchmal ist dein Freund un- geheuer freigiebig und manchmal ist er geizig ... So ist die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit enthält alle Widersprüche.

Du sagst: »...wie absurd und lächerlich wir alle sind und gleichzeitig, wie un- glaublich schön das Leben ist.« Darin liegt kein Widerspruch. Wenn ihr alle immer gleichbleiben wür-

det, wäre das Leben nicht so reich. Es wäre schal und grau. Das Leben hat eine solche Fülle, weil es wie ein schillernder Regenbogen ist. Es ist psyche- delisch, es spielt mit vielen Farben, die ständig ineinander übergehen. Man kann nie wissen, was geschehen wird; es ist unvorhersagbar. Darum ist es so absurd.

Warum nennst du es absurd? Weil du es nicht mit deiner Logik erfassen kannst. Deine Logik reicht nicht weit genug, denn das Leben ist größer als deine Logik. Es vernichtet deine Logik. Einen kleinen Teil deines Verstan- des bringst du irgendwie in Ordnung, und dann kommt das Leben und wirft alles wieder um.

Habt ihr noch nie einen Menschen gesehen, der vielleicht vierzig Jahre seines Lebens absolut logisch gehandelt hat, und niemals etwas Un- logisches in seinem Dasein zugelassen hat; der gesagt hat, daß es keinen Gott gibt, weil er nicht sichtbar ist, daß Beten Unsinn und Liebe unmöglich ist — dann eines Tages einer schönen Frau begegnet, in die er sich Hals über Kopf verliebt? Vierzig Jahre lang Training in Logik und alles für die Katz — in einem einzigen Moment! Das Leben ist absurd.

Wenn du »absurd« sagst, stellst du nur eines damit fest, und zwar, daß es nicht logisch ist. Aber warum sollte es logisch sein? Das Leben ist nicht dazu verpflichtet, logisch zu sein und hat auch nie vorgegeben, logisch zu sein. Es ist nur dieser mittelmäßige menschliche Verstand, der versucht, die Lebensabläufe irgendwie so festzulegen, daß man sich sicher damit fühlen kann.

Nein, das Leben kann nicht festgelegt werden. Es ist ein ewiger Wech- sel... Und es ist lächerlich, ja, denn es ist nicht ernst. Es ist lächerlich, weil es ein Spiel ist. In Indien nennen wir es Lee/a; es ist ein Spiel.

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Gott liebt die Kinder, seht ihr das nicht? Jeden Tag werden alte Men- schen vom Spielplan abberufen und kleine Babies vorbeigeschickt. Wie un- geheuer absurd! Ein Mensch wurde sein Leben lang, siebzig Jahre lang, ausgebildet, ist ein großer Philosoph, Professor oder Gelehrter geworden, hat sich soundsoviele Doktortitel und Ehrendoktortitel erworben, und dann nimmt ihn dieser verrückte Gott plötzlich aus dem Leben! Was für eine Art von Haushaltsplanung ist das? ... Stattdessen schickt er ein kleines Baby, das plärrt, und herumkrabbelt, das man wieder ausbilden muß, das wieder zur Schule, in die Lehre, auf die Universität geschickt werden muß; und wenn der Mensch dann endlich so weit ist, daß er zu irgend etwas Nützli- chem zu gebrauchen ist, funkt Gott wieder dazwischen und nimmt ihn aus dem Spiel. Es ist absurd. Gott hat einen ausgesprochenen Sinn für das Ab- surde.

Gott ist kein Nutzdenker. Er glaubt nicht an die Zweckdienlichkeit. Er glaubt ans Spielen. Wenn er merkt, daß du die Sache zu ernst nimmst, sagt er: »So, jetzt reicht es. Komm bitte mal nach Hause zurück, ich werde dich auseinandernehmen und danach wieder neu und unschuldig vorbei- schicken! Jetzt ist es Zeit, für eine Gehirnwäsche. Du bist zu diszipliniert, zu kultiviert, zu sehr zum Nutzdenker geworden. Du bist nicht länger frei und offen.« Deshalb werden alte Leute entfernt. Er vernichtet sie und macht wieder neue kleine Babies daraus, die auf die Welt geschickt werden, auf daß sie mit all dem Unsinn weitermachen können... Und dann sind wir wieder hinter ihnen her, um ihnen alles aufs Neue beizubringen... Weder wir, noch Gott lernen jemals etwas dazu. Das Spiel geht weiter.

Es ist lächerlich, aber gerade deshalb ist es so schön! Wenn Gott ein Mathematiker wäre — wie Vinoba Bhave behauptet... Er sagt, Gott ist ein Mathematiker! ... Das ist ja wohl die größte Gotteslästerung aller Zeiten! Gott soll ein Mathematiker sein? Nein, das ist er nicht. Überhaupt nicht! Ein Mathematiker ist ein häßliches Ding, ein Computer. Ein Mathematiker ist zwar schlau und trickreich, aber er geht mechanisch vor. Mathematik hat überhaupt keine Poesie, das ist eine durch und durch fiktive Wissenschaft, die nur von den Menschen ersonnen wurde.. Du sagst, daß sich sechs Stühle in einem Raum befinden — die Stühle sind vorhanden, aber »sechs« ist ein menschliches Konzept. Wenn du den Raum verläßt, sind die Stühle weiterhin vorhanden, aber »sechs« ist verschwunden. Mathema- tische Begriffe sind menschliche Erfindungen. Gott ist kein Mathematiker,

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sonst wäre ein so herrliches Spiel unmöglich.

Seht, es gibt viele Dinge, die der Mensch zerstört hat, in dem Glauben, daß die Welt besser würde, wenn diese Dinge verschwinden. Gott zerstört sie nicht... Die Bäume existieren seit Ewigkeiten und ihr denkt, was für ei- nen Zweck hat ein Baum? Wir schlagen ihn ab und machen Möbel daraus, machen Türen und Tische daraus, dann ist er zu etwas nütze... »Wozu gibt es die Berge — den Himalaja, mit dem unberührten Schnee auf ihren Gipfeln, den noch nie ein Mensch betreten hat, wozu? Was hat das für ei- nen Zweck?

Wozu brauchen wir den Himalaja? Laßt uns eine Ebene daraus ma- chen, so daß die Menschen dort leben und Städte bauen können.« Auf diese Weise hat der Mensch die ganze Natur zerstört.

Gott ist sehr verspielt... Er schafft alle möglichen absurden Dinge, es gibt unzählige Sterne — und wofür? Sie ziehen ihre Bahn, aber nicht aus ir- gendeinem mathematischen Kalkül heraus. Gott lebt im äußersten Luxus, denn er glaubt nicht an Notwendigkeiten. Er ist ein Verschwender. Er ist kein Geizhals. Er hört nicht auf, mit seiner spielerischen Energie um sich zu werfen, wie ein Kind, das im Wasser herumplanscht. Fragt nicht warum; er ist nicht in der Lage zu antworten. Aber er genießt es. Es hat keinen wirt- schaftlichen Nutzen, aber das Leben denkt nun einmal weder wirtschaftlich noch politisch. Das Leben ist die reine Poesie, und Poesie ist von Natur aus, von ihrer ganzen Definition her, unlogisch. Poesie ist so schön, weil sie ganz plötzliche Sprünge und Sätze macht. Prosa ist nicht so schön, weil es bei der Prosa keine plötzlichen Sprünge und Höhenflüge gibt. Die Prosa bewegt sich in gerader Linie auf einer Ebene, in einer logischen Folge.

Früher oder später, wenn ihr reif dafür seid, werde ich aufhören, folge- richtig zu sprechen. Früher oder später, wenn meine Sannyasins reif dafür sind, werden meine Reden eher wie Collagen aussehen. Ihr werdet her- ausfinden müssen, was er meint. Hm? Ihr werdet die Bedeutung meiner Aussagen selbst herausfinden müssen. Dann sage ich einfach ein paar Din- ge und springe dabei andauernd hin und her, ohne die Aussagen unterein- ander zu verbinden, wie ich es jetzt mache. Wenn ihr dafür einmal reif seid — wenn ihr aufmerksamer, wacher und bewußter geworden seid — wer- de ich meine Sätze nicht mehr durch irgendwelche Logik verbinden.

Die Logik lasse ich einfach beiseite. Dann gibt es zwar immer noch eine

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Einheit, aber nicht mehr an der Oberfläche. Dann ist die verbindende Ein- heit nur deshalb vorhanden, weil alles, was ich sage, meine Aussagen sind; die Einheit besteht aus mir. Und sie entsteht auch aus eurem Bewußtsein, denn ihr müßt alle meine Aussagen mit eurem Bewußtsein erfassen. Die Einheit bildet sich in eurem Bewußtsein. Aber wenn ihr die Sätze direkt be- trachtet... wenn ein Besucher kommt, muß er annehmen, daß er es mit einem Geisteskranken zu tun hat.

Im Augenblick verbinde ich meine Aussagen untereinander, denn ich weiß, daß ihr noch nicht fähig seid, die totale Absurdität hinzunehmen. Ich warte auf den Tag, an dem ihr reif dafür seid. Dann kann ich so absurd sein, wie Gott selbst.

Habt ihr jemals irgendeine Symmetrie in der Natur gesehen? Die gibt es einfach nicht. Der Mensch stellt symmetrische Dinge her; wenn er ein Haus baut, ist es symmetrisch, aber in der Natur gibt es keine Symmetrie... Hier steht eine hohe Tanne und gleich daneben ein kleiner Rosenstrauch... und ihr könnt nicht fragen, was für eine Verbindung zwischen den beiden be- steht. Da würde Gott nur lachen und sagen: »Wer sagt denn, daß es ir- gendeine Verbindung geben muß?«

Der Rosenstrauch ist ein Rosenstrauch und die Tanne eine Tanne, und beide sind glücklich. Es ist nicht nötig, künstlich einen Zusammenhang her- zustellen.

Früher oder später werde ich anfangen, mich genauso zu verhalten, wie Gott. Ich werde etwas sagen, um es dann gleich wieder zu vergessen, und euch einen Witz erzählen, der überhaupt nichts damit zu tun hat. Dann müßt ihr sehen, was ihr daraus macht. Auf jeden Fall wird dann alles viel schöner, das steht fest, weil es viel spielerischer ist. Das meine ich mit einer Collage: die verschiedensten Fragmente aus den verschiedensten Dimen- sionen in einem Bild. An der Oberfläche keine Einheit, aber wenn ihr tiefer hinseht, entdeckt ihr die organische Einheit. Diese Einheit lebt im Maler und nicht im Gemälde. Wenn ihr die Bedeutung eines Gedichtes wirklich erfahren wollt, müßt ihr euch tief in das Herz des Dichters hineinversetzen. Um Prosa zu verstehen, braucht ihr kein Herz zu haben; Prosa ist einfarbig und reizlos; Prosa ist weltlich und kommt vom Marktplatz; Prosa ist menschlich. Poesie ist göttlich. Darum wurden alle großen schriftlichen Überlieferungen der Welt in Gedichtform geschrieben. Die Upanischaden,

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die Veden, der Koran und Buddhas Dhammapada sind Gedichte, wun- derbare Poesie, poetische Ergüsse eines singenden Herzens, ohne jede Lo- gik, aber voller Liebe.

Die dritte Frage:

»Was ist mit Hingabe gemeint? Wie gibt man sich hin?«

Es gibt Dinge, die man tun muß, wenn man sie wissen will. Es ist un- möglich, etwas darüber zu sagen. Hingabe ist eines dieser Dinge — aus der Dimension der Liebe und des Sichloslassens.

Wenn du mich fragst, was Hingabe ist und was man unter Hingabe ver- steht, ja, dann kann ich dir etwas erzählen, aber es würde keinen Sinn er- geben. Du mußt es selbst ausprobieren, selbst einen Geschmack davon be- kommen. Wenn du es ausprobierst, wirst du es wissen. Solange du es nicht selbst gespürt hast, kann ich zwar darüber reden, aber dadurch lernst du es nicht kennen, und ohne deine eigene Erfahrung bewegt sich alles, was ich sagen könnte, im Kreis herum. Du fragst, was ist Hingabe, und ich sage, ein Sichloslassen. Aber was wurde damit gesagt? Dann fragst du, was ist ein Sichloslassen? Wir laufen im Kreis herum. Ich habe dir nicht geantwor- tet. Ich sage: Sichloslassen ist Lieben, und das ist wiederum eine Tautolo- gie, ich habe gar nichts damit gesagt. Dann fragst du: Was ist Lieben? Die Frage bleibt die gleiche und alle Antworten bewegen sich im Kreis herum.

Ich habe einmal von einer prüden, schmallippigen, alten Jungfer gehört, die noch nicht einmal ihre Schoßkatze nachts aus dem Haus ließ. Vor ihrer Abreise nach New York, einer ihrer seltenen Ausflüge, ermahnte sie das Zimmermädchen strengstens, die Katze jeden Abend

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fest einzuschließen. Dieses Mal machte die alte Jungfer allerdings die Bekanntschaft ei-

nes gutaussehenden alten Herzensbrechers in New York, der die Ba- stion im Sturm einnahm. Nach vier Nächten romantischen Tändeins, telegrafierte sie ihrem Zimmermädchen »Himmel voller Geigen. Laß auch die Katze raus!«

Laß die Katze raus... Erst wenn du selbst erfahren hast, was Liebe ist, weißt du es. Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Dinge kennenzulernen..

Ich bin hier — und ich stelle eine Situation her, in der ihr euch hinge- ben könnt. Fragt nicht, was mit Hingabe gemeint ist. Gebt euch hin! Habt Mut, macht die Erfahrung. Nehmt meine Einladung an. Meine Türen sind offen, tretet ein und seid meine Gäste. Gebt euch hin.

Wenn von Hingabe die Rede ist, entsteht im Westen eine völlig falsche Vorstellung — als würde man von jemandem beherrscht, wenn man sich hingibt. Das Wort hat einen völlig verkehrten Beigeschmack, beinahe eine politische Bedeutung. Die Nazis haben sich hingegeben, sich unterworfen. Auf diese Weise wurde das Wort mit Politik in Verbindung gebracht. Derje- nige, der sich hingibt ist der Unterlegene...

Im Osten hat der Begriff eine vollkommen andere Bedeutung. Es hat nichts mit Krieg und Niederlage zu tun. Habt ihr das Sprichwort noch nicht gehört, daß eine Niederlage in der Liebe der wahre Sieg ist? Wenn du der Liebe unterliegst, hast du etwas gewonnen. Ja, so ist es auch bei der Hin- gabe. Es hat überhaupt nichts mit Unterlegenheit zu tun. Es ist nicht so, daß man dann von jemandem beherrscht wird. Es ist nicht so, daß man von jemandem unterdrückt und ausgenutzt wird, daß man zum Sklaven wird. Damit hat es nichts zu tun.

Im Orient wird Hingabe als eine Technik benutzt, und man gibt sich nur einem Menschen hin, der kein Ego mehr hat, so daß niemand da ist, der einen beherrschen könnte. Also erinnert euch daran: Gebt euch keinem Menschen hin, der selbst noch ein Ich hat, sonst fängt er an, über euch zu dominieren, euch eine Disziplin aufzuerlegen, euch zu zwingen, dieses zu tun und jenes zu lassen; er steckt euch in ein Gefängnis. Deshalb gebe ich euch keine Disziplin, selbst wenn ihr mich darum bittet. Und ihr bittet mich ständig darum, weil ihr gerne abhängig sein wollt und die Verantwortung für euch nicht selbst übernehmen wollt. Ihr möchtet die Verantwortung je-

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mand anderem aufhalsen, ihr seid auf der Suche nach einer Vaterfigur, ihr wollt von jemandem geführt werden. Aber ich gebe euch keine Disziplin und keine genauen Anweisungen, dieses oder jenes zu tun. Ich will euch nur an meinem Bewußtsein teilhaben lassen, so daß ihr ein wenig bewuß- ter werdet — euch an meiner Liebe teilhaben lassen, damit ihr ein wenig liebevoller werdet. Aber das hat nichts mit Disziplin zu tun.

Wenn du mir näherkommst, kannst du meinen Geist in dich aufneh- men. Das ist es, was mit Hingabe gemeint ist: Du bist bereit, mir nahe zu kommen. Du hast keine Angst und wehrst dich nicht gegen mich. Du ver- teidigst dich nicht. Hingabe bedeutet, daß du einfach bereit bist, näher an mich heranzukommen, daß du dich angezogen fühlst, daß du meinen Ruf vernommen hast, daß etwas in deinem Herzen angerührt wurde und du herausfinden willst, wer dieser Mann wirklich ist — was für ein Mensch er ist. Du möchtest in meine Leere eintauchen und dich von ihr erfüllen las- sen.

Sannyas ist das sichtbare Bemühen um Hingabe. Viele Leute kommen und sagen zu mir: »Kannst du uns nicht auch helfen, wenn wir nicht San- nyas nehmen?« Dann sage ich: »Ja, ich werde mein Bestes tun, aber viel wird es nicht nützen, weil ihr euch dann andauernd absichern und verteidi- gen werdet.« Sannyas ist nur eine Geste, die besagt: »Jetzt gebe ich mei- nen Widerstand auf. Ich bin bereit, mit dir zu gehen.«

Natürlich ist das riskant... ihr kennt mich ja noch nicht. Woher wollt ihr wissen, was passiert? Wenn ihr euch hingegeben habt, werdet ihr es wisen, aber vorher könnt ihr keinerlei Gewißheit haben. Es ist also nur etwas für Leute, die sehr viel Mut haben, die wirklich tollkühn sind — und nur für diese. Ich bin nur für die Wagemutigen da, für Menschen, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und ins Unbekannte zu gehen, um zu se- hen, ob etwas dabei herauskommt.

Wenn du dazu bereit bist, wird garantiert etwas dabei herauskommen, und dann weißt du, was mit Hingabe gemeint ist. Aber auch dann wirst du nicht imstande sein, jemand anderem zu erklären, was es bedeutet. Die Bedeutung liegt im Auskosten, in der Erfahrung.

Und du fragst: »Wie gibt man sich hin?« Es sieht so aus, als sei Sannyas das »wie« — ganz offensichtlich. Das tiefere »wie« öffnet seine Türen erst, wenn du den Vorraum betreten hast. Sannyas ist der Vorraum. Wenn du das Vorzimmer einmal betreten hast, wenn du mich angenommen hast

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und ich dich angenommen habe, herrscht ein tiefes Einverständnis zwi- schen uns, daß du mir vertraust. Und danach kann ich dich in tiefere Be- reiche meines Wesens einladen. Dann wirst du ein Eingeweihter.

Das geschieht irgendwann — eines Tages. Es kommt vor, daß es schon beim Sannyasnehmen selbst geschieht — wenn du vollkommen hingegeben bist, widerfährt es dir schon im ersten Augenblick, in dem du in Kontakt mit mir kommst — du wirst ein Eingeweihter. Aber meistens braucht es seine Zeit. Zuerst nimmt man äußerlich Sannyas und dann war- tet man und beobachtet, was hier geschieht. Die Dinge werden einem lang- sam klar und ganz allmählich entspannt man sich; Stück für Stück läßt du dein Ego fallen, und ich dringe immer tiefer in dich ein. Und dann eines Tages, ohne jede Vorwarnung, ist es passiert. Auf einmal wird dir klar, daß es geschehen ist: Jetzt leuchtet mein Licht aus deinem Wesen, jetzt klopft mein Herz in deiner Brust.

Manche brauchen Jahre dazu, manche Menschen Tage und manche nur Minuten. Und manchmal braucht jemand noch nicht einmal eine Mi- nute. Es hängt ganz davon ab, wieviel Mut du hast. Und natürlich profitie- ren die Leute aus dem Westen viel mehr von mir, als die Leute aus dem Osten, denn der Osten ist inzwischen so unglaublich feige geworden. Dar- um werdet ihr hier mit der Zeit immer mehr Westler finden. Der Osten ist ängstlich geworden; die Menschen sind halbe Leichen und haben den Geist nicht; den Geist, den Kabir den Geist der Suche nach der Wahrheit nennt. Den haben sie einfach nicht. Entweder bilden sie sich ein, daß sie die Wahrheit schon kennen, oder sie glauben, daß man immer Zeit genug hat und keine Eile geboten ist: »Wenn nicht in diesem Leben, dann eben im nächsten...«

Und außerdem ist Religiosität für sie eher zu einem Mittel geworden, sich Achtbarkeit zu verschaffen. Und so übt mein Sannyas natürlich keine Anziehungskraft auf sie aus, denn wenn sie angesehene Leute sind, verlie- ren sie ihren guten Ruf, wenn sie meine Sannyasins werden. Durch mein Sannyas werden sie nicht zu angesehenen Leuten. Durch mein Sannyas werden sie zu Rebellen, die beginnen, sich völlig von der Gesellschaft zu lö- sen. Dann werden sie von den Mitbürgern gemieden; die anderen fangen an, zu glauben, daß sie gefährlich sind und ansteckend wirken könnten; oder man hält sie für Verrrückte oder so etwas.

Aber im Westen tut sich etwas. Ein neuer Mut, ein neuer Geist der Su-

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ehe ist entstanden. Dieser Geist taucht jedesmal auf, wenn ein Land in ma- terieller Hinsicht reich geworden ist. Es ist jedesmal so. Wenn ein Land sei- nen materiellen Reichtum verliert, verliert es auch seine geistige Kraft. Es verarmt nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Es verliert sein Selbst- vertrauen, seinen Mut, seine Kraft und fängt an, hinterherzuhinken. Die Leute im Westen sind reich in materieller Hinsicht, sind wohlernährt: die Wissenschaft hat sich bis zu einem bestimmten Punkt entwickelt, von dem aus die Verbindung zur Religion sichtbar wird und alle haben materiellen Überfluß kennengelernt. Aber das ist nicht genug — jetzt möchten sie et- was kennenlernen, das darüber hinausgeht.

Darum frag nicht: »Wie gibt man sich hin?« Wenn du reif dafür bist, gib dich hin.

Jesus hielt sich einmal bei Freunden in einem Haus auf und seine Freunde baten ihn: »Bitte erkläre uns, wie man betet.« Jesus sagte: »Wie soll ich das erklären? Ich werde einfach beten und wenn ihr auch so weit seid, könnt ihr daran teilnehmen.«

Jesus fing an zu beten und die anderen standen da, ohne zu wissen, was sie tun sollten. Er begann sich in irgendeine unbekannte Dimension zu begeben und sie schauten zu. Er betete, und als er aus der Welt seines Ge- bets zurückgekehrt war, baten sie ihn wieder: »Aber erkläre uns doch, wie man betet!« Er antwortete: »Ich habe euch gezeigt, wie man betet — und ihr fragt immer noch?«

Vergiß nicht, daß diese Frage möglicherweise aus deiner Feigheit her- aus entsteht. Vielleicht willst du schon vorher über alles Gewißheit haben, willst wissen, worum es sich handelt und ob es sich lohnt oder nicht... Ich bin hier und ich bin hingegeben. Ich bin hier und bete. Ich bin hier in Gott. Komm mir näher.

Ich habe es euch leichter gemacht, als es jemals zuvor war, denn ich stelle euch keine Bedingungen. Ich akzeptiere euch, so wie ihr seid, das ist noch nie so gewesen. Ich nehme euch an, wie ihr seid. Ich lehne nichts ab; werte nichts, verurteile nichts. Wenn du ein Trunkenbold bist, ist es in Ord- nung, und wenn du ein Glücksspieler bist, ist es auch in Ordnung, genau richtig — denn das hier ist eine Art von Spiel mit höchstem Einsatz und ei- ne Möglichkeit, vollkommen und absolut betrunken zu werden. Was auch

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immer du bist, du wirst angenommen. Komm näher. Als sichtbares Zeichen mußt du Sannyas nehmen. Und das, was dann

kommt, kannst du mir überlassen. Das mache ich dann. Du tust das eine und ich erledige das andere. Es gibt ein arabisches Sprichwort: »Wenn du einen Schritt auf Gott zugehst, geht er tausendundeinen Schritt auf dich zu.« Geh einen Schritt auf mich zu, dann komme ich dir tausendundeinen Schritt entgegen. Übernimm den ersten Teil, dann übernehme ich den zweiten. Doch du kommst an und sagst: »Aber Sannyas... nur indem man seine Kleidung ändert? Das ist zu äußerlich. Gib uns etwas Innerliches.«

Du bist noch nicht einmal bereit, das Äußerliche zu tun und fragst nach dem Innerlichen? Und dabei bist du ein nach Außen orientierter Mensch — deshalb spreche ich vom äußerlichen Sannyas — das ist der Punkt, an dem du dich befindest und von dort muß die Reise ihren Anfang nehmen. Bis heute befindest du dich noch außerhalb deiner selbst; an diesem Punkt muß die Reise beginnen. Das Innerliche kann dir erst später widerfahren, jetzt ist es noch nicht soweit.

Die letzte Frage:

»Kann es sein, daß zwei Menschen in einer Beziehung schlecht für einan- der sind? Kommt es vor, daß die Energie zweier Leute einfach unvereinbar ist? Wie erkennt man den Unterschied zwischen den Dornen einer gesun- den Beziehung und denen einer ungesunden Beziehung ?«

Ich bin noch nie einem Individuum begegnet, das schlecht war, aber schon Tausenden und Abertausenden von Liebespaaren, die ausgespro- chen schlecht waren. Ich habe in der Tat noch kein einziges Pärchen getrof- fen, das nicht schlecht für einander war. Personen sind etwas Schönes und

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Paare sind häßlich. Irgendetwas geht immer schief. Es sollte nicht so sein, aber es ist so. Wir haben die Liebe falsch verstanden. Was ihr Liebe nennt, ist keine Liebe. Es ist etwas anderes.

Manchmal seid ihr allein, und weil ihr euer Alleinsein nicht ertragen könnt, sucht ihr euch einen Partner, nur, um die Leere, die innere Hohl- heit auszufüllen. Das ist keine Liebe und natürlich geht es euch dann schlecht, denn das Ganze beruht von Anfang an auf einer falschen Grund- lage. Nur wenn zwei Individuen ihre Fülle miteinander teilen, ist es Liebe. Ich nenne einen Menschen ein Individuum, wenn er alleine glücklich sein kann. Wenn er in seinem Alleinsein nicht glücklich sein kann, ist er kein In- dividuum. Stellt euch das nur einmal vor: Wie könnt ihr gemeinsam glück- lich sein, wenn ihr noch nicht einmal alleine glücklich seid? Zwei Menschen sind getrennt für sich unglücklich — und ihr meint, dann geschieht ein Wunder? Zwei unglückliche Menschen kommen zusammen und plötzlich werden sie glücklich? ... Das Unglück wird verdoppelt, und nicht nur ver- doppelt, sondern vervielfacht! Wenn du den anderen aus deinem Unglück heraus aufsuchst, wird es eine schlechte Beziehung. Suche den anderen aus deiner Fülle, deinem inneren Reichtum, und die Beziehung kann nie schlecht werden.

Sucht euch einen Partner aus der Fülle eures Glücksgefühls heraus. Meditiert erst, fühlt euer eigenes Wesen, betet erst einmal. Zuerst müßt ihr in die Liebe hineinwachsen, denn was wollt ihr machen, wenn ihr einen passenden Geliebten findet? Dann wißt ihr nicht, was ihr mit ihm anfangen sollt.

Eine Anekdote:

Er war ein schüchterner junger Mann, aber nachdem man ihm hoch und heilig versichert hatte, daß er nichts anderes tun müßte, als in der Ecke stehen, ging er mit zum Tanzen. Sein Freund hängte ihn sofort einem hübschen Mädchen an, schob die beiden auf die Tanzfläche und verlor seinen schüchternen Freund für eine Stunde oder mehr aus den Augen.

Irgendwann sah er ihn dann schwitzend und glücklich neben dem Mädchen stehen, dem er angehängt worden war. Und nicht nur das, er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt und sie schaute mit schmach- tenden Blicken zu ihm auf.

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»Wir sind verlobt«, stammelte der Schüchterne. »Großer Gott!« sagte der Freund, »Wie ist denn das passiert?« »Na ja,« sagte der Schüchterne, »ich habe sechsmal mit ihr getanzt und mir fiel einfach keine andere Frage ein.«

So dumm sind eure Liebesaffären, und dann erwartet ihr, daß irgend- etwas Großartiges dabei herauskommt. Ihr habt von vornherein keine Lie- be im Herzen, deshalb will jeder nur geliebt werden. Du willst geliebt wer- den, und deine Freundin will ebenfalls geliebt werden, und so gibt es natür- lich Streit. Beide sind immer bereit, zu nehmen und keiner ist bereit, zu ge- ben. Und was wollt ihr auch geben? Ihr habt ja von Anfang an nichts. Nur ein liebender Mensch, einer der bereits liebt, kann den richtigen Partner fin- den.

Das ist etwas, was ich beobachtet habe: Wenn du unglücklich bist, fin- dest du jemanden, der auch unglücklich ist. Unglückliche Menschen fühlen sich zu anderen Unglücklichen hingezogen, und das ist auch gut so. Das ist natürlich. Es ist gut, daß sich die Unglücklichen nicht zu den Glücklichen hingezogen fühlen, denn sonst würden sie sie unglücklich machen. Das ist völlig in Ordnung. Nur glückliche Menschen werden von glücklichen Men- schen angezogen. »Gleich und gleich gesellt sich gern.« Intelligente Leute fühlen sich zu intelligenten Leuten hingezogen; dumme Leute fühlen sich zu dummen Leuten hingezogen...

Ihr werdet es sehen. Es gibt Tausende von Leuten in Poona, aber nur ganz wenige davon fühlen sich zu mir hingezogen. Nur Leute, denen es wirklich darum geht, zu erkennen, wer sie sind. Die anderen fühlen sich nicht angezogen. Selbst meine Nachbarn, die Nachbarn im Haus nebenan, sind bisher nicht gekommen, um mir einmal zuzuhören. Im Gegenteil, sie machen sich die größten Sorgen...

So geht das — ich habe zehn Jahre in einer Stadt gelebt, und ein Mann wohnte die ganze Zeit genau über mir, aber er kam kein einziges Mal vor- bei, um mich zu besuchen. Tausende von Menschen kamen und gingen, aber er kam nie. Er wunderte sich nur, warum so viele Leute zu mir ka- men. Dann wurde er versetzt — er war ein Schulleiter und wurde in eine andere Stadt versetzt — und irgendwann kam ich auch einmal in diese Stadt. Man hatte mich eingeladen, zu seinen Studenten zu sprechen, und auf diese Weise hörte er mich zum erstenmal. Er konnte nicht anders, weil er schließlich der Leiter der Schule war, und danach wunderte er sich noch

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mehr und sagte: »Zehn Jahre habe ich direkt über Ihnen gewohnt und überhaupt nichts mitgekriegt! Ich bin nie vorbeigekommen, weil ich nie ge- merkt habe, daß Sie etwas mitzuteilen hatten, daß Sie uns etwas zu geben hatten!«

Er brach in Tränen aus, und ich sagte: »Lassen Sie es gut sein..., ich möchte nur wissen, was in den zwei Jahren seit ihrem Umzug in dieser Stadt passiert ist.«

Er sagte: »Meine Frau starb und ich wurde sehr unglücklich. Daraufhin fing ich an zu meditieren, weil ich dachte, daß mir das vielleicht hilft. Und dann geschah wirklich etwas in meinem Inneren und ich begann, mich richtig glücklich zu fühlen. Zuerst hatte ich Angst, daß ich ohne meine Frau nicht leben könnte, aber jetzt bin ich so glücklich, daß ich mich mit nieman- dem auf ein Verhältnis einlassen würde.«

»Vielleicht konnten Sie mich deshalb verstehen,« sagte ich. »Sie haben meditiert und jetzt geht es Ihnen gut und dadurch ist es möglich geworden, mit mir in Kontakt zu kommen. Damals befanden Sie sich auf einer ganz anderen Ebene.«

Man trifft immer nur Leute, die sich auf derselben Ebene befinden. Als Wichtigstes muß man sich also merken: eine Beziehung, die aus Not und Bedürftigkeit heraus entsteht, verläuft zwangsläufig bitter. Werdet erst ein- mal selbst glücklich, werdet freudvoll, feiert euer Dasein, dann findet ihr auch eine andere freudvolle Seele. Dann begegnen sich zwei singende, tanzende Wesen und daraus entsteht ein einziger großer Tanz.

Stellt keine Beziehung her, weil ihr einsam seid: nein, dann geht ihr in die falsche Richtung. Dann benutzt ihr den anderen als ein Mittel zum Zweck, und der andere macht es genauso. Aber kein Mensch möchte als Mittel zu irgendeinem Zweck benutzt werden! Jedes einzelne Individuum ist in sich selbst schon das Ziel. Es ist einfach unmoralisch, jemanden auf diese Weise auszunutzen.

Lernt erst allein zu sein. Meditation ist ein Weg, das Alleinsein zu ler- nen. Wenn ihr ganz allein glücklich sein könnt, habt ihr das Geheimnis des Glücklichseins an sich entdeckt. Jetzt könnt ihr auch mit anderen zusam- men glücklich sein. Und wenn ihr froh seid, habt ihr etwas zu geben und wenn ihr gebt, bekommt ihr etwas zurück, aber nicht umgekehrt. Wenn ihr selbst glücklich seid, wird es geradezu notwendig, jemanden zu lieben: aber normalerweise hat man das Bedürfnis, geliebt zu werden... Dieses Bedürf-

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nis ist immer hinderlich. Es ist ein kindisches Bedürfnis und zeugt von Un- reife. Das ist die Einstellung eines Kindes.

Ein neugeborenes Kind kann die Mutter natürlich nicht lieben. Es weiß weder, was Liebe ist, noch weiß es, wer die Mutter und wer der Vater ist. Es ist vollkommen hilflos. Sein Wesen muß erst zu einer Einheit werden, das Kind ist noch kein Ganzes, es ist noch nicht »beieinander«; seine Ent- faltung ist vorerst nur als latente Möglichkeit vorhanden. Die Mutter muß ihm Liebe geben, der Vater muß das Kind lieben, die ganze Familie muß das Kind mit Liebe überschütten. Und dann lernt es diese eine Sache: Daß es von jedem geliebt werden muß. Aber es lernt nie, daß es auch selbst lie- ben muß. Jetzt wächst das Kind heran, und wenn es mit dieser Auffas- sung, daß es von allen geliebt werden muß, steckenbleibt, wird es sein Le- ben lang darunter leiden. Dann wächst der Körper heran und wird reif, aber der Verstand bleibt unreif.

Ein reifer Mensch ist einer, der diese zweite Notwendigkeit kennenge- lernt hat: daß man auch einen anderen Menschen lieben muß. Das Be- dürfnis geliebt zu werden ist kindisch und unreif. Nur das Bedürfnis zu lie- ben, zeugt von Reife. Wenn du reif dazu bist, jemanden zu lieben, entsteht eine gute Beziehung, sonst nicht.

»Kann es sein, daß zwei Menschen in einer Beziehung schlecht fürein- ander sind?«

Ja, so ist es überall auf der Welt. Gut füreinander zu sein, ist so gut wie unmöglich. Ihr seid ja noch nicht einmal gut zu euch selbst; wie könnt ihr dann gut zu einem anderen sein? Ihr liebt euch ja noch nicht einmal selbst! Wie könnt ihr dann einen anderen lieben? Liebt euch selbst, seid gut zu euch selbst. Aber eure Moralapostel haben euch gelehrt, daß ihr euch nicht selbst lieben dürft, daß ihr nicht gut zu euch selbst sein dürft: »Seid streng mit euch selbst!« Sie haben euch gelehrt, sanft mit anderen und hart mit euch selbst umzugehen, und das ist absurd!

Ich lehre, daß ihr euch zu allererst selbst lieben müßt. Seid nicht streng, seid nachgiebig. Seid lieb zu euch selbst. Lernt euch selbst zu vergeben, im- mer und immer wieder, siebenmal am Tag, siebenundsiebzigmal, sieben- hundertsiebenundsiebzigmal.

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Lernt Nachsicht mit euch selbst. Seid nicht hart, richtet euch nicht ge- gen euch selbst, dann werdet ihr aufblühen wie die Primeln und andere Primeln zu euch hinziehen. Das ist natürlich: Steine ziehen Steine an und Blumen ziehen Blumen an. Und dann kann eine Beziehung entstehen, die Anmut hat, die eine Schönheit hat, die ein Segen für beide ist. Dann kann eure Beziehung in die Dimensionen des Gebets hineinwachsen; eure Liebe wird zur Ekstase, und durch eine solche Liebe erfahrt ihr, was Gott ist.

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AVADHU, MAYA, TAJI NA JAY

Sag mir Bruder, wie kann ich dem Trugbild der Welt entsagen? Nachdem ich aufgegeben hatte, Schleifen zu binden, hielt ich mein Gewand noch immer mit Stricken um den Leib. Als ich aufgab, mein Gewand mit Stricken zu halten, verhüllte ich meinen Körper noch immer in seinen Falten. Und so sehe ich: Wenn ich die Leidenschaft aufgebe, bleibt Wut zurück, und wenn ich die Wut aufgebe, ist die Gier noch immer in mir. Und wenn die Gier überwunden ist, bleiben Stolz und Prahlerei zurück. Wenn sich der Verstand distanziert und das Trugbild von sich wirft, hängt er sich an Worte und Phrasen.

Kabir spricht: Höre auf mich, lieber Freund! Der wahre Weg wird selten gefunden.

CANDA JHALKAI YAHI GHAT MAHIN

Der Mond leuchtet in meinem Körper aber meine blinden Augen können ihn nicht sehen. Mond und Sonne sind in mir, die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit ertönt in mir, aber meine tauben Ohren können sie nicht hören.

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as Leben ist dialektisch. Die Philosophie Hegels wird dem Leben weitaus gerechter, als die von Aristoteles, denn das Leben besteht

aus Gegensätzen. Ohne Gegensätze wäre das Dasein unmöglich. Tag und Nacht, Leben und Tod, Sommer und Winter — das Leben ist so all- umfassend, daß es alle Widersprüche in sich enthält. Und dennoch ist das Leben nicht widersprüchlich, denn in den Widersprüchen liegt Harmonie, die Widersprüche ergänzen einander und vervollständigen sich.

Dies ist eines der grundlegendsten Dinge, die man verstehen muß. Wenn ihr das nicht versteht, werdet ihr die Botschaft Kabirs nicht verstehen können, und ihr werdet die tiefste Botschaft der Religion nicht verstehen können. Aber diese Aussage ist sehr schwer zu verstehen, weil unser Ver- stand zum Denken in simpler, nicht-dialektischer Logik erzogen wurde.

Man hat uns gesagt, man hat uns beigebracht und weisgemacht, daß Gegensätze grundsätzlich unvereinbar sind. Das ist nicht wahr. Könnt ihr euch vorstellen, daß Liebe ohne Haß existieren kann? Meint ihr, daß Le- ben ohne den Tod möglich wäre? Es ist schlicht unvorstellbar, daß das Gu- te ohne das Böse existiert. Gott braucht den Teufel. Ohne den Teufel kann es keinen Gort geben. Die Gegensätze erscheinen nur als Gegensätze, weil wir von diesen Dingen bisher noch kein tiefgehendes Verständnis erlangt haben.

Du atmest ein, und du atmest aus, und darin liegt Rhythmus und Har- monie. Dein Einatmen richtet sich weder gegen das Ausatmen, noch rich-

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tet sich das Ausatmen gegen das Einatmen. Beide Atemzüge sind Teile ei- nes Vorgangs. Das Pendel schwingt vom eingehenden Atem zum ausge- henden Atem und du existierst genau im Gleichgewicht, in der Harmonie zwischen beiden. Ein erfülltes Leben ist ein Leben in dieser Harmonie. Ein erfülltes Leben ist eine tiefgreifende Vereinigung aller Gegensätze.

Es gibt zwei Arten von Armut auf dieser Welt. Leute, die nichts anderes als die Befriedigung ihrer Wünsche kennen, sind arm, weil sie nicht erfah- ren haben, was Entsagung und Verzicht bedeuten. Und Leute, die nichts anderes als Verzicht kennen, sind arm, weil sie keine Ausschweifungen kennengelernt haben. Nur wenn ein feinschwingendes Gleichgewicht zwi- schen Ausschweifung und Entsagung hergestellt wird, kann man die Duali- tät überwinden. In genau diesem Gleichgewicht, in dieser Ausgewogen- heit, geht man darüber hinaus.

Darum sage ich, daß die Philosophie Hegels dem Leben gerechter wird; sein Verständnis ist fundamentaler, dem Leben näher, als das von Aristoteles. Hegel sagt, daß sich das Leben von der These über die Anti- these zur Synthese bewegt und dann wird die Synthese wieder zur These. Sobald eine These aufgestellt wurde, entsteht daraus die Antithese und daraus entsteht wieder ein neues Gleichgewicht, das zu einer Synthese auf höherer Ebene führt. Auf diese Weise bewegt sich das Leben. Das Leben schreitet in jeder einzelnen seiner Ausdrucksformen durch die Benutzung von Gegensätzen voran, so wie ein Vogel zwei Flügel hat und ihr zwei Bei- ne, und euer Kopf zwei Gehirnhälften, die einander entgegengesetzt sind und sich ergänzen — die linke und die rechte Gehirnhälfte; Intuition und Vernunft; die weibliche und die männliche Hälfte. Und es ist möglich, die beiden Gegensätze auf höherer Ebene zu vereinigen! Diese Vereinigung ist das Ziel jeder Religion, aller mystischen Suche, das Ziel allen Yogas. Yoga heißt Begegnung, Zusammentreffen der Gegensätze. Yoga ist die Vereini- gung.

Wir nennen die Welt das Universum und nicht das Multiversum, weil sie eins ist. Und dennoch hat diese Einheit eine ungeheure Mannigfaltig- keit, verschiedene Erscheinungsformen, Unterschiede, Besonderheiten. Diese Einheit ist nicht monoton. Die Einheit ist nicht leblos — sie ist leben- dig. Und sie bleibt auch nicht statisch, sondern ist dynamisch. Die heutigen Aussagen Kabirs müssen vor diesem Hindergrund verstanden werden. Sie sind von ungeheurer Wichtigkeit.

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Sag mir Bruder, wie kann ich dem Trugbild der Welt entsagen?

Er fragt eine der bedeutungsvollsten Fragen, die es gibt: Wie kann ich der Welt entsagen? Wie kann ich mich davon losmachen? Die Frage ist deshalb so bedeutend, weil jeder Sucher früher oder später an diesen Punkt kommt. Du hast in dieser Welt gelebt und das Elend dieses Lebens erfahren, die Enttäuschung, die Angst, die Qual. Du bist davon seelisch zerrissen und in Fragmente zerlegt worden, du bist nicht mehr heil und ganz, du hast jeglichen Frieden verloren; also ist es ganz klar, daß eine Ab- kehr von der Welt an diesem Punkt eine ungeheure Anziehungskraft aus- übt... »Verzichte auf die Welt, dort herrscht nichts als Streit und Qual und Leid!«...

Aber Kabir fragt: »Wie ist es möglich, ihr zu entsagen?« Wer ist es denn, der der Welt entsagen will? Das Ich, das der Welt entsagt, bleibt weiterhin vorhanden — und dieser »Entsager« ist die Welt, denn das Ich ist die Welt. Du kannst dich von der Welt abkehren, aber dann bist du trotzdem noch da und schaffst dir deine Welt immer wieder aufs Neue. Du bist die Welt.

Du kannst den Marktplatz verlassen und ins Kloster gehen — und da- mit wird dieselbe Politik ins Kloster hineingebracht; damit taucht dieselbe Hierarchie im Kloster auf, und der gleiche Konflikt und der gleiche Ehrgeiz — und so schaffst du dir wieder einen neuen Marktplatz. Das ist nur natür- lich, denn du kannst dich zwar von der Welt abkehren, aber wie solltest du dich von dir selbst abkehren? Du fragst all die Keime deines vorgeformten Charakters weiterhin in dir. Du nimmst alle deine Ambitionen, deine Rivali- tät, alle deine Ego-Trips mit dir. Vorher hast du versucht, reich zu werden, du wolltest der Welt beweisen: »Ich bin der reichste Mann auf der ganzen Welt.« Oder du hast versucht, Karriere in der Politik zu machen, um der Welt zu beweisen, daß du Jemand bist. Alle minderwertigen Leute versu- chen andauernd zu beweisen, daß sie jemand sind. Aller Ehrgeiz entsteht aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus. Es kommt selten vor, daß man einem Politiker begegnet, der intelligent ist, und man trifft sehr selten einen reichen Mann mit Intelligenz — äußerst selten — denn ein intelligen- ter Mensch verliert eben Dank seiner Intelligenz jegliches Interesse an ir- gendeiner Form von Konkurrenzkampf. Intelligenz kennt keinen Ehrgeiz. Mit ein wenig Intelligenz erkennt man die ganze Absurdität dieses Strebens. Mit Intelligenz sieht man: »Ich bin ich, und habe es nicht nötig, mich mit ir- gendjemandem zu vergleichen. Ich bin weder besser noch schlechter als al-

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le anderen; allerdings bin ich auch nicht genau wie sie — ich bin verschie- den, aber es gibt kein 'besser' oder 'schlechter'.«

Wir sind alle ganz verschiedene, einzigartige Wesen: Niemand steht hö- her, und niemand ist geringer. Dieses ganze Streben, etwas Besseres wer- den zu wollen, ist reine Dummheit. ...Aber man kann ins Kloster gehen. Dort kann man zwar kein Geld verdienen, aber man kann sich sittliche Ver- dienste erwerben. Man kann immer religiöser werden, mehr als alle ande- ren meditieren, man kann der größte »Versunkene« werden; man kann sich eiserner als alle anderen an die Disziplin halten und der größte Heilige werden. Und wieder taucht unweigerlich diese Einstellung auf: Die Einstel- lung, daß »ich heiliger bin, als du«. Das ist dieselbe Politik, derselbe Kon- kurrenzkampf, dasselbe Ego. Nichts hat sich geändert. Nur das Objekt, um das gewetteifert wird, ist ein anderes, aber das Subjekt bleibt dasselbe. Und die ganze Politik schleicht sich wieder ein. Ihr seht es ja: eine ununterbro- chene Rangfolge vom niedrigsten Priester bis zum Papst. Und jeder kleine Pfarrer versucht, einen höheren Posten zu bekommen; jeder Bischof ver- sucht, Erzbischof zu werden. Sie versuchen wieder, in der Hierarchie auf- zusteigen — es ist dieselbe Welt. Vorher haben sie versucht, politische Macht zu gewinnen, jetzt versuchen sie, religiöse Macht zu gewinnen, aber das Streben an sich bleibt dasselbe.

Kabir spricht: »Sag mir Bruder, wie kann ich dem Trugbild der Welt entsagen?«

Wie kann ich dieser Illusion entsagen? - denn ich bin die Wurzel, die Grundlage aller Illusionen. Dieses »Ich« ist meine Welt und darum spaziert dieses »Ich« immer wieder zur Hintertür herein, wo ich auch hingehe, was ich auch mache. Man kann der Welt nicht entsagen. Das Ringen um Entsa- gung ist das verzweifelte Bemühen eines Menschen, der sich zuvielen Aus- schweifungen hingegeben hat und nicht besonders intelligent ist. Ständig nur seine Genußsucht zu befriedigen ist dumm, und dumm ist auch die Entsagung. Ein weiser Mensch lebt ausgewogen. Er lebt weder ausschwei- fend noch asketisch. Er wird sich der Situation einfach in ihrer Gesamtheit bewußt. Er bemüht sich nicht, der Welt zu entfliehen, sondern beginnt, sein Ego wahrzunehmen, welches sich die Welt durch seine Vorstellungen schafft. Und einfach dadurch, daß man all die versteckten Wünsche des Egos wahrnimmt, verschwinden diese Wünsche.

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Je mehr Licht in das Wesen eindringt, desto bewußter wird man und desto bedeutungsloser werden Ehrgeiz und Konkurrenzkampf. Nicht, daß man diesen Dingen entsagt: nicht, daß man sich in irgendeiner Weise an- strengt, davon loszukommen! Die simple Einsicht allein wird zu einem kla- ren Licht im Inneren und man beginnt, über all den idiotischen Wettstreit, die Vergleiche mit anderen, die Wertungen, und alles was man gemacht hat und worunter man so gelitten hat, zu lachen.

Vergeßt nicht, daß die Entsagung wieder eine Idee desselben dummen Verstandes ist. Nichts hat sich geändert. Es gab eine Zeit, da ihr nur danach getrachtet habt, eure Wünsche zu befriedigen, immer mehr Geld anzuhäu- fen, immer mehr Frauen und Männer zu erobern... und dann wird euch angst und bange und ihr fangt an, wegzulaufen, der Welt zu entfliehen — aber eure Dummheit ist noch genauso groß. Euer inneres Wesen hat sich nicht verändert. Ihr versucht, etwas Unmögliches fertigzubringen! Solange euer innerster Wesenskern nicht verwandelt und von dem Licht eines neu- en Bewußtsein erfüllt wird, ist eine wirkliche Veränderung unmöglich. Die Wandlung wird nicht durch äußerliche Veränderungen hervorgerufen; sie muß irgendwo im Inneren stattfinden, und dann verbreitet sich das innere Licht über das ganze Wesen.

Ich habe einmal von einem Mann gehört, der mit Trübsal geschlagen war und den Rat des gefragtesten und teuersten Psychoanalytikers der Stadt suchte.

»Sie weisen Symptome akuter Melancholie auf«, bestätigte der Psychiater. »Diese Woche gastiert ein Zirkus in unserer Stadt. Gehen Sie mal hin, vielleicht bringt Sie das zum Lachen.«

»Ihr Ratschlag ist absolut unbrauchbar«, seufzte der Melancholi- sche. »Ich bin der erste Clown in dem Zirkus.«

Ihr könnt andere zum Lachen bringen und dabei selbst innerlich wei- nen. Ihr könnt der erste Clown im Zirkus, und dabei total deprimiert sein. Ihr könnt als etwas erscheinen, was ihr nicht seid, das ist ganz einfach. Ihr könnt so tun, als ob ihr Heilige seid und innerlich dabei die ganze Zeit die- selbe unglückliche Person bleiben. Ihr könnt sogar so tun, als ob ihr ausge- sprochen glücklich seid — genau das machen nämlich alle. Ihr könnt un- aufhörlich so tun »als ob« und die anderen damit vielleicht an der Nase her- umführen, aber wie könnt ihr euch selbst an der Nase herumführen?

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Eine äußerliche Veränderung kann einem nicht viel nützen; man wird mit der Zeit nur immer unechter und verliert den Kontakt mit seinen wah- ren Gefühlen. Ein ärgerlicher Mensch zum Beispiel, kann seine Wut unter- drücken, er kann sogar so tun, als sei er außerordentlich mitfühlend. Ein Mensch, der keine Liebe in sich hat, kann vorgeben, schauspielern, sich aufführen, als sei er eine äußerst liebevolle Person. Mag sein, daß man die anderen für eine Zeitlang täuscht — und das auch nicht lange — aber wie kann man sich selbst etwas vormachen? Du weißt die ganze Zeit sehr gut, daß die Wut vorhanden ist, daß Gift und Galle in dir kochen. Und dieses Gift hört nicht auf, deinen Frieden zu zerstören, dein Wesen zu zerstören. Dieses Gift vernichtet dich allmählich. Das Lächeln, das du dir aufgemalt hast, nützt dir gar nichts: es muß schon von Herzen kommen.

Kabir erklärt, wenn man irgendwelchen Dingen entsagt, dann nur den Äußerlichkeiten. Und wie kann man das Innere durch äußere Verände- rungen ändern? So einfach ist es nicht. Dadurch wird man zum falschen Heiligen.

Ich habe gehört: Eine Schauspielerin, die ein herrliches Diamanthalsband von ihrem Verehrer, einem dieser griechischen Reeder, geschenkt bekommen hatte, kam auf eine glänzende Idee, wie sie es todsicher vor Diebstahl schützen könnte. So glaubte sie jedenfalls. Sie ließ das Halsband ein- fach immer offen auf ihrem Schminktisch liegen, wenn sie aus dem Haus ging, mit dem Vermerk: »Lieber Einbrecher, hierbei handelt es sich nur um eine Imitation. Das Original liegt sicher im Safe.«

Eines Nachts mußte sie beim Nachhausekommen allerdings fest- stellen, daß die Kette verschwunden war und stattdessen folgende Botschaft auf dem Tisch lag: »Besten Dank, Madame, ich wollte so- wieso nur die Imitation. Ich selbst bin auch nur eine Imitation. Der Ein- brecher, der dieses Hotel normalerweise bedient, ist im Urlaub.«

Die Leute, die man auf dem Marktplatz sieht, sind Imitationen und die Leute, die in euren Klöstern, Tempeln und Ashrams leben, ebenfalls. Nie- mand scheint echt und authentisch zu sein. Es ist ungeheuer schwer, einen wahrhaftigen Menschen zu finden. Die ganze Welt ist so verlogen gewor- den. Und warum ist sie so falsch? Weil wir versuchen, etwas Unmögliches fertigzubringen. Was wir tun, ist folgendes: Wir versuchen glücklich zu sein,

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indem wir Glücklichsein vortäuschen; wir versuchen, liebevoll zu sein in- dem wir ein liebevolles Verhalten vortäuschen: wir versuchen, heilig zu werden, indem wir Frömmigkeit vortäuschen. Wir schminken unsere Ge- sichter und tragen Masken, um unser wahres, ursprüngliches Gesicht ken- nenzulernen... Aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit! Das ist sogar noch unmöglicher, als diese Geschichte, die mir zu Ohren kam:

Ein sehr häßliches Mädchen saß einmal am Meeresstrand, und da spülten ihr die Wellen eine Flasche vor die Füße. Als sie die Rasche entkorkte, fuhr zu ihrer Verwunderung ein riesengroßer Flaschengeist in einer Rauchwolke heraus.

»Ich war fünftausend Jahre in dieser Flasche gefangen«, tönte der Geist mit Donnerstimme, »und nun hast du mich befreit! Zum Lohne werde ich dir jeden Wunsch erfüllen!«

Das häßliche Mädchen war begeistert: »Ich möchte eine Figur wie Sophia Loren, ein Gesicht wie Elizabeth Taylor und Beine wie Ginger Rogers haben.« Der Geist betrachtete sie lange und gründlich, seufzte und sagte: »Baby, steck mich wieder in die Flasche.«

Und ich sage euch — das Verlangen des Mädchens mag unmöglich sein — aber die Menschheit hat die ganze Zeit versucht, etwas noch viel Unmöglicheres fertigzubringen. Es ist absolut unmöglich, durch Falschheit zum Wahren zu gelangen, durch Nachahmung zum Echten zu gelangen. Es ist unmöglich, es geht einfach nicht — aber die Menschheit hat über Jahrhunderte hinweg versucht, genau das fertigzubringen.

Und eure sogenannten Religionen haben die Menschen dazu gebracht, immer falscher und unechter zu werden. Die ganze Welt ist voll von fal- schen Leuten. Darum versäumt ihr die Ekstase, die das Leben euch schen- ken könnte, die das Leben euch eigentlich geben sollte, zu der das Leben eigentlich da ist. Ihr versäumt alles was schön und wahr ist, alles was gut ist und unaufhörlich auf euch niederströmt.

Ihr tragt nicht eure eigenen Gesichter, ihr tragt die Gesichter irgendwel- cher anderer Leute. Und ihr habt auch nicht nur ein falsches Gesicht, son- dern viele — eines über dem anderen, und über dem noch wieder ein an- deres. Dahinter geht ihr völlig verloren; ihr wißt nicht, wer ihr seid.

Die Zen-Leute sagen: »Sucht nach eurem ursprünglichen Gesicht. Fin-

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det es wieder.« Als jemand Bokoju fragte: »Was meinst du mit dem ur- sprünglichen Gesicht?« sagte er: »Das Gesicht, das du vor deiner Geburt hattest und das du nach deinem Tode wieder haben wirst.« Entdeckt dieses ursprüngliche Gesicht wieder. Das ist die Wahrheit. Man kann es auch Gott nennen.

Kabir sagt, daß es so nicht geht — dieses ganze Ringen um Entsagung hat nichts genutzt.

Nachdem ich aufgegeben hatte, Schleifen zu binden, hielt ich mein Gewand noch immer mit Stricken um den Leib.

Dann versucht man es auf andere Art; wenn es keine kostbaren Schlei- fen sind, dann sind es billige Stricke, aber man muß es festhalten.

Als ich aufgab, mein Gewand mit Stricken zu halten, verhüllte ich meinen Körper noch immer in seinen Falten.

Man findet immer irgendeinen Weg...

Und so sehe ich, wenn ich die Leidenschaft aufgebe, bleibt Wut zurück...

Ihr versucht eure Leidenschaft aufzugeben und werdet wütend...

Kabirs Einsicht in die Dinge geht sehr tief. Das ist es, was die ganze mo- derne Psychologie sagt: Wenn man aufhört, seine sexuellen Lüste zu be- friedigen, wird man aggressiv. Darum sind eure Heiligen so aggressiv. Ihre Wut zeigt einfach nur, daß die Energie, die vorher durch Sexualität, durch Leidenschaft, freigesetzt wurde, kein Ventil mehr findet; sie bleibt im Inne- ren stecken und die Leute werden immer wütender. Es ist sehr schwer, ei- nen Heiligen zu finden, der nicht permanent ärgerlich ist, denn wo soll die Energie hingehen? Man hat ein Ventil verschlossen — jetzt muß die Ener- gie natürlicherweise einen anderen Weg finden.

Ist euch aufgefallen, daß ihr viel seltener wütend werdet, wenn ihr se- xuell befriedigt seid, und daß ihr viel leichter wütend werdet, wenn ihr un- befriedigt seid? Es ist dieselbe Energie! Solange ihr keinen neuen Weg in

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eurem Inneren gefunden habt, diese Energie zu verarbeiten, kann euch kein Keuschheitsgelübde, kein Schwur von Brahmacharya, helfen. Einfach der Entschluß: »Von jetzt an enthalte ich mich der Sexualität«, nützt euch gar nichts. Zuerst muß eine neue Bahn geschaffen werden, in die die Ener- gie hineinfließen kann. Entsagung und Abkehr können euch nicht weiter- helfen. Das macht euch nur noch aggressiver, und wenn man die Wahl hat, zwischen Sex und Aggression, dann ist Sex besser. Damit fühlt man sich wenigstens ruhiger und friedlicher.

Es gibt zwei Arten von Leuten, denen Sex über die Jahrhunderte hin- weg verboten war: Heilige Männer und Soldaten. Den Soldaten wird kein Geschlechtsverkehr erlaubt, weil die Politiker herausgefunden haben, daß sie den Antrieb zum Kämpfen verlieren, wenn ihr Geschlechtstrieb befrie- digt wird. Es ist schwer, zu kämpfen, wenn man sexuell befriedigt ist. Es gibt nur deshalb so viele Kriege, weil die Leute ständig in einem unbefrie- digtem Zustand gehalten werden... Aber die Politiker haben natürlich gro- ße Angst und machen sich Sorgen, was aus ihrer Politik werden würde, wenn alle Menschen sexuell befriedigt wären. Ihre ganze Politik ist abhän- gig vom Krieg. Wenn es keine Kriege mehr gäbe, gäbe es auch keine Politik mehr. Dann wäre die Regierung nichts weiter als eine Organisation, wie das Postamt oder die Eisenbahn, mit einer gewissen nutzbringenden Funk- tion, aber ohne jede Macht. Kriege sind ein Mittel zur Macht, und die Politi- ker können nicht zulassen, daß keine Kriege mehr stattfinden. Die Politiker reden unausgesetzt vom Frieden und bereiten währenddessen die ganze Zeit Kriege vor. Sie reden vom Frieden und rüsten für den Krieg. Und so nehmen die Dinge manchmal extrem absurde Formen an; sie rüsten für den Krieg, auf daß Friede auf Erden herrschen möge! Für den Frieden — um den Frieden zu wahren, rüsten sie für den Krieg!

Die Politiker können nicht zulassen, daß ihr in eurem Bedfürfnis nach Liebe befriedigt werdet. In dem Moment, in dem euer Liebesbedürfnis be- friedigt ist, seid ihr als Soldaten untauglich. Ihr müßt in einem unbefriedig- ten Zustand gehalten werden, so daß die Wut weiter in euch brennt und ihr bereit seid, beim geringsten Anlaß für die idiotischsten Sachen zu kämpfen. Die Menschen können um ein Stückchen Stoff kämpfen, das sie ihre Na- tionalflagge nennen, ist euch das aufgefallen? Diese Nationalflaggen sind offenbar eher ein Symbol des Todes als ein Symbol des Lebens. Wenn je- mand stirbt, werden sie auf Halbmast gesenkt — und Millionen von Men- schen sind für diese Nationalflaggen gestorben. In einer besseren Welt soll-

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ten sie samt und sonders verbrannt werden und völlig vom Erdboden ver- schwinden. Diese Fahnen sind abscheulich.

Man hat euch beigebracht, daß ihr irgendeinem Land angehört und für dieses Land sterben müßt. Aber niemand gehört irgendeinem Land an. Die ganze Erde gehört uns — und die Erde ist nirgends aufgeteilt, außer auf den politischen Landkarten. Die Erde selbst ist nicht geteilt. Wo, stellt ihr euch vor, hört Indien auf und fängt Pakistan an? Wo meint ihr, ist In- dien beendet und fängt China an? Die Erde ist eins. Aber unsere Politik er- laubt niemandem dieses Gefühl der Einheit zu entwickeln, denn damit würde die Politik vom Erdboden verschwinden. Die Politiker und ihre Poli- tik werden nur deshalb gebraucht, weil es Kriege gibt — und damit haben wir den Teufelskreis geschlossen — denn wenn es weiterhin Kriege geben soll, müssen die Leute sexuell ausgehungert werden, sie dürfen keine Be- friedigung finden. Sie müssen wütend bleiben, innerlich kochen, jeden Moment bereit sein, zu explodieren.

Ihr müßt die Menschen nur einmal beobachten: sie sind jederzeit bereit zu kämpfen — um irgendetwas — ganz egal, was es ist. Politik, Religion, jeder Unsinn ist Anlaß genug, sich gegenseitig umzubringen. Die Politik steht in den Diensten des Todes. Und eure sogenannten Religionen stehen ebenfalls in den Diensten des Todes.

Kabir möchte, daß ihr das Leben liebt. Alle großen Mystiker sagen, daß ihr das Leben lieben sollt.

Und so sehe ich, wenn ich die Leidenschaft aufgebe, bleibt Wut zurück...

Also hat sich nichts verändert. Die Energie ist nur von einer Ecke in die andere geschoben worden; ihr selbst bleibt die gleichen. Das Endergebnis bleibt das gleiche — wirklich, es ist sogar noch schlimmer als zuvor.

Und wenn ich die Wut aufgebe, ist die Gier noch immer in mir.

Wenn man seine Wut nicht ausdrückt, wird man stattdessen gierig, habgierig. Das ist in Indien passiert. Mahavir hat Gewaltlosigkeit gelehrt und seine Anhänger wurden habgierig. Man muß verstehen, warum es so

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gekommen ist. Die Jainas sind die reichsten Leute Indiens und Mahavir (letzter erleuchteter Meister der Jaina-Tradition.) lehrte, daß man nicht wü- tend, nicht gewalttätig sein darf, daß man nicht kämpfen soll. Warum sind seine Anhänger so habgierig geworden?

Kabir hat anscheinend recht, denn was macht man, wenn man seinem Ärger keinen Ausdruck mehr verleiht? Dann wird die Energie, die vorher durch Wut ausgedrückt wurde, in Habgier verwandelt. Ihr werdet sehen, daß geizige Leute nicht so jähzornig sind... Nein, sie investieren ihre Wut, ihre gesamte Energie, in die Habgier. Geizige Menschen werden nicht so leicht ärgerlich, sondern sind im Gegenteil, sehr demutsvoll. Selbst wenn man sie angreift, schlagen sie nicht zurück und sagen: »Wir sind für den Frieden«. Sie sagen: »Wir halten uns an die Gebote Jesu. Wenn man uns auf die eine Wange schlägt, halten wir die andere ebenfalls hin.« Geizige Menschen sind nicht so leicht in Wut zu bringen.

Reiche Leute sind viel seltener wütend als Arme. Das könnt ihr ganz deutlich sehen, je mehr Reichtum ein Mensch anhäuft, desto geringer wird seine Wut. Die Wut bleibt nur den Armen erhalten. Darum sind alle Revo- lutionäre von den armen Schichten der Bevölkerung abhängig. Von den Reichen werden sie nie unterstützt. Marx behauptete, daß das reichste Land zu allererst kommunistisch werden würde, aber so ist es nicht gewe- sen. Er hat sich geirrt. Er mag in seiner Wirtschaftsanalyse recht gehabt ha- ben, aber er kannte das menschliche Bewußtsein schlecht. Ein wohlhaben- der Mensch ist nicht ärgerlich und kann somit niemals zum Revolutionär werden. Nur ein armer Mensch kann seine Wut aufrechterhalten, eben weil er keine Möglichkeit sieht, seine Habgier zu befriedigen.

Amerika hätte ein kommunistisches Land werden müssen, wenn Marx mit seiner Prophezeihung recht gehabt hätte. Aber in Amerika besteht kei- ne Möglichkeit einer Revolution. Die Amerikaner leben im Überfluß — sie befriedigen ihre Habgier. Rußland, ein sehr armes Land, konnte zum Kommunismus bekehrt werden. Dann faßte der Kommunismus in China, einem sehr armen Land Fuß, und jetzt ist es sehr wahrscheinlich, daß In- dien kommunistisch wird. Indien ist auf dem Weg dahin.

Die Bevölkerung eines armen Landes ist immer ärgerlich. Wenn man etwas besitzt, was man behalten möchte, nimmt die Wut die Form von Habgier an. Dann ist man nicht an Kampf und Streit interessiert, denn bei einem Kampf könnte man verlieren, was man besitzt. Ein armer Mann hin- gegen hat nichts zu verlieren — genau das ist es, was Marx in seinem Kom-

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munistischen Manifest sagt: »Proletarier aller Länder vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren, als eure Ketten.« Da hat er recht. Warum nicht aufstehen und kämpfen, wenn man ohnehin nichts zu verlieren hat? Ent- weder man gewinnt dabei, oder man verliert nichts... Man gewinnt also in jedem Fall.

Wenn man sich unsere Geschichte heute betrachtet, kann man feststel- len, daß sich dasselbe Drama immer wieder und wieder abspielt. Arme Länder sind zum Kampf bereit und reiche Länder fürchten den Kampf; ih- re Wut schwindet und wird zur Besitzgier. Reiche Länder sind nicht bereit, in den Krieg zu ziehen. In der Weltgeschichte ist es immer wieder vorge- kommen, daß ein reiches Land von einem armen Land besiegt wurde. Was geschah in Vietnam? Logisch betrachtet wäre es doch sehr wahr- scheinlich, daß die Amerikaner dort siegreich hervorgehen... Sie haben al- les, was man zum Sieg braucht — moderne Technologie, perfekte, wissen- schaftlich entwickelte Tötungsmaschinen — sie hatten alles, was gut und teuer ist und konnten Vietnam, ein sehr armes Land, dennoch nicht besie- gen. Nein... es ist sehr schwer, ein armes Land zu besiegen.

Als Indien noch ein reiches Land war, wurde es andauernd besiegt. Zweitausend Jahre lang mußte sich Indien immer wieder unterwerfen — ein reiches Land — und die Eindringlinge waren nichts anderes, als halb- verhungerte Barbaren, die Ärmsten der Armen. Die Mohammedaner, die Mogulstämme und die Türken waren mittellos, und verzweifelt darum be- müht, etwas zu gewinnen. Und Indien war wohlhabend und verzweifelt darum bemüht, zu behalten, was es besaß. Indien war raffgierig und fürch- tete jeglichen Kampf.

Ich habe einmal eine Geschichte gehört, in der ein Löwe von einem Esel herausgefordert wurde: »Hör auf zu behaupten, daß du der König der Tiere bist! Ich bin der König, und wenn du es nicht glauben willst, können wir ja miteinander kämpfen. Dann wird es sich zeigen!«

Es heißt, daß der Löwe ganz betreten den Rückzug antrat und im Wald verschwand.

Ein Fuchs hatte die Szene beobachtet und konnte nicht fassen, was da geschehen war. Er ging hin zu dem Löwen und fragte: »Was ist denn mit dir los?« Der Löwe sagte: »Bist du verrückt? Wenn ich mit dem Esel kämp- fe und er dabei verliert, hat er nichts verloren: aber Esel sind Esel — und

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man kann nie wissen. Wenn ich verliere, verliere ich alles. Der Esel hat nichts zu verlieren, darum kann er mich angreifen.«

Ein armer Mensch ist immer wütend und bereit, zu kämpfen. Je reicher man wird, desto sanfter und nachgiebiger wird man auch. Die Energie wird zur Besitzgier.

Kabirs Analyse ist perfekt:

Und so sehe ich, wenn ich die Leidenschaft aufgebe, bleibt die Wut zurück, und wenn ich die Wut aufgebe, ist die Gier noch immer in mir. Und wenn die Gier überwunden ist, bleiben Stolz und Prahlerei zurück.

»... Und wenn die Gier überwunden ist« — wenn man seinem Reich- tum, seinen Palästen, seinem Königreich entsagt, bleibt die Prahlerei, bleibt das Ego zurück. Aber nichts hat sich radikal verändert. Man verändert im- mer nur die Farbe des Anstrichs seines Hauses. Alles bleibt beim alten, nur die Farbe wird gewechselt.

Wenn sich der Verstand distanziert und das Trugbild von sich wirft, hängt er sich an Worte und Phrasen.

Und zu guter Letzt, wenn man alles aufgegeben hat, fängt man an, sich an den Veden, am Koran, an der Bibel festzuhalten: »Ich bin ein Christ. Ich bin ein Mohammedaner...« Ihr fangt an, euch den Tempeln, den Mo- scheen, den Gurudwaras anzuschließen. Nun, da es nichts Sichtbares mehr gibt, an das ihr euch klammern könntet, schafft ihr euch etwas Un- sichtbares. Ihr schafft euch Götter, Theologien und heilige Schriften und klammert euch an verbale Dinge.

Das Wort »Gott« ist nicht Gott, aber die Menschen haben darum Kriege geführt. Alles was ihr über Gott sagen könnt, hat nichts mit Gott zu tun, und alle Menschen, die es wirklich erfahren haben, sagen von jeher, daß man nichts über Gott sagen kann. Spricht Lao Tse: »Sowie man etwas über die Wahrheit sagt, wird es unwahr.« In dem Augenblick, in dem man

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etwas behauptet, verfälscht man es sofort. Die Wahrheit kann nicht ausge- sprochen werden. Aber die Menschen hören nicht auf, zu diskutieren und darüber zu streiten: »Mein Gott ist der wahre Gott, und dein Gott ist falsch.«

Einer meiner Freunde entsagte der Welt und wurde ein Jaina-Mönch. Jahre darauf begegnete ich ihm wieder und fragte: »Hast du wirklich der Welt entsagt?« Er antwortete: »Siehst du das denn nicht? Ich habe allem entsagt. Ich sitze nackt auf der Straße; ich habe mich von der Gesellschaft abgewendet, der Welt abgeschworen und allem entsagt.« Ich fragte ihn: »Aber du hältst dich noch immer für einen Jaina?« und er antwortete: »Selbstverständlich bin ich ein Jaina!«

Also ist die Sache jetzt sehr subtil geworden...

Die Gesellschaft hat euch beigebracht, daß ihr Jainas oder sonstwas seid. Ihr wurdet in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren — jainistisch, mohammedanisch, christlich — und diese Gesellschaft bringt euch bei, daß ihr Jainas oder was auch immer seid. Sie hat euren Verstand vorge- formt, und ihr könnt alles aufgeben, aber ihr haltet weiterhin an eurer Erzie- hung fest. Und so habt ihr überhaupt nichts aufgegeben; ihr seid dieselben Menschen geblieben.

Wahre Entsagung bedeutet, den Verstand von allen vorgeformten Denkmustern reinzuwaschen. Wahre Entsagung bedeutet, daß man zu keiner Gesellschaft mehr gehört, zu keiner Religion, zu keinem Land — daß man nirgends mehr hingehört. Man ist allein. In diesem Alleinsein ge- hört man dem ganzen Weltall an. Aber das wird nur durch ein tiefgreifen- des Verständnis, durch Intelligenz, durch Bewußtsein möglich. Nicht da- durch, daß man dieses Entsagungsspiel spielt, bei dem man einer Sache entsagt, sich schnell etwas Neues sucht, dann dem entsagt und sich wieder etwas Neues sucht.

Vergeßt nicht, wenn ihr einer Sache entsagt und etwas anderes an sei- ne Stelle setzt, ist das zweite subtiler als das erste und schwerer zu überwin- den. Ihr entsagt den sexuellen Lüsten, aber die Wut bleibt — Wut ist subti- ler als Sex. Ihr entsagt der Wut und die Habgier bleibt — Habgier ist subtiler als Wut. Und dann entsagt ihr eurer Gier — und Eitelkeit und Selbstgefühl bleiben zurück. Das Ego ist jetzt sehr, sehr fein geworden. Und wenn ihr versucht, selbst das fallenzulassen, bleiben Theorien, Philosophien und reli-

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giöse Dogmen übrig. Es bleibt immer irgendetwas übrig. Ihr wechselt an- dauernd das Gefängnis, aber ihr werdet nie freie Menschen.

Ich habe einmal gehört: Aus dem Teil Kaliforniens, wo die Mammutbäume wachsen,

stammt die Erzählung über einen Farmer, der beschlossen hatte, sich eine elektrische Säge anzuschaffen. Ein Holzfäller verkaufte ihm eine mit der Garantie, daß sie mindestens fünfzehn Bäume am Tag fällen würde.

Eine Woche später kam der Farmer ganz unglücklich zurück, weil irgendetwas mit der Säge nicht stimmte, denn sie fällte im Durchschnitt nicht mehr als drei Bäume am Tag.

Der Holzfäller nahm die Säge, schloß sie an der nächsten Steck- dose an, um sie zu prüfen, und die Säge machte auch sofort ganz nor- mal BZZZZZZZZZZ.

»Hey«, schrie der Farmer ganz verwundert, »Was ist denn das für ein Geräusch?«

Er hatte die Säge benutzt, ohne sie an die elektrische Leitung anzu- schließen, und dann ist eine elektrische Säge natürlich keine elektrische Säge, sondern ein ganz gewöhnlicher Gegenstand.

Man kann vielen Dingen entsagen und immer wieder entsagen, ohne dabei am innersten Kern seines Wesens, am eigenen Kraftwerk ange- schlossen zu sein. Wenn man nicht an die Kraft seines inneren Verständnis- ses angeschlossen ist, ermüdet man sich nur und dabei kommt nichts Großartiges heraus. Es kommt auf das Verständnis an. Verstehen macht den ganzen Unterschied. Anstatt den Dingen zu entsagen, möchte Kabir, daß ihr versteht, wie eine radikale Veränderung vor sich geht.

Kabir spricht: Höre auf mich lieber Freund! Der wahre Weg wird selten gefunden.

Was ist der wahre Weg? Wenn Entsagung nicht der wahre Weg ist, was ist dann der wahre Weg?

Bewußtheit ist der wahre Weg! Gib dich weder nur der Befriedigung deiner Lüste hin, noch wende dich von allem ab, sondern sei wach und bewußt. Tu was auch immer du tust voller Bewußtheit.

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Wenn du in den Liebesakt hineingehst, dann gehe mit Bewußtsein hinein — und deine Leidenschaft wird zum Gebet, gewinnt eine völlig an- dere Qualität. Diese Qualität wird im Osten Tantra genannt. Dann ist der gleiche Sex nicht mehr nur Sex; dann ist geschlechtliche Liebe überhaupt nicht mehr sexuell. Wenn man mit Bewußtsein in seine sexuellen Hand- lungen hineingeht, verändert man die Qualität dieses Aktes von Grund auf. Dann ist es nicht mehr nur eine physische Angelegenheit, eine körper- liche Erleichterung; es wird zu einer tiefen Lebenserfahrung, einem über- wältigenden Erleben des Zustandes ohne Verstand, ohne Gedanken. Es wird zu einer Tür zum All.

Wenn du in einem tiefen Orgasmus bewußt bist, erfährst du zum er- stenmal, was Ekstase ist. Normalerweise hast du nämlich nur das Wort ge- hört, ohne seine Bedeutung zu kennen. Nur wenn du in einem tiefen Or- gasmus bewußt bist, wenn die Flamme deiner Aufmerksamkeit lichterloh brennt, erfährst du, daß Sex nicht bloß Sex ist. Sex ist die alleräußerste Schicht, tief im Inneren ist Liebe, und noch tiefer als das ist Andacht, und am tiefsten ist Gott selbst. Sex kann zu einer kosmischen Seinserfahrung werden, dann ist es Tantra. Sex plus Bewußtsein... und eine ungeheure Transformation findet statt. Und diese Veränderung kommt von selbst. Man muß sie nicht erzwingen.

Sei bewußt, wenn du wütend wirst, und du wirst mit Staunen feststel- len, daß die Wut verschwindet, sobald Bewußtsein vorhanden ist. Mit Be- wußtsein ist es unmöglich, wütend zu sein. ... Und dieselbe Energie, die du sonst in deiner Wut ausgetobt härtest, verbreitet sich wie ein Leuchten über dein ganzes Wesen und wird zu deiner Aura. Dieselbe Energie wird zu einem Licht, das dich umgibt. Dann ist es keine Hitze mehr; es ist Licht ge- worden.

Seht ihr das nicht? Hitze und Licht sind nicht zwei verschiedene Dinge. Hitze kann zu Licht, und Licht kann zu Hitze werden. Wut ist Hitze — rich- tet euer Bewußtsein darauf — und die Wut wird in Licht verwandelt, und ihr werdet mit Freude feststellen, daß ihr bewußt werden konntet, und nur auf die nächste Gelegenheit warten, bei der ihr wieder wütend werdet. Dann könnt ihr die Gelegenheit dazu benutzen, mehr Licht um euch her- um zu schaffen. Wenn ihr das einmal erlebt habt, werdet ihr nie mehr wü- tend, denn jetzt wißt ihr, wie man dieselbe Energie auf schöpferische Weise benutzen kann. Und dazu braucht man nur diese eine Formel — so wird es gemacht — bei der Habgier, beim Ego, bei allem: man richtet den Strahl

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seines Bewußtseins darauf. Man braucht nichts anderes, um sich innerlich zu verändern. Nur eine innere Aufmerksamkeit, die man in alle Situatio- nen hineinbringt.

Das ist die Wahrheit, die selten entdeckt wird. Das ist der Weg, der sel- ten gefunden wird.

Der Mond leuchtet in meinem Körper, aber meine blinden Augen können ihn nicht sehen.

Gott ist in euch, aber ihr seid euch dessen nicht bewußt. »Der Mond leuchtet in meinem Körper...« Euer Körper ist der Tempel.

»...Aber meine blinden Augen können ihn nicht sehen.« Entflieht nicht ir- gendwo hin. Macht einfach eure Augen auf, werdet bewußter, fangt an, die Dinge zu sehen. Entwickelt eine ungetrübte Wahrnehmung.

Mond und Sonne sind in mir. Die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit ertönt in mir, aber meine tauben Ohren können sie nicht hören.

Dies muß mit größter Sorgfalt verstanden werden. Er spricht von in- nerlichen chemischen Prozessen. Mond und Sonne sind Symbole der in- neren Alchemie. Der Mond ist das Weibliche in eurem Inneren und die Sonne das Männliche. Der Mond steht für Intuition, und die Sonne steht für die Vernunft. Der Mond ist Yin und die Sonne ist Yang. Mond und Sonne sind die indischen Begriffe für Yin und Yang. Der Mond bedeutet Frieden, Stille und die Sonne bedeutet Vitalität, Energie. Der Mond ist der Tod, der Schlaf, die Träume, die Imagination. Die Sonne ist Erwachen, Leben, Logik.

Es ist ein ungeheures Erlebnis, wenn sich Mond und Sonne in euerem Inneren begegnen. Ein Erlebnis des Einsseins, der mystischen Vereinigung — Unio Mystica. Dies ist das Ziel aller Mystiker, dieses Zusammentreffen von Sonne und Mond im eigenen Wesen. Dies ist die wahre Hochzeit zwi- schen Mann und Frau.

Wenn diese Begegnung einmal stattgefunden hat, ist man ein Brahma- charya, dann ist man keusch — niemals vorher. Solange deine innere Frau deinem inneren Mann noch nicht begegnet ist, braucht du eine Frau oder einen Mann im Außen. Der Partner ist nichts anderes als ein Ersatz und darum ist eine Beziehung auch nie vollkommen befriedigend, irgendetwas

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scheint nie genug zu sein. Du kannst die schönste Frau oder den schönsten Mann der Welt haben, und trotzdem hast du andauernd das Gefühl, daß irgendetwas nicht stimmt. Irgendetwas fehlt immer. Und das liegt nicht an der Frau oder an dem Mann, das ist nicht ihre Schuld. Dieses Gefühl, daß irgendetwas fehlt, kommt woanders her, und du hast noch nicht verstan- den, woher.

Wenn du dich in eine Frau verliebst, ist es eigentlich so, daß die Frau im Außen nur das Bild der Frau, die du in deinem Inneren trägst, auf ge- wisse Weise widerspiegelt. Das ist es, was Verliebtsein bedeutet, und du hast dafür keine Gründe. Du zuckst nur mit den Schultern, wenn dich je- mand fragt, warum ausgerechnet diese Frau? Du findest irgendwelche Ver- standesgründe, daß ihre Nase so und so ist, und ihr Haar, oder die Art, wie sie sich bewegt, aber das ist alles Unsinn, hm? Was hat die Nase mit Liebe zu tun, oder die Haarfarbe, oder die Art, wie sie sich bewegt? Nein, das ist alles ganz unwichtig. Aber irgendetwas stimmt mit deiner inneren Frau überein, mit deinem inneren Mond. Irgendwie spiegelt sie deinen in- neren Mond wieder. Es kann nie hundertprozentig übereinstimmen, das ist unmöglich, denn deine Frau ist deine innere Frau, du kannst sie nicht im Außen finden. Im Außen findet man nur Widerspiegelungen. Wenn man sich in einen Mann oder eine Frau verliebt, hat man sich in einen Spiegel verliebt, und früher oder später wird man enttäuscht.

Sicher habt ihr die Geschichte von Narzissus schon einmal gehört. Er blickte in einen stillen See, betrachtete sein Gesicht und verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild. Und es trieb ihn zum Wahnsinn: Jedesmal, wenn er in den See eintauchte, um sein Bild zu küssen, verschwand das Spiegel- bild. Dann suchte und suchte er danach, aber er konnte niemanden fin- den. Nur, wenn er sich wieder still an den Rand des Sees setzte, ver- schwanden die Wellen von der Wasseroberfläche und das Objekt seiner Liebessehnsucht war wieder da. Und so sprang er wieder ins Wasser... Am Ende wurde er wahnsinnig und starb am Ufer des Sees. Zu seiner Erinne- rung haben wir eine Blume Narzisse genannt. Sie wächst in der Nähe von Teichen und Seen und blickt unverwandt ins Wasser. Ihr findet die Narzis- sen immer mit gesenkten Köpfen dem Wasser zugeneigt. Zur Erinnerung an diese alte Geschichte nennen wir sie Narzissen — sie betrachten noch heute ihr eigenes Spiegelbild.

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Selbstverständlich — wenn man eine schöne Frau von weitem betrach- tet, ist das Spiegelbild immer perfekt. Aber wenn man näherkommt und in den See hineinspringt, bringt man alles durcheinander und findet am Ende nicht, was man gesucht hat. Und dann ist man schwer enttäuscht — am Anfang hat es doch so gut geklappt — und nun? Nun hat man die glatte Oberfläche des Wassers aufgewühlt. Und das gleiche ist der Frau passiert. Sie hatte sich in dich verliebt, weil du auf gewisse Weise mit ein paar Aspekten ihres inneren Mannes übereingestimmt hast. Es sind immer nur ein paar Aspekte. Und es ist gut, daß dich keine äußere Frau restlos erfül- len und zufriedenstellen kann, sonst gehst du nie nach innen. Es ist gut und ein Segen, daß kein Mensch der Außenwelt dich total befriedigen kann. Er kann dir nur einen kurzen Einblick, einen Vorgeschmack der Erfüllung ge- ben, aber du selbst wirst davon nur immer hungriger. Das ist gut. Das ist vielleicht der Sinn der Sache — dadurch wirst du in dein eigenes Zentrum zurückgeworfen und fängst eines Tages an, nach innen zu blicken.

Wenn man die Gehirnchirurgen fragt, sagen sie, daß man sozusagen zwei Gehirne im Kopf hat — eine linke und eine rechte Gehirnhälfte. Die rechte Gehirnhälfte ist weiblich und die linke männlich. Aus diesem Grund wird die linke Hand verurteilt und abgelehnt, denn diese Welt — oder zu- mindesten unsere Welt — wurde bis jetzt von Männern beherrscht. Die lin- ke Hand ist mit der rechten Gehirnhälfte verbunden, und die rechte Ge- hirnhälfte ist weiblich. So wurde die linke Hand zum Symbol für alles Weib- liche. Die rechte Hand ist mit der linken Gehirnhälfte verbunden und die linke Hälfte ist männlich, daher wurde die rechte Hand zum Symbol für Männlichkeit. Man sagt, die Rechte ist richtig — und damit ist die Linke na- türlich falsch.

Ein Teil eures Verstandes funktioniert als Vernunft, Intellekt, Logik, Philosophie, Wissenschaft — die linke Gehirnhälfte. Die rechte Hälfte ar- beitet als Intuition, Poesie, Imagination, Träumerei und Religion. Beide existieren getrennt voneinander und sind nur durch eine schmale Brücke verbunden. Es kommt vor, daß diese Brücke durch einen Unfall zerstört wird, dann wird die Person gespalten, man wird zu zwei Personen.

Bei der Unio Mystica, der mystischen Vereinigung, wird die Brücke im- mer breiter und breiter, und es kommt ein Moment, in dem das Rechte nicht länger das Rechte ist und das Linke nicht länger das Linke. Sie liegen in tiefer Umarmung, sie sind eins geworden. Das ist der innere Liebesakt,

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von dem die Tantriker gesprochen haben: die innere Frau hat sich in den inneren Mann verliebt, und dann empfindet man eine überwältigende Se- ligkeit. Ein solcher Mann ist dann kein Mann mehr und eine solche Frau ist keine Frau mehr. Sie sind darüber hinausgegangen. Ein Mensch, der diese innere Begegnung und Vereinigung erlebt hat, wird ein mysteriöses We- sen.

Man kann die Menschheitsgeschichte in zwei verschiedene Strömun- gen aufteilen: In die Hinwendung zum Mond und die Hinwendung zur Sonne. Politiker, Soldaten und Kämpfernaturen wenden sich der Sonne zu; die Dichter, die Mystiker und alle »Lotus-Esser« gehören der Mondrich- tung an.

Im Sanskrit wird der Mond »Soma« genannt. Eure Mondhälfte ist psy- chedelisch und Aldous Huxley hatte sich ganz richtig eingestimmt, als er die größte aller Drogen »Soma« nannte. In den Veden ist häufig von Soma die Rede, aber niemand war bis heute in der Lage, herauszufinden, was es genau ist. Viele haben sich darum bemüht — der eine hat versucht, zu be- weisen, daß dies Soma sei, und der andere versucht zu beweisen, daß et- was anderes Soma sei. Man hat schon die verschiedensten Pilze auspro- biert, aber Soma ist weder ein Pilz noch Marihuana oder Haschisch. Soma ist eine innere psychedelische Droge und hat nichts mit der äußerlichen Chemie zu tun. Es ist ein Begriff der inneren Alchemie. Die Veden bezeich- nen Soma als Gott.

Etwas Äußerliches, etwas, das man sich von außen zuführt oder ein- spritzt, kann einem Illusionen machen, aber das sind, wie gesagt, alles Illu- sionen. Es ist dasselbe wie mit der Frau im Außen: sie kann nur eine Re- flektion der inneren Frau sein, und genauso können äußerliche Drogen, wie LSD und Psylocibin, nur ein Widerschein der inneren Droge sein. Die innere Droge ist die wahre Sache und alles was Allen Ginsberg da von sich gibt, ist vollkommen falsch. Er versucht zu beweisen, daß die äußere Dro- ge die innere Droge sei. Das ist falsch.

Vor ein paar Tagen wurde ich von einem jungen Mann gefragt: »Was hältst du von Haschisch, Bhagwan?« Ich sagte: »Zum ersten solltest du nicht so respektlos von Haschisch sprechen. Zeig ein bißchen Respekt. Um es mit Maharishi Mahesh Yogi zu reimen, kannst du es Maharishi Haschisch Yogi nennen, aber nur mit Hochachtung. Und wenn du kein Anhänger des Maharishi bist, und es auf Bhagwan Shree Rajneesh reimen willst,

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kannst du es Bhagwan Shree Haschisch nennen, aber sei ehrerbietig.«

In den Veden wird Soma Gott genannt, doch dabei ist vom inneren »Haschisch« die Rede. Das, was man in der Außenwelt, in den Fabriken herstellt, mag einen schwachen Widerschein davon erzeugen, aber es ist nicht die wirkliche Droge. Das Äußere ist ein Ersatz. Wenn man anfängt, nach innen zu gehen und die Begegnung von Mond und Sonne erlebt, wird Soma freigesetzt. Dann findet eine ungeheure Veränderung in dei- nem Wesen statt, du wirst vollkommen ruhig und gelassen... und natürlich unglaublich feinfühlig. Dann kannst du zum erstenmal hören und deine Augen werden zum erstenmal fähig, zu sehen und deine Hände werden feinfühlig genug, Berührungen zu empfinden. Zum erstenmal kannst du wirklich fühlen.

Der Mond leuchtet in meinem Körper, aber meine blinden Augen können ihn nicht sehen. Mond und Sonne sind in mir, die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit ertönt in mir, aber meine tauben Ohren können sie nicht hören.

Wir sind taub und blind. Das ist das wahre Problem. Das ist der Kern- punkt der Sache. Es ist keine Frage der Entsagung von irgendetwas oder der Flucht vor irgendetwas. Es geht darum, feinfühliger, bewußter und verständnisvoller zu werden, mehr zum unbeteiligten Beobachter seiner Handlungen zu werden. Und dann fließt eure beobachtende Aufmerk- samkeit in eure Augen und Ohren, in euren ganzen Körper. Also muß man, wie Kabir sagt — und ich sage es ebenfalls — nur eines tun, und das ist, aufhören zu schlafen. Lebt nicht so im Dämmerzustand dahin. Rüttelt euch wach und bringt etwas mehr Bewußtsein in euer Leben. Normaler- weise seid ihr nämlich andauernd eingeschlafen: manchmal mit offenen und manchmal mit geschlossenen Augen, aber ihr seid eingeschlafen! Und ihr findet immer irgendwelche vernünftigen Erklärungen für euren Schlaf.

Ich habe einmal gehört: Eines Tages faßte der junge Rabbiner Schmool endlich den Mut,

sich bei dem reichsten Mann in seiner Gemeinde zu beschweren: »Es tut mir aufrichtig leid, diese Sache zur Sprache bringen zu müssen, aber schlafen Sie denn jedesmal während meiner Predigt ein?« »Eh, nun«, war die beruhigende Antwort, »könnte ich etwa schlafen, wenn

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ich dir nicht trauen würde?«

Hier befinden sich auch eine ganze Menge Leute, die mir ein derartiges Vertrauen entgegenbringen, daß sie einschlafen. Sie vertrauen darauf: »Bhagwan wird schon das Richtige sagen, warum sollen wir uns also aufre- gen? Er sagt schon das Richtige, wir können ruhig schlafen.« Ihr geht wie die Schlafwandler durchs Leben. Denkt bloß nicht, daß ihr wach seid, nur weil ihr mit den Augen blinkt. Wachheit ist Intensität! Manchmal spürt ihr, was das ist; wenn ihr in großer Gefahr schwebt, im Auto sitzt und jeden Moment einen Unfall erwartet, werdet ihr wach. Dann werdet ihr bewußt! Dann wißt ihr, was Intensität ist. In solchen Augenblicken hört alles Den- ken auf, man ist nur mehr aufmerksam. Man funktioniert nicht mehr als ein Verstand, man funktioniert als ein Bewußtsein.

Der Sufi-Mystiker Bayazid sprach immer über Aufmerksamkeit und Wachheit und seine Jünger fragten ihn: »Aber was ist Aufmerksamkeit ei- gentlich? Du sprichst immer nur darüber...«. Also führte er sie eines Tages an die Klippen eines reißenden Flusses, an dessen Ufer sich zu jeder Seite eine hohe Steilwand befand. Er sagte: »Laßt uns ein langes Holzbrett, das nur einen Fuß breit ist, über den Fluß legen. Ihr müßt darübergehen und dann werdet ihr sehen, was Aufmerksamkeit ist.« Die Jünger sagten: »Aber wir sind doch unser Leben lang irgendwo entlanggegangen, ohne es jemals zu erfahren...« »Wartet nur ab,« sagte Bayazid und ließ sie das Experiment machen. Die meisten bekamen schon beim Anblick des Brettes Angst und sagten: »Über dieses Brett können wir nicht zur anderen Seite gehen, es ist nicht breit genug.« »Aber wie breit muß es denn sein, daß ihr darauf gehen könnt? Auf ebener Erde könnt ihr leicht auf einer Spur, die einen Fuß breit ist, entlanggehen. Warum — warum, um alles in der Welt, könnt ihr nicht auf einem fußbreiten Brett, das zwischen zwei Steilwänden hängt, entlang- gehen?« Ein paar der Jünger versuchten es. Sie wagten sich zwei, drei Me- ter hinaus, aber kehrten kann um und sagten: »Es ist zu gefährlich.« Dar- aufhin überquerte Bayazid den Fluß, gefolgt von ein paar Jüngern, und als sie das andere Ufer erreichten, fielen ihm die wenigen, die ihm gefolgt wa- ren, vor die Füße und sagten: »Meister, jetzt wissen wir, was Aufmerksam- keit ist! Die Gefahr war so groß, daß wir es uns einfach nicht erlauben konnten, im Halbschlaf über den Fluß zu gehen. Wir mußten wach blei- ben. Jeden Moment hätten wir in den Abgrund fallen können, so mußten wir einfach aufmerksam sein.«

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Ihr werdet nur in seltenen, gefahrenreichen Momenten aufmerksam — normalerweise seid ihr es nicht. Aufmerksamkeit bedeutet Intensität: eine solche Intensität der Wachheit, daß kein Gedanke dazwischenkommt. Man ist einfach bewußt, ohne jeden Gedanken. Versucht es einmal! Ihr könnt es an jedem beliebigen Ort ausprobieren. Wenn ihr die Straße ent- langgeht, dann geht, als würden überall Gefahren lauern. Und die Gefahr besteht auch wirklich, denn ihr könnt jeden Moment sterben; der Tod geht immer an eurer Seite! Wenn ihr ein bißchen einsichtiger werdet, wird auch das klar. Es ist unmöglich, nicht aufmerksam zu sein, wenn ihr einseht, daß ihr jeden Moment sterben könnt. Dann könnt ihr nicht wie Betrunke- ne im Vollrausch dahinleben.

Ein überarbeiteter Geschäftsmann legte sich dankbar in sein Washing- toner Hotelbett und hoffte auf einen ununterbrochenen, neunstündi- gen Schlaf. Um zwei Uhr Nachts wurde er jedoch durch lautes Klopfen geweckt. Ein halb bewußtloser Betrunkener stand vor der Tür und lall- te: »Das ist mein Zimmer! Machen Sie, daß Sie rauskommen!« Der Geschäftsmann brauchte zwanzig Minuten, bis er wieder einge- schlafen war, aber nach einer Stunde wurde er wiederum von dem Betrunkenen geweckt, der immer noch behauptete, daß dies sein Zimmer sei. Als der Trunkenbold ihn zum drittenmal geweckt hatte, platzte dem Geschäftsmann endgültig der Kragen, aber wiederum kam ihm der Trunkenbold zuvor: »Also Sie schon wieder!« schrie er. »Verdammt noch mal, haben Sie den jedes Zimmer in diesem Haus belegt?«

Die Leute torkeln betrunken durch die Gegend, ohne zu wissen, wohin sie gehen und warum sie gehen; ohne überhaupt zu wissen, daß sie gehen.

Ein Philosoph traf seinen Freund vor der Tür eines Psychiaters. Der Freund fragte: »Kommst du oder gehst du?«

»Wenn ich das wüßte, wäre ich nicht hier,« sagte der Philosoph, »was hätte ich dann bei einem Psychiater zu suchen?«

Kein Mensch weiß es wirklich. Wir sind alle tief eingeschlafen. Kabir sagt, daß wir wacher werden müssen.

Wenn ihr geht, dann geht mit Bewußtsein. Wenn ihr eßt, dann eßt mit

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Bewußtsein. Wenn ihr zuhört, dann hört mit Bewußtsein. Werdet immer aufmerksamer und wacher. Je aufmerksamer ihr seid, je intensiver eure Aufmerksamkeit wird, desto grundlegender verändert sich euer Leben. Und diese Veränderung wird nicht von euch herbeigeführt; sie widerfährt euch von selbst, als ein natürliches, spontanes Wachstum. Kabirs Weg wird Sahaj Samadhi Yoga genannt — der Weg spontaner Ekstase. Sahaj be- deutet Spontanität. Kabir ist kein Befürworter eines künstlichen, kultivier- ten Lebensstils. Werdet bewußt und laßt euer Leben aus dieser Bewußt- heit heraus die Form annehmen, die ihm gefällt. Seid einfach bewußt, dann habt ihr die Sache bei ihrer Wurzel gepackt. Und indem man die Wurzeln direkt in Angriff nimmt, verwandelt man den ganzen Baum. Es ist sinnlos, jedesmal nur ein einziges Blatt oder einen Ast zu beschneiden — mal die Wut, dann die Sexualität und dann die Habgier und noch tausen- dundein Blatt mehr. Warum das Ganze nicht gleich bei der Wurzel packen? Die Wurzel eines jeden Problems ist die Tatsache, daß ihr ein un- bewußtes Leben führt; und die grundlegende Veränderung wäre anzufan- gen, bewußt zu leben. Kabir ist gegen alle Unterdrückung. Entsagung wäre Unterdrückung.

Ich habe gehört: Die Demonstration entartete zum Krawall. Ein Priester entkam der

rasenden Menge mit einem halbohnmächtigen Mädchen in den Ar- men. »Hier, Euer Hochwürden«, sagte ein hilfsbereiter Polizist, »geben Sie das Mädchen mir, ich bringe sie in Sicherheit.« »Zum Teufel mit Ih- nen«, sagte der Priester, »holen Sie sich selber eine!«

Die Priester, die enthaltsamen Leute, die Brahmacharis, sind im Grunde alle kaputt. Da seid ihr weitaus besser dran, ihr seid wenigstens na- türlich. Aber diese Leute sind pervers. Unterdrückung führt zur Perversion, nicht zur Transformation. Und Entsagung kann nichts anderes, als Unter- drückung bedeuten.

Nein, Kabir ist nicht für irgendeine Form von Unterdrückung. Kabir sagt, daß man ein natürliches Leben führen soll und dazu nur eines tun muß: bewußter leben. Und dann geschehen die Veränderungen von selbst: Millionen von Dingen ändern sich, und ihr müßt diese Veränderun- gen nicht herstellen, denn sie kommen von selbst. Nur wenn eine Verän- derung von selbst geschieht, wird sie von Schönheit, Anmut und Eleganz begleitet. Wenn ihr euch etwas gewaltsam aufzwingt, wird es häßlich, es

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verkrüppelt euch und macht euch bewegungsunfähig. Und ihr könnt das eine ändern, aber früher oder später steht etwas anderes an seiner Stelle. Dadurch ändert man in Wirklichkeit nur den Namen des Problems.

Ich schlenderte einmal durch die Spielwarenabteilung eines Kaufhau- ses, in der Zeit der großen Sommerferien, als es aus dem Lautspre- cher tönte: »Mrs. Arthur Jones hat ihren siebenjährigen Sohn Spike verloren. Spike Jones möchte sich bitte sofort beim Aufsichtsbüro mel- den!«

Ein kleiner Junge, der gerade die elektrische Eisenbahnanlage ne- ben mir inspizierte, war von dieser Bekanntmachung sichtlich depri- miert. »Verdammt«, murmelte er, »ich bin schon wieder verloren«.

Ihr könnt das eine unterdrücken, nur um euch sofort in etwas anderem zu verlieren. Auf dieser Seite könnt ihr etwas verdrängen, aber auf der an- deren Seite verliert ihr euch wieder in etwas anderem. Auf diesem Wege kommt man nie nach Hause. Der einzige Weg nach Hause zu kommen, ist der Weg des Bewußtseins. Natürlich, spontan und bewußt. Laßt diese drei Worte zu Schlüsselworten werden, und ihr erfahrt einen gewaltigen Umbruch, eine Revolution, deren innerlicher Zeuge ihr sein werdet.

Kabir macht keine Vorschläge, wie ihr euch verbessern sollt. Alle Ver- besserungen sind im Grunde albern, weil ihr dabei dieselben bleibt. Hier und da ein wenig abgewandelt, hier und da ein wenig verschönert, aber ihr bleibt dieselben Menschen. Kabir gibt euch kein Programm, wie ihr euch verbessern könntet. Kabir gibt euch das radikale Rezept: Wie man transfor- miert wird, wie man vollständig verwandelt wird; wie man sich von allem Alten löst und stirbt und neugeboren wird, vollkommen neu, taufrisch und unberührt.

Seid natürlich, seid spontan, seid bewußt. Laßt diese drei Worte zum Schlüssel für alles werden. Es ist ein Meisterschlüssel, der alle Schlösser und Türen öffnen kann. Wenn ihr natürlich, spontan und bewußt gewor- den seid, könnt ihr die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit hören. Im Zen nennt man die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit »Der Klang von einer Hand, die klatscht.« In Indien nennt man es anahat nad, die unge- schlagene Trommel. Sie ertönt seit Anbeginn bis in alle Ewigkeit. Ihr Klang ist ewig. Die Welt ist voller Melodien, voller Musik, voller Harmonie und

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Ekstase. Wenn ihr nur einfach und natürlich werdet, seid ihr darauf einge- stimmt. Wenn ihr spontan seid, werdet ihr aufnahmefähig dafür. Wenn ihr bewußt werdet, könnt ihr es hören.

Gott ist überall, ringsumher; nur ihr seid nicht sensibel genug, ihn zu fühlen. Gott ist innen und außen, ihr müßt euch nur wachrütteln und zur Besinnung kommen. Ihr seid zuviel im Kopf! Steigt herab und benutzt eure Sinne wieder; werdet sensibler. Wenn ihr sensibler werdet, habt ihr eine Brücke zur Realität geschlagen. Ihr beginnt, mit der Wirklichkeit zu tanzen und zu singen und dadurch wird ein überwältigendes Gefühl der Seligkeit in euch geweckt. Nur dann könnt ihr Gott danken, niemals vorher. Nur dann fühlt ihr, wie dankbar ihr seid, wieviel euch gegeben wurde, ohne daß ihr es jemals richtig gewürdigt habt.

Diese Existenz ist phantastisch, sie ist wundervoll, sie ist unglaublich schön.

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Die erste Frage:

Was ist der Unterschied zwischen einem kristallisierten Selbst und einem großen, starken Ego?

ie sehen einander zwar ähnlich, sind aber letzten Endes so verschie- den, wie zwei Dinge nur sein können. Nicht nur verschieden, son-

dern einander genau entgegengesetzt. Das kristallisierte Selbst in kein Selbst. Überhaupt keins. Es wird »kristallisiertes Selbst« genannt, aber es ist schlicht und einfach kein Selbst. Und das große, starke Ego, ist weder groß noch stark. Es ist vollkommen hohl — wie kann es stark sein? Es ist ganz leer — wie kann es stark sein? Und wie kann es groß sein? Es ist weder groß noch stark, aber es enthält das Selbstgefühl, das Ich; das Gefühl, daß »ich bin«.

Das Ego ist das Selbst. Das wahre Selbst ist überhaupt kein Selbst. Und wir entwickeln das Ego nur, um die Tatsache zu verbergen, daß wir nicht wissen, wer wir sind. Es ist hart, zu sehen, daß wir derartig unwissend sind, was unser eigenes Wesen betrifft; daß wir uns selbst nicht kennen. Und um diese Unwissenheit zu verbergen, entwickeln wir das Ego. Das Ego ist eine

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Täuschung, mit der du dich umgibst. Es ist wirklich unglaublich schwer, oh- ne Selbstkenntnis zu leben, darum schaffen wir uns ein falsches Ich, das uns ein wenig tröstet: du fängst an zu glauben, daß du weißt, wer du bist. Aber es versteckt einfach nur deine Unwissenheit. Darum bestehen sämtli- che Religionen darauf, daß das Ego fallengelassen werden muß.

Wenn du das Ego fallenläßt und mit deinem inneren Wesen in Berüh- rung kommst, siehst du, daß es so grenzenlos weit ist, daß du es nicht als »Ich« bezeichnen kannst. Die Weite ist so unermeßlich, daß sie von kei- nem Konzept enthalten werden kann. Du kannst es nicht »Ich« nennen. Wie kannst du »Ich« dazu sagen? Das wirkliche Selbst, das wahre innere Wesen, ist Gott, es ist allumfassend.

Aber man muß ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten.

Zu Beginn der Reise nach innen sieht es so aus, als sei überhaupt nichts da. Das ist die Angst... Bei der ersten Begegnung sieht das All so aus, als wäre es Nichts. Aber wenn du dich in Einklang damit bringst, verschwindet diese Negativität allmählich und du beginnst, die positive Existenz des Alls zu fühlen. Dann wird es zu deiner Seele. Du kannst es Gott, das Sein oder irgendein Wort nennen, das dir gefällt — du kannst es »Erleuchtung« oder »Bewußtsein« nennen, aber eins steht fest: Du bist nicht da: Etwas ist da, etwas ungeheuer Vitales, Unendliches, aber du bist nicht da.

Das sieht paradox aus: Wenn du erkennst, wer du bist, bist du nicht da, und wenn du nicht weißt, wer du bist, bist du da. Du existierst nur in deiner Unwissenheit. Wenn dir das wahre Wissen zuteil geworden ist, wenn du es erkannt hast, verschwindest du. Du verschwindest, wie die Dunkelheit beim Aufgang der Sonne. Dein Ich verschindet wie die Dunkelheit, wenn das Bewußtsein aufgeht. Das Bewußtsein gehört dir nicht, es hat nichts mit dir zu tun, du stellst in der Tat ein Hindernis für das Bewußtsein dar. We- gen dir taucht es nicht auf.

Manche Leute kommen zu mir und sagen: »Bhagwan, ich möchte ger- ne erleuchtet werden«, und dann sage ich: »Das geht nicht, das ist unmög- lich. Da kann ich euch nicht helfen.« Und dann fragen sie: »Wieso? Warum kannst du uns denn nicht helfen?« Und ich antworte: »Ihr stellt von vorn- herein eine unmögliche Bedingung. Ihr sagt: Ich möchte erleuchtet wer- den. Dieses Ich ist die Barriere. Dieses Ich hindert euch daran, eure Er- leuchtung zu erkennen, die schon längst vorhanden ist. Das Ich wird nie- mals erleuchtet, das Ich ist der unerleuchtete Zustand. Das Ich ist die Dun- kelheit.«

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Erleuchtung ist möglich, aber erst dann, wenn du bereit bist, dich selbst zu verlieren. Das ist die Bedeutung der Worte Jesu, wenn er sagt: »Im Ver- lust liegt der Gewinn. Wenn du nicht alles verlierst, hast du verloren.«

Im Verlust liegt der Gewinn. Im Vergessen liegt die Erinnerung. In dei- ner Auflösung kristallisierst du dich.

Das kristallisierte Selbst ist ein Nicht-Selbst. Es ist allumfassend. Und das große starke Ego ist ganz kleinwinzig und überhaupt nicht groß. Das Winzigste auf der Welt ist das Ego, und das Hohlste auf der Welt ist das Ego, und das Schwächste auf der Welt ist das Ego, denn es ist das Unech- teste, was es gibt. Es existiert nicht; es ist eine Täuschung.

Die zweite Frage:

Würdest du mir bitte erklären, was »der Weg der Religion« bedeutet? Ich war schon immer so ausgesprochen gegen die Religion, daß ich mir ein- fach nicht vorstellen kann, was es bedeutet. Aber wie dem auch sei, ich nehme an, es ist der Weg des totalen Alleinseins, und das gibt mir ein ungu- tes Gefühl. Seitdem du mir Sannyas gegeben hast, komme ich mir vor wie in einem Abgrund, andere Leute sind unerreichbar für mich. Ich lebe nur wie ge- bannt von dem Feuer deiner Augen — eine sagenhafte Poonalegende.

Richtig, ich rufe eine Legende hier ins Leben. Die Legende vom Mei- ster und vom Jünger, die Legende vom Gott und dem Verehrer Gottes. Es ist tatsächlich ein Mythos, aber äußerst lebendig. Um zur Wahrheit zu ge- langen, gibt es keinen anderen Weg, man muß durch die Welt der Mythen gehen. Der Mensch ist in Lügen verstrickt, verloren, und von der Lüge

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führt kein direkter Weg zur Wahrheit. Der Mythos ist eine Brücke, die die Lüge mit der Wahrheit verbindet. Ein Mythos besteht zum Teil aus Lügen und zum Teil aus Wahrheiten; er bildet eine Brücke.

Ja, du hast recht. Es ist eine sagenhafte Poona-Legende. Alles, was hier geschieht ist frei erfunden — diese Leute in orange und all die verrück- ten Sachen, die passieren — und ich führe euch... und führe euch ins Nie- mandsland und verspreche euch Dinge, die man nicht versprechen kann.

Der Mensch lebt in Lügen; Gott lebt als die Wahrheit — aber wie soll man die beiden in Verbindung bringen? Der Mensch als solcher ist eine Lü- ge; Gott ist die Wahrheit — wie soll man die beiden in Verbindung brin- gen? Es ist schier unmöglich. ... es geht nur über den Mythos, mit Hilfe ei- nes Märchens, ja, einer spirituellen Legende. Alle Religionen sind Legen- den, alle Mythologien sind Legenden, aber sie sind ungeheuer hilfreich. Ein paar Elemente der Wahrheit sind immer im Mythos enthalten — und sei es auch nur ein schwacher Widerschein — und immer ein paar Elemen- te der Lüge. Durch ein Leben im Mythos kannst du dich auf den Weg zur Wahrheit machen.

Wenn du an einem lebendigen Mythos teilhaben kannst, dann sieh zu, daß du die Gelegenheit nicht versäumst, denn ein toter Mythos verliert jeg- lichen Kontakt mit der Wahrheit. Ein toter Mythos wird wieder zur Lüge. Das ist der Grund, warum wahre Religion immer wieder neu geboren wer- den muß. Solange Jesus lebte, war der christliche Mythos lebendig; da- mals gingen die Menschen durch diesen Mythos und gelangten zur Wahr- heit. Seitdem Jesus nicht mehr lebt, gibt es nur noch den Mythos; die Wahrheit ist nicht mehr zugänglich. Und wenn nur der Mythos noch übrig ist, dann fehlt das andere Ufer; dann wird das Ganze wieder zur Lüge, zu einer Legende, die nicht länger mit der Wahrheit in Verbindung steht.

Das Christentum ist eine Lüge, Jesus ist ein Mythos. Krishna ist ein Mythos, der Hinduismus hingegen eine Lüge. Deshalb wurde über alle Jahrhunderte hinweg immer wieder betont, daß man die Gelegenheit nicht versäumen darf, wenn man einen lebenden Meister gefunden hat. Ein lebender Meister ist ein Mythos. In sich vereinigt er etwas von beidem, dem Wahren und dem Unwahren. Etwas vom Unwahren heißt, etwas vom Menschlichen und etwas vom Wahren bedeutet, etwas vom Göttli- chen. Deshalb wird Jesus im Evangelium sowohl als der Menschensohn, als auch der Sohn Gottes bezeichnet. Das ist ein Mythos. Eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, gleichzeitig der Menschensohn und der Sohn

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Gottes zu sein — aber das macht es zu einem Mythos. Wenn Gott und Mensch einander begegnen, der Sohn Gottes und der Sohn eines Men- schen: etwas von der Lüge und etwas von der Wahrheit.

Aber wenn Jesus nicht mehr ist, bleiben nur noch die Lügen. Der Papst ist kein Mythos und der Shankaracharya von Puri ebensowenig, diese Leu- te sind tot. Sie sprechen nicht aus ihrer eigenen Erfahrung, sie wiederho- len, was die Überlieferung erzählt.

Ein Mythos ist eine sehr zarte Blume, so zart wie die Blüte einer Rose. Am Morgen blüht sie in all ihrer Herrlichkeit, so daß selbst König Salomon mit Neid erfüllt wird, und am Abend ist sie verwelkt. Wie zart und gleichzei- tig — wie stark! Wie stark sie war im Morgenwind und wie wunderschön! Selbst der weite Himmel muß sie beneidet haben; die Sonne selbst muß neidisch gewesen sein. Eine Rosenblüte ist nichts weiter als eine Rosenblüte — winzig klein und doch so herrlich; so zart und verwundbar, so kraftvoll und lebendig und von einem solchen Duft erfüllt. Und wenn der Abend gekommen ist, sind ihre Blütenblätter zur Erde gefallen und die Blume ist verwelkt.

Ein Mensch wie Jesus und Buddha ist genauso zart, genauso verwund- bar.

Solange ich hier bin, existiert ein Mythos auf der Erde, ein lebendiger Mythos mit einem Herzen, das schlägt. Nutzt diese Gelegenheit! Wenn ich nicht mehr bin, wird alles wieder zur Lüge.

Und das ist das Unglück: Bis die Leute davon erfahren haben, ist die Blume verwelkt. Wenn die Blume nicht mehr am Leben ist, wird sie noch jahrhundertelang vergöttert und verehrt, und damit wird die Vergangen- heit, das Tote, das Grab verehrt. Solange die Blume am Leben ist, wird sie verleugnet, die Leute laufen davon, sie schützen sich, sie wehren sich. Sie gehen sogar so weit, daß sie die Blume vernichten, weil das bloße Vorhan- densein der lebenden Blume sie deprimiert. Die bloße Tatsache, daß et- was so Schönes, wie die Blume existiert, macht ihnen ihre Winzigkeit und Häßlichkeit bewußt, denn durch die lebende Blume wird der Kontrast deutlich. Darum kreuzigen sie Jesus, vergiften Sokrates und ermorden Mansoor. Und danach beten sie sie an. Dieselben Leute, die Jesus umbrin- gen, beten ihn dann später an. Sie verehren das Kreuz, weil Jesus an ih- rem Kreuz starb — und das sind die Leute, die ihn umgebracht haben! Die Mörder und die Anbeter unterscheiden sich überhaupt nicht voneinander.

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Die Feinde und die Gläubigen sind nicht verschieden voneinander. Es sind dieselben Leute, derselbe menschliche Verstand, dieselbe menschliche Dummheit.

Ja, es ist eine Legende, die hier von mir geschaffen wird, aber sie lebt, das ist der Unterschied. Solange ich hier bin, ist der Mythos eine lebende Brücke, auf der du zum unbekannten Ufer hinüberschreiten kannst.

Der Fragesteller fragte: »Was verstehst du unter dem »Weg der Reli- gion«? Ich war schon immer so ausgesprochen gegen die Religion, daß ich mir nicht vorstellen kann, was es bedeutet.«

Genau, wie kannst du es auch verstehen, wenn du gegen die Religion bist? Und wenn du für die Religion bist, kannst du es genausowenig verste- hen. Leute, die für oder gegen etwas sind, können es niemals verstehen, weil sie a priori schon eine Entscheidung getroffen haben. Ohne es über- haupt erfahren zu haben, sind sie schon überzeugt. Sie haben Vorurteile.

Wenn du beschlossen hast, daß es Gott gibt, wirst du niemals imstande sein, ihn zu erfahren. Und wenn du beschlossen hast, daß Gott nicht exi- stiert, kannst du ihn genausowenig erfahren. Sei etwas offener. Sei nicht so voller Vorurteile. Triff keine Entscheidungen im voraus. Mach die Erfah- rung, und laß die Erfahrung entscheiden. Entscheide dich niemals, bevor du etwas erfahren hast. Niemals, niemals! Sonst bist du ständig von deinem Vorurteil erfüllt, und dieses Vorurteil wird zu einer Trennwand, die dir nicht erlaubt, zu sehen, was ist.

»Der Weg der Religion« ist der Weg der Wahrheit, der Weg der Natur. Das Wort »Religion« stammt aus einer Wurzel, die »zusammenbringen« be- deutet — religare. Normalerweise seid ihr aus der Existenz herausgefallen. Ihr habt vergessen, daß ihr euch nicht mehr in Einklang mit der Existenz befindet und begonnen, eure eigenen Wege zu gehen. Ihr habt den Kon- takt mit der Realität verloren und angefangen, in eurer Phantasie zu leben. Das ist es, was ich als die Lüge bezeichne. Ihr habt begonnen, ein privates Leben zu führen; ihr lebt nicht länger im Existentiellen. Ihr seid »Idioten« geworden. Das Wort »Idiot« ist sehr schön; es bedeutet ursprünglich: einer, der ein privates Leben führt. Einer, der seinem eigenen Lebensidiom nach- hängt, ist ein Idiot. Die Welt geht in die eine Richtung und du gehst in eine andere — dann bist du ein Idiot. Die gesamte Existenz bewegt sich in eine bestimmte Richtung und du hast dein eigenes Privatziel.

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Ein Mensch, der hinter dem Geld her ist, ist ein Idiot, denn die Sonne ist nicht hinter dem Geld her, der Mond ist nicht hinter dem Geld her, die Bäume sind nicht hinter dem Geld her, die Flüsse, die Berge, sind samt und sonders nicht so idiotisch. Die gesamte Existenz lebt ohne Geld, und der Mensch ist wie verrückt hinter dem Geld her... Er leidet unter schwerer Idiotie, der schlimmsten Krankheit, die es gibt. Er hat ein privates Ziel. Wenn er Gort eines Tages gegenübertritt und Gott ihn fragt: »Wonach hast du gestrebt?« und er antwortet: »Nach Geld«, wird Gott nicht fähig sein, zu begreifen, was er mit »Geld« wohl meint. Es wird nicht leicht sein, ihm das klarzumachen. Irgendein großer Wirtschaftsexperte — Adam Smith oder Ricardo oder Galbraith oder sonst jemand, wäre vielleicht dazu imstande, aber ich bezweifele es. Gott wird nicht begreifen können, was Geld ist. Die gesamte Existenz kommt ohne Geld aus. Der Mensch hat eine Idiotie in die Welt gesetzt.

Oder du sagst: »Ich war hinter politischer Macht her«, dann kann Gott das genausowenig verstehen. Du wirst ihm kaum klarmachen können, daß du Minister oder Premierminister oder Präsident werden wolltest. Dann fragt er: »Wozu? Warum, um alles in der Welt, sollte man jemals machtgierig werden? Ich habe dir doch all die Macht gegeben, die du brauchst, und alle erdenklichen Möglichkeiten, selig und froh zu sein. Wo- für hast du diese Gelegenheiten dein Leben lang versäumt? Warum hast du das alles für etwas Blödsinniges, Dummes geopfert? Weil du unbedingt auf einem Thron sitzen wolltest?« Denkt nur an eure Kaiser und Könige — wie dumm, wie absolut blödsinnig! Aber der Mensch hat sich seine Idiotien geschaffen.

»Der Weg der Religion« bedeutet, nicht idiotisch zu sein, kein privates Ziel zu haben. Das universale Ziel genügt. Kommt damit in Einklang, schwingt damit zusammen. Kämpft nicht dagegen, sondern fließt mit ihm. Wo auch immer die Gesamtheit hingeht, geht mit; und ihr werdet niemals irgendwelche Sorgen haben, und ihr werdet keine Qualen erleiden und nicht aufgespalten, ihr werdet nicht zerrissen sein. Religion bedeutet: das, was dich zusammenfügt. Du wirst nicht in Stücke zerrissen, du fällst nicht in Einzelteile auseinander, du wirst zu einer Ganzheit.

Religion ist die Wissenschaft der Wiederentdeckung der vergessenen Sprache der Ekstase. Immer, wenn du im Einklang mit der Existenz bist, bist du ekstatisch, du wirst mit Seligkeit erfüllt und fühlst dich begnadet.

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Das geschieht auch dir manchmal. Vielleicht bist du dir dessen gar nicht bewußt. Manchmal, wenn du die Bäume anschaust, erfüllt dich ihr Grün; auf einmal bist du im Einklang mit den Bäumen. Du bist nicht länger der Betrachter, und die Bäume sind nicht länger das Betrachtete. Du bist nicht getrennt. Etwas verbindet dich; plötzlich ist ein Kontakt entstanden, eine Verbundenheit, eine Brücke. Dein Verstand hört auf, zu plappern; du bist so still wie die Bäume und fängst an, wirklich zu fühlen. Dein Herz pulsiert mit neuer Lebendigkeit und einer neuen Schwingung — und du bist selig. Du bist vollkommen zufrieden und erfüllt.

Dabei hat dir der Baum gar nichts gegeben. Ein Baum ist in dieser Hin- sicht sehr arm. Was kann ein Baum einem Menschen schon geben? Er kann dir kein Geld und keine Macht verschaffen. Er kann dir überhaupt nichts von dem geben, was du gerne hättest; und trotzdem — du sitzt nur einfach an seiner Seite und lehnst dich gegen seinen Stamm, fühlst, wie der Saft in seinem Inneren aufsteigt und atmest den Duft, der ihn ringsum- her wie ein Hauch umgibt — und auf einmal bist du selbstvergessen, du bist ekstatisch, du bist im Einklang. Und dadurch, daß du im Einklang mit dem Baum bist, kommst du in Einklang mit dem ganzen Universum.

Manchmal sitzt du am Flußufer und betrachtest den Fluß und alles wird ruhig und still. Nicht, daß du etwas tust, um ruhig und still zu werden — niemand kann irgendetwas dazu tun — und wenn, dann wäre es ab- surd. Du kannst so regungslos wie eine Buddhastatue dasitzen, aber das nützt dir gar nichts...

Ein Jünger kam zu Bokoju und setzte sich, um ihn zu beeindrucken, wie ein Buddha im Lotussitz hin. Bokoju betrat den Tempel, und der Jün- ger saß vollkommen unbeweglich mit geschlossenen Augen da. Da lachte Bokoju laut, gab ihm eine schallende Ohrfeige und sagte: »Steh auf, du Dummkopf, wir haben sowieso schon zu viele Buddhas in diesem Tempel! Mach, daß du fortkommst! Hast du denn keine Augen im Kopf?« Bokoju bewohnte einen Tempel mit vielen Buddhastatuen. Er sagte: »Hast du denn keine Augen im Kopf? Hier haben wir nun tausend Buddhas und du willst auch einer werden?«

Der Jünger war sehr schockiert. Er hatte den Meister beeindrucken und ihm zeigen wollen, daß »ich ein großer Meditierer bin«. Und Bokoju sagte: »Laß den ganzen Unsinn. Sei lebendig. Tu nicht so, als ob, und versuch nicht, etwas zu erzwingen. Ja, eines Tages sitzt du wie ein Buddha da, aber

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das ist dann nicht dein Tun. Es kommt über dich, es geschieht von selbst. Es ist überhaupt keine Handlung.«

Wenn du dem Rauschen des Wassers zuhörst, oder die schwebenden Wolken am Himmel betrachtest, passiert es auf einmal. Es umhüllt dich, überkommt dich; du bist im Einklang mit der Existenz. Durch diese selte- nen Momente wird dir allmählich bewußt, warum du so ein elendes Leben führst. Du bist unglücklich, weil du nicht mit der Existenz zusammen- schwingst. Auf irgendeine Weise kämpfst du dagegen. Du bist unglücklich, weil du dich nicht der Gesamtheit der Existenz unterordnest. Ein einzelner Teil will die Gesamtheit erobern — erkennt die Dummheit dieses Strebens!

Selbst ein Mann wie Bertrand Russell schreibt ein Buch mit dem Titel: »Die Erorberung der Natur«. Eroberung? Ihr versucht, die Natur zu ero- bern? Wer seid ihr denn? Das ist, als wollte einer meiner Finger versuchen, mich zu erobern. Wir sind ein Teil der Natur, wir sind die Natur; Aus- drucksformen derselben Natur, derselben Unermeßlichkeit. Wie sollten wir sie erobern? Wie kann ein Teil sich die Gesamtheit Untertan machen? Der Teil kann nur unglücklich werden, wenn er versucht, das Ganze zu er- obern, denn seine Niederlage ist gewiß — absolut gewiß. Er kann nur fru- striert werden, das steht fest. Der Teil wird leiden müssen. Ihr müßt leiden, ihr lebt in Qualen, in Angst und Verkrampfung und werdet nahezu neuro- tisch davon, weil ihr versucht, die Natur zu erobern.

Der Osten verkündet eine völlig andere Betschaft. Die Betschaft des Ostens ist Religiosität. Alle großen Religionen wurden im Osten geboren. Der Westen hat keine einzige Religion hervorgebracht. Er hat großartige Wis- senschaften hervorgebracht, großartige wissenschaftliche Forschungen un- ternommen , aber keine Religion geboren. Wissenschaft ist ein menschliches, ein idiotisches Streben, die Natur zu erobern. Religion bedeutet, im Ein- klang mit der Natur zu sein. Nennt es Religion, nennt es Tao, nennt es Dhar- ma — es bedeutet alles das gleiche: in Einklang mit der Natur zu kommen.

Aber das wird dir schwerfallen, wenn dir bestimmte Ansichten dafür oder dagegen eingepflanzt worden sind. Ein Christ kann kein religiöser Mensch werden, genausowenig wie ein Hindu oder Kommunist. Weder kann ein Gläubiger religiös sein, noch kann ein Ungläubiger religiös sein, denn sie sind von Anfang an voll von ihren eigenen Ideen. Sie haben sich

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schon entschieden, ohne die geringste eigene Erfahrung gemacht zu ha- ben.

Hier geht es mir nicht darum, dich von irgendeiner Ideologie zu über- zeugen. Ich versuche dir zu helfen, sämtliche Ideologien fallenzulassen, so daß du leer und rein wirst — jungfräulich — so daß deine Augen wieder ungetrübt blicken können und du Klarheit gewinnst. In dieser Klarheit wirst du verstehen, was Religion ist. Nicht durch Bücher, nicht durch Bibeln und den Koran und die Veden, nein, durch Klarheit. Wenn der Teil das Ganze betrachtet und erkennt, daß »ich ein Teil dieser Gesamtheit bin« und dar- über glücklich ist — »diese unermeßliche Weite ist meine unermeßliche Weite; ich bin nicht davon getrennt; ich bin eins damit« — und mit dieser Einheit zu tanzen beginnt, dann ist Religion geboren worden. Religion ist keine Ideologie, sondern Erfahrung.

»Aber wie dem auch sei, ich nehme an, es ist der Weg des totalen Al- leinseins.«

Bitte, fang nicht an, irgendetwas anzunehmen. Religion ist keine An- nahme. Es ist kein »Wenn« oder »Aber«. Nein. Entweder du hast es erfah- ren, oder du hast es nicht erfahren. Bitte, hab keine Vermutungen. Wie kannst du etwas vermuten? »Aber wie dem auch sei, ich nehme an...« Wa- rum? Wie kannst du etwas annehmen? Wenn du es nicht weißt, dann weißt du es nicht. Die Annahme gibt dir ein Gefühl fälschlichen Wissens — als ob du es wüßtest.

Hör auf, Vermutungen anzustellen. Sieh einfach, daß du es nicht weißt und verbleibe in dieser reinen Unwissenheit. Wenn du es in dieser Unwissenheit aushaken kannst — wozu der größte Mut gehört... Wissen ist billige Ware. In Unwissenheit zu verbleiben ist eine außerordentlich mu- tige Haltung. Es gibt nur sehr wenige Leute, die wagen, unwissend zu blei- ben, ohne irgendetwas zu vermuten, denn der Verstand sehnt sich da- nach, sich an irgendetwas festzuhalten, irgendetwas zu vermuten. Er ver- mutet, daß es Gott gibt, und hält sich daran fest, und wenn er vermutet, daß es keinen Gott gibt, dann bleibt er bei der Meinung, daß es keinen Gott gibt — dann hältst du dich an dem nichtvorhandenen Gott fest. Selbst ein negatives Konzept erfüllt den Zweck. — Aber gar kein Konzept? Dann fühlst du dich leer: also tankst du dich voll, du stopfst dich mit Vermutun- gen voll.

Nein, auf diese Weise wirst du niemals herausfinden, was wahr ist. Die Wahrheit ist keine Vermutung. Wenn du überhaupt nichts vermutest, eröff-

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net sie sich dir.

Alles, was du vermutest, ist deine Vermutung. Es reflektiert deinen Verstand — und du weißt es ja nicht. Kannst du die simple Tatsache nicht erkennen, daß deine Vermutung eine chinesische Mauer bildet? Wie kannst du etwas vermuten? Erkenne einfach die Tatsache, daß »ich es nicht weiß«.

Sei ein Agnostiker, das ist ein sicherer Schritt in Richtung Religion. Ag- nostizismus ist die Basis aller Religion. Ein religiöser Mensch nimmt immer eine agnostische Haltung ein. Er sagt: »Ich weiß weder das eine, noch das andere, und bin nicht so dumm, irgendetwas anzunehmen. Ich werde in meiner Unwissenheit verharren und mich umschauen, ob ich irgendwelche Erfahrungen mache. Ich möchte offen und empfänglich bleiben, damit nichts verzerrt wird.

»Aber wie dem auch sei, ich nehme an, es ist der Weg des totalen Al- leinseins.«

Was auch immer du annimmst, kann nur falsch sein. Selbst das Wort »Alleinsein« ist verkehrt, denn in Wirklichkeit meinst du »Einsamsein«. Du meinst nicht »Alleinsein«, das kannst du gar nicht meinen — und Alleinsein ist etwas völlig anderes als Einsamsein. Einsamsein heißt, daß du den an- deren vermißt. Alleinsein heißt, daß du dich mit dir selbst wohlfühlst. Das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Einsamkeit ist ein elender, unglücklicher Zustand. Alleinsein ist ekstatisch. Wenn du glücklich mit dir selbst bist, wenn du dich selbst zutiefst liebst, wenn dein Alleinsein dich so völlig ausfüllt, wie eine Gegenwart, dann, nur dann ist es Alleinsein. Wenn du leer, ausgebrannt und grau bist, wenn du den anderen vermißt und dich mit irgendetwas vollstopfen möchtest...

Alleingelassen, gehen die Leute an den Kühlschrank und fangen an zu essen. Oder sie stellen den Fernseher oder das Radio an. Oder sie lesen die Zeitung, die sie schon dreimal seit dem Morgen durchgelesen haben, noch einmal durch. Oder sie denken darüber nach, wo sie hingehen könnten, ins Kino, in ein Konzert, oder einkaufen gehen, aber sie müssen unbedingt etwas tun.

Einsamsein ist unerträglich. Es ist eine Qual, eine Hölle. Doch Allein- sein hat eine Schönheit. Es ist ein so unberührter Moment des vollkomme- nen Glücks, daß nichts damit vergleichbar ist. In diesem ganzen Leben gibt es nichts, was mit der Schönheit und dem Segensreichtum des Alleinseins

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vergleichbar wäre.

Wenn du alleine bist, bist du ein Gott. Wenn du einsam bist, bist du gar nichts, nur leer und hohl, wie ein schwarzes Loch. Deshalb sagst du: »Aber wie dem auch sei, ich nehme an, es ist der Weg des totalen Alleinseins«.

Du hast weder eine Ahnung, was Alleinsein ist, noch was Totalität ist, denn wenn du Totalität erfahren hast, hast du Gott erfahren. Totalität ist das, worum es bei »Gott« nämlich die ganze Zeit geht. Die Totalsumme der gesamten Existenz ist Gott. Wir können das Wort »Gott« auch beiseite las- sen. Nennt es »Totalität«, das genügt — und ist sogar besser als »Gott«, weil »Gott« zu lange von den falschen Leuten in den Mund genommen wurde. Die Politiker und die Priester reden alle immer von »Gott«...

»Gott« hat auf so vielen falschen Zungen gelegen, daß es beinahe ein Schimpfwort geworden ist. »Totalität« ist besser — das Ganze. Aber du weißt nicht, was »total« ist. Du kennst nur dich selbst, das Ego. Das Ego ist gegen alles Totale, es fürchtet Totalität. Hingabe gibt dir die Erfahrung der Totalität.

Und vergiß nicht — »... und das gibt mir ein ungutes Gefühl« — des- halb sage ist, daß du nicht annehmen kannst, daß es sich um Alleinsein handelt, denn Alleinsein gibt niemandem jemals ein ungutes Gefühl. Es macht einen so überglücklcih und ekstatisch, daß du es dir in deinen kühn- sten Träumen nicht vorstellen kannst. Ein Buddha ist allein, ein Mahavir ist allein, ein Kabir ist allein — allein selbst inmitten der Menge. Niemand kann ihr Alleinsein zerstören, ihr Alleinsein ist ein kristallisierter Zustand.

Versuche das zu verstehen: Du wirst allein geboren; du stirbst allein. Das sind die zwei größten Momente im Leben: Die Geburt und der Tod. Du wirst allein geboren; du stirbst allein. Die größten Augenblicke des Le- bens, der Anfang und das Ende, sind Augenblicke des Alleinseins. Wenn man meditiert, geht man wieder ins Alleinsein. Darum ist die Meditation beides, ein Tod und eine Geburt. Man stirbt allem Vergangenen und wird dem Neuen, dem Unbekannten geboren.

Selbst in der Liebe, wenn ihr meint, mit jemandem zusammen zu sein, seid ihr nicht zusammen. Zwei »Alleinheiten« sind zusammen. In wahrer Liebe verliert man sich nicht. Wenn zwei Liebende zusammensitzen — so- fern sie sich wirklich lieben und nicht versuchen, sich gegenseitig zu besit- zen, und nicht versuchen, sich gegenseitig zu beherrschen — denn das ist

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keine Liebe, das ist eine Art von Haß, eine Art von Gewalttätigkeit — wenn sie sich wirklich lieben und die Liebe sich aus ihrem Alleinsein entfal- tet, dann sieht man zwei wunderschöne »Alleinheiten« beieinander sitzen: wie zwei Gipfel des Himalajagebirges, hoch in der Luft, doch getrennt voneinander. Sie überkreuzen sich nicht. In der Tat, eine tiefe Liebe offen- bart dir nur dein reines Alleinsein.

Alles Wahre und alles Wirkliche stößt dich immer auf dein Alleinsein. Aber du hast Angst und sagst, es gibt dir ein ungutes Gefühl...

Es gibt ein paar Dinge, die man nur allein erleben kann. Liebe, tiefe Andacht, leben, sterben, ästhetische Erlebnisse, selige Momente — all das widerfährt dir nur, wenn du alleine bist. Wenn du jemanden liebst, meinst du, du seist mit jemandem zusammen, aber vielleicht reflektiert dieser an- dere nur dein Alleinsein; der andere ist nur ein Spiegel, in dem sich dein Alleinsein widerspiegelt. Je tiefer du in die Liebe hineingehst, desto klarer wird dir, daß selbst dein Geliebter nicht bis dorthin vordringen kann. Dein Alleinsein ist etwas Absolutes. Und es ist gut, daß es so ist, sonst wärst du ein öffentlicher Gebrauchsgegenstand. Dann hättest du keinen urinnersten Kern, in dem es nur dich allein gibt. Dann könnte man dich brechen, ver- gewaltigen. Aber dein Alleinsein ist etwas Absolutes und kann von nieman- dem gebrochen werden.

Du kannst mich umbringen, aber du kannst mein Alleinsein nicht ver- nichten. Das ist meine Freiheit. Du kannst mich gefangennehmen, aber mein urinneres Alleinsein kannst du nicht gefangennehmen. Selbst in ei- nem eurer Gefängnisse wäre ich allein. Alleinsein ist meine urinnerste Na- tur, die niemals zerstört werden kann und die mir von keinem genommen werden kann.

Laßt mich eine Anekdote erzählen, damit es nicht zu ernst wird:

Susi traf ihre Freundin Liesel eines Nachmittags auf der Straße und mußte neiderfüllt feststellen, daß Liesel hochschwanger war. »Ach weißt du«, sagte Susi, »ich würde ja alles auf der Welt geben, um ein Baby zu bekommen, aber ich fürchte, es ist hoffnungslos«.

»Ich kann es dir nachfühlen«, sagte Liesel. »Mein Mann war auch so einer. Aber jetzt ist alles in Ordnung. Ich bin tatsächlich im achten Monat.«

»Was hast du denn gemacht?« »Ich bin zu einem Wunderheiler gegangen.« »Ach, das haben wir auch gemacht,« seufzte Susi.

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»Mein Mann und ich sind sechs Monate lang zu einem Wunderhei- ler gegangen.«

»Seid doch nicht blöd«, winkte Liesel ab, »geh allein«.

Es gibt ein paar Dinge, zu denen man alleine hingehen muß. Medita- tion ist eines dieser Dinge; Gott ist eines dieser Dinge; der Tod ist eines die- ser Dinge — man muß alleine gehen.

Aber der Fragesteller hat ein ungutes Gefühl, weil es eben nur eine Vermutung ist. Eine Vermutung ist eine Vermutung und hilft einem nicht, die Sache zu verstehen; sie hindert einen daran.

»Seitdem du mir Sannyas gegeben hast, komme ich mir vor, wie in ei- nem Abgrund.«

Ganz genau. Das ist es, was Sannyas ist. Sannyas bedeutet nichts anderes, als euch in euren inneren Abgrund zu schleudern und euch alles wegzunehmen, woran ihr festhaltet; euch alles wegzunehmen, was ihr be- sitzt; euch eure ureigenste Besitzgier zu nehmen. Sannyas ist ein Weg via negativa. Ich höre nicht auf, euch Dinge wegzunehmen — euer Denken, eure Ideologie, eure Religion, eure Kirche, eure Bibel und euren Koran. Ich nehme euch nach und nach alles weg und lasse euch allein — euch ist alles genommen worden und nun kommt ihr euch vor wie in einem Ab- grund. Aber dieser Abgrund ist nur eine Übergangszeit.

Du kommst dir vor, wie in einem Abgrund, weil du dich nun an nichts mehr klammem kannst. Entspanne dich, ruhe dich in diesem Abgrund aus... und auf einmal verändert sich deine ganze Sichtweise. Dann weißt du, dieser Abgrund ist dein Wesen und es ist nicht notwendig, sich an ir- gendetwas festzuhalten. Das bist du — diese innere Stille ist dein Wesen. Diese innere Gedankenlosigkeit ist dein Wesen. Dieses Alleinsein ist nicht etwas, das man fürchten muß; dieses Alleinsein muß ausgekostet werden, gut durchgekaut und verdaut werden. Und du wirst sehen: aus diesem Al- leinsein heraus steigt Seligkeit auf. Glückseligkeit entfaltet sich...

Aber man muß durch eine Übergangszeit gehen, in der man nicht mehr in der Lage ist, sich an irgendetwas zu klammern, und in der man nicht weiß, was geschehen wird. Man steht genau zwischen zwei Welten. Die christlichen Mystiker haben dieser Zeit den richtigen Namen gegeben, sie nennen sie: »Die schwarze Nacht der Seele«. Das alte Licht ist erloschen

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und das neue ist noch nicht aufgegangen. Es ist etwa so, als kämst du von draußen aus der Hitze der brennenden Sonne ins Haus hinein und deine Augen sind geblendet, du kannst überhaupt nichts sehen. Der Raum scheint völlig dunkel zu sein. Dann setzt du dich hin und ruhst dich ein Weilchen aus und allmählich verschwindet die Dunkelheit. Deine Augen haben sich daran gewöhnt, deine Sichtweise verlagert sich, und jetzt kannst du sehen, du bist nicht länger geblendet.

Du hast ungezählte Leben draußen in der heißen Sonne verbracht. Du hast ein elendes Leben geführt — immer und immer wieder das gleiche unglückliche Leben geführt und dich daran gewöhnt. Wenn du nun in dein inneres Wesen eindringst, siehst du nichts als Finsternis, Abgrund und Lee- re. Du kannst überhaupt nichts erkennen, und dich packt die Furcht... Ru- he dich ein Weilchen aus, laß deine Augen sich darauf einstellen — und dann wirst du sehen, daß ein Licht aufgeht, ein Licht ohne Hitze, eine Flamme ohne Feuer, ein sanftes kühles Licht. Wenn du beginnst, dies zu empfinden, dann weißt du, daß Sannyas dich nur in einen Abgrund stürzt, um dich zu einem erleuchteten Seinszustand zu führen. Dieser Abgrund ist der Preis, den wir bezahlen.

Die dritte Frage:

In deinen Vorträgen sprichst du über Gurdjieff, Raman, Ramakrishna, Ba- scho und andere, die nicht körperlich am Leben sind, warum sprichst du eigentlich nicht über die erleuchteten Meister, die heute am Leben sind?

Die Frage ist von Swami Yoga Chinmaya. Er hat den Dreh heraus, dumme Fragen zu stellen.

Also, wenn ein erleuchteter Mensch am Leben ist, kann er schließlich

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für sich selbst sprechen. Warum sollte ich für ihn sprechen? Ich rede über die toten Leute, weil sie selbst nichts sagen können. Das ist doch ganz ein- fach.

Die vierte Frage:

Es war einmal ein kleiner Eisbär, der fragte seine Mutter: »War mein Papa auch ein Eisbär?« »Selbstverständlich war dein Papa ein Eisbär.« »Aber Mama«, sagte der Kleine nach einer Weile, »Sag mir nur, ob mein Opa auch ein Eisbär war!« »Ja, er war auch ein Eisbär.« Die Zeit vergeht und der Kleine hört nicht auf, seine Mutter zu löchern: »Aber mein Urgroßvater... war der auch ein Eisbär?« »Ja, das war er. Aber warum fragst du denn andauernd?« »Weil mir so kalt ist.«

Man sagte mir, daß mein Vater ein Eisbär war und mein Großvater und mein Urgroßvater auch, aber mir ist kalt. Wie kann ich das ändern, Bhag- wan?

Wie es so geht, kenne ich deinen Vater, und ich kenne deinen Groß- vater, und ich kenne auch deinen Urgroßvater. Denen war auch kalt, und ihre Mütter haben ihnen die gleiche Geschichte erzählt — daß ihr Vater und ihr Großvater und ihr Urgroßvater Eisbären waren.

Wenn dir kalt ist, dann ist dir kalt. Da nützen diese Geschichten nichts. Das beweist nur, daß selbst die Eisbären frieren. Sieh die Realität und su- che nicht in den Überlieferungen und geh nicht in die Vergangenheit.

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Wenn dir kalt ist, ist dir kalt, und daß du ein Eisbär bist, ist kein Trost. Mit solchen Trostsprüchen hat man die Menschheit schon immer abge-

speist, aber wenn du stirbst, dann stirbst du und selbst wenn jemand kommt und sagt: »Hab keine Angst, die Seele ist unsterblich«, liegst du im- mer noch im Sterben.

Ich habe einmal von einem Juden gehört, der auf der Straße hingefal- len war und im Sterben lag. Er hatte einen Herzanfall. Eine Menge sam- melte sich an und fing an, nach irgendwelchen religiösen Menschen zu su- chen, nach einem Gläubigen, einem Priester, der die letzten Riten vollzie- hen sollte. Ein katholischer Priester meldete sich schließlich, trat nahe an den Sterbenden heran und fragte: »Bist du ein gläubiger Mensch? Be- kennst du dich zur Dreieinigkeit, Gott dem Vater, dem heiligen Geist und dem Sohne Jesus Christus?« Der sterbende Jude öffnete seine Augen und sagte: »Ich sterbe und der Mensch spricht in Rätseln! Was soll ich jetzt bloß mit dieser Dreieinigkeit anfangen? Ich liege im Sterben! Was redest du da für einen Quatsch?«

Ein Mann stirbt, und ihr tröstet ihn damit, daß die Seele unsterblich ist! Diese Trostsprüche sind keine Hilfe. Jemand ist unglücklich und ihr sagt: »Sei nicht unglücklich, das ist alles nur psychologisch.« Wie kann einem das helfen? Ihr macht ihn nur noch unglücklicher! Diese Theorien können euch nicht viel nützen. Sie wurden erfunden, um euch zu trösten, um euch zu betrügen.

Wenn dir kalt ist, dann ist dir kalt. Anstatt zu fragen, ob dein Vater auch ein Eisbär war, mach etwas Gymnastik, hüpfe auf und nieder, renne auf der Stelle, mach die Dynamische Meditation — dann frierst du nicht mehr, das verspreche ich dir. Schlag dir deinen Vater und deinen Großvater und deinen Urgroßvater völlig aus dem Kopf. Hör nur auf deine eigene Reali- tät. Wenn dir kalt ist, dann unternimm etwas. Und man kann immer etwas unternehmen. Aber das ist keine Art; du bist auf der falschen Fährte; du kannst immer weiter fragen und fragen — und natürlich tröstet dich deine arme Mutter immer wieder.

Die Frage ist sehr schön, sehr bedeutsam, ungeheuer weitreichend: auf diese Weise leidet die Menschheit. Schenk deinem Leiden Gehör, sieh in das Problem hinein und versuche nicht, eine Lösung außerhalb des Pro- blems zu finden. Sieh direkt in das Problem hinein, dort findest du jedesmal

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die Lösung. Sieh in die Frage hinein — frag nicht nach der Antwort. Zum Beispiel: du kannst zu allen möglichen Leuten gehen und fragen:

»Wer bin ich?« Du kannst zu einem Christen gehen und dann antwortet er: »Du bist ein Sohn Gottes, und Gott hat dich sehr lieb.« Und dann stehst du da — denn wie ist es möglich, daß Gott dich liebt?

Ein Pfarrer erklärte Mulla Nasruddin: »Gott hat dich sehr lieb.« Nasrud- din sagte: »Wie kann er mich lieben, er kennt mich doch gar nicht.«

Der Pfarrer sagte: »Gerade deshalb kann er dich ja lieben. Wir kennen dich. Wir können dich nicht lieben, das ist zu schwierig.«

Oder du gehst zu den Hindus, um sie zu fragen und sie antworten: »Du bist Gott selbst«. Nicht der Sohn Gottes, sondern Gott selbst... und trotz- dem hast du deine Kopfschmerzen und deine Migräne und du wunderst dich nur, wie es zugehen kann, daß Gott Migräne hat, und damit ist das Problem nicht gelöst.

Wenn du fragen willst: »Wer bin ich?«, dann frag keinen anderen Men- schen. Setz dich still hin und richte die Frage an die Tiefen deines eigenen Wesens. Laß die Frage in dir widerhallen. Und nicht verbal, sondern exi- stentiell. Laß die Frage dein Herz wie ein Pfeil durchbohren: »Wer bin ich?« und geh der Frage nach. Und hab es nicht so eilig, sie zu beantworten, denn wenn du sie beantwortest, muß die Antwort zwangsläufig von je- mand anderem gekommen sein. Von irgendeinem Priester, einem Politi- ker oder aus der Tradition. Antworte nicht aus deinem Gedächtnis heraus, denn dein Gedächtnis ist etwas Entliehenes. Dein Gedächtnis ist genau wie ein Computer; genauso tot. Dein Gedächtnis hat nichts mit wirklichem Wissen zu tun. Man hat dich mit seinen Daten gefüttert. Darum paß auf, wenn du fragst: »Wer bin ich?« und dein Gedächtnis sagt: »Du bist eine be- deutende Seele!« Paß auf! Geh nicht in diese Falle. Vergiß diesen ganzen Mist, das ist wirklich nichts als Unrat. Frage einfach weiter: »Wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?...« Und eines Tages siehst du, daß auch die Fra- ge verschwunden ist, nur ein inneres Dürsten ist dir geblieben — »Wer bin ich?«... Nicht mehr die Frage, sondern nur ein Dürsten, so daß dein gan- zes Wesen mit diesem Durst brennt, »Wer bin ich?«

Und eines Tages wirst du sehen, daß selbst du nicht mehr da bist: nur ein Dürsten ist noch da, und in diesem leidenschaftlich intensiven Seinszu-

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stand wirst du plötzlich erkennen, daß irgendetwas explodiert ist. Auf ein- mal begegnest du dir selbst von Angesicht zu Angesicht und weißt, wer du bist.

Es ist nicht möglich, deinen Vater zu fragen, wer du bist. Er weiß ja noch nicht einmal, wer er selbst ist. Es ist sinnlos, deinen Großvater oder Urgroßvater zu fragen. Frag nicht. Frag die Mutter nicht und nicht die Ge- sellschaft; frag nicht die Kultur und nicht die Zivilisation. Frag deinen eige- nen urinnersten Wesenskern. Wenn du die Antwort wirklich wissen willst, dann geh nach innen, und durch diese innere Erfahrung veränderst du dich von selbst.

Du fragst: »Wie kann ich das ändern?« Du kannst es nicht ändern. Zu- erst mußt du deiner eigenen Realität ins Auge sehen, und allein durch die- se Gegenüberstellung mit deiner eigenen Realität wirst du verändert.

Ein Reporter bemühte sich, eine Story für die Rubrik »Menschliches« aus einem sehr, sehr alten Mann in einem staatlichen Altersheim her- auszubringen. »Opa«, sagte der naßforsche Reporter, »Wie würdest du dich fühlen, wenn du plötzlich einen Brief bekämst, in dem steht, daß ein entfernter Verwandter dir fünf Millionen Dollar hinterlassen hat?«

»Mein Sohn«, kam die bedächtige Antwort, »dann wäre ich immer noch vierundneunzig.«

Habt ihr's? Der alte Mann sagt: »Ich bin vierundneunzig Jahre alt. Selbst wenn ich fünf Millionen Dollars bekäme, was soll ich damit anfan- gen? Ich wäre immer noch vierundneunzig.«

Was Buddha sagt, was Mahavir sagt, was Christus sagt, kann dir nicht weiterhelfen. Dir ist kalt — du bist noch immer vierundneunzig. Selbst wenn dir das gesamte Wissen der Welt in den Kopf gestopft würde, wäre es keine Hilfe — dir ist immer noch kalt — du bist noch immer vierundneun- zig. Solange dir keine eigene Erfahrung zuteil wird, eine lebendige Erfah- rung, die dein Wesen verwandelt, so daß du wieder jung und lebendig wirst, hat nichts irgendeinen Wert.

Frag also keine anderen. Das ist die erste Lektion, die gelernt werden muß. Frag dich selbst. Und auch dann, vergiß nicht, daß schon all die Antworten in dir sind, die dir die anderen gegeben haben, und diese Ant- worten werden sich zu Wort melden. Vermeide diese Antworten! Es ist dei-

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ne Frage, darum kann dir keine Antwort eines anderen etwas nützen. Es ist deine Frage; es muß auch deine Antwort sein.

Buddha hat seinen Durst gelöscht und ist befriedigt. Jesus hat seinen Durst gelöscht und ist ekstatisch. Ich habe meinen Durst gelöscht — aber wie kann das deinen Durst löschen? Du wirst selbst etwas trinken müssen.

Es begab sich einmal, daß ein bedeutender Sufi-Mystiker vom Kaiser eingeladen wurde, für ihn und seinen Hof zu beten. Der Mystiker kam, aber er weigerte sich zu beten und sagte: »Das ist unmöglich. Wie kann ich für euch beten?« Sprach der Mystiker: »Es gibt ein paar Dinge, die man selbst tun muß. Wenn du zum Beispiel mit einer Frau schlafen willst, dann mußt du es schon selbst machen. Ich kann es nicht für dich erledigen. Wenn deine Nase läuft, mußt du sie dir selber schneuzen. Ich kann deine Nase nicht für dich, an deiner Stelle, schneuzen, das würde dir überhaupt nichts nützen. Und so ist es auch mit dem Beten. Wie kann ich für dich be- ten? Bete selbst. Ich kann für mich selbst beten...« Und er schloß seine Au- gen und versank in einen erhabenen Zustand des Gebets.

Das kann ich auch. Für mich ist das Problem nicht mehr vorhanden. Aber nicht durch die Antwort irgendeines anderen. Ich habe niemanden gefragt. Tatsächlich habe ich mich nur darum bemüht, alle Antworten, die mir von den anderen gegeben wurden, fallenzulassen — und zwar äußerst großzügig.

Die Leute hören nicht auf, dir gute Ratschläge zu geben. Damit sind sie sehr großzügig. Bei allen anderen Dingen sind sie vielleicht gar nicht so, aber was gute Ratschläge anbelangt, sind sie geradezu verschwenderisch — wirklich großartige Leute. Ob du sie nun darum gebeten hast, oder nicht, Ratschläge geben sie dir immer. Ratschläge sind das einzige, was im- mer im Übermaß gegeben, und niemals angenommen wird. Kein Mensch nimmt sie an.

Ich habe einmal von zwei Landstreichern gehört, die unter einem Baum saßen. Der eine sagte traurig: »Ich bin hier gelandet, weil ich nie auf den Rat von irgendjemandem hören wollte«. Und der andere sag- te: »Bruder, ich bin hier gelandet, weil ich jedem guten Rat gefolgt bin.«

Du mußt deinen eigenen Weg gehen.

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Dir ist kalt, ich weiß. Du bist unglücklich, ich weiß. Das Leben ist hart, ich weiß — und ich habe keinen Trost für dich. Und ich halte auch nichts davon, dir Trost zuzusprechen, denn aller Trost dient nur der Verzögerung. Die Mutter sagt dem Bärenkind: »Ja, dein Vater war ein Eisbar«, und dann versucht es eine Zeitlang nicht zu frieren, weil man von Eisbären erwartet, daß sie nicht frieren. Aber das nützt nichts. Wieder fragt er: »Mama, war mein Großvater auch ein Eisbär?« Er versucht herauszufinden, ob vielleicht etwas mit seinen Erbanlagen nicht in Ordnung ist — »deshalb ist mir kalt« — und die Mutter sagt: »Ja, dein Großvater war auch ein Eisbär.« Wieder versucht er das Frieren zu verschieben, aber man kann es eben nicht ver- schieben. Man kann es etwas zurückstellen, aber dann ist es wieder da.

Die Realität kann nicht vermieden werden. Theoretische Erklärungen können einem da überhaupt nicht helfen. Vergiß alle Theorien und schen- ke der nackten Tatsache Gehör. Du bist unglücklich? Dann mußt du in dein Unglück hineinsehen. Du bist wütend? Dann mußt du in diese Wut hineinsehen. Du fühlst dich sexuell? Dann vergiß, was die anderen dar- über zu sagen haben. Sieh einfach in dich selbst hinein. Es ist dein Leben, und du mußt es leben. Borge dir nichts aus, lebe niemals aus zweiter Hand. Gott liebt nur Menschen, die aus erster Hand leben. Man hat ihn noch nie als einen Liebhaber von Abziehbildern kennengelernt. Sei einfach aus »erster Hand«, sei echt, sei einzigartig, sei individuell, sei du selbst und sieh in deine eigenen Probleme hinein.

Und ich kann dir nur eins sagen: in deinem Problem liegt die Lösung verborgen. Das Problem ist nur ein Saatkorn. Wenn du ganz tief in die Saat hineinsiehst, sprießt die Lösung daraus empor. Deine Unwissenheit ist das Samenkorn, wenn du tief hineindringst, erblüht das Wissen daraus. Daß du vor Kälte zitterst, ist dein Problem. Geh in das Problem hinein — und dann wird dir dadurch irgenwann warm.

In Wirklichkeit ist dir schon alles gegeben worden — die Frage und die Antwort — beides; das Problem und seine Lösung — beides; Unwissenheit und Wissen — beides. Du mußt nur in dich hineinsehen.

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Die fünfte Frage:

Ich habe gehört, daß ein Mann in einem orangefarbenen Gewand die Vrindavan Snack-Bar betrat, sich ganz nach vorne drängelte und Tee und Kuchen verlangte. Er bezahlte mit einer Hundert-Rupien-Note und be- schwerte sich dann über die Preise und die lange Warteschlange. Nach- dem er sich das dickste Stück Kuchen und die größte Tasse Tee ausge- sucht hatte, nahm er einer alten Dame den Platz weg und machte sich dar- an, das Essen zu vertilgen. Ein Nebenstehender, der sich über sein Beneh- men wunderte, fragte, was es bedeuten solle. »Wieso?« sagte der, »Bhagwan hat doch gesagt, daß man nur ein kristalli- siertes Ego fallenlassen kann.«

Es ist leichter möglich, mich mißzuverstehen, als mich zu verstehen... Und in euren Mißverständnissen findet ihr Zuflucht und Trost.

Gerade vor ein paar Tagen kam Mulla Nasruddin zu mir und sagte: »So, jetzt langt's mir aber — ich kann dir nicht mehr vertrauen.«

Ich sagte: »Was ist passiert, Nasruddin? Du warst ein so langjähriger, folgsamer Jünger von mir?«

Er sagte: »Jetzt wird es mir zuviel. Vor ein paar Tagen war ich beim Pferderennen. Jemand hatte sein Kleingeld fallenlassen und ich bückte mich gerade, um es aufzuheben, als ein Blinder oder Verrückter oder Be- trunkener daherkommt und mich sattelt, als ob ich ein Pferd wäre.«

Da sagte ich: »Warum hast du dich denn nicht aufgerichtet?« und er sagte: »Aber du hast doch gesagt, daß man alles akzeptieren muß. Also dachte ich mir, Bhagwan sagt, akzeptiere alles total. Also akzeptierte ich es und wartete ab, was passiert — und der Wahnsinnige springt auf mich drauf!«

Ich war nun auch ganz fasziniert und fragte: »Und was hast du dann ge- macht?«

Er sagte: »Was hätte ich denn machen sollen? Ich mußte rennen — und kam auf den dritten Platz. Also das geht einfach zu weit! Ich kann dir nicht mehr vertrauen!«

Es besteht jede Möglichkeit, daß ihr mich mißversteht und die Wahr-

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scheinlichkeit ist groß, daß ihr Rationalisierungen dafür findet. Auf diese Art macht der Verstand mit seinen Dummheiten immer weiter, so spielt der Verstand seine Spiele immer weiter. Er findet immer eine Möglichkeit, sich zu schützen. Wenn ich sage, laßt das Ego fallen, sagt ihr, in Ordnung, und versucht, es fallenzulassen. Und dann wird das Ego zu eurer Bescheiden- heit und ihr fangt an, mit hocherhobener Nase herumzulaufen und blickt auf alle anderen herab, als wären sie zur Hölle verdammt. Und ihr umgebt euch mit einer Aura von »Ich bin heiliger als du« und »Ich bin der demütig- ste Mensch weit und breit«. Wenn ich sage, daß das Ego groß werden muß, nur dann kann es platzen, dann sagt ihr: »Na fein, das haben wir ja die ganze Zeit versucht, jetzt unterstützt auch du diese Meinung — so weit, so gut!«

Wann werdet ihr mich endlich verstehen? Wenn ihr mir zuhört, haltet euch immer in Erinnerung, daß euer Verstand dabei ist, alles zu verdre- hen. Wenn ihr nicht sehr, sehr aufpaßt, wird euer Verstand das Gesagte verfälschen. Der Verstand ist so hinterlistig, er findet immer eine Ausflucht. Und er ist so schlau, daß er die ganzen Verstandesausflüchte immer als Vernunftsgründe erscheinen lassen kann.

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Die sechste Frage:

Lieber Bhagwan, ich erlebe immer mehr Nicht-Momente — das heißt, Mo- mente außerhalb der Zeit, besonders beim Sprechen mit anderen Leuten, wo ich plötzlich nicht mehr selbst spreche — das Sprechen passiert einfach. Es ist ein Hießen, ein Gefühl von Stärke und Ganzheit. Die Hände bewe- gen sich in vollkommener Gleichzeitigkeit mit Gedanken und Gefühlen, der Raum dehnt sich aus, und ich empfinde eine Offenheit ohne jedes Ge- fühl des Getrenntseins und ohne »Ich«, das getrennt existiert. Die Vorderseite des Körpers scheint gar nicht vorhanden zu sein; ich spre- che mit mir selbst. Sind das die Hier-und-Jetzt-Momente, von denen du sprichst oder gibt es da noch mehr, oder ist es eine Frage von mehr und auch öfter?

Die Frage ist von Amit Prem. Das sind die Momente von denen ich spreche, aber Amit Prem ist sich

ihrer noch nicht sicher; daher die Frage. Er zweifelt noch immer ein biß- chen daran und wegen diesem Zweifel dringen diese Augenblicke nicht so tief in ihn ein, daß sie den innersten Kern seines Wesens erreichen. Er ist noch mißtrauisch, er denkt noch darüber nach, ob sie da sind oder nicht. Auch das ist natürlich, denn die gesamte anerzogene Verstandesstruktur stemmt sich dagegen, wie eine Wand. Selbst im allerletzten Moment wird der Verstand noch versuchen, Mißtrauen zu säen, dich in einen Zwiespalt zu stürzen, dich zu verunsichern und zu verwirren. Der Verstand folgt dir bis zum allerletzten Moment und hört nicht auf, dich immer wieder zurück- zuhalten. Das ist seine alte Gewohnheit, dazu wurde der Verstand erzogen. Ich verurteile es nicht, ich stelle nur eine Tatsache fest.

Es trug sich einmal zu: Ein gewohnheitsmäßiger Taschendieb tat seinen letzten Atemzug und warf sich gleich darauf, Einlaß durch die Himmelspforten begehrend, vor Petrus auf die Knie.

Petrus hörte sich seine Geschichte höflich bis zu Ende an, aber ver- fügte dann: »Du gehst dann gleich runter in die Hölle, mein Junge, und unterdessen sei so gut und gib mir meine Uhr zurück.«

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Nun ja, ein Taschendieb ist ein Taschendieb. Selbst vor den Toren des Himmels, während Petrus spricht — warum ihm nicht die Uhr wegschnap- pen?

Denken ist eine Gewohnheit, weil der Verstand ein Mechanismus ist. Wenn nun diese Momente des Jetzt-Hier beginnen, dein Wesen zu durch- dringen, steht der Verstand Wache und sagt: »Paß auf! Vielleicht ist alles nur Einbildung. Oder vielleicht hast du Halluzinationen oder vielleicht hat dich dieser Kerl, dieser Bhagwan, hypnotisiert« — oder sonst etwas. Miß- trauen.

Jetzt muß Amit Prem seinen Zweifel fallenlassen. Das allein genügt schon.

Er fragt: »Sind dos die Hier-und-Jetzt-Momente?« Ja, das sind sie. Und dazu ist ein Meister da: dir in den Augenblicken zu helfen, in denen du mißtrauisch wirst; dir beizustehen, wenn du die Klarheit verlierst.

Ich sage dir: Ja, das sind die Momente; aber wenn du dich in deinen Zweifeln verstrickst, versäumst du sie. Sie tauchen gerade erst auf, das ist erst der Anfang und wenn Mißtrauen ins Spiel gebracht wird, ist es das En- de vom Anfang. Dann verschwinden sie wieder. Sie sind momentan noch sehr flüchtige Erscheinungen. Du solltest sie mit Vertrauen nähren. Nicht mit Zweifeln attackieren. Aller Zweifel wird sich als Gift erweisen.

Darum höre nicht auf den Verstand! Das ist es, worum es beim Sann- yas grundsätzlich geht. Warum bestehe ich so sehr auf Sannyas? Damit ihr jemanden habt, dem ihr vertrauen könnt, wenn diese Momente zum er- stenmal auftauchen. Ihr habt von jeher eurem eigenen Verstand vertraut; er ist es zwar nicht wert, aber ihr habt ihm trotzdem vertraut. Der Meister ist ein Hilfsmittel, durch das sich eine Alternative bietet: Wenn irgendein Ver- standesproblem auftaucht, kann man sich entweder für den Meister oder den eigenen Verstand entscheiden. Dies sind die Momente, in denen man auf den Meister hören muß. Ja, ich wiederhole es noch einmal: Dies sind die Momente! Aber wenn du mißtrauisch wirst, wenn du über sie nach- denkst, versäumst du sie.

Du sagst: »Sind das die Hier-und-Jetzt-Momente ... oder gibt es noch mehr?« Das ist wieder der Verstand. Der ganze Trick des Verstandes be- steht aus der Technik des »Mehrwollens«. Der Verstand sagt immer: »Es muß noch mehr geben«. Wenn du Geld hast, sagt der Verstand: »Schaff mehr Geld an«. Wenn du Macht hast, sagt der Verstand: »Verschaffe dir mehr Macht«. Wenn du Momente der Meditation erlebst, sagt der Ver-

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stand: »Es muß noch mehr geben«. »Mehr« heißt die Technik, die der Ver- stand benutzt, um dich zu verwirren und dir nie einen Augenblick des Glücks zu gönnen.

Das »Mehr« macht dich unglücklich — »es gibt also noch mehr? Dem- nach kriege ich nicht genug...« und du wirst deprimiert. Du hast einen Ver- gleich gezogen.

Schlag dir das »Mehr« völlig aus dem Kopf. Mehrwollen ist der Trick des Verstandes. »Mehr« ist der Agent des Verstandes.

Dies sind die Augenblicke! Denk nicht an die Zukunft; denk nicht an die Vergangenheit! Wenn du an die Vergangenheit denkst, fabriziert der Verstand irgendwelche Zweifel, und wenn du an die Zukunft denkst, wird Ehrgeiz vom Verstand entwickelt. Das sind die beiden Tricks des Verstan- des. Blick in die Vergangenheit und er stürzt dich in Zweifel; er sagt: »Frü- her sind Augenblicke wie dieser auch schon vorgekommen, aber wo sind sie jetzt? Du hast einmal eine Frau geliebt, wie schön ist das gewesen — und dann? Dann ging alles vorbei. Vielleicht sind diese Momente genauso flüchtig. Du hast angefangen, diesen Bhagwan zu lieben, und alles mögli- che passiert — aber das sind bloß die Flitterwochen, Amit Prem. Die Flit- terwochen können nicht ewig dauern; der Honeymoon geht vorüber.«

Amit Prem ist ein neuer Sannyasin, der sich noch nicht so recht in der Welt des Sannyas niedergelassen hat; der noch immer weglaufen will und doch nicht weglaufen kann; noch immer angestrengt bemüht ist, herauszu- finden, was was ist, und doch nicht in der Lage ist, es herauszufinden. Das ist nicht so einfach...

Du kannst nicht herausbekommen, was ich hier mache. Meine Wege sind widersprüchlich; es ist unmöglich dahinterzukommen. Meine Wege sind paradox. In einem Augenblick sage ich das eine und widerspreche dem dann sofort.

Er ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Er hat zwar Sannyas ge- nommen, aber erstmal probeweise: »Mal sehen, was passiert. Vielleicht ist etwas dran; vielleicht auch nicht. Wenn nichts daran ist, kann ich ja zurück- gehen. Wer könnte mich daran hindern?« Deshalb dieses Mißtrauen, diese Unklarheit und Verwirrung.

Wenn du dich mit mir einläßt und mit mir zur Ruhe kommst, hast du

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die Vergangenheit hinter dir gelassen. Es ist schwer und hart, die Vergan- genheit fallenzulassen, aber solange du die Vergangenheit nicht fallenläßt, gibt der Verstand dich niemals frei. Der Verstand ist deine Vergangenheit. Die ganze gesammelte Vergangenheit ist dein Verstand. Laß die Vergan- genheit hinter dir, und diese Momente werden bis zu deinem tiefsten We- senskern vordringen. Und dann denkst du nicht länger an »mehr«, denn du denkst nur über »mehr« nach, solange diese Momente nicht bis zum tiefsten Wesenskern vorgedrungen sind. Sowie sie bis zum Mittelpunkt dei- nes Wesens gedrungen sind, gibt es nichts »mehr«. Und wenn es nichts mehr gibt, bist du mit Seligkeit und Gnade erfüllt.

Die letzte Frage:

Was ist Erleuchtung? Bitte erkläre mir das.

Das werde ich nicht, denn das kann ich nicht. Und ich kann nicht, weil es niemand kann. Du bist ein bißchen spät gekommen. Wenn du mir die- selbe Frage vor meiner Erleuchtung gestellt hättest, hätte ich viele Antwor- ten gewußt. Jetzt weiß ich keine mehr. Jetzt bin ich völlig verdummt und verstummt.

Ich kann dir den Weg zur Erleuchtung zeigen, aber ich kann dir nicht erklären, was es ist. Ich kann deine Hand halten, bis du genau vor der Tür stehst und dich hineinstoßen, aber ich weiß nicht, was innen ist.

Wenn du Mut hast, dann komm und folge mir. Wenn du keinen Mut hast, dann flieh so schnell du kannst, denn wenn du noch etwas länger hier herumhängst, wird es gefährlich. Und ich warne dich im voraus, damit du

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mich nie dafür verantwortlich machen kannst. Entweder flieh so schnell wie möglich und so weit weg wie möglich, denn hierzubleiben ist gefährlich — oder faß dir ein Herz und nimm meine Hand. Ich kann dich in diesen Zu- stand der Erleuchtung führen.

Aber nichts kann darüber gesagt werden. Es ist undefinierbar, es ist un- aussprechlich. Es ist. Es ist tatsächlich so, daß nur es ist. Es gibt nichts an- deres. Aber es ist so unermeßlich groß, daß es sich nicht in den Grenzen irgendeiner Erklärung halten kann.

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DARIYA KI LAHAR DARIYAO HAI JI

Der Fluß und seine Wellen sind eine Flut; Was ist der Unterschied zwischen dem Fluß und seinen Wellen? Wenn Wellen sich erheben, hat Wasser sich erhoben, und wenn sie fallen, fällt wieder das gleiche Wasser. Nun sag mir, gelehrter Herr, wo, wo ist der Unterschied? Weil wir sie Welle nennen, soll ich sie nicht mehr als Wasser betrachten?

Im ewigen All gleiten Welten wie Perlen durch seine Hand. So betrachte diesen Perlenkranz mit den zärtlichen Augen der Weisheit.

AISA LO NAHIN TAI SA, LO

Oh, wie kann ich jenem geheimen Wort je Ausdruck geben? Wie kann ich sagen, Er ist das Eine und nicht das Andere? Wenn ich sage, Er ist in mir, dann ist das All beschämt, und wenn ich sage, Er ist außerhalb, dann ist es eine Lüge. Die Welten im Inneren und außerhalb umfangen sich in seinen Armen und werden untrennbar eins. Das Bewußte und das Unbewußte — zwei Füße im selben Tanz.

Er ist weder sichtbar noch verborgen. Er ist weder offenbart, noch gibt Er sich nicht zu erkennen. Kein Wort kann es benennen — und sagen, was Er ist.

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ie Wahrheit ist bekannt und dennoch unbekannt. Bekannt in einem Sinne, unbekannt in einem anderen. Bekannt, weil wir ein Teil von

ihr sind, und gleichzeitig unbekannt, weil wir nicht von ihr getrennt sind. Um etwas zu wissen, muß der Wissende getrennt vom Gewußten

sein; aber wiederum ist es auch so: wie kann man etwas wirklich wissen, wenn man davon getrennt ist? Das ist das Grundproblem, das sich einem Wahrheitssucher stellt:

Wir sind eins mit der Wahrheit. Zwischen uns und der Wahrheit gibt es keinen Zwischenraum, darum können wir nicht zu demjenigen werden, der sie weiß. Wir können das Gewußte nicht vom Wissenden trennen, es gibt keinen Weg, diese beiden voneinander zu trennen — und Wissen ent- steht nur, wenn der Wissende und das Gewußte voneinander getrennt sind.

Wenn Subjekt und Objekt nicht getrennt existieren, gibt es keine Ver- bindung. Also darf man eins nicht vergessen, und zwar, daß die Wahrheit nicht im herkömmlichen Sinne »gewußt« wird, sie kann nicht im üblichen Sinne gewußt werden. Es gibt jedoch verschiedene Arten von Wissen, es gibt ein Wissen, das seinem ganzen Wesen nach völlig anders ist, als das Wissen, das wir normalerweise kennen. Dieses Wissen ist eher wie Liebe. Du »weißt« um eine Frau oder einen Mann, wenn du sie wirklich liebst: Wenn eure getrennten Existenzen sich begegnen, zusammenkommen und verschmelzen, wenn ihr beide nicht länger getrennt seid; wenn du nicht

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mehr sagen kannst, wo du aufhörst, und deine Frau beginnt, wenn alle Schranken und Beschränkungen gefallen sind, wenn ihr einfach ineinan- der übergeht, ineinander fließt, wenn die Zweiteilung verschwunden ist, und ihr untrennbar eins geworden seid — auch das ist eine Art von Wis- sen. Du weißt, und du weißt, daß alles, was du zuvor für Wissen gehalten hast, nichts als Illusion war.

Aber kannst du in diesem Wissen behaupten, daß du weißt? Bei diesem Wissen gibt es niemanden, der getrennt existiert und be-

haupten könnte, der Wisser zu sein. Das ist das Problem. Man weiß die Wahrheit, aber so, daß man dieses Wissen nicht für sich beanspruchen kann. Die Wahrheit wird auf eine solche Art gewußt, daß das Mysterium dadurch nicht enträtselt wird, im Gegenteil, das Mysterium wird nur noch vertieft, es wird unendlich tief, es wird absolut bodenlos.

Wenn man die Wahrheit weiß, ist damit kein Problem, kein Rätsel ge- löst. Man sieht sich in der Tat zum erstenmal dem Unlösbaren gegenüber.

Das ist das Paradoxe daran, das ist das Dilemma. Wenn ihr dieses Di- lemma versteht, seid ihr in der Lage, dem zu folgen, was Kabir sagen will.

Laßt uns noch ein wenig tiefer eindringen... Alles Wissen ist Einbildung. Wir denken nur, wir wüßten etwas. Was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen, wir wissen etwas? Was

meinst du damit, wenn du sagst, »Ich weiß, was das für ein Baum ist«, daß das eine Tanne oder eine alte Eiche oder irgendetwas anderes ist? Was weißt du damit? Du weißt einen Namen: es ist eine »Tanne« oder eine »Ei- che« oder ein »Aschoka-Baum«. Du kennst eine Bezeichnung. Dein gan- zen Wissen besteht aus irgendwelchen Bezeichnungen. Vergiß die Be- zeichnung — und das Unbekannte steht vor dir. Alles Wissen besteht aus Namen allein. Laß das Wissen fallen, und auf einmal siehst du dich dem Unbekannten gegenüber.

Aber wir leben geradezu davon, den Dingen Namen zu geben. Das wiegt uns in einem falschen Gefühl der Sicherheit, denn sonst wäre jeder Mensch ein Fremder und es wäre zu schwierig, mit völlig fremden Men- schen zusammenzuleben. Es wäre unmöglich, diesen Fremden zu vertrau- en . Unser Verstand stürzt sich sofort auf alles, was uns begegnet, hängt ihm ein Etikett an und fühlt sich dann sicher — »so, das hätten wir erledigt«. Dieser Mann ist »gut« und ein anderer ist ein »Sünder«, und damit haben wir sie abgestempelt.

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Könnt ihr denn die simple Tatsache nicht wahrnehmen, daß ein Heili- ger im nächsten Moment zum Sünder werden kann und ein Sünder zum Heiligen? Was wißt ihr also? Ein Mörder kann zum Mahatma werden und ein Mahatma zum Mörder.

Wenn du nun sagst, »dies ist gut«, was sagst du damit? Kannst du be- haupten, diesen »guten Mann« zu kennen, wenn dieser »gute Mann« sich schon im nächsten Moment als schlecht erweisen kann?

Du nennst einen anderen Menschen »böse«, und im nächsten Moment stellt sich heraus, daß er der beste und tugendhafteste Mensch sein kann. Was weißt du also?

Dadurch, daß du den Dingen Bezeichnungen und Namen gibst, weißt du noch gar nichts. Die Wirklichkeit bleibt unerklärt und voller Geheimnis- se.

Du sagst: »Diese Frau ist meine Frau«, oder »dieser Mann ist mein Mann«, und was weißt du eigentlich von diesen Menschen? Nur, indem du eine Person als »deinen Mann« bezeichnest, willst du schon etwas wis- sen? Da machst du dir etwas vor! Du hast dir eine Illusion von Wissen ge- schaffen.

Aber der Verstand möchte diese Illusion nur zu gerne aufrechterhalten, denn dabei fühlt er sich wohl. Eingehüllt in dieses eingebildete Wissen fühlst du dich heimisch. Der Verstand lebt von Lügen. Seien sie nun alt oder neu, der Verstand lebt von Lügen.

Ich habe folgendes gehört: Als der Schachweltmeister Herbert Wise einmal in das College zurück- kehrte, das er in seiner Jugend besucht hatte, lud ihn der Schulleiter ein, auch einen kurzen Blick in den Schlafraum seiner Studienzeit zu werfen. Dummerweise hatte der junge Mann, der zur Zeit dort wohn- te, ausgerechnet diesen Abend eine hübsche Kommilitonin einge- schmuggelt, die ihm in Geschichte helfen sollte, was natürlich ein gro- ber Verstoß gegen die Hausregeln war. Also versteckte er das Mäd- chen schnellstens im Kleiderschrank, als er den Schulleiter und Mr. Wise in der Halle hörte.

Wise betrachtete das wohlbekannte alte Zimmer, seufzte und be- merkte: »Derselbe alte Schreibtisch, dieselben alten Stühle.«

Dann öffnete er den Kleiderschrank, erblickte die hochrote Stu- dentin und fügte hinzu: »Und dasselbe alte Mädchen«.

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»Das ist meine Schwester, Sir«, stammelte der junge Mann. »Und dieselbe alte Lüge«, lachte Wise in sich hinein.

So geht es immer weiter — dieselben alten Lügen. Der Verstand lebt in Lügen, der Verstand ernährt sich von Lügen. Der Verstand kann der Wahrheit nicht begegnen.

Alles Wissen ist Maja, es ist nicht echt. Eine falsche Münze, vom Ver- stand erfunden, um die Lüge auszufüllen, denn sonst würde man sich voll- kommen unwissend und dumm vorkommen, sonst hätte man das Gefühl, daß man überhaupt nichts weiß, und damit wäre es fast unmöglich, im Le- benskampf seinen Mann zu stehen. Der Verstand sagt: »Vergiß deine Un- wissenheit, man kann schließlich alles mögliche wissen. Das ist doch ganz einfach: du stopfst ein paar Tatsachen in dich hinein, ein paar Bezeichnun- gen und Namen; du machst dich einfach mit weiteren Informationen ver- traut, holst ein paar Auskünfte ein, gehst in die Bibliothek und wirst gelehrt.«

Gelehrtheit ist nicht Wissen, und all euer Wissen ist nichts als Gelehrt- heit. Ihr habt Informationen von außen zusammengetragen, ihr habt es von der Tradition, von der Universität, der Gesellschaft, der Zivilisation.

Du nennst jemanden einen Mohammedaner oder Christen, und damit steht für dich fest, wer er ist. Aber kennst du jemanden schon dadurch, daß du ihn als »Christen« oder »Kommunisten« bezeichnest? Weißt du ir- gendetwas über ihn? Und doch hast du das Gefühl, daß du ihn jetzt kennst — »dieser Mann ist ein Kommunist — gefährlich«, und »dieser Mann ist ein Christ — ein guter Mensch«.

Dieses dumme Bemühen, eure Unwissenheit mit einem falschen Wis- sen zu übertünchen, ist die einzige Barriere zwischen euch und der Reali- tät, zwischen euch und der Wahrheit. Und wenn ihr nicht aufhört, an diese Lügen zu glauben, werdet ihr der Wahrheit niemals begegnen, denn diese Lügen lassen es nicht zu. An diesen Lügen scheitert ihr.

Ich habe folgendes gehört: Mulla Nasrudin lebte einmal direkt neben einem Irrenhaus. Eines

Tages wurde sein Nachmittagsschläfchen auf dem Rasen unsanft von einer wohlgestalteten jungen Dame unterbrochen, die völlig nackt

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durch die Gartenhecke brach, verfolgt von drei Assistenzärzten in wei- ßen Kitteln.

Der alte Mulla erholte sich gerade von dem Schock, als ein vierter Assistenzarzt auf die Szene eilte, welcher in jeder Hand einen schwe- ren Eimer Sand schleppte.

Mulla bemerkte, daß eine beträchtliche Publikumsansammlung von der anderen Seite der Hecke zuschaute und rief: »Was soll denn der vierte Doktor mit den Eimern voll Sand?«

»Das ist ein sportliches Handikap«, war die Erklärung, »Er hat sie nämlich das letzte Mal erwischt.«

Wenn ich euch so ansehe, dann fällt mir auf, daß ihr auch mit Eimern voller Lügen herumlauft — auf der Suche nach der Wahrheit! So werdet ihr sie nie erwischen. Euer sportliches Handikap ist zu groß. So geht es nicht! Ihr müßt alle eure Handikaps fallenlassen. Euer Verstand mit seinem Denken ist die Ursache all eurer Behinderungen, all eurer Handikaps. Euer Verstand ist ein Betrüger, der euch eine magische Welt vorgaukelt, eine so- genannte Welt des Wissens.

Das ist die Bedeutung der biblischen Geschichte: Adam wird aus dem Garten Eden vertrieben, weil er die Frucht vom Baum der Erkenntnis aß. Dieses Gleichnis ist sehr bedeutsam. Adam wird wegen seines Wissens aus dem Himmel vertrieben. Er verliert seine Glückseligkeit, er verliert seine Unschuld, seinen Frohsinn, seine Unsterblichkeit, und wird ein unglückli- cher Sterblicher. Das ist die Erbsünde. Wissen ist die Erbsünde.

Meditiert darüber so viel ihr könnt; dringt immer wieder von allen Sei- ten in diese Geschichte ein. Kein Gleichnis der ganzen Religionsgeschichte ist so bedeutend wie dieses.

Adams Sünde ist also das Wissen. Aber was ist dann Jesus Tugend? Es muß die Unwissenheit sein... Die Christen bezeichnen es nicht so, aber es muß Unwissenheit sein.

Das meint Jesus, wenn er sagt: »Wenn ihr nicht wie die Kindlein wer- det, kommt ihr nicht in das Himmelreich meines Vaters.«

...Wenn ihr nicht wie die Kindlein werdet? Das heißt, wenn du nicht unschuldig und unwissend wie ein Kind bist, wenn du dein Wissen nicht fallenläßt, kannst du nicht zurückkehren, wirst du nicht im Garten Eden aufgenommen.

Wissen ist die Sünde und Unwissenheit die Tugend.

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Unwissend zu sein — das heißt zu wissen, daß alles Wissen unecht ist — ist eine radikale Revolution. Dann bleibst du unberührt. Dann kann dich kein Wissen je bestechen und verderben.

Ja, Wissen ist Verdorbenheit. Wissen ist Gift. Sämtliche Meditationstechniken, ganz gleich wo auf der Welt sie ent-

wickelt wurden, sind nur dazu da, euch von eurem Wissen zu befreien; sie dienen nur dazu, euch von eurem Verstand zu erlösen. Meditation bedeu- tet, einen gedankenlosen Zustand herbeizuführen. Ein gedankenloser Zu- stand ist ein Zustand des Nichtwissens. Und ein Zustand des Nichtwissens ist ein Zustand abgrundtiefer Unwissenheit — ursprünglicher Unwissenheit. Unwissenheit ist etwas Wundervolles.

Wenn du nicht weißt, bist »du« nicht da. Wenn du etwas weißt, dann bist »du« da. Wissen nimmt die Gestalt des Egos an, des Ichs. Ohne Wis- sen kann das Ego nicht existieren. Es findet einfach keine Requisiten, keine Unterstützung mehr. Es fällt vom Sockel, bricht zusammen und verschwin- det. Und in diesem gedankenlosen, egolosen, ichlosen Zustand geschieht etwas, das eher Liebe als Wissen ist: du fließt in die Existenz hinein, und die Existenz fängt an, in dich hineinzufließen. Du bist nicht länger von der Gesamtheit getrennt. Der Wassertropfen ist in den Ozean gefallen und der Ozean in den Wassertropfen.

Das nennt man Weisheit. Wissen ist nicht Weisheit. Zu wissen, daß man überhaupt nichts weiß, ist Weisheit.

Das ist die Bedeutung des Orakelspruchs von Delphi. Ein Mann hatte das Orakel gefragt: »Wer ist der größte Weise der

Welt?« und das Orakel antwortete: »Sokrates«. Daraufhin ging der Mann zu Sokrates und berichtete ihm: »Hast du

schon gehört? Das Tempelorakel nannte dich den weisesten Mann der Welt.«

Die Überlieferung erzählt, daß Sokrates lachte und sagte: »Geh noch einmal zurück, das muß ein Versehen sein, weil mir nämlich ausgerechnet heute, gerade heute morgen, aufging, daß ich absolut nichts weiß. Wie ist das möglich? Wenn du gestern gekommen wärst, hätte ich es dir geglaubt, weil ich immer dachte, ich wüßte alles, aber jetzt nicht mehr. Heute mor- gen, genau heute morgen, ist mir etwas Unfaßliches zugestoßen: alles Wissen erscheint mir als bedeutungslos... Ich bin erwacht. Der Schlaf des Wissens ist von mir gewichen; ich träume nicht mehr. Und jetzt weiß ich

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mit Sicherheit nur noch eines: daß ich überhaupt nichts weiß.« »Geh zurück und sag dem Orakel, daß irgendetwas nicht in Ordnung

ist. Das Orakel hat bisher immer richtig und wahr gesprochen, aber diesmal muß sich das Orakel geirrt haben. Geh hin und bring die Sache in Ord- nung. Und wenn Sokrates selbst sagt, daß er der unwissendste Mensch der Welt ist, wie kann das Orakel dann behaupten, ich sei der weiseste? Nein, das kann nicht wahr sein.«

Der Mann war verwirrt und wollte es nicht recht glauben, aber er ging hin und sprach:

»Da muß Ihnen ein Fehler unterlaufen sein, Herr Orakel, denn Sokra- tes behauptet das Gegenteil. Er sagt: 'Ich weiß nur eins, und das ist, daß ich überhaupt nicht weiß!'«

Das Orakel sprach: »Das ist es ja, weshalb wir ihn zum größten Weisen der Welt erklart haben. Das ist es ja gerade! Genau deshalb haben wir ihn zum weisesten Mann der Welt erklärt. Geh hin und berichte ihm das. Wenn du die Frage gestern gestellt hättest, wäre die Antwort eine andere gewe- sen. Gestern war er noch so dumm, wie jeder andere, aber jetzt ist er kein Dummkopf mehr — er läßt sich nicht mehr vom Wissen verdummen. Er ist erwacht.«

In dem Wissen, daß du nichts weißt, wirst du wirklich zum Wissenden. Das nennt man Weisheit. Weisheit ist nicht Wissen. Weisheit ist reines Be- wußtsein.

Oh, wie kann ich jenem geheimen Wort je Ausdruck geben?

Und wenn du auf diese Weise gewußt hast — nicht auf die Weise des Wissens, sondern mit dem Wissen der Weisheit — nicht als Zuschauer, nicht als ein Beobachter von außen, sondern indem du an der Existenz teilhast — dann hast du Hand in Hand mit Gott getanzt, Schritt um Schritt, und du hast etwas empfunden...

Ja, es ist besser, das Wort »empfinden« zu gebrauchen, als »wissen«, es kommt der Wirklichkeit näher. Wissen ist eine Angelegenheit des Kopfes, empfinden ist etwas Totales. Wenn du empfindest, dann empfindest du nicht nur mit dem Kopf, du empfindest auch nicht nur mit dem Herzen und nicht nur aus dem Bauch heraus — du empfindest mit jeder Faser dei- nes Wesens. Empfinden ist etwas Totales, zu empfinden ist orgiastisch; Empfindungen sind organisch.

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In einem Moment tiefer Empfindung arbeitest du als Gesamtheit. Wenn du denkst, arbeitest du nur als Kopf; wenn du sentimental bist,

arbeitest du nur als ein Herz — vergiß nicht, daß Sentimentalität nicht Empfinden ist, daß Emotionalität nicht Empfinden ist. Wenn du denkst, bist du der Kopf; bist du nur ein Teil, der vorgibt, das Ganze zu sein, und das ist natürlich falsch. Diese Perspektive ist verkehrt. Wenn du emotional und sentimental bist, bist du das Herz — und wieder gibt ein Teil vor, das Ganze zu sein, wieder spielt ein Diener sich als Meister auf. Auch das ist verkehrt.

Empfinden ist etwas, was die Gesamtheit einbezieht. Den Körper, den Verstand und die Seele. Tiefes Empfinden kennt keine Trennungen; Emp- findung ist untrennbar. Empfindend arbeitest du als eine Gesamtheit, und wenn du als Gesamtheit lebst und handelst, dann lebst und handelst du im Einklang mit der Gesamtheit.

Laß mich wiederholen: Wenn du als Gesamtheit lebst und handelst, dann lebst und handelst du im Einklang mit der Gesamtheit. Wenn du nur als Teil funktionierst, bist du abgespalten, abgefallen; du bist nicht länger im Einklang mit dem Ganzen. Und wenn du nicht mehr im Einklang mit dem Ganzen bist, ist alles, was du zu wissen glaubst, falsch, eine Illusion.

Im Einklang mit dem Ganzen weißt du, daß du überhaupt nichts weißt. Aber dieses Nicht-Wissen ist im Grunde eine Art von Wissen: eine Empfindung, eine Liebesaffäre mit der Gesamtheit.

Oh, wie kann ich jenem geheimen Wort je Ausdruck geben?

Wenn du eines Tages auf diese Art »weißt«, dann weißt du ein gehei- mes Wissen. Geheim, weil es nicht ausgedrückt werden kann, geheim, weil Sprache im Angesicht dieses Wissens unzulänglich ist. Geheim, weil dieses Wissen nicht gelehrt werden kann.

Ich muß euch eines sagen: Im Osten haben wir schon von jeher zwi- schen einem Lehrer und einem Meister unterschieden. Ein Lehrer ist ein Mensch, der etwas lehrt — das ist klar — und ein Meister ist ein Mensch, der eigentlich nichts lehrt — aber was macht er dann?

Ein Lehrer lehrt — er glaubt an Belehrungen, er glaubt, daß Wahrheit gelehrt werden kann, und das ist natürlich grundsätzlich falsch. Die Wahr- heit kann nicht auf Sprache reduziert werden, die Wahrheit kann nicht in

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irgendwelche Konzepte hineingepreßt werden. Wie läßt sie sich also leh- ren?

Die Wahrheit kann nicht ausgedrückt werden. Wie kann sie also ge- lehrt werden? Der Lehrer hat sie ja selbst nicht einmal erfahren! Der Lehrer ist genauso unbewußt, wie der Belehrte. Bei einem Lehrer kann man stu- dieren, das heißt, er vermittelt einem jeweils, was er an Wissen angesam- melt hat; es handelt sich also immer um eine Übermittlung von Informatio- nen.

Ein Meister lehrt nichts, aber man kann etwas von einem Meister »auf- schnappen«. Die Wahrheit kann zwar nicht gelehrt, aber sie kann »aufge- schnappt« werden.

Der Meister — sein bloßes Wesen, seine bloße Gegenwart, jede seiner Gesten, die Art, wie er dich anschaut, die Art, wie er geht, die Art, wie er spricht — nicht, was er sagt, nicht der Inhalt, sondern die Art und Weise, wie er spricht, die Art, wie er schweigt, die Art, wie er manchmal in Stille versinkt — vermittelt etwas zwischen den Worten, zwischen den Zeilen.

Ein Lehrer lebt in den Worten. Ein Meister lebt zwischen den Worten, in den Pausen, den Intervallen. Der Lehrer kann euch etwas beibringen; der Meister hat etwas, das ihr

nehmen könnt, wenn ihr wollt, aber er kann es euch nicht beibringen. Wenn du bereit bist, kannst du daran teilhaben. Wenn du Durst hast, kannst du ihn löschen, Es ist keine Kommunikation; es ist eine Komm- union. Zwischen einem Lehrer und einem Schüler findet eine Kommuni- kation statt; zwischen einem Meister und seinem Jünger findet eine Komm- union statt: Eine Übertragung von Energie. Etwas Geheimnisvolles geht von einem auf den anderen über und der Jünger öffnet sich wie eine Frau, um das absolut Unbekannte zu empfangen.

Oh, wie kann ich jenem geheimen Wort je Ausdruck geben?

Kabir ist ein Meister und sagt: Wie kann ich es ausdrücken, wie kann ich jenes geheime Wort jemals ausdrücken? Wie kann ich an die Oberflä- che bringen, was im tiefsten Grunde meines Wesens vor sich gegangen ist? Wie kann ich das, was sich in der vollkommenen Stille meiner Seele entfal- tet hat, in Worte zwängen, in Sprache übertragen, übersetzen?

Sprache ist völlig unzulänglich. Die Wahrheit ist unermmeßlich weit, während Sprache sehr eng und beschränkt ist. Die Wahrheit ist wie der of-

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fene Himmel, und die Sprache wie eine geschlossene Faust.

Eine kleine Geschichte: Ein Elefant plantschte gerade frohen Mutes im Swimmingpool her-

um, als eine Maus gerannt kam und ihn dringend bat, sofort aus dem Wasser zu kommen. Er ignorierte sie für eine Weile, aber sie wurde so aufdringlich, daß der Elefant sich schließlich aus dem Swimmingpool heraushievte und sie anschnauzte: »Zum Donnerwetter, was willst du denn bloß?« »Ich wollte doch bloß sehen, ob du meinen Bikini anhast«, schmollte die Maus.

Ja, die Wahrheit in Worte zu fassen ist genauso unmöglich, — sogar noch unmöglicher.

Worte sind klein, unbedeutend, alltäglich, materialistisch, weltlich. Die Wörter wurden von Menschen erfunden, doch die Wahrheit wird entdeckt. Sie wird niemals erfunden. Sie ist schon vorhanden und wird entdeckt, wenn jemand Mut genug hat, sich selbst darin zu verlieren, sich in einen Zustand des Nicht-Seins fallenzulassen, in einen Zustand ohne Gedanken. Nur so wird die Wahrheit erkannt. Sie wird nur dann erfahren, wenn du so vollkommen still bist, daß auch nicht eine einzige Gedankenwolke in dir aufsteigt.

Wie könnte man sie demnach in Sprachformen hineinpressen, auf Worte, auf Gedanken reduzieren?

Sie eröffnet sich nur, wenn kein Gedanke vorhanden ist. Ein Gedanke kann sie nicht vermitteln, und was auch immer ein Gedanke vermittelt, ist verzerrt.

Aus diesem Grunde befanden sich alle Menschen, die das Wahre er- kannt hatten, immer in den größten Schwierigkeiten, denn wie soll man es ausdrücken? Wie soll man es sagen?

Nachdem Buddha erleuchtet wurde, schwieg er sieben Tage lang. Er sprach kein einziges Wort. Es fiel ihm so unglaublich schwer...

Es ist ganz einfach, etwas zu sagen, wenn man nichts weiß, doch sehr, sehr schwer, wenn man die Wahrheit kennt. Es ist deshalb so leicht, etwas zu sagen, wenn man nichts weiß, weil man dann einfach daherreden kann. Wenn man die Wahrheit erkannt hat, ist es beinahe unmöglich, den Mund aufzumachen, denn man kann nur immer wieder um den heißen

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Brei herumlaufen. Das mache ich hier andauernd: Ich laufe um den heißen Brei herum,

in der Hoffnung, daß ihr eines Tages durch Zufall darauf kommt, daß das, was ich vermitteln will, nicht mit Worten vermittelt werden kann.

Während ihr meinen Worten zuhört, kann es sein, daß ihr plötzlich still werdet. Wenn ihr meiner Musik lauscht, kann es sein, daß ihr so aufmerk- sam, so wach werdet, daß die Wahrheit in euch eindringen kann — aber ich glaube nicht daran, daß ihr irgendetwas durch meine Worte erkennt. Das ist ganz und gar unmöglich.

Aus diesem Grunde ist bei allen Religionen immer von Vertrauen die Rede. Wenn ihr nur meinen Worten folgt, dann folgt ihr meiner Logik und da die Wahrheit nicht in Worte gefaßt werden kann, kann sie auch nicht zu einer logischen Folgerung gemacht werden. Nein, sie ist kein Vernunfts- schluß. Nur wenn du mich zutiefst liebst, gibt es eine Möglichkeit... denn dann bist du nicht auf der Suche nach der Logik; dann suchst du nach et- was anderem — sozusagen hinten herum. Dann bist du auf der Suche nach der Stille. Du lauschst der Stille zwischen den Zeilen.

Hier in meiner Gegenwart ist die Wahrheit greifbar, aber nicht in mei- nen Worten. Und wenn ihr nur meinen Worten zuhört, habt ihr überhaupt nicht zugehört. Dann wart ihr taub. Aber wenn ihr meinem Schweigen zu- gehört habt...

Vielleicht können euch meine Worte als Kontrast zu meinem Schwei- gen dienen... Hmm? Du malst mit weißer Kreide auf einer schwarzen Ta- fel, und dann erscheint die Schrift deutlich und klar, weil die Tafel den Kontrast erzeugt. Wenn du mit weißer Kreide auf eine weiße Wand malst, tritt es nicht so laut und deutlich hervor, es verliert sich.

Ich kann den Mund halten, ich kann schweigend dasitzen, aber ihr seid überhaupt nicht fähig, mein Schweigen zu verstehen. Mein Schweigen wä- re ein Schriftzug mit weißer Kreide auf einer weißen Wand.

Ich spreche zu euch — ich stelle eine schwarze Tafel von Worten, von Sprache, von Konzepten, Logik, Philosophie und Religion her und lasse nur ein paar kleine Lücken offen, Lücken des Schweigens, Öffnungen der Stille. Diese Pausen erscheinen dann sehr laut und deutlich. Gegen den Hintergrund der Sprache tritt die Stille ganz klar und deutlich hervor. Des- halb spreche ich. Deshalb spricht Kabir. Deshalb mußte Buddha sich nach sieben Tagen bereiterklären, zu sprechen.

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Ein Zen-Schüler lebte einmal bei einem Meister, den er sehr liebte, aber jedesmal, wenn er sich dem Meister auch nur von weitem näher- te, winkte dieser ab und sagte: »Noch nicht, noch nicht!« Die Zeit verging und eines Abends packte den Schüler die Verzweif- lung:

»Wie kann das sein? Der Meister hat mir noch kein einziges Wort gesagt, das mich auf den Weg der Erkenntnis bringen könnte. Der Meister weist mich einfach ab und sagt: Noch nicht, noch nicht! Was soll ich nur tun? Was soll ich damit anfangen?« So fuhr er fort, er dachte nach, grübelte, meditierte, in absoluter Hoff- nungslosigkeit, behielt jedoch den Gegenstand seiner Suche uner- müdlich im Auge, lotete ihn von jedem erdenklichen Gesichtswinkel aus und plötzlich kam ihm ein Geistesblitz und er erkannte auf der Stel- le, was der Meister ihm zeigen wollte.

Am nächtsten Morgen lief er zum Meister, um ihm zu sagen, was passiert war, aber der Meister brach schon bei seinem Ankommen in den Ausruf aus: »Jetzt hast du's, jetzt hast du's!'»

Was war geschehen? Jahrelang sagt der Meister: »Noch nicht, noch nicht.« Dann kommt der Schüler eines Tages und hat noch kein einziges Wort gesprochen und der Meister sagt: »Jetzt hast du's, jetzt hast du's!«

An dem Tag, an dem du nicht nur meine Worte, sondern auch mein Schweigen verstehst, brauchst du mir nicht zu sagen, daß du die Erkennt- nis gehabt hast, ich weiß es sofort. Ich weiß es schon lange, bevor du es selbst weißt.

Meister und Jünger verbindet ein sehr zartes Band — so etwas wie eine geistige Nabelschnur. Der Meister weiß die ganze Zeit, was los ist und sagt immer nur: »Noch nicht, noch nicht! Sag kein einziges Wort, denn alles, was du anbringst, ist nichts als dummes Zeug. Alles, was du anbringst, ist bloß Gedankenkram und hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Es ist immer noch Kopfwissen. Warte — noch nicht — sag noch nichts!«

Im Zen meditiert der Schüler über einen Koan, ein Zen-Rätsel, und geht dann zum Meister, um die Antwort vorzubringen, auf die er gekom- men ist. Das »noch nicht, noch nicht,« steht dafür, daß der Schüler noch nicht verstanden hat, worum es geht. »Geh zurück, und meditiere weiter«.

Der Zen-Meister sagt zum Beispiel: »Geh und höre das Klatschen einer einzigen Hand. Vernimm den Klang von einer Hand, die klatscht.« Und

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der Schüler spitzt seine Ohren und bemüht sich, diesen Ton zu hören und überlegt sich, was er antworten könnte, wie er dieses Rätsel lösen kann; und schließlich kommt er mit irgendeiner Antwort an.

Aber die Art, wie du kommst, die Bewußtseinsqualität, die du mit- bringst, sagt schon alles. Deine bloße Gegenwart genügt dem Meister, um zu fühlen, wo du bist und so sagt er: »Noch nicht, noch nicht!«

Ganz plötzlich, eines Tages, geschieht es. Es kommt völlig unerwartet aus heiterem Himmel.

Eine spirituelle Explosion ist tatsächlich eine Explosion. Es ist kein Pro- zeß, der schrittweise vor sich geht. Du wächst nicht Zentimeter für Zenti- meter. Entweder du hast es, oder du hast es nicht. Entweder du erkennst es, oder du erkennst es nicht. Dazwischen gibt es nichts. Es ist ein Geistes- blitz. Man meditiert und meditiert und meditiert, man dringt unermüdlich in die eigene Verstandes- und Gefühlswelt ein und blickt in sein inneres We- sen hinein.

Allein durch dieses In-sich-blicken wird der Blick eines Tages derartig durchdringend, daß der Verstand einfach stillsteht. Das Bewußtsein ist so total, daß keine Gedanken mehr aufkommen, die Aufmerksamkeit ist so perfekt, daß der Verstand sich auflöst. Du hast einen plötzlichen Geistes- blitz und weißt auf einmal... du weißt, daß nichts gewußt werden kann. Du weißt, daß Unwissenheit etwas Ursprüngliches ist. Du weißt, daß das Leben ein Mysterium ist, und daß es ein Mysterium bleibt. Du weißt, daß die Wahrheit nicht nur unbekannt, sondern »unkennbar« ist. Du bist von der Illusion des Wissens befreit.

So rannte der Schüler zum Meister, um ihm zu erzählen, was passiert war, denn wenn etwas von so ungeheuerlicher Bedeutung geschieht, möchte man es mit jemandem teilen, und wen sonst kann man daran teil- haben lassen? Wer kann einen schon verstehen? Nur ein Meister kann so etwas verstehen. Man möchte die Begeisterung mit ihm teilen.

Als der Schüler so beim Meister ankam, rief der Meister: »Jetzt hast du's, jetzt hast du's!«

Vorher hatte er ihm nicht erlaubt, auch nur ein einziges Wort zu sagen, und auch jetzt erlaubt er es ihm nicht.

Zuerst sagte er immer nur: »Noch nicht, noch nicht, halte den Mund. Geh zurück!« und jetzt sagt er: »Du brauchst gar nicht anzukommen. Du hast es erlebt. Jetzt halte weiterhin den Mund!«

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Wenn du die Wahrheit wirklich erlebt hast, kannst du sie unmöglich in Worte fassen, deshalb sagt der Meister: »Ich weiß, daß du es erfahren hast. Jetzt bleib still. Jetzt setze dich schweigend vor mich hin. Laß uns zusam- men sein — wahrhaft Zusammensein. Laß mich in dich hineinfließen, und du sollst in mich hineinfließen. Jetzt laß die Kommunion stattfinden, bei der eine Seele der anderen begegnet.«

Nun muß der eine Intellekt nicht mehr mit dem anderen kommunizie- ren.

Du halst die Hand deines Freundes — das ist eine Kommunikation auf körperlicher Ebene. Du sagst, etwas zu deinem Freund — das ist eine Kommunikation auf mentaler Ebene. Und dann hältst du dich einfach in der Gegenwart deines Freundes auf, ohne zu sprechen, ohne irgendetwas mit Gesten auszudrücken, ohne auch nur das geringste zu sagen zu haben — du bist eine reine Gegenwart, bist nur einfach da — da ist eine Kommu- nikation auf spiritueller Ebene.

Diese Kommunikation wird Kommunion genannt.

Ich bin dabei, hier eine Kommune zu schaffen, eine Kommune von Sannyasins. »Kommune« bedeutet, eine Ansammlung von Leuten, die versuchen, in Kommunion miteinander zu kommen.

»Kommune« bedeutet Leute, die zusammen sind, um miteinander zu verschmelzen. Also ist jeder, der hier noch an irgendeiner egoistischen Ein- stellung festhält, überhaupt nicht hier. Er geht an mir vorbei, und er geht an der Kommune vorbei, die hier entsteht.

Manchmal kommen Leute zu mir und sagen: »In diesem Ashram sind die Leute anscheinend überhaupt nicht aneinander interessiert. Keiner kümmert sich um den anderen.«

Solche Leute sind auf einem Ego-Trip. Sie wollen von den anderen be- achtet werden. Aber warum sollten sie beachtet werden?

Hier wird eine Situation hergestellt, in der keiner das Ego des anderen unterstützt. Kein Mensch mißt deiner Person irgendeine Wichtigkeit bei. Wenn du auf der Suche nach Einfluß und Bedeutung bist, steht dir die ganze weite Welt zur Verfügung. Hier, in meiner kleinen Welt, darfst du nicht auf der Suche nach Einfluß sein; wünsche dir keine Beachtung. Wer- de lieber wach, werde bewußt und versuche dich in der Kommune, die hier heranwächst, aufzulösen.

Und es ist leichter, jetzt gleich mit ihr zu verschmelzen, denn jetzt befin-

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det sie sich noch in ihrem Anfangsstadium. Wenn sie erst einmal tiefer ge- gangen ist, wird es viel schwieriger, den Sprung zu tun, weil der Abstand dann schon zu groß ist. Jetzt, im Moment, ist der Abstand noch nicht be- sonders groß, es ist nur eine kleine Kluft, die ganz leicht übersprungen wer- den kann.

Oh, wie kann ich jenem geheimen Wort je Ausdruck geben? Wie kann ich sagen, Er ist das eine und nicht das andere?

Wie kann man sagen, Gott sei das eine oder andere? Da stößt man auf viele Probleme. Zum ersten ist die Sprache unzulänglich; zum zweiten ist der Zuhörer nicht reif...

Ihr seht so aus, als hörtet ihr zu, aber ihr hört nicht wirklich. Zum Zuhö- ren braucht man eine außerordentliche Sensibilität. Das ganze Wesen muß zu Ohren werden. Man muß mit jeder Zelle des Körpers hören, mit Haut und Haaren. Man muß mit den Augen, den Händen und den Fußsohlen hören. Man muß mit seiner Gesamtheit zuhören. Man muß zu Ohren al- lein werden.

Ich habe gehört, daß ein Wärter des Londoner Zoos von zwei lang- mähnigen Jugendlichen fasziniert war, die vor dem Löwenkäfig mit großem Ernst ihre Gitarren schlugen.

»Mein Bruder hier, der ist ein cooler Typ«, erklärte der eine be- scheiden. »Wenn Sie den mit seiner Gitarre in den leeren Käfig da set- zen und immer einen Löwen nach dem anderen reinlassen, dann se- hen Sie, daß sogar die wilden Tiere auf seine Musik abfahren.«

Daraufhin führte der Warter seinen Bruder sofort in den leeren Kä- fig und ließ den ersten Löwen zu ihm hinein.

Fast augenblicklich schien der Löwe zu lächeln und begann, zierli- chen Schrittes zur Musik zu tanzen. Ein zweiter Löwe wurde hineinge- lassen und fing an, eine elegante Kreuzung zwischen Twist und Taran- tella auszuführen.

Dann kam ein dritter Löwe in den Käfig und ehe man sich's versah, war er auf den unseligen Gitarristen gesprungen und hatte ihn aufge- fressen.

Der Zoowärter klopfte dem hinterbliebenen Bruder mitfühlend auf die Schulter:

»Das hab ich beinahe befürchtet«, seufzte er, »als ich den tauben

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Löwen da reinließ.«

Ihr seid taub, auch wenn ihr so ausseht, als ob ihr hörtet. Ihr seht auch aus, als ob ihr sehen könntet, aber ihr seid blind. Ihr seht

aus, als wäret ihr lebendig, aber ihr seid tot. Eure Lebendigkeit hängt von eurem Feingefühl ab. Wenn ihr genügend Feingefühl mitbringt, kann die Wahrheit auf indirektem Wege angedeutet werden, aber nur dann. Man kann nun einmal nur Hinweise geben, und Hinweise sind etwas so Indirek- tes, daß ihr sie nur mitbekommt, wenn ihr mit größter Aufmerksamkeit zu- hört.

Wie kann ich sagen, Er ist das eine und nicht das andere? Wenn ich sage, Er ist in mir, dann ist das All beschämt...

Wie kann man sagen, daß Gott in unserem Inneren ist — denn wer ist dann außen?

Er ist sowohl außen als innen.

Wenn ich sage, Er ist in mir, dann ist das All beschämt...

Es gab Mystiker die erklärten, daß Gott im Menschen ist. Mahavir ent- schloß sich zu sagen, daß er im Inneren ist. Doch das ist eine Halbwahr- heit. Das ist nicht die ganze Wahrheit. Mohammed, der sagte, Gott ist au- ßen, hatte sich damit für die andere Hälfte entschieden. Auch das ist nur ein Teil der Wahrheit, nicht die ganze.

Kabir versucht, in tiefere Bereiche einzudringen. Mohammed erklärte: »Er ist außerhalb von uns«, und deshalb wurde

Mansur von Mohammeds Anhängern umgebracht, denn Mansur hatte öf- fentlich verkündet: »Gott ist in mir. Ich bin Gott — Anal haq — ich bin die Wahrheit«. Das konnten die Mohammedaner nicht hinnehmen, denn es hatte immer geheißen: »Gott ist hoch im Himmel«

Wie kannst du als Sterblicher behaupten, Gott ist in dir oder gar, du bist Gott? Das ist eine Gotteslästerung!

Mahavir entschied sich für das genaue Gegenteil. Er sagte: »Gott ist in dir. Darum sollst du ihn an keinem anderen Ort

verehren. Geh nicht hin, urn ihn im Fluß oder der Sonne oder den Bäu- men oder im Mond und in den Sternen zu verehren. Geh nirgendwo hin, ihn anzubeten. Er ist nicht in den Tempeln. Er ist in dir.«

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Auch das ist eine Halbwahrheit, denn Gott ist innen sowohl als außen. Kabir spricht:

Wenn ich sage, Er ist in mir, dann ist das All beschämt, und wenn ich sage, Er ist außerhalb, dann ist es eine Lüge. Die Welten im Inneren und außerhalb umfangen sich in seinen Armen und werden untrennbar eins.

Der Verstand macht eine Trennung zwischen dem Inneren und dem Äußeren. In Wirklichkeit gibt es aber weder Inneres noch Äußeres.

Was ist innen? Habt ihr jemals darüber nachgedacht? Was ist innen und was ist außen?

Du sagst: »Dies ist das Innere meines Hauses«, und dann gehst du durch eine Tür nach draußen und sagst: »Dieses alles befindet sich außer- halb meines Hauses«.

Aber außen wie innen ist die gleiche Luft. Das Innere und das Äußere sind nicht zwei verschiedene Dinge — du atmest die gleiche Luft ein und aus. Wenn du ausatmest, geht der gleiche Atem nach außen, der vorher beim Einatmen nach innen gegangen ist.

Das Innere ist untrennbar mit dem Äußeren verbunden. Einatmen ist Teil des Ausatmens. Ausatmen Teil des Einatmens. Der Atem, der nur ei- nen Augenblick vorher ein Teil von mir war, ist jetzt ein Teil von dir. Und dein Atem ist nicht länger ein Teil von dir, er ist zu meinem Atem gewor- den.

Demnach bist du also gar nicht so »Außen« und ich bin gar nicht so »Innen«. Wir sind untrennbar miteinander verbunden.

Ein Apfel hängt am Baum, du ißt ihn auf, verdaust ihn und innerhalb weniger Stunden ist ein Teil von dir geworden: er zirkuliert in deinem Blut. Nach ein paar Monaten ist er in deine Knochen übergegangen, andere Tei- le des Apfels sind zu deinem Bewußtsein geworden, deinem Verstand, deiner Wahrnehmung, deinen Gedanken. Irgendein Teil des Apfels wird zu deiner Meditation...

Und eines Tages stirbst du, dein Körper wird in der Erde begraben, und ein Apfelbaum ernährt sich davon. Wieder das gleiche: dein Körper gibt dem Apfelbaum Nährstoffe und du zirkulierst in den Säften des Apfelbau-

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mes, du wirst zu einem Blatt des Baumes, zu einer Frucht des Baumes und so weiter und so fort.

Nichts ist innen, nichts ist außen. Wir sind alle miteinander verbunden. Das Universum ist eins. Deshalb nennen wir es ja auch nicht Multiversum, sondern Universum, weil es eben eins ist. Er ist uni, eine Einheit.

Das Bewußte und das Unbewußte zwei Füße im selben Tanz. Er ist weder sichtbar noch verborgen. Er ist weder offenbart, noch gibt Er sich zu erkennen. Kein Wort kann es benennen — und sagen, was Er ist.

Wie soll man es dann sagen? Sagen wir »Innen«, ist es eine Halbwahr- heit; sagen wir »Außen«, ist es wieder eine.

Und wenn wir sagen, Gott ist innen sowohl als außen, wird die Sache verwirrend, denn dann werden alle unsere Unterscheidungen und Katego- rien ungültig. Dann wird es praktisch unmöglich, festzustellen, wer er ist; dann kann man kein normales Leben mehr führen.

Wenn ich dich dabei erwische, wie du deine Hand in meine Tasche steckst, stehe ich dumm da, denn dann kann ich nicht mehr sagen: »Was machst du denn da? Bist du ein Taschendieb, ein Kleptomane oder was?« Dann kann ich überhaupt nichts sagen, denn du bist ich und ich bin du.

Deshalb habe ich keine Taschen, wie ihr seht. Ich kann nichts ausein- anderhalten.

Das alltägliche Leben würde unglaublich kompliziert werden: Ich weiß nicht, wie ich heiße, du weißt nicht, wie du heißt; alles wird total verwir- rend.

Ich habe folgendes gehört: Ein schwerreicher, alter Herr der High Society trat während einer

Party nichtsahnend in den Garten seiner Villa hinaus, und überraschte seine blutjunge Ehefrau in den Armen eines anderen.

»Was soll das bedeuten?« schrie der aufgebrachte Millionär. »Wer ist dieser Mann?«

Nach einer kurzen Verlegenheitspause räusperte sich die junge Angetraute und ergriff das Wort:

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»Die Frage meines Gatten ist absolut berechtigt! Wie heißen Sie überhaupt?«

Sowas kommt heute immer häufiger vor. Und in gewisser Weise ist das auch nicht verkehrt, denn niemand hat einen Namen. Wozu soll man den Namen des anderen wissen, wenn alle Namen ohnehin falsch sind? Na- men sind austauschbar. Sie sagen nichts aus; man braucht sie nur, weil der alltägliche Umgang sonst unmöglich würde.

Darum sagt Kabir, daß es eine Halbwahrheit ist, wenn wir behaupten, er sei innen, und damit ist die Welt, das ganze Dasein, beschämt. Und wenn wir sagen, er ist außen, ist es auch nicht wahr, denn er ist ebenso in- nen. Und wenn wir sagen, daß er beides ist, daß er untrennbar eins ist, dann gibt es keine Unterscheidungen mehr und das wäre sehr unpraktisch.

Also wie soll man es sagen?

Kein Wort kann es benennen — und sagen, was Er ist.

Nur schweigend kann man ihn empfinden; nur schweigend kann er euch gezeigt werden.

Ja, man kann nichts über ihn sagen, aber man kann ihn euch zeigen, und darin liegt die Bedeutung der Beziehung zwischen einem Meister und seinem Jünger. Ein Meister führt dich auf bestimmte Ebenen, zu einer Wahrnehmung, die nunmehr zum Bestandteil seines Daseins geworden ist. Er nimmt dich mit, in seine innere Welt, so daß du ein wenig durch sei- ne Ohren hören kannst, so daß du ein wenig durch seine Augen sehen kannst. Auch nur ein kurzer Einblick in diese Welten, macht dir alles viel, viel leichter.

Und es besteht keine Notwendigkeit, den Ablauf des praktischen Le- bens zu stören. Laßt der Welt ihren Lauf. Darum sage ich, kehrt euch nicht von der Welt ab, sondern nehmt unmittelbar daran teil. Die Welt ist gut, so wie sie ist. Ihr müßt nur wissen, daß alles beliebig austauschbar ist, daß alle Unterscheidungen nur zweckdienliche Einrichtungen sind, und nicht auf der Wahrheit beruhen. Sie haben ihre Nützlichkeit, aber sie sind nicht wahr. Benutzt die Unterscheidungen, aber verliert euch nicht darin.

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O Wang, ein hoher Würdenträger der Regierung, verspätete sich ein- mal beim Besuch von Bokoju, einem Zen-Meister. Bokoju fragte nach dem Grund seiner Verspätung und erhielt zur Antwort, daß der Be- amte einem Polospiel zugesehen habe. Der Meister fragte ihn: »Wer schlägt den Ball, der Reiter oder das Pferd?«

»Der Reiter.« »War er müde?« »Ja, er war müde.« »Was das Pferd müde?« »Ja, das war ebenfalls müde.« Dann fragte Bokoju: »War der Torpfosten müde?« Der Beamte sah sich außerstande, diese Frage zu beantworten.

Der Torpfosten müde? Nach Hause zurückgekehrt, verbrachte er den ganzen Abend da-

mit, über die seltsame Frage des Meisters nachzudenken. Die Lösung ging ihm dann ganz plötzlich und unerwartet mitten in der Nacht auf.

Am nächsten Tag begab sich der Beamte zum Meister, um ihm zu berichten, daß er die Frage jetzt verstünde. Daraufhin fragte Bokoju: »Und — war der Torpfosten müde?« »Jawohl, er war müde!« sagte der Regierungsbeamte.

Bokoju lachte und sagte: »Da hast du recht!«

Hier wird von einer außerordentlichen Erfahrung berichtet. Das Uni- versum ist eins. Der Reiter ist müde, das Pferd ist müde, und wie steht es um den Torpfosten?

Der gewöhnliche Verstand würde sagen: »Was für ein Unsinn! Ein Torpfosten ist ein totes Ding!« Aber wenn das Universum eins ist, untrenn- bar eins ist, kann nichts tot sein — oder nichts lebendig. Entweder ist alles tot oder alles lebendig. Aber wie kann irgendetwas tot sein, wenn das Universum lebt, wenn Gott Leben ist? Wenn Gott Leben ist, kann nichts tot sein. Das ist es, was dem Beamten aufging: wenn der Meister sagt, daß alles eins ist, muß natürlich auch der Torpfosten müde sein.

Jetzt haben die Wissenschaftler festgestellt, daß auch Bäume Müdigkeit empfinden. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre wurde die Tatsache be- kannt, daß Pflanzen Gefühle haben, daß sie müde sind, glücklich sind,

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traurig sind, wütend sind; daß Pflanzen Liebe fühlen. Möglicherweise stößt ein Wissenschaftler eines Tages auf die Tatsache, daß selbst ein Torpfosten müde sein kann — daß ein Torpfosten Müdigkeit, Glück, Traurigkeit und Wut empfindet.

Wenn das Universum eins ist, dann muß es so sein. Hast du jemals daran gedacht, wenn du abends müde von einem lan-

gen Weg nach Hause kommst, daß deine Schuhe auch müde sein müs- sen? Das wäre sehr verwirrend und könnte dich sehr beunruhigen. Darum lassen wir solche Gedanken nicht in unser Bewußtsein dringen. Die Wis- senschaftler haben festgestellt, daß wir nur zwei Prozent aller Tatsachen in unser Bewußtsein lassen, achtundneunzig Prozent wird der Einlaß ver- wehrt, denn damit würde unser Leben unglaublich kompliziert werden. Solange man nicht sehr, sehr bewußt ist, würde das Leben in der Gesell- schaft unmöglich gemacht. Nur wenn man bewußter wird, kann man mehr Informationen verarbeiten, mehr von der Wirklichkeit in sein Be- wußtsein eindringen lassen. Und wenn die Bewußtheit perfekt ist, kann man hundert Prozent des Lebens aufnehmen, ohne daß es verwirrend wird. Einmal in die Bewußtheit hineingewachsen, kann man das Dasein in seiner Totalität hereinlassen. Dann erkennt man, daß der Heilige ein Sün- der und der Sünder ein Heiliger ist. Dann sieht man, daß Gott der Teufel und der Teufel Gott ist. Dann wird einem klar, daß Materie Geist ist und der Geist etwas Materielles.

Die Gesamtheit kann erst erkannt werden, wenn man so vollkommen bewußt geworden ist, daß man nicht vom Ansturm der Eindrücke verwirrt wird.

Normalerweise brauchen wir Unterscheidungen, um die Dinge ausein- anderzuhalten: »Dieser Mensch ist schlecht, vermeide ihn, dieser Mensch ist gut, folge ihm, versuche, so zu werden wie er. Dieser Mensch ist schlecht, komm nicht in Kontakt mit ihm, sei nicht freundlich zu ihm, das ist gefährlich. Dies ist Gift, jenes Nektar, trink den Nektar und vermeide das Gift.«

Ich habe eine sehr schöne Geschichte gehört. Hört aufmerksam zu:

Es waren einmal zwei Männer, die genau das gleiche Essen zu sich nahmen, aber der eine besaß zwei Eßschalen und der andere nur ei- ne. Der Mann mit den zwei Schalen trennte sein Essen in Bitteres und

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Süßes und füllte das Bittere in die eine und das Süße in die andere Schale, wogegen der Mann, der nur eine Schale hatte, das Bittere mit dem Süßen vermengte.

Mit der Zeit verlor der erste Mann immer mehr an Gewicht und siechte langsam dahin, während der zweite, der genau das gleiche Es- sen aß, mit jedem Tag gesünder und kraftvoller wurde. Schließlich er- kannte der erste, daß er nun bald sterben müsse und bat den zweiten, in seiner Verzweiflung, ihm das Geheimnis seiner Gesundheit und sei- ner Stärke zu verraten.

»Du mit deinen zwei Schalen«, antwortete dieser, »hast das Bittere vom Süßen getrennt, weil du dem Geschmack soviel Bedeutung bei- gemessen hast. Und so konnte das Essen dich nicht durch das ihm in- newohnende Leben ernähren. Ich hatte nur eine Schale, habe also das Bittere mit dem Süßen vermischt, ohne mich von dem Ge- schmack beirren zu lassen. Ich nahm alles, was mir gegeben wurde, einfach als Nahrung an, und es hat mich mit seiner Kraft erfüllt, geprie- sen sei Gott.«

Der erste Mann erhob sich mit Mühe von seinem Lager, ergriff ei- ne seiner Schalen mit letzter Kraft und zerschlug sie. Aus der übrigge- bliebenen Schale nahm er dankbar zu sich, was sein Freund ihm zu es- sen gab und wurde wieder heil und ganz.

Das ist eine schöne Geschichte, eine Sufi-Parabel, die besagt: Wenn du Trennungen machst, bist du auch innerlich getrennt.

Wenn du das Dasein in Gut und Böse, Gott und Teufel, Bewußtsein und Unbewußtsein, Himmel und Hölle aufteilst, bewirkt das zwangsläufig auch eine Teilung in dir. Du wirst in zwei Hälften gespalten, du wirst schi- zophren. Du verlierst deinen Zusammenhalt, du bist nicht mehr »beieinan- der«; du zerfällst in Einzelteile und lebst nicht länger als ausgeglichene Ein- heit. Deine Wahrnehmung, deine Anschauung, ist gespalten — wie kannst du selbst dann ein Ganzes sein? Deine Sichtweise ist nämlich dein Sein. Wenn du aufhörst, Unterscheidungen zu machen, und anfängst, das Eine zu sehen, wirst auch du eins, denn du wirst immer zu dem, was du siehst.

Sobald du das Bittere und das Süße aus einer einzigen Schale ißt, wirst du gestärkt, denn die Widersprüche widersprechen sich in Wirklichkeit nicht. Sie ergänzen einander.

Alan Watts nannte George Gurdjieff einen heiligen Schurken. Das

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stimmt genau, denn ein echter Heiliger kann nichts anderes als ein Schurke sein, weil er sowohl süß, als auch bitter ist. Wenn jemand nur heilig ist, nur immer süß, süß, süß, dann laßt die Finger von ihm, denn davon wird man zuckerkrank. Ein zuckersüßer Heiliger ist gefährlich. Immer nur süß? Davon wird einem früher oder später schlecht und man bekommt Bauchschmerzen. Das Bittere ist genauso notwendig.

Wenn man sich von der Totalität, der untrennbaren Gesamtheit er- nährt, wird man gestärkt. Das ist der Sinn dieser Geschichte: Macht keine Trennungen.

Aber die Sprache trennt die Dinge und deshalb kann die Wahrheit nicht sprachlich ausgedrückt werden. Es ist falsch zu sagen: »Gott ist gut«, denn wer ist dann böse? Oder zu sagen: »Gott ist Licht«, denn wer ist dann die Dunkelheit?

Vielen Sannyasins habe ich Namen gegeben, die »Dunkelheit«, »Nacht« und dergleichen bedeuten, und ihre Reaktion beobachtet, wenn ich ihnen diese Namen gebe. Einer meiner Sannyasins gab ich den Namen Nisha, die Nacht. Zwei, drei Tage später schrieb sie prompt eine Brief: »Bhagwan, ich fühle mich sehr unwohl mit diesem Namen.«

Vor zwei, drei Tagen gab ich einer anderen Sannyasin den Namen Ya- mini, was ebenfalls »Nacht« bedeutet. Ihr Brief ist bereits eingetroffen — sie muß jetzt gerade hier sein — ihr Brief ist angekommen: »Bhagwan, kannst du meinen Namen nicht ändern? Yamini — die Nacht — das Licht ist mir viel lieber...«

Unsere Ideologie ist absolut dualistisch. »Gott ist Licht« — aber wer ist dann die Finsternis? Dann muß es zwei Götter geben; dann muß es auch einen Gott der Finsternis geben. Dann seid nicht nur ihr schizophren, son- dern auch die gesamte Existenz. Nicht nur ihr seid gespalten, ihr habt auch das Dasein gespalten.

Nein, der Tag ist schön und die Nacht ebenfalls. Der Tag ist göttlich und göttlich ist die Nacht. Es wird euch überraschen, aber das englische Wort »day«, der Tag, stammt aus derselben Wurzel wie das Wort »divine«, gött- lich. Beide Worte haben dieselbe Wurzel. Der Tag ist also göttlich, aber was ist mit der Nacht? Kein Mensch nennt die Nacht göttlich, aber die Nacht ist ebenfalls göttlich und es wäre besser, von beidem zu essen, vom Tag und von der Nacht. Es ist besser, nur eine Schale zu haben.

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Ich gebe meinen Sannyasins nur eine Schale. Eßt das Süße sowohl als das Bittere, das Gute sowohl als das Böse, das Bewußtsein sowohl als das Unbewußtsein aus einer Schale. Genießt beides, denn dadurch werdet ihr gestärkt, dadurch werdet ihr wahrhaft stark, und diese Stärke steht nicht im Gegensatz zur Weichheit. Nein, je stärker ihr werdet, desto zarter und wei- cher werdet ihr auch.

Das ist Schönheit: Wenn ein großer, starker Mann so zart wie eine Blu- me ist; so scharf wie ein Schwert und so verletzlich wie ein Blütenblatt. Dann ist man ein ganzer Mensch. Dann ist man unaufgespalten. Dann ist man unteilbar. Dann ist man wirklich ein Individuum.

»Individuum« heißt: das Unteilbare. Man ist heimgekehrt. Man ist eins geworden. Jetzt kann man sich ausruhen und entspannen.

Aber die Sprache macht von Natur aus Unterschiede. Wenn ich sage: »Du bist mein Freund«, habe ich einen Unterschied gemacht. Damit habe ich ausgedrückt, daß ich einen anderen als Feind betrachte und dich, im Gegensatz dazu, als meinen Freund.

»Ich liebe dich«, bedeutet, »ich hasse einen anderen.« Wenn ich sage, »ich bin glücklich«, bedeutet das, daß Unglück unerwünscht ist. Sprache trennt. Sprache basiert auf Schizophrenie, basiert auf einer tiefgreifenden Zwiegespaltenheit.

Kein Wort kann es benennen — und sagen, was Er ist.

Der Fluß und seine Wellen sind eine Flut. Was ist der Unterschied zwischen dem Fluß und seinen Wellen? Wenn Wellen sich erheben, hat Wasser sich erhoben und wenn sie fallen fällt wieder dasselbe Wasser. Nun sag mir, gelehrter Herr, wo, wo ist der Unterschied?

Man muß zu einer Wahrnehmung gelangen, die keine Trennung zwi- schen dem Niederen und dem Höheren, dem Materiellen und dem Geisti- gen macht.

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Erlangt eine Wahrnehmung, die darüber hinausgeht, denn die Welle ist der Ozean und der Ozean ist seine Wellen. Beides gehört untrennbar zu- sammen.

Habt ihr den Ozean je ohne seine Wellen gesehen? Habt ihr je eine Welle ohne den Ozean gesehen? Beides gehört zusammen. Welle und Ozean sind die beiden Pole einer Einheit. Einheit existiert zwischen zwei Polen. Wir sehen sieben verschiedene Farben, aber alle Farben gehören zum selben Licht. In einem einzigen Lichtstrahl ist die ganze Skala der Far- ben enthalten. Vom tiefsten Schwarz bis zum weißesten Weiß, gehört das ganze Spektrum dem Einen, dem Licht.

Sag mir, gelehrter Herr, wo, wo ist der Unterschied? Weil wir sie Welle nennen, soll ich sie nicht mehr als Wasser betrachten?

Worte sind nur Namen; nützlich und gut, soweit sie reichen, aber laßt euch nicht vom Nutzen blenden. Erinnert euch an die Wahrheit.

Nutzen ist praktisch, Wahrheit ist wirklich. Nützlichkeit hat seine Funk- tion im Leben, aber ihre Funktion ist nicht das Wesen der Dinge.

Was ist Welle und was ist Ozean, wenn du nicht da bist, sie zu benen- nen? Wenn du nach Hause gegangen bist und den Ozean allein gelassen hast, gibt es keine »Wellen« und keinen »Ozean« mehr. Alles ist eins. Du kommst und bringst deine Unterscheidungen an. Und das ist auch in Ord- nung, solange du nicht vergißt, daß du keinen Unterschied erzeugst, wenn du eine Welle »Welle« nennst. Aber wir fallen auf unsere eigenen Bezeich- nungen herein und lassen uns in die Irre leiten.

Als die Königin von Griechenland das Bernard College am Broadway besuchte, um einen Ehrendoktortitel in Empfang zu nehmen, ergab sich für einen Moment eine peinliche Situation: ein eingefleischter Psy- chiater von der Columbia Universität, gleich gegenüber, nahm als Gast an den Feierlichkeiten teil. »Treten Sie näher«, lächelte der Dekan von Bernard ihm zu. »Machen Sie die Bekanntschaft der Königung von Griechenland.« Der alte Psychiater küßte der Königin höflich die Hand, flüsterte aber dann laut genug für die Ohren Ihrer Majestät dem Dekan zu: »Scheint ein harmloser Fall zu sein... Wie lange hält sie sich schon für

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eine Königin?«

Ein Psychiater ist nämlich ständig von Leuten umgeben, von denen sich irgendjemand für einen König oder eine Königin hält; oder ein anderer meint, er sei Adolf Hitler oder Napoleon. Alles verrückte Leute.

Der Psychiater sagt: »Scheint ein harmloser Fall zu sein, wie lange hält sie sich schon für eine Königin?« Aber wo liegt der Unterschied, ob du nun glaubst, du bist ein König oder ob du es wirklich bist?

Das gleiche passierte in einer Irrenanstalt in Indien, als Pandit Jawahar- lal Nehru noch Premierminister war und der Anstalt einen Besuch abstatte- te. Gerade an dem Tag sollte ein Insasse entlassen werden und der Direk- tor der Anstalt dachte, es wäre eine gute Idee, wenn ihn der Premiermini- ster persönlich entlassen würde. Der Mann wurde vorgebracht und Jawa- harlal wandte sich an ihn:

»Wie lange waren Sie denn hier?« »Drei Jahre«, sagte der Mann, »und ich wurde sehr gut behandelt. Die-

se Leute haben mich völlig kuriert.« Dann fragte er unvermittelt: »Aber wer sind Sie denn?«

Daraufhin sagte Jawaharlal: »Kennen Sie mich denn nicht? Ich bin Pandit Jawaharlal Nehru, der Premierminister von Indien.«

»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, tröstete ihn der Mann. »Unsere Freunde hier werden Sie innerhalb von drei Jahren spätestens da- von kurieren. Als ich hier ankam, habe ich das auch gedacht.«

Aber gibt es da wirklich einen Unterschied? Wenn man die Mystiker fragt, dann gibt es keinen. Ein Verrückter denkt in seinem Wahn, er sei der Premierminister und ein anderer ist Premierminister, also verrückt. Der Un- terschied ist nicht sonderlich groß. Die beiden sind bloß verschiedene We- ge gegangen. Der eine ist verrückt, deshalb hält er sich für den Premiermi- nister, und der andere ist Premierminister, genau das weist ihn als Verrück- ten aus. Mag sein, daß es gewisse praktische Unterschiede gibt, aber in Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied.

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Weil wir sie Welle nennen, soll ich sie nicht mehr als Wasser betrachten?

Im ewigen All gleiten Welten wie Perlen durch seine Hand. So betrachte diesen Perlenkranz mit den zärtlichen Augen der Weisheit.

Was sind die Augen der Weisheit? Die Augen der Weisheit öffnen sich, sowie man sein Wissen fallenläßt.

Wenn man seine Unwissenheit verbirgt, wird man gelehrt, ein Intellek- tueller; aber sobald man das Wissen fallenläßt, und seine Unwissenheit als eine fundamentale und endgültige Tatsache akzeptiert, wird man weise.

Das sind also die drei verschiedenen Typen, die es auf der Welt gibt: Der Unwissende, der versucht, gelehrt zu werden; der Gelehrte, der völlig vergessen hat, daß er überhaupt nichts weiß, und der Weise, der über das intellektuelle Wissen hinausgewachsen ist und zu dem Punkt gekommen ist, an dem er seine Unwissenheit als endgültig akzeptiert hat und daher keinerlei Anstrengungen mehr macht, auch nur das geringste zu wissen. Ein solcher Mensch ist an den Punkt gekommen, wo er weiß, daß man nichts wissen kann; daß Wissen »über etwas« unmöglich ist; daß unsere Unwissenheit in der eigentlichen Natur der Existenz liegt, denn das Dasein ist ein Mysterium.

Mit dieser Unwissenheit hat er sich völlig abgefunden, er ruht gelassen in seiner Unwissenheit und ist so unschuldig geworden wie ein Kind.

So gelangt man zur Weisheit. Nicht durch Wissen, sondern durch das Wissen, daß nichts gewußt werden kann; durch das Wissen, daß alles Wissen Illusion ist; durch das Wissen, daß das Dasein geheimnisvoll ist und gänzlich unerreichbar für Leute, die es analysieren und auseinanderneh- men wollen.

Es ist nur erreichbar für Menschen, die fähig sind, sich in das Dasein zu verlieben. Es ist erreichbar für Menschen, die in das Lied des Seins einstim- men können, die mit Gott zusammen tanzen können.

Gott ist nur erreichbar für die Sänger und Tänzer und alle unschuldigen Wesen.

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Die erste Frage:

Warum willst du eigentlich kein Heiliger der Massen sein, wie alle ande- ren indischen Heiligen?

ch bin kein Inder. Genausowenig, wie ich ein Amerikaner oder Chi- nese bin. Ich glaube weder an Länder, noch an irgendwelche politi-

sche Grenzen. Die Menschheit hat genug unter diesen politischen Tren- nungen gelitten. Mit diesem Unsinn muß jetzt Schluß gemacht werden. Ich lebe hier, weil ich schließlich irgendwo leben muß, aber ich gehöre nicht zu Indien. Ich bin kein Nationalist, denn jeder Nationalismus ist ei- ne Form von Faschismus.

Wenn du dich für einen Inder oder einen Deutschen oder einen Ja- paner hältst, bist du ein Faschist und damit eine Gefahr für die Mensch- heit, für den Frieden, die Liebe, den Fortschritt. Dann bist du kein religi- öser Mensch. Ein Nationalist kann niemals religiös sein, das ist unmög- lich. Ein Nationalist ist hochgradig neurotisch. — Die gesamte Mensch- heitsgeschichte liefert genügend Beweise dafür.

Ich bin kein Inder, das ist das erste. Und zum zweiten: Ich bin kein Heiliger.

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Du fragst: »Warum willst du eigentlich kein Heiliger der Massen sein, wie alle anderen indischen Heiligen?«

Erstens bin ich kein Inder und zweitens kein Heiliger. Die bloße Be- hauptung ein Heiliger zu sein, ist eine Verurteilung aller anderen Men- schen. Schon mit dieser Behauptung allein werden andere verurteilt. Wenn ich ein Heiliger bin, dann bist du ein Sünder, dann müßt ihr alle Sünder sein — woher sollte ich sonst meine Heiligkeit nehmen? Für die Herstellung eines einzigen Heiligen braucht man ein paar Millionen Sünder — ein äußerst kostspieliges und unwirtschaftliches Unternehmen.

Ich wünsche mir eine Welt, in der es keine Sünder und keine Heiligen gibt. Beide sind nur die zwei Seiten derselben Münze.

Lao Tse sagt im Tao Te King: »Als die Welt noch im Einklang mit Him- mel und Erde war, gab es keine Heiligen und keine Sünder.« Mit dem Er- scheinen der Heiligen tauchten auch die Sünder auf. Wenn du jemanden als einen Heiligen bezeichnest, hast du angefangen Trennungen zu ma- chen, Trennungen in Gut und Böse, in das, was man tun, und das, was man lassen muß. Dann akzeptierst du das Leben nicht in seiner Gesamt- heit, du wählst dir eine Seite aus.

Ich lehre eine 'wahl-lose' Bewußtheit. Ich lehre euch, keinerlei Wahl von euch aus zu treffen, denn was immer ihr wählt, kann nur falsch sein, da ihr die Auswählenden seid. Akzeptiert das Dasein in seiner Gesamtheit und hört auf, allem ein Etikett aufzukleben, wie: dies ist gut und jenes ist schlecht.

Diese Unterscheidung zwischen dem Sünder und dem Heiligen geht wieder nur vom Ego aus. Sie ist tyrannisch. Sie beruht auf Haß und Ver- achtung. Kein Heiliger blickt auf euch herab mit Blicken, die besagen: »Ich bin heiliger als ihr. Ich bin ein Auserwählter und komme in den Himmel, und ihr kommt alle in die Hölle.« Nein, das ist nicht meine Sichtweise. Ich erkläre euch alle als heilig und göttlich; es gibt kein Wesen auf der Welt, das nicht heilig ist. Für mich bedeutet das Wort 'heilig' einfach heile; heil und ganz. Wir alle gehören zu einem heilen Ganzen, wir sind alle heilig. Wir sind Teile eines einzigen universellen Bewußtseins. Wir sind Wogen eines einzigen Ozeans.

Das ist es, was Kabir gestern gesagt hat: die Welle ist nichts anderes als der Ozean. Und eine Welle schmutzigen Wassers gehört genauso zum Ozean wie eine Welle sauberen Wassers.

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Und was heißt schmutzig und was heißt sauber? Das sind alles menschliche Vorstellungen. In einem Land mag ein Mann als Heiliger gel- ten und in einem anderen nicht. In einem Jahrhundert gilt jemand als Hei- liger und später denkt man völlig anders darüber.

Stellt euch Mohammed nur einmal mit seinem Schwert in der Hand vor! Würde ein Jaina oder Buddhist Mohammed als Heiligen bezeichnen? Ausgeschlossen! Mit einem Schwert bewaffnet kann Mohammed kein Hei- liger im Sinne der Buddhisten und Jainas sein. Können die Mohammeda- ner einen Mahavir oder Buddha als Heiligen bezeichnen — einen Men- schen, der einfach tatenlos unter seinem Bodhi-Baum sitzt, während das übrige Volk in Elend und Unterdrückung lebt? Was für eine Art von Heilig- keit ist das? Das sind Realitätsflüchtlinge — aber bestimmt keine Heiligen!

Ihr werdet mit Erstaunen vernehmen, daß die Anhänger der Jaina- Religion Lord Krishna nicht als Heiligen anerkennen. Für sie ist er der größte Sünder aller Zeiten, weil er Arjuna überredete, in den Krieg zu zie- hen.

Arjuna war im Begriff, ein Jaina-Mönch zu werden. Er sagte: »Ich will diesen Krieg nicht. Ich möchte der Welt entsagen. Wozu all diese Gewalttä- tigkeit? Es hat doch keinen Sinn.«

Und Krishna antwortete: »Erfülle deine Pflicht. Wenn Gott es so will, dann muß es sein. Sag einfach 'Amen', 'so sei es', und ziehe in den Krieg. Werde zu einem Medium, zum Werkzeug in Gottes Händen.«

Arjuna sträubte sich lange Zeit dagegen, aber schließlich ließ er sich von Krishna überreden. Daher machen die Jainas Krishna für die Mahabharati-Kriege, die großen indischen Kriege verantwortlich. Er war Schuld an all den Grausamkeiten.

Wißt ihr, was sie mit Krishna gemacht haben? Sie haben ihn in die sieb- te Hölle verbannt. Natürlich — ihr könnt schließlich machen, was ihr wollt, da ihr eure Geschichten selber schreibt. Gemäß den Purana-Schriften der Jainas befindet sich Krishna in der siebten Hölle, der schrecklichsten von allen, und dort schmort er, bis ans Ende der Welt.

Wen kann man also als Heiligen bezeichnen? Was ist die Definition ei- nes Heiligen, und wer soll die Definition festlegen? Wer kennt die Kriterien? Verschiedene Philosophien werden den Begriff verschieden auslegen.

Ich bin kein Heiliger, weil ich mich von niemandem definieren lasse.

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Ich bin nur ich selbst. Nennt mich einen Heiligen oder einen Sünder, das zeigt nur eure Einstellung: Ich bin einfach bloß ich. Und ich entziehe mich jeder Definition, denn für mich ist die Realität undefinierbar, und ich bin ein Teil der Realität, so wie ihr ein Teil der Realität seid.

Wenn ihr euch von irgendetwas lossagen wollt, dann sagt euch von eu- ren Definitionen, euren Kategorien los. Laßt euch von niemandem in eine Schublade zwängen.

Sobald ihr erkannt habt, daß ihr grundsätzlich undefinierbare Wesen seid, habt ihr die Welt hinter euch gelassen, ihr habt das Nirvana erreicht, ihr seid erleuchtet. Ein erleuchteter Mensch ist weder ein Heiliger noch ein Sünder. Er gehört keiner Kategorie an. Das sind die Kategorien der Uner- leuchteten: Leute, die noch nicht aufgewacht sind, denken im Sinne von Gut und Böse. Ein Bewußt-Gewordener erfährt nichts als schlecht und nichts als gut. Er ist zum unbeteiligten Betrachter des Ganzen geworden.

Also bin ich weder ein Inder noch ein Heiliger.

»Warum willst du eigentlich kein Heiliger der Massen sein, wie alle an- deren indischen Heiligen?« Und wer sind diese Massen? Dieses neurotische Volk überall auf der

Welt, dieses Irrenhaus rings um uns herum — ist das die Masse? Woraus besteht die Masse? Aus diesen Blinden? Aus dieser maßlosen Finsternis überall auf der Erde?

Nein, ich gehöre nicht der Masse an! Das ist mir unmöglich. Ich gehöre dem Ganzen an. Nicht den Massen. Nur die Politiker gehören zur Masse. Und da sie die Masse ausbeuten und an der Nase herumführen, müssen sie sich selbst natürlich auch von den Massen an der Nase herumführen las- sen. Wenn du ein Führer der Massen werden willst, mußt du dich bereiter- klären, den Massen zu folgen. Das ist das Schmiergeld, das gezahlt werden muß. Wenn du die Masse ausbeuten willst, kannst du zum Heiligen der Massen werden, aber dann mußt du der Masse folgen.

Ich habe kein Interesse an irgendeiner Form der Ausbeutung. Ich bin ich. Wenn irgendjemand an der Wahrheit, die ich bin, teilhaben will, kann er zu mir kommen und sich auf mein Bewußtsein einstimmen.

Aber vergeßt nicht, daß ich euch den Zugang nicht so leicht mache, weil jeder wissen soll, daß man die Wahrheit nicht umsonst bekommt.

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Man muß sehr viel dafür opfern. Die Wahrheit muß teuer bezahlt werden. Ich will sie nicht billig machen.

Ich lasse euch nicht ohne weiteres an mich herankommen. Ich lege euch alle möglichen Hindemisse in den Weg. Nur die echten Wahrheitssu- cher, in denen das Feuer lichterloh brennt, können an mich herankom- men.

Ich bin nicht im geringsten an den Massen interessiert. Ich bin kein Poli- tiker und habe weder Interesse daran, ein Führer der Massen, noch ein Diener der Massen zu werden, denn das sind alles bloß diplomatische Spielchen, politische Schachzüge.

Ich stehe euch zur Verfügung — wenn ihr intensiv danach verlangt, könnt ihr mir nahe kommen. Aber ich wiederhole es nochmals: Ich bin nicht leicht zugänglich. Ich werde euch alle möglichen Hindernisse in den Weg legen und euch auf die verschiedenste Weise prüfen. Nur wenn ich weiß, daß ihr wirklich bereit seid, euch hinzugeben, Opfer zu bringen, für die Wahrheit, nur wenn ich sehe, daß euch die Wahrheit mehr bedeutet, als euer Leben, gehört ihr zu mir. Sonst nicht.

Die Frage stammt von einem Inder, der hier in die falsche Gesellschaft geraten ist. Eigentlich dürfte er gar nicht hier sein. Er hat mindestens fünf- zehn Fragen gestellt, und eine alberner als die andere. Aber er glaubt an- scheinend, daß er sehr viel weiß.

Mein Freund, du bist unter die falschen Leute geraten! Mach dich aus dem Staub so schnell du kannst! Diese Leute hier sind verrückt. Das sind keine Gelehrten, denn ich bin nicht an Gelehrten und Intellektuellen und Leuten interessiert, die meinen, sie wüßten schon alles. Wenn sie schon al- les wissen, dann wissen sie eben Bescheid. Warum dann hierherkommen?

Was treibst du hier? Ein so schlauer Bursche wie du — was machst du eigentlich hier? Du hättest von vornherein nicht herkommen sollen. Du weißt schon alles — wunderbar! Ich freue mich, daß dir alles klar ist. Wen- de dich an die Massen, hilf ihnen und werde ein Heiliger der Massen. Was sollst du hier? Warum verschwendest du deine Zeit an diesem Ort?

Komm nur zu mir, wenn du nichts weißt. Und wenn du tatsächlich nichts weißt, dann stelle deine Fragen nicht so, als wüßtest du bestens Be- scheid. Frage aus deiner Unwissenheit heraus. Die Fragen, die du gestellt hast, sind wie das Geplapper eines Papageis; du wiederholst einfach ir-

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gendwelche Wörter. Ich habe folgendes gehört:

Es war einmal ein Papagei, der nur drei kleine Worte beherrschte und zwar: 'Wer ist da?'. Eines Tages klopfte es an der Wohnungstür, als der Papagei gerade allein zu Hause war.

'Wer ist da?' krächzte der Papagei. 'Der Klempner', sagte die Stimme hinter der Tür. 'Wer ist da?' wiederholte der Papagei. 'Der Klempner, wie ich schon sagte', war die Antwort. 'Sie haben mich doch gerufen, weil Ihr Keller unter Wasser steht.' 'Wer ist da?' krächzte der Papagei. Und so ging es weiter bis der

Klempner vor Wut in Ohnmacht fiel. Der Nachbar, gegen dessen Wohnungstür der Klempner geschla-

gen war, dachte jemand hätte geklopft und rief von innen heraus: 'Wer ist da?' 'Der Klempner', sagte der Papagei würdevoll.

Ein Gelehrter ist ein Papagei — und als solcher auch noch außerge- wöhnlich blöde. Mit einem Papagei muß man nachsichtig sein, aber menschlichen Wesen kann man solche Dummheit nicht so leicht verzei- hen.

Wenn du schon alles weißt, brauchst du dich hier nicht aufzuhalten; und wenn du nichts weißt, dann frag bitte keine Fragen, die deinem soge- nannten »Wissen« entspringen. Die erste Lektion, die hier gelernt werden muß, ist, zu wissen, daß du nichts weißt.

Und ich behaupte nicht, daß du nichts weißt — wenn du Bescheid weißt, dann ist das ganz ausgezeichnet. Aber ich bin nun einmal nicht an »Bescheidwissern« interessiert. Dann kannst du losziehen, die Massen auf- klären und den Armen helfen...

Nur wegen dir und deinesgleichen sind die Massen allerdings noch im- mer arm. Wegen dir und deinesgleichen leben sie heute noch im Elend, und darin werden sie verbleiben, es sei denn, Missionare von deinem Schlag hören auf, ihnen ihre Dienste zu erweisen. Solange Heilsboten von deiner Sorte nicht aufhören, ihr Heil zu verkünden, bleibt das Volk im Elend.

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Ich interessiere mich ausschließlich für Leute, die erkannt haben, daß sie nichts wissen, daß sie im Grunde unwissend sind.

In Indien sind solche Leute kaum noch zu finden. Die Inder plappern die Shastras, ihre Schriften, seit Jahrhunderten nach, wie die Papageien, ohne das geringste zu verstehen, aber in dem selbstherrlichen Gefühl, alles begriffen zu haben. Und nun ist dieses sogenannte »Wissen« ihnen schon in Fleisch und Blut übergegangen. Jedesmal wenn diese Art von Leuten hier ankommt, wundere ich mich nur, was sie hierherführt. Von allen Plät- zen dieser Erde ist dieser der Ungeeignetste für dich und deinesgleichen! Kommt nur hierher, wenn ihr euer Wissen vor dem Tor lassen könnt. Laßt euer Wissen und eure schlauen Köpfe vor dem Tor, wo ihr eure Schuhe laßt. Nur dann könnt ihr begreifen, was hier vor sich geht — und wenn euch das nicht möglich ist, besteht kein Grund zu kommen.

Ich habe kein Interesse an den Massen, denn wenn man an den Mas- sen interessiert ist, muß man sich vom Volk manipulieren lassen. Ich kann in keiner Weise als Mann des Volkes bezeichnet werden. Ich bin sehr indivi- dualistisch. Ich gehe meinen eigenen Weg und lebe mein Leben in dem mir eigenen Stil. Und ich erlaube keinem, sich einzumischen. Wenn du ein Mann des Volkes werden willst, mischt sich das ganze Volk in deine Ange- legenheiten ein und bringt dir bei, wie du sitzen mußt, wie du stehen mußt, was du sagen mußt, was du nicht sagen darfst, was du essen darfst und was nicht, wann du ins Bett gehen sollst und wann du aufstehen seilst. Das Volk diktiert dir jeden Handgriff.

Das ist die Ironie: die Leute, die sich für Führer des Volkes und die Gu- rus des Volkes halten, sind in Wirklichkeit Sklaven des Volkes. Das Volk schreibt ihnen ihr Benehmen vor und läßt ihnen keinen Zentimeter Frei- heit. Das Volk beobachtet dich die ganze Zeit und paßt auf: »Folgst du auch immer den Gesetzen, die das Volk befolgt sehen will? Stimmst du auch in jedem Punkt mit der Vorstellung der Massen von einem Heiligen überein? Wenn du diesen Vorstellungen nicht entsprichst, wirst du vom Sockel gestürzt, dann bist du zum Sünder geworden.

Ich lasse es nicht zu, daß mir irgendjemand meinen Lebenswandel dik- tiert und genausowenig lasse ich zu, daß der Lebenswandel irgendeines Menschen von mir diktiert wird. Deshalb gebe ich meinen Leuten keine Disziplin. Ich gebe ihnen nur Freiheit und die Eigenverantwortung, die ein Leben der Freiheit mit sich bringt.

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Mischt euch niemals in das Leben anderer ein, und gestattet keinem, sich in euer Leben einzumischen! Lebt euer individuelles Leben. Ich bin kein Sozialist und kein Kommunist, denn ich bin für die Freiheit jedes Ein- zelnen. Ich bin ein totaler — ja, ein schamloser Individualist.

Ich bin durch ganz Indien gereist, ich habe mich jahrelang unter dem Volk aufgehalten und mit Verwunderung festgestellt, daß die Massen alles daransetzen, dich zu manipulieren. Anstatt irgendetwas von dir zu lernen, anstatt irgendetwas von dir anzunehmen, versuchen sie, dich in den Griff zu bekommen. Ich will euch eine Geschichte erzählen, die ich vor ein paar Tagen gelesen habe.

Farmer Jones aus New Jersey machte von sich reden, als er einen preisgekrönten Hahn auf der Viehzüchter-Ausstellung erwarb, und da- für den unverschämtesten Preis in der Geschichte des amerikanischen Geflügelhandels zahlte.

Zuhause angekommen, mußte er allerdings feststellen, daß die er- otischen Neigungen seines Hahnes kaum zu bändigen waren. Nicht nur die Hennen, auch die Entenweibchen, Gänse und Schwäne, ganz zu schweigen von vereinzelt streunenden Ziegen und Säuen, flohen vor seinen unermüdlichen Balzanschlägen.

Am Ende packte Farmer Jones den Schwerenöter an der Gurgel und erteilte ihm eine Lektion:

»Ich habe keinen Rekordpreis für dich gezahlt, damit du deine Ta- lente bei sämtlichen Gattungen der Tierwelt in New Jersey verschwen- dest! Ab sofort beschränken sich deine Aktivitäten auf die Hühner des Hauses! Wenn du so weitermachst, krepierst du mir noch an Erschlaf- fung.« Der Hahn nahm die Sorgen seines Besitzers auf die leichte Schulter und so fand ihn Farmer Jones denn auch ein paar Tage später flach auf dem Rücken liegen, mit gebrochenen Augen, die Beine steif in die Luft gestreckt, während eine Handvoll Bussarde verdächtig nahe über ihm ihre Runden drehte.

»Was hab ich dir gesagt, du gottverdammtes Vieh!« schrie der Far- mer. »Es war doch klar, daß dich dieser Lebenswandel um die Ecke bringt!« Zur Verwunderung des Farmers öffnete der vermeintliche Tote darauf- hin ein Auge und sagte mit heiserem Flüstern:

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»Nicht so laut, Mensch! Wenn du einen Bussard verführen willst dann — bitteschön — nach seinen Regeln.«

Wenn du ein Heiliger der Massen werden willst, dann ist das nur nach ihren Regeln möglich.

Ich kümmere mich nicht um die Regeln irgendwelcher anderer Leute. Ich habe meinen eigenen Stil gefunden und mein Ziel erreicht. Hier wer- den nur Leute zugelassen, die reif genug sind, mich zu verstehen. Die nicht länger von dem Wunsch besessen sind, mich oder andere zu kontrollieren oder von mir kontrolliert zu werden. Ich bin ein freier Mann und übertrage Freiheit. Mein Sannyas ist eine Freiheitsäußerung. Es ist keine Disziplin. Es ist eine Freiheit.

Die zweite Frage, vom selben Gentleman:

Ist es nicht schädlich für den einzelnen wie die Gesellschaft, außerhalb der Schranken jeder Norm zu leben? Wenn das der Fall ist, warum predigst du deinen Sannyasins, zu leben wie auch immer es ihnen gefällt? Der menschliche Verstand wählt stets den falschen Weg, wenn er nicht in seine Schranken verwiesen wird!

Und wer soll den menschlichen Verstand in seine Schranken verwei- sen? Die Gesellschaft, mit ihrem Verständnis? Wer soll den Verstand in seine Schranken verweisen? Die stocksteifen Mo- ralisten? Die abgestorbenen Priester mit ihren erstarrten Konzepten? Wer soll den menschlichen Verstand zügeln? Du? Was bist du denn, außer deinem Verstand?

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Zuallererst muß man begreifen, daß die Menschheit bis heute unter ei- nem Fluch gelitten hat, und dieser Fluch ist, daß den Menschen nicht er- laubt wurde, ihrer eigenen Natur zu vertrauen. Man hat uns ständig einge- redet: »Wenn ihr eurer Natur vertraut, kommt ihr vom rechten Weg ab. Mißtraut euch selbst, zügelt euch, kontrolliert euch. Lebt nicht eurem inne- ren Empfinden entsprechend.« Man hat uns eingeredet, die menschliche Natur sei gewissermaßen von Grund auf böse. Das ist absoluter Unsinn! Das ist eine Dummheit, eine Grausamkeit. Die menschliche Natur ist nicht böse. Die menschliche Natur ist göttlich. Und wenn irgendetwas Böses ent- standen ist, dann nur wegen der Schranken, in die wir verwiesen wurden.

Laßt mich erklären: Die Tiere ziehen nie in den Krieg gegeneinander. Sie kämpfen natürlich manchmal miteinander, aber das sind Einzelkämpfe, keine Weltkriege, in denen sämtliche Krähen des Ostens mit den Krähen des Westens kämpfen, oder alle indischen Hunde mit den pakistanischen. Das gibt es nicht. Weder die Hunde noch die Krähen sind so dumm. Ja, manchmal entsteht ein Kampf, aber das hat seine Berechtigung. Wenn ihr Freiheitsgefühl verletzt wird, kämpfen die Tiere miteinander, aber nicht in Weltkriegen.

Und was habt ihr gemacht? Ihr habt die Menschheit unterdrückt und dem einzelnen Menschen nicht erlaubt, von Zeit zu Zeit wütend zu werden, was nur natürlich ist. Folge davon ist, daß jeder seinen Zorn unterdrückt und so staut er sich an — und eines Tages ist jeder Einzelne so voller Gift, daß sich der ganze Haß in einem Weltkrieg entladen muß. Alle zehn Jahre brauchen wir einen Weltkrieg. Und wer ist für diese Kriege verantwortlich? Eure sogenannten Heiligen und Moralisten, eure Wohltäter der Menschheit — die Leute, die euch kein natürliches Verhalten erlauben.

Habt ihr jemals gesehen, daß ein Hund den anderen umbringt? Ja, manchmal kämpfen sie miteinander, aber nur einen Einzelkampf... Kein Hund hat je einen anderen Hund umgebracht. Der Mensch ist das einzige Tier, das seine eigene Art ermordet. Kein Löwe hat je einen anderen Lö- wen ermordet. Was ist in den Menschen gefahren? Ist er tiefer gesunken als jedes Tier?

Die Tiere haben eines nicht, sie haben keine Heiligen, keine Moralpre- diger und keine christlichen, hinduistischen, jainistischen oder mohamme- danischen Priester — die fehlen ihnen. Sie haben keine Tempel und Mo-

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scheen, keine Bibeln und Veden, das ist die Erklärung. Das ist der ganze Unterschied.

Noch heute gibt es ein paar primitive Stämme, bei denen seit Jahrhun- derten kein Mord vorgekommen ist, weil das Volk von keiner Moral vergif- tet wurde, weil es von niemandem zum moralischen Denken erzogen wur- de. Diese Leute sind noch natürlich.

Solange man natürlich ist, handelt man im Einklang mit der Gesamt- heit. Es ist natürlich, manchmal wütend zu werden. Ein Wutausbruch geht schnell vorüber, aber ein Mensch, der nie wütend wird und seinen Ärger andauernd unter Kontrolle hält, ist sehr gefährlich. Hütet euch vor einem Menschen, der nie wütend wird. Er ist imstande, euch umzubringen. Wenn dein Ehemann niemals wütend wird, kannst du ihn sofort bei der Polizei anzeigen. Ein Mensch der hin und wieder einmal in Wut gerät, ist ein nor- maler Mensch, vor dem man keine Angst haben muß. Aber einer, der sei- nem Ärger nie Luft macht, springt dir garantiert früher oder später an die Gurgel, und das auf eine Art, als sei er von irgendetwas besessen. Seit Jahrhunderten erklären Mörder vor Gericht: »Wir haben die Tat im Zu- stand totaler Besessenheit begangen.« Was ergreift Besitz von ihnen? Ihr ei- genes unterdrücktes Unterbewußtsein entlädt sich.

Seid ihr jemals auf die einfache Tatsache gestoßen, daß ihr einem Hund das Bild einer hübschen Hündin vorhalten könnt, ohne daß er das geringste Interesse daran zeigt? Hunde sind keine Playboys. Nicht, daß sie ihre Hündinnen verschmähen, die lieben sie heiß und innig, aber sie sind nicht an pornographischen Bildern interessiert. Um das Interesse an Por- nographie zu wecken, braucht man einen Heiligen.

Zuerst muß der Sexualtrieb unterdrückt werden, man muß den Men- schen erklären, daß dieser natürliche Trieb sündhaft und böse ist. Aber so- bald dieser Instinkt unterdrückt wird, findet er andere Wege. Was machst du, wenn du eine schöne Frau nicht anschauen darfst, während sie auf der Straße entlanggeht? Du schließt dich im Zimmer ein und schaust dir das Playboy-Magazin an. Das ist sicherer; kein Mensch kommt dahinter. Du kannst dein Playboy-Heft in der Bibel verstecken und so tun, als würdest du in der Bibel lesen..

Kein Tier außer dem Menschen hat pornographische Phantasten. Das ist eine simple Tatsache.

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Und wer hat den Menschen das Interesse an Pornographie aufgezwun- gen? Primitive Völker haben keine pornographischen Phantasien — selbst heute noch nicht. Ihre Frauen können nackt herumlaufen, ohne irgendet- was befürchten zu müssen.

Von was für einer Gesellschaft redest du da? Diese Zivilisation, in der wir leben, in der eine Frau nicht auf der Straße entlanggehen kann, ohne ins Hinterteil gekniffen zu werden, ohne erniedrigt zu werden? Keine Frau kann nachts allein Spazierengehen — und das nennen wir Zivilisation! Die- se Gesellschaft, in der die Leute vierundzwanzig Stunden am Tag von se- xuellen Vorstellungen geplagt werden! Wer hat ihnen diese Besessenheit eingebrockt? Tiere haben ein Sexualleben, aber keine Zwangsvorstellun- gen. Tiere sind natürlich. Wenn Sex zur Zwangsvorstellung wird, nimmt er perverse Formen an und Schuld an diesen Perversionen sind die Moral- apostel mit ihren Lehren.

Die sogenannten religiösen Leute haben der menschlichen Natur kein Vertrauen entgegengebracht. Sie reden vom Vertrauen, aber sie haben Gott nie vertraut. Sie trauen den Regeln, den Gesetzen und Vorschriften, aber nie der Liebe. Sie reden von Gott, und das sind alles nur leere Worte. In Wirklichkeit vertrauen sie der Polizei und den Gerichtshöfen. Sie ver- trauen auf das höllische Fegefeuer. Sie vertrauen darauf, Angst und Gier zu erzeugen: »Wenn du fromm und tugendhaft bist, kommst du in den Himmel, wo alle Freuden des Paradieses, des Firdos, auf dich warten« Und wenn du nicht in ihrem Sinne tugendhaft bist, mußt du im Höllenfeu- er schmoren und zwar für immer — vergiß das nicht — bis ans Ende aller Tage!

Sie benutzen die Angst und die Gier der Menschen, um sie damit zu manipulieren. Angeblich sind sie bestrebt, uns von Angst und tierischem Verlangen zu befreien — aber ihre ganzen Lehren bauen auf nichts ande- rem auf! Die Moralisten haben kein Vertrauen.

Ich vertraue euch und ich vertraue eurer Natur. Ich vertraue der tieri- schen Natur! Wenn die Natur ihren eigenen Weg nehmen darf — ja, dann wirst du manchmal ein bißchen wütend und braust ein bißchen auf, aber daran ist nichts verkehrt. Es ist menschlich und gut so — und dann brau- chen keine Kriege stattzufinden.

Nach Ansicht der Psychologen sind alle Waffen phallisch. Ihr durch-

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dringt den Körper eines anderen Menschen mit dem Schwert, weil ihr in keine Frau eindringen konntet. Ein Schwert ist ein phallisches Symbol. Es ist gut und richtig, eine Frau zu lieben, während es abscheulich ist, den Körper eines anderen Menschen mit einem Schwert zu durchbohren. Doch so haben wir es bis heute gemacht.

Du fragst mich: »Ist es nicht schädlich für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft, außerhalb der Schranken jeder Norm zu leben?«

Ihr habt innerhalb der Schranken von Normen gelebt und was ist dabei herausgekommen? Seht euch die Menschheit von heute an: der Erdball ist ein einziges Irrenhaus. Das ist das Resultat eurer Normen, eures Idealis- mus, eures Perfektionismus, eurer Moral! Das ist bei all euren Geboten und Vorschriften herausgekommen. Die Erde ist zu einem Tummelplatz für Geistesgestörte geworden. Und ihr habt noch immer Angst, zu tun, was euch gefällt und macht immer noch weiter wie bisher. Es ist ein Teufels- kreis.

Es ist, als würdet ihr einen Mann zum Fasten zwingen... Selbstver- ständlich hat er dann Hunger und fängt an, wie verrückt nach Nahrungs- mitteln zu suchen. Ihr stellt fest, daß er wie besessen hinter dem Essen her ist, legt ihm Handschellen an und sperrt ihn ein, weil er sonst in die Küchen anderer Leute einbrechen würde.

Jetzt werft ihr ihn in Ketten, weil ihr sagt, daß er gemeingefährlich ist, solange er frei herumläuft — er ist imstande einen Kühlschrank zu knacken! Man kann ihm nicht über den Weg trauen. Also sperrt ihr ihn ein und zwingt ihn, weiterhin zu fasten. Und dann bekommt ihr es immer mehr mit der Angst zu tun, weil er allmählich immer verrückter wird. Das ist der Teu- felskreis — denn warum ist er überhaupt wie verrückt hinter dem Essen her? Euer zwangsvollstrecktes Fasten hat ihn zum Wahnsinn getrieben. Es ist nicht natürlich, zu fasten.

Ja, manchmal legen die Tiere eine Fastenpause ein, aber sie glauben nicht ans Fasten, sie haben keine Philosophie, die ihnen die Nahrungsver- weigerung vorschreibt. Manchmal geschieht es einfach: ein Hund fühlt sich an einem Tag krank und dann nimmt er keine Nahrung zu sich. Das ist na- türlich. Er ißt nichts, weil er sich nicht danach fühlt. Er folgt seinem Gefühl — keiner Regel. Niemand hat ihn zum Fasten angehalten. Er geht hin, frißt etwas Gras und erbricht sich; das Gras entleert seinen Magen — er erbricht sich. Aber das hat ihm niemand beigebracht. Ein Hund frißt solange nichts,

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bis er das Verlangen danach wieder spürt. Er folgt seiner Natur; wenn er Lust hat, etwas zu fressen, frißt er; wenn er keine Lust hat, frißt er nichts. Das nenne ich das wahre Leben.

Wenn ihr manchmal keine Lust habt, etwas zu essen, dann eßt nichts. Ich bin nicht gegen das Fasten, sondern gegen die Philosophie, die regel- mäßiges Fasten vorschreibt. Macht es euch nicht zur Regel, jeden Sonntag zu fasten, das ist absurd, denn woher wollt ihr wissen, daß ihr ausgerech- net Sonntags keine Lust habt, etwas zu essen? Vielleicht habt ihr auch mal am Freitag keinen Hunger. Dann steht ihr da — und zwingt euch, etwas zu essen, bloß weil es Freitag ist.

Wenn ihr Hunger habt, eßt. Wenn ihr keinen Hunger habt, laßt es blei- ben. Folgt eurem Gefühl, dann kommt ihr allmählich in Einklang mit eurer Natur.

Im Einklang mit der Natur zu sein, bedeutet, religiös zu sein, in meinem Sinne. Meine Definition von Religion ist: im Einklang mit der Natur zu le- ben. Und das ist auch die Bedeutung des indischen Wortes Dharma: Na- tur, ursprüngliche Natur.

Vertraut der Natur. Verstoßt nicht gegen ihre Gesetze. Aber man hat euch dazu erzogen, die Gesetze der Natur zu mißachten,

daher sind Leute, die ein blutarmes Leben des Verzichts geführt haben, in höchstem Maße erstaunt, wenn sie diesen Ashram betreten, der ein völlig anderes Bild bietet. So einen Ashram haben sie noch nie gesehen; so einen Ashram hat es auch wirklich noch nie gegeben.

Sie kommen in der Erwartung, traurige, leblose Menschen vorzufin- den, die sich kaum noch in ihren Körpern aufhalten, Mantras murmeln und in die heiligen Schriften vertieft sind. Und wenn sie dann sehen, wie die Männer und Frauen hier gemeinsam herumtanzen, sich an den Hän- den halten und umarmen — Menschen voller Liebe und Lebenslust — dann sagen sie: »Was für eine Religion soll denn das sein? Religiosität kann nur durch leichenhafte Entrücktheit zum Ausdruck gebracht werden, nicht durch Lebenslust. Religion muß etwas Lebensfeindliches sein. Die Männer und Frauen halten sich an den Händen? Das ist gefährlich! Wir dürfen den Geschlechtern nicht trauen! Was ihr hier treibt, ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer! Führt Gebote und Beschränkungen ein, verbarrikadiert euch hinter chinesischen Mauern!«

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Nein, ich vertraue der Natur und nicht euren Gesetzen. Eure Gesetze haben die gesamte Menschheit verdorben. Jetzt reicht es! Jetzt ist die Zeit gekommen, wo all diese alten, faulen Religionen abgeschafft werden müs- sen und ein völlig neues Konzept von Religiosität entstehen muß. Eine Re- ligion, die das Leben bejaht, eine Religion, nicht der Gebote, sondern der Liebe, eine Religion der Natur, nicht der Disziplin, eine Religion der Totali- tät und nicht des Perfektionismus, eine Religion des Empfindens, nicht des Denkens.

Das Herz muß zum Meister gemacht werden und dann kommt alles ganz von selbst in Ordnung.

Wenn ihr eurer Natur vertrauen und folgen könnt, werdet ihr mit der Zeit ruhig, still, glücklich, freudvoll und festlich gestimmt, denn die Natur feiert ein ununterbrochenes Freudenfest. Die Natur ist ein einziges Spiel festlicher Energien.

Schaut euch um: seht ihr irgendeine Blume ringsumher mit strengem Gesicht, wie eure Moralapostel? Habt ihr schon mal einen Regenbogen ge- sehen, der aussieht wie eure Moralapostel? Oder irgendeine Wolke, einen zwitschernden Vogel, das Licht, das glitzernd auf den Flüssen tanzt, einen Stern in der Nacht?

Die Welt feiert ein rauschendes Fest. Die Welt ist nicht ernst und nicht traurig. Die Welt singt einen unermeßlich schönen Gesang und tanzt dazu ohne Unterlaß. Nehmt teil an diesem Tanz und vertraut eurer ursprüngli- chen Natur.

Eurer eigenen Natur vertrauend kommt ihr der kosmischen Natur lang- sam näher, und nur so kommt ihr ihr näher. Ihr seid ein Teil des Kosmos. Wenn ihr euch selbst vertraut, habt ihr dem kosmischen Leben in euch ver- traut. Das ist der Weg vom Kleinen zum Großen. Diesen dünnen roten Fa- den in der Hand, gelangt ihr zum großen Ziel. Euch selbst vertrauend, habt ihr Gott vertraut, der euch das Leben geschenkt hat. Euch selbst mißtrau- end, habt ihr Gott mißtraut, der euch gemacht hat, wie er euch haben wollte.

Wer hat euch eure Sexualität mitgegeben? Natürlich Gott! Und wer hat euch dazu angehalten, Brahmacharis zu werden, euch zur Enthaltsam- keit zu zwingen? Eure Scheinheiligen.

Eure sogenannten Heiligen sind gegen Gott. Wer hat euch den Hunger gegeben? Gott. Und wer hat euch eingeredet, zu fasten? Eure heiligen

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Männer.

Ich bin für Gott und gegen eure Heiligen, denn eure Heiligen sind ge- gen Gott. Ich lehre ein natürliches, spontanes Verhalten und keine Unter- drückung, keine Zügelung oder Beschränkung. Ich fordere euch auf, dem Ruf der Freiheit zu folgen. Wenn ihr euch diesen veralteten Anstandsregeln unterwerft und zu sehr unterdrückt, sterbt ihr schon vor eurem Tod ab, weil ihr ein schales, graues Leben führt.

Ich will euch eine schöne kleine Geschichte erzählen: Sie stammt aus dem Herzen Rußlands und berichtet von einem

weisen alten Rabbiner, dessen Rat die Schäfchen seiner Gemeinde im- mer untertänigst befolgten.

Eines Morgens nahm ihn ein sorgenvoller Anhänger beiseite und erklärte: »All mein Erspartes hab ich für zweihundert Hühner hergege- ben und als ich heute morgen in den Stall kam, waren Stücker hundert tot. Was soll ich arme Seel' nun machen?«

»Es ist der Wille des Herrn«, verkündete der Rabbi. »Bete zu Gott! Dann verdopple den Verkaufspreis der restlichen Hühner und du hast nicht eine einzige Kopeke verloren.«

Aber am nächsten Morgen war der Bauer wieder da und klagte: «Wieder Stücker fünfzig von meinen Hühnern tot!«

»Die Wege des Herrn sind unergründlich«, murmelte der Rabbi nachdenklich. »Die fünfzig, die überlebt haben, sind offenbar die einzig wertvollen in der ganzen Schar. Sprich ein neues Dankgebet und ver- dopple den Verkaufspreis nochmal und du verlierst keine einzige Ko- peke.«

Aber leider, leider, hatten auch die restlichen fünfzig am nächsten Morgen ins Gras gebissen.

»Was soll ich jetzt machen?« jammerte der Bauer. »Mein Sohn«, zitierte der Rabbi, »Ich habe noch viele unschätzbare

Ratschläge, die ich dir geben könnte, aber was nützt dir das, wo du kein einzig Huhn nicht mehr hast?«

Wenn ich eure sogenannten Heiligen betrachte, sehe ich auch, daß sie kein Leben in sich haben. Da nützen keine guten Ratschläge mehr. Sie sind tot. Sie sollten eigentlich in ihren Gräbern verwahrt werden, denn sie lau- fen illegalerweise unter den Lebenden herum. Das sind Gespenster, die ein

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posthumes Dasein fristen. Sie haben längst Selbstmord begangen und lau- fen trotzdem noch in der Gegend herum. Ich habe Mitleid mit diesen Leu- ten, aber gleichzeitig sind sie eben auch gefährlich, weil sie anderen antun, was ihnen angetan wurde. Sie hören nicht auf, denselben alten Unsinn un- ter jungen Menschen zu verbreiten. Sie hören nicht auf, das Wesen von kleinen Kindern zu verkrüppeln, keimende Lebenssprudel einzudämmen, frische Quellen zu vergiften. Das ist alles, wozu sie fähig sind. Das ist alles, was sie gelernt haben. Sie waren nicht imstande zu leben, und so machen sie es auch den anderen unmöglich.

Paßt gut auf! Hütet euch, in die Falle eines lebenden Toten zu gehen. Es ist besser, ein völlig unreligiöses Leben zu führen, nicht an Gott zu glau- ben, nicht in die Kirche, die Moschee oder den Tempel zu gehen — und zu leben, denn das Leben ist Gottes wahre Kirche. Ihr könnt Gott völlig ver- gessen, ohne irgendetwas dabei zu verlieren, aber sobald ihr beginnt, das Leben, das in euch sprudelt, abzutöten, ist alles verloren, weil Leben Gott ist.

Ich lehre Leben, Liebe, denn auf diese Weise manifestiert sich Gott für mich.

Und diese Einschränkungen, die von der Religion geschaffen wurden, existieren nur in eurer Vorstellung. Sowie ihr euch dessen bewußt werdet, könnt ihr sie auf der Stelle fallenlassen.

»Wie kommt es nur«, fragte die Gastgeberin ein kleines Mädchen wäh- rend des Kindergeburtstags, »daß dein kleiner Bruder so schüchtern ist? Er ist den ganzen Nachmittag noch nicht aus seiner Ecke herausge- kommen.«

»Der ist überhaupt nicht schüchtern«, antwortete die Kleine. »Er hat zum erstenmal einen Kragenbinder um, und jetzt denkt er, er ist ir- gendwo festgebunden.«

Alle eure Religionen sind bloß Kragenbinder. Ihr seid nirgendwo fest- gebunden. Es ist nur eure Einbildung, daß ihr festgebunden seid.

Laßt alle Disziplin fallen, öffnet eure Hemdkragen und laßt Gott durch euch wirken. Laßt ihn in Freiheit durch euch wirken. Vertraut eurer Frei- heit, vertraut Gott, und ihr werdet nie leer ausgehen.

Damit will ich nicht sagen, daß ihr nur auf Rosen gebettet sein werdet. Nein, die Rosen haben ihre Dornen, aber die sind ebenfalls notwendig. Ich behaupte nicht, daß euer Leben ein einziges Zuckerschlecken sein wird.

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Manchmal wird es sehr, sehr bitter werden, aber nur auf diese Art, durch diesen dialektischen Prozeß strebt das Leben in euch zu höheren Dimen- sionen.

Ich behaupte nicht, daß ihr dann immer lieb und gut sein werdet, nein, manchmal werdet ihr sehr böse sein, aber eins steht fest: wenn ihr böse seid, dann seid ihr echt und aufrichtig böse und wenn ihr lieb seid, seid ihr echt und aufrichtig lieb. Dann kann man euch vertrauen, sich auf euch ver- lassen. Wenn ihr wütend seid, kann man sich darauf verlassen, daß eure Wut echt ist; nicht kalt, sondern warm und lebendig. Und wenn ihr liebt, kann man sich gleichfalls darauf verlassen, daß eure Liebe Wärme und Herz hat.

Vergeßt nicht, daß ein Mensch, der nicht wütend werden kann, auch nicht fähig ist, zu lieben. Keine Rose ohne Dornen. Wenn ihr nicht hin und wieder in einen flammenden Wutanfall ausbrechen könnt, dann könnt ihr auch nicht heiß und innig lieben. Ihr bleibt festgefroren, weil ihr nicht warm werden könnt, weil ihr euch nicht entzünden lassen wollt. Wenn ihr euren Ärger zu sehr verdrängt habt, fürchtet ihr euch auch immer vor der Liebe, weil man in der Liebe nie wissen kann, was alles zutage tritt.

Neulich kam ein junger Mann zu mir und erzählte, daß er noch nie ei- nen wirklichen Orgasmus gehabt hat. Ein völlig gesunder junger Mann... was ist los mit ihm? Er kann nicht zum Orgasmus kommen; oder der Or- gasmus bleibt bestenfalls eine lokale Angelegenheit, er breitet sich nicht über den ganzen Körper aus. Und ein Orgasmus, der sich nur auf das Ge- schlechtszentrum beschränkt, hat keine sonderliche Bedeutung. Nur wenn der Orgasmus dein Wesen in seiner Gesamtheit mitreißt und jede Faser mit neuem Leben pulsiert, wirst du davon erfrischt und verjüngt, denn du wirst für einen Augenblick eins mit Gott, eins mit dieser unermeßlichen Kreativi- tät, die dich umgibt. Du verlierst dich, bist nicht länger als ein Ego vorhan- den, du schmilzt. In diesem Zustand hast du keine Grenzen mehr.

Ich fragte, wie es um seine Wut bestellt sei und er antwortete: »Wieso fragst du mich nach meiner Wut, wenn mein Problem damit zu tun hat, daß ich nicht tief genug lieben kann?«

Ich sagte: »Laß die Liebe erst mal aus dem Spiel; zuerst müssen wir uns mit deiner Wut beschäftigen, denn wenn du nicht tief genug lieben kannst, bedeutet das nur, daß du nicht richtig wütend werden kannst.«

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Er war verblüfft, aber so war es. Er war in einer streng religiösen Familie aufgewachsen und wurde von frühster Kindheit an ständig ermahnt, nicht wütend zu werden, seinen Ärger zu kontrollieren. Diese Kunst beherrscht er jetzt; seine Kontrolle ist so perfekt, daß er überhaupt nicht mehr merkt, wie er sich unter Kontrolle hält. Er ist zum perfekten Kontrolleur geworden und das geschieht inzwischen ganz unbewußt. Er ist ein sehr beherrschter Mann, der von allen respektiert wird, der überall in der Gesellschaft Erfolg hat. Er ist tatsächlich ein gesellschaftlicher Erfolg, aber im Privatleben ein Versager, weil er noch nicht einmal fähig ist zu lieben.

»Du mußt anfangen, deine Wut herauszulassen«, sagte ich ihm, »denn so wie ich es sehe, hältst du dich kurz vor dem Höhepunkt des Orgasmus zurück, weil du Angst hast, daß der verdrängte Ärger gleichzeitig zum Aus- bruch kommt.«

Er sagte: »Merkwürdig, daß du das sagst. Ich träume andauernd, daß ich meine Frau umbringe und zwar durch Erwürgen, während wir zusam- men schlafen. Ich habe furchtbare Angst, die Kontrolle zu verlieren, weil ich dann möglicherweise imstande wäre, sie zu erwürgen.«

Also ist die Wut zu einer enormen Kraft in seinem Inneren geworden. Wie kann er lieben, wenn er solche Angst vor einem unkontrollierten Ver- halten haben muß? Das ist schier unmöglich. Und wenn man die Liebe nicht erlebt, dann erfährt man auch nie, was Beten ist und was Gott ist.

Unsere repressive Gesellschaft, unsere repressive Zivilisation hat abso- lut versagt. Doch ihr seid euch dessen nicht bewußt.

Mir kam eine schöne Geschichte zu Ohren: In den Tagen als Chruschtschow (und irgendwie vermissen wir ihn ge- radezu), noch Big Boss in der Sowjet-Union war, gab er häufig vor al- len Leuten zu, daß Stalin ihn manchmal wie einen Hofnarren oder Clown behandelte und ihm befahl: »Los tanz, alter Kosak!«

»Und dann habe ich getanzt«, fügte Chruschtschow gewöhnlich hinzu. Irgendeiner in der Menge rief dann immer etwas Ähnliches wie: »Und warum hast du dich von ihm verhohnepipeln lassen?«

Daraufhin reagierte Chruschtschow scharf und schnell. »Wer hat diese Frage gestellt? Steh' auf und zeig dich!«

Natürlich rührte sich niemand und nach einer angemessenen Pau- se knisternden Schweigens kam Chruschtschow zu dem Schluß: »Ge-

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nossen, das ist der Grund, warum ich getanzt habe.«

Nur aus Angst... denn Stalin hätte ihn umbringen lassen können. Sta- lin steht für den Tod, genau wie eure Priester für den Tod stehen. Das sind keine Stellvertreter Gottes.

Ich stehe für das Leben.

Eure Priester haben sich bis heute immer nur mit dem Tod verbündet, und alles Leben im Keim erstickt. Eure Priester reden von Gott, sind aber ganz offensichtlich eher Verbündete des Teufels in einer geheimen Ver- schwörung gegen die Menschheit. Es ist ihnen tatsächlich gelungen, den menschlichen Geist durch und durch zu korrumpieren. Sie haben euch so total von eurer Gefühlswelt abgeschnitten, daß ihr völlig im Kopf festhängt. Jetzt seid ihr soweit, daß ihr nicht mehr wißt, was ihr fühlt — daher könnt ihr euren Gefühlen nicht trauen, und so seid ihr ständig auf andere ange- wiesen, die euch sagen, was ihr tun und lassen sollt. Während der Kindheit liegen euch die Eltern ständig in den Ohren: tut dies, laßt das; danach ist es der Lehrer in der Schule, danach ist es der Professor auf der Universität und dann der Chef im Büro oder die Politiker, die in der Gesellschaft das Wort führen. Wo du auch hingehst, wird dir gesagt, was zu tun und was zu lassen ist. Mittlerweile bist du schon freiwillig auf der Suche nach jeman- dem, der dir alle Entscheidungen abnimmt, an den du dich klammern kannst. Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, den Weisungen deines ei- genen Herzens, deiner eigenen Seele zu folgen. Und so bist du immer auf irgendeine 'Autorität' außerhalb deiner selbst angewiesen.

Das ist ein furchtbarer, ein elender Zustand! Das sollte nicht so sein!

Ich bin keine Autoritätsfigur hier. Ich bin bestenfalls eine Hebamme, aber keine Autoritätsfigur. Ich kann euch bei eurer Neugeburt behilflich sein, aber ich kann euch nicht beherrschen. Ich kann euch nichts diktieren, selbst wenn ihr sehnlichst danach verlangt.

Ihr kommt zu mir und sagt: »Bhagwan, erkläre uns bitte ganz genau, was wir machen sollen.« Warum könnt ihr eurem eigenen Herzen nicht folgen? Die Quelle des Le- bens sprudelt in eurem Inneren: Geht nach innen. Ich kann euch sagen, wie man nach innen geht, ich kann euch die verschiedenen Biegungen auf dem Weg nach innen zeigen, aber dann müßt ihr den Geboten der eige- nen inneren Stimme folgen. Das wahre Buch ist die Bibel in eurem Inne-

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ren. Das wahre Wissen sind die Veden eures Herzens.

Aus dem Kern deines eigenen Wesens mußt du deine Anweisungen beziehen. Sobald du dazu fähig bist, bist du ein freier Mann — und ein glücklicher Mensch. Nur ein freier Mann kann glücklich sein; ein unfreier Mann ist immer unglücklich. Ihr wurdet nicht geboren, Knechte zu sein; es ist eure Bestimmung, Meister eurer selbst zu sein. Deshalb nenne ich meine Sannyasins 'Swami'. Swami heißt Meister; einer, der die Zügel selbst in die Hand genommen hat.

Die dritte Frage:

Geliebter Bhagwan, während ich in der Gegend von Bombay herumwanderte, blieb ich für ein paar Tage in Baba Muktanandas Ashram. Unerwarteterweise überhäufte er mich mit Gnadenbezeugungen und wid- mete mir seine ganz spezielle Aufmerksamkeit während ich dort war, ob- wohl ich sofort sagte, daß ich ein Jünger von Bhagwan Shree Rajneesh bin. Ich fühlte mich geehrt und gleichzeitig etwas unwohl, hauptsächlich, weil ich Schuldgefühle dir gegenüber hatte. Jetzt bin ich wieder hier bei dir, aber sehr verwirrt. Bitte hilf mir.

Zum ersten: Ganz gleich was du tust, fühle dich niemals schuldbewußt. Ganz egal was du tust! Es ist keine Sünde, Muktanandas Ashram zu besu- chen. Es mag dein Karma sein, aber es ist keine Sünde. Du hast gegen kei- ne Regel verstoßen, denn ich habe keine Regeln, gegen die man versto- ßen kann.

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Ich gebe euch keine Regeln, weil ihr alle dermaßen neurotisch seid, daß ihr Regeln nur dazu benutzt, Schuldgefühle zu entwickeln. Bringt mich nie mit eurem schlechten Gewissen in Verbindung! Entwickelt keine Schuldgefühle hier um mich herum. Ich möchte nicht, daß ihr jemals ein schlechtes Gewissen habt! Seid in all euren Handlungen total.

Du hättest total bei der Sache sein sollen, als du in Muktanandas Ash- ram warst. Aber wahrscheinlich hast du an mich gedacht und deshalb ein schlechtes Gewissen gehabt. Man hat dir die falschen Dinge beigebracht.

Zu mir brauchst du kein monogames Verhältnis zu haben. Wir leben nicht in einer fixierten Zweierbeziehung, bei der die Frau keinen anderen Mann anschauen darf, und der Mann keine andere Frau. Ich mache euch absolut frei, wie oft soll ich das noch sagen?

Du kannst zu Muktananda oder sonstwohin fahren — selbst zur Hölle, wenn du willst. Und wenn du zu lange in der Umgebung von Bombay her- umwanderst, findest du dich tatsächlich eines Tages unerwarteterweise in der Hölle wieder, vergiß das nicht, denn von Bombay führt eine direkte Li- nie zur Hölle.

Es ist allerdings erstaunlich, wie du es fertiggebracht hast, zu Muktanan- das Ashram zu gelangen, während du in der Nähe von Bombay herumge- wandert bist. Der liegt nämlich weit von Bombay entfernt. Doch das mö- gen dieselben Schuldgefühle sein; du kannst noch nicht einmal zugeben, daß du aus freien Stücken dort hingegangen bist. Noch nicht einmal dafür kannst du die Verantwortung übernehmen? Wie armselig. Du kannst noch nicht einmal zugeben, daß »ich Muktanandas Ashram besucht habe« und sagst: »Während ich in der Gegend von Bombay herumwanderte, blieb ich für ein paar Tage in Muktanandas Ashram«. Für ein paar Tage... Jetzt hör dir diese Absurdität an!

Übernimm Verantwortung. Wenn du dort gewesen bist, bist du dort ge- wesen, daran ist nichts verkehrt. Muktananda ist ebenfalls Gott. Vielleicht ein etwas durchschnittlicher Gott, aber trotzdem Gott. Es ist dir gestattet, auch die durchschnittlichsten Götter zu besuchen. Und hab kein schlechtes Gewissen, du bist schon gestraft genug. Muktananda ist eine Strafe für sich. Wieviel mehr mußt du noch gestraft werden?

Vergiß nie, daß du selbst verantwortlich bist und wandere nicht in der Gegend herum, sondern tu, was auch immer du tust mit vollem Bewußt-

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sein. Der Fragesteller versucht den Eindruck zu erwecken, daß es sich nicht

um eine bewußte, absichtliche Handlung drehte, sondern purer Zufall war. Aber nichts geschieht zufällig. Man ist für alles verantwortlich.

Lebt nicht zufällig dahin, das ist eine der Arten, wie wir versuchen, an- deren die Verantwortung aufzuhalsen. Deine Tat ist deine Tat. Wenn du das nächstemal losziehst, wandere bitte nicht soviel in der Gegend herum. Du kannst direkt hingehen, wo du hingehen willst.

Und dann 'für ein paar Tage' — während du so herumgewandert bist... Ein paar Minuten wären einzusehen, aber 'ein paar Tage' bedeutet, daß du dableiben wolltest. Aber das ist ja auch in Ordnung. Worauf ich be- stehe, ist folgendes: Gesteh dir selbst ein, daß du dort sein wolltest.

Es ist verständlich. Ich weiß, was in dir vorgeht. Du mußt dir einen Gu- ru aus dem Riesenangebot dieses Supermarkts aussuchen. Es gibt eine Menge Gurus auf der Welt und du kannst nicht ohne weiteres entscheiden, wer der richtige ist. Du mußt hierhin und dorthin gehen, zu Muktananda, Sai Baba und allen möglichen Leuten. Daran ist nichts verkehrt.

Wenn etwas von mir dein Herz angerührt hat, wirst du zurückkom- men. Wenn nicht, dann ist es besser, du kommst nicht zurück. Wenn du ir- gendwo dein Heil findest, dann laß es geschehen — meinen Segen hast du — denn um dein Heil geht es uns hier ja die ganze Zeit! Wenn du dein Heil in Muktanandas Ashram findest, ist alles bestens. Die Hauptsache ist, du findest es. Ich bin nicht auf Poona fixiert und darauf versessen, daß die Erleuchtung ausgerechnet hier in Poona über dich kommt.Wenn du in Muktanandas Ashram erleuchtet wirst, ist es wunderbar! Dann freue ich mich. Dann bin ich glücklich, daß es dir widerfahren ist. Es geht nicht um Poona, dieses kleine Fleckchen Erde. Wieviele Leute können hier schon erleuchtet werden? Die ganze Welt steht dir offen. Du kannst erleuchtet werden wo du willst — überall.

Es ist natürlich, daß der menschliche Geist hierhin und dorthin wan- dert. Man schwankt eine Zeitlang hin und her und dann kommt man all- mählich zur Ruhe. Darum mußt du dich nicht dazu zwingen, hierzublei- ben, wenn du Lust hast — was nur natürlich ist — andere Ashrams zu be- suchen, um zu sehen, was dort geschieht. Es kann ja sein, daß du hier ein- fach einem Betrüger auf den Leim gegangen bist... Wer weiß? Ich bin viel- leicht ein Scharlatan, wer weiß? Geh einfach einmal los und schau dir an,

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was woanders geschieht! Vielleicht passiert woanders wirklich etwas, das dir weiterhelfen kann. Wenn das so ist, gut, wenn nicht, stehe ich dir hier immer zur Verfügung. Du kannst zu mir zurückkommen. Mach dir deswe- gen keine Gewissensbisse.

»Unerwarteterweise überhäufte er mich mit Gnadenbezeugungen und widmete mir seine ganz spezielle Aufmerksamkeit während ich dort war, obwohl ich sofort sagte, daß ich ein Jünger von Bhagwan Shree Rajneesh bin.« Drum! Das ist ein ganz simples politisches Manöver, nichts besonderes.

Kein Wunder. Geh das nächstemal nicht in organgefarbenen Kleidern und ohne Mala, laß dir den Kopf kahlscheren, so daß Muktananda dich nicht erkennt und dann warte ab, was passiert.

Mulla Nasrudin kam nach seinem Ableben in den Himmel. Aber dann ging es ihm natürlich so wie dir.

Nach ein paar Tagen im Himmel sagte er zu Gott: »Ich war noch nie in der Hölle und man kann ja nie wissen — vielleicht ist es da viel schöner als hier. Gerüchten zufolge haben sie jetzt Klimaanlagen in der Hölle installiert, feiern ununterbrochene Feste bei Wein, Weib und Ge- sang und die Schickeria der ganzen Welt ist da. Hier hocken nur die Heiligen und Frommen trübselig mit Asche bedeckt unter den Bäu- men. Kein Gesang — noch nicht einmal eine Zeitung. Kein Radio, kein Fernsehen. Außerdem heißt es, daß sämtliche Politiker und Wis- senschaftler in der Hölle sind und den Ort in eine komfortable Wohn- gegend verwandelt haben.«

Gott gab ihm ein zweitägiges Visum und sagte: »Du kannst es dir ja mal ansehen.«

Nasrudin ging hin und wurde mit großem Hallo empfangen. Und es war tatsächlich schöner, als er es sich in seinen kühnsten

Träumen vorgestellt hatte. Er dachte bei sich: »Was für ein Unsinn im- mer über die Hölle verbreitet wurde! Selbst Gott würde sich hier wohl- fühlen. Kein Mensch weiß, daß die Hölle sich inzwischen völlig verän- dert hat! Wir glauben weiterhin an alte Bücher, in denen der Himmel gepriesen und die Hölle verdammt wird. Heutzutage ist alles ganz an- ders, in der Tat, genau umgekehrt!«

Er genoß sein Leben zwei Tage lang. Er pokerte und trank und tanzte mit allen schönen Frauen von Cleopatra bis Marilyn Monroe. Es

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war einfach phantastisch und die zwei Tage vergingen zu seinem Leid- wesen wie zwei Sekunden.

Bei seiner Rückkehr sagte er zu Gott: »Ich habe keine Lust mehr im Himmel zu leben. Bitte gib mir eine lebenslängliche Aufenthaltsge- nehmigung für die Hölle.«

Gott sagte: »Aber vergiß nicht, daß du nicht mehr zurückkommen kannst, wenn du deinen Wohnsitz endgültig verlegt hast!«

Er antwortete: »Wer spricht vom Zurückkommen? Vergeude keine Zeit, ich möchte das Ganze nicht auf bürokratischem Wege abwickeln, weil ich es keine Minute länger hier aushalte. Gib mir die Genehmi- gung, daß ich sofort zur Hölle fahren darf.«

Und so geschah es. Er kam in der Hölle an, aber auf einmal stürzten sich ein gutes Dut-

zend Teufel auf ihn und fingen an, ihn zu verprügeln. »Was macht ihr da?« schrie er, aber als er sich umsah, war die

schöne Landschaft nirgends zu finden, ringsumher nur Rammen und Fegefeuer.

Er fragte: »Das sieht wie die ganz normale alte Hölle aus, habe ich mich etwa in der Adresse geirrt?«

Die Teufel antworteten: »Nein, hier bist du richtig.« »Aber«, sagte er, »ich war doch gestern noch hier und alles war so wundervoll...«

Da lachten sie und sagten: »Das war nicht die echte Hölle. Das war nur unser Schaustück für vorübergehende Besucher. Nun, da du hier deinen festen Wohnsitz hast, wirst du die wahre Hölle erleben!«

Also erwähne meinen Namen das nächstemal nicht. Wenn du mich er- wähnst, ist es selbstverständlich, daß man dich diplomatischerweise mit vielen Gnadenbezeugungen und speziellen Aufmerksamkeiten überhäuft.

Und es hat seine Wirkung nicht verfehlt: »Ich fühlte mich geehrt...« Spezielle Aufmerksamkeit — wer würde sich nicht geehrt fühlen? Hier

wird niemandem meine spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. Selbst wenn ihr mich nur kurz sehen wollt, müßt ihr ein paar Tage warten. Man wird nicht ohne weiteres vorgelassen und ich widme niemandem meine 'ganz spezielle Aufmerksamkeit', denn mir geht es darum, tatsächlich an euch zu arbeiten. Ich meine es ernst!

Spezielle Aufmerksamkeit wird euch gewidmet, um eurem Ego zu schmeicheln... so läuft die Sache. Der Guru schmeichelt dem Ego des Jüngers und der Jünger schmeichelt dem Ego des Gurus und danach

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herrscht ein gegenseitiges Einverständnis, daß alles glatt läuft. Sie schmie- ren sich gegenseitig die Fahrgleise.

Hier geschieht nichts dergleichen. Ich arbeite absolut geschäftsmäßig. Ich widme dir keinerlei »spezielle« Aufmerksamkeit, denn dieser Wunsch nach besonderer Beachtung ist grundsätzlich falsch. Was machst du mit der Beachtung, die dir geschenkt wird? Du fütterst dein Ego. Jeder möchte be- sonders beachtet werden — warum? Weil jeder etwas Besonderes sein will.

Also ist daran nichts Verwunderliches oder Geheimnisvolles... »Ich fühlte mich geehrt«. Demnach hat die besondere Beachtung ihre Wirkung nicht verfehlt.

Wenn du hier bei mir sein willst, darfst du nicht vergessen, daß ich kei- ne Egospielchen mit dir veranstalte. Hier werden die Dinge beim Namen genannt. Du bist hier, um dein Selbst aufzulösen und ich bin hier, um dir beim Sterben behilflich zu sein. Das ist ein langer schmerzhafter Prozeß, aber alles Wachstum ist nun einmal schmerzhaft. Wenn du mit Spielsachen spielen willst, kannst du in jeden Kindergarten gehn. Vielleicht brauchst du Spielzeug in deinem Stadium. Vielleicht bist du noch etwas kindisch, uner- wachsen, noch kein reifer Mensch. Dann brauchst du solche Dinge.

Doch fühle dich nie schuldbewußt. Ich möchte nicht, daß du ein schlechtes Gewissen hast, ganz gleich was du tust. Ich sage es ohne jede Einschränkung: ich möchte keine Schuldgefühle in dir hervorrufen.

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Die letzte Frage:

Man erinnert sich an den 'Geliebten' oder 'Liebling' im allgemeinen sponta- ner, als an 'Gott' oder das 'Höchste Selbst'. Warum ist das so?

Ganz einfach — warum sollte es nicht so sein? Dein Geliebter ist tat- sächlich vorhanden und Gott ist nur ein Hirngespinst, ein leeres, fleischlo- ses Wort. Wenn du tief in das Wort hineinsiehst, findest du nichts. Dein Gott ist nur ein Wort, aber dein Geliebter ist wirklich.

Mein Gott ist wirklich, aber dein Gott ist unwirklich. Dein Gott ist nur ein Wort, das du im Halbschlaf vernommen hast, das in deinem Inneren widerhallt und weiterschwingt — aber nur ein Wort. Was heißt es schon? Es hat keine Bedeutung, während dir dein Geliebter natürlich etwas bedeu- tet.

Deshalb sage ich ja, daß ihr Gott als Konzept, als Wort, als theologi- sche Vorstellung völlig vergessen müßt, und stattdessen lieben sollt. Liebt eure Geliebten — und liebt sie so tief, daß ein Moment kommt, in dem ihr den Geliebten nicht mehr als Körper, sondern als Seele empfindet. Das ist die Tür zum Tempel Gottes. Seid total in eurer Liebe und durch diese Tota- lität wird Andacht allmählich zu einer natürlichen Begleiterscheinung der Liebe. Die Liebe wird in Andacht verwandelt. Jeder der beiden Liebenden wird zum Fenster zu Gott.

Daher lehre ich euch nicht, gegen die Liebe anzugehen; ich lehre euch, durch die Liebe hindurchzugehen. Das ist der ganze Unterschied zwischen meiner Lehre und den Lehren der traditionellen Heiligen. Ich lehre euch den natürlichen Weg. Geht durch die Liebe hindurch. Aber seid dabei so total, versinkt so total darin, daß es mit der Zeit keine oberflächliche Ange- legenheit mehr bleibt; so total, daß ihr beginnt, die Seele des anderen in euch aufzunehmen. In solchen Momenten geht euch nämlich plötzlich auf, daß der gesamte Kosmos beseelt ist.

Wenn du einmal etwas vom Unaussprechlichen, Undefinierbaren in den Augen deines Geliebten gesehen hast, kannst du die Bäume betrach- ten und das gleiche dort wiederfinden. Dann siehst du dieselben Augen in

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jeder Rose; dann kannst du hingehen wo du willst, du siehst ihn überall. Aber zum erstenmal tritt Gott in deinem Geliebten in Erscheinung. Das ist natürlich. Liebe ist der natürliche Weg zu Gott.

Zwei kleine Jungen spielten gerade Murmeln miteinander, als ein sehr süßes Mädchen vorbeispazierte. »Mensch«, sagte der eine mit Inbrunst zu seinem Spielkameraden, »wenn ich später mal aufhöre, Mädchen zu verachten, dann fang ich bei der da an!«

Schon von frühester Kindheit, schon von Anbeginn an, werdet ihr von der Liebe ergriffen. Vielleicht nennt ihr sie noch nicht so, vielleicht könnt ihr vorerst nur in Begriffen wie »Verachtung« und »Haß« denken — »diesen Menschen verachte ich nicht«, aber das ist nur eine negative Definition von Liebe. Die Liebe wird vorerst noch negativ ausgedrückt, doch mit der Zeit wird der Ausdruck dann auch positiv. Und später wird sie noch nicht ein- mal mehr auf positive Weise ausgedrückt: sie wird existentiell. Dann ist es Andacht.

Wenn du unbeirrt immer tiefer in die Liebe eindringen kannst, wirst du eines Tages feststellen, daß du bei Gott angekommen bist.

Mrs. Mulla Nasruddin klagte dem Schulleiter ihr Leid über die Tatsa- che, daß ihr 13-jähriger Sohn den ganzen Tag lang nichts Besseres zu tun hatte, als Mädchen in Miniröcken anzustarren.

»Keine Sorge«, beruhigte sie der Schulleiter. »Er geht gerade durch eine Phase, die nicht länger als den Rest seines Lebens dauern dürfte.«

Liebe ist etwas fürs ganze Leben. Ihr beginnt mit Liebe und ihr solltet auch in Liebe enden. Dann hat sich der Kreis geschlossen.

Ihr wurdet aus Liebe geboren; ihr solltet in Liebe sterben. Dann habt ihr den Kreis vollendet.

Aber euer Gott ist ein Pappkamerad, zu dem ihr euch aus Angst gesellt habt. Oder ein Konzept, das euch von anderen eingeflüstert wurde.

Ein kleines Mädchen (eins aus der 1974-er Serie), war in jungen Jah- ren schon dutzendweise im Flugzeug geflogen, aber nun befand es sich

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zum erstenmal auf einer Übernachtfahrt im oberen Liegesitz eines Pullmann-Doppeldeckerbusses. Leicht verstört plärrte sie in regelmä- ßigen Abständen zu ihrer Mutter herunter:

'Mami, bist du da?' Nachdem ein Herr am anderen Ende des Abteils dieses Spiel eini-

ge Stunden ertragen hatte, flötete er: »Ja, Mami ist da. Und ich auch! Wir würden eigentlich gerne ein

bißchen schlafen! Also hör in Gottes Namen mit dem dämlichen Ge- schrei auf!«

Für einen Moment herrschte vollkommenes Schweigen, dann hörte man eine zittrige kleine Stimme:

»Mami, war das Gott?«

Das ist eure Vorstellung von Gott. Eine Vorstellung, aus Angst geboren. Euer Gott ist euer Vater, aufge-

blasen zu überdimensionalen Ausmaßen, euer Schulleiter oder der Ober- wachtmeister in groß. Was meint ihr mit Gott? Ihr habt noch nie eine Er- fahrung seiner Gegenwart gemacht.

Befrachtet Gott lieber als euren Geliebten, anstatt ihn euch als euren Vater vorzustellen, denn ein Vater ist eine künstliche von der Gesellschaft eingeführte Autoritätsfigur. Es gab eine Zeit, da dieses förmliche Konzept nirgends auf der Welt existierte und irgendwann wird es vielleicht auch wie- der verschwinden.

Es ist leichter, durch einen irdischen Geliebten zum kosmischen Gelieb- ten zu gelangen. Dann gehst du den natürlichen, den spontanen Weg, oh- ne jede Unterdrückung, ohne diese unnötige Strenge in deiner Lebenswei- se. Du wirst nicht zum Masochisten.

Warum sollst du weinen und leiden, wenn du auch lachend zu Gott gelangen kannst? Warum dich dahinschleppen, wenn du auch tanzend zu Gott finden kannst? Ich lehre keinen Gott, der gegen das Leben und gegen die Liebe ist. Ich lehre einen Gott, der das Fundament, der Ursprung allen Lebens und aller Liebe ist.

Ihr könnt das Wort 'Gott' aus eurem Vokabular streichen, wenn es euch stört. Setzt 'Liebe' an seine Stelle und zwar 'liebe' mit einem kleinen T, nicht mit einem großen 'L'. Macht nicht viel Aufhebens darum. Nehmt ein kleines T für die ganz gewöhnliche 'liebe' die zwischen zwei Freunden statt- findet, zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen einer Mutter und

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ihrem Kind — diese 'liebe', die immer und überall in allen Beziehungen stattfindet.

Werdet immer liebevoller, dann kommt ihr auch Gott näher, immer näher. Der Tag, an dem ihr nur noch aus Liebe besteht, ist der Tag eurer Ankunft bei Gott: er hat sich euch offenbart.

Ja, Jesus hatte recht, als er sagte: »Gott ist Liebe«. Ich gehe sogar noch weiter indem ich sage: 'liebe ist Gott'.

Jesus sagt: »Gott ist Liebe«. Ich sage: »liebe ist Gott«. Das Wort Gott ist ein schmutziges Wort geworden, weil es so lange von

den Priestern und Politikern gebraucht, beziehungsweise mißbraucht wur- de. Es ist zu einem Schimpfwort geworden, ihr könnt es vergessen, 'liebe' ist unverbraucht, frischer, existentieller, wahrer.

Liebt — und wen ihr auch liebt — er wird zu einem Gott, ihr werdet es sehen. Liebt, und am Ende findet ihr immer nur Gott.

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MAN TU PAR UTAR KANH JAIHO

Zu welchem Ufer willst du gelangen, mein Herz? Es gibt keinen Weg und keinen, der dir vorangeht. Was heißt schon Kommen und Gehen, an jenem Ufer? Kein Wasser, kein Boot und kein Bootsmann. Weder Seil, das Boot zu verankern, noch Fährmann, es zu ziehen. Dort gibt es weder Erde noch Himmel, weder Zeit, noch irgendein Ding, kein Ufer und keine Küste. Dort gibt es weder Körper noch Geist.

Aber wo finde ich dann den Ort, der den Hunger meiner Seele stillt? Nichts, nichts wirst du finden in der Leere deines Seins.

Sei stark und begib dich in deinen eigenen Körper, denn damit stehst du auf festem Grund. Bedenk es wohl, mein Herz: Geh nicht woanders hin.

Kabir spricht: Laß alle Träumereien fallen

und halte dich unerschüttert an das, was du bist.

SATGUR SOI DAYA KAR DINHA

Durch die Gnade meines wahren Gurus erkannte ich das Unbekannte. Von meinem Meister habe ich gelernt, zu gehen ohne Füße, zu sehen ohne Augen, zu hören ohne Ohren, zu trinken ohne Mund, zu fliegen ohne Flügel. Mein Bewußtsein und meine Liebe sind in das Land gegangen, wo nicht Sonne, nicht Mond, nicht Tag, nicht Nacht miteinander wechseln. So habe ich die Süße des Nektars gekostet, ohne zu essen und meinen Durst ohne W/asser gelöscht.

Wo Freude ist, steigt bald grenzenloses Entzücken herab. Wer wollte dieses Entzücken beschreiben?

Kabir spricht: Des Meisters Größe ist jenseits aller Beschreibung, und groß ist das Glück seines Jüngers.

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ott ist innen und außen, weil nur Gott ist. In der Tat — zu sagen, 'Gott ist', wäre eine Wiederholung, denn Gott ist niemals 'nicht'.

Gott ist das Sein des Daseins. Wir können sagen, »es gibt das Haus«, weil es eine Zeit gab, wo es

nicht vorhanden war und eine Zeit geben wird, wo es nicht mehr vorhan- den sein wird. Es ist in Ordnung zu sagen, daß es das Haus gibt, weil es auch nicht vorhanden sein kann. Wir können sagen, 'der Mensch ist', aber nicht 'Gott ist', weil nur Er ist, war und sein wird. Gott ist das Sein an sich. Gott ist die Existenz selbst.

Aber warum soll man das Wort 'Gott' dann überhaupt benutzen? Wozu soll das gut sein?

Wir benutzen es als Symbol, um auf etwas Bestimmtes hinzuweisen. Wenn wir sagen, 'Gott ist', meinen wir damit, daß das Dasein nicht seelen- los ist. Gemeint ist, daß das Dasein nicht tot ist, daß das All lebt, erfüllt ist von Liebe, Mitgefühl, Bewußtsein, Gewissen; daß das All mit uns vertraut ist, daß die Möglichkeit besteht, sich an das All zu wenden und tatsächlich eine Antwort zu erhalten.

Wenn wir sagen, 'Gott ist', meinen wir, daß uns das Dasein eine Mög- lichkeit der Zwiesprache bietet. Mann kann einen Dialog führen, man kann es 'Du' nennen, ohne sinnlos in ein Vakuum hineinzurufen.

Man kann einen Zustand erleben, in dem Beten einen Sinn hat, in dem eine Kommunion hergestellt wird.

All das ist in dem Wort 'Gott' enthalten: Das Dasein ist nicht wie ein to-

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G

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ter Stein, sondern eine lebende Blume. Es antwortet dir. Wenn du das Da- sein liebst, fließt Liebe zu dir zurück. Wenn du dich ihm entgegenstreckst, kommt es dir entgegen. Wenn du es suchst, dann sucht es dich.

Das Dasein ist nicht lieblos. Wenn du das Dasein liebst, liebt es dich. Das ist alles, was gemeint ist, wenn wir das Dasein göttlich nennen oder sa- gen, daß es Gott gibt, vergeßt das nicht — es ist einfach ein poetischer Ausdruck einer bestimmten Wahrheit; keine Tatsache. Es ist eine poeti- sche, romantische Form, denn Religion ist eine Romanze mit dem Dasein. Ja, Religion ist eher wie Verliebtsein als ein Streitgespräch, durch das man zu einem Schluß kommt.

Deshalb sagt Kabir, daß Gott außen sowohl als innen ist, aber die Rei- se beginnt im Inneren. Solange man Gott nicht im eigenen Inneren erfah- ren hat, ist man nicht in der Lage, ihn im Äußeren zu erkennen. Solange man ihn nicht in sich selbst gesehen hat, kann man ihn nicht in den Pflan- zen, Vögeln und Sternen sehen. Wie kannst du ihn in einem Baum, oder Stein erkennen, wenn du ihn nicht vorher in dir selbst gefühlt hast? Das Zentrum deines eigenen Wesens ist die allernächste Tür zu Gott. Solange du nicht durch diese Tür gehst, bleiben dir alle anderen Türen verschlos- sen.

Gott ist sowohl innen als außen, denn nur Gott ist — und dennoch be- ginnt die Reise im Kern deines eigenen Wesens. Zuerst mußt du in dich ge- hen. Wenn du Gott schon von Anfang an außen suchst, ist dein Gott ein Produkt deiner Phantasie, er bleibt eine Einbildung.

Diesen Punkt muß man in seiner ganzen Tiefe verstehen. Von diesem Punkt geht Kabir und gehen alle Mystiker der Welt aus: wenn du Gott au- ßerhalb zu sehen vermeinst, ohne ihn im eigenen Inneren erfahren zu ha- ben, siehst du einen Traum, eine Projektion. Du siehst, was du zu sehen wünschst.

Darum kannst du die Reise nicht von dort aus antreten. Die Reise be- ginnt, indem du die Augen schließt, und endet, indem du sie öffnest. Zu- erst muß man die Augen schließen, in Meditation gehen, tief in sich hin- eingehen und erst, wenn man die Wahrheit geschaut hat, seine innerste Mitte berührt und erkannt hat, wer innen ist, öffnet man die Augen. Und dann sieht man ihn überall, ringsumher.

Aber ihr könnt nicht außen anfangen. An diesem Punkt gehen die organisierten Religionen durchweg in die

Irre. Die Christen gehen in die Kirche, die Hindus in ihre Tempel und die

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Mohammedaner in ihre Moscheen. Die Mohammedaner pilgern Tausende von Meilen weit nach Mekka, die Hindus gehen nach Kailash — und Kabir sagt, er ist weder in der Kaaba noch in Kailash, sondern in euch. Nicht, daß er nicht in der Kaaba oder in Kailash zu finden wäre! Habt ihr ihn ein- mal in euch selbst gefunden, findet ihr ihn überall, aber dann ist es witzlos, zur Kaaba oder nach Kailash zu pilgern, weil die Kaaba und Kailash dann überall sind, wohin ihr auch blickt.

Da gibt es eine sehr schöne Geschichte aus dem Leben Nanaks, der ebenfalls ein bedeutender Mystiker vom Range Kabirs war.

Nanak reiste zusammen mit einigen Muslim-Pilgern nach Mekka. Spät abends, nach Sonnenuntergang, kamen sie todmüde von der Reise am heiligen Stein der Kaaba an. Nanak sank sofort zu Boden und schlief ein.

Seine Reisekameraden hatten Nanak immer für einen besonders from- men Mann gehalten, darum wunderten sie sich nun, wie er eine solche Riesendummheit begehen konnte, den Nanak hatte die Füße der Kaaba zugewandt, als er sich schlafenlegte, und das ist für die Mohammedaner ei- ne gotteslästerliche Schandtat.

Die Freunde bekamen es mit der Angst zu tun, aber bevor sie irgendet- was unternehmen konnten, war der Hoheprieser schon herbeigeeilt und fragte: »Wer ist dieser Mann? Ist das ein Ungläubiger? Auf alle Fälle scheint er kein Muslim zu sein. Werft ihn hinaus!«

Von all dem Lärm und Gerede war Nanak aufgewacht und fragte: «Was ist denn los?«

Sie sagten: »Du hast deine Füße der Kaaba zugewandt, und das ist verboten, weil es Sünde ist.«

Nanak lachte laut und antwortete: »Ihr könnt meine Füße in jede Rich- tung drehen, die euch beliebt, aber bevor ihr das macht, sagt mir, ob es nicht richtig ist, daß meine Füße immer Gott zugewandt sind, ganz gleich wohin ich sie wende, weil Gott überall ist?«

Bis zu diesem Punkt scheint die Geschichte vollständig realistisch zu sein und dann wird sie zur Parabel.

Der Priester war wütend, packte Nanaks Füße und drehte sie in eine andere Richtung.

In der Parabel heißt es nun, daß die Kaaba Nanaks Füßen folgte und sich immer in die Richtung drehte, in die Nanaks Füße wiesen.

Jetzt ist die Geschichte zur Parabel geworden. Ich behaupte nicht, daß

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es sich tatsächlich so zugetragen hat. Die erste Hälfte der Geschichte scheint wahr zu sein, die andere Hälfte ist reine Poesie — zwar richtig, aber keine Tatsache. Trotzdem wird etwas sehr Bedeutendes gesagt: Gott ist überall.

Wenn du ihn einmal in dir gefunden hast, findest du ihn überall. Dann gibt es keinen Ort, an dem er nicht ist. Aber fang nicht mit der Außenwelt an. Fang nicht damit an, zur Kaaba und nach Kailash, in den Tempel oder in die Moschee zu gehen, sonst begibst du dich schon mit dem ersten Schritt in die verkehrte Richtung. Und ein Schritt führt zum anderen; du fängst an, dir alles mögliche einzubilden.

Ich kannte einmal einen Sufi, der Tausende von Schülern hatte, die mir immer wieder erzählten, welch ein großer Weiser ihr Meister sei, da er überall Gott sieht — in den Bäumen, den Steinen, den Vögeln, Tieren, selbst in einem Hund — überall sieht er Gott. Als er mich einmal für ein paar Tage besuchte, und wir den ersten Abend zusammensaßen, betrach- tete ich sein Gesicht. Er war wirklich ein wunderschöner Mann, aber ich sah, daß sein Gott eine Projektion war, daß er in seiner Phantasie — sei- ner Traumwelt lebte. Ein schöner Traum, denn wenn man im Traum über- all Gott sieht, kann selbst der Traum das ganze Leben verändern. Selbst die bloße Vorstellung, daß Gott überall ist, bewirkt gewaltige Veränderungen. Aber keine radikale Revolution. Es ist nur im Kopf, ein mind game, eine Form von Selbsthypnose.

Ich bat ihn: »Bitte erzähle mir, wie es anfing, daß du Gott überall sahst.«

... Er hatte große Ehrfurcht vor allen Dingen. Oft ging er hin, um vor einem Stein niederzuknien — irgendeinem Stein auf der Straße — er fiel vor einem Baum auf die Knie und berührte ihn andächtig. Er hatte wirklich tiefe Ehrfurcht vor allen Dingen und war von einer großen Stille umgeben. Eine Dichterseele, aber kein Mystiker. Also bat ich ihn: »Sag mir, wie du anfingst, Gott zu sehen.«

Er antwortete: »Wie ich anfing? Ich sagte mir ständig: 'Gott ist überall' und dachte bei allem was ich berührte: 'Hier ist Gott'! Ich blickte in die Au- gen eines Menschen und sagte: 'Hier ist Gott!' und wiederholte es ständig und durch dieses ständige Wiederholen ging mir nach drei Jahren plötzlich ein Licht auf: Er war wirklich überall.«

Ich sagte: »Drei Jahre hast du dazu gebraucht? Dann machst du jetzt einmal folgendes: Während der sieben Tage, die du hier bei mir bist, hörst

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du drei Tage lang auf, an Gott zu denken!« Er sagte: »Was soll das heißen? Das kann ich nicht! Ich habe dreißig

Jahre lang immer nur an Gott gedacht, das hat mir einen unvergleichlichen inneren Frieden gegeben und ich bin selig gewesen. Warum soll ich jetzt für drei Tage damit aufhören?«

Ich sagte: »Nur um festzustellen, ob du Gott noch immer siehst, wenn du drei Tage lang aussetzt. Kannst du ihn danach nicht mehr sehen, hast du dreißig Jahre lang in einem schönen Traum gelebt. Zwar schön, aber trotzdem nur ein Traum.«

Die Idee faszinierte ihn. Er hatte Angst, es auszuprobieren, aber sein In- teresse wurde auch zunehmend stärker. Alles, wovor man Angst hat, übt auch gleichzeitig eine gewisse Faszination aus. Zuerst lehnte er meinen Vorschlag ab, aber ich sah schon, daß er nicht imstande sein würde, der Versuchung zu widerstehen. Am nächsten Morgen erklarte er: »Na schön, ich versuche es. Ich vertraue auf Gott, denn ich weiß, daß er überall ist. Meinst du, ich höre auf, ihn zu sehen, nur weil ich aufhöre, an ihn zu den- ken?«

»Sag lieber nichts im voraus,« sagte ich. »Mach das Experiment. Hör drei Tage lang völlig auf zu denken, deine Vorstellungen zu projizieren, hör mit allem auf. Geh einfach dreißig Jahre zurück und werde wieder der Mann, der nie an Gott gedacht hat, der sich niemals vorgestellt hat, daß Gott überall ist.«

Am dritten Tag war der Mann so gewöhnlich geworden, wie jeder an- dere. Seine Aura erlosch, seine Augen wurden leer, der innere Frieden war verschwunden. Er fing an zu weinen und sagte: »Du hast mich völlig durcheinandergebracht! Du hast mich meiner Erfahrung beraubt!«

Ich sagte: »Ich habe dich nicht durcheinandergebracht. Du kannst dei- ne Phantasien jederzeit fortsetzen. Ich habe dir nur die Tatsache bewußt gemacht, daß selbst wenn du dir dreißig Leben lang etwas einbildest, es immer noch Einbildung bleibt. Du hast am falschen Ende angefangen und es ist Zeit, daß du dich änderst, denn so geht es nicht. Dreißig Jahre stän- diger Selbsthypnose und in drei Tagen alles für die Katz? Also hatte es ein- fach keinen Wert!«

Fangt bei eurem eigenen Inneren an. Anstatt Gott auf die Außenwelt zu projizieren, müßt ihr erstmal... es ist nämlich zwangsläufig eine Projek- tion, weil ihr nicht wißt, ob es Gott gibt oder nicht! Ihr kennt nur das Wort,

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ihr kennt die Überlieferungen, ihr wißt, was die Priester sagen, welche Bil- der sie euch in den Kopf gesetzt haben. Als Christ ist es das einfachste der Welt, sich Jesus vorzustellen. Ohne jede Schwierigkeit kann man eine Vi- sion von Christus haben. Aber das ist eine Halluzination, eine Form von Neurose. Als Hindu siehst du Krishna in deiner Vorstellung und wenn du ein Buddhist bist, erscheint dir Buddha im Traum.

Der menschliche Geist ist fähig, sich derartig realistische Illusionen zu schaffen, daß selbst die Realität davor verblaßt und völlig unwirklich er- scheint. Und so macht ihr es jede Nacht in euren Träumen. Ihr wißt ja, daß euer Geist die Fähigkeit hat, Bilder herzustellen, und nicht nur herzustellen, sondern sie auch so realistisch erscheinen zu lassen, daß ihr immer wieder vergeßt, daß ihr sie selbst hergestellt habt.

Jede Nacht träumt ihr und jeden Morgen wacht ihr auf in dem Wissen, daß alles ein Traum war; keine Wirklichkeit. Und in der darauffolgenden Nacht fallt ihr euren Träumen wieder zum Opfer; wieder vergeßt ihr, daß ihr träumt, wieder scheint der Traum wirklich, absolut realistisch zu sein.

Die absurdesten Dinge erscheinen als Wirklichkeit. Selbst Dinge, von denen man sich tagsüber nicht vorstellen kann, daß sie passieren, erschei- nen als absolut realistisch.

Du redest mit deiner Frau und plötzlich verwandelt sie sich in ein Pferd. Selbst dann kommt dir noch nicht einmal der leiseste Zweifel an der Wahr- scheinlichkeit des Geschehens. Im Traum hat man nie irgendwelche Zwei- fel. Du traust selbst solchen Unmöglichkeiten und kannst nicht sagen: »Was für ein Unsinn. Wie ist das möglich?« Nein, im Traum ist alles möglich. Dein Vertrauen kennt keine Grenzen. Am nächsten Morgen wachst du auf und lachst, weil der ganze Spuk vorüber ist — und so geht es nun schon jahrelang, du fällst immer wieder auf deine Träume herein.

Der Geist hat die Fähigkeit, Träume zu fabrizieren. Ein Teil des Geistes arbeitet wie ein Projektor — genau wie ein Filmprojektor. Und da dieser Projektor im Hintergrund steht, schaust du ihn nie an. Es kommt dir noch nicht einmal in den Sinn, dich umzudrehen — du schaust immer nur auf die Leinwand. Die Leinwand an sich ist leer, aber der Projektor läuft und führt dir ein Licht- und Schattenspiel vor, in welchem du dich völlig ver- lierst. Du bist vollkommen versunken.

Du bist wirklich; was sich auf der Leinwand abspielt, ist unwirklich; aber du vergißt dich selbst, und so gewinnt das Geschehen auf der Leinwand eine eigene Realität. Du weißt genau, daß es nicht wirklich ist und den-

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noch vergißt du es immer wieder.

Versucht es einmal, während ihr im Kino sitzt. Es ist eine ausgezeichne- te Meditation: versucht euch zu erinnern, daß die Handlung unwirklich ist, unwirklich ist... Erinnert euch ständig daran, daß die Leinwand leer und alles was sich abspielt unwirklich ist. Dann werdet ihr mit Staunen feststel- len, daß ihr es nur für ein paar Sekunden im Gedächtnis behalten könnt, danach habt ihr es schon wieder vergessen. Das Spiel wurde wieder zur Wirklichkeit.

Jedesmal, wenn ihr euch selbst vergeßt, wird der Traum real. Jedes- mal, wenn ihr euch selbst erinnert, »Ich bin wirklich«, rüttelt ihr euch wach und die Handlung auf der Leinwand ist unwirklich.

Laßt es mich so sagen: die Welt sieht im gleichen Maße wirklich aus, wie ihr unbewußt und eingeschlafen seid. Je wacher und bewußter ihr werdet, desto unwirklicher wird die Welt.

Selbst diese sogenannte Welt der Realität, in der wir leben, wird un- wirklich — ganz zu schweigen von euren Vorstellungen und Einbildungen. Ihr bildet euch Gott ein — dieses und jenes, Himmel und Hölle — und das sind alles Projektionen, denen ihr Wirklichkeit verleiht, indem ihr unbe- wußt werdet.

Daher ist ein Mensch, der sich Gott überall in der Umwelt vorstellt, auf dem falschen Weg, denn was macht er?

Er hypnotisiert sich selbst und von da aus führt kein Weg zum wahren Wissen, zur Erkenntnis. Im Gegenteil, man verstrickt sich noch mehr in der Unwirklichkeit als zuvor, man macht sich auf den Weg in die neurotische Abteilung.

Insofern hat Freud recht, wenn er behauptet, daß die sogenannten Re- ligionen nichts weiteres sind, als ein kollektiver Wahn. Die sogenannten Religionen sind tatsächlich nichts anderes. Buddha war ganz bestimmt kein Neurotiker, Jesus war kein Neurotiker, aber die Christen und die Buddhi- sten sind neurotisch. Der Unterschied ist der, daß Buddha bei seinem eige- nen Inneren angefangen hat, und die Buddhisten mit der Idee. Jesus blick- te in sich selbst hinein und die Christen blicken auf Jesus, also nach außen. Darin liegt der ganze Unterschied.

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Kabir spricht:

Zu welchem Ufer willst du gelangen, mein Herz? Es gibt keinen Weg und keinen, der dir vorangeht.

Wenn du nach außen gehst, kommst du vom Weg ab. Kabir sagt: »Es gibt keinen Weg«, wie willst du Gott suchen und wo willst du ihn suchen? »...und keinen, der dir vorangeht«, wem willst du folgen, mein Herz?

Was heißt schon Kommen und Gehen, an jenem Ufer? Kein Wasser, kein Boot und kein Bootsmann. Weder Seil, das Boot zu verankern, noch Fährmann, es zu ziehen.

Aber du kannst die Leinwand in deinem Kopf mit deinen eigenen Ein- bildungen füllen. Du kannst dir einen Weg einbilden und einen Meister, der dich leitet. Du kannst dir ein Ziel vorstellen und einen Traum fabrizieren.

In Wirklichkeit gibt es keinen Weg. In Wirklichkeit gibt es kein anderes Ufer. Dieses Ufer ist das einzige, das es gibt.

Es gibt keine »andere« Realität, keine Wirklichkeit, getrennt von dieser. Die Wirklichkeit ist eins und dir stehen zwei Wege offen, sich ihr anzunä- hern: entweder mit einem Kopf voller Träume oder ohne jeden Traum.

Dort gibt es weder Erde noch Himmel, weder Zeit, noch irgendein Ding, kein Ufer und keine Küste.

Wenn du in die Außenwelt gehst, gehst du ins Nichts, in die Leere. Und natürlich kannst du diese Leere dann mit deinen Einbildungen

und Ideen füllen, aber dadurch schaffst du dir Wahnvorstellungen, zwar re- ligiöser Art, aber dennoch nichts anderes als neurotische Wahnvorstellun- gen. Was machst du, wenn du in den Tempel gehst und einen Gott außer- halb von dir selbst anbetest? Hast du je darüber nachgedacht? Geh ins Ir- renhaus und schau dir die Leute dort an: da hockt ein Mann und spricht mit seiner Frau, obwohl niemand anwesend ist. Er sitzt allein da und redet mit seiner Frau. Du weißt, daß das ein Verrückter ist. Er bildet sich seine Frau ein und redet mit ihr, und nicht nur das, er antwortet auch an ihrer Stelle! Du nennst diesen Mann einen Verrückten und dann gehst du in dei-

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ne Moschee, deinen Tempel oder Kirche, wo ein Gläubiger vor einem Gott der nirgends zu sehen ist, auf die Knie fällt. Ist das etwas anderes? Es ist wieder eine Art von Wahnsinn.

Zu wem betest du? Wer ist dort außerhalb von dir vorhanden? Dein Gebet ist ein Traum deiner eigenen Fabrikation. Ja, Sigmund Freud hat recht, wie mit so vielen Dingen. Er hatte einen ungeheuren Scharfblick für die Wahrheit.

Religion scheint nichts anderes als ein kollektiver Wahn zu sein; aber eben nur die Religion des Christen, Hindus und Mohammedaners, nicht die Religion eines Buddha, Jesus, Nanak oder Kabir und nicht die Reli- gion, von der ich rede.

Die wahre Religion besteht darin, nach innen zu gehen, und wenn man sich dazu entschließt, muß man alles Denken, alle Phantasten fallen- lassen. Man muß völlig leer werden, nur dann kann man nach innen ge- hen. Um nach innen gehen zu können, muß diese eine grundsätzliche Voraussetzung erfüllt werden: alles Denken muß zum Stillstand kommen, denn dann kann man sich selbst nicht mehr hypnotisieren. Ohne Denken, keine Hypnose. Alles Träumen hört auf; nur in diesem traumlosen, gedan- kenlosen, projektionslosen Zustand, empfindet man die Realität, die sich im tiefsten Kern des eigenen Wesens offenbart.

Wenn du es dort einmal gefühlt hast, öffnest du deine Augen und siehst es überall. Und jetzt ist es etwas ganz anderes, hat eine völlig andere Qualität. Du stellst es nicht her; es ist da. Es ist eine Offenbarung.

Aber normalerweise haben wir uns daran gewöhnt, nach außen zu blicken. Die Augen öffnen sich nach außen hin. Wenn du deine Augen schließt, siehst du nichts als Dunkelheit und Leere, oder bestenfalls die Re- flektion der Außenwelt, dir vor deinem geistigen Auge vorüberziehen. Du siehst das Gesicht eines Freundes, jemand hat dich beleidigt und die Episo- de rollt noch einmal vor deinen Augen ab; oder du bist zum Einkaufen auf den Markt gegangen und feilschst mit dem Verkäufer. Solche Dinge — Re- flektionen der Außenwelt. Entweder blickst du sowieso nach außen oder du betrachtest dir die Reflektionen der Außenwelt.

Die Augen können nicht nach innen schauen, die Ohren können nicht nach innen hören und die Hände können das Innere nicht berühren. Alle

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unsere Sinne öffnen sich nach außen hin, dazu sind sie da. Die Sinne sind Brücken, deren Bestimmung es ist, mit der Außenwelt Kontakt aufzuneh- men; Brücken, die die Oberfläche der Realität offenbaren, aber nicht ihre Tiefe.

Wenn du die Tiefe erfassen willst, mußt du über die Sinne hinaus, in dein eigenes Wesen hineingehen. Dort siehst du ohne Augen. Dort hörst du ohne Ohren. Dort berührst du Welten ohne Hände.

Aber die Gewohnheit hat uns so fest im Griff, daß sie bei allem wieder die Oberhand gewinnt.

Selbst wenn ein Mensch von der Außenwelt frustriert ist, genug hat und einsieht, daß es dort nichts zu holen gibt und anfängt, sich mit Spiri- tualität zu beschäftigen, sucht er Gott immer noch in der Außenwelt. Vor- her war er auf der Suche nach Geld; jetzt sucht er Gott. Erst war er hinter politischer Macht her, jetzt ist er hinter spiritueller Macht her, aber er blickt weiterhin nach außen. Er bleibt bei seiner alten Gewohnheit. Er hat sich in keiner Weise verändert.

Mir kam eine Geschichte zu Ohren, über einen dieser geheimniskrä- merischen Diplomaten, der seine Geliebte erschoß und zum Tode ver- urteilt wurde. Bevor man ihn henkte, wurde er gefragt: »Wollen Sie noch irgendetwas sagen?«

»Nicht zu diesem Zeitpunkt«, war die lakonische Antwort.

Alte Gewohnheiten. Jetzt hat er überhaupt keine Zeit mehr, er wird am Galgen gehenkt, aber das ist nun einmal seine alte Gewohnheit.

Die Politiker versuchen immer, allen Fragen auszuweichen. Selbst wenn sie eine Antwort geben, antworten sie nicht, sondern reden drumhe- rum. Man weiß nie, ob sie nun Ja oder Nein sagen und, sofern sie die Ant- wort nicht von vornherein verweigern, ist es immer sehr schwierig heraus- zufinden, wovon überhaupt die Rede ist.

Dieser Mann soll im nächsten Moment gehenkt werden und sagt: »Nicht zu diesem Zeitpunkt« — als ob es einen anderen Zeitpunkt gäbe. Nur die alte Gewohnheit.

Der Verstand ist darauf trainiert, nach außen zu blicken, daher fängst du, wenn du dich auf die Suche nach Gott machst, sofort wieder an, ihn außen zu suchen. Du greifst zu den Heiligen Schriften, der Bibel, den Ve-

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den, dem Koran, der Gita, du gehst zum Priester, in den Tempel oder fragst jemanden um Rat — aber du kommst nie auf die Idee, nach innen zu gehen und das ist der einzige Ort, an den man gehen muß. Der einzige Ort, an dem man sein muß, ist innen! Von dort aus öffnet sich die Tür. Von dort aus klopfst du an die Tür der Wirklichkeit. Dort kann man erken- nen, was ist.

Ihr habt euch so weit in der Außenwelt verloren, auf der Suche nach Geld, nach Macht, nach Sex und allen möglichen Dingen, daß ihr unge- bührlich lange braucht, um zurückzukommen und auch dann kommt ihr nur langsam und zögernd.

Ich habe folgendes gehört: Ein Alkoholschmuggler in den Bergen Georgias wurde von einer

Handvoll Zollbeamter auf frischer Tat ertappt. Der Schmuggler, seiner siebzig Jahre und seines langen grauen Bartes zum Trotz, entwand sich dem Zugriff des Sheriffs und stob gazellengleich querfeldein davon.

Der Sherriff war eine gutmütige Seele und sagte nur, insgeheim beeindruckt von der Gewandtheit des Alten:

»Laßt ihn davonkommen.« Nach fünf Tagen war der Alte allerdings noch immer nicht wieder

zu Hause aufgetaucht und erst spät abends, als die Familie und Nach- barn gerade beschlossen hatten, daß die ungewohnte Anstrengung ihn ins Grab gebracht haben müsse, stolperte er in völlig abgerissenem Zustand zur Tür herein.

»Wo warst du denn die ganze Zeit?« fragte sein Geschäftspartner. »Auf dem Weg zurück«, brummte der Alte.

Er war so weit davongerannt, daß er fünf Tage brauchte, um zurückzu- kommen. Und ihr seid seit unzähligen Leben am Davonlaufen.

Aber fangt jetzt nicht an, euch auszurechnen, wie lange ihr zum Zu- rückkommen braucht. Ihr könnt jederzeit, ganz gleich wo ihr seid, die Au- gen zumachen und sofort innen sein. Es ist in Wirklichkeit keine Frage des Zurückkommens: ganz gleich wo ihr seid, macht die Augen zu und ihr seid in eurem Inneren.

Es ist wie ein Mensch, der vor der Sonne wegläuft. Er dreht der Sonne den Rücken zu und läuft und läuft so weit er kann und eines Tages sieht er ein, daß es sinnlos ist — die Sonne ist die Quelle allen Lebens, wie kann er ihr entrinnen? Muß er nun dieselbe Entfernung zurücklegen, die er von der

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Sonne fortgelaufen ist? Nein, er muß sich nur umdrehen und dann sieht er die Sonne, die schon immer da war.

Das ist es, was man als Bekehrung bezeichnet. Bekehrung bedeutet ei- ne Kehrtwendung um hundertachtzig Grad, eine plötzliche Umkehr. Das ist es, was ich unter Sannyas verstehe: eine plötzliche Umkehr. Es geht nicht darum, dieselbe Entfernung nochmals zurückzulegen, die man sich vorher entfernt hat. Du kannst dich nicht von Gott entfernen! Und wie kannst du dich von dir selbst entfernen? Du bleibst du, wo immer du auch hingehst. Du kannst zur Hölle fahren und bleibst dennoch immer du. Du kannst zum Mond, oder auf einen fernen Stern fliegen und dennoch bleibst du du. Ganz gleich, an welchem Ort du dazu bereit bist, deine Augen zu schließen und den Blick nach innen zu richten, die innere Realität öffnet sich dir überall.

Also brauchen wir uns nicht auszurechnen, wie viele Leben wir außer Haus gewesen sind. Wir können in einem Moment, in einem einzigen Mo- ment der Erleuchtung, zurückkehren.

Vielleicht habt ihr schon ein paar der Zen-Geschichten gelesen. In allen, diesen Geschichten ist von einer sehr absurden Sache die Rede: vom Sato- ri, der plötzlichen Erleuchtung. Es geschieht ganz unvermittelt, man weiß nicht wie — der Meister versetzt dem Schüler einen Stockhieb auf den Kopf und dann heißt es in der Geschichte einfach: »... Und daraufhin wur- de er erleuchtet.«

Es scheint absurd — ein Sünder, ein Mensch, der noch vor einer Se- kunde unerleuchtet und stumpfsinnig dagestanden hat und vieles im Le- ben falsch gemacht hat, wird in einem einzigen Augenblick erleuchtet? Ja- wohl, genauso ist es!

Man braucht keine Zeit dazu. Man braucht nur Zeit, um nach außen zu gehen. Um nach innen zu gehen, braucht man keine Zeit.

In der Innenwelt spielt Zeit keine Rolle. Das gleiche gilt für den Raum; um nach außen zu gehen, braucht man Raum. Um nach innen zu gehen nicht. Der Raum spielt keine Rolle.

Ja, genauso ist es! Manchmal genügt schon ein Hieb des Meisters, ein kurzer Blick des Meisters und man wird erleuchtet. Und nicht nur das — es kann auch ohne Meister geschehen.

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Von Lao Tse wird berichtet, daß er unter einem Baum saß, ohne auch nur das geringste zu tun und erleuchtet wurde. Buddha hat wenigstens me- ditiert, aber Lao Tse hat noch nicht einmal soviel getan. Er war noch nicht einmal in Meditation. Er saß nur einfach da.

Ein welkes Blatt fiel vom Baum, langsam und schwerelos, wie eine Fe- der sank es zu Boden und Lao Tse schaute zu... Und wurde auf der Stelle erleuchtet.

Er hatte keinen Meister und befand sich noch nicht einmal in Medita- tion, wie kann das zugehen? Nur, indem er ein fallendes Blatt betrachtete?

In jenem Augenblick muß er so unglaublich wach geworden sein, so überwältigend bewußt, daß der Verstand zum Stillstand kam und kein Ge- danke sein Bewußtsein mehr trübte. Er saß nur da und schaute zu, wie das Blatt zu Boden sank, zur Ruhe kam, und daraufhin kam irgendetwas auch in ihm zur Ruhe. Er war nicht mehr der gleiche. Das Alte starb, das Neue wurde geboren.

Es ist eine Wiedergeburt.

Ich lehre euch das gleiche. Also seid nicht berechnend, kalkuliert nicht, das sind Fähigkeiten, die man auf der Reise nach innen nicht braucht.

Seid ruhig und gelassen, entspannt euch einfach immer mehr, kommt in Harmonie mit der Natur; setzt euch mit geschlossenen Augen hin, ohne irgendetwas zu tun, ohne auch nur zu meditieren — ohne das geringste zu tun. Wenn nichts geschieht, dann macht euch keine Sorgen. Wenn ihr ak- zeptieren könnt, daß nichts geschieht, wenn auch das in Ordnung ist, ge- schieht eines Tages etwas Umwälzendes, das euch vollkommen verwan- delt.

Eines Tages kommt man ohne jeden ersichtlichen Grund zur Ruhe. Oder irgendetwas völlig Belangloses erfüllt die auslösende Funktion. Du sitzt mit geschlossenen Augen da, ein Kind lacht laut und das Ge-

lächter wirkt wie das welke Blatt. Deine Frau hat in der Küche etwas fallen- gelassen und das Scheppern genügt, um etwas in deinem Inneren zu zer- brechen, dir zu einem Durchbruch zu verhelfen.

Es kann jeden Moment und in jeder Situation geschehen, denn alles was zutage tritt, ist ja nur dein urinneres Wesen, deine Natur, und die ist schon vorhanden. Sie muß nicht künstlich hergestellt werden. Du bist mit diesem Schatz zur Welt gekommen.

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Doch ihr hört nicht auf, in der Außenwelt herumzusuchen, und so bleibt ihr Bertler. Kommt herein und übernehmt euer Königreich!

Dort gibt es weder Körper noch Geist. Aber wo finde ich dann den Ort, der den Hunger meiner Seele stillt? Nichts, nichts wirst du finden, in der Leere deines Seins. Sei stark und begib dich in deinen eigenen Körper...

Begib dich nicht nach außen. Kabir ist ganz und gar für den Körper, wie alle großen Mystiker, denn

der menschliche Körper ist der wahre Tempel Gottes. Wenn ihr jemandem begegnet, der den Körper verurteilt, dann seid

euch von Anfang an darüber klar, daß er absolut nichts weiß. Ein Mensch, der gegen den Körper ist, hat keine Ahnung von Spiritualität, er beherrscht noch nicht einmal das ABC der Spiritualität. So jemand ist noch nicht ein- mal ein Anfänger.

Ein Mensch, der den Körper verurteilt, hat noch immer Angst vor dem Körper. Er ist ein Dualist, der sich einbildet, getrennt vom Körper zu existie- ren. Wenn jemand den Körper verurteilt, ist es ein Anzeichen dafür, daß die körperlichen Lüste und Begierden ihn noch immer beherrschen. Es be- deutet, daß der Körper ihn noch immer derartig in Versuchung bringt, daß er zitternd vor den Mächten des Körpers dasteht. Er ist gegen den Körper, weil er noch nicht eingesehen hat, was dieses wunderbare Phänomen, das wir den Körper nennen, eigentlich ist. Der Körper ist der Tempel Gottes. Gott offenbart sich darin, Gott verkörpert sich darin. Unser Körper ist Got- tes Körper.

Sei stark: und begib dich in deinen eigenen Körper.

Solange du nicht in deinen eigenen Körper hineingehst, spielst du Hasch-mich mit Schattenbildern und dabei kann niemals etwas heraus- kommen. Du kannst rennen und rasen soviel du willst, aber du wirst nie- mals ans Ziel gelangen, weil das Ziel in deinem eigenen Inneren liegt.

Der Sucher ist das Ziel, an dem man ankommen muß. Der Sucher ist das Gesuchte.

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»Sei stark...« Was meint Kabir wenn er sagt: »Sei stark«? Er meint, sei kein Schwächling, sei nicht feige, denn Menschen, die ge-

gen den Körper sind, sind Feiglinge, die Angst vor ihrem eigenen Körper haben. Ein Mensch, der vor einem anderen Menschen Angst bekommt, wird ein Feigling genannt, aber stellt euch erstmal einen Menschen vor, der Angst vor seinem eigenen Körper hat! Das ist der größte Feigling. Man kann keinen größeren Schwächling finden.

Es gibt sogenannte Heilige, die ihrem Körper keinen Augenblick Ruhe gönnen, aus Angst, daß der Körper dann noch mehr verlangt. Sie verwei- gern ihrem Körper jede gehaltvolle Nahrung und fasten aus Angst, daß der Körper zuviel Energie bekommt, wenn sie ihn anständig ernähren. Energie will sich vergnügen, Energie will lieben und tanzen; also gib dem Körper keine Nahrung, faste, hungere ihn aus. Ganz allmählich lassen sie ihren Körper absterben.

Ich habe gehört, daß Mulla Nasruddin für längere Zeit nach London verreisen mußte. Er überredete seinen Bruder, die geliebte Siamkatze während seiner Abwesenheit in Pflege zu nehmen. Nasruddin hing mit ganzem Herzen an dieser Katze, was man von sei- nem Bruder leider nicht behaupten konnte, deshalb rief Nasruddin bei seiner Rückkehr auch sofort vom Flughafen aus an, um sich nach dem Wohlergehen seines Schoßtierchens zu erkundigen.

Sein Bruder antwortete kurz: »Die Katze ist tot« und hängte ein. Tagelang war Nasruddin untröstlich. Dann rief er schließlich wie-

der an, und gab seinem Bruder zu verstehen: »Es war wirklich unnö- tig, mir auf diese grausame und sadistische Weise ins Gesicht zu sagen, daß meine arme, arme Katze von uns gegangen ist.«

»Was hätte ich denn sonst sagen sollen?«, gab der Bruder zurück. »Du hättest mir die schlechte Nachricht langsam und schonend

beibringen können«, beschwerte sich Nasruddin. »Beim ersten Anruf hättest du sagen können, daß die Katze gerade auf dem Dach spielt. Dann hättest du mich wieder anrufen können, um mir zu sagen, daß sie heruntergefallen ist. Am nächsten Morgen hättest du vielleicht sa- gen können, daß sie sich das Bein gebrochen hat und wenn ich dann gekommen wäre, um sie abzuholen, hättest du mir vorsichtig erklären können, daß sie während der Nacht verschieden ist. Naja, soviel Fein- gefühl kann man von dir nicht erwarten. So, jetzt sag mir, wie es Ma-

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ma geht..« Der Bruder dachte einen Moment nach und sagte dann: »Die spielt gerade auf dem Dach.«

Eure Moralapostel spielen andauernd auf dem Dach — um sich ganz allmählich abzutöten, um allmählich Selbstmord zu begehen.

Das sind Selbstmörder, die noch nicht einmal den Mut haben, sich kur- zerhand umzubringen. Sie tun es langsam, indem sie sich aushungern, ih- ren Körper quälen und allmählich Schritt für Schritt abtöten. Gewöhnliche Selbstmörder beweisen mehr Mut und töten sich kurzerhand, in einem ein- zigen Moment. Aber diese Leute klammern sich ans Leben und spielen gleichzeitig auf dem Dach herum.

Kabir ist nicht gegen den Körper, das ist ihm unmöglich, denn er weiß, daß der Körper Gottes Tempel ist und wenn man ihn aushungert, dann hungert man Gott aus. Wenn man seinem Körper keine Ruhe gönnt, dann gönnt man dem Gott, der sich dort verkörpert, keine Ruhe.

Habt Ehrfurcht, habt Respekt vor eurem Körper. Gott hat ihn als seine Wohnstatt auserwählt. Der Körper ist ein Wunder, ein unglaublich schönes und kompliziertes Wunderwerk. Nichts auf der Welt ist ähnlich komplex und kunstvoll, und ihr wißt überhaupt nichts von diesem Wunder. Ihr habt ihn nur im Spiegel betrachtet, aber nie von innen gesehen, wo er ein klei- nes Universum für sich ist. Die Mystiker haben den Körper von jeher als ein Universum in Miniaturausgabe bezeichnet.

Der Körper ist riesig, wenn man ihn von innen betrachtet; Millionen und Abermillionen von Zellen — jede Zelle ist mit ihrem eigenen Leben er- füllt und jede funktioniert auf so intelligente Art und Weise, daß es schier unmöglich, unglaublich, unfaßlich erscheint.

Du ißt etwas und der Körper verwandelt es zu Blut, zu Knochen und Mark. Du ißt etwas, und der Körper verwandelt es zu Bewußtsein, Gedan- ken. Jeden Augenblick geschieht ein Wunder. Und jede Zelle arbeitet so systematisch, mit einer solchen Genauigkeit, mit einer solchen inneren Dis- ziplin, daß es bei Millionen Zellen ein schier unfaßliches Wunder ist.

Ein einziger Körper besteht aus 70 Millionen Zellen, was 70 Millionen Seelen bedeutet, denn jede Zelle hat eine eigene Seele. Und wie sie funk- tionieren! Welch innerer Zusammenhalt, welcher Rhythmus, welche Har- monie! Und die gleiche Zellform wird zu deinen Augen, die gleiche Zell- form wird zu deiner Haut, die gleiche Zellform wird zu deiner Leber, dei-

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nem Herzen, deinem Knochenmark, deinem Gehirn und deinem Denken. De gleiche Zellform spezialisiert sich und verwandelt sich in verschiedene Zellen, aber grundsätzlich handelt es sich um die eine gleichartige Zellform. Und wie sie das machen! Wie lautlos und fein abgestimmt sie ihre Arbeit verrichten!

Es ist sehr gut möglich, daß Krebs nichts weiter ist, als eine verrückt ge- wordene Zelle, die vom Bauplan abgewichen ist, nicht länger auf intelligen- te Weise funktioniert und wie wild um sich schlägt. Es ist möglich, daß Krebs nichts weiter ist, als eine Zelle, die aus dem Zusammenhang gefallen ist. Ansonsten arbeiten Millionen und Abermillionen von Zellen auf so klu- ge und feinsinnige Art und Weise, daß eure menschliche Gesellschaft nichts dagegen ist. Eure Gesellschaft ist nunmehr fast in ihrer Gesamtheit verrückt geworden — als ob jeder einzelne eine Krebszelle wäre.

Gott manifestiert sich in deinem Körper. Du mußt nach innen gehen. Bis heute hast du diesen Tempel noch nicht kennengelernt.

»Sei stark...« Sei kein Schwächling, sei kein Feigling und versuche nicht, der Realität deines Körpers zu entfliehen, sondern dringe in die tief- sten Tiefen seiner Geheimnisse ein.

Sei stark und begib dich in deinen eigenen Körper.

Suche nicht nach Gott im Himmel; suche nach Gott in deinem eigenen Körper. Kabir ist absolut realistisch und geht sehr wissenschaftlich vor.

... Und begib dich in deinen eigenen Körper, denn damit stehst du auf festem Grund.

... Denn dort bist du verwurzelt. Dein Körper ist deine Erde. Du hast deine Wurzeln im Körper.

Dein Bewußtsein ist wie ein Baum, der aus dieser Erde wächst und deine Gedanken sind die Früchte. Deine Meditationen sind wie die Blüten dieses Baumes, aber im Körper bist du verwurzelt, der Körper trägt den Baum.

Der Körper unterstützt alles, was du tust. Wenn du liebst, unterstützt dich der Körper dabei, wenn du haßt, unterstützt dich dein Körper, wenn du jemanden töten willst, hilft er dir dabei, wenn du jemanden beschützen willst, hilft er dir dabei.

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Auf alle erdenkliche Weise, in Liebe, Mitgefühl, Haß und Wut, unter- stützt dich dein Körper. Im Körper bist du verwurzelt, vom Körper wirst du ernährt, selbst auf deiner Suche nach Selbsterkenntnis unterstützt dich dein Körper.

Töte den Körper nicht ab, sei kein Masochist, fang nicht an, deinen Körper zu quälen. Er ist dein Freund, nicht dein Feind. Hör auf seine Stim- me, entschlüssele seine geheime Sprache und während du langsam Seite für Seite im Buch deines Körpers umblätterst, wird dir allmählich das Ge- heimnis des ganzen Lebens enthüllt.

Im komprimierter Form offenbart es sich in deinem Körper; millionen- fach vergrößert, offenbart es sich im Universum. Aber verdichtet, auf klein- ste Form gebracht, lebt es in deinem Körper und dort mußt du es zuerst entschlüsseln, denn es gibt keine Möglichkeit, das Geheimnis des Lebens irgendwo sonst zu entschlüsseln.

Sei stark und begib dich in deinen eigenen Körper, denn damit stehst du auf festem Grund. Bedenk es wohl mein Herz: Geh nicht woanders hin.

Kabir spricht: Laß alle Träumereien fallen und halte dich unerschüttert an das, was du bist.

Hört diese wunderschönen, diese ungeheuer wichtigen Worte: »... mein Herz: Geh nicht woanders hin.« Man braucht nirgends hinzugehen. Alles ist euch schon gegeben wor-

den. Ihr seid Dummköpfe, wenn ihr irgendwo hingeht und um euer Eigen- tum bettelt. Gott hat euch von Anbeginn als Könige geschaffen, er setzt kei- ne Bettler in die Welt.

Wenn du die Rolle eines Bettlers spielst, ist das deine eigene Dummheit und deine eigene Schuld.

Kabir spricht: »Laß alle Träumereien fallen...« Diese Einbildung, daß du ein Bettler bist, entspringt ebenfalls nur dei-

ner Phantasie. Und die nächste Stufe, wenn du von deiner Bettelei, deinen Wünschen und Ambitionen genug hast und anfängst, die Heiligen Schrif- ten zu studieren und auf große Worte stößt: »Aham Brahmasmi«, »Ich bin Gott« und anfängst, dir einzubilden, daß du Gott bist, entspringt das wie- der nur deiner Phantasie.

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Anstatt zu phantasieren, laß alle Träumereien fallen und erlebe den Zu- stand der Traumlosigkeit. Das meint er, wenn er sagt: »Geh nicht woan- ders hin.« Phantasievorstellungen sind eine Art, sich woanders hinzubege- ben. Hört diese Worte: immer wenn ihr träumt, phantasiert, bewegt ihr euch fort von euch selbst.

Du gehst schlafen. Du schläfst hier in Poona ein und dann träumst du einen Traum, in dem du in New York, Timbuktu oder Peking bist. Alles Einbildung. Am Morgen findest du dich in Poona wieder. Du hattest Poo- na nie verlassen. Nur in deiner Einbildung warst du an allen möglichen Or- ten.

Genauso ist es! Du hast dein göttliches Wesen nie verlassen. Du bist nie von deinem göttlichen Ursprung, mit dem du verwurzelt bist, fortgegan- gen, aber in deiner Einbildung bist du manchmal zum Tier geworden und dann zum Baum und dann zu einem Menschen.

Manchmal wirst du wütend, und dann bist du wieder freundlich, und manchmal bist du ein feiner Mann und dann wieder ein Dieb.

Du hörst nicht auf, dir Dinge einzubilden. Manchmal hältst du dich für ein Kind und manchmal für einen Jugendlichen und dann für einen alten Mann. Manchmal für einen Mann und dann wieder für eine Frau, aber das sind alles Phantasievorstellungen.

Tief im Inneren bist du Gott und nichts anderes. Alles andere sind Rol- len, die du dir selbst ausgesucht hast. Du projizierst deine eigenen Vorstel- lungen und wirst dann zu dem, was du dir vorgestellt hast.

Geh nicht woandershin, mein Herz. Bedenk es wohl. Kabir spricht: »Laß alle Träumereien fallen...« Darum geht es bei der Meditation: die Phantasievorstellungen beiseite

zu lassen. Aber dann gibt es dumme Leute, die ihre Einbildungen selbst in die Meditation hineinbringen. Selbst in der Meditation fangen sie an zu phantasieren und bilden sich tausend und mehr Dinge ein. Der eine bildet sich ein, Krishna gesehen zu haben, der andere bildet sich ein, daß seine Kundalini am Aufsteigen ist, ein Dritter bildet sich ein, daß sich sein Sahas- rar öffnet und wieder ein anderer bildet sich noch etwas anderes ein. Ver- schiedene Leute haben verschiedene Vorstellungen, aber es sind alles nur Vorstellungen.

Wenn du das Gefühl hast, daß deine Kundalini aufsteigt, dann misch dich in keiner Weise in den Vorgang ein — laß sie aufsteigen. Behalten ei-

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nen kühlen Kopf, identifiziere dich nicht damit; sag einfach: »Na schön, das bilde ich mir bestimmt bloß ein.«

Du hast schon soviel über das Aufsteigen der Kundalini gehört, hast wahrscheinlich das Buch von Gopi Krishna gelesen — »Kundalini die Schlangenkraft« — und alle Yogis reden immer davon. Die Idee hängt in der Luft und muß dich angesteckt haben.

Dann sitzt du da und wartest, daß sie aufsteigt. Und nicht, daß du ein- fach nur wartest, du versuchst es auf unmerkliche Weise zu beeinflussen. Du bist bereit, den Vorgang nach besten Kräften zu unterstützen. Die klein- ste Irritation, eine Ameise, die deine Wirbelsäule entlangkriecht und die Kundalinienergie steigt auf — auf einmal bist du mit Energie geladen.

Du hast dir alles eingebildet, es ist alles deine eigene Fabrikation. Jetzt wird auch das wiederum zu einem neuen Ego-Trip.

Du hast in Büchern gelesen, daß sich das dritte Auge öffnet. Nun kannst du es gar nicht abwarten, und wenn du deine Augen schließt, suchst du bewußt oder unbewußt nach Anzeichen, daß sich das dritte Au- ge öffnet. Eines Tages siehst du dann ein Licht. Imagination ist eine unge- heure Kraft, die hervorzaubert, was auch immer du sehen willst.

Jetzt seht euch das an: die Jaina-Sekte lebt in Indien schon so lange wie die Hindus, der Jainismus ist eine der ältesten Religionen der Welt, aber Mahavir und die vierundzwanzig Teerthankaras der Jainas haben nie ein Wort über Kundalini verloren. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Kundalinikraft nie von den Jainas erwähnt und so ist es nicht verwun- derlich, daß die Kundalini nie in einem Jaina-Heiligen aufsteigt. Er hat schließlich noch nie davon gehört, also steigt sie auch nie in einem Jaina- Heiligen auf. Genausowenig wie in einem Buddhisten, denn die Buddhi- sten glauben auch nicht daran. Die Mohammedaner und Christen haben auch noch nie davon gehört und daher erleben sie das Aufsteigen der Kundalini nicht.

Bei den Buddhisten geschehen andere Dinge. Ihre Chakras offnen sich.

Und das ist das Erstaunliche: bei den Hindus öffnen sich sieben Cha- kras und bei den Buddhisten nur fünf. Zwei ganze Chakras fallen einfach unter den Tisch, denn in der buddhistischen Lehre ist von fünf Chakras die Rede und in der hinduistischen von sieben — und dann gibt es Tantra- Yogis, die von neun Chakras sprechen!

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Ihr werdet es nicht glauben, aber ein Mann kam einmal zu mir und sag- te: »Alle meine neun Chakras haben sich geöffnet!«

Ich sagte: »Nun mal langsam, im Ganzen gibt es dreizehn.« Er sagte: »Was? Davon habe ich noch nie gehört! Die Buddhisten sa-

gen, es gibt fünf, die Hindus sagen, es gibt sieben und die Tantriker spre- chen von neun Chakras. Jetzt gibt es dreizehn?« Nach drei Monaten kam er wieder und sagte: »Recht hattest du! Jetzt hat sich auch das dreizehnte geöffnet!«

Eine bloße Idee, die ich ihm eingegeben hatte — 'dreizehn' — und wie kann es sein, daß er sie nicht alle erlebt, wenn er vorher schon beim neun- ten angelangt war? Er hat sich einfach vier weitere eingebildet, das ist keine Schwierigkeit.

Laßt alle eure Phantasien beiseite, sonst bleibt ihr Gefangene eures Verstandes. Vergeßt nicht, wenn ihr irgendetwas seht: es ist Einbildung.

Wenn ihr irgendetwas fühlt, vergeßt nicht: es ist Einbildung. Wenn ihr irgendetwas erfahrt, vergeßt nicht, daß es Einbildung ist.

Nur wenn der, der alles erfährt, allein zurückbleibt, ohne irgendeine Er- fahrung zu machen, ist es keine Einbildung.

Wenn der Wissende allein zurückbleibt, ohne daß irgendetwas gewußt wird, dann ist es keine Einbildung.

Wenn das Bewußtsein leer von allen Inhalten ist, ist die Wahrheit of- fenbart. Und darauf besteht Kabir: »Laß alle Träumereien fallen.«

Gott ist keine Erfahrung. Gott ist kein Objekt. Gott ist der, der alles in eurem Inneren erfährt: der 'Erfahrende'.

Ihr könnt Gott nicht sehen. Gott ist der, der durch euch sieht. Ihr könnt Gott nicht erblicken, ihr könnt ihn nicht zu einem Objekt reduzieren. Ihr könnt ihn nicht vor euch hinstellen, um ihn zu betrachten, denn dazu müßte Gott getrennt von euch existieren. Nein, Gott kann nicht erfahren werden. Und alle die behaupten, Gott erfahren zu haben, bilden sich etwas ein und machen sich selbst etwas vor. Du kannst Gott nicht erfahren! Du kannst Gott sein, aber du kannst ihn nicht erfahren, da du selbst Gott bist. Wie kannst du ihn also als getrennt von dir erfahren? Gott existiert nicht ge- trennt von dir.

Also offenbart sich Gott, wenn alle Einbildungen fortgeschwemmt wer- den und nur das reine Erfahren bleibt, nur das Licht, das auf nichts fällt —

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ohne jeden Inhalt — du bist einfach. Reines Sein ist.

Zu welchem Ufer willst du gelangen, mein Herz? Es gibt keinen Weg und keinen, der dir vorangeht. Was heißt schon Kommen und Gehen, an jenem Ufer? Kein Wasser, kein Boot und kein Bootsmann. Weder Seil, das Boot zu verankern, noch Fährmann, es zu ziehen. Dort gibt es weder Erde noch Himmel, weder Zeit noch irgendein Ding, kein Ufer und keine Küste. Dort gibt es weder Körper noch Geist.

Aber wo finde ich dann den Ort, der den Hunger meiner Seele stillt? Nichts, nichts wirst du finden in der Leere deines Seins.

Sei stark und begib dich in deinen eigenen Körper, denn damit stehst du auf festem Grund. Bedenk es wohl, mein Herz: Geh nicht woandershin.

Kabir spricht: Laß alle Träumereien fallen und halte dich unerschüttert an das, was du bist.

Geh nicht in deiner Einbildung irgendwohin. Halte dich unerschüttert an das, was du bist und du wirst Gott erkennen. Indem du dich selbst er- kennst, erkennst du Gott. Gott offenbart sich niemals als ein Objekt des Wissens. Er ist dein Bewußtsein, dein ureigentliches Sein.

Durch die Gnade meines wahren Gurus, erkannte ich das Unbekannte. Von meinem Meister habe ich gelernt, zu gehen ohne Füße, zu sehen ohne Augen, zu hören ohne Ohren, zu trinken ohneMund, zu fliegen ohne Flügel.

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Mein Bewußtsein und meine Liebe sind in das Land gegangen, wo nicht Sonne, nicht Mond, nicht Tag, nicht Nacht miteinander wechseln,

». ..Durch die Gnade meines wahren Gurus...« Kabir stellt fest, daß man nicht durch eigene Anstrengung zu Gott gelangt. Es geschieht nur durch die Gnade des wahren Gurus, durch die Gnade des Meisters. Kabir hat ein unerschütterliches Vertrauen in die Gnade des Meisters. Laß uns versu- chen, das zu verstehen.

Zuerst das Wort 'Guru'. Guru bedeutet ein Mensch, der eine starke Anziehungskraft hat, in des-

sen Gegenwart man plötzlich fühlt, daß man von einem gewaltigen Mag- neten angezogen wird. Aber nun gibt es hier entscheidende Unterschiede: ein Mensch mit Charisma zieht dich ebenfalls an, aber er zieht dich zu sich hin. Das ist das Merkmal des Mannes mit Chartsma, eines großen Führers, eines bedeutenden Politikers. Adolf Hitler hatte dieses Charisma, das Mil- lionen magnetisch zu ihm hinzog.

Was ist also der Unterschied zwischen einem charismatischen Führer und einem Guru? Der Unterschied ist gewaltig. Der Unterschied besteht dar- in, daß man sich durch den Guru ins eigene Innere gezogen fühlt; nicht nach außen.

Wenn man von Menschen wie Kabir, Nanak und Buddha angezogen wird, bekommt man plötzlich das seltsame Gefühl, daß man gleichzeitig zu ihnen hin und ins eigene Innere gezogen wird. Ein äußerst seltsames, para- doxes Phänomen — je näher man dem Guru kommt, desto näher kommt man sich selbst. Je stärker man die Anziehungskraft des Gurus empfindet, desto unabhängiger wird man. Je bedingungsloser man sich dem Guru hingibt, desto stärker wird das Gefühl einer Freiheit, die man noch nie zu- vor gekannt hat.

Der Unterschied ist demnach sehr subtil. Denkt daran: wenn ihr euch zu einem Menschen hingezogen fühlt und

dadurch in irgendeine Abhängigkeit geratet, dann handelt es sich nicht um einen Guru! Er mag Chartsma haben, eine magnetische Ausstrahlung, es kann sein, daß ihr euch von seiner Intelligenz, seiner körperlichen Schön- heit oder seiner schieren Vitalität angezogen fühlt, aber damit entfernt ihr euch von euch selbst. Ihr habt euch den Kopf verdrehen lassen, ihr werdet diesem Manne hörig und verliert den Kontakt mit eurem eigenen Zentrum.

Vermeide solche Menschen, denn das sind die größten Unheilsstifter,

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die es gibt auf der Welt. Leute wie Adolf Hitler, Napoleon und Alexander der Große haben eine verheerende Wirkung gehabt, weil sich das Volk magnetisch zu ihnen hingezogen fühlte und zur Selbstaufgabe bereit war.

Denkt daran: wenn eure Hingabe an einen Mann euch die Freiheit schenkt, handelt es sich um einen Guru, einen Meister.

Wenn eure Hingabe euch zu Sklaven, zu mechanisch handelnden Ro- botern macht, wie es bei den Anhängern von Adolf Hitler der Fall war... Diese Leute hatten ihre Seele verloren; Hitler beutete sie seelisch ganz ein- fach aus. Sie verloren all ihr Bewußtsein, ihre Menschlichkeit.

Das gleiche geschieht auch auf spiritueller Ebene, weil diese charismati- schen Führer überall auftauchen. Also laßt folgendes Kriterium entschei- den: wenn ihr durch die Gegenwart eures Gurus, eures Meisters immer freier, immer unabhängiger werdet, wenn durch eure Hingabe das Para- dox sich erfüllt, daß ihr in eurer Hingabe nicht schwächer, sondern stärker werdet, dann seid ihr bei einem Guru.

Der Guru zieht dich nur zu sich hin, um dich auf dich selbst zurückzu- werfen. Er erfüllt die Funktion eines Mittelsmannes.

Auf dem Weg über den Guru, gelangst du zu deinem eigenen Selbst. Er hilft dir, den Weg über seine Person zu nehmen, weil du nicht auf direk- tem Wege nach Hause gehen kannst. Doch sein ganzes Streben ist, dich zu dir selbst zu führen.

Ein wahrer Guru zwingt sich dir niemals auf und er zwingt dir auch nie- mals seinen Lebensstil auf. Er gibt dir niemals irgendeine festgefügte Diszi- plin. Er bevormundet dich nicht und erlegt dir keine Zucht auf. Er versucht schließlich nicht, einen Soldaten aus dir zu machen. Nein, er hilft dir dabei, ganz und gar du selbst zu werden. Was auch immer das sein mag. Er führt dich zu einem immer größeren Verständnis deiner selbst. In seiner Nähe wird man allmählich immer gefestigter, verankert im eigenen Zentrum. Das Gefühl, daß er dich dir selbst zurückgegeben hat, wird allmählich immer stärker — er hat dich tatsächlich nur auf etwas aufmerksam gemacht, was du verloren glaubtest, was du vergessen hattest.

Das ist es, was ich meinen Sannyasins erkläre. Ich habe euch nichts an- deres zu geben — ich gebe euch nur euch selbst zurück.

Im Augenblick könnt ihr euch selbst nicht erkennen. Ihr habt so lange in Selbstvergessenheit gelebt. Ihr braucht einen Schock, der euch wachrüt-

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telt und den gebe ich euch. Aber ich gebe euch keine Disziplin. Und ich zwinge euch auch nicht

meinen Lebensstil auf. Jeder Mensch muß seinen eigenen Lebensstil herausfinden, weil jeder

so einzigartig ist, daß er nur auf seine eigene Art leben kann, wenn er wahrhaft leben will. Kein anderer kann dir vormachen, wie du leben sollst. Damit würdest du zweitklassig, ein Mensch aus zweiter Hand, und Gott liebt nur Leute aus erster Hand. Werde nie zur schlechten Kopie und wenn man dich irgendwo dazu zwingen will, dann meide diesen Ort wie die Pest, und lauf so schnell du kannst!

Durch die Gnade meines wahren Gurus, erkannte ich das Unbekannte. Von meinem Meister habe ich gelernt, zu gehen ohne Füße, zu sehen ohne Augen, zu hören ohne Ohren, zu trinken ohne Mund, zu fliegen ohne Hügel.

... denn in der inneren Welt gibt es keine Sinne. Dort gibt es weder Au- gen noch Ohren, weder Mund noch Hügel. Das ist das Wunder, das der Meister tut: er hilft dir, zu sehen ohne Augen. Und er macht dir diese Fä- higkeit einfach zum Geschenk, es ist ein Prasad, aus seiner Nächstenliebe heraus. Von dir aus brauchst du nichts zu tun, von Seiten des Meisters be- darf es keiner Anstrengung. Wenn der Jünger sich völlig hingegeben hat und der Meister ein wahrer Meister ist, passiert es ganz von selbst.

Sobald der Jünger sich hingegeben hat, und der Meister willens ist, fin- det die Kommunion statt, bei der ein Funke der Seele des Meisters auf den Jünger überspringt, in einem Austausch von Energien, einem Schock, ei- nem elektrischen Schock — und plötzlich wird man sich seiner eigenen Re- alität bewußt.

Mein Bewußtsein und meine Liebe sind in das Land gegangen, wo nicht Sonne, nicht Mond, nicht Tag, nicht Nacht miteinander wechseln.

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Und jetzt erklärt Kabir, daß er durch die Gnade seines Meisters an den Punkt gelangt ist, wo er weder Mann noch Frau ist — weder Sonne noch Mond — wo alle Dualität verschwindet, wo es keinen Tag und keine Nacht, keinen Sommer und keinen Winter mehr gibt. Gott und Teufel sind ver- schwunden :

»Ich bin dahin gegangen, wo nur das Eine ist, das über die Dualität hin- ausgeht, das Advaita, das Eine. Ich bin einsgeworden.«

Das ist die Bedeutung des Wortes Yoga: Einswerden. »Ich habe mich mit der Gesamtheit vereinigt.«

So habe ich die Süße des Nektars gekostet, ohne zu essen und meinen Durst ohne Wasser gelöscht. Wo Freude ist, steigt bald grenzenloses Entzücken herab...

Diese Worte sind von größter Wichtigkeit. Wenn du dich freust, steigt das Entzücken herab. Freude ist mensch-

lich, Entzücken ist göttlich. Wenn du dich freuen kannst, wirst du auch erle- ben, daß ein maßloses Entzücken über dich kommt.

Deshalb sage ich immer, daß ihr singen, tanzen, euch freuen und euer Dasein feiern sollt. Soviel liegt in eurer Hand. Das Entzücken habt ihr nicht in der Hand. Ihr könnt euch nur an kleinen Dingen freuen, an einer Blu- me, dem Gesang der Vögel, einem niedlichen Kind, einer schönen Frau — ihr könnt an kleinen Dingen Freude haben. Wenn ihr eßt, wenn ihr schlafen geht in einem weichen Bett, wenn morgens der Wind weht und abends die Sonne untergeht und nachts die Sterne funkeln.

Ihr könnt euch an den kleinen Dingen erfreuen — und wenn ihr dazu fähig seid, merkt ihr plötzlich, daß ein großes Entzücken über euch kommt. Das Entzücken ist ein Geschenk des Universums, und durch ein Leben in Freude wird man fähig, dieses Geschenk entgegenzunehmen.

Immer vergnügt und froh zu bleiben reicht aus, um ein religiöser Mensch zu werden. Wenn du unausgesetzt in Hochstimmung sein kannst, reicht das vollauf. Gott wird in dich einkehren. Indem du auf kleine Dinge mit Freude antwortest, machst du dich empfänglich, du öffnest dein Herz, du öffnest deine Türen.

Da gibt es einen Ausspruch von Jesus, der unvergleichlich schön ist. Jesus sagt:

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»Wer hat, dem wird gegeben werden. Wer nicht hat, dem wird selbst das Wenige, was er hat, genommen werden.«

Dieser Ausspruch scheint völlig absurd: »Wer hat, dem wird noch mehr gegeben werden...»? Das ist nicht de-

mokratisch, scheint sehr anti-kommunistisch, antisozialistisch zu sein. »Wer hat, dem wird gegeben werden?« Das ist doch ungerecht!

Und wer nicht hat, dem wird selbst das Wenige, was er hat, genom- men werden?

Aber dieses Sprichwort ist von ungeheurer Bedeutung, das ist einer der geheimsten Wahrheitsschlüssel.

Ja, ich sage es ebenfalls und alle Mystiker haben es auf ihr Weise ausge- drückt. Das meint Kabir, wenn er sagt: »Wo Freude ist, steigt bald grenzen- loses Entzücken herab.«

Wenn du ein bißchen Freude in dir hast, wird dir noch größere Freude gegeben. Wenn du ein bißchen Stille in dir hast, wird dir noch größere Stil- le zuteil. Wenn du hast, wird dir noch mehr gegeben werden. Wenn du nicht hast, wird dir selbst das, was du haben magst, genommen.

...Wer wollte dieses Entzücken beschreiben?

Dieses Entzücken ist so maßlos, daß man keinen Ausdruck dafür fin- det.

Freude kann einen Ausdruck finden, man kann tanzen, man kann sin- gen, man kann jemanden umarmen und küssen. Freude ist menschlich und ausdrückbar. Entzücken ist übermenschlich und unausdrückbar.

Kabir spricht: Des Meisters Größe ist jenseits aller Beschreibung und groß ist das Glück seines Jüngers,

Ja, man kann von Glück sagen, wenn man ein Jünger eines Meisters werden kann.

Einen lebenden Meister zu finden ist das größte Glück, das einem Menschen auf Erden widerfahren kann. Es ist ein seltenes Glück, einen Meister zu finden — und sich ihm dann auch völlig anzuvertrauen, ist noch seltener. Doch wenn es tatsächlich geschieht, dann ist das größte Wunder geschehen. Mehr ist im Leben nicht möglich. Laßt mich erklären, was ein Meister genau ist.

Gott liegt in weiter Ferne, ist nur ein Wort, dessen Bedeutung wir nie

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erfahren haben. Der Meister oder Guru arbeitet als Vermittlungsstelle. Gott ist übermenschlich, weit entfernt und schwer vorstellbar, aber der Guru ist ein menschliches Wesen und dennoch göttlich. Der Guru ist wie wir und dennoch ganz anders. Er ist die Brücke zwischen Mensch und Gott, er be- findet sich genau in der Mitte zwischen beiden Welten. Im Guru findet die Existenz ihr Gleichgewicht.

Der Jünger ist ein Mensch; Gott ist kein Mensch; der Guru ist beides. Einerseits gehört er der Menschheit an, andererseits gehört er Gott an. Die eine Hand hat er der Menschheit entgegengestreckt, die andere ruht in Gott, so bildet er die Brücke. Deshalb wird der Guru »Gottmensch« oder »Gottesmann« genannt. Deshalb verkündete Jesus immer wieder und wie"- der: »Ich bin Gottes Sohn und auch der Menschensohn.« Jesus ist ein Gu- ru, ein Meister.

Den Christen fällt es sehr schwer, eine Erklärung dafür zu finden, wa- rum er immer wieder betont: »Ich bin der Menschensohn«. Logischer wäre gewesen, wenn er dabei geblieben wäre zu sagen: »Ich bin der Sohn Got- tes.« Aber warum sagt er: »Ich bin der Menschensohn«?

Ist er der Sohn Gottes, so ist er nicht länger ein Teil der Menschheit, und uns damit so fern wie Gott selbst. Und warum sollte er dann überhaupt auf die Welt gekommen sein? Das wäre sinnlos gewesen. Er mußte ein Menschensohn werden, nur dadurch konnte er die Beziehung zu uns her- stellen. Damit wird er zum Angehörigen, zum Bruder, zum Teil unserer Fa- milie.

Dartn liegt das Mysterium eines Meisters. Ein Guru ist eine noch myste- riösere Erscheinung als Gott. Gott ist eine unkomplizierte Sache, der Mensch ist eine unkomplizierte Sache, aber der Guru ist ein mysteriöses Wesen, weil sich jedes Paradox in ihm begegnet. Alle Gegensätze vereini- gen sich in seiner Person. Der Guru ist ein Treffpunkt zwischen Mensch und Gott, eine Kreuzung, ein Sangama, eine Mündung zweier Russe, zweier Dimensionen.

Der Sucher ist verkörperte Unwissenheit; Gott ist höchstes Wissen, Weisheit. Der Sucher ist die Dunkelheit; Gott ist das Licht und der Guru ist die Morgendämmerung.

In Indien wird von jeher zur Zeit der Morgen- und der Abenddämme- rung gebetet. Das Sanskrit-Wort für Dämmerung, Zwielicht, ist Sandhya, und ganz allmählich bekam das Wort die gleiche Bedeutung wie das Wort

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beten. Die Dämmerung ist die rechte Zeit zu beten. Die Dämmerung ist ein Symbol des Gurus.

In Indien werden die Worte des Gurus Sandhya Basha genannt: »Die Sprache der Dämmerung.«

Die Inder sprechen in Metaphern, die zwei Welten angehören: der menschlichen und der göttlichen.

Da gibt es eine Geschichte über Kabir: Als er erleuchtet wurde und Gott von Angesicht zu Angesicht gegenü-

bertrat, wurde er in große Verwirrung gestürzt, weil sein Guru an Gottes Seite stand und Kabir nicht wußte, vor wem er sich zuerst verneigen sollte, wem er den Vorrang geben sollte, Gott oder seinem Meister. Am Ende fiel er dem Meister vor die Füße und sprach:

»Ohne dich hätte ich Gott nie erkannt, darum hast du den Vorrang. Durch dich bin ich zur Erkenntnis gelangt, darum hast du den Vorrang. Gott kann warten, denn ohne dich, gäbe es keinen Gott für mich. Erst durch dich ist er Wirklichkeit für mich geworden. Ich küsse deine Füße.«

Kabir spricht: des Meisters Größe ist jenseits aller Beschreibung, und groß ist das Glück seines Jüngers.

Es gibt Millionen von Menschen aber nur wenige werden Wahrheitssu- cher.

Es gibt Tausende von Wahrheitssuchern, aber nur wenige werden Jün- ger.

Ein Jünger zu werden ist ein überaus seltenes Privileg, denn nur indem man ein Jünger wird, verknüpft man sein Schicksal mit einem lebenden Meister und damit muß man seine Bestimmung nicht mehr allein tragen; damit ist man schicksalhaft mit einem Meister verbunden.

Leute kommen zu mir und sagen: »Wir wollen nicht Sannyas nehmen. Kannst du uns nicht trotzdem helfen?« Ich antworte: »Ich will euch gern helfen, aber ihr werdet meine Hilfe nicht annehmen können. Meine Hilfe wird euch nicht viel nützen, weil ihr nicht wirklich da seid, sie entgegenzu- nehmen.«

Indem man ein Sannyasin wird, wird man verantwortungsfähig, fähig zu antworten, sich mir gegenüber zu verantworten.

Indem du ein Sannyasin wirst, wirst du fähig, mich zu reflektieren, mich anzunehmen. Dein Herz öffnet sich, weil du mir vertraust, und dann

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wirst du verwundbar. Dann und nur dann — kann ich meine Energie über dich ausschütten und dich ins Unbekannte führen; in das Land, wo nicht Sonne, nicht Mond, nicht Tag, nicht Nacht miteinander wechseln; in das Land, wo es keine Zeit und kein Raum gibt, wo du fliegst ohne Flügel, siehst ohne Augen, wo der Nektar fließt und du ohne Mund davon trinkst.

Das wird erst möglich, wenn du den entscheidenden Sprung getan hast und ein Jünger geworden bist.

Ja, selig ist, wer Mut genug hat, ein Jünger zu werden.

Aber dazu braucht man Mut, Mumm in den Knochen. Es gehört eine ganz außerordentliche Willenskraft dazu, sich hinzugeben, sich selbst auf- zugeben. Denkt keinen Moment lang, daß es die Schwächlinge sind, die sich hingeben, das ist niemals der Fall, niemals! Schwache Leute können sich nicht hingeben. Feiglinge können sich nicht hingeben. Nur die ganz, ganz starken Leute bringen es fertig, weil Hingabe erst dann möglich ist, wenn man völlig in sich gefestigt und zentriert ist. Erst dann weiß man, daß man sich hingeben kann, ohne sich dabei zu verlieren. Dann weiß man, daß man sich selbst aufgibt, um in dieser Selbstaufgabe frei zu werden.

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Die erste Frage:

Im »Current« vom 18. Dezember erschien ein Interview mit Dr. Abraham T. Kavoor, einem achtzigjährigen Rationalisten und Atheisten aus Ceylon, in dem er dich erwähnt und kritisiert. Was hast du dazu zu sagen?

r. Abraham T. Kavoor scheint ein netter alter Mann zu sein, aber et- was altersschwach. Altersschwach nenne ich ihn, weil ein Mensch

nicht gleichzeitig ein Rationalist und ein Atheist sein kann. Das ist unmög- lich. Entweder ist man ein Rationalist oder ein Atheist. Ein Rationalist glaubt an nichts. Ein Rationalist kann keinen Glauben haben, weder an Gott, noch an keinen Gott. Ein Rationalist läßt jede Glaubensfrage erst ein- mal unentschieden. Er kann nur die agnostische Haltung einnehmen und nur soviel sagen: »Ich weiß es nicht. »In dem Moment, wo du sagst: »Ich weiß«, bist du kein Rationalist mehr. In dem Moment, wo du sagst: »Ich weiß, daß es keinen Gott gibt«, verhältst du dich genauso irrational wie die Gläubigen, die behaupten, daß es Gott gibt. Du bist vom Weg abgekom- men.

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Wie kannst du behaupten, daß Gott nicht existiert? Die Gesamtheit der Existenz ist bislang noch nicht ausgelotet worden,

da gibt es Schichten um Schichten von Tiefen und vieles ist noch gänzlich unerforscht. Wir wissen ein bißchen, aber weit mehr ist uns noch unbe- kannt und bleibt unerkennbar. Wie kannst du dogmatisch behaupten, daß es keinen Gott gibt?

Ein Rationalist widersteht jeder Versuchung, dogmatisch zu werden. So ein Mensch sagt: »Ich weiß es nicht«. Sokrates war ein Rationalist, Buddha war ein Rationalist, Nagarjuna war ein Rationalist, aber sie waren keine Atheisten. Atheismus bedeutet, daß man gegen den Theismus ist; man hat sich für einen Glauben entschieden. Nicht an Gott zu glauben, ist ebenso ein Glaube, wie an Gott zu glauben. Man bleibt ein Gläubiger.

Es ist nicht leicht, es ist äußerst anstrengend, ein Rationalist zu sein und in dieser Haltung zu verharren, weil der Mensch immer dazu neigt, sich an irgendeinen Glauben zu klammern.

Dieser T. Kavoor ist achtzig Jahre alt und hat seit achtzig Jahren nichts anderes getan, als herumzureisen, um den Leuten zu erzählen, daß es kei- nen Gott gibt. Das muß einem doch absurd vorkommen! Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es keinen! Was soll der Aufruhr? Und warum sein kost- bares Leben an etwas, das überhaupt nicht existiert, verschwenden? Es ist absurd, es ist irrational, aber wenn man tiefer hinsieht, hängt er an diesem Un-Glauben. Dieser Unglaube ist zu einer Religion geworden. Jetzt kann er sich nicht einfach damit zur Ruhe setzen, er muß Streitgespräche führen, gegen Gott und gegen die Religion argumentieren, er muß versuchen, zu beweisen, daß es keinen Gott gibt. Aber wozu? Was soll das?

Dein kostbares Leben ist vertan — und er glaubt außerdem, daß er nur ein einziges Leben hat — nach dem Tode gibt es kein Leben mehr. Also ist es töricht, es ist einfach dumm, sein Leben im Dienst an etwas, das nicht existiert, zu verschwenden.

Nach seiner Ansicht gibt es keine Seele und kein weiteres Leben. Die- ses Leben ist das einzige, das wir haben, und diesem Unsinn hat er sein ganzes Leben gewidmet — wie kann ein solcher Mann ein Rationalist sein?

Ein Rationalist kann nur sagen, daß das Leben geheimnisvoll ist. Wir versuchen es zu ergründen. Wir haben ein wenig herausgefunden, aber vieles bleibt noch im Dunkeln, daher kann man jetzt noch zu keinem end-

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gültigen Schluß kommen. Wir müssen abwarten, bis wir wirklich alles her- ausgefunden haben, erst dann können wir eine Aussage machen.

Ein Rationalist muß ohne vorgefaßte Beschlüsse, ohne jede Philoso- phie, ohne Religion auskommen können, Aber T. Kavoor hat seinen At- heismus zur Religion gemacht. Kavoor ist kein Rationalist, denn Rationalis- mus und Atheismus können nicht Hand in Hand gehen. Darum sage ich, er muß an Altersschwäche leiden.

Zum zweiten möchte ich noch dazu sagen, daß er zwar altersschwach ist, aber gleichzeitig so unreif wie ein Teenager, denn Atheismus ist eine Phase des Heranwachsens. Jeder intelligente Mensch wird in einem gewis- sen Alter zum Atheisten.

Mit etwa vierzehn Jahren wird jeder Mensch ungläubig. Das ist eine na- türliche Stufe des Wachstumsprozesses, denn Nein zu sagen, ist ein psy- chologische Notwendigkeit im Wachstum eines jeden Kindes. Bis zum Al- ter von vierzehn Jahren wurde das Kind von der Mutter, dem Vater, der ganzen Familie behütet und jetzt will es sich freimachen, selbstständig wer- den. Es muß Nein sagen, weil es nur dadurch ein Gefühl seiner Eigenstän- digkeit erhält.

Das Kind fängt an, zu allem Nein zu sagen. Wenn der Vater das Rau- chen verbietet, wird geraucht, denn das ist die einzige Möglichkeit den Va- ter abzulehnen, das ist die einzige Möglichkeit, vollends erwachsen zu wer- den. Wenn die Mutter ihrem Sohn etwas verbietet, muß er es irgendwann tun, es ist ein Muß! Wenn er sich nicht auflehnt, entwickelt er nie sein eige- nes Rückgrat. Dann bleibt er schwach und willenlos. Dann ist er später nicht in der Lage, sich abzugrenzen, sich selbst zu behaupten. Er muß Nein sagen.

Und während du Nein zu deinem eigenen Vater sagst, sagst du natür- lich auch Nein zum Vater im Himmel. Das ist eine natürliche Folge. Das Kind muß sich gegen alles Herkömmliche auflehnen, um frei zu werden. Es muß mit Füßen treten, was seine Eltern und die Gesellschaft glauben. Das ist natürlich und gut.

Wenn du niemals ein Atheist gewesen bist, kannst du auch nie zum wahrhaft Gläubigen werden, denn wie kann ein Mensch, der nie Nein ge- sagt hat, Ja sagen? Ein solches Ja wäre saft- und kraftlos.

Dein Ja ist nur dann von Bedeutung, wenn du auch gründlich Nein ge-

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sagt hast. Aber es ist eine Phase, aus der die Menschen natürlicherweise heraus-

wachsen. Atheismus ist eine Phase, und darauf folgt der Theismus. Auch das ist nur eine Phase. Zuerst sagst du Nein, um ein Gefühl deiner selbst zu entwickeln; dadurch wirst du hart, ein selbstherrliches Ego, und irgend- wann schmerzt es dich so sehr, daß du Ja sagen mußt, um dich entspan- nen zu können.

Zuerst sagst du Nein, um ein Ego zu werden, das stark genug ist auf ei- genen Füßen zu stehen und dann fühlst du eines Tages, daß es zu stählern geworden ist und dir weh tut; du weißt, du mußt es fallenlassen, mußt Ja sagen. Dann wirst du zum Theisten.

Für mich fängt Religion allerdings erst dann an, wenn man über beides hinausgegangen ist, das Nein, wie das Ja. Damit gelangt man zur Ruhe, dann sagt man überhaupt nichts mehr. Ein wahrhaft religiöser Mensch ist kein Theist. Er hat seine innere Ruhe gefunden. Das Nein, sowohl als auch das Ja, sind irrelevant geworden.

Ich war früher auch ein Atheist — und zwar ein sehr dickköpfiger. Man hat mich deshalb sogar aus einem College hinausgeworfen, weil einer der Professoren erklärte, mich unmöglich unterrichten zu können. Mein Nein war so total, daß selbst bei den belanglosesten Dingen kein Ja aus mir her- auszubringen war.

Fragte mich ein Lehrer: »Siehst du diese Wände?«, sagte ich: »Ich kann sie wohl sehen, aber ich weiß nicht, ob sie vorhanden sind, weil ich im Traum auch immer Wände sehe, die es gar nicht gibt.«

Und wenn er dann sagte: »Siehst du denn nicht, daß ich hier vor dir stehe?« dann sagte ich: »Das schon, aber ob Sie vorhanden sind, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, denn ich habe Sie schon einmal im Traum gesehen und am nächsten Morgen mußte ich feststellen, daß Sie gar nicht da waren.«

Er kam völlig durcheinander und nach acht Monaten seiner Bemühun- gen hatte ich ihn derartig verwirrt, daß er den Dienst quittieren wollte. Er sagte: »Ich komme nicht mehr zur Arbeit. Dieser Junge wird mich noch zum Wahnsinn treiben. Entweder wird er von der Schule verwiesen oder ich muß meiner Pflichten enthoben werden.«

Natürlich hat man mich stattdessen von der Schule verwiesen. Aber ich hatte nichts Böses getan, nur ungeheuren Spaß daran, Nein zu sagen. Ich genoß das.

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Dann wuchs ich natürlich irgendwann darüber hinaus, weil es seinen Zweck erfüllt hatte. Darauf wurde ich zum Theisten und eines Tages fand ich, daß selbst das Ja seinen Zweck erfüllt hatte. Jetzt bin ich keines von beidem, weder ein Atheist, noch ein Theist. Ich bin einfach hier, ohne je- des Ja, ohne jedes Nein.

Ich bin vollkommen still. Ich trenne nichts, sage weder Nein, noch Ja, bin weder für, noch gegen etwas.

Deshalb meine ich, daß Dr. Kavoor an Altersschwäche leiden muß und trotzdem kindisch ist. Er ist im Alter von etwa vierzehn Jahren stecken- geblieben. Sein physisches Alter mag achtzig Jahre betragen, aber sein psy- chologisches Alter kann nicht über das eines Vierzehnjährigen hinausge- hen.

Und ich spreche aus eigener Erfahrung. Ich bin selbst durch diese Pha- sen der Entwicklung hindurchgegangen. Sein psychologisches Alter kann nicht größer, als das eines Vierzehnjährigen sein.

So ist es im Leben: viele Leute werden nie älter, als vierzehn Jahre; sie bleiben kindisch und unreif. Aus irgendwelchen Gründen setzt sich das, was man zur Zeit der Geschlechtsreife im Kopf hat, fest, und gräbt sich zu- tiefst in den Verstand ein. Mit vierzehn wird man geschlechtsreif und dann bleibt man normalerweise mit der Ideologie, die man zu diesem Zeitpunkt im Kopf hat, stecken und entwickelt sich nicht weiter.

Wenn man ein Hindu ist, bleibt man ein Hindu. Es ist ja in Ordnung, als Hindu geboren zu werden, aber auch als Hindu zu sterben, ist häßlich. Es ist in Ordnung, als Christ geboren zu werden, aber als Christ zu sterben? Das bedeutet, daß man sein Leben umsonst gelebt hat. Man muß allen Beschränkungen entwachsen, seien sie nun theistisch oder atheistisch.

Er ist auf keinen Fall ein Rationalist; sonst wäre er heute erwachsen. Ir- rationalität äußert sich auf zwei verschiedene Weisen: als Theismus und als Atheismus.

Ein Rationalist kann nur ein Agnostiker sein — wie Nagarjuna, Buddha und Sokrates, die keinerlei Aussagen über Gott machen und sich der Stim- me enthalten. Wenn du Buddha fragst, ob Gott existiert, schweigt er, er antwortet nicht, weil Ja zu sagen genauso falsch wäre, wie Nein zu sagen. Die Frage ist so allumfassend, daß sie weder durch ein Ja, noch durch ein Nein beantwortet werden kann. »Gott« ist gleichbedeutend mit der gesam- ten Existenz — wie kann man ihn in Abrede stellen oder sein Vorhanden-

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sein bestätigen?

Dr. Kavoor muß eine sehr kindische Gottesvorstellung haben. Von ei- nem großen Kaiser, einem Herrscher des Universums, der irgendwo im Himmel auf einem goldenen Thron sitzt und die Welt von dort aus regiert. Das ist dumm, diese ganze Vorstellung ist dämlich — und er hat gegen die- se dämliche Idee angekämpft!

Wenn die Vorstellung als solche schon dumm ist, dann ist es der Kampf dagegen umso mehr. Er schlägt sich mit Phantomen herum und durch sei- nen Kampf mit diesen Phantomen ist er im ganzen Land als großer Ratio- nalist bekannt geworden. Aber er ist kein Rationalist, ganz und gar nicht. Er hat sich jahrelang mit äußerst mittelmäßigen Geistern auseinandergesetzt, wie zum Beispiel mit Satya Sai Baba. Er ist ein entschiedener Gegner Satya Sai Babas. Nun ist Satya Sai Baba weder ein Mystiker, noch ein Philosoph, sondern einfach ein mittelmäßiger Zauberkünstler, den man ganz leicht in Grund und Boden stampfen kann. Kavoor richtet immer neue Herausfor- derungen an seine Adresse und bekommt nie eine Antwort. Es ist ein Kin- derspiel, Sai Baba anzugreifen. Kavoor hat sich noch nie mit einem wirkli- chen rationalistischen Geist auseinandergesetzt.

Ein Rationalist hat ein messerscharfes Denkvermögen. Einen rationali- stischen Geist zu haben, bedeutet: Ich glaube an nichts, solange ich es nicht erfahren habe. Ich kann auch keinen Glauben ablehnen, solange ich es nicht erfahren habe.

Hat Kavoor Gott erfahren? Hat er jemals meditiert? Hat er das innere Laboratorium je betreten? Hat er jemals eine Moment der vollkommenen Freiheit von allen Gedanken erlebt?

... Also sind alle seine Behauptungen einfach bedeutungslos. Hat er überhaupt schon einmal versucht, Gott zu erkennen? Er setzt

sich mit ganz gewöhnlichen Leuten auseinander, deren Glaube ein nebulö- ses Wischiwaschi ist. Mit denen kann man sich leicht streiten und ihnen be- weisen, daß ihre Argumente fadenscheinig sind, daß ihr Glaube unrichtig ist. Der Glaube eines gewöhnlichen Mannes, hat keine Fundierung; es ist ein Leichtes, jedes seiner Argumente zu entkräften.

Der normale Mann hat in der Tat keine Argumente, die er dir entge- genhalten kann.

Wenn man wirklich ein Rationalist ist, muß man das Experiment ma- chen. Er sollte Yoga machen, er sollte in Meditation gehen, er sollte Zu-

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stände tiefer Ekstase erleben und danach erklären, ob es einen Gott gibt oder nicht.

Es ist eines der kostbarsten Erfahrungsgüter der menschlichen Ge- schichte, daß jeder, der nach innen gegangen ist, zum Mystiker wurde. Kein Mensch hat die inneren Welten je betreten, ohne daraufhin zum My- stiker zu werden. Ohne Ausnahme hat jeder Mensch, der meditiert hat, das lebendige Herz, den innersten Kern des Daseins empfunden.

Gott ist keine Person. Gott ist nur ein Symbol für eine bestimmte Quali- tät des Daseins. Wenn es keinen Gott gäbe, würde das zum Beispiel ganz einfach bedeuten, daß das Leben sinnlos ist. Wenn es Gott nicht gibt, wür- de das einfach heißen, daß dieser Kosmos kein Kosmos, sondern ein Chaos ist. Es würde einfach bedeuten, daß das Leben blinder Zufall ist und daß es grundlos ist.

Gott ist ein Symbol. Zu sagen, daß Gott lebt, ist nur eine Art auszu- drücken, daß das Leben einen Sinn hat. Zu sagen, daß Gott lebt, ist eine Art zu sagen, daß das Leben Poesie und Rhythmus hat, einen inneren Zu- sammenhalt, Harmonie. Zu sagen, daß Gott lebt, bedeutet, daß das All sich um uns kümmert, daß es uns antwortet, wir stehen nicht unversorgt da, wir sind dem Universum nicht gleichgültig. Das Universum liebt uns, das Universum empfindet uns, das Universum ist unser Vater und unsere Mutter. Das sind symbolische Formeln, die alle das gleiche ausdrücken: daß Gott ist.

Das Wort »Gott« hat keine metaphysische Bedeutung, sondern eine poetische und gegen Poesie braucht man keine Einwände zu erheben. Poesie kann nur verstanden werden. Poesie ist kein Punkt, über den man sich streiten kann, keine logische Folgerung. Man kann poetische Aussa- gen nicht beweisen oder entkräften.

Zu sagen »Gott ist« bedeutet einfach, daß wir nicht in einer uns frem- den Welt leben, daß wir hier keine Außenseiter sind, sondern zu Hause; daß wir uns entspannen und ausruhen können, daß wir von Schönheit und Liebe umgeben sind und die Möglichkeit haben, uns weiterzuent- wickeln.

Was heißt es, wenn du sagst, daß es keinen Gott gibt? Du stellst fest, daß es keine Möglichkeit der geistigen Weiterentwicklung gibt, und damit

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bist du steckengeblieben — jetzt geht es nirgends mehr hin. Wenn Sie wirklich ein Rationalist sind, müssen Sie Selbstmord bege-

hen, Dr. Kavoor! Ein echter Rationalist kann nicht am Leben bleiben. Wa- rum denn? Wofür?

Ich möchte Dr. Kavoor fragen, warum er überhaupt lebt? Gott gibt es nicht, die Seele gibt es nicht, es gibt keinen tieferen Sinn,

keine Liebe, keine Poesie — warum schleppen Sie Ihren Körper weiterhin über die Erde? Wofür? Wozu diese unnötige Belastung des Erdbodens?

In dem Interview, auf das ich gleich zu sprechen komme, fragt der Re- porter: »Dr. Kavoor, da Sie öffentlich gegen Gottmenschen und gegen die Religion zu Felde ziehen, müßten Sie eigentlich in ständiger Lebensgefahr schweben. Hat man Sie schon einmal bedroht?« Und er antwortet: »Nein, ich bin noch nie bedroht worden, aber ich treffe alle möglichen Vorsichts- maßnahmen.«

Wozu? Wenn Sie sterben, stirbt nichts, da es von vornherein keine Seele gab. Wenn Sie sterben, haben Sie nichts verloren. Sie sind doch so- wieso nur ein Zufallsprodukt...

Wenn Dr. Kavoor stirbt, stirbt gar nichts... Mit Gott verschwinden auch alle Werte, alle Schönheit, alle Ekstase, al-

le Liebe, aller Sinn. Warum treffen Sie Vorsichtsmaßregeln? Wozu? Er sagt: »Ich glaube nicht an das Leben nach dem Tode.« Haben Sie den Tod je erfahren? Sind sie schon mal gestorben? Wie können Sie behaupten, daß es kein Leben nach dem Tode gibt,

wenn Sie noch nie gestorben sind? Das ist nicht sonderlich rationalistisch. Das ist kindisch. Das zeugt von Mittelmäßigkeit, noch nicht einmal von durchschnittlicher Intelligenz.

Wie können Sie behaupten, daß es kein Leben jenseits des Todes gibt, ohne durch den Vorgang des Sterbens gegangen zu sein?

Das einzige, was Sie sagen können ist, »Ich weiß es nicht.« Sie können nicht behaupten, zu wissen, daß es kein Leben nach dem Tode gibt.

Aber wenn es kein Leben nach dem Tode gibt, wie kann es dann ein Leben vor dem Tode geben? Wenn es kein Leben nach dem Tode gibt, dann gab es auch kein Leben vor der Geburt.

Kein Leben vor der Geburt, kein Leben nach dem Tode — nur in der Phase zwischen Geburt und Tod taucht urplötzlich das Leben aus dem

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blauen Dunst auf, aus dem Nichts? ... Nicht sehr rationalistisch gedacht. Wenn etwas existiert, muß eine

Kontinuität vorhanden sein. Der Fluß in Poona fließt durch Poona, aber nun kannst du nicht sa-

gen, daß er nicht vorhanden war, bevor er in Poona ankam und nicht mehr vorhanden sein wird, wenn er Poona verläßt.

Man würde dich für verrückt erklären. Wenn der Fluß bis Poona ge- kommen ist, muß er auch vor Poona existiert haben, woher soll er sonst kommen? Und wenn er aus Poona herausfließt, muß er ebenfalls irgend- wo hingehen.

Das Existentielle bleibt existentiell. Nichts Existentes kommt aus dem Nichts. Was auch immer existiert, kann nicht im Nichts verschwinden. Fragt die Physiker, denen es bis heute nicht gelungen ist, auch nur ein ein- ziges Atom zu zerstören. Du kannst nichts vernichten und genausowenig kannst du etwas erschaffen. Du kannst kein Sandkorn vernichten. Unsere Wissenschaft ist schon so weit vorgedrungen, so hochentwickelt und den- noch sind wir nicht in der Lage, ein einziges Sandkorn zu erschaffen oder zu zerstören. Wir können es zu Staub zermahlen, wir können seine Form verändern, aber es bleibt in anderer Form erhalten.

Nur die Form verändert sich, das Leben geht weiter.

Er sagt: »Ich glaube, daß es kein Leben nach dem Tode gibt« — und wer ist es, der all diesen Unsinn von sich gibt?

Wer spricht? Materie kann nicht reden. Wer ist es, der Vorsichtsmaßre- geln trifft?

Das Leben muß ein Interesse daran haben, sich selbst zu schützen. Das Leben muß einen eingebauten Schutzmechanismus haben — und wozu? Ein Saatkorn wird von der harten Kruste, die es umgibt, geschützt, es schützt sich, damit es zu einem Baum heranwachsen kann. Sie, Dr. Ka- voor, schützen sich, um weiterwachsen zu können. Warum sollten Sie das Bedürfnis haben, sich zu schützen, wenn es kein Wachstum gibt? Warum dann nicht gleich ins Meer springen? In Ceylon ist das Meer gleich in der Nähe und das Wasser ist herrlich. Warum nicht ins Meer springen und Schluß machen? Wozu treffen Sie Vorsichtsmaßregeln und Schutzmaß- nahmen?

Selbst in einem Atheisten wie Kavoor, setzt das Leben seinen eigenen Willen durch. Ein ungeheures Verlangen zu leben — und wozu? Hinter

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diesem Verlangen muß ein Sinn stehen, sonst wäre es nicht vorhanden. Und der Sinn ist, daß das Leben als solches noch nicht das Ziel ist. Das Le- ben ist nur ein Übergang. Das Leben als solches ist nur die Überfahrt, aber nicht das Ziel. Das Leben ist nur ein Weg, um zu etwas Bestimmtem zu ge- langen.

Ein Rationalist — wenn er wirklich ein Rationalist ist — muß Selbst- mord begehen. Er hat nichts weiter auf dieser Erde zu bestellen. Aber Ka- voor ist kein Rationalist. Er ist ein Atheist, wohl wahr, und das ist die nie- drigste Form der Religion. Warum nenne ich Atheismus die niedrigste Form der Religion? Weil es die unproduktivste und unschöpferischste Art ist, einer Religion anzugehören.

Ist euch das aufgefallen? Die Gläubigen waren über die Jahrhunderte hinweg ungeheuer produktiv, kreativ. Denkt an die Tempel von Khajura- ho, Ajanta und Ellora; an Menschen wie Michelangelo, Mozart und Leo- nardo da Vinci, an die großen Kirchen und Kathedralen, die großen Tem- pel des Ostens, die Buddha-Statuen. Sämtliche Malerei und Bildhauerei, alle Musik, alle dramatischen Werke und alle Poesie entstammen der thei- stischen Haltung.

Die Atheisten haben absolut nichts zustande gebracht, darum nenne ich den Atheismus die niedrigste Form der Religion.

Sie haben nicht das Geringste erschaffen. Sie gehören zu den unfrucht- barsten, unschöpferischsten Leuten. Die Atheisten haben kein Buch ge- schrieben, das mit der Bhagavad Gita, der Bibel oder dem Koran ver- gleichbar wäre. Sie haben nie etwas wirklich Kreatives getan. Ihr ganzes Streben konzentrierte sich darauf, zu erklären, daß es keinen Gott gibt. Ist es ausreichend, einfach andauernd zu erklären, daß es keinen Gott gibt? Sie haben die Intelligenz der Menschen in keiner Weise angestachelt.

Von Epikur bis zu Dr. Kavoor ist ihre Geschichte die Geschichte der Impotenz. Alles Schöne ist dem Geist der religiösen Menschen, der Thei- sten entsprungen.

Es gibt dreihundert verschiedene Religionen auf der Welt, eine große Vielfalt an Möglichkeiten. Der Atheismus dagegen ist einfach monoton, da- von gibt es nur eine Sorte. Mann kann nicht wählen, weil es keine Wahl- möglichkeit gibt. Atheismus ist einfach bloß Atheismus. Und Dr. Kavoor hat noch kein einziges originelles Wort von sich gegeben. Achtzig Jahre ab- soluter Zeitverschwendung! Die Atheisten haben bis heute nur immer wie

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die Papageien wiederholt, was Epikur schon vor 3000 Jahren sagte.

Unter den Religionen gibt es die verschiedensten Richtungen. Mahavir sagt dies, Buddha sagt das und Jesus sagt wieder etwas anderes. Moham- med eröffnet uns eine neue Dimension, Moses eröffnet eine andere, Za- rathustra ruft euch auf, durch seine Augen zu sehen — eine ungeheure Vielfalt an Dimensionen, an Möglichkeiten, die Menschheit herauszufor- dern, ihr höchstes Potential zu aktivieren.

Dagegegen ist der Atheismus völlig unschöpferisch. Das kann nicht an- ders sein, weil aus einer negativen Haltung nichts Schöpferisches entstehen kann. Die negative Haltung ist dem Tode näher, als dem Leben; »Nein« ist der Tod, »Ja« ist das Leben. Sagt man »Ja«, öffnen sich Tür und Tor, sagt man »Nein«, verschließt sich alles. Die verschiedenen Religionen waren ausgesprochen produktiv und produzieren auch heute noch. Ihre Schaf- fenskraft ist bis heute nicht ausgebrannt, nicht erschöpft. Und der Atheis- mus? — ist nie lebendig gewesen, eine abgestorbene Philosophie, die stän- dig wiederholt wird.

Und die Schönheit und die Ironie der Sache ist die, daß der Theismus überleben kann, selbst wenn alle Atheisten vom Erdboden verschwinden, weil kein Glaube von den Atheisten abhängig ist. Nun seht euch das an: Für einen Gläubigen ergibt sich kein Problem aus dem Verschwinden sämt- licher Ungläubiger, aber wenn es keine Gläubigen mehr gäbe, würde es auch keinen Atheismus mehr geben können.

Atheismus kann nicht unabhängig existieren. Wenn die ganze Welt ihre religiösen Einstellungen fallen lassen würde und jeder sagen würde: »Ja, wir glauben nicht an Gott« — was würde aus dem Atheismus werden? Es ist eine verneinende Haltung, die von den Theisten abhängt. Der Theist sagt: »Gott ist« und daraufhin sagt der Atheist: »Gott ist nicht«. Er bezieht seine Energie vom Theisten. Wenn alle Gläubigen verschwinden, ver- schwindet auch der Atheismus, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Das Nein kann nicht ohne das Ja existieren, aber das Ja kann ohne das Nein existieren. Darum sage ich, daß »Ja« eine große Kraft hat. Es hat sein eigenes Leben; das »Nein« hat kein eigenes Leben.

Und nur dumme Leute verbeißen sich derartig in der verneinenden Haltung. Leute, die nicht schöpferisch tätig sein können. Es ist sehr leicht,

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Nein zu sagen, vergeßt das nicht, denn damit steht nichts auf dem Spiel. Ja zu sagen ist gefährlich, weil man sich damit verpflichtet. Wenn du Nein sagst, gehst du keinerlei Verpflichtungen ein. Nichts Neues wird erkundet, du läßt dich auf kein Abenteuer ein. Wenn du Ja sagst, gehst du auf Ent- deckungsreisen und begibst dich in Gefahren. Es ist hart, ein Ja-sager zu sein, denn damit macht man sich auf, das Unergründete zu ergründen. Der Nein-sager hält sich zurück und geht nirgends hin, er bleibt stecken, wird schal, fault und fängt an zu stinken.

Jetzt das Interview als solches. »The Current« fragte, wo er nach dem Tode hingeht und Kavoor ant-

wortete: »Nirgends — ich glaube nicht, daß ich eine Seele habe.« Das erinnert mich daran, daß Mulla Nasruddin einmal alle seine Freun-

de zu sich nach Hause einlud — er hatte sich in einem Moment des Über- schwangs am Kaffeehaustisch seiner enormen Großzügigkeit gerühmt — und daraufhin sagte einer seiner Freunde: »Nasruddin, warum lädst du uns nicht irgendwann mal ein, wenn du so großzügig bist?«

»Kommt sofort alle mit! Alle, die ihr hier seid!« rief Nasruddin. Dreißig, vierzig Leute folgten ihm, aber als er sich seinem Hause nä-

herte, fiel ihm seine Frau ein und er dachte bei sich: »Jetzt gibt es Ärger.« Er bat seine Freunde: »Wartet draußen, ihr wißt ja, wie es im Eheleben

zugeht. Laßt mich erst mal allein reingehen und ihr die Nachricht in kleinen Portionen beibringen. Vierzig Leute — und alle aufeinmal — da fällt sie vielleicht tot um. Wartet so lange draußen.« Und so standen sie draußen und warteten.

Er ging ins Haus und erklärte seiner Frau: »Draußen stehen vierzig Leute, geh bitte raus und sag ihnen, daß Mulla Nasruddin nicht zu Hause ist.«

Sie sagte: »Was redest du? Du bist doch mit den Leuten hierhergekom- men! Ich hab dich doch kommen sehen!«

Er sagte: »Das mußt du vergessen. Jetzt gibt es keinen anderen Aus- weg. Geh raus und sag einfach, daß ich nicht zu Hause bin.«

Also ging sie vor die Tür und sagte: »Was wollt ihr denn hier? Wenn ihr auf Mulla wartet, der ist nicht zu Hause.«

Da sagten sie: »Du machst Witze. Er ist mit uns hierhergekommen und gerade eben hineingegangen. Wir haben ein Auge auf der Tür gehabt und er ist nicht wieder herausgeommen. Er muß im Haus sein!«

Daraufhin ergab sich ein heftiger Streit, solange, bis der Mulla sich ver-

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gaß, zur Tür heraustrat und sagte: »Was soll das heißen? Er kann doch durch die Hintertür verschwunden sein!«

Dr. Kavoor sagt: »Ich glaube nicht an das Vorhandensein einer Seele.« Wer ist es, der erklärt, daß er nicht vorhanden ist? Selbst um zu erklä-

ren, daß »Ich nicht vorhanden bin,« muß letztlich jemand da sein. Das ist keine Frage des Glaubens oder Unglaubens. Um seinen Glauben oder Un-

glauben auszudrücken, muß man vorhanden sein. Wenn du meinst, daß es keine Seele gibt, dann geh hin und frag einen

Stein: »Gibt es eine Seele oder nicht?« und dann antwortet der Stein natür- lich nicht: »Ich glaube nicht an das Vorhandensein einer Seele.« Er sagt überhaupt nichts, weil niemand da ist. Aber du kannst dein eigenes Vor- handensein nicht leugnen. Das ist unmöglich. Du kannst nicht sagen: »Mich gibt es nicht.« Das ist ein Widerspruch in sich.

Kavoor sagt: »Nirgends — nach dem Tode werde ich nirgends sein.« Man kann nicht nirgends sein, das ist unmöglich. Irgendwo werden Sie

sein müssen, Dr. Kavoor! Sie sind schon irgendwo! Ihr Körper mag sich in der Materie auflösen, Ihr Geist mag sich in der Atmosphäre auflösen, aber alles, was in Ihnen ist, wird weiterhin vorhanden sein. Nichts geht verloren.

Dieses Konzept einer Seele ist wiederum nur ein Symbol, das einfach besagt, daß wir eine Einheit sind. Ein Körper, ein Geist und etwas, das über beides hinausgeht — was die Tatsache, daß wir unsere eigenen Ge- danken beobachten können, beweist. Denn wer ist dieser Beobachter? Wir können nicht absolut identisch mit unserem Verstand oder Geist sein. Wir können einen Gedanken dabei betrachten, wie er uns in den Sinn kommt und wieder verschwindet. Wer ist dieser Betrachter?

Wie es scheint, hat er noch nie meditiert. Es gibt eine simple Technik, die ihm sehr viel weiterhelfen könnte. Auch wenn er achtzig Jahre alt ist — es ist nie zu spät. Ein bißchen Übung im bloßen Dasitzen und unbeteiligten Beobachten, wird ihm bewußt machen, daß der Körper die äußere Hülle ist, die Gedanken sind die innere Hülle, und im tiefsten Zentrum befindet sich ein reines Bewußtsein, das alles beobachtet. Dieses Bewußtsein ist die Seele. Dieses Bewußtsein wird nach dem Tode irgendwo sein, denn es ist auch jetzt irgendwo. Es kann nicht verschwinden. Nichts kann jemals ver- schwinden. Die Formen wechseln, aber die Wirklichkeit bleibt bestehen. Doch sagt er: »Ich glaube nicht daran ...«

Das meine ich, wenn ich sage, daß er kein Rationalist ist. Ein Rationa-

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list benutzt keine Begriffe wie Glauben und Unglauben. Ein Rationlist be- nutzt die Terminologie der eigenen Erfahrung und kann nur sagen: »Ich habe es noch nicht erfahren. Wie kann ich daher sagen, ob es eine Seele gibt oder nicht? Außerdem bin ich noch nicht gestorben, wie kann ich also etwas darüber aussagen?«

Sokrates lag im Sterben und jemand fragte ihn: »Hast du Angst, Sokra- tes.«

Er antwortete: »Warum sollte ich Angst haben? Ich weiß ja nicht, was geschehen wird. Erstens kann es sein, daß die Atheisten recht haben ...« Hört gut zu! Er sagt: »Vielleicht haben die Atheisten recht und ich ver- schwinde einfach im Nichts. Dann ist niemand mehr da. Warum dann Angst haben? Um wen? Mir kann nichts Schreckliches zustoßen, weil ich gar nicht mehr da bin. Wenn die Atheisten recht haben, gibt es mich nicht mehr und wenn es mich nicht gibt, brauche ich jetzt keine Angst zu haben, irgendwelche Qualen erleiden zu müssen.

... Oder die Theisten haben recht und ich lebe weiter und warum jetzt Angst haben, wenn ich gar nicht sterben muß? Wir werden sehen, was passiert, bis jetzt bin ich noch nicht tot. Laßt mich erstmal sterben, dann weiß ich, ob ich weiterlebe oder nicht.«

Das ist purer Rationalismus. Ein Rationalist kann solche Behauptungen wie »Ich glaube nicht an das Vorhandensein einer Seele« nicht aufstellen.

Dann wurde er vom »Current« gefragt: »Hat Bhagwan Rajneesh eine Seele?«

Das hat mich sehr amüsiert. Wie könnt ihr euch von einem anderen Menschen Auskünfte über meine Seele einholen?

Und Kavoor hat noch nicht einmal den Mut aufgebracht, zu sagen: »Was weiß ich über Bhagwan Shree Rajneesh? Vielleicht hat er eine, viel- leicht auch nicht.« Seine Antwort ist der reinste Unsinn, er antwortete: »Ich weiß nicht viel über Rajneesh.« Als ob er durch vieles Wissen imstande wä- re, zu sagen, ob ich eine Seele habe oder nicht! Selbst wenn du hundert Jahre mit mir verbringst und genau über mich Bescheid weißt, weißt du noch nicht, wer ich bin. Viel »über« etwas zu wissen, nützt einem gar nichts, denn es gibt keinen Weg, in mich einzudringen. Du kannst nur mein Verhalten beobachten, aber mich kannst du nicht sehen. Du kannst mein Inneres, mein Innenleben nicht betreten und dieses Innenleben ist die See- le.

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Materie ist nur eine äußere Hülle, Materie hat kein Inneres. Hört genau zu: Materie hat kein Innenleben. Du kannst die Materie in

ihre Einzelteile zerlegen und findest die gleiche Materie im Inneren, die du auch außen gefunden hast. Materie hat kein Inneres, Materie besteht nur aus dem Äußeren. Aber ein Mensch hat ein Innenleben. Ich sage: »Ich lie- be dich« und dann kannst du mich in Einzelteile zerlegen, um herauszufin- den, wo die Liebe ist, ohne sie jemals zu finden.

Dr. Kavoor redet, sagt Dinge, stellt Behauptungen auf, aber wenn wir ihn auseinandernehmen, finden wir keine Gedanken in seinem Inneren, noch nicht einmal den Gedanken: »Ich glaube nicht an das Vorhandensein einer Seele.« Wenn man einen Menschen auseinandernimmt, verschwin- det das Innere. Solange der Mensch als eine organische Einheit vorhanden ist, ist auch das Innere vorhanden. Dieses »Innere« bezeichnen wir als See- le.

Woher wollen Sie mein Inneres kennen? Darüber kann nur ich Bescheid wissen. Er kennt noch nicht einmal sein

eigenes Inneres, selbst bis dahin ist er noch nie vorgedrungen! Kavoor ist ein extrovertierter Mensch, der den eigenen inneren Tempel nie betreten hat, der nie bis zu diesem Heiligtum im eigenen Inneren vorgedrungen ist. Er ist sich selbst noch nie begegnet.

Und dann sagt er: »Ich weiß nicht viel über Rajneesh« — deshalb kann er nicht sagen, ob Rajneesh eine Seele hat oder nicht. »Über« etwas Be- scheid wissen, nützt einem gar nichts. Solange man sich nicht selbst kennt, nützt einem das gar nichts. Ich kann behaupten, daß Dr. Kavoor eine See- le hat, weil ich meine eigene Seele kennengelernt habe, und in dieser Er- kenntnis habe ich die Seele aller Menschen erkannt. Allem, was er sagt zum Trotz, erkläre ich, daß er eine Seele hat, weil ich das Vorhandensein meiner eigenen Seele erfahren habe. Ich weiß auch nicht viel über ihn, ich habe bis jetzt nur ein paar Fotos von ihm gesehen, aber ich kann mit Si- cherheit sagen, daß er eine Seele hat, weil Feuer in seinen Augen leuchtet, weil sein Blick von Aufrichtigkeit zeugt. Kavoor ist ein aufrichtiger Mensch, geradliniger, als alle eure Satya Sai Babas. Soviel muß ich zugeben: er ist ein aufrichtiger Mensch und darin äußert sich seine Seele. Er ist ein ehrli- cher Mann, kein Betrüger. Er mag selbst betrogen sein, aber das ist etwas anderes. Er ist ein Opfer von Trugschlüssen, das steht auf einem anderen Blatt, doch hintergeht er keine anderen Menschen. Er hat eine Seele, eine

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sehr aufrichtige, religiöse Seele.

Aber das sage ich nicht, weil ich viel über ihn weiß. Ich sage es, weil ich mich selbst kenne, während er überhaupt nichts über mich sagen kann, da er sich selbst noch nicht kennt.

Es ist keine Frage der Kenntnis meiner Person. Wenn du mich fragst, ob irgendjemand in China, dessen Namen ich noch nie gehört habe — wenn du mich fragst, ob ein gewisser Ching Chang eine Seele hat, dann sage ich: »Ja, sofern er existiert, hat er eine Seele.« Ich habe noch nicht einmal seinen Namen gehört und weiß gar nicht, ob Ching Chang ein chi- nesischer Name sein kann — hört sich chinesisch an — aber wenn Ching Chang existiert, muß er eine Seele haben, das steht absolut fest. Und das steht nicht fest, weil ich irgendetwas über Ching Chang weiß; ich habe noch nicht einmal ein Foto von ihm gesehen, nie von ihm gehört, ich habe seinen Namen gerade erst erfunden. Trotzdem kann ich mit Sicherheit be- haupten, daß er eine Seele hat, wenn es ihn gibt, weil ich das weiß — weil ich mich selbst kenne.

In dieser Selbsterkenntnis habe ich alle menschlichen Wesen erkannt. In dieser Selbsterkenntnis habe ich die Gesamtheit des Lebens erkannt und ich sage nicht nur, daß ihr eine Seele habt und daß Dr. Kavoor eine Seele hat, sondern auch die Pflanzen, die Tiere, die Vögel.

Und ich sage euch: die ganze Existenz ist beseelt. Das ist damit ge- meint, wenn wir sagen: »Es gibt einen Gott«: das Dasein ist beseelt.

Das Dasein hat ein Inneres, es besteht nicht nur aus seiner Oberfläche. Es hat Tiefe, es hat einen Sinn. Es ist kein Chaos, sondern ein Kosmos. Es hat eine Richtung, eine Bestimmung. Es bewegt sich auf eine bestimmte Erfüllung zu. Es bewegt sich in Richtung Ekstase, Orgasmus.

Dann sagt er weiterhin — wonach man ihn überhaupt nicht gefragt hat, deshalb nenne ich ihn altersschwach: »Aber der Kult, den er verbreitet, ist ein Beweis für die geistige Verwirrung seiner Anhänger. Es ist genauso schlimm, wie Hare Krishna.«

Die Frage galt meiner Person, nicht meinen Anhängern. Ein Rationalist wäre bei der Frage geblieben. Es ist nicht nötig, auf meine Anhänger auszu- schweifen. Er weiß nicht viel über mich und ich denke, daß er noch weni- ger über meine »Anhänger«, meine Sannyasins, weiß. Vielleicht hat er ein paar Gerüchte gehört, aber das ist nicht die Art eines Rationalisten. Er sollte hierherkommen und sich meine »Anhänger« ansehen. Und sie von außen

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zu betrachten hilft auch nicht viel weiter — er sollte mit ihnen tanzen. Das wäre ein hübscher Anblick — der achtzigjährige Dr. Kavoor beim

Tanz während der Kundalini.

Er sagt: »Der Kult, den er verbreitet, ist ein Beweis für die geistige Ver- wirrung seiner Anhänger.«

Das zeigt vieles. Zum ersten, daß er glaubt, der Geist könne sich in Verwirrung befinden. Das bedeutet wiederum, daß er an eine gewisse Ordnung des Geistes glaubt, und mit einer Ordnung spazieren Seele und Gott natürlich wieder zur Hintertür herein.

Wenn Sie sagen, der Geist ist verwirrt, akzentuieren Sie gewisse Krite- rien — Sie sagen, daß der Geist auf eine bestimmte Weise richtig arrangiert sein kann, sonst kann man nicht von geistiger Verwirrung sprechen. Sie haben eine Vorstellung davon, wie der Geist sein sollte, und mit dem Kon- zept, wie der Geist »sein sollte«, wird eine Wertung ins Spiel gebracht.

Nun kann man so etwas einem Rationalisten allerdings nicht gestatten! Wie sollte der Geist denn sein: Harmonisch? Liebevoll? Mitfühlend? Intelli- gent? Wie muß der menschliche Geist beschaffen sein?

Und wenn es ein Muß gibt, ist das Dasein nicht das Produkt eines blin- den Zufalls. Dann haben Sie Wertvorstellungen. Und wenn Sie beim menschlichen Geist Wertmaßstäbe anlegen, warum nicht auch bei der Ge- samtheit?

Der arme Kerl ist überhaupt kein Rationalist. Er hat keine Ahnung vom rationalistischen Denken. Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Be- stenfalls von hier und dort ein paar Brosamen aufgelesen, aber die Schärfe der Intelligenz eines Rationalisten liegt jenseits seines Begriffsvermögens.

Ein Rationalist ist eher wie Sartre, der sagt, daß alles sinnlos ist. Ein Ra- tionalist ist eher wie Samuel Beckett — nämlich absurd. Samuel Becketts Dramen handeln von Situationen absoluter Absurdität, da für ihn das gan- ze Leben absurd ist und keinen Sinn ergibt. Nichts steht mit irgendetwas anderem in Beziehung, alles ist völlig verrückt. Jemand fragt dich nach A und du antwortest über B, und das ist genauso recht, weil man unmöglich wissen kann, was Recht und was Unrecht ist. Man hat nicht die geringste Möglichkeit zu beurteilen, was was ist. Es ist ein schieres Chaos.

Samuel Becketts berühmtestes Stück heißt: »Warten auf Godot.« Vielleicht habt ihr es gelesen oder davon gehört.

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Zwei Landstreicher sitzen unter einem Baum und warten auf Godot. Kein Mensch weiß, wer dieser Godot ist. Godot ist Ching Chang. Das Wort hört sich wie »Gott« an — Godot — aber das sieht auch nur so aus. Niemand weiß etwas Genaues. Auch die beiden Landstreicher nicht, aber sie warten auf ihn, sie warten Tag um Tag auf seine Ankunft.

Jeden Morgen sagt der eine zum anderen: »Was meinst du? Kommt er heute?« Und der andere sagt: »Das will ich hoffen. Er hätte schon längst hier sein müssen, wir haben lange genug gewartet.« Am Abend haben sie wieder genug davon und der eine sagt: »Jetzt reicht's mir aber — was zu- viel ist, ist zuviel! Worauf warten wir noch?« Und der andere sagt: »Ja, wo- rauf warten wir noch?«

Der eine sagt: »Jetzt hören wir auf damit! Jetzt gehen wir!« und der an- dere sagt: »Ja, jetzt gehen wir.«

Aber sie bleiben, und keinem von beiden fällt auf, daß sie beschlossen haben zu gehen, ohne es je in die Tat umzusetzen. Sie leben in einer absur- den Welt.

Jemand fragte Beckett: »Wer ist dieser Godot?« Er antwortete: »Wenn ich das wüßte, hätte ich es schließlich in dem Stück gesagt.«

Und so geht es bis zum Schluß weiter. Godot kommt nie. Das Stück fängt abrupt an und hört abrupt auf, die beiden Landstreicher bleiben sitzen und warten. Auf wen?

Alles Warten ist sinnlos, Dr. Kavoor! Wenn Sie wirklich ein Rationalist sind, können Sie auf nichts hoffen, denn mit einer Hoffnung wird letzten Endes Gott ins Spiel gebracht. Gott ist die Hoffnung, die Seele ist die Hoff- nung, eine Möglichkeit des Wachstums ist die Hoffnung.

Er sagt, meine Schüler seien geistig verwirrt. Das zeigt, daß er ein Krite- rium hat, an dem er mißt. Was für ein Kriterium!

Ist Dr. Kavoor das Kriterium? Leute seines Schlages sind geistig in Ord- nung? Demnach muß er das Maß aller Dinge sein. Dann war Mahavir gei- stig verwirrt, weil er nackt in der Gegend herumlief. Kavoor läuft jedenfalls nie nackt durch die Gegend. Dann befand sich Buddha in geistiger Verwir- rung, weil er sein Königreich, seine schöne Frau, sein Kind und alle Freu- den hinter sich ließ — das ist doch anormal, unvernünftig! Dann befand sich Jesus in geistiger Verwirrung, denn er behauptete, Gottes Sohn zu sein — und was ist das für ein Unsinn? Es git keinen Gott und so kann es auch keinen Sohn geben. Er muß unter Wahnvorstellungen gelitten haben.

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Ein berühmter Denker des Westens, Albert Schweitzer, schrieb ein Buch über Jesus, um ihn vor den Angriffen der Psychoanalytiker zu schüt- zen, denn Schweitzer befürchtete, daß die Psychoanalytiker Jesus früher oder später für verrückt erklären würden. Im Jahre 1914 schrieb er ein Buch, das Jesus in Schutz nehmen sollte. Er gab sich alle erdenkliche Mü- he, ohne am Ende zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Das Ergebnis seiner Bemühungen war folgendes: Wir haben nicht genügend Tatsachen in der Hand, um zu beweisen, daß Jesus tatsächlich geistesgestört war. Das ist das Ergebnis, zu dem ein Anhänger kommt! Nicht genügend Bewei- se, daß Jesus verrückt war ... sehr negativ. Er sagt, man kann nicht bewei- sen, daß er verrückt war, aber man kann auch nicht beweisen, daß er gei- stig gesund war. Das ist ja noch schlimmer! Wenn man einen Menschen für verrückt erklären kann, ist die Sache wenigstens klargestellt, aber so hängt er in der Luft zwischen Wahnsinn und geistiger Gesundheit. Und wer ist der Maßstab und wie legt man ihn fest?

Meine Jünger sind die geistig gesündesten Leute der Welt, da sie kei- nen Wahnsinn im Inneren aufstauen. Das ist das ganze Geheimnis der Ka- tharsis, der Entleerung durch Gefühlsausbrüche. Es muß ihm zu Ohren ge- kommen sein, daß meine Jünger laut schreien und herumtanzen und ver- rückt spielen — aber er sollte herkommen und es sich einmal selbst anse- hen.

Wahnsinn beginnt an dem Punkt, wo man seinen Wahnsinn nicht mehr unter Kontrolle hat. Haben Sie meine Schüler schon einmal bei der Meditation beobachtet? Sie schreien und brüllen und führen sich wie Irre auf, und dann sagt Chaitanya plötzlich »STOP!« und sofort hören sie mit allem auf.

Gehen Sie mal in ein Irrenhaus und sagen laut »STOP!«. Kein Mensch hört daraufhin auf, verrückt zu spielen. Daran erkennt man Wahnsinn. Bei uns hier handelt es sich um einen gewollten Wahnsinn, bei dem die Leute die Kontrolle in der Hand haben. Sie führen ihre Gefühlsausbrüche wis- sentlich herbei, es kommt nicht einfach plötzlich über sie. Sie gehen willent- lich in den Wahnsinn hinein und entladen die aufgestauten Energien.

Die Leute werden verrückt, weil sie sich nicht entladen können. Die Energie staut sich an, bis es zuviel wird und eines Tages explodiert. Dann kann Chaitanya »Stop! Stop!« rufen, soviel er will, man hört nicht mehr auf, weil man nicht mehr aufhören kann. Das liegt mittlerweile außerhalb

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der eigenen Macht. Wenn Kavoor durchdreht, hört er auf kein Stop mehr, während meine

Schüler sofort aufhören, sowie irgendjemand kommt und Stop! ruft. Das steht in ihrer Macht; es ist eine Katharsis, kein Wahnsinn.

Wie es scheint, hat er noch nie etwas über die neuesten Entwicklungen in der Psychotherapie gehört. Er weiß weder irgendetwas über Arthur Ja- novs Primärtherapie, noch etwas über Encountergruppen, Selbsterfah- rungsgruppen oder humanistische Psychologie. Er hat keine Ahnung, was Psychodrama ist, von all diesen Dingen hat er noch nie gehört. Er ist ein uralter, abgestorbener Mann, der nicht diesem Jahrhundert angehört. Wie es scheint hat er noch nichts anderes als Epikur und Karl Marx gelesen. Er hinkt hinter unserer Zeit her.

Dr. Kavoor, Sie sind ein toter Mann, Sie wissen überhaupt nicht, was in der Welt vor sich geht. Sie sind kein Zeitgenosse!

Die Leute, die sich in meiner Nähe befinden, werden einmal die gesün- desten Menschen der Welt sein, da sie keinen Unrat in ihrem Inneren an- sammeln. Sie kennen das Geheimnis, wie man alles, was sich im Inneren aufstaut, freisetzt und loswird; wie man ständig frisch und jung und gesund bleibt.

Geistige Gesundheit hat nichts mit Kontrolliertheit zu tun. Geistige Ge- sundheit ist der natürliche Zustand. Wenn man seine Wut unter Kontrolle hält, muß man eines Tages feststellen, daß sie so übermächtig geworden ist, daß sie einen übermannt. Die Wut muß herausgelassen werden.

Meine Devise ist, Herauslassen, Gefühlsausbrüche zulassen, weil das nach meiner Ansicht der einzige Weg ist, geistig gesund zu bleiben — was in dieser verrückt gewordenen Welt nicht leicht ist. In einer Welt, in der alle Leute ringsumher von oben bis unten mit Krankheiten vollgestopft sind — Wut, Sex, Eifersucht, Besitzgier, Haß. Von Kindheit an wurden sie zur Kontrolle erzogen und sind jetzt zu innerlichen Vulkanen geworden. Sie sit- zen auf einem Vulkan. Die »normalen« Leute sind nicht geistig gesund, sondern dem Wahnsinn nahe. Da sind die Tiere und die Pflanzen gesün- der. Deshalb lehre ich euch, ein natürliches Leben zu führen. Natürlich sein heißt, im Einklang mit Gott zu sein. Natürlich und spontan zu sein, bedeu- tet, religiös zu sein.

Er sagt: »Es ist genauso schlimm, wie Hare Krishna.« Nein, auch damit hat er unrecht. Es ist viel schlimmer als Hare Krish-

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na! Die Hare Krishna-Leute sind einfache Leute — man kann sie nahezu

als Einfaltspinsel bezeichnen — die keine Ahnung von den Gesetzen des Lebens haben. Prabhupad hat die unintelligentesten, die einfältigsten Leu- te der Welt um sich geschart. Törichte Leute. Nein, mein Herr, das hier ist viel schlimmer! Die Leute hier um mich herum, sind sehr intelligent. Das sind keine Einfaltspinsel, sondern hochintelligente Menschen.

Hare Krishna ist eine traditionelle Bewegung und wird keine Revolu- tion in die Welt setzen. Was ich hier mache, ist viel schlimmer, Dr. Kavoor! Es wird einen gewaltigen Umsturz in der Welt hervorrufen und eure alte Welt vollkommen zerstören. Ich erzeuge Atomexplosionen, die früher oder später überall auf der Erde explodieren und eure ganze Gesellschaft und eure ganze sogenannte Zivilisation zusammenbrechen lassen. Hier werden völlig neue Menschen geboren, die eure gesamte Vergangenheit zunichte machen. Ich verhelfe der Welt zu einer Neugeburt, zu einem neuen Be- wußtsein.

Die Hare Krishna-Leute sind völlig bedeutungslos, bestenfalls bieten sie ein bißchen amüsante, exzentrische Unterhaltung, aber sie haben keine Zukunft, sondern nur eine lange Vergangenheit. Meine Leute haben keine Vergangenheit, aber eine Zukunft.

Und die Zukunft ist immer etwas Gefährliches, denn wenn der Zukunft Raum gegeben wird, muß die Vergangenheit fallengelassen werden. Nur wenn man sich von der Vergangenheit lossagt, macht man sich der Zu- kunft zugänglich.

Ich möchte, daß Dr. Kavoor hierherkommt und eine Kostprobe der Energie meiner Leute nimmt. Es ist zwar schon reichlich spät, aber besser spät, als nie. Es wäre gut, wenn Sie vor Ihrem Tode einen Geschmack von etwas, das darüber hinausgeht, haben könnten. Früher oder später, Dr. Kavoor, werden Sie sterben. Es ist besser, sich darauf vorzubereiten. Es ist besser, gründlich auf ein Leben nach dem Tode vorbereitet zu sein, denn es liegt im Bereich des Möglichen!

Und wenn ich sage, es liegt im Bereich des Möglichen, dann ist es kei- ne Theorie. Ich bin sehr praktisch veranlagt. Ich bin ein Jude und verstehe mein Geschäft. Wenn Sie hierherkommen und mir erlauben, Sie ein wenig auseinanderzunehmen, ein wenig zu zerstören, kann ich Sie neu erschaf- fen. Das ist ein Versprechen.

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Die zweite Frage:

Du sagst, es kann nicht gesagt werden, und irgendwo steht geschrieben: was nicht gesagt werden kann, kann auch nicht gepfiffen werden...

Falsch, denn ich pfeife es jeden Tag. Es kann zwar nicht gesagt, aber es kann gepfiffen werden. Das weißt du auch — wenn du etwas nicht sagen kannst, dann findest du Mittel und Wege, es zu pfeifen. Du möchtest einer Frau sagen: »Ich liebe dich« und kannst es nicht über die Lippen bringen. Was machst du dann? Du umarmst sie — das ist eine Art zu pfeifen. Du hältst ihre Hand, schaust ihr in die Augen, hilflos in dem Wissen, daß du es nicht sagen kannst. Und doch teilst du es mit, du kommunizierst es. Das mache ich Tag für Tag.

Ja, es ist richtig, die Wahrheit kann nicht gesagt werden. Kein Mensch hat sie je gesagt und kein Mensch wird sie je sagen. Die Wahrheit ist von ih- rer ganzen Definition her unsagbar, unausdrückbar, aber sie kann gepfiffen werden. Buddha hat sie gepfiffen, Mahavir hat sie gepfiffen, Jesus, Zara- thustra, Mohammed ... Ich pfeife sie, jeden Tag.

Und ich muß sie immer wieder und wieder pfeifen, weil ihr nicht zu- hört. Und ich muß sie immer wieder und wieder pfeifen, weil ich jeden Tag aufs Neue feststellen muß, daß ich es wieder nicht genau getroffen habe. Es ist so schwer, so unmöglich. Ich versuche es, und dann sage ich mir: »Mal sehen, wie es morgen wird. Vielleicht können wir den Pfeifton noch ein bißchen verbessern, vielleicht gibt es noch eine andere Art, auf die es etwas unmißverständlicher gepfiffen werden kann.«

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Es kann nicht gesagt werden, das ist wahr, aber es kann gepfiffen wer- den. Ich bin der Beweis dafür. Jeden Tag aufs Neue.

Die dritte Frage ist von Swami Yoga Chinmaya:

Geliebter Bhagwan, oft bezeichnest du das Leben als ein reines Vergnü- gen. Trotzdem scheinst du die Dinge manchmal sehr, sehr ernst zu neh- men.

Auch das ist ein reines Vergnügen.

Die vierte Frage:

Ich liebe deine Art zu gehen. Woher hast du diese Gangart?

Danke. Ich bin volltrunken und kann nicht anders. Es ist keine Kunst,

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nur meine Volltrunkenheit. Wenn du dir auch so eine Gangart zulegen möchtest, mußt du genau-

so betrunken werden wie ich. Also versuch nicht, mich nachzumachen, denn das wäre zwar einfach, aber davon wird man nicht betrunken.

Man kann perfekter betrunken spielen, als jeder Betrunkene, aber da- von wird man nicht berauscht. Werde selbst betrunken!

Ich bin volltrunken mit göttlicher Energie. Es ist ein Wunder, daß ich noch hier bin. Wenn ich auf meinen zwei Beinen stehe, sage ich: »Soso, al- ter Junge, du bringst es also wieder?« Es ist ein Wunder, daß ich noch auf- recht dastehe, denn es fällt mir sehr, sehr schwer, hier auf der Erde zu blei- ben. Mir sind Flügel gewachsen und der offene Himmel wartet. Mein Schiff ist schon vor langer Zeit angekommen. Ich hätte dieses Ufer längst verlas- sen müssen, aber ich liebe euch verrückten Haufen so sehr, daß ich noch etwas bleibe. Ich sage: »Noch ein bißchen länger.« Ich schiebe es immer wieder hinaus und bitte die Mächte, die mich forttragen wollen: »Wartet noch ein Weilchen, ich kann noch ein paar mehr Leute verrückt machen.«

Und die letzte Frage:

Du sagst: »Gebt euch mir hin.« Beweist das nicht, daß du ein grenzenloser Egoist bist?

Absolut! Ich bin der größte Egoist, den du je gesehen hast. Mein Ego ist so riesig, daß ihr alle darin enthalten seid.

Es ist so grenzenlos, daß selbst die Bäume, die Tiere und die Steine darin enthalten sind. Es ist so grenzenlos, daß selbst die Sterne, der Mond

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und die Sonne darin enthalten sind. Es ist so allumfassend, daß Vergan- genheit, Gegenwart und Zukunft darin enthalten sind. Daher sage ich: »Gebt euch mir hin.«

In der Bhagavad Gita sagt Krishna zu Arjuna: »Sarva dharman parit- yajya mamekam sharanam vraj.« »Laß all deinen Glauben fallen und wirf dich mir zu Füßen.«

Das ist die gleiche Art von Egoismus, wie meiner. Buddha sagt: »Kommt zu mir, ich werde euch erlösen.« Das ist wieder die gleiche Art von Egoismus. Und Jesus sagt: »Ich bin auf die Welt gekommen, um allen Menschen die Erlösung zu bringen.« Welch purer Egoismus!

Ja, Sie haben recht, mein Herr. Ich bin ein grenzenloser Egoist. Aber dabei darf man nicht vergessen, daß mein Ego allumfassend ist, und daher ist es überhaupt kein Ego. Es ist so allumfassend, daß es leer ist. Es ist so grenzenlos, daß man es kein »Ich« nennen kann.

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NACO RE MERO MAN, MATTA HOY

Tanze mein Herz! Tanze noch heute in maßlosem Entzücken. Die Laute der Liebe erfüllen Tag und Nacht mit Musik und die ganze Weh hört zu. Verrückt vor Entzücken tanzen Leben und Tod im Rhythmus dieser Melodie. Die Berge, die Meere, die ganze Erde tanzt. Lachend und weinend tanzt die Menschenwelt dahin.

Wozu ein Mönchsgewand tragen und abseits in einsamem Stolz der Welt entsagen? Sieh: mein Herz tanzt schwerelos in tausenden von Künsten und der Schöpfer ist beglückt.

MAN MAST HUA TAB KYON BOLE

Was sind schon Worte, wenn Liebe mein Herz erfüllt? Ich habe den Diamanten in meinem Schatzkasten verborgen. Warum ihn wieder und wieder öffnen? Als ich noch nichts hatte, wollte sich die Waagschale nicht senken, jetzt ist sie so überrandvoll — wozu noch wägen und messen? Heimgekehrt an den kristallklaren See jenseits der Berge — was soll der Schwan noch nach Tümpeln und Wasserlöchern suchen? Dein Geliebter ist in dir — warum deine Augen noch nach außen öffnen?

Kabir spricht: »Höre mein Bruder auf dem Weg: Das Licht des Geliebten leuchtet in meinen Augen, denn er hat sich mit mir vereint.«

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kstase ist eine Sprache, die der Mensch vollkommen vergessen hat. Dazu ist er gezwungen worden, dazu ist er getrieben worden. Die Ge-

sellschaft ist gegen Ekstase — die gesamte Zivilisation ist gegen Ekstase — denn unsere Gesellschaft hat ein ungeheuer großes Interesse daran, die Menschen in ihrem Elend zu belassen. Die Gesellschaft baut auf dem Elend auf, sie ernährt sich davon, sie sichert ihr Überleben damit. Die Gesellschaft ist nicht für die Menschen da, sondern benutzt sie als Mittel für ihre eigenen Zwecke. Die Gesellschaft ist inzwischen wichtiger geworden, als die Menschheit selbst. Die Kultur, die Zivilisation, die Kirche haben in allem den Vorrang gewonnen. Gedacht waren sie, dem Menschen zu dienen, aber jetzt sind sie nicht mehr für den Menschen da, im Gegenteil, jetzt exi- stiert der Mensch für seine Institutionen.

Jedes Kind wird als ekstatisches Wesen geboren. Ekstase ist eine natür- liche Erscheinung, nicht etwas, das nur den großen Weisen widerfährt. Es ist etwas, das jeder mit auf die Welt bringt. Jeder ist damit ausgestattet. Ek- stase ist der innerste Kern des Lebens. Teil des Am-Leben-seins. Leben ist Ekstase. Jedes Kind bringt es mit sich auf die Welt, aber dann stürzt sich die Gesellschaft darauf und nimmt dem Kinde jede Möglichkeit, ekstatisch zu sein, macht das Kind unglücklich, zwängt es in vorgefertigte Verhaltensmu- ster hinein.

Die Gesellschaft ist neurotisch und kann keine ekstatischen Menschen

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dulden, einfach weil diese eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Ver- sucht, diesen Mechanismus zu verstehen, dann wird es einfacher. Mann kann einen ekstatischen Menschen nicht kontrollieren, das ist unmöglich. Man kann nur unglückliche, traurige Leute unter Kontrolle halten. Ein ek- statischer Mensch kann nur frei sein. Ekstase ist Freiheit. Man kann ihn nicht zum Sklaven herabwürdigen. Man kann ihn nicht unterdrücken; man kann ihn nicht dazu überreden, in einer Zwangsjacke herumzulaufen. Er will unter dem Sternenhimmel tanzen, sich von den Winden tragen lassen, mit Mond und Sonne Zwiesprache halten. Er braucht Weite, Unendlich- keit, das riesenhafte All. Er läßt sich nicht verführen, in einer dunklen Zelle zu leben. Man kann ihn nicht zur Knechtschaft zwingen. Er lebt sein eige- nes Leben und macht was er will. Das ist ein unduldbares Verhalten für die Gesellschaft. Wenn es viele solcher Leute gibt, bricht das Gesellschaftsgefü- ge zusammen, denn seine Struktur ist dem nicht gewachsen.

Diese ekstatischen Leute sind immer die Rebellen. Aber bitte: ich nen- ne einen ekstatischen Menschen keinen »Revolutionär«, sondern bezeich- ne ihn als Rebellen. Ein Revolutionär ist einer, der die Gesellschaft zwar verändern, aber dann durch eine andere ersetzen will. Ein Rebell ist nicht jemand, der diese Gesellschaft durch eine andere ersetzen möchte — denn alle Gesellschaften haben sich letzten Endes als gleich erwiesen. Die Kapita- listen, die Kommunisten, Faschisten und Sozialisten sind alle miteinander verwandt und verschwägert. Da besteht kein großer Unterschied. Die Ge- sellschaft ist und bleibt die Gesellschaft. Alle Kirchen haben sich als gleich erwiesen, sei es die hinduistische, die christliche oder die mohammedani- sche.

Sobald sich eine Gesellschaftsstruktur durchsetzt, wehrt sie sich mit al- len Mitteln dagegen, daß irgendein Mann des Volkes ekstatisch wird, denn Ekstase ist grundsätzlich gegen jede Struktur. Ekstase bedeutet Rebellion, aber nicht Revolution.

Ein Revolutionär ist ein Politiker; ein Rebell ein religiöser Mensch. Ein Revolutionär will wiederum eine Struktur durchsetzen, eine, die seinen Wünschen, seinen utopischen Vorstellungen entspricht, aber gleichwohl ei- ne Struktur. Er will an die Macht kommen, in der Lage sein, zu unter- drücken, anstatt unterdrückt zu werden; der Ausbeuter sein, anstatt der Ausgebeutete. Er möchte herrschen, anstatt beherrscht zu werden.

Ein Rebell will weder herrschen noch beherrscht werden. Ein Rebell ist

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gegen jede Herrschaft auf der Welt. Er ist ein Anarchist, ein Mensch, der der Natur vertraut, und nicht den von Menschen hergestellten Systemen; der darauf vertraut, daß alles wunderschön ist, wenn man die Natur nur ihren Weg gehen läßt. Und so ist es!

Dieses riesige Weltall funktioniert ohne jede Regierung. Die Tiere, die Vögel, die Bäume leben ohne jede Regierung. Wozu braucht der Mensch eine Regierung? Da muß etwas schiefgelaufen sein. Warum ist der Mensch so neurotisch, daß er nicht ohne Herrscher auskommen kann?

Jetzt stoßen wir auf den Teufelskreis: der Mensch kann sehr gut ohne Machthaber auskommen, aber man hat ihm nie die Gelegenheit dazu ge- geben.

Die Machthaber geben dem Volk keine Gelegenheit dazu, denn wer wird sie in ihren Positionen unterstützen, wenn das Volk einmal herausge- funden hat, daß es auch ohne sie auskommen kann? Momentan unter- stützt ihr eure eigenen Feinde. Ihr geht hin und wählt eure eigenen Feinde. Zwei eurer Feinde stellen sich zur Präsidentenwahl und dann wählt ihr ei- nen davon, aber beide sind genau gleich. Es ist, als würde man euch frei- stellen, in welches Gefängnis ihr gehen wollt. Glücklich und zufrieden wählt ihr dann aus: »Ich möchte ins Gefängnis A oder B gehen.« »Ich glau- be an das republikanische Gefängnis.« »Ich glaube an das demokratische Gefängnis.« Aber beides sind Gefängnisse und sobald ihr einem dieser Ge- fängnisse eure Unterstützung gebt, ist es vorbei mit eurer Freiheit, denn je- des Gefängnis verfolgt seine eigenen Interessen.

Daher wird den Kindern von frühster Kindheit an nicht erlaubt, auch nur den geringsten Geschmack der Freiheit zu bekommen, denn wenn ein Kind einmal weiß, was Freiheit ist, ist es zu keinen Kompromissen mehr bereit. Dann läßt es sich in keine dunkle Zelle mehr einsperren. Eher wür- de es sterben, als sich von irgendjemandem unterdrücken zu lassen. Es wird seine Ansprüche geltend machen. Und natürlich hat so ein Kind kein Interesse daran, Macht über andere Menschen auszuüben.

Dieses übermäßige Interesse, andere zu beherrschen, zeugt von neuro- tischen Tendenzen. Es zeigt einfach, daß du im Grunde machtlos bist und Angst hast, von anderen beherrscht zu werden, wenn es dir nicht gelingt, die Macht an dich zu reißen.

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Machiavelli sagt: Angriff ist die beste Verteidigung. Die beste Art dich zu schützen ist, zuerst anzugreifen.

Diese sogenannten Politiker in Ost und West und überall auf der Welt, sind im Grunde alle schwach und machtlos, mit Minderwertigkeitskomple- xen beladen, voller Angst, daß sie von irgendjemandem ausgebeutet wer- den könnten. Also warum nicht lieber gleich ausbeuten, bevor man selbst ausgebeutet wird? Der Ausbeuter und der Ausgebeutete sitzen im selben Boot — und beide treiben es mit vereinten Kräften voran.

Ein Kind, das einmal einen Geschmack der Freiheit gehabt hat, läßt sich nicht mehr zum Mitglied irgendeiner Gesellschaft, Kirche oder politi- schen Partei machen. Es bleibt ein Individuum, es bleibt frei, und verbreitet den Pulsschlag der Freiheit rings um sich her. Sein bloßes Dasein wird zu einer Tür zur Freiheit.

Aber Kindern wird keine Freiheit eingeräumt. Ein Kind braucht die Mutter nur zu fragen: »Mama, kann ich nach draußen gehen? Die Sonne scheint und die Luft ist so schön klar, ich möchte mal um den Block laufen.« Und dann sagt die Muter sofort — unweigerlich, zwanghaft — »Nein!« Das Kind hat keine unverschämten Forderungen gestellt, es wollte nur hinaus in die Morgensonne an die frische Luft gehen, das Sonnenlicht und die Gesellschaft der Bäume genießen — es hat überhaupt keine An- sprüche gestellt, aber aus einem tiefen inneren Zwang heraus sagt die Mut- ter unweigerlich Nein. Es ist nicht leicht, ein Ja aus einer Mutter oder einem Vater herauszubringen und selbst wenn sie Ja sagen, dann nur widerwillig. Selbst dann geben sie dem Kind Schuldgefühle, daß es sie dazu gezwun- gen hat, daß es im Grunde etwas Böses tut.

Sobald ein Kind glücklich bei irgendeiner Tätigkeit ist, kommt hundert- prozentig jemand herbeigeeilt, um es ihm zu verbieten: »Laß das sein!« All- mählich wird dem Kinde klar: »Was auch immer mich glücklich macht ist verkehrt.«

Und natürlich ist ein Kind nie glücklich, wenn es macht, was ihm gesagt wird, weil der spontane Antrieb dazu fehlt. Auf diese Weise lernt es, daß Unglücklichsein richtig und Glücklichsein verkehrt ist. Das wird zur tiefen Assoziation.

Wenn es die Standuhr auseinandernehmen will, um zu sehen, was drinnen ist, stürzt die ganze Familie herbei: »Halt, du machst die Uhr ka-

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putt, das ist unartig!« Es hat die Uhr nur aus Wissensbegierde auseinander- genommen, um zu sehen, was da tickt. Das ist doch völlig in Ordnung! Die Uhr ist nicht halb so wertvoll, wie seine Neugierde, seine Entdeckensfreu- de. Die Uhr ist ein wertloser Gegenstand, selbst wenn sie kaputtgeht, ist es kein Verlust. Aber wenn seine Entdeckungsfreude zerstört wird, ist der Schaden nicht wieder gutzumachen, denn dann macht es sich nie auf, die Wahrheit zu entdecken.

Oder die Nacht ist sternklar und das Kind will draußen bleiben, obwohl es Zeit ist, schlafen zu gehen. Das Kind ist überhaupt nicht müde, es ist hell- wach und sehr lebendig — und dann wundert es sich über die Zustände in der Familie, denn am Morgen, als es müde war, waren alle hinter ihm her: »Aufstehen!« Als das Kind es gerade richtig genossen hatte, gemütlich im Bett zu liegen, und sich nochmal umdrehen wollte, um ein bißchen weiter- zuschlafen und zu träumen, waren alle dagegen: »Wach auf! Du mußt auf- stehen.«

Jetzt ist es hellwach und will den Anblick des Sternenhimmels gemes- sen. Dieser Augenblick ist sehr poetisch, das Kind ist aufgewühlt, wie kann es in diesem Zustand ins Bett gehen? Es ist voller Energie und möchte la- chen und herumspringen, aber die Eltern zwingen es, ins Bett zu gehen — »Schon neun Uhr. Jetzt mußt du ins Bett!«

Jetzt ist es gerade glücklich, wach zu sein, aber man zwingt das Kind ins Bett zu gehen.

Wenn es gerade in sein Spiel vertieft ist, wird es gezwungen, sich an den Eßtisch zu setzen, obwohl es überhaupt keinen Hunger hat. Wenn es Hunger hat, sagt die Mutter: »Es ist noch nicht Essenszeit.«

Auf diese Weise wird dem Kinde ständig jede Möglichkeit, ekstatisch, glücklich und froh zu sein, genommen. Das Kind gewinnt den Eindruck, daß alles, wobei es sich spontan glücklich fühlt, falsch ist, und alles, wozu es überhaupt keine Lust hat, richtig.

In der Schule fängt draußen vor dem Fenster plötzlich ein Vogel zu sin- gen an, und dann richtet sich die Aufmerksamkeit des Kindes selbstver- ständlich voll und ganz auf den Vogel und nicht auf den Mathematiklehrer, der mit seiner dummen Kreide an der Wandtafel steht.

Aber der Lehrer ist stärker, hat mehr politische Macht, als der Vogel. Der Vogel hat keine Macht, die er ausüben kann, sondern nur seine Schönheit. Er zieht die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich, ohne ihm ein-

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hämmern zu müssen: »Paß auf: Konzentriere dich auf mich!« Nein, die Aufmerksamkeit des Kindes wandert ganz selbstverständlich und spontan zum Fenster hinaus, um sich mit dem Vogel zu beschäftigen. Sein Herz ist bei dem Vogel, aber es muß zur Wandtafel blicken und Interesse vortäu- schen, auch wenn es dort überhaupt nichts zu sehen gibt.

Glücklichsein ist falsch. Jedes Mal, wenn ein Glücksgefühl hoch- kommt, hat das Kind Angst, daß irgendetwas falsch daran ist.

Wenn das Kind mit seinem Körper, seinen Sexualorganen spielt, wird ihm sofort beigebracht, daß das falsch ist. Und diese Momente gehören zu den ekstatischsten Momenten im Leben eines Kindes. Es genießt seinen Körper und wird von Wonneschauern überrieselt. Aber alle Wonneschauer müssen unterbunden werden, aller Genuß muß verhindert werden. Es ist absolut neurotisch, aber die Gesellschaft ist nun einmal neurotisch.

Das gleiche wurde den Eltern von ihren eigenen Eltern angetan. Das gleiche machen sie mit ihren Kindern. Auf diese Weise verkrüppelt eine Generation die nächste. Auf diese Weise übertragen wir unsere Neurosen von einer Generation auf die andere. Die ganze Erde ist zu einem einzigen Irrenhaus geworden, in dem kein Mensch mehr zu wissen scheint, was Ek- stase ist. Wir haben den Kontakt damit verloren und eine Barriere nach der anderen errichtet.

Tag für Tag mache ich hier folgende Beobachtung: Wenn die Leute meditieren und neue Energie sie überflutet und sie langsam anfangen, sich glücklich zu fühlen, kommen sie ganz besorgt zu mir und sagen: »Mir pas- siert etwas sehr Merkwürdiges. Ich fühle mich glücklich und gleichzeitig schuldbewußt, ohne jeden Grund.«

Schuldbewußt? Das wundert sie selbst auch — warum sollte man des- halb Schuldgefühle haben? Sie wissen, daß sie nichts Böses getan haben. Woher kommt dieses schlechte Gewissen? Es entstammt dieser tiefgreifen- den Programmierung, daß Freude etwas Schlechtes ist. Es ist in Ordnung, traurig zu sein; aber Glücklichsein ist nicht erlaubt.

Ich lebte einmal in einer Stadt, in der der Poizei-Inspektor mein Freund war; wir kannten uns von unserer Studienzeit auf der Universität. Er be- suchte mich häufig und klagte immer: »Ich bin so unglücklich! Hilf mir, da herauszukommen.«

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Ich sagte dann: »Du redest vom Herauskommen, aber ich sehe keine Anzeichen, daß du wirklich herauskommen willst. Schon allein diese Ar- beit bei der Polizei! Warum hast du dir diesen Beruf ausgesucht? Du willst unglücklich sein und andere unglücklich machen.«

Eines Tages gab ich dreien meiner Schüler den Auftrag, durch die Stadt zu gehen und an verschiedenen Plätzen ekstatisch zu tanzen. Sie fragten mich: »Wozu denn das?«, und ich sagte: »Geht nur einfach einmal los.«

Natürlich wurden sie innerhalb einer Stunde von der Polizei festgenom- men. Ich rief den Polizei-Inspektor an und fragte: »Warum hast du meine Leute festgenommen?« Er antwortete: »Weil wir dachten, daß sie verrückt sind.« Ich fragte ihn: »Haben sie iregendetwas Böses getan? Haben sie irgend- jemandem Schaden zugefügt?«

Er sagte: »Nein, nichts dergleichen. Eigentlich haben sie nichts Böses getan.« »Warum habt ihr sie dann festgenommen?« »Sie haben auf der Straße herumgetanzt und gelacht.« »Aber warum mischt ihr euch ein, wenn sie keinem Menschen etwas zuleide getan haben? Warum greift ihr ein? Sie haben niemanden angegrif- fen, sind in kein Haus eingebrochen. Das sind unschuldige Leute, die ein- fach nur gelacht und getanzt haben.« Er antwortete: »Ja, das stimmt, aber das ist gefährlich!« »Wieso denn gefährlich? Ist Glücklichsein gefährlich? Ist Ekstatischsein gefährlich?«

Ihm ging ein Licht auf. Er ließ die drei sofort frei, begab sich zu mir und sagte: »Wahrscheinlich hast du recht. Ich selbst kann nicht glücklich sein, und so kann ich auch niemand anderem erlauben, glücklich zu sein.«

Das sind eure Politiker, das sind eure Polizeichefs, eure Richter, eure Staatsanwälte, eure Führer, eure sogenannten Heiligen, eure Priester, eure Päpste — das sind die Leute, denen euer Unglück sehr am Herzen liegt, weil sie davon im Grunde abhängig sind. Solange ihr unglücklich seid, geht es ihnen gut.

Nur ein Unglücklicher geht in den Tempel, um zu beten. Wozu soll ein glücklicher Mensch in den Tempel gehen? Er ist so glücklich, daß er Gott überall fühlen kann.

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Das ist das ganze Geheimnis des Glücks: Man ist so leidenschaftlich in das Dasein verliebt, daß man Gott überall sieht, ganz gleich, wohin man schaut. Die ganze Welt ist ein Tempel und wo immer man niederkniet, man kniet zu Gottes Füßen und nirgends sonst.

Die Ehrfurcht und das Erstaunen eines glücklichen Menschen ist nicht so impotent, daß er diese Gefühle nur in einem Hindu-Tempel oder einer Christlichen Kirche empfindet. Nur mißvergnügte Leute, die Gott nicht in einer blühenden Blume, in einem singenden Vogel, im psychedelischen Schillern eines Regenbogens sehen können, die Gott nicht in den dahinzie- henden Wolken erkennen, die Gott nicht in den Flüssen und im Meer oder in den Augen eines Kindes sehen können, gehen in die Kirche. Solche Leute gehen in die Moschee, in den Tempel, zu den Priestern und fragen: »Wo ist Gott? Bitte zeig uns Gott.«

Nur unglückliche Menschen werden Opfer der Religionen. Ja, Bertrand Russell hatte beinahe recht, als er sagte, daß die Religion

einfach vom Erdboden verschwindet, wenn die Menschheit in ihrer Ge- samtheit irgendwann einmal glücklich wird. Ich sage beinahe recht — zu 99 Prozent hat er recht. Ich kann nicht sagen, daß er 100 Prozent recht damit hat, weil ich noch eine andere Art von Religion kenne, von der Bertrand Russell nichts weiß. Ja, die herrschenden Religionen werden verschwin- den. Er hat recht, soweit es die hinduistische, die christliche, die moham- medanische, jainistische und buddhistische Religion betrifft. Sobald die Menschheit glücklich wird, sind diese Religionen zum Untergang verurteilt, denn wer hat dann noch Interesse an so etwas? Aber er hat nur zu 99 Pro- zent recht. Bei einem Prozent irrt er sich und dieses eine Prozent ist wichti- ger als die ganzen 99 Prozent zusammengenommen, denn wenn die Leute glücklich sind, entsteht eine andere Art von Religion: die wahre Religion.

Eine ekstatische Religion, ohne Namen, ohne Gebete, ohne Bibel, oh- ne Koran und Veden. Eine Religion, die keine Schriftsätze kennt, die un- definierbar ist. Eine Religion des Tanzes, der Liebe, der Ehrfurcht vor dem Leben. Eine Religion der Seligkeit. Die wahre Religion.

In Wirklichkeit sind die Religionen, die heutzutage existieren, keine wahren Religionen, sondern Betäubungsmittel, Schlafmittel. Marx hat ebenfalls zu 99 Prozent recht, wenn er die Religion als das Opium des Vol- kes bezeichnet. Das ist richtig. Mit Hilfe dieser Religionen ertragt ihr euer Unglück leichter. Sie lullen euch ein. Sie trösten euch und geben euch die

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Hoffnung, daß ihr wenigstens morgen glücklich sein werdet, wenn ihr heu- te auch unglücklich seid. Aber das Morgen kommt nie. Sie reden euch ein: »In diesem Leben mußt du leiden, aber im nächsten... Sei tugendhaft, fol- ge den Gesetzen der Gesellschaft, diene dem Vaterland und sei gehorsam. Im nächsten Leben wirst du dann dafür belohnt.« Und kein Mensch weiß, ob es wirklich ein nächstes Leben gibt. Kein Mensch kommt zurück und be- richtet davon.

Oder, falls sie nicht an Reinkarnation glauben, wird gesagt: »Drüben im Jenseits, im Himmel, erhältst du deine Belohnung.« Aber um dahin zu ge- langen, mußt du erstmal dem Priester und dem Politiker auf Erden gehor- chen.

Die Politiker und die Priester sind Verbündete. Das sind wieder die zwei Seiten derselben Münze: sie unterstützen sich gegenseitig, und verfolgen al- lesamt nur ein Interesse — euch in eurem Elend zu belassen, so daß die Priester ihre Kirchentagungen abhalten können, wo besprochen wird, wie sie euch am besten ausbeuten können; so daß die Politiker euch im Na- men des Vaterlands oder im Namen von sonstwas, in den Krieg schicken können. Namen spielen keine Rolle, die Hauptsache ist, daß sie euch in den Krieg schicken können. Und natürlich kann man nur unglückliche Leute verführen, in den Krieg zu ziehen. Nur zutiefst verstörte Leute sind bereit zu kämpfen, sind bereit zu töten und getötet zu werden. Ihr Un- glück ist so unerträglich, daß selbst der Tod verlockender erscheint, als das elende Leben, das sie führen.

Ich habe gehört, daß Adolf Hitler sich einmal mit einem britischen Di- plomaten im dreißigsten Stock eines Wolkenkratzers unterhielt. Um den Diplomaten zu beeindrucken, befahl Hitler einem deutschen Soldaten, aus dem Fenster zu springen. Der Deutsche sprang ohne zu zögern und zer- schellte auf der Straße. Der englische Diplomat war fassungslos — es schien unglaublich. Er war zutiefst schockiert. Ein Leben ohne jeden Grund zum Fenster hinausgeworfen? Um den Eindruck noch nachhaltiger zu ge- stalten, befahl Hitler einem zweiten Soldaten: »Spring!«, worauf dieser so- fort aus dem Fenster sprang. Und um seinen politischen Gegner endgültig zu überzeugen, gab er einem dritten den gleichen Befehl.

Mittlerweile hatte der Diplomat sich von dem Schock erholt und stürzte sich auf den Soldaten, um ihn zurückzuhalten: »Warum geben Sie völlig grundlos Ihr Leben hin?«

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»Von Leben kann keine Rede sein«, antwortete der Soldat, »In diesem Land unter diesem Irren? Wer will schon leben, solange Hitler an der Macht ist? Da sterbe ich lieber, dann bin ich erlöst.«

Unglücklichen Leuten erscheint selbst der Tod wie eine Erlösung. Aus- serdem sind Leute, die im Unglück leben, immer so wütend und haßer- füllt, daß sie andere Menschen totschlagen möchten, auch auf die Gefahr hin, daß sie dabei selbst ums Leben kommen. Die Politiker existieren nur, weil ihr unglücklich seid — und auf diese Weise kann der Krieg in Vietnam, in Bangladesh oder in den arabischen Ländern weitergehen. Der Krieg geht weiter. Am einen oder anderen Ort wird immer ein Krieg geführt.

Man muß verstehen, warum es so ist, warum wir uns in dieser Lage befinden und wie wir da herauskommen können.

Solange ihr nicht aus dem Teufelskreis aussteigt — solange ihr diesen Mechanismus in seiner ganzen Tragweite nicht versteht, das Programm, die Hypnose, in der ihr lebt — solange ihr die Sache nicht selbst in die Hand nehmt, euch beobachtet und diese Muster fallenlaßt, könnt ihr nie zu ekstatischen Menschen werden, und ihr werdet nie fähig, das Lied zu sin- gen, das euch von Anbeginn bestimmt war. Dann müßt ihr sterben, ohne euer Lied gesungen zu haben, ohne euren Tanz getanzt zu haben. Dann sterbt ihr, ohne jemals gelebt zu haben.

Euer Leben ist nur eine Hoffnung, keine Realität. Aber ihr könnt es real werden lassen.

Diese Krankheit, die ihr Gesellschaft, Zivilisation, Kultur, Erziehung nennt, diese Neurose, baut auf einer sehr subtilen Struktur auf. Diese Struktur setzt sich folgendermaßen zusammen: sie füttert euch mit Symbo- len, Ersatzvorstellungen, die die Wirklichkeit langsam verschleiern und ein- nebeln, so daß ihr die Realität nicht mehr wahrnehmen könnt und völlig auf das Unwirkliche angewiesen seid.

Zum Beispiel: die Gesellschaft gibt euch die Idee, daß ihr ehrgeizig sein müßt, sie fordert euren Ehrgeiz heraus. Ehrgeiz bedeutet, in Hoffnungen zu leben, in der Zukunft zu leben. Ehrgeiz bedeutet, das Heute dem Mor- gen zu opfern. Aber das Heute ist alles, was ihr habt! Jetzt ist die einzige Zeit, in der ihr existiert und jemals existieren werdet. Wenn ihr leben wollt, dann könnt ihr nur jetzt leben — oder eben nie.

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Die Gesellschaft erzieht euch zur Ambitioniertheit. Schon in der Schule erzieht man euch zum Konkurrenzkampf und vergiftet euch damit. »Werde reich, werde mächtig, werde Jemand.« Kein Mensch erklärt euch, daß ihr die Fähigkeit, glücklich zu sein, schon in euch tragt. Jeder redet euch ein, daß ihr nur glücklich sein könnt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt wor- den sind. Wenn ihr genügend Geld habt, ein großes Haus, ein großes Au- to habt, dies und das — nur dann könnt ihr glücklich sein.

Glück hat mit diesen Dingen nichts zu tun. Glück ist keine Leistung, die vollbracht werden muß, sondern eure Natur. Die Tiere sind glücklich ohne Geld, ohne große Rockefellers zu werden. Kein Rockefeiler ist so glücklich wie ein Reh oder ein Hund. Die Tiere haben keine politische Macht, sind weder Premierminister noch Präsidenten, aber glücklich. Die Bäume sind glücklich. Sonst hätten sie längst aufgehört, zu blühen. Sie blühen weiter, der Frühling kommt noch immer. Sie tanzen und wiegen sich noch immer im Wind und lassen ihr Wesen in die göttliche Energie einströmen. Sie be- ten ohne Unterlaß, ihre Andacht kennt kein Ende. Und dabei gehen sie in keine Kirche. Das haben sie nicht nötig. Gott kommt zu ihnen.

Im Wind, im Regen und der Sonne, kommt Gott zu ihnen.

Aber der Mensch ist nicht glücklich, weil er in seinen Ambitionen lebt und nicht in der Realität. Ehrgeiz ist ein Trick. Ein Trick, um euch abzulen- ken. Das wirkliche Leben ist durch ein Scheinleben ersetzt worden.

Beobachtet das einmal im alltäglichen Leben: eine Mutter ist nicht in der Lage, ihrem Kinde die Liebe zu geben, die es braucht, weil die Mutter zu sehr im Kopf festhängt und kein Leben der Erfüllung gelebt hat. Ihr Lie- besleben ist eine Katastrophe, sie hat sich nicht entfalten und aufblühen können, sondern versucht, ihre ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Sie hat versucht, ihren Mann zu beherrschen, Besitz von ihm zu ergreifen. Sie ist eifersüchtig, sie ist keine liebevolle Ehefrau, und wie kann sie das neugebo- rene Kind plötzlich lieben, wenn sie vorher schon nicht imstande war, Lie- be zu geben?

Ich habe das neue Buch von R. D. Laing gerade gelesen, das er mir vor zwei, drei Tagen geschickt hat: »The facts of Life«. In diesem Buch er- wähnt er ein Experiment, in dem ein Psychoanalytiker viele verschiedene Mütter befragte: »Haben Sie der Geburt ihres Kindes wirklich freudig entge-

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gengesehen? Wollten Sie das Kind haben?« Er hatte einen Fragebogen ausgearbeitet. Die erste Frage lautete: »War

das Kind erwünscht oder unerwünscht?« Neunzig Prozent der Mütter ant- worteten: »Es war unerwünscht.«

Dann: »Haben Sie während der Schwangerschaft überlegt, ob Sie das Kind zur Welt bringen oder eine Abtreibung machen sollen?« Viele sagten, daß sie monatelang darüber nachgedacht hatten, ob sie eine Abtreibung machen, oder das Kind zur Welt bringen sollten. Selbst als das Kind schon geboren war, hatten sie sich noch nicht aus vollem Herzen für das Kind entschieden.

Wahrscheinlich spielten andere Erwägungen eine Rolle — vielleicht waren sie aus religiösen Gründen gegen eine Abtreibung — weil es eine Sünde ist und sie in die Hölle dafür kommen. Weil sie katholisch oder Hin- dus oder Jainas waren und die Vorstellung, daß Abtreibung eine Gewalttat ist, sie daran gehindert hat. Oder aus gesellschaftlichen Gründen. Oder weil der Ehemann das Kind unbedingt haben wollte, oder weil sie das Kind als Fortsetzung ihres eigenen Egos auf die Welt bringen wollten. Aber das Kind an sich war nicht erwünscht.

Kaum eine der Mütter sagte: »Ja, wir wollten das Kind. Ich habe mich danach gesehnt und bin glücklich, daß es da ist.« Und selbst bei diesen Fäl- len schreibt der Psychologe: »Wir konnten nicht mit Sicherheit feststellen, ob diese Aussagen ehrlich waren. Vielleicht haben die Mütter es nur so ge- sagt.«

Jetzt wird also ein Kind geboren, das niemand haben will. Die Mutter war sich von Anfang an nicht sicher, ob sie es haben wollte. Das hat seine Auswirkungen. Das Kind muß die seelischen Spannungen gespürt haben. Das Kind im Mutterleib muß sich verletzt gefühlt haben, als die Mutter mit dem Gedanken an eine Abtreibung herumging. Das Kind ist ein Teil des mütterlichen Körpers und empfindet jede Schwingung. Wenn die Mutter hin und her überlegt und nicht weiß, was sie machen soll, geht das Zittern und die Angst auch durch den Körper des Kindes. Es hängt sozusagen in der Schwebe zwischen Leben und Tod. Und dann wird die Geburt des Kindes von der Mutter eher als Unglücksfall betrachtet, da sie schließlich al- les versucht hatte — Empfängnisverhütung, dies und das — nichts hat ge- klappt, das Kind ist da, man muß es hinnehmen, tolerieren. Diese Tole- ranz ist keine Liebe.

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Dem Kind fehlt die Liebe von Anfang an und auch die Mutter hat ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht so viel Liebe gibt, wie sie es unter ande- ren Umständen getan hätte. Also ersetzt sie die fehlende Liebe mit etwas anderem — sie zwingt das Kind, zuviel zu essen. Da sie die Seele des Kin- des nicht mit Liebe erfüllen kann, stopft sie seinen Körper mit Nahrung voll. Das ist der Ersatz.

Ihr könnt hingehen und euch ansehen, wie besessen die Mütter sind. Die Kinder sagen, »Ich habe keinen Hunger« und die Mütter zwingen ih- nen das Essen herunter. Mit dem Kind haben sie nichts im Sinn, sie hören sein Protestgeschrei nicht. Da sie nicht fähig sind, Liebe zu geben, geben sie Nahrung als Ersatz. Und wenn das Kind heranwächst, geben sie ihm Geld anstelle von Liebe.

Somit wird Geld zum Liebesersatz und die Kinder lernen, daß Geld wichtiger ist als Liebe. Es ist in Ordnung, keine Liebe zu haben, aber kein Geld zu haben ist undenkbar. Dann werden sie geldgierig und rennen wie die Besessenen hinter dem Geld her. Nun kümmern sie sich nicht mehr um die Liebe und sagen: »Zuerst die wichtigen Dinge im Leben! Ich muß eine Menge Geld auf dem Konto haben. Erst wenn ich soundsoviel Geld verdient habe, kann ich lieben.«

Zur Liebe braucht man kein Geld. Lieben kann man, so wie man ist. Du denkst, du brauchst Geld um lieben zu können, verdienst es dir

mühsam und stellst plötzlich eines Tages fest, daß du trotz deines Geldes innerlich leer bist, weil du all die Jahre damit verschwendet hast, Geld an- zuhäufen. Und nicht nur verschwendet. All die Jahre hast du lieblos gelebt, und nun bist du völlig ungeübt in Sachen Liebe. Jetzt ist das Geld da und du weißt nicht, wie man liebt. Du hast völlig vergessen, wie man die Spra- che der Gefühle, die Sprache der Liebe, der Ekstase spricht.

Ja, du kannst eine schöne Frau mit Geld kaufen, aber das ist keine Lie- be. Du kannst dir die schönste Frau der Welt einhandeln, aber was hat das mit Liebe zu tun? Sie ist nicht bei dir, weil sie dich liebt, sondern weil du die richtige Summe auf dem Konto hast.

Mulla Nasruddin hatte sich in eine Frau verliebt — sehr hausbacken und gewöhnlich — aber reich und einzige Tochter eines alten Vaters, der gerade im Sterben lag.

Mulla wurde von tiefer Liebe zu ihr ergriffen und begab sich eines Tages in höchster Eile zu ihr, weil der Vater im Begriff war, seinen letzten Atem-

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zug zu tun und sprach: »Ich kann ohne dich nicht leben. Keinen einzigen Moment!«

Darauf sagte sie: »Das ist schön und gut, aber ich habe dir etwas mitzu- teilen. Mein Vater hat all sein Geld einer Treuhandgesellschaft vermacht und mir keinen Pfennig hinterlassen. Liebst du mich auch jetzt noch, Mul- la?«

Mulla sagte: »Ich liebe dich und werde dich ewig lieben, obwohl ich dich nun nie mehr sehen werde. Aber meine Liebe und meine Erinnerung an dich sind unvergänglich.«

Geld ist ein Symbol, Macht, politische Macht, ist ein Symbol, Ansehen ist ein Symbol — diese Dinge haben keine Realität. Das sind menschliche Wertvorstellungen, die objektiv betrachtet nicht vorhanden sind. Diese Din- ge sind Traumvorstellungen, die ein unglücklicher Geist projiziert.

Wenn ihr ekstatisch werden wollt, müßt ihr die Welt der Symbole end- gültig verlassen. Sich von der Symbolwelt zu befreien, bedeutet, sich von der Gesellschaft zu befreien. Vom symbolhaften Leben frei zu sein, bedeu- tet, ein Sannyasin zu werden, bedeutet, den Mut zu haben, in der Realität zu leben. Und nur das Reale ist real, das Symbolhafte ist unwirklich.

Zum dritten, bevor wir zu Kabirs wunderschönen Sutras kommen: Was ist Ekstase? Etwas, auf das wir hinarbeiten müssen? Nein. Etwas, das wir verdienen müssen? Nein. Etwas, zu dem wir werden müssen? Nein. Ekstase ist Sein. »Werden« heißt Leiden. Wenn du etwas werden willst, machst du dich

unglücklich. »Werden« ist die Wurzel allen Unglücks. Wenn ihr ekstatisch sein wollt, dann jetzt, jetzt-hier, in diesem Augenblick!

Seht mich an! In diesem Moment — kein Mensch hindert euch daran — könnt ihr glücklich sein!

Glück ist etwas ganz Normales und Einfaches. Es ist eure Natur. Ihr habt es schon in euch! Gebt ihm einfach die Chance, sich zu entfalten, auf- zublühen!

Ekstase ist nicht im Kopf, vergeßt das nicht. Ekstase ist eine Angele- genheit des Herzens. Es ist nicht Denken, sondern Fühlen. Und man hat

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euch eurer Gefühle beraubt. Man hat euch von euren Empfindungen ab- geschnitten. Ihr wißt nicht mehr, was Fühlen ist. Selbst wenn ihr sagt: »Ich habe das Gefühl«, denkt ihr nur, daß ihr fühlt. Wenn ihr sagt: »Ich fühle mich so glücklich«, dann beobachtet euch, analysiert es einmal und ihr werdet feststellen, daß ihr denkt, ihr seid glücklich.

Selbst Gefühle müssen den Denkprozeß durchlaufen und am Zensor vorbeikommen. Nur wenn sie von euren Gedanken gutgeheißen werden, laßt ihr sie zu. Vom gedanklichen Zensor abgelehnt, werden sie ins Unter- bewußtsein, in den Keller eures Seins, zurückverwiesen und vergessen.

Werdet herzbetonter, weniger kopflastig. Der Kopf ist nur ein Teil. Das Herz schließt euer ganzes Wesen ein. Das Herz ist eure Gesamtheit. Also arbeitet ihr von eurem Gefühlszentrum aus, wann immer ihr total bei irgendeiner Sache seid. Wann immer ihr nur halbwegs bei irgendeiner Sa- che seid, arbeitet ihr vom Denkzentrum aus.

Beobachtet einen Maler einmal bei der Arbeit — und das ist der Unter- schied zwischen einem echten Künstler und einem Techniker. Ein reiner Techniker, der sämtliche Malarten beherrscht, die Kunstgriffe kennt, genau über Farben, Pinsel und die Beschaffenheit der Leinwände Bescheid weiß, seiner Ausbildung entsprechend arbeitet, funktioniert vom Kopf her. Er ist eigentlich ein Techniker. Er malt zwar, geht aber nicht vollkommen darin auf.

Und dann seht euch einen echten Künstler an, einen Maler, der kein Techniker ist: er ist vollkommen versunken in seiner Arbeit, berauscht. Er malt nicht nur mit der Hand. Er läßt sich nicht vom Kopf leiten. Er malt mit seinem ganzen Wesen, mit Mark und Bein, mit Fleisch und Blut. Sein gan- zes Wesen wird mit einbezogen. Man sieht es, man fühlt es: er ist vollkom- men versunken. Nichts anderes existiert auf der Welt. Er ist im Rausch und in diesen Augenblicken ist »er« nicht mehr vorhanden, er handelt nicht als ein »Ich«.

Nur der Kopf handelt als »Ich«. In diesen Augenblicken der völligen Versunkenheit malt nicht »er«. Er

ist nur ein offener Durchgang. Gott malt durch ihn.

Wenn man das Glück hat, einem Tänzer zu begegnen, ich meine, ei- nem echten Tänzer, keinem Show-man, sieht man, daß nicht er tanzt, nein, etwas Überirdisches tanzt in ihm und er, als Person, ist total versun-

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ken. Man sagt, daß der große Tänzer Nijinski in manchen Augenblicken

Luftsprünge machte,die allen Gesetzen der Physik widersprachen, da die Erdanziehungskraft solche hohen, weiten Sprüge nicht zuläßt. Immer wie- der wurde er gefragt: »Wie machst du das?« und er antwortete: »Ich bin ge- nauso überrascht wie jeder andere. Und ich kann nicht behaupten, daß ich es irgendwie fertigbringe, denn wenn ich es versuche, gelingt es mir nie. Aber wenn ich tanze und mich ganz dabei vergesse — wenn Ich nicht bin — dann existiert plötzlich keine Schwerkraft mehr. Ich bin schwerelos und fühle mich so leicht wie eine Feder, als würde ich nach oben gezogen, an- statt nach unten zu fallen.«

Dieser Sog wird im Yoga Levitation genannt. Ja, es geschieht auch bei der Meditation. Nijinski befand sich ganz un-

bewußt in tiefer Meditation. Sein Tanz hatte eine solche Totalität, daß er sich in Meditation dabei befand und anfing zu levitieren.

Wenn ihr total in irgendetwas vertieft seid, werdet ihr ekstatisch. Wenn ihr nur halbwegs bei der Sache seid, bleibt ihr in eurem Leid ver-

haftet, weil ein Teil immer getrennt vom Ganzen handelt. Dann entsteht ei- ne Teilung, eine Spaltung, eine Spannung, und damit Angst.

Solange ihr vom Kopf her liebt, kann die Liebe euch nie ein Gefühl der Ekstase geben. Solange ihr mit dem Kopf meditiert...

Neulich erzählte mir eine Frau aus dem Westen, daß sie hierher ge- kommen sei, weil sie eine Menge Leute kennengelernt hat, die Sannyasins geworden sind, worauf sich ihr Leben völlig veränderte und sie sehr glück- lich geworden sind. Deshalb ist sie ebenfalls hierher gekommen — um glücklich zu werden. Nun meditiert sie unaufhörlich, aber nichts geschieht. Sie strengt sich an und nichts passiert. Ich erklärte ihr, daß auf diese Weise auch nie etwas passieren wird: »Du nimmst von Anfang an einen völlig fal- schen Standpunkt ein. Die Tatsache, daß du von vornherein eine Absicht verfolgst, ist das ganze Hindernis. Dein Kopf hat dich zum Herkommen be- wegt. Diese Leute, die Sannyasins geworden sind, haben sich ohne Ab- sicht, ohne jede spirituelle Gier auf den Weg gemacht, aber du beabsich- tigst etwas, du willst deine spirituelle Habgier befriedigen. Dein Kopf ist schon vergiftet; du bist mit einer Erwartung gekommen, und jetzt liegst du ständig auf der Lauer, wann es denn nun endlich passiert. Aber es wird nie passieren, weil du so nicht total in der Meditation aufgehen kannst. Der Aufpasser steht immer dahinter und erkundigt sich, ob »es« schon passiert

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ist oder nicht.«

Früher bin ich oft an einen Fluß zum Schwimmen gegangen und habe mich sehr glücklich dabei gefühlt. Einer meiner Nachbarn sah mich jeden Tag auf dem Nachhauseweg und so fiel ihm auf, daß ich jedesmal in ei- nem ekstatischen Zustand zurückkam.

Eines Tages fragte er mich: »Was ist eigentlich los? Ich sehe dich immer zum Fluß hinuntergehen und dann schwimmst du stundenlang und kommst überhaupt nicht mehr aus dem Wasser heraus und siehst dabei völlig verklärt aus. Ich komme auch mal mit.«

Ich sagte: »Bitte nicht. Sie werden es nicht erleben — und dann ist der Fluß traurig. Nein, wenn Sie jetzt schon Hintergedanken haben und eine Absicht verfolgen, brauchen Sie gar nicht erst zu kommen. Während Sie schwimmen, werden Sie nach dem Glück Ausschau halten und so kommt es nie, weil es nur passiert, wenn Sie nicht da sind.«

Schwimmen kann zu einer Meditation werden; Schnellauf kann zu ei- ner Meditation werden, alles kann zur Meditation werden, wenn du nicht da bist. Wenn man im Herzen ist, wenn man total ist, wird man ekstatisch.

Tanze mein Herz: Tanze noch heute in maßlosem Entzücken.

Kabir sagt: »Tanze mein Herz«, und mit »Herz« meint er das gesamte Wesen. »Tanze noch heute in maßlosem Entzücken...«

Tanze heute! Nicht morgen! Laß den Tanz hier und jetzt stattfinden und laß ihn deiner Totalität entspringen. Vergiß dich selbst, überlaß dich dem Rausch.

Die Laute der Liebe erfüllen Tag und Nacht mit Musik und die ganze Welt hört zu. Verrückt vor Entzücken tanzen Leben und Tod im Rhythmus dieser Melodie.

Ja, Entzücken ist verrückt, und nur Verrückte können sich so etwas er- lauben. Der normale, »geistig gesunde« Mensch, ist so schlau, so trickreich und berechnend, daß er sich kein Entzücken gestatten darf, weil Ent- zücken unkontrollierbar ist.

Wie ich schon sagte, ein glücklicher Mensch kann nicht von der Gesell- schaft unter Kontrolle gehalten werden — und genauso möchte ich euch

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sagen, daß ihr euer Entzücken, eure Ekstase, nicht unter Kontrolle habt. Wenn ihr die Kontrolle behalten wollt, könnt ihr nie entzückt sein. Dann könnt ihr nur im Elend verbleiben, denn nur Leid und Elend liegen inner- halb des Kontrollbereiches der Gesellschaft oder können von euch kontrol- liert werden.

Zu mir kommen viele Leute, die ihrem Elend angeblich ein Ende berei- ten wollen, aber gleichzeitig nicht bereit sind, einen unkontrollierten Zu- stand zuzulassen. Selbst ihre Glücksgefühle wollen sie unter Kontrolle hal- ten. Sie wollen bei allem in Kontrolle bleiben, der Meister, der Herr der La- ge bleiben und das ist unmöglich! Der Herr der Lage muß seinen Dienst quittieren, denn Entzücken kann erst dann zum Ausbruch kommen, wenn alle Kontrollen abgescharrt worden sind. Ekstase, wildes Entzücken, sprengt alle Grenzen, alle Kontrolle; es ist unberechenbar.

Und ich sage euch: Gott ist wild und unberechenbar und Entzücken ist der erste Schritt zu Gott. Ekstase bedeutet Wildheit. Ihr habt keine Kontrol- le darüber. Ihr müßt alle Kontrolle verlieren und euch gehenlassen, in den Abgrund fallenlassen. In einen Abgrund ohne jeden Grund und Boden.

Ihr fallt und fallt und fallt und kommt nie an, denn Entzücken ist boden- los. Es kennt kein Ende, es geht weiter bis in alle Ewigkeit. Es ist so uner- meßlich, so gewaltig — wie könnt ihr es unter Kontrolle halten? Schon der Gedanke allein ist dumm.

Verrückt vor Entzücken tanzen Leben und Tod im Rhythmus dieser Melodie.

Wenn ihr tanzt wie die Wahnsinnigen, singt wie die Wahnsinnigen, hemmungslos vergnügt seid — ohne jedes Ego — wenn euer Entzücken derartig übersprudelt, daß ihr davon überwältigt werdet und alle Kontrolle aufgebt, tut sich ein Wunder vor euren eigenen Augen auf: das Leben und der Tod tanzen einen gemeinsamen Tanz.

In diesem Zustand verschwindet alle Dualität. Wenn ihr gespalten seid, tritt Zwiegespaltenheit überall in Erscheinung. Wenn ihr ungeteilt seid, löst sich auch die Dualität auf.

Wenn ihr getrennt seid, ist die ganze Welt getrennt. Und dabei proji- ziert ihr nur eure eigene Spaltung auf die Leinwand des Universums. In ei- nem unaufgespaltenen Zustand, in organischer Einheit, in orgasmischer Verschmelzung, verschwindet alle Dualität. Dann sind Leben und Tod

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nicht mehr zwei verschiedene Dinge, keine Gegensätze, sondern Ergän- zungen, die sich die Hände im gemeinsamen Tanz reichen. Dann sind Gut und Böse nicht zwei verschiedene Dinge, sondern tanzen Hand in Hand. Dann sind Materie und Geist nicht mehr getrennt.

Das ist es, was in eurem Innern geschieht: die Seele tanzt mit dem Kör- per und der Körper mit der Seele. Sie existieren nicht getrennt voneinan- der, sie sind eins, absolut eins, Manifestationen des Einen.

Der Körper ist nichts weiter, als die sichtbare Seele und die Seele ist nichts weiter, als ein unsichtbarer Körper.

...Und Gott sitzt nicht irgendwo oben im Himmel. Er ist jetzt hier, in den Bäumen, den Steinen, in euch, in mir, in allen Dingen. Gott ist die Seele des Alls, der unsichtbare, urinnerste Wesenskern. Und das Innere tanzt mit dem Äußeren und das Höchste mit dem Niedrigsten und das Heilige mit dem Sündhaften und der Sünder mit dem Heiligen.

Mit deiner Einswerdung verschwindet plötzlich jegliche Dualität. Darum sage ich, daß ein wahrhaft weiser Mann gleichzeitig auch ein Idiot ist — sein muß — denn Idiotie und Weisheit sind ein Paar, das gemeinsam tanzt. Ein wirklich frommer Mann, ein echter Heiliger, ist gleichzeitig auch ein Schurke — er muß ein Schurke sein — das ist unvermeidlich. Gott und der Teufel sind nicht zwei verschiedene Dinge.

Habt ihr jemals über das Wort »Teufel« nachgedacht? Es entstammt derselben Wurzel wie das englische Wort »divine«, göttlich. Beide Worte kommen aus der Sanskrit-Wurzel »diva«. Daraus wurde »deva« und daher kommen die Worte »divine« und »devil« — Teufel.

Tief unten ist der Baum eins. Unzählige Äste und Zweige streben in die verschiedensten Richtungen und der Baum hat Millionen Blätter, doch wenn man tiefer nach unten schaut, gibt es nur das Eine, den einen Baum.

Verrückt vor Entzücken tanzen Leben und Tod im Rhythmus dieser Melodie. Die Berge, die Meere, die ganze Erde tanzt.

Wenn du tanzt, tanzt die ganze Welt mit dir. Ja, das alte Sprichwort ist wahr: »Weine, und du weinst allein; lache,

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und die ganze Welt lacht mit dir.« Wenn du unglücklich bist, bist du von al- lem getrennt.

Jetzt seht euch das an: Unglück trennt euch; Getrenntsein macht un- glücklich. Diese beiden Dinge kommen gemeinsam daherspaziert, es ist ein Sorgenpaket. Wenn ihr unglücklich seid, seid ihr auch plötzlich getrennt. Deshalb kann das Ego sich Glücklichsein nicht leisten, denn im Glück kann das Ego nicht existieren, weil ihr nicht länger getrennt seid. Ein Egoist kann es sich nicht leisten, ekstatisch zu werden. Wie kann er Ekstase zulassen? Im Zustand der Ekstase verliert er sein Ego, und dieser Preis ist ihm zu hoch, also bleibt er lieber unglücklich. Er schafft sich Tausende von Lei- denssituationen, nur um sein Ego aufrecht zu erhalten.

Ist euch das schon einmal aufgefallen? Wenn ihr von Heizen glücklich seid, verschwindet das Ego und ihr befindet euch plötzlich in tiefer Harmo- nie mit dem Ganzen. Wenn ihr unglücklich seid, wollt ihr allein sein, und wenn es euch gut geht, möchtet ihr hinausgehen und euer Glück mit den anderen teilen.

Solange Buddha unglücklich war, kehrte er der Welt den Rücken zu und lebte als Einsiedler im Wald. Und was geschah nach sechs Jahren Ein- samkeit? Er wurde von Ekstase ergriffen und kehrte zurück in seine Hei- matstadt. Solange Mahavir unglücklich war, entsagte er der Welt und zog sich völlig vom Leben zurück. Nachdem er das Glück gefunden hatte, kehrte er heim in diese Welt.

Nun erwähnen die Jainas allerdings nie, daß Mahavir in diese Welt zu- rückkehrte. Sie sprechen nur von seiner Entsagung. In ihren Schriften wird nur von seiner Entsagung berichtet, aber das ist nur die Hälfte der Ge- schichte — und auch nicht ihr Höhepunkt.

Damit fängt die Geschichte an: ja, er lebte zwölf Jahre lang allein im Wald, ohne ein einziges Wort von sich zu geben. Er war so verzweifelt, daß er sich von der ganzen Welt abschnitt und zwölf Jahre lang allein blieb. Aber dann wurde es eines Tages Frühling, die Blumen fingen an zu spries- sen und er wurde von der Ekstase ergriffen. Dann kam er zurück.

Die Jaina-Schriften erwähnen diesen Teil mit keinem Wort, obwohl der bedeutsamere Teil der Geschichte der ist, daß er zurückkehrte in diese Welt und sich unter das Volk mischte, daß er wieder anfing zu sprechen, Lieder zu singen und seine Ekstase auf andere übertrug, denn so ein Schatz muß mit den anderen geteilt werden.

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Wenn es euch schlecht geht, seid ihr in euch verkapselt wie Samenkör- ner. In Ekstase werdet ihr zu Blumen und damit ist es unvermeidlich, daß der Wind euren Duft verbreitet.

Das Gleiche könnt ihr im Kleinen in eurem eigenen Leben feststellen: wenn es euch schlecht geht, verschließt ihr eure Türen, ihr wollt eure Freunde nicht sehen, das Haus nicht verlassen, ihr habt keine Lust, an ir- gendwelchen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihr sagt: »Laßt mich allein. Bitte, laßt mich in Ruhe!«

Ein wirklich unglücklicher Mensch begeht Selbstmord — und was ist Selbstmord? Was heißt das? Es ist der Versuch, sich so weit von der Welt zu entfernen, daß ein Rückzug unmöglich ist. Man geht unwiderruflich in die absolute Einsamkeit, um niemals zurückkehren zu müssen. Das ist es, was Selbstmord heißt.

Habt ihr je von einem Menschen gehört, der Selbstmord zu einer Zeit verübt hat, als er glücklich und ekstatisch war, als er getanzt und gesungen hat? Nein, wenn deine Energien tanzen, brichst du aus deinem Gefängnis aus, du öffnest Tür und Tor, rufst deine Freunde und Bekannten und lädst sie ein: »Kommt, ich gebe ein Fest. Laßt uns tanzen und fröhlich sein. Ich möchte mein Glück mit euch teilen!«

Du heißt jeden, der an deine Tür klopft, willkommen. In den Momen- ten deines Überschwangs ist jeder gern gesehen. In deinem Unglück weist du selbst die gerngesehenen Freunde zurück.

Die Berge, die Meere, die ganze Erde tanzt —

Das erlebt ihr selbst auch: ihr tanzt, und das ganze Dasein fängt zu tan- zen an.

Es tanzt ja schon längst! Die Hindus nennen das Dasein Ras Lee/a. Gott tanzt, und die Sterne,

der Mond, die Sonne, die Erde und alle Planeten tanzen um ihn herum. Das ganze Weltall dreht sich verspielt um Gott herum. Gott ist Krishna, und das Weltall mit seinen Galaxien ist seine Gopis, seine Gespielinnen. Dieses Ras dreht sich unaufhörlich im ewigen Reigen, aber das erkennt ihr erst, wenn ihr euch mitreißen laßt, wenn ihr lernt, die Sprache der Ekstase zu sprechen.

Weinend und lachend tanzt die Menschenwelt dahin.

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Wundervoll ist Kabir. Seine Worte sind sehr bedeutsam.

Weinend und lachend tanzt die Menschenwelt dahin.

Während dieses Tanzes müßt ihr manchmal lachen und manchmal weinen — doch das sind dann Tränen einer völlig anderen Art. Keine Trä- nen der Traurigkeit, sondern Tränen, die aus der Tiefe eines übervollen Herzens aufsteigen. Freudentränen, die euer Glück zum Ausdruck brin- gen.

Bis dahin habt ihr nur eine Art von Tränen gekannt, Tränen des Leids und der Trauer, weil ihr nur eines kennt, das euch überwältigen und euch bis zum Rand erfüllen kann, und das ist Traurigkeit, Deprimiertheit, Schmerz, Krankheit und Neurose, die in euren Tränen überfließt.

Das sind die Tränen der Armut. Ihr kennt die anderen Tränen nicht, die Tränen der Fülle. Ihr kennt die Tränen nicht, die vor Gesundheit strot- zen — wenn ihr nicht mehr wißt, wie ihr das Übermaß eurer Liebe aus- drücken sollt, wenn ihr so voller Freude seid, daß ihr keinen Ausdruck fin- det, wenn das Glücksgefühl euch derartig übermannt, daß ihr zu weinen anfangt. Tränen sind ein Überfließen der Freude und Kabir sagt:

»Weinend und lachend tanzt die Menschenwelt dahin.«

Vielleicht habt ihr es schon einmal bei einem Verrückten gesehen; Ver- rückte lachen und weinen manchmal gleichzeitig.

Vielen meiner Sannyasins geht es genauso und dann kommen sie ganz besorgt zu mir und sagen: »Was ist bloß los mit mir? Lachen ist in Ord- nung, Weinen ist in Ordnung, aber beides gleichzeitig? Das kann doch nur heißen, daß ich langsam durchdrehe.«

Ihr dreht nicht durch. Ihr seid dabei, eins zu werden, eure Zwiegespal- tenheit verschwindet. Eure Tränen und euer Lachen sind im Begriff, sich miteinander zu verbinden, um gemeinsam Hand in Hand zu tanzen.

Eure Schizophrenie hat ein Ende gefunden, die Zeit eurer inneren Zersplitterung ist vorbei. Jetzt werdet ihr zu unaufgespaltenen Wesen, zu ei- ner Einheit. Eine mystische Vereinigung findet statt, bei der sich alles wie- der zusammenfügt; die gegensätzlichen Pole nähern sich einander an und werden eins. Weinen und Lachen wird eins.

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Wozu ein Mönchsgewand tragen und abseits in einsamem Stolz der Welt entsagen?

Ja, da hat Kabir recht. Bis jetzt haben wir es so gehalten: der Mönch hat abseits in einsamem Stolz gelebt, sich von der Welt losgesagt, das Mönchsgewand angetan, sich den Kopf kahlgeschoren und der Welt ver- kündet: »Ich gehöre nicht zu euch und ihr nicht zu mir. Ich habe nichts mehr mit euch zu tun; ich wende mich ab«, und ist sehr egoistisch gewor- den. Das ist eine Art sich erhaben zu fühlen, arrogant zu werden.

Man muß die Psychologie der Arroganz verstehen. Ein Mann häuft Geld an und je reicher er wird, desto hochnäsiger und

unnahbarer wird er auch. Mit der Zeit wird es nahezu unmöglich, an ihn heranzukommen. Selbst für seine intimsten Freunde ist er nicht mehr an- sprechbar.

In Amerika kommt es jetzt immer häufiger vor, daß ein reicher Mann selbst seiner Frau und seinen Kindern nicht mehr nahesteht, weil er sich völlig distanziert. Sein Reichtum ist zu einer Pyramide geworden, auf des- sen Spitze er in schwindelnder Höhe trohnt.

Ein Mann, der politische Macht gewinnt — wie Adolf Hitler — wird un- erreichbar für alle anderen. Hitler hatte keinen einzigen Freund. Über Hitler wurde gesagt: »Entweder du folgst ihm, oder du bist sein Feind. Aber sein Freund kannst du nicht werden.« Es gab keinen einzigen Menschen, der ihm den Arm um die Schulter legen und ein vertrautes Gespräch mit ihm führen konnte. Das war undenkbar. Er gestattete keinem soviel Intimität.

Das gleiche geschieht immer und immer wieder: durch Reichtum, durch Macht, durch Wissen, durch Selbstsucht.

Ein Mönch zu werden, ist wieder nur ein neuer Weg, sich in einsamem Stolz von allem fernzuhalten. Kabir hat völlig recht.

Deshalb habe ich das ganze Konzept des »Sannyas« radikal verändert. Ich halte meine Leute dazu an, in der Welt zu leben, unter den Menschen zu bleiben und ein normales Leben zu führen — aber natürlich mit einem außergewöhnlich wachen Bewußtsein.

Verschmelzt die Welt des Familienlebens mit der des Mönches; laßt beide Welten zusammenkommen. Macht den Marktplatz zu eurem Kloster; verwandelt eure Klöster in Marktplätze. Schluß mit dem Dualismus! Schluß mit der Arroganz der frommen Entsager!

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Meine Sannyasins sind ganz schön verwirrt, besonders die Inder unter ihnen, weil sie seit tausenden von Jahren abseits in einsamem Stolz gelebt haben. Sie kommen jeden Tag an, um mir zu sagen: »Was macht das für einen Eindruck, wenn ich orange trage und weiter als Familienvater mit Frau und Kindern lebe? Das kann ich doch nicht machen!«

Ihre Frauen sind weinend zu mir gekommen und sagten: »Was hast du mir angetan? Du hast meinen Mann in Sannyas eingeweiht, was soll nun aus mir und meinen Kindern werden?« Dann sage ich: »Mach dir keine Sorgen, dir geschieht nichts. Dein Mann bleibt weiterhin bei dir.« Und dar- aufhin sagen sie: »Das kann ich wiederum auch nicht dulden.«

Eine Frau kam zu mir und sagte: »Was hast du mir angetan? Du hast meinen Mann zum Sannyasin gemacht und jetzt können wir nicht mehr miteinander schlafen.«

Wie kann man auch mit einem Sannyasin schlafen? Die Vorstellung ist absurd, davon hat noch kein Inder gehört. Nein, das geht einfach nicht...

Bis heute existierten die Welt des Familienlebens und die Welt des Mönches stets streng getrennt voneinander. Ich versuche, sie miteinander zu vereinen.

Wenn Kabir heute zurückkäme, würde er diesen Satz »Wozu ein Mönchsgewand tragen...«, auslassen. Davon braucht er nun nicht mehr zu reden.

Er würde sagen: »Wenn ihr zu diesem Knaben, diesem Rajneesh, ge- hört, ist alles in Ordnung.«

...»und abseits in einsamem Stolz der Welt entsagen?« Nein, Kabir, meine Sannyasins leben nicht abseits in einsamem Stolz, da kann ich dich beruhigen.

Sieh: mein Herz tanzt schwerelos in tausenden von Künsten und der Schöpfer ist beglückt.

Dieses Sutra ist sehr schön. Versucht es zu verstehen. Gott wird in allen Religionen der Welt als Schöpfer bezeichnet, aber kein Mensch scheint recht verstanden zu haben, was das bedeutet, welche Implikationen darin enthalten sind.

Gott ist also der Schöpfer... und wenn das so ist, kann man sich ihm

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nur durch Kreativität nähern und auf keinem anderen Weg. Falls Gott der Schöpfer ist, muß man schöpferisch tätig werden und seine Schöpferkraft wie ein Gebet benutzen.

Malt ein Bild, singt ein Lied, tanzt, schreibt Gedichte, schnitzt Skulptu- ren — was es auch sein mag — aber werdet kreativ. Pflanzt einen Garten an — egal wie klein oder groß das Werk ist, es geht nicht um die Größe — macht was ihr wollt, aber seid schöpferisch dabei.

Wenn ihr in der Küche steht und kocht, dann kocht auf schöpferische Weise, laßt es zu einer Kunst werden. Dann tut es nicht tagein, tagaus wie eine Routinehandlung. Macht es zu eurem Gedicht, eurer Skulptur, macht es zu eurer Musik. Seid in all euren Handlungen schöpferisch, einfallsreich, erfinderisch. Hört nicht auf, das Unbekannte zu entdecken. Erfindet etwas, entdeckt etwas, laßt etwas Neues entstehen, denn wenn Gott der Schöpfer ist, kommt ihr ihm durch jede schöpferische Handlung näher. Sobald ihr schöpferisch tätig seid, handelt Gott als der Schöpfer durch euch.

Aber bis heute haben die religiösen Leute ein äußerst unschöpferisches Leben geführt und nichts hervorgebracht. Sie ziehen sich einfach zurück; sie schreiben weder Gedichte, noch malen sie Bilder oder schnitzen irgend- welche Statuen. Sie halten sich von allem fern und werden unschöpfe- risch. Unschöpferisch zu werden bedeutet, sich gegen Gottes Natur zu wenden.

Sieh: Mein Herz tanzt schwerlos in tausenden von Künsten und der Schöpfer ist beglückt. Was sind schon Worte wenn Liebe mein Herz erfüllt?

Kabir sagt: »Jetzt habe ich nichts mehr zu sagen. Ich kann nur noch tanzen und singen wie ein Wilder, wie ein Verrückter, weil mir alle Logik abhandengekommen ist.

Ich glaube an keine Worte mehr. Die Sprache, unsere gewöhnliche Sprache, kann nicht mehr beinhalten, was ich zu sagen habe«.

Was sind schon Worte...

Nun braucht er keine mehr. Schweigen ist weitaus besser, ... wenn Liebe mein Herz erfüllt?

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Ich habe den Diamanten in meinen Schatzkasten verborgen, Warum ihn wieder und wieder öffnen?

Jetzt trage ich Gott in meinem Herzen und kann ihn nicht andauernd zur Schau stellen. Wer ihn sehen will, soll zu mir kommen und danach fra- gen, aber ich werde mich nicht bemühen, die Leute davon zu überzeugen, und ich werde nicht zu jedem darüber sprechen. Wenn jemand interessiert ist, soll er mich daraufhin ansprechen — sich hingeben und sein Herz öff- nen.

Als ich noch nichts hatte, wollte sich die Waagschale nicht senken. Jetzt ist sie so überrandvoll — wozu noch wägen und messen?

Ich argumentiere nicht mehr, ich habe aufgehört, zu philosophieren, aufgehört, zu theoretisieren — nun brauche ich nichts mehr abzuwägen. Gott ist mir ja schon begegnet, ich habe die Wahrheit erkannt. Ich suche nicht länger im Dunkeln.

Heimgekehrt an den kristallklaren See jenseits der Berge, was soll der Schwan noch nach Tümpeln und Wasserlöchern suchen?

Hört euch das an! Es ist noch so, daß ihr euch von der Welt zurückzie- hen müßt. Ihr müßt wissen, was Gott ist, dann fällt alles Häßliche von al- lein fort. Ich halte euch nicht dazu an, irgendetwas fallenzulassen, irgend- welchen Dingen zu entsagen. Ich sage, daß ihr etwas erkennen müßt, was längst in euch ist — und das ist euer eigener Wesenskern. Habt ihr den ein- mal erkannt, verschwindet alles andere von selbst.

Heimgeflogen an den kristallklaren See jenseits der Berge, was soll der Schwan noch nach Tümpeln und Wasserlöchern suchen?

Ihr sucht nach der Ekstase im Sex, im Geld, in der Macht, weil ihr die wahre Ekstase nicht kennt. Wenn ihr die einmal erfahren habt, hört ihr so- fort damit auf. Nicht, daß ihr euch von ihnen abwendet! Nein, sie verlieren einfach jede Bedeutung.

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Dein Geliebter ist in dir, warum deine Augen noch nach außen öffnen?

Kabir spricht: Höre, mein Bruder, auf dem Weg: Das Licht des Geliebten leuchtet in meinen Augen, denn er hat sich mit mir vereint.

Diese Zusammenkunft findet in eurem Inneren statt, das ist der Ort der höchsten Vereinigung, der wahren Hochzeit, wo du und das Ganze sich begegnen und miteinander verschmelzen. Die Verschmelzung der Zwei zu Einem ist Ekstase.

Ich habe von einem Soldaten im Zweiten Weltkrieg gehört, der die selt- same Angewohnheit hatte, mitten auf dem Schußfeld sein Gewehr zu Boden zu werfen, nur um irgendwelchen vorüberflatternden Papierfet- zen nachzujagen. Er untersuchte jedes Stück Papier genauestens, schüttelte dann betrübt den Kopf und warf es mutlos zu Beden.

Auch im Militärkrankenhaus war kein einziges Wort aus ihm her- auszubringen, und kein Mensch konnte eine Erklärung für seine seltsa- me Manie finden. Verloren durchwanderte er die Korridore der psy- chiatrischen Abteilung und las Papierfetzen auf, jedesmal mit offen- sichtlicher Hoffnungsfreude, die dann unweigerlich einem Zustand völliger Niedergeschlagenheit Platz machte. Man erklärte ihn für wehr- untauglich und so hielt er eines Tages seine Entlassungsbescheinigung in den Händen, bei deren Anblick er nach all den Jahren plötzlich sei- ne Stimme wiederfand: »Das ist es!«, schrie er in höchster Ekstase, »Das ist es!«

Ekstase ist die allerhöchste Freiheit, bei der man nur noch vor Freude schreien kann: »Das ist es! Das ist es! Heureka, ich hab's!«

Und die Ironie der Sache ist, daß man nirgends hingehen muß, um es zu finden. Es ist schon vorhanden. Ekstase ist euer Zentrum, euer eigentli- ches Sein. Wenn ihr euch dazu entschließt, könnt ihr sie sofort in diesem Augenblick finden. Ihr braucht es auch nicht einen Moment hinauszuschie- ben.

Ein brennendes Verlangen danach öffnet die Tür, eine kompromißlose Intensität kann euch jetzt in diesem Augenblick befreien.

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Die erste Frage:

Bist du der einzige Erleuchtete in diesem Ashram? Wenn ja, ist es denn unmöglich, in der Nähe eines Erleuchteten erleuchtet zu werden?

eitdem ich erleuchtet wurde, habe ich noch keinen Menschen getrof- fen, der nicht erleuchtet ist. Man sieht immer nur das, was man ist. Vor meiner Erleuchtung ging es

mir genauso, nur umgekehrt — die ganze Welt schien absolut eingeschla- fen, finster, tot und unerleuchtet zu sein. Man wird immer und überall nur reflektiert. Jeder andere ist nur ein Spiegel, in dem man sich selbst sieht. Also mach dir keine Gedanken über die anderen. Denk über dich selbst nach, das ist das einzige, was dich angeht.

Die anderen gehen dich nichts an. Was hat es mit dir zu tun, ob sie er- leuchtet sind oder nicht? Was kümmert es dich? Wenn jemand gerne uner- leuchtet bleiben will, dann ist das seine Sache. Wenn die anderen »uner- leuchtet« spielen wollen, ist es völlig in Ordnung. Das hindert dich nicht daran, zu erkennen, daß es nunmehr Zeit ist, aufzuwachen, falls du genug von der Welt hast, falls du genug gelitten und gezittert hast. Kein Mensch kann dich daran hindern oder hindert dich je daran.

Es ist einzig und allein deine Entscheidung, das Spiel als Unerleuchteter oder als Erleuchteter zu spielen. Es ist nur eine Frage der inneren Entschei-

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S

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dung.

Du kannst mit einem Schlage, in einem einzigen Moment erleuchtet werden. Es ist kein gradueller Ablauf, da die Erleuchtung nichts ist, was du erst erfinden müßtest. Es ist etwas, das du entdecken mußt. Es ist schon vorhanden. Du mußt es nicht herstellen. Wenn du es erst herstellen müß- test, würde es natürlich seine Zeit brauchen, aber es ist schon da. Mach dei- ne Augen zu und sieh: Es ist da! Sei ganz still und laß dir eine Kostprobe davon geben. Das, was ich Erleuchtung nenne, ist tatsächlich nichts ande- res, als dein Wesen. Es ist nichts Fremdes, das außerhalb deiner selbst exi- stiert. Es befindet sich nicht irgendwo anders in Zeit und Raum. Du bist Er- leuchtung, dein Zentrum ist Erleuchtung.

Ich war einmal ein paar Tage bei Mulla Nasruddin zu Besuch. Eines Morgens sagte Nasruddins Frau während des Frühstückstees: »Mulla, ge- stern Nacht im Schlaf hast du mich fürchterlich beschimpft!« Mulla Nasrud- din lachte kurz und sagte: »Von Schlaf kann gar keine Rede sein.«

Du schläfst nicht. Was immer du tust, ist deine Wahl, du hast es dir so ausgesucht. Ich betone, daß es deine Wahl ist, denn wenn du die Wahl hast, kannst du dich sofort für etwas anderes entscheiden, du mußt nur wollen. Du hast dich für das Leben, das du führst, entschieden. Für ein Le- ben in Leid und Schmerz.

Natürlich fragst du jetzt: »Aber warum soll ich mich denn freiwillig für ein Leben in Leid und Schmerz, in Angst und Qual entscheiden? Warum? Wozu sich ein unglückliches Leben aussuchen?« Es gibt Gründe, entschei- dende Gründe dafür, denn nur im Unglück bist du vorhanden. In Ekstase verschwindest du. Nur im Schmerz kannst du als »Ich« vorhanden sein. In Seligkeit löst »du« dich auf, wie der Tropfen im Meer. Du hast Angst, dich selbst zu verlieren, deshalb hast du dir ein Leben in Leid ausgesucht, denn durch ein Leben im Leid wird das Ego geschaffen. Je mehr du leidest, de- sto stärker wird das Gefühl, daß du bist. Leiden definiert dich als Einzelwe- sen, gibt dir ein Gefühl der Kompaktheit, der Abgrenzung vom Ganzen. Deshalb hast du dich dafür entschieden. Aber niemand entscheidet sich di- rekt für Kummer und Leid, man entscheidet sich dafür, ein Egoist zu sein, und mit dieser Entscheidung muß man indirekt das Leid wählen, da man ohne zu leiden, kein Egoist sein kann.

Das Ego kann nicht existieren, ohne ein Meer von Leid und Qualen

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um sich herum. Das Ego ist eine Insel im Meer des Leids.

Du genießt dein Ego. Du gibst ihm andauernd neue Nahrung, du ver- zierst und veredelst es, und das ist deine Wahl. Wenn du erkennst, daß das Ego grundsätzlich mit Leiden verbunden ist und ohne Leid nicht existieren kann, und daraufhin beschließt, nicht mehr leiden zu wollen, läßt du das Ego fallen. Du streichst dir die Sprache des Egos völlig aus dem Gedächt- nis, denn die Sprache des Egos ist die Sprache seelischer Qualen. Und dann wird alles ganz einfach.

Ein kleiner Junge meldete sich während seines ersten Schultages und bat darum, die Toilette besuchen zu dürfen. Nach zwei Minuten kam er ins Klassenzimmer zurück und jammerte, daß er die Toilette nicht finden könne.

Auch beim zweiten Versuch konnte er sie trotz genauer Beschrei- bung nicht finden. Daraufhin beauftragte die Lehrerin einen etwas älte- ren Jungen, dem Kleinen den Weg zu zeigen. Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt:

»Zum Schluß haben wir's dann doch gefunden«, erklärte er der Lehrerin, »er hatte seine Hosen verkehrt rum an«.

Das ist die Situation, in der ihr euch befindet. Ihr seid erleuchtete Wesen, ihr habt bloß eure Hosen verkehrt herum

an. Ihr braucht die Hilfe eines etwas älteren Jungen, der euch darauf auf- merksam macht, das ist alles. Dazu ist ein Meister da. Euch fehlt nichts, euch kann nichts fehlen. Ihr seid als erleuchtete Wesen geboren und habt dann ein Leben in Leid und Elend gewählt. Ihr könnt als Erleuchtete leben und als Erleuchtete sterben. Es hängt von euch ab. Es ist eine reine Frage der Wahl.

»Bist du der einzige Erleuchtete in diesem Ashram?« In diesem Ashram findest du keinen Baum, keinen Strauch, der nicht

erleuchtet ist! »Wenn ja, ist es denn unmöglich, in der Nähe eines Erleuchteten, er-

leuchtet zu werden?« Es geht nicht darum, in der Nähe eines Erleuchteten zu sein. Wenn du

deine Wahl nicht selbst triffst, kannst du für immer hier bleiben, ohne dich für die Erleuchtung zu entscheiden. Wenn du dich für die Erleuchtung ent-

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scheidest, kannst du an jedem beliebigen Ort erleuchtet werden.

Ich werde gebraucht — ein Meister wird gebraucht — weil euer Verlan- gen, erleuchtet zu werden, nicht sehr stark, nicht sehr ausgeprägt ist. Ihr spürt den unmittelbaren Drang danach nicht. Ihr brennt nicht vor Durst. Es ist nicht euer vornehmliches Anliegen, sondern steht irgendwo ganz am Ende eurer Einkaufsliste. Wenn Zeit und Geld genug vorhanden ist und die Läden noch offen sind, werdet ihr euch die Erleuchtung mal überlegen.

Sie steht nicht an erster Stelle. Zuerst kommt die ganze Welt und dann Gott — und auf diese Weise kommt Gott natürlich nie an die Reihe, denn die Welt ist riesengroß, eins führt zum anderen und alles geht endlos wei- ter. Gott muß euer dringlichstes Anliegen sein. Ich werde nur gebraucht, um euch zu helfen, Gott an die erste Stelle eurer Dringlichkeitsliste zu set- zen, das ist alles. Wenn ihr selbst dazu in der Lage seid, könnt ihr an jedem Ort erleuchtet werden.

Ich bin ohne Meister erleuchtet worden, also kann es für euch auch kei- ne weiteren Schwierigkeiten geben. Wenn es mir passieren kann, kann es auch euch passieren. Ein Meister ist nicht unbedingt notwendig. Er ist zu ei- nem Muß geworden, weil ihr so lethargisch, so unwillig seid, ekstatisch zu werden, weil ihr so sehr an eurer gewohnheitsmäßigen Misere festhaltet.

Ihr habt euch schon so an euer Gefängnis gewöhnt, daß ihr einfach nicht mehr frei sein wollt. Selbst wenn die Tür weit offen steht, ergreift ihr die Gelegenheit nicht. Ihr macht euch lieber etwas vor und schaut die Tür gar nicht erst an. Ihr redet euch unaufhörlich ein, daß die Tür fest verriegelt ist und ein Wächter davorsteht. Und kein Mensch bewacht euch! Die Tür steht offen, es gibt keinen Wächter. Aber ihr wollt im Gefängnis bleiben, weil ihr euer Herz mittlerweile daran gehängt habt. Ihr habt schon viel zu viel investiert — in der Tat, ihr habt angefangen, das Gefängnis für euer Zuhause zu halten. Die Außenwelt erscheint euch dagegen fremd und wild und davor habt ihr Angst.

Die Leute haben Angst vor der Freiheit. Angst, das Leben in seiner wirklichen Tiefe auszukosten. Die Leute haben Angst vor der Liebe, Angst davor, zu sein. Sie haben zu lange im Dunkeln gelebt und jetzt fürchten sie sich vor dem Licht, fürchten sich davor, ihre Augen zu öffnen, weil sie viel- leicht geblendet werden und ihr Augenlicht verlieren; sie fürchten sich, weil ihr Leben in der Finsternis zu einer festgefügten Routine geworden ist, in der sie sich sicher fühlen. Warum sich auf ein Wagnis einlassen? Warum ins

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Unbekannte, Ungewisse gehen?

Du hast dich zu sehr an die Finsternis gewöhnt; ansonsten kannst du überall erleuchtet werden. Der Schatz ist dein — du kannst ihn jederzeit für dich beanspruchen. Es ist ein reines Wunder, daß du das bis heute noch nicht getan hast.

Aber vergiß nicht, daß dich niemand gegen deinen Willen erleuchten kann. Wenn du beschlossen hast, zu bleiben, wie du bist, ist es unmöglich. Sämtliche Buddhas, Christusse und Krishnas zusammengenommen, kön- nen nichts gegen deinen Willen tun. Du bleibst, wie du bist. Und das ist in gewisser Weise auch gut so, denn wenn du von irgendjemandem gegen deinen Willen erleuchtet werden könntest, wäre deine Erleuchtung wert- los, da eine solche Erleuchtung nicht deine Freiheit bedeuten würde.

Könnte man dich zur Erleuchtung zwingen, wäre es wiederum eine Knechtschaft, eine neue Fessel.

Nein, es ist deine Wahl! Absolut! Entscheide dich dafür oder dagegen, aber vergiß nie, daß du allein die Verantwortung für deine Wahl trägst.

Viele Leute gehen zu einem Meister und unterwerfen sich, nur, damit sie sich selbst nicht mehr verantwortlich fühlen müssen.

Das ist keine Hingabe. Hingabe bedeutet: »Ich bin zur Zusammenarbeit bereit«, nichts anderes. Es bedeutet nicht: »Jetzt übernimmst du die Ver- antwortung und wenn ich nicht erleuchtet werde, hast du die Schuld.«

Auf diese Weise geschieht selbst durch Hingabe nichts, weil eine solche Hingabe von vornherein aus falschen Gründen zustande kam.

Darin liegt die ganze Bedeutung der Einweihung. Wenn ihr zu mir kommt, um eingeweiht zu werden, erklärt ihr: »Ich bin zu allem bereit. Ich werde dir keine Hindernisse in den Weg legen. Ich werde deine Hilfe freu- dig annehmen. Wenn du an meine Tür klopfst, werde ich dich in Empfang nehmen. Ich bin willens, dich als meinen Gast aufzunehmen, mit dir zu- sammenzuarbeiten. Mein Ja kennt keine Bedingungen.«

Das ist es, was »Sannyas« und »Hingabe« bedeuten: »Ich werde nicht Nein sagen, mich nicht sträuben. Ich werde nicht gegen dich ankämpfen.«

Es bedeutet nicht die Aufgabe der Verantwortung, sondern nur ein Aufgeben des Widerstands. Nicht die Verantwortung, sondern der Wider- stand wird aufgegeben. Und wenn das einmal der Fall ist, geschieht alles ganz von selbst. Ich bin nur ein Vorwand, um das möglich zu machen.

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Ein Meister ist genau das, was die Wissenschaftler einen Katalysator nennen. Er »arbeitet« nicht im eigentlichen Sinne, seine bloße Anwesen- heit genügt. Ein Katalysator setzt allein durch seine Anwesenheit bestimmte Prozesse in Gang. In Wirklichkeit kann ein Meister nichts an dir tun, aber seine Gegenwart flößt dir einfach Vertrauen ein.

Du brauchst mich, weil du dir selbst nicht vertrauen kannst. Wenn du dir selbst vertrauen könntest, wenn du dir selbst genug wärst, brauchtest du mich nicht. Aber wenn du dich nicht selbstsicher genug fühlst, deiner eige- nen Stimme zu vertrauen, wenn du nicht das Gefühl hast, immer die rech- te Wahl zu treffen, in die richtige Richtung zu gehen, hilft die Hingabe dir weiter. Du kannst jemandem vertrauen, der, soweit du es beurteilen kannst, die Erfahrung selbst gemacht hat; jemandem, dessen Liebe du spürst, der dir also keinen Schaden zufügen wird; jemandem, der weiter ist als du. Du vertraust diesem Menschen und hältst seine Hand...

Alles, was geschieht, geschieht allerdings in deinem Innern, ohne das Zutun des Meisters. Die Erleuchtung ist nichts, was dir irgendjemand zufü- gen kann. Du entspannst dich einfach in völligem Vertrauen und deine Er- leuchtung tritt zutage. Sie hat die ganze Zeit nur auf den Moment gewartet, wo du Ja sagen kannst. Wenn du allein Ja zur Gesamtheit sagen kannst — wunderbar — dann braucht du keinen Meister.

Falls du nicht Ja zum gesamten Himmel sagen kannst, weil er vielleicht zu riesenhaft ist, dann sag Ja zu einem kleinen Fenster. Der Meister ist ein Fenster, das sich zum Himmel öffnet, das dich zum Himmel führt. Der Mei- ster ist wie ein Durchgang. Geh durch den Meister hindurch — vertrauens- voll, liebevoll, hingebungsvoll — und die Sache nimmt ihren Lauf.

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Die zweite Frage:

Als ich zuerst hier ankam, war ich ziemlich verkrampft und alle Leute ka- men mir unfreundlich und verschlossen vor. Jetzt hat sich das völlig verän- dert: Jeder ist wunderschön. Ähnliche Erlebnisse hatte ich vorher auch schon, aber dann sind sie immer wieder vorübergegangen. Ich hoffe, daß dies jetzt Weisheit ist, und nicht mehr verschwindet, fürchte aber, daß ich es wieder verliere, weil es sich nur um Kopf wissen handelt.

Schau dir eine Rose an: Wenn sie echt ist, ist sie am Abend verwelkt. Nur eine Plastikblume welkt nicht. Wissen ist haltbarer als Weisheit, weil Weisheit echt ist und Wissen künstlich.

Du denkst in falschen Begriffen. Du sagst, daß du diese Momente, die- se Öffnungen, auch vorher schon erlebt hast, aber dann gehen sie vorüber, dann welken sie dahin und werden zum Teil deines Gedächtnisses. Jetzt willst du etwas Dauerhaftes.

Schon allein die Idee zeugt von Habgier. Wenn du etwas Dauerhaftes willst, wirst du etwas Unechtes nehmen müssen, denn das Echte ist nie von

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Dauer. Es existiert für einen Augenblick, um dann gleich wieder zu ver- schwinden. Es ist kraftvoll und gleichzeitig sehr zerbrechlich. Es hat eine un- geheure Kraft, denn wenn es da ist, ist es in seiner ganzen Fülle vorhan- den, aber wenn es verschwindet, ist es auch für immer verschwunden.

Nur das Unechte ist haltbar, aber wir in unserer Habgier, suchen Dinge, die haltbar sind.

Die Liebe ist so zerbrechlich, wie eine Rose. Eine Heirat dagegen ist wie eine Plastikblume — haltbar, weil künstlich — eine legale, eine soziale An- gelegenheit. Liebe ist unzuverlässig, sie kommt — und wenn sie da ist, ist sie unvergleichlich schön, du fliegst in den höchsten Lüften, bist angetörnt, alles ist voller Lachen und Licht. Die ganze Existenz wird zum Tanz, zum Freudenfest. Gott blickt dir plötzlich aus jeder Himmelsrichtung entgegen

...und dann ist sie auf einmal verschwunden. So unvermutet, wie sie kam, ist sie auch eines Tages gegangen. Der Zauber verschwindet, aller Charme geht verloren, die Poesie verwelkt und nur die kalte, graue Asche bleibt.

Aus Angst vor der Vergänglichkeit alles Wirklichen, hat der Mensch sich eine dauerhafte »Realität« geschaffen, in der er sich sicher und ge- schützt fühlt. Auf eine Geliebte oder einen Geliebten kann man sich nicht so leicht verlassen, wie auf einen Ehemann oder eine Ehefrau. Ein Ehe- mann und eine Ehefrau sind Plastikblumen.

Eine Geliebte ist wie der Wind, niemand weiß, ob sie im nächsten Mo- ment noch bei dir ist oder schon davongeflogen, um sich in einem anderen Teil der Welt zu vergnügen, um ein anderes Wesen zu umschmeicheln. Man kann nie wissen. Aus dem Nichts ist die Romanze in einem Moment entstanden und im nächsten ist sie beendet.

Es kann auch sein, daß sie nie zuende geht — alles ist vollkommen un- gewiß. Aus Angst vor dieser Ungewißheit, aus Gier und Angst, hat der Mensch die Institution der Ehe geschaffen. Eine Ehe ist etwas Häßliches. Liebe ist wunderschön.

Seht ihr denn die Häßlichkeit einer Plastikblume nicht? Und warum ist sie häßlich? Zum ersten muß sie tot sein, um haltbar sein zu können, denn in allem Lebendigem ist der Tod enthalten. Nur tote Dinge können nicht sterben. Bist du am Leben, so bist du auch zum Sterben verurteilt. Je le- bendiger, desto näher dem Tode. Je höher die Flamme des Lebens

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schlägt, desto näher rückt der Tod. In jedem Tanz des Lebens stößt du auf die Gegenwart des Todes, sobald du nur tief genug hineinsiehst. Deshalb kommt es vor, daß du plötzlich anfängst, über den Tod nachzudenken, wenn du sehr verliebt bist. Ist euch das aufgefallen? Zwei Liebende fangen plötzlich an, sich Gedanken über den Tod zu machen, während die Geld- wechsler nie darüber nachdenken.

Ein Dichter, in den Augenblicken der Verschmelzung mit der Natur, beginnt, sich Gedanken über den Tod zu machen. Ein Tänzer, im Über- schwang, wenn alles aus ihm hervorbricht, bekommt es mit der Angst zu tun: Der Tod klopft an seine Tür.

Auf dem Crescendo eines jeden Erlebnisses stößt du unweigerlich auf die Gegenwart des Todes. Warum? Wo Leben ist, ist auch immer der Tod.

Die Leute haben sich dazu entschlossen, ihr Leben nie maximal auszu- kosten, nie zum Äußersten zu gehen. »Leb so wenig wie möglich, leb mi- nimal, denn auf dem niedrigsten Nenner kannst du den Tod vermeiden.«

Auf dem niedrigsten Nenner bist du so gut wie tot, weil es keinen Kon- trast gibt! Im Zustand höchster Lebendigkeit bist du dem Tode ganz nah; der Kontrast tritt deutlich hervor. Die Leute haben Angst vor dem Tode, deshalb leben sie auf dem niedrigsten Nenner. Sie haben Angst vor Verän- derungen, und so hängen sie ihr Herz an unvergängliche Dinge. Ein Haus verändert sich nicht so schnell. Das Vaterland, der Glaube, der Tempel, der Gott der Theologen, scheint eine dauerhafte Angelegenheit zu sein. Sie vermeiden es tunlichst, die Flüchtigkeit des Lebens wahrzunehmen, und die Realität ist nun einmal flüchtig, ein Fließen, ein Ablauf, bei dem sich alles dynamisch bewegt.

Du erklärst mir: »Als ich hier ankam, war ich ziemlich verkrampft und alle Leute kamen mir unfreundlich und verschlossen vor. Jetzt hat sich das völlig verändert.«

Nicht die Dinge haben sich verändert, sondern du. Die Leute sind die- selben geblieben, frag sie mal! Verkrampft waren sie, weil du verkrampft warst. Unfreundlich waren sie, weil du unfreundlich warst. Nichts hat sich verändert. Die Leute haben sich nicht geändert. Sie sind nicht plötzlich freundlich geworden. Du hast dich verändert, dich geöffnet und entspannt. Nun verlangst du nicht mehr, daß sie freundlich zu dir sein sollen, sondern hast deinerseits angefangen, freundlich zu ihnen zu sein und dadurch er- kannt, daß sie eigentlich freundlich sind.

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Du siehst immer nur das, was du bist. Und vergiß nicht, daß du auch immer das bist, was du siehst. Es ist niemand sonst.

Jedem, der hierherkommt, geht es so. Am Anfang hast du große Er- wartungen — als ob der ganze Ashram in Gesang und Tanz ausbrechen und deine Ankunft feiern müßte. Solche Erwartungen hast du im Kopf und dann kommt Swami Sant, macht ein unfreundliches Gesicht und läßt dich noch nicht einmal ungehindert durchs Tor marschieren. Er hat Anwei- sungen, sich hier so zu verhalten. Mit einem Schlag zerplatzen alle deine Hoffnungen und Erwartungen — und ich bin ihnen dabei behilflich. Sie müssen zum Platzen gebracht werden, denn mit diesen Hoffnungen und Erwartungen bleibst du ein Egoist. Mit diesen Hoffnungen und Erwartun- gen bleibst du der Alte. Sie müssen fallengelassen werden.

Dieser Ashram ist ein Mittel zum Zweck, durch das bestimmte Situatio- nen hergestellt werden. Hier wird auf jede erdenkliche Weise versucht, dich abzustoßen. Wenn du durchhältst und bleibst, hast du viel gewonnen und wenn du wegläufst, ist es auch gut — für dich, wie für mich — denn wie die Dinge sind, habe ich jetzt schon genug Verantwortung für genü- gend Leute übernommen.

Es sei denn, du bist wirklich reif genug, in tiefere Bereiche einzudringen und nicht nur als Neugieriger, mit irgendwelchen ehrgeizigen Hintergedan- ken gekommen, mit irgendwelchen politischen Ambitionen im Kopf... nur wenn du als echter authentischer Sucher hierhergekommen bist, wirst du bleiben. Und dann bleibst du, ganz gleich, was ringsumher geschieht, ohne dich im geringsten darum zu kümmern. Du sagst: »Es ist in Ordnung, es muß bestimmte Gründe dafür geben.«

Wenn du beharrlich bist und durchhältst, spürst du allmählich, daß die Leute hier freundlich sind, und das liegt nur daran, daß du deine Erwar- tungen fallengelassen hast. Die Leute sind dieselben geblieben, sie sind we- der freundlich, noch unfreundlich. Dieser Ashram ist völlig neutral; wir sind nicht daran interessiert, neue Leute zu bekehren, überhaupt nicht. Wir kümmern uns nicht weiter um Neuankömmlinge. Wir sind völlig neutral. Wenn du kommen willst, ist das deine Sache und du übernimmst die Ver- antwortung für deine Entscheidung. Wir versuchen nicht, dich in irgendei- ner Weise zu beeinflussen. Du kannst uns später keine Schuld geben und sagen: »Ihr habt mich überredet«. Das steht fest: du kannst uns nicht dafür

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verantwortlich machen. Wenn du hiergeblieben bist, dann geschah es aus freien Stücken. Alles wird von Anfang an klargestellt.

Nun sagst du: «... jeder ist wunderschön. Ähnliche Erlebnisse hatte ich vorher auch schon, aber dann sind sie immer vorübergegangen.«

Gut, daß sie vorübergegangen sind! Wenn sie angehalten hätten, wärst du steckengeblieben. Dann wärst du nicht weitergewachsen. Alles muß kommen und alles muß gehen. Dadurch wirst du reif, größere Dinge zu erleben. Es muß vergehen! Bleibst du bei einer Erfahrung stecken, so wächst du nicht im Leben. Sei dankbar und glücklich, daß es vorüberge- gangen ist, sonst wärst du jetzt nicht her. Du bist hier, weil dir die Vergan- genheit aus den Händen geglitten ist.

Aber es scheint, daß du noch immer einen falschen Wunsch hegst, und zwar, nunmehr etwas Dauerhaftes zu finden.

Nein, ich habe nichts Dauerhaftes anzubieten. Mein Geschäft konzen- triert sich auf das Momentane und das Ewige — und das ist beides dassel- be. Das Dauerhafte ist eine falsche Münze, nur das Momentane und das Ewige sind echt.

Aber laßt mich euch das erklären: In euren Wörterbüchern wird das Wort »Dauerhaft« gewöhnlich als Synonym für »Ewig« angegeben. Das ist nicht richtig. Das Ewige ist immer momentan. Betrachtet unsere Rose noch einmal: Am Morgen blüht sie, am Abend ist sie verwelkt. Ihr Dasein ist et- was Momentanes. Aber sie kommt wieder; am nächsten Morgen blüht eine andere Rose. Die Rose kommt immer wieder. Das Ewige erscheint im Mo- mentanen, es blinzelt durch jeden flüchtigen Moment. Eine Rose ver- schwindet und eine andere blüht auf, nur um auch wieder zu verwelken und einer anderen Platz zu machen. Die Schönheit der Rose ist ewig, ihr »Rosensein« ist ewig. Einzelne Rosen kommen und gehen, doch »Rosen- sein« ist ewig.

Lebt im Momentanen — und lebt im Momentanen ohne jeden Wunsch nach Dauerhaftigkeit, sonst versäumt ihr das Ewige.

Lebt so überschwenglich und total im Momentanen, daß ihr das Dau- erhafte darüber völlig vergeßt. Das Dauerhafte ist eine Projektion auf die Zukunft, es ist eure Wunschvorstellung und hat nichts mit der Realität zu tun.

Das Ewige ist die Essenz des Momentanen. Das Ewige existiert im Mo-

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ment. Das Dauerhafte bewegt sich in einer geraden Linie, in der Waage- rechten, während das Ewige die senkrechte Dimension darstellt.

An der Oberfläche eines tiefen Wassers schwimmen — so ist das Dau- erhafte. Bis tief zum Grunde des Meeres tauchen — so ist das Ewige. Taucht tief in jeden Moment ein und ihr berührt das Ewige. Betrachtet un- sere Rose in ihrer Tiefe: Ja, diese bestimmte Rose ist nur momentan vor- handen, aber wenn ihr tiefer hineinseht, tiefer eintaucht, erkennt ihr plötz- lich das ewige »Rosensein«, das sich hinter dieser Rose verbirgt. Hinter dieser Rose steht ewige, göttliche Schönheit. Blumen kommen und gehen, das Blühen bleibt. Rosen kommen und gehen, das »Rosensein« bleibt. Deine Frau mag sterben, dein Mann mag dich verlassen — das sind alles Rosen — die Liebe bleibt.

Meine Lehre ist, der Liebe zu vertrauen. Betrügt die Liebe nicht. Liebe ist etwas, das immer wieder geschieht — mit einer anderen Frau, einem anderen Mann, mit einem anderen Freund. Sie kommt wieder und wie- der, sie blüht immer wieder aufs Neue. Bleibt nicht stecken.

Wenn deine Frau gestorben ist, weinst du natürlich und bist traurig, das ist völlig richtig, aber bleib nicht verhaftet. Jetzt brauchst du keinen Eid zu leisten, auf ewig Witwer zu bleiben. Das ist Unsinn, das ist dumm. Und denk nicht, daß du deine Frau betrügst, wenn du dich wieder verliebst! Nein. Du hast dich von vornherein nur der Liebe wegen in deine Frau ver- liebt. Eine neue Liebe entsteht, eine neue Liebe wird dich erfüllen ... betrü- ge die Liebe nicht. Personen kommen und gehen.

Verlange nicht nach dem Dauerhaften, sonst vergiftest du die Realität deines Partners. Wenn du etwas von Dauer willst, festhalten willst, siehst du nicht, was in Wirklichkeit vorhanden ist. Du versuchst, die Dinge so hin- zudrehen, daß deine Frau für immer bei dir bleibt. Du fängst an, Besitz zu ergreifen. In dem Denken, daß diese Rose vielleicht welkt, trennst du sie vom Strauch, der sie ernährt, weil du weißt, daß die Blüten, die am Strauch wachsen, am Abend ihre Blätter verlieren und sterben. Bevor das geschehen kann, pflückst du sie ab und nun kannst du sie in einem Schließfach verwahren, aber da du sie abgebrochen hast, ist sie ohnehin schon tot. Jetzt kann sie nur noch in deinem Schließfach verfaulen. Noch nicht einmal einen schönen Tod hast du ihr gegönnt!

Sei nicht so grausam, sie nicht so lieblos. Schön war die Rose, als sie am Strauch wuchs, dort war sie lebendig, ihr Leben war eins mit dem Le-

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ben des Strauches. Laß sie dort auch sterben, laß ihr einen Tod, der so schön ist, wie ihr Leben. Aber du brichst sie vom Strauch — ich sehe die Leute Rosen in ihre Bibeln legen, wo sie trocknen und verdorren. Ihr laßt sie keines schönen Todes sterben. Aber selbst eure Bibeln sind ja nichts an- ders, als verdorrte Blumen...

Denkt daran, daß ihr den Mann oder die Frau abtötet, wenn ihr Besitz von ihnen ergreift. Ihr sperrt eure Blume im Schließfach ein, wenn ihr zum Standesamt geht, um eine legale Angelegenheit aus eurer Liebe zu ma- chen. Liebe stirbt, sobald sie mit dem Gesetz in Berührung kommt. Liebe kann mit dem Gesetz zusammen nicht existieren. Liebe ist Gesetzlosigkeit. Liebe ist etwas absolut Spontanes — wie kann sie in Verbindung mit dem Gesetz am Leben bleiben? Das ist unmöglich. Unsere Welt kennt keine Lie- be mehr, weil wir vom Gesetz beherrscht werden. Solange diese Gesetze nicht vom Erdboden verschwinden, besteht keine Möglichkeit, daß die Liebe unser Leben wieder regiert. Und ohne Liebe ist Andacht unmöglich — ohne Liebe gibt es keinen Gott.

Religion besteht nicht aus Gesetzen, sondern aus einem allein: Aus Liebe.

»Ähnliche Erlebnisse hatte ich vorher auch schon, aber dann sind sie immer vorübergegangen.«

Sehr gut, so sollte es sein. Blick nicht zurück, richte deinen Blick nach vorn. Du wirst noch mehr erleben. Leg dir keine Scheuklappen an und klammere dich nicht an Vergangenes. Du wirst noch mehr erleben, du bist im Wachstum begriffen. Tiefere und schönere Erlebnisse warten auf dich.

»Ich hoffe, daß dies jetzt Weisheit ist und nicht mehr verschwindet.« Weisheit verschwindet immer, nur intellektuelles Wissen bleibt. ...»fürchte aber, daß ich es wieder verliere, weil es sich nur um Kopf-

wissen handelt.« Mit solchen Vorstellungen kommst du garantiert in Schwierigkeiten.

Weisheit verschwindet immer. Weisheit bleibt niemals als Wunde in dir zu- rück. Sie kommt und geht wie der Wind. Selbstverständlich macht dich je- der in Weisheit verbrachte Moment weiser, und zwar, weil Weisheit dir zeigt, daß die Wirklichkeit flüchtig, vergänglich ist, daß die Realität mo- mentan ist, daß sie kommt und geht und nichts von Dauer ist. Alles ist ewig, aber nicht von Dauer. Das Dauerhafte ist der Wunsch des Menschen;

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das Ewige ist das Wesen Gottes. Alles kommt wieder, nicht als dasselbe und doch kehrt es wieder. Der Frühling geht vorbei und kommt wieder. Der Sommer geht vorbei und kommt wieder. Alles kommt zurück — doch nicht als dasselbe. Deine Kindheit ist vorüber, aber viele andere Kinder werden auf die Welt kommen. Deine Jugend ist vergangen und jemand anderer wächst heran. Deine Greisenzeit nähert sich dem Ende und ein an- derer wird alt. Du liegst im Sterben, jemand anderer wird nach dir sterben.

Der Tod besteht weiter, das Leben besteht weiter, die Liebe besteht weiter. Wir sind nur Vehikel für diese ewigen Kräfte.

Also schlag dir diesen Wunsch nach Dauerhaftigkeit, nach Haltbarkeit aus dem Kopf. Lebe im Augenblick, dann erkennst du das Ewige.

Die dritte Frage:

Ach, die Religion! Die Verehrung alles Vergangenen! Die Schönheit, die Sentimentalität der Vergangenheit. Schon seit meiner Kindheit habe ich gern in Erinnerungen geschwelgt und das Gefühl des süßen Schmerzes, daß die Vergangenheit unwiderruflich vergangen ist, hat mich mildsüße Tränen gekostet. Ich habe das wirklich sehr genossen — dieses Gefühl, das man Nostalgie nennt. Manchmal bin ich geradezu verliebt in meine Ver- gangenheit und froh und dankbar, daß ich eine habe, mit der ich herum- spielen kann. Bin ich ein Blödmann?

Und dann höre ich dir zu und stimme intellektuell mit dir darin überein, daß die Vergangenheit nicht existiert, unwirklich ist, aber mein Gefühl sagt trotzdem etwas anderes.

Was ist mit mir los? Wenn Nostalgie nur ein Trick des Egos ist, was es zweifellos sein muß,

warum erlebt man es als ein so gutes, warmes Gefühl? Wie kann der Teufel so süß sein? Oder meine Gefühle unwirklich?

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Oder, wenn meine Gefühle unwirklich sein sollten — was bleibt dann übrig?

Das ist nicht eine Frage, sondern sieben. Also müssen wir operativ an die Sache herangehen. Entschuldigung, aber wir werden die Frage in sie- ben Teile zerlegen müssen. Zum ersten: »Ach, die Religion! Die Verehrung alles Vergangenen!«

Religion ist keine Verehrung alles Vergangenen. Religion hat nicht das geringste mit dem Vergangenen zu tun. Religion ist »Möglichkeit«, nicht »Vergangenheit«. Religion ist Potential für die Zukunft, nicht Vergangen- heit. Religion bedeutet nicht Zurückblicken, sondern nach vorn. Religion ist nicht Gedächtnis, sondern Hoffnung. Aber man hat dich dazu erzogen, deinen Blick auf die Vergangenheit zu richten, eben weil du nicht von reli- giösen Menschen, sondern von Christen, Hindus oder Mohammedanern großgezogen wurdest und das sind keine religiösen Leute. Du bist von den Priestern, dem Papst und den Shankaracharyas programmiert worden und das sind keine religiösen Leute.

Wenn du einem religiösen Menschen begegnest, gibt er dir Hoffnung für die Zukunft, einen Funken, der für die Zukunft brennt. Ein religiöser Mensch redet nicht über die tote Vergangenheit. Es ist eine gefährliche Sa- che, seinen Blick auf die tote Vergangenheit zu richten.

Zum ersten kann sie sich nicht wiederholen, zum zweiten kann ein Mensch, der immer wieder zurückblickt, die Zukunft nicht leben. Es ist, als würdest du im Auto fahren und ständig nur in den Rückspiegel schauen. Dann bist du zum Tode verurteilt. Dazu ist der Rückspiegel nicht da. Wenn du den Rückwärtsgang einlegen mußt oder jemand hinter dir hupt, ist es okay, blick in den Rückspiegel, aber du mußt dich nicht völlig darauf fixie- ren. Es mag ja ein sehr schöner Spiegel sein, aber bitte, schau trotzdem nach vorn. Du fährst der Zukunft entgegen! Es ist eine gefährliche Sache, der Zukunft entgegenzurasen und dabei ständig nach hinten zu blicken. Auf die Art ist ein Unfall kein Zufall, sondern pure Gewißheit. Es passiert bestimmt.

Denk daran: alle Bewegung ist auf die Zukunft gerichtet, du kannst

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nicht in die Vergangenheit gehen. Die Bewegung richtet sich in die Zu- kunft. Auf die Vergangenheit kannst du nur zurückblicken. Und selbst wenn du unaufhörlich auf das Vergangene zurückblickst, bewegst du dich weiterhin vorwärts in die Zukunft, und wenn dein Leben dann von Zufäl- len, Unfällen und Zusammenstößen regiert wird, du überall aneckst und eine Katastrophe nach der anderen verursachst, ist es nicht verwunderlich. Schau in die Richtung, in die du gehst und nicht in die Vergangenheit, wo du gewesen bist.

Nein, du mußt in die Schule der Christen, Hindus und Mohammeda- ner gegangen sein, deshalb sagst du: »Ach die Religion! Die Verehrung al- les Vergangenen.« Religion hat nichts mit Vergangenheit zu tun, da Reli- gion nichts mit toten, abgestorbenen Dingen zu tun hat. Religion ist eine Hinwendung zum Leben, eine tiefe Annahme des Lebens.

«... die Schönheit, die Sentimentalität der Vergangenheit!« Daran ist nichts schön. Wie kann etwas Totes schön sein? Also weißt du nicht, was Schönheit ist.

Schönheit liegt immer im Lebendigen, im Gegenwärtigen. Aber wenn du der Gegenwart blind gegenüberstehst, kannst du natürlich nur eins schön finden, und das ist die Vergangenheit. Aber darin liegt nicht die ge- ringste Schönheit! Schönheit pulsiert, vibriert mit Leben. Schönheit ist im- mer hier-jetzt, nicht in der Vergangenheit.

Aber es gehört Mut dazu, jetzt-hier zu sein. Es gehört ein hellwaches Bewußtsein dazu, jetzt-hier zu sein. Es gehört eine gewaltige Intelligenz da- zu, jetzt-hier zu sein. Darum haben die Leute ja auch beschlossen, sich nicht weiter um das Hier und Jetzt zu kümmern, und blicken zurück in die Vergangenheit. Dazu bedarf es keiner Intelligenz, jeder Dussel kann in die Vergangenheit zurückblicken. Jeder kann sich auf das besinnen, was ein- mal war. Die Wahrnehmung dessen, was gerade geschieht, verlangt eine ungeheure, eine feinausgeprägte Aufmerksamkeit. Und nur damit kann man der Zukunft entgegentreten.

Die Zukunft verwandelt sich andauernd in Gegenwart. Die Gegenwart verwandelt sich andauernd in Vergangenheit, und da du die Vergangen- heit nicht länger in der Hand hast, kannst du nichts mehr damit anfangen. Also bleib nicht darin stecken, denn sie ist nun nicht mehr zu gebrauchen. Du kannst sie nicht ändern, nicht ungeschehen machen, das ist unmöglich.

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Es ist einfach sinnlos, seine Zeit damit zu vergeuden. Aber es gibt Leute — Millionen, die Mehrzahl — die nicht aufhören können, an die Vergangen- heit zu denken und sie in ihrer Erinnerung zu vergolden. Dabei versäumen sie die Wirklichkeit. Sie sind völlig im Unwirklichen, im Gewesenen ver- strickt. Das sind die lebenden Toten.

Schönheit erfordert Leben, den lebendigen Herzschlag: Schönheit er- fordert pulsierende Bewegung, schäumende Energie, Vitalität.

Die Vergangenheit ist nichts als eine Erinnerung. Du läßt ein Tonband ablaufen, wenn du in Erinnerungen schwelgst, du sitzt im Kino. Das Ganze existiert nirgends, außer in deinem Kopf, und es läuft absolut mechanisch ab.

Jetzt sagen auch die Wissenschaftler, daß das Gedächtnis absolut me- chanisch funktioniert. Man hat herausgefunden, daß bestimmte Erinne- rungen abrollen, wenn die entsprechenden Zentren im Gehirn durch Elek- troden stimuliert werden. Du meinst, daß du frei bist ...? Da irrst du dich.

Wenn man ein Loch in deinen Kopf drillt und einer bestimmten Stelle des Gehirns durch Elektroden Elektrizität zuführt, hast du plötzlich eine be- stimmte Erinnerung. Auf einmal siehst du dich als Kind — ganz plötzlich — du hast vorher überhaupt nicht daran gedacht — du siehst dich als Kind in der Morgensonne im Garten, wo du versuchst, einen Schmetterling zu fan- gen; du fällst hin und brichst dir das Bein — und sobald die Elektrode ent- fernt wird, hört die Erinnerung auf. Wenn die Elektrode wieder an dieselbe Stelle gesetzt wird, entfaltet sich dieselbe Erinnerung auf genau dieselbe Weise: Wieder bist du das Kind, das in der Morgensonne im Garten ver- sucht, einen Schmetterling zu fangen; du fällst hin und brichst dir das Bein. Entferne die Elektrode und die Erinnerung verschwindet. Setze die Elektro- de wieder ein und die Erinnerung steigt in derselben Weise auf: Du bist ein Kind ...

Das Ganze läuft mechanisch ab und du kannst dem Ablauf keinen Ein- halt gebieten! Vergiß das nicht. Solange du die Elektrode im Gehirn hast, kannst du machen, was du willst, den Kopf schütteln und versuchen, an etwas anderes zu denken, du wirst die Erinnerung nicht los. Das Tonband läuft, der Film rollt vom Projektor ab. Dein Bewußtsein wird einfach als Leinwand benutzt. Daran ist nichts Schönes, es ist ein mechanischer Ab- lauf.

Um hier-jetzt zu sein, mußt du bewußt sein, nicht mechanisch funktio-

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nieren. Jede Maschine kann die Vergangenheit abrollen lassen, dazu wirst du nicht gebraucht.

Früher oder später werden sie den Erinnerungsfilm von Leuten wie Al- bert Einstein nach ihrem Tode herausnehmen können. Momentan ist das noch nicht möglich, aber früher oder später werden sie einen Weg finden, wie das Gehirn herausoperiert und als funktionsfähige Maschine am Leben erhalten werden kann, und dann können sie die gespeicherten Erinnerun- gen auf eine Leinwand projizieren. Einstein ist nicht mehr vorhanden, nur seine Erinnerungen, die als Lichtspiel vorgeführt werden — und dann ent- deckt er die Relativitätstheorie in seiner Abwesenheit immer wieder aufs Neue.

Der Verstand in seiner Funktion als Gedächtnis, ist ein Mechanismus. Und wenn der Verstand an die Zukunft denkt, ist es wieder nur die

Vergangenheit, auf die Zukunft projiziert. Du denkst an Morgen — aber was ist dieses Morgen? Nichts als eine abgewandelte Form, eine etwas ver- besserte, hier und da verschönerte Form deines Gestern. Vielleicht gefällt dir dieses und jenes nicht so recht — deine Frau ist dir gestern zu sehr auf die Nerven gegangen, das soll sie morgen nicht wieder tun — also läßt du diesen Teil aus. Oder du hast in einem chinesischen Restaurant zu Abend gegessen, es war ausgezeichnet und morgen möchtest du wieder hingehen und ein bißchen mehr essen. Auf diese Weise entsteht dein Morgen aus deinem Gestern. Ein wenig retuschiert, dekoriert, poliert, abgewandelt, verfeinert, doch es ist wieder nur das alte Gestern auf die Zukunft proje- ziert.

Das einzige, das nicht mechanisch ist, ist die Gegenwart. Nur die Ge- genwart ist wirklich, und nur dieser Moment ist schön.

»... Ich habe schon immer gern in Erinnerungen geschwelgt, und das Gefühl des süßen Schmerzes, daß die Vergangenheit unwiderruflich ver- gangen ist, hat mich mildsüße Tränen gekostet. Ich habe das wirklich sehr genossen ...«

Die Leute lieben das. Sie können gar nicht aufhören, sich die Vergan- genheit zu Gemüt zu führen, denn sie haben keine Zukunft und kennen keine Gegenwart. Diese Leute sind tot, das sind die wandelnden Leichen.

Hör auf, dich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Löse dich. Komm aus deiner Vergangenheit heraus! Ja, manchmal sieht sie zucker- süß aus, da es dir völlig freisteht, dir irgendwelche bestimmten Episoden

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aus deiner Vergangenheit auszusuchen. Die Leute suchen sich die guten Dinge aus und lassen die schlechten in der Versenkung verschwinden. Deshalb denkt auch jeder, daß seine Kindheit das reine Paradies war. Dem ist nicht so. Frag die Psychologen. Die sagen, daß du dir ein paar Seiten aus dem Buch deiner Kindheit ausgesucht hast, du hast dir alle schönen Erlebnisse ausgesucht und betrachtest nur diese immer wieder mit sehn- süchtigen Augen. Und nicht nur das, du glorifizierst ihre Schönheit, ihre Süße.

Und das zeigt nur eins — die zwanghafte Beschäftigung mit der Ver- gangenheit beweist nur eines: Deine Gegenwart ist unerträglich. Das zeigt nur, daß du der Gegenwart machtlos gegenüberstehst. Dn wirklich mäch- tiger Mann oder eine wirkliche mächtige Frau, ein vitaler Mensch, der die Gegenwart lebt, hat keine Zeit, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Die Gegenwart ist doch so fesselnd, so faszinierend, die Gegenwart sprüht mit Leben! Wozu in die Vergangenheit gehen? Da geht man nur hin, weil man noch nicht gelernt hat, sich in der Gegenwart aufzuhalten. In der Gegenwart zu leben bedeutet, religiös zu sein, denn um in der Gegenwart leben zu können, muß man bewußt sein, und Bewußtsein ist der Schlüssel zu aller Religiosität.

... »Manchmal bin ich geradezu verliebt in meine Vergangenheit und froh und dankbar, daß ich eine habe, mit der herumspielen kann. Bin ich ein Blödmann?«

Absolut! Natürlich! Und zwar ein Ausgewachsener von der Sorte. Mach Schluß damit, und je eher du das machst, desto besser. Geh ein bißchen weiser mit deinem Leben um.

... »Und dann höre ich dir zu und stimme intellektuell mit dir darin überein ...«

Auf intellektueller Ebene gibt es nie irgendeine Übereinstimmung. Das ist nur eine Art zu sagen, daß du nicht mit mir übereinstimmst.

»Intellektuelle Übereinstimmung?« — das ist überhaupt keine Überein- stimmung! Das ist, als käme jemand daher und sagt: »Ich liebe dich auf in- tellektueller Ebene«. Was soll das heißen? Intellektuell? Wie kann Liebe in- tellektuell sein, wie kannst du »intellektuell mit mir übereinstimmen?« Viel- leicht hast du keine stichhaltigen Argumente gegen das, was ich sage, viel- leicht fühlst du dich nicht so recht in der Lage, mit mir zu streiten, du wirst

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von meinen Aussagen zum Schweigen gebracht — aber das ist keine Über- einstimmung. Intellektuell übereinzustimmen bedeutet, überhaupt nicht übereinzustimmen. Du stimmst nicht überein, es sei denn, du stimmst mit deiner Gesamtheit überein.

... »und dann höre ich dir zu und stimme intellektuell mit dir darin überein, daß die Vergangenheit nicht existiert, unwirklich ist ...«

Ich verkünde hier keine Theorien oder Philosphien. Ich stelle einfach eine Tatsache fest. Da ergibt sich keine Frage der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung. Stimmst du mit mir überein, wenn ich sage, daß die Bäume grün sind, oder stellst du das in Abrede? Du schaust dir die Bäume an und sagst: »Richtig, die Bäume sind grün.« Ist es eine Philoso- phie, wenn ich sage, daß die Vergangenheit vergangen ist, predige ich euch eine Doktrin? Daß die Vergangenheit vergangen ist, ist eine ebenso simple Tatsache wie die, daß die Bäume grün sind. Du weißt es, ich weiß es, jeder weiß es. Vergangenheit bedeutet das, was vergangen ist. Die Ver- gangenheit ist vergangen. Mußt du mit mir auch in diesem Punkt überein- stimmen? Dann ist einer von uns beiden verrückt. Entweder du oder ich.

Ich sage: »Die Sonne ist aufgegangen« und du sagst: »Ja, da stimme ich dir zu ...« Bei Tatsachen braucht man sich nicht zuzustimmen oder wi- dersprechen. Nimm einfach die Tatsache wahr.

Entweder handelt es sich um eine Tatsache oder nicht. Wie kannst du zwischen Übereinstimmung und Nicht-Übereinstimmung schwanken? Ent- weder behaupte ich etwas Unwahres oder ich stelle eine Tatsache fest. Nimm einfach die Tatsache auf. Die Vergangenheit ist dahin — du bist kein Kind mehr und auch kein junger Mann. Die Vergangenheit ist vorbei. Laß das Vergangene vergangen sein. Das meint Jesus, wenn er sagt: »Laß die Toten ihre Toten begraben!« Laß das Gewesene gewesen sein und sieh, was jetzt ist.

Nun darf man allerdings eins nicht vergessen, und zwar, daß man sich auf die Vergangenheit eines Menschen, der ständig in der Vergangenheit lebt, keineswegs verlassen kann. Denn, zum Beispiel heute, gerade jetzt, spreche ich zu euch, das ist die Gegenwart. Morgen ist es zur Vergangen- heit geworden und dann denkst du darüber nach, welche schönen Worte Bhagwan gestern gesagt hat. Jetzt schau dir diese Dummheit an!

Da gibt es einen Arzt, der jeden Tag zu meinen Vorträgen kommt und andauernd Notizen macht. Als ich ihn fragte: »Was machst du denn da die

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ganze Zeit?« sagte er: »Ich mache mir Notizen, weil du so schöne Dinge sagst, an die ich mich später gern erinnern möchte.«

Aber du machst Notizen, während ich gerade spreche und so kann man sich nicht auf das Geschriebene verlassen, weil du mir nicht zuhören kannst, während du mit deinen Notizen beschäftigt bist. Dein Interesse an den Notizen zeigt nur, daß du zu sehr daran interessiert bist, die Gegenwart in Vergangenheit zu verwandeln — nur dann kannst du sie genießen.

Ja, solche Leute gibt es. Es gibt eine gewisse Kategorie von Menschen, die »Touristen« genannt werden. Sie leiden unter einer Art von Neurose. Sie fahren in den Himalaja und schauen sich die Berge überhaupt nicht an. Stattdessen drücken sie ständig auf den Auslöser ihrer Kameras, blicken auf ihre Landkarten und hören dem Fremdenführer zu. Am Himalaja ha- ben sie nicht das geringste Interesse. Und wenn du sie daraufhin an- sprichst, sagen sie: »Ja, wenn wir zu Hause gemütlich im Lehnstuhl sitzen, schauen wir uns das Fotoalbum an.«

Seid keine Touristen, das ist eine Art von Neurose. Sagt dem Frem- denführer, er soll still sein, wenn ihr vor dem Himalaja steht; alles, was er zu sagen hat, ist bedeutungslos. Betrachtet den Gourishankar, den Mount Everest und laßt eure Reisebegleiter schweigen. Seht ihn euch an, nehmt ihn in euch auf, begegnet ihm in seiner gewaltigen Schönheit. Laßt eure Kameras beiseite. Eine Kamera kann das Erlebnis nur verfälschen, und aus- serdem hält sie nur einen einzigen Aspekt fest, so daß sich nur ein winzi- ges Fenster öffnet. Der Himalaja in seiner ganzen Pracht steht vor euch und ihr geht daran vorbei. Und zu Hause denkt ihr dann mit Wehmut dar- an zurück, wie wunderschön der Himalaja doch war. Aber ihr wart nie da. Ihr wart mit euren Kameras beschäftigt, habt dem Fremdenführer zugehört, in Reisebüchern und Landkarten geblättert. Womöglich habt ihr mit Weh- mut an euer Zuhause gedacht, während ihr vor dem Himalaja standet.

Nein, ich kann dir nicht abnehmen, daß du eine echte Vergangenheit hast. Deine Vergangenheit ist nicht nur vergangen, sondern auch als solche nicht echt, denn wie kannst du eine Vergangenheit haben, die der Realität entspricht, solange du nicht im Moment leben kannst? Man kann sich noch nicht einmal auf deine Erinnerungen verlassen! Lebe erst einmal in der Ge- genwart, laß dich von der vollen Wucht der Gegenwart treffen, nur dann hat deine Vergangenheit etwas von einer wahren Erinnerung. Andernfalls

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ist dein Gedächtnis unzuverlässig. Du bildest dir wahrscheinlich nur etwas ein, du spinnst deine Vergangenheit aus. Sei hier bei mir, während ich zu dir spreche. Sei in Poona, solange du in Poona bist. Es gibt nämlich immer diese Leute; während sie in Poona sind, denken sie an Philadelphia und wenn sie in Philadelphia sind, denken sie an Poona, und auf diese Weise verfälschen sie immer alles.

»Wenn Nostalgie nur ein Trick des Egos ist, was es zweifellos sein muß, warum erlebt man es als ein so gutes, warmes Gefühl?«

Das liegt daran, daß du nicht weißt, wie du hier und jetzt warmherzig und gut sein kannst. Hier und jetzt bist du kalt und eingefroren wie ein Eis- block, darum fahndest du nach warmen Erinnerungen. Du bist wirklich arm dran. Du tust mir leid.

»Wie kann der Teufel so süß sein?« Der Teufel ist immer süß. Gott zeigt auch hin und wieder einmal seine

bittere Seite, aber der Teufel kommt immer zuckersüß daher. Er muß süß sein, wie kann er dich sonst verführen? Er kann sich keine Bitterkeit leisten, er muß dir unentwegt Honig um den Bart schmieren.

»... oder meine Gefühle unwirklich?« Ich sage nicht, daß deine Gefühle unwirklich sind, ich sage, daß Ge-

fühle nur in der Gegenwart existieren. Tatsache ist, daß das Wort »fühlen« keine Vergangenheitsform kennt.

Was die Grammatik und die Sprachlehrer sagen, weiß ich nicht; ich sage dir, das Wort »fühlen« hat keine Vergangenheit, weil es einfach keine ha- ben kann. »Fühlen« bedeutet, hier und jetzt zu fühlen.

Denken ist immer mit der Vergangenheit verknüpft. Denken hat keine Gegenwartsform. Du kannst das Hier und Jetzt nicht denken. Sowie du denkst, hast du den Faden verloren, du hast den Kontakt mit der Gegen- wart verloren. Gefühle sind immer in der Gegenwart, Gedanken immer in der Vergangenheit. Probiere es aus. Ich stelle eine Tatsache fest. Du mußt es einfach nur ausprobieren. Wenn du denkst, dann immer an etwas Ver- gangenes oder an etwas noch nicht Vorhandenes und beides existiert nicht. Denken ist nichts Existentielles. Wenn du jemanden liebst, fühlst du die Liebe hier und jetzt. Wie kannst du heute das Gefühl haben, das du ge- stern hattest? Du denkst an das Gefühl von gestern, aber du fühlst es nicht. Und zu denken, daß du fühlst, ist nicht Fühlen, sondern Denken. Es ist ei-

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ne Täuschung.

Und dann: »Wenn meine Gefühle unwirklich sein sollten — was bleibt dann übrig?«

Ich behaupte nicht, daß deine Gefühle unwirklich sind, ich sage, daß du unwirklich bist. Und wenn du nicht mehr übrig bleibst, bleibt nur noch Gott. Gott kennt nur die Gegenwart. Er kennt keine Vergangenheit und keine Zukunft. Gott ist immer nur.

Du kannst keinen Satz mit »Gott war« bilden, das ergibt keinen Sinn. Genausowenig kannst du sagen, »Gott wird sein«, das ergibt ebenfalls kei- nen Sinn, Gott ist immer und ewig da. Gott ist Sein, die absolute Gegen- wart.

Wenn »du« nicht da bist ... Und »du« bist nichts, als deine Vergangen- heit — was bist du anderes, als deine gesammelten Erinnerungen? Leg dei- ne Vergangenheit ab und du bist nicht mehr. Das »Ich« ist nur ein Sammel- begriff für deine gesammelte Vergangenheit und wenn du nicht mehr in der Vergangenheit lebst, beginnst du ein Ich-loses Leben. Dann stirbst du für die Vergangenheit von Augenblick zu Augenblick, du läßt sie immer wie- der los und bist in jedem Moment neu, taufrisch und unberührt.

In dieser Unberührtheit lebst du Gott.

Ein Soldat kehrte unvermutet auf Kurzurlaub nach Hause zurück. Ein paar Minuten später, als er schon mit seiner Frau im Bett lag, klopfte der Hausmeister an die Tür.

»Oh Gott«, schrie er und sprang hastig aus dem Bett, »dein Mann!«

»Kein Grund zur Aufregung«, winkte seine Frau müde ab, »mein Mann ist in Deutschland.«

Habt ihr's. Beide haben die Gegenwart aus den Augen verloren. Der Soldat kommt auf Kurzurlaub nach Hause und der Hausmeister klopft an die Tür. Da muß er natürlich Angst bekommen haben, so wie in anderen Häusern, mit anderen Ehefrauen. Plötzlich springt er aus dem Bett und ruft: »Oh Gott, dein Mann!« Und er ist ihr Mann! »Kein Grund zur Aufre- gung«, sagt seine Frau, »mein Mann ist in Deutschland.« Sie muß auch mit anderen Männern geschlafen haben. Also leben beide in der Vergangen- heit.

Die Leute sind sich der Gegenwart überhaupt nicht bewußt. Die Leute

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sind niemals in der Gegenwart, und auf diese Weise verpassen sie Gott, denn Gott ist die Gegenwart.

In der Gegenwart zu sein, bedeutet, in Meditation zu sein. Das ist es, was »Meditation« heißt. In der Gegenwart zu sein, bedeutet, daß man be- tet.

Die letzte Frage:

Hin und wieder betrachte ich mir die Schüler, die dir sehr nahe stehen, wie den langen Engländer mit dem traurigen Gesicht, der immer mit Trauerstimme die Sutras vorliest. Der Junge lächelt nie und läßt keinen Moment locker. Werden alle Leute in deiner nächsten Nähe so ernsthaft?

Ich selbst bin nicht ernst, muß also für ein gewisses Gleichgewicht sor- gen. Teertha stellt das Gleichgewicht her. Er muß absichtlich so ernst sein, denn wenn der Meister komisch ist, müssen die Schüler ernst bleiben.

Du kannst Narendra, einen unserer Sannyasins, fragen. Sein Vater ist ein großartiger Mann, wenn auch seit dreißig oder vierzig Jahren etwas verrückt. Seine eigenen Kinder, kleine Kinder, müssen auf ihn aufpassen, weil er stiehlt wie ein Rabe Er nimmt das Geld aus der Ladenkasse und ver- schwindet. Hmm? Der Vater. Also müssen die Kleinen im Laden sitzen und aufpassen. Wenn der Vater stiehlt, müssen die Kinder auf ihn aufpas- sen. Normalerweise ist es umgekehrt: der Vater paßt auf, und die Kinder klauen.

So ist es auch hier. Der Meister ist unernst, also müssen die Jungen ernsthaft sein. Das hält die Sache im Gleichgewicht. Teertha ist in Wirklich- keit nicht ernst, er muß nur seine Pflicht erfüllen.

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Aber du brauchst dich nicht um andere zu sorgen. Das ist unhöflich und tut dir gar nicht gut. Es ist ungehörig, unmenschlich. Du solltest dich nicht um andere kümmern. Was hast du damit zu tun? Und wer bist du, daß du wissen willst, was andere tun sollen? Schau, allein die Idee, daß du das Recht hast, anderen vorzuschreiben, wie sie sich zu benehmen haben, zeugt von politischen Ambitionen. Du willst die Macht an dich reißen, an- dere zu unterdrücken.

Du sagst: »Hin und wieder betrachte ich mir die Schüler, die dir sehr nahestehen ...«

Du vergeudest deine Zeit! Schau dich selbst an. Die Zeit ist knapp; du kannst dir sowas nicht leisten. Das Leben ist kurz und es muß noch viel ge- tan werden. Vergeude keine Zeit, denn Gott wird dich am Ende nicht fra- gen, warum Teertha so ernst war.

Danach fragt er dich nicht, denn das hat nichts mit dir zu tun. Wenn er die Antwort wissen will, fragt er Teertha. Dich fragt er nach deinem Leben und dann kannst du nicht sagen: »Ich kann dir nicht antworten, weil ich mein ganzes Leben damit verschwendet habe, das Treiben anderer Leute zu verfolgen.«

»Der Junge lächelt nie und läßt keinen Moment locker.« Doch — manchmal kommt es vor, daß das Lächeln verschwindet, ge- rade, weil man locker läßt. Wenn das Lächeln erzwungen und aufgesetzt war, verschwindet es, wenn man sich entspannt. Es ist nicht gesagt, daß du anfängst zu lächeln, wenn du locker läßt. Es kommt darauf an — man- che Leute fangen an zu weinen, wenn sie sich entspannen, Leute, die vor- her vielleicht viel gelacht haben. Jetzt lassen sie los und fangen an zu wei- nen. Jemand, der immer sehr, sehr liebenswürdig war und süß gelächelt hat, wird plötzlich todernst.

Da gibt es keine Regeln. Wenn das Lächeln falsch war, kann man nicht mehr lächeln, wenn man locker läßt. Wenn die Zuckersüße aufgesetzt war, kann man nicht mehr süß sein. Wenn die Sanftheit und Höflichkeit nur Heuchelei waren, kann man nicht mehr höflich sein, wenn man sich entspannt. Es kommt ganz darauf an.

Also es ist nicht unbedingt nowendig, daß jemand, der locker läßt, auch lächelt. Diese Vorstellungen, wie jeder zu sein hat, sind einfach Un-

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sinn. Wenn ich sage, laßt locker, dann meine ich einfach, seid natürlich. Wenn jemand so angelegt ist, daß er durch Natürlichkeit ernsthaft wird, ist es vollkommen in Ordnung. Dann schreibe ihm bitte nicht vor, daß er la- chen soll. Wozu das? Wer bist du denn? Du läßt deinen Mitmenschen an- scheinend nie irgendwelche Freiheit. Einmal sagst du, sie sollen ernsthaft sein und nicht lachen und dann gehst du wieder zum anderen Extrem und sagst: »So, jetzt darf niemand mehr ernst sein — lacht!« Beides ist verkehrt. Laß dem anderen sein So-Sein. Wenn es seiner Natur entspricht, ernst zu sein, wunderbar. Schließlich kann nicht die ganze Menschheit lachen.

Überall auf der Welt herrscht ein ganz bestimmtes Gleichgewicht. So, wie die eine Hälfte der Menschheit männlich ist und die andere weiblich, die eine Hälfte introvertiert und die andere extrovertiert, die eine Hälfte der Menschen Willenskraft haben und die andere eine ausgeprägte Fähigkeit zur Hingabe, genauso lacht die eine Hälfte der Menschheit, wenn sie sich entspannt und die andere wird ernsthaft. Darin liegt das Gleichgewicht. Die Welt befindet sich in einem vollkommenen Gleichgewicht.

Aber ich habe das Gefühl, daß der Fragesteller selbst unter Ernsthaftig- keit leidet. Warum sollte er sich sonst Gedanken über so etwas machen? Du kannst doch einfach lachen, ohne dich von Teerthas Ernsthaftigkeit ab- halten zu lassen! Er hindert dich jedenfalls nicht daran.

Wenn du dich von einer ernsten Person irgendwie daran gehindert fühlst, lustig zu sein, bedeutet das nur, daß du unbewußt selbst ein ernster Mensch bist. Du findest also nur Mittel und Wege, hier selbst ernst zu wer- den. Und dafür suchst du dir eine intellektuelle Ausrede. Wenn ich dich jetzt in deinem Denken bestätige, daß alle Leute, die mir nahe stehen, ernsthaft werden, hast du eine gute Ausrede, ebenfalls ernsthaft zu wer- den, um mir auf diese Weise nahezukommen. Du versuchst nur, dein Ver- halten zu rationalisieren. Es ist deine Ansicht, und deine Ansicht sagt etwas über dich aus.

Ich habe eine Anekdote über den Galaabend gehört, an dem der große Zauberer Houndini zum ersten Mal den Trick vorführte, bei dem er ein Dutzend Nähnadeln und einen Faden in den Mund nahm und sie alle fein säuberlich eingefädelt wieder zum Vorschein brachte.

»Ich bitte einen Herrn aus dem Publikum, die Nadeln und den Fa- den zu untersuchen, und mir dann in den Mund zu sehen, um sicher- zustellen, daß ich dort nichts verborgen habe,« erklärte Houdini.

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Ein kleiner, ältlicher Mann kam auf die Bühne und beäugte Houdi- nis Plomben mit ausgesprocheren Gründlichkeit.

»Nun«, sagte Houndini schließlich. »Sie treiben die Spannung auf den Höhepunkt! Verraten Sie dem Publikum, was sie sehen!«

»Paradentose« sagte der ältere Herr.

Das war ein Zahnarzt. Wenn man etwas über andere sagt, sagt man et- was über sich selbst.

Kümmere dich nie um andere Leute. Mein ganzes Streben hier ist, euch absolute Freiheit zu geben; die Freiheit so zu sein, wie ihr in Wirklich- keit seid. Ernsthaftigkeit kann auch schön sein, wenn sie natürlich ist. Dann blüht man eben dadurch auf. Eine Welt, in der alle nur lachen und nie- mand ernst ist, wäre eine oberflächliche Welt, ohne jede Tiefe. Lachen hat eine eigene Schönheit, ein eigenes Erblühen, aber Ernsthaftigkeit ...

Wenn ich sage, seid nicht ernst, dann meine ich, seid nicht unnatürlich ernst. Wenn ich sage, lacht, ist damit nicht gemeint, daß ihr überall ohne jeden Grund lachen sollt. Wenn ich sage, lacht, dann meine ich, laßt das Lachen zu, das in euch ist. Wenn es hochkommen will, dann unterdrückt es nicht — und dasselbe gilt für die Ernsthaftigkeit; wenn Ernsthaftigkeit dich als ein natürliches Klima umgibt und du dich gut dabei fühlst, dann ist es absolut richtig. Dann mach dir keine Sorgen darüber.

Vergiß nicht, das Unnatürliche muß verschwinden und dem Natürli- chen muß Raum zur Entfaltung gegeben werden. Wenn du auf diese Welt gekommen bist, um ein ernstes Lied zu singen, dann sing ein ernstes Lied. Wenn du hier bist, um zu tanzen und zu lachen, dann lache, dann tanze. Das ist deine Bestimmung auf Erden.

Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Mensch muß auf seinem eige- nen Weg zu Gott gehen. Zwing deinen Stil nie einem ändern auf, das ist gewalttätig.

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RAJNEESH MEDITATIONS-ZENTREN, ASHRAMS UND KOMMUNEN

Es folgt eine Liste der Rajneesh-Neo-Sannyas Ahsrams und Kommunen, der Sie die Adresse des Ihnen am nächsten gelegenen Zentrums entnehmen können. Dort erfahren Sie auch, wo Sie Bücher von Bhagwan Shree Rajneesh auf englisch oder in fremd- sprachigen Ausgaben bekommen können. Allgemeine Informa- tionen sind bei der Rajneesh Foundation International in Rajneeshpuram, Oregon, erhältlich.

AMERIKA

USA: RAJNEESH FOUNDATION INTERNATIONAL P.O.Box 9, Rajneeshpuram, OR 97741 Tel.:(503)489-3301 UTSAVA RAJNEESH MEDITATION CENTER 20062 Laguna Cayon Rd., Laguna Beach, CA 92651 Tel.:(714)497-4877

CANADA: SHANTI SADAN RAJNEESH MEDITATION CENTER 1817 Rosemont, Montreal, Quebec H 2 G l S 5 Tel.:(514)272-4566

BRASILIEN: UDGITI RAJNEESH MEDITATIONS CENTER R. Macaubal 7, Sumare, 01256 Sao Paulo

AFRIKA

PREETAM RAJNEESH MEDITATION CENTER Spring Valley Estate, P.O.Box 10256, Nairobi, Kenya Tel.: 582 093

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ASIEN INDIEN: RAJ YOGA RAJNEESH MEDITATION CENTER C5/44 Safdarjang Development Area, New Delhi 100 016, Tel.: 654 533 RAJNEESHDHAM NEO-SANNYAS COMMUNE 17 Koregaon Park, Poona 411 001, MS, Tel.: 28 127

JAPAN: SHANTIYUGA RAJNEESH MEDITATION CENTER Sky Mansions 2 F, l- 34 - l Okayama, Meguro-ku, Tokyo Tel.: (03) 724-9631

AUSTRALIEN

MESTO RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE 4 A Ormond St., Paddington, NSW 2021, Tel.: (02) 336 570 SAHAJAM RAJNEESH NEO-SANNYAS ASHRAM 6 Collie Street, Fremantle, 6160, W. A., Tel.: (09) 336 - 2422

EUROPA NIEDERLANDE: DE STAD RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Prinsengracht 719, 1017 JW Amsterdam, Tel.: 020 - 22 12 96

SCHWEIZ: KOTA RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Baumackerstraße 42, 8050 Zürich, Tel.: 01 - 31 21 600

WESTDEUTSCHLAND: BAILE RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Karolinenstraße 7-9, 2000 Hamburg 6, Tel.: 040 - 43 21 40 DÖRFCHEN RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Kurfürstendamm 102, 1000 Berlin 31, Tel.: 030 - 32 00 07 25/26 RAJNEESH BYEN NEO-SANNYAS COMMUNE Klenzestraße 41, 8000 München 5, Tel.: 089 - 26 90 77 RAJNEESH STADEN NEO-SANNYAS COMMUNE Kartäuserstraße 96, 7800 Freiburg, Tel.: 0761 - 31 402 WIES RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Schloßstraße 60 A, 7000 Stuttgart l, Tel.: 0711 - 61 05 71 WIOSKA RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Venloer Straße 5/7, 5000 Köln l, Tel.: 0221 - 57 40 730/31

Page 322: Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Ekstase - Die Vergessene Sprache (1980, 323 S., Text)

Bhagwan über Zen. Ein außergewöhnlich schön gestaltetes Buch mit vielen Fotos, japanischen Kalligraphien und Tuschzeichnungen. Zweifarbendruck. Englische Broschur. 380 Seiten, 14,4x23,5 cm.

Verlag Brigitte Maier (Ehem. Ki-Buch) Oranienstr. 24 • 1000 Berlin 36 • Tel. 030/652898

Page 323: Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Ekstase - Die Vergessene Sprache (1980, 323 S., Text)

>Religion ist die Wissenschaft der Wiederentdeckung der vergessenen Sprache der Ekstase. Immer, wenn du im Einklang mit der Existenz bist, bist du ekstatisch, du wirst mit Seligkeit erfüllt und fühlst dich begnadet. Das geschieht auch dir manchmal. Vielleicht bist du dir dessen gar nicht bewußt. Manchmal, wenn du die Bäume anschaust, erfüllt dich ihr Grün, auf einmal bistdu im Einklang mitden Bäumen. Du bistnichtlän- ger der Betrachter, und die Bäume sind nicht länger das Betrachtete. Du bist nicht getrennt. Etwas verbin- det dich, plötzlich ist ein Kontakt entstanden, eine Verbundenheit, eine Brücke. Der Verstand hört auf zu plappern; du bist so still wie die Bäume und fängst an, wirklich zu fühlen. Dein Herz pulsiert mit neuer Leben- digkeit und einer neuen Schwingung und du bist selig. Du bist vollkommen zufrieden und erfüllte.<

Bhagwan Shree Rajneesh

ISBN 3-922389-O5-8