Ost und West, Nord und Süd: Zur räumlichen Verteilung und theoretischen Erklärung der...

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ABHANDLUNG Berlin J Soziol (2013) 23:441–470 DOI 10.1007/s11609-013-0228-1 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Elektronisches zusätzliches Material: Die Online-Version dieses Artikels (doi: 10.1007/s11609-013-0228-1) enthält zusätzliches Material, welches für autorisierte Benutzer zugänglich ist. H. Thome () Südwestkorso 75/1, 12161 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Stahlschmidt Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Statistik, Humboldt-Universität zu Berlin, Spandauer Str. 1, 10178 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] Ost und West, Nord und Süd: Zur räumlichen Verteilung und theoretischen Erklärung der Gewaltkriminalität in Deutschland Helmut Thome · Stephan Stahlschmidt Zusammenfassung: Die vorliegende Studie knüpft an langjährige Diskussionen über die regio- nale Verteilung der Gewaltkriminalität an und konzentriert sich dabei auf die Häufigkeitsziffern der Körperverletzungs- und Raubdelikte in den Jahren 2005–2007, die für alle 413 Stadt- und Landkreise Deutschlands aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zur Verfügung stehen. Die Variation der Belastungsniveaus ist innerhalb der Großregionen (Nord, Süd, Ost) auf Kreisebene erheblich stärker ausgeprägt als zwischen ihnen. Neben Standard-Variablen kriminalsoziologi- scher Aggregatdatenanalysen – wie Urbanisierungsgrad und relative Armut – wird ein neu konst- ruierter Faktor „desintegrativer Individualismus“ eingesetzt, dem eine beachtliche Erklärungskraft zugeschrieben werden kann. Er belegt ein kriminogenes Potenzial bestimmter Strukturelemente der Wissensgesellschaft und der Bildungsexpansion. Neben der üblichen Regressionsanalyse wer- den spezifische Verfahren der räumlichen Analyse (spatial error models) eingesetzt. Schlüsselwörter: Gewaltkriminalität · Desintegrativer Individualismus · Räumliche Datenanalyse East and West, North and South: Spatial distribution and theoretical explanations of violent crime in Germany Abstract: The research reported here follows up on the long-standing discussion concerning the regional distribution of violent crime in Germany. It focuses on assault and robbery rates reported by the official German crime statistics for the years 2005–2007 in each of the 413 communal dis- tricts (“Kreise”). The discussions commonly contrast the eastern region (till 1990 the territory of

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AbhAndlung

Berlin J Soziol (2013) 23:441–470DOI 10.1007/s11609-013-0228-1

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Elektronisches zusätzliches Material: Die Online-Version dieses Artikels (doi: 10.1007/s11609-013-0228-1) enthält zusätzliches Material, welches für autorisierte Benutzer zugänglich ist.H. Thome ()Südwestkorso 75/1, 12161 Berlin, DeutschlandE-Mail: [email protected]

S. Stahlschmidt Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Statistik, Humboldt-Universität zu Berlin, Spandauer Str. 1, 10178 Berlin, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Ost und West, Nord und Süd: Zur räumlichen Verteilung und theoretischen Erklärung der Gewaltkriminalität in Deutschland

Helmut Thome · Stephan Stahlschmidt

Zusammenfassung: Die vorliegende Studie knüpft an langjährige Diskussionen über die regio-nale Verteilung der Gewaltkriminalität an und konzentriert sich dabei auf die Häufigkeitsziffern der Körperverletzungs- und Raubdelikte in den Jahren 2005–2007, die für alle 413 Stadt- und Landkreise Deutschlands aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zur Verfügung stehen. Die Variation der Belastungsniveaus ist innerhalb der Großregionen (Nord, Süd, Ost) auf Kreisebene erheblich stärker ausgeprägt als zwischen ihnen. Neben Standard-Variablen kriminalsoziologi-scher Aggregatdatenanalysen – wie Urbanisierungsgrad und relative Armut – wird ein neu konst-ruierter Faktor „desintegrativer Individualismus“ eingesetzt, dem eine beachtliche Erklärungskraft zugeschrieben werden kann. Er belegt ein kriminogenes Potenzial bestimmter Strukturelemente der Wissensgesellschaft und der Bildungsexpansion. Neben der üblichen Regressionsanalyse wer-den spezifische Verfahren der räumlichen Analyse (spatial error models) eingesetzt.

Schlüsselwörter: Gewaltkriminalität · Desintegrativer Individualismus · Räumliche Datenanalyse

East and West, North and South: Spatial distribution and theoretical explanations of violent crime in Germany

Abstract: The research reported here follows up on the long-standing discussion concerning the regional distribution of violent crime in Germany. It focuses on assault and robbery rates reported by the official German crime statistics for the years 2005–2007 in each of the 413 communal dis-tricts (“Kreise”). The discussions commonly contrast the eastern region (till 1990 the territory of

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the communist ruled “German Democratic Republic”) with the northern and the southern region of the (now) western part of the “Federal Republic of Germany”. It becomes obvious, however, that crime rates vary much more within than between these regions. More than half of the over-all variation can be explained by two composite measures of relative deprivation and the level of urbanization. A number of additional variables have been tested for their explanatory power, including a newly constructed measure of disintegrative individualism. It successfully identi-fies a specific criminogenic potential associated with certain structural elements of a developing “knowledge society” and the rapid expansion of higher education. Apart from ordinary regression analyses various techniques of spatial data analysis have also been applied.

Keywords: Violent crime · Disintegrative individualism · Spatial data analysis

Est-Ouest, Nord-Sud: Sur la géographie et l’explication théorique de la criminalité violente en Allemagne

Résumé: La présente étude, qui s’inscrit dans le débat de longue date sur la répartition de la criminalité violente entre les régions, se concentre sur la fréquence des délits de coups et bles-sures et de vol avec violence pendant la période 2005–2007 telle que ressortant des statistiques criminelles de la police pour l’ensemble des 413 arrondissements urbains et ruraux d’Allemagne. Le taux de criminalité varie plus fortement entre les arrondissements d’une même grande région (Nord, Sud, Est) qu’entre celles-ci. Parallèlement aux variables standard d’analyse de données agrégées utilisées en sociologie criminelle telles que le taux d’urbanisation et de pauvreté rela-tive, cet article introduit un nouveau facteur, «l’individualisme désintégrateur», auquel on peut attribuer un pouvoir explicatif considérable. Cet indicateur met en évidence le potentiel crimino-gène de certains éléments structurels de la société de la connaissance et de la démocratisation de l’enseignement. Outre les méthodes de régression habituelles, des procédés spécifiques d’analyse spatiale (spatial error models) sont utilisés.

Mots-clés: Criminalité violente · Individualisme désintégrateur · Analyse de données spatiales

1 Einleitung

Die regional unterschiedlich ausgeprägte Kriminalitätsbelastung in Deutschland ist in den Medien und in kriminologischen Studien schon häufig erörtert worden. Vor kurzem haben Steven F. Messner et al. (2013) eine Analyse der räumlichen Verteilung von Kör-perverletzungs- und Raubdelikten in Deutschland für die Jahre 2005 bis 2007 vorgelegt. Dabei stützen sich die Autoren erstmals auf Daten, die über die Polizeiliche Kriminal-statistik (PKS) für die über 400 Stadt- und Landkreise der „alten“ und „neuen“ Bundes-länder (ABL, NBL) verfügbar sind. Wir knüpfen an diese Studie an, erweitern aber die theoriegeleiteten Fragestellungen und somit auch das statistische Erklärungsmodell um den Faktor „desintegrativer Individualismus“, den wir in neuer Weise interpretieren und operationalisieren. Dabei wird ein kriminogenes Potenzial aufgedeckt, das mit Struktur-elementen der Wissensgesellschaft und der Bildungsexpansion empirisch verbunden ist. Außerdem stellen wir die zeitliche Entwicklung der instabilen regionalen Differenzen detaillierter dar und prüfen eingehender, in welchem Maße sich diese Differenzen verrin-gern bzw. verschieben, wenn bestimmte Einflussgrößen (insbesondere Urbanisierungs-grad und relative Deprivation) „konstant“ gehalten werden.

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Abschnitt 2 führt in das Thema ein und präsentiert entsprechende Befunde aus frü-heren Studien sowie Daten der PKS. In Abschn. 3 stellen wir die Erklärungsmodelle einiger Studien vor, die das Kriminalitätsaufkommen in unterschiedlichen Regionen auf Kreis- oder Gemeindeebene untersucht haben; daran anknüpfend skizzieren wir den Erklärungsansatz, dem wir in unserer eigenen Analyse folgen. Abschnitt 4 stellt die hier-für herangezogenen Daten und Variablen vor, Abschn. 5 erläutert Schritt für Schritt die entsprechenden Analysen und Befunde, mit denen wir verschiedene Erklärungsmodelle exploriert und getestet haben. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Einsichten und offen gebliebenen Fragen erfolgt in Abschn. 6. Die Grundzüge der statistischen Methodik räumlicher Analysen („spatial data analysis“) werden im Anhang zur Online-Version des Artikels kurz skizziert.

2 Überblick über bisherige Befunde zu Ost-West- und Nord-Süd-Differenzen in der Kriminalitätsbelastung

Die Wiedervereinigung Deutschlands gab Anlass für zahlreiche Studien, mit denen die Kriminalitätsbelastung in den alten und neuen Bundesländern vergleichend untersucht wurde (siehe insbesondere die Sammelbände von Kury et al. 1992; Boers et al. 1997). Hans-Jürgen Kerner resümiert die Ergebnisse dieser Bemühungen wie folgt: „In zusam-menfassender Würdigung erscheint es nicht überzogen, davon auszugehen, daß die Kri-minalitätsbelastung der DDR im potentiellen Hellfeld, also unter analoger Zählung und Gewichtung nach BRD-Verhältnissen, gegen Ende ihrer Existenz ungefähr die Hälfte der Kriminalitätsbelastung in der alten Bundesrepublik betrug.“ (Kerner 1997, S. 347, vgl. auch S. 355) Anomietheoretischen Erwägungen zufolge sollten die tiefgreifenden Ver-änderungen in den wirtschaftlichen und politischen Strukturen, aber auch in den privaten Lebensverhältnissen der Menschen in den NBL zu einem erheblichen Anstieg der Kri-minalitätsraten geführt haben. Günter Gutsche (1997, S. 72) kommt jedoch bei der Ana-lyse entsprechender Daten zu dem Ergebnis: „Einen besonderen Einfluß von speziellen Umbruchsproblemen oder überhaupt von sozialen Problemsituationen auf die Devianz-bereitschaft konnten wir nicht feststellen.“ Die Eingliederung der neuen Bundesländer in die Ordnungssysteme der alten Bundesrepublik war demzufolge in deutlich geringerem Maße (wenn überhaupt) mit anomieträchtigen Erfahrungen verbunden, als dies in den Transformationsprozessen osteuropäischer Länder der Fall war und zum Teil noch ist (siehe hierzu den knappen Überblick in Kury 2004; für eine neuere Studie siehe Zhao und Cao 2010). Allerdings weist Kerner auch auf Ost-West-Differenzen innerhalb Deutsch-lands hin, in denen sich mit der Umbruchssituation verbundene Anomie-Erfahrungen spiegeln könnten: In den 1995 registrierten Delinquenzraten männlicher Tatverdächtiger unter 25 Jahre zeichneten sich „erstmals kategorial höhere Belastungen im Osten ab, und dies bei einer ganzen Reihe von schweren Delikten, wie gefährliche und schwere Körper-verletzung, Raub und Erpressung, oder auch Einbruchdiebstahl“ (Kerner 1997, S. 365).

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) sind für verschiedene Deliktkategorien folgende Entwicklungstendenzen erkennbar: Bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten (einschließlich der Körperverletzungen mit Todesfolge) übersteigt 1993 die östliche Häu-figkeitsziffer (HZ) die westliche; sie springt 1995 auf einen Wert von etwa 7,6; sinkt

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dann aber bis 1998 auf das westdeutsche Niveau; auf beiden Seiten stabilisiert sich der zunächst noch leicht abfallende Trend ab 2005 bei einer Häufigkeitsziffer von etwa 3 Fällen pro 100.000 Einwohner (Heinz 2011, S. 7). Bei den gefährlichen bzw. schweren Körperverletzungsdelikten ergibt sich ein etwas anderes Bild. Zwar steigt auch hier die HZ im Osten zunächst stark an, erreicht zwischen 1996 und 1998 beinahe das westdeut-sche Niveau, setzt danach aber den Aufwärtstrend weniger steil fort; 2007 werden Häu-figkeitsziffern von ca. 190 im Westen und ca. 160 im Osten registriert, danach gehen die Zahlen auf beiden Seiten leicht zurück (ebd., S. 25). Bei den leichten Körperverletzungen übersteigen die für die NBL ab 1993 registrierten Häufigkeitsziffern die für die ABL aus-gewiesenen zunächst erheblich (1996 sind es rund 350 Fälle im Osten, 250 im Westen). Danach schwächt sich der Aufwärtstrend in den NBL – wiederum anders als in den ABL – ab, sodass nach 2003 das östliche Deliktniveau zunehmend unter das westliche fällt (ebd., S. 28). Bei den Raubdelikten ist in den ABL ein ziemlich kontinuierlicher Anstieg bis zum Jahre 1997 (HZ = 85) zu verzeichnen; danach setzt eine Abwärtsbewegung ein.1 Die Häufigkeitsziffer liegt in den NBL zwischen 1993 und 1996 über dem westlichen Niveau; der dann folgende Abwärtstrend führt bis 2004 steiler nach unten als in den ABL; im Jahre 2009 liegt die östliche HZ um mehr als zehn Punkte unter der westlichen, die leicht über der 60-Punkte-Marke liegt (ebd., S. 22).

Kommen wir nun kurz zum Nord-Süd-Vergleich, zunächst auf der Basis von Opfer-befragungen. Helmut Kury (1997) wertet die Ergebnisse der besonders umfangreichen Opferbefragung des Jahres 1995 als tendenzielle Bestätigung der Befunde aus früheren Befragungen:2 Für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden bei den Kontaktdelikten (aber nicht nur dort) höhere Viktimisierungsraten ausgewiesen als für Baden-Württemberg und Bayern. Eine 1990 durchgeführte Befragung belegt ebenso wie die PKS ein Nord-Süd-Gefälle auch für die östlichen Bundesländer, nicht nur bei den Kontaktdelikten (Kury et al. 1995). Bei der Suche nach Erklärungen registrieren die Autoren ein Nord-Süd-Gefälle (im Osten wie im Westen) auch bei verschiedenen Wohlstandsindikatoren und der jeweils gegebenen Bevölkerungs- und Beschäftigungs-struktur. Sie knüpfen dabei an ein Gutachten an, das Jürgen Friedrichs (1993) für die Staatskanzlei Schleswig-Holstein angefertigt hat. Das (laut PKS) durchschnittlich beson-ders hohe Belastungsniveau Schleswig-Holsteins erklärt Friedrichs (sehr vorsichtig, siehe die Zusammenfassung auf S. 158–161) mit a) der „relativ schlechten ökonomischen Position des Landes“, b) mit einem „relativ hohen Grad der individuellen Anomie“, den er anhand von Umfragedaten ermittelt, aus denen er Indikatoren bildet, die er aus einer umfassenden und sehr innovativen Interpretation anomietheoretischer Konzepte herleitet.

1 Diese Trendkehre könnte u. a. dadurch zustande gekommen sein, dass sich ein Teil der Berei-cherungsdelikte ins Internet verschoben hat.

2 Zu einem hiervon abweichenden Ergebnis kommen Wetzels und Pfeiffer (1996). Auf der Basis einer im Jahre 1992 durchgeführten Opferbefragung in den ABL mit fast 9.000 Responden-ten finden die Autoren bei den Gewaltdelikten keine signifikanten Unterschiede zwischen den nördlichen, den mittleren und den südlichen Bundesländern. Bei den schweren Gewaltdelikten registrieren sie für Schleswig-Holstein sogar eine besonders niedrige Belastungsquote, die mit 2,9 % signifikant geringer ist als die Belastungsquoten in Baden-Württemberg mit 5,1 % und in Bayern mit 6,6 % (S. 10 f.).

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Trotz aller zeitlichen Variationen weisen die PKS-Daten auch relativ stabile Differen-zen auf Länderebene aus. So wird seit Mitte der 1990er Jahre für Sachsen ein besonders niedriges Belastungsniveau bei der Gewaltkriminalität registriert (bei den Raubdelikten trifft dies auch für Thüringen zu). In den ABL gilt dies für eine noch weiter zurückrei-chende Zeit in ähnlicher Weise für Bayern und Baden-Württemberg. Tabelle 1 zeigt für das Jahr 2006 (dem mittleren Jahr unserer Untersuchungsperiode) in der jeweils ersten Zeile die Häufigkeitsziffern (pro 100.000 Einwohner) im Vergleich der drei Großregio-nen: „Osten“ (die NBL, ohne und mit Berlin), „Süden“ (Baden-Württemberg, Bayern) und „Nord-Westen“ (die nicht-südlichen ABL).3 Da wir in unseren Regressionsanalysen (siehe unten, Abschn. 5) die Kreise unabhängig von ihrer Einwohnerzahl als gleichge-wichtige Fälle (Wirkungskomplexe) behandeln, haben wir auch auf Kreisebene die HZ errechnet; das daraus sich ergebende arithmetische Mittel ist für die jeweilige Region in der zweiten Zeile notiert.

Die größten (proportionalen) Unterschiede gibt es bei den Raubdelikten; die HZ für den „Nord-Westen“ (76) ist fast dreimal so hoch wie die für den Süden (26). Auch bei den (zusammengefassten) leichten und schweren/gefährlichen Körperverletzungen liegt die „nördliche“ HZ mit 656 deutlich über der HZ für den Süden (506) und den Osten ohne Berlin (541). Die HZ für den Osten ohne Berlin steigt aber von 541 auf 587, wenn man Sachsen (mit der besonders niedrigen HZ = 445) aus der Berechnung herausnimmt. Aller-dings wird auch für Hessen mit 474 Fällen in dieser Deliktgruppe eine HZ registriert, die (anders als bei den Raubdelikten) etwas unterhalb der HZ des Südens liegt. Bei den Raub-delikten liegt Thüringen mit einer HZ = 39 noch weiter unter dem Durchschnitt der NBL als Sachsen (HZ = 44). Bei beiden Deliktkategorien sind die überdurchschnittlich hohen Häufigkeitsziffern (HZ > 600 bei Körperverletzung; HZ > 80 bei Raub) im Norden, Wes-ten und Osten konzentriert (siehe die entsprechenden Grafiken in Messner et al. 2013). Vor allem bei den KV-Delikten sind jedoch die Binnenvariationen auf Kreisebene in allen drei Großregionen deutlich stärker ausgeprägt als die Unterschiede zwischen ihnen. Bei

3 Die Zahlen beruhen auf eigenen Berechnungen auf Basis der länderspezifischen Daten, wie sie die PKS für das Jahr 2006 ausweist (Online-Zugang über das Bundeskriminalamt).

Tab. 1: Häufigkeitsziffern für Raub- und KörperverletzungsdelikteRegion Raubdelikte KV-DelikteNord-Westen insgesamtKreisdurchschnitt

7661

656662

Süden insgesamtKreisdurchschnitt

2623

506550

Osten ohne Berlin insgesamtKreisdurchschnitt

5656

541602

Osten mit Berlin insgesamtKreisdurchschnitt

9258

685610

Bundesrepublik insgesamtKreisdurchschnitt

6547

620613

Zeile 1: berechnet pro 100.000 Einwohner in der gesamten RegionZeile 2: arithmetisches Mittel der HZ aller Kreise innerhalb der Region

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unserer weitergehenden Analyse auf der Ebene der Kreisdaten werden wir den Vergleich zwischen den Großregionen dennoch mitlaufen lassen, um prüfen zu können, inwieweit die Differenzen auch auf dieser Ebene durch spezifische Einflussgrößen erklärt werden können.

3 Erklärungsmodelle: Standardkonzepte und neue Vorschläge

Soweit uns bekannt, ist die Studie von Messner et al. (2013) bisher die einzige, die Kri-minalitätsdaten auf der Ebene aller 413 Stadt- und Landkreise in Deutschland regional vergleichend mit Mitteln der analytischen Statistik untersucht hat. Im Bereich einzelner oder mehrerer Bundesländer sind Kreis- und Gemeindedaten aber schon in früheren Stu-dien analysiert worden; allerdings nicht unbedingt mit dem Ziel, räumliche Verteilungen zu identifizieren, sondern Standardkonzepte aus der Kriminalsoziologie hinsichtlich ihrer Erklärungskraft in diesen Kontexten zu überprüfen. Bekannt geworden sind hier insbe-sondere die Arbeiten von Friedrichs (1985, 1993) und Thomas Ohlemacher (1995). In jüngerer Zeit haben vor allem Thiess Büttner und Hannes Spengler (2002) sowie Diet-rich Oberwittler und Dominik Gerstner (2011) beachtenswerte Analysen vorgelegt, die räumliche Verteilungen berücksichtigen. Wir möchten hier nur kurz auf die Studie von Oberwittler und Gerstner eingehen, die sich auf Kreise und Gemeinden Baden-Würt-tembergs konzentriert. Aus 23 Indikatoren extrahieren die Autoren auf dem Wege einer rein explorativen Hauptkomponentenanalyse drei „Faktoren“ im Sinne bipolarer Skalen. Der erste Faktor („Urbanität“) polarisiert städtische und ländliche Siedlungsstrukturen sowie – in einigen Aspekten – das damit verbundene Maß an sozialer Heterogenität (wie ethnische Zusammensetzung, Anteil der Sozialhilfeempfänger). Der zweite Faktor reprä-sentiert das Maß „bürgerlichen Wohlstands“, eine Verbindung recht unterschiedlicher Komponenten, deren korrelativer Zusammenhang in Baden-Württemberg (vermutlich auch in Bayern) mit seinem stark vertretenen Mittelstand enger ausgeprägt sein dürfte als in anderen Regionen. Hier gehen u. a. zusammen: die Höhe der Lohn- bzw. Einkommens-steuer pro Einwohner, der Anteil der FDP-Wähler, der Anteil der Beschäftigten mit Hoch-schulabschluss sowie der Anteil der Mütter über 35 Jahre. Den dritten Faktor bezeichnen die Autoren mit „Universitätsstädte vs. Familienorte“; er soll unterschiedliche Lebens-stile repräsentieren, wie sie für akademische Milieus einerseits und familienzentrierte Sozialmilieus andererseits charakteristisch sind. Indikatoren sind hier z. B. „Linke“- und „Grüne“-Wähler; der Anteil der Grundschüler, die zum Gymnasium wechseln; der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Indikatoren, die mit entgegengesetztem Vor-zeichen auf diesem Faktor „laden“, sind die Fertilitätsrate und die Anzahl der Personen je Wohnung. Mit Hilfe dieser drei Faktoren (und ihrer Wechselwirkungen, „Interaktionen“) können die Autoren einen hohen Anteil der Varianz der Raubdelikte (R2 = 0,816) wie auch der Gewaltkriminalität (einschließlich leichter Körperverletzungsdelikte, R2 = 0,750) erklären. Dabei erweisen sich der Urbanitätsgrad (1. Faktor) sowie – erstaunlicherweise – der akademische Lebensstil (3. Faktor) als Gewalt fördernd, bürgerlicher Wohlstand (2. Faktor) dagegen als Gewalt mindernd. Bei der theoretischen Deutung ihrer Untersu-chungsergebnisse stützen sich die Autoren vor allem auf den „Routine-Activity-Ansatz“ sowie verschiedene Varianten der Theorie sozialer Desorganisation. Sie weisen aber auch

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auf die begrenzten Möglichkeiten theoretischer Interpretation hin: „Es ist auf höheren räumlichen Ebenen schwieriger festzulegen, welche Indikatoren eher dem Desorganisa-tionsansatz oder den Gelegenheitsstrukturen zuzuordnen sind“ (Oberwittler und Gerstner 2011, S. 8); deren jeweilige Einflüsse können schon deshalb nicht klar und vollständig voneinander getrennt werden. Das gilt mehr oder weniger auch für andere theoretische Ansätze.

Wir halten es zudem für problematisch, die Konstruktion der Faktoren allein einer Hauptkomponentenanalyse zu überlassen, in die man einen ziemlich bunten Satz von Sozialindikatoren eingibt, die nicht theoretisch vorsortiert sind. Gerade bei Sozialindika-toren implizieren starke korrelative Zusammenhänge nicht unbedingt die Zugehörigkeit der entsprechenden Indikatoren zum gleichen theoretischen Konstrukt (siehe hierzu Sam-pson 2006). In unserer eigenen Studie folgen wir deshalb einer anderen Strategie, indem wir, wie bereits erwähnt, an die Studie von Messner et al. (2013) anknüpfen. Die beiden zentralen Erklärungsfaktoren, die Messner und seine Kollegen dabei heranziehen, sind zum einen der Urbanitätsgrad und zum anderen der Grad an (relativer) „Deprivation“, die das jeweils gegebene Maß an relativer Armut bzw. Wohlstand indizieren. Diese Fak-toren ähneln stark den beiden ersten Faktoren in der Arbeit von Oberwittler und Gerstner (2011), beruhen aber auf einer deutlich geringeren Zahl von Indikatoren, die zudem nicht aus einer größeren Menge von Variablen per Hauptkomponentenanalyse nach rein statis-tischen Kriterien extrahiert, sondern aus theoretischen Erwägungen ausgewählt und dann per Hauptkomponentenanalyse lediglich auf ihre (mutmaßliche) Eindimensionalität hin überprüft wurden.

In unserer nachfolgenden Untersuchung modifizieren wir beide Faktoren (siehe unten), führen aber vor allem (neben einigen Kontrollvariablen, die auch Messner et al. 2013 berücksichtigen) einen dritten (neuen) Faktor ein, der strukturelle Merkmale eines desintegrativen Individualismus repräsentieren soll. Dieses Konzept ist vom Erstautor in mehreren Arbeiten entwickelt worden (siehe Thome 2007, 2010b) und kann hier nur in seinen groben Umrissen skizziert werden. Ausgangspunkt ist der Versuch, eine lang-fristig rekonstruierbare, aber in die Gegenwart hineinführende Tendenz der historischen Entwicklung der Gewaltkriminalität (also der interpersonellen Gewalt) zu erklären: den starken – durchaus diskontinuierlichen, aber dennoch persistenten – Rückgang der Homi-zidraten in zentraleuropäischen Regionen seit Beginn der Neuzeit bis Mitte des 20. Jahr-hunderts und deren neuerlichen Anstieg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (siehe Eisner 2003); ein noch stärkerer Anstieg vollzog sich seitdem bei den Körperverletzungs- und Raubdelikten (siehe Thome und Birkel 2007).4 Diese Entwicklungstendenzen lassen sich mithilfe eines von Emile Durkheim inspirierten Erklärungsmodells interpretieren, das u. a. die folgenden Hypothesen enthält: (1) Der langfristige Rückgang der interper-sonellen Gewalt verdankt sich nicht zuletzt der Erosion gewaltaffiner kollektivistischer Gesellschaftsformationen, in denen Ehrkonzepte mit rigiden sozialen Hierarchien ver-bunden waren und die Gemeinschaft (das „Kollektiv“) eine höhere Wertschätzung genoss als die Individuen, die Person an sich. (2) Die Erosion des Kollektivismus wirkt aber dauerhaft pazifizierend nur in dem Maße, wie der erstarkende Individualismus dem Ideal-

4 Zur kontroversen Diskussion über die anhaltende oder rückläufige Trendentwicklung seit den 1990er Jahren siehe z. B. Aebi und Linde (2010); Tseloni et al. (2010).

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typus des kooperativen Individualismus entspricht;5 in den letzten Jahrzehnten (seit den 1970er Jahren) haben sich die Gewichte jedoch zunehmend in Richtung eines desinteg-rativen Individualismus verschoben.

In diesem Konzept sind Elemente dessen verbunden, was Durkheim in den Begriffen des „egoistischen“ (bzw. „exzessiven“) Individualismus einerseits und der „chronischen Anomie“ andererseits erfasst hat (siehe Durkheim 1990, S. 289 ff.). Seine Bedeutungs-komponenten sind für verschiedene analytische Ebenen spezifiziert und enthalten u. a. folgende Annahmen: (1) Ökonomisches Wachstum und beruflicher Erfolg (gemessen an seinem finanziellen Ertrag) werden ein vorrangiges und kulturell legitimiertes Hand-lungsziel, das die moralische Bindung an Normen, die der Erreichung dieses Ziels hinder-lich sind, zurückdrängt und partiell erodieren lässt (vgl. Neckel 2008; Bröckling 2007). (2) Der alltägliche soziale austausch wird zunehmend durch eine eigennützige Haltung geprägt, die den anderen als Mittel zum Zweck (Erfolg, Prestige, Lebensgenuss) betrach-tet; die strategisch-instrumentelle Orientierung (im Habermas’schen Sinne) drängt – schon aus Gründen zunehmender Zeitknappheit – das verständigungsorientierte und Selbstauf-klärung suchende kommunikative Handeln zurück (vgl. das Konzept des „hierarchischen Selbstinteresses“ bei Hagan et al. 1998; Hadjar 2004; siehe auch Burkatzki 2007 sowie, zur längerfristigen Entwicklung der „self-interested values“, Halpern 2001). (3) Techno-logische Innovationen (vor allem bei den elektronischen Kommunikationsmitteln) und die Globalisierung der Märkte mindern die Effektivität und das Spektrum staatlicher Regulierungskompetenzen; im verschärften und zunehmend individualisierten Wettbe-werb nimmt die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zu; soziale Marginalisie-rungsprozesse und sozial-räumliche Segregation werden verstärkt.6 (4) Die Ungleichheit betrifft nicht nur die Verfügbarkeit legitimer, sondern auch die Verteilung der zugäng-lichen illegitimen Mittel: Niedriglöhner z. B. haben keine Chancen, über betrügerische Finanzmanipulationen zum Erfolg zu kommen; für Arme und sozial Ausgeschlossene sind die eigenen Körperkräfte und ihr gewalttätiger Einsatz als Mittel der Schambewälti-gung und Selbstbehauptung leichter zugänglich. (5) Je mehr die Ungleichheit zunimmt, desto eher wird sie „naturalisiert“ (Giesen 1987), wird den Verlierern ihre Erfolglosig-keit als natürliches Unvermögen oder als selbst verschuldetes Übel zugerechnet, werden ihnen Anerkennung und Wertschätzung entzogen. Die damit verbundenen Demütigungen sind ein starkes Motiv, Gewalt einzusetzen, um wenigstens darin Stärke und Überlegen-heit zu demonstrieren (Gilligan 2003; vgl. Heitmeyer 2012). Eine Überprüfung solcher Hypothesen stößt natürlich auf schwerwiegende Probleme der Operationalisierung: Mit

5 Darüber hinaus betont Durkheim die Rolle der Staatsbildungsprozesse, deren innergesellschaft-lich pazifizierende Wirkung sich allmählich mit der Herausbildung eines Gewaltmonopols entfaltet, das durch nicht-disponibles Recht domestiziert und durch demokratische Teilhabe schrittweise legitimiert wird.

6 Auch Neckel (2009, S. 117) weist auf die wachsende Bedeutung von Scham in der modernen Gesellschaft hin. Er sieht im Achtungsverlust, der mit der sozialen Degradierung verbunden ist, eine mögliche Quelle „existentieller Scham“ (ebd., S. 113). Zum Gewaltpotenzial von Scham-erfahrungen siehe Tangney (1995). Es liegen zudem mehrere Untersuchungen vor, die einen Zusammenhang zwischen instrumentalistischen Orientierungen und sozialer Ungleichheit auf der einen und Gewaltneigungen auf der anderen Seite belegen; siehe z. B. Jacobs und Carmi-chael (2002); Messner (2002); Pescosolido und Rubin (2000).

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welchen Daten lässt sich ein derart komplexes Konstrukt wie „desintegrativer Individua-lismus“ wenigstens in einigen seiner Komponenten empirisch erfassen?

Auf Kreisebene liegen, wie schon erwähnt, keine Daten vor, mit denen sich Wert-orientierungen, Handlungsdispositionen, Aspirationen, moralische Bindungen, Vertrau-ensbereitschaft und Selbstkontroll-Kapazitäten (Individualmerkmale) abbilden ließen. Strukturmerkmale stehen in den vom Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung zusammengestellten Datensätzen (siehe Abschn. 4) in beachtlichem Umfang zur Verfü-gung, freilich auch hier nur mit Lücken. So z. B. wird eine ganze Reihe von Indikatoren angeboten, mit denen sich auf Kreisebene das durchschnittliche Niveau ökonomischen Wohlstands (oder seines relativen Mangels) angeben lässt; es fehlen aber aussagekräftige Kennwerte zur Messung sozialer Ungleichheit und ihrer subjektiven Wahrnehmung; der Anteil der Sozialhilfeempfänger ist hierzu nicht geeignet, da er die über das Armuts-niveau hinausreichende Ungleichheit nicht erfasst. Dennoch lässt sich eine partielle Ope-rationalisierung des Konzepts „desintegrativer Individualismus“ versuchsweise wie folgt bewerkstelligen: Ausgangspunkt ist die oben skizzierte Hypothese, derzufolge sich die ökonomisch fortgeschrittenen Länder – auf unterschiedlichem Niveau und mit unter-schiedlichem Tempo – in eine Richtung entwickeln, die – wenn auch ungewollt – den definierenden Elementen eines desintegrativen Individualismus zunehmendes Gewicht verleiht. Dies führt zu der Frage, wie sich derzeit ablaufende Modernisierungsprozesse charakterisieren lassen. Allgemein akzeptiert ist die These, dass moderne Gesellschaften immer stärker die zentralen Bestimmungsmomente einer „Informations- und Wissensge-sellschaft“ ausbilden. Diese auch regional unterschiedlich ausgeprägte Entwicklungsten-denz kann auf Kreisebene ansatzweise mit zwei Indikatoren erfasst werden, die, für sich genommen, auf den ersten Blick noch kein kriminogenes Potenzial zu enthalten schei-nen: (a) dem Anteil der hochqualifiziert und sozialversicherungspflichtig Beschäftig-ten, gemessen an der Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, sowie (b) dem Anteil der Schüler, die ein Gymnasium besuchen, gemessen an der Gesamtzahl der Schüler. Wir werden aber im Folgenden argumentieren, dass die Bildungsexpansion den individualisierten Wettbewerb um berufliche Positionen und ökonomischen Erfolg in einer Weise verschärft, dass er einen desintegrativen (statt kooperativen) Individualismus befördert (oder, vorsichtiger ausgedrückt: befördern könnte). Unsere Analyse hat gezeigt, dass diese beiden Indikatoren empirisch eng verbunden sind mit zwei weiteren Indika-toren, die Wissensgesellschaften ebenfalls kennzeichnen (hinsichtlich der geforderten Mobilität und Flexibilität) und denen ein desintegratives Potenzial zukommen könnte: (c) dem Anteil der Zu- und Fortzügler an der jeweiligen Bevölkerung (residentielle Mobilität) und (d) dem Anteil der Ein-Personen-Haushalte innerhalb der erwerbsfähigen Jahrgänge. Zahlreiche kriminologische Studien haben residentielle Mobilität als Faktor identifiziert, der den sozialen Zusammenhalt mindert und Kriminalität begünstigt (siehe hierzu beispielsweise Sampson 2006; Sampson et al. 1999). Die korrelativen Zusam-menhänge zwischen den vier Indikatoren sind stark genug, um daraus einen gemeinsa-men (eindimensionalen) „Faktor“ bilden zu können (siehe Abschn. 4). In einem weiteren Schritt prüfen wir mit den Mitteln der Regressionsanalyse, ob diesem Faktor tatsächlich ein eigenständiger Beitrag zur Erklärung der Gewaltkriminalität zuzuschreiben ist.

Um einem eventuellen Missverständnis vorzubeugen, sei ausdrücklich darauf hinge-wiesen, dass wir nicht annehmen, Menschen mit hoher schulischer Bildung und/oder

450 H. Thome und S. Stahlschmidt

hoher beruflicher Qualifikation seien eher gewaltbereit als andere Personen. Wir inter-pretieren die soziale Verteilung von Bildung und beruflicher Qualifikation im Rahmen unserer Untersuchung nicht als Individualmerkmale (als solche liegen sie in den Daten auch gar nicht vor), sondern als (analytische) Kollektivmerkmale, die ein soziales Sys-tem kennzeichnen, in dem sie an der Ausbreitung eines desintegrativen Individualismus unmittelbar beteiligt oder mit anderen Faktoren korrelativ verbunden sind, die ihrerseits eine kausale Wirkkraft in dieser Richtung entfalten und somit – vermittelt über situative und dispositionale Merkmale, die hier nicht erfasst werden können – delinquentes Ver-halten, einschließlich krimineller Gewaltanwendung, wahrscheinlicher werden lassen.

Das anomische Potenzial expandierender Bildungsangebote ist von einzelnen Autoren schon seit Längerem bemerkt worden. So weist z. B. Friedrichs in dem oben erwähn-ten Gutachten darauf hin, „daß die Anreize zu sozialem Aufstieg aufgrund gestiegener Bildungschancen zu Wünschen geführt haben, denen kein angemessenes Angebot an entsprechenden Berufen gegenübersteht“ (Friedrichs 1993, S. 10). Die Bildungsexpan-sion treibt Individualisierungsprozesse voran, erhöht aber auch das individuell zurechen-bare Risiko des Scheiterns in einer verschärften Wettbewerbssituation, weshalb auch der Anreiz zum Einsatz illegitimer Mittel steigen dürfte. Friedrichs interpretiert diesen Sach-verhalt durchaus im Sinne eines desintegrativen Individualismus (ohne diesen Begriff zu verwenden): „Individualisierung heißt höhere Ansprüche, stärkeres Ausleben der Wünsche, weniger Rücksichtnahme auf andere/das Kollektiv. Wenn nun das individuelle Handeln, die individuelle Zielverfolgung zunehmen, steigt auch die Überzeugung, man habe ein Recht auf Zielverfolgung/Selbstverwirklichung. […] Wird dieser Anspruch ein-geschränkt, sei es durch den Staat oder andere Individuen, kommt es zu aggressiven Aus-einandersetzungen.“ (ebd., S. 91) Zudem stellt er fest: „Die Wettbewerbschancen eines steigenden Teils der Bevölkerung haben sich jedoch in den letzten Jahren dauerhaft ver-schlechtert; auf absehbare Zeit ist auch keine Veränderung zu erwarten.“ (ebd., S. 126) Der Tendenz nach werden diese Annahmen durch neuere bildungssoziologische Unter-suchungen bestätigt, z. B. in verschiedenen Beiträgen des Sammelbandes von Gudrun Quenzel und Klaus Hurrelmann (2010). Im Einleitungskapitel stellen die Herausgeber u. a. fest, zwar sei „die Gruppe derjenigen ohne Schul- oder Berufsabschluss heute so klein wie niemals zuvor in Deutschland“ (ebd., S. 11), dennoch sei auch „die Gruppe der ‚Bildungsverlierer‘ heute so groß […] wie niemals zuvor“, wobei die Autoren zu den „Bildungsverlierern“ nicht nur jene rechnen, die die angestrebten Bildungstitel nicht erreichen, sondern auch jene, die „Bildungstitel nicht in qualifikationsadäquate berufliche Positionen bzw. in entsprechende Status- und Einkommenschancen umsetzen können“ (ebd., S. 12). Zu den Konsequenzen gehörten mangelnde soziale Integration, geringere Lebenszufriedenheit, Entfremdungsgefühle und Identitätsstörungen, insbesondere bei Jugendlichen auch die Neigung zum „,männlichen‘ Risikoverhalten bei den Freizeitbe-schäftigungen bis zur erhöhten Gewaltbereitschaft und einer erhöhten Neigung zu krimi-nellen Handlungen“ (ebd., S. 21).

Mit der Bildungsexpansion vergrößert sich die Distanz zwischen den „Zurückgeblie-benen“ und den „Vorangekommenen“. Wer sich nicht mit Abitur und Hochschulstudium qualifiziert, bleibt zunehmend weiter zurück als in früheren Zeiten (siehe Solga 2002). Mit der ansteigenden Zahl formal hochqualifizierter Bewerber verschärft sich der Wett-bewerb um lukrative berufliche Positionen, deren Gehaltsspektrum sich erheblich ausge-

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 451

weitet hat und die zu erreichen zusätzliche, psychisch und sozial belastende Investitionen (neben Bildung) erfordert, insbesondere Zeit (Verfügbarkeit) und Mobilität (Dienstreisen, Wohnortwechsel). Diese Überlegungen haben uns dazu angeregt, die oben genannten vier Indikatoren zu einem Faktor zusammenzufassen und als Prädiktorvariable in unsere statistischen Erklärungsmodelle aufzunehmen – mit einem durchaus positiven Ergebnis (siehe Abschn. 5).

4 Daten und Methoden

Wir stützen unsere Untersuchung auf den Datensatz, der auch der Studie von Messner et al. (2013) zugrunde lag, von uns aber mit einigen Variablen ergänzt worden ist, um u. a. das im vorigen Abschnitt erläuterte Erklärungsmodell des desintegrativen Individua-lismus überprüfen zu können. Die in der PKS zusammengetragenen Häufigkeitszahlen für Raub- und für Körperverletzungsdelikte („leichte“ plus „schwere und gefährliche“) der Jahre 2005 bis 2007 sind über die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt zugänglich gemacht worden (PKS Schlüsselziffer für Raub: 210.000, für KV: 220.000). Sie stellen die abhängigen Variablen in unseren Analysemodellen dar. Die demografischen und sozio-ökonomischen Strukturindikatoren, aus denen wir die Prädiktor-Variablen (Einflussgrößen) für Regressionsanalysen konstruiert haben, entstammen, wenn nichts anderes erwähnt wird, der umfangreichen Datensammlung INKAR, die das Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Form von CD-Roms den Nutzern zur Ver-fügung stellt; die einzelnen Indikatoren sind dort mit ihren Definitionen und Herkunfts-quellen ausführlich dokumentiert. Die von uns herangezogenen Daten der Jahre 2005 bis 2007 gelten für die 413 Kreise, wie sie seit den Gebietsreformen in Sachsen-Anhalt (Juli 2007, Reduktion von 24 auf 14 Kreise) und Sachsen (August 2008, Reduktion von 29 auf 13 Kreise) bestehen; das BBSR hat die Daten für die neu definierten Kreisgebiete dementsprechend aktualisiert. Mit dem gleichen Berechnungsschlüssel wurden auch die PKS-Daten für diese Kreise neu kalkuliert.7 Folgende Variablen sind schrittweise in die Regressionsmodelle einbezogen worden, die im nächsten Abschnitt beschrieben werden.

(1) Die abhängigen Variablen, also die Häufigkeitszahlen (HZ) für Körperverletzungs- und Raubdelikte, weisen eine ausgeprägte rechtsschiefe Verteilung auf, sodass wir diese Werte – wie in kriminalsoziologischen Analysen üblich – logarithmiert haben (natürlicher Logarithmus e ≈ 2,718). Dies ist bei der Interpretation der Regressions-koeffizienten zu berücksichtigen. Wenn nur die abhängige Variable Y und (wie in unseren Modellen) nicht auch die unabhängige Variable X logarithmiert ist, gibt der (nicht-standardisierte) Steigungskoeffizient b indirekt an, um wie viel Prozent sich Y in seinem Niveau durchschnittlich verändert, wenn X um eine Skaleneinheit zu-nimmt; die Berechnungsformel lautet: Prozentzuwachs = (eb − 1) × 100.

7 Wir danken Robert Baller, der uns die entsprechenden Daten übermittelt hat. Für einige der Strukturvariablen stehen INKAR-Daten nur für ein einziges Jahr (2005, 2006 oder 2007) zur Verfügung; in den anderen Fällen wurde das arithmetische Mittel (errechnet aus zwei oder drei Jahreswerten) eingesetzt.

452 H. Thome und S. Stahlschmidt

(2) Die drei Großregionen werden mit Hilfe zweier Dummy-Variablen in die Analyse einbezogen: die Variable „Ost“ (sie weist allen 87 Kreisen der NBL den Wert „1“ zu, den anderen Kreisen den Wert „0“) und die Variable „Süd“ (mit „1“ kodiert für alle 140 Kreise Baden-Württembergs und Bayerns); Referenzkategorie ist somit die nordwestliche Region, die alle 186 Kreise der ABL außerhalb der beiden südlichen Flächenstaaten umfasst.

(3) Der Grad der Urbanität wird allgemein nach folgenden Kriterien ermittelt: die Zahl der Einwohner, die innerhalb einer kommunalen Einheit (hier Kreise) leben; die Be-völkerungsdichte (die gleiche Zahl von Einwohnern kann unterschiedlich eng zu-sammenwohnen); die ethnische und sozio-kulturelle Vielfalt, die mit der Abkehr von agrarwirtschaftlichen Lebensformen einhergeht. Wie in der Studie von Messner et al. (2013) operationalisieren wir dieses Konzept mit Hilfe eines Faktors, der per Hauptkomponentenanalyse aus vier Indikatoren konstruiert wird: die Bevölkerungs-größe (Zahl der registrierten Einwohner), die Bevölkerungsdichte (Einwohnerzahl pro qkm),8 Anteil der Beschäftigten im primären Sektor (mit negativem Ladungs-gewicht), Anteil der im Ausland Geborenen an der Gesamtbevölkerung. Der durch-schnittliche Ausländeranteil liegt im Osten (einschließlich Berlin) bei 2,43 % (mit einer Streuung von s = 1,72), im Westen bei 8,47 % (s = 4,26). Im Westen gibt es meh-rere Stadtkreise mit einem Ausländeranteil zwischen 25 und 30 %, im Osten ist Ber-lin mit einem Ausländeranteil von knapp 14 % einsamer Spitzenreiter (gefolgt von Leipzig mit 6,3 %). Es ist unwahrscheinlich, dass beispielsweise ein fünfprozentiger Ausländeranteil in den ABL das Gleiche bedeutet wie ein fünfprozentiger Ausländer-anteil in den NBL. Deshalb haben wir (anders als Messner et al.) die Anteilswerte ge-trennt, also mit den unterschiedlichen Mittelwerten und Standardabweichungen für die ABL und die NBL in Z-Werte transformiert. Der Eigenwert des Faktors „Urbani-tät“ steigt jedoch nur geringfügig von 2,51 auf 2,64 (entspricht einer Varianzbindung von 66 %); die Ladungsgewichte sind in ihrem Absolutbetrag für alle einbezogenen Variablen größer als 0,6; KMO = 0,75. Die Werte des Faktors sind mit einer Stan-dardabweichung von s = 1 um den Mittelwert 0 zentriert; das gilt auch für die beiden weiteren Faktoren.

(4) Der zweite Faktor, relative Deprivation, erfasst den Grad an relativer Armut bzw. Wohlstand: je höher die Werte, umso niedriger der Wohlstand. Er ist, wiederum mittels Hauptkomponentenanalyse, aus fünf Variablen gebildet worden. Vier davon übernehmen wir aus der Studie von Messner et al. (2013): (a) Arbeitslosenquote; (b) Anteil der Haushalte von Sozialhilfe-Empfängern (SGB-II-Quote); (c) Anteil der Haushalte, die Miet- oder Heizkostenzuschüsse erhalten; (d) das durchschnittliche Netto-Haushaltseinkommen (einschließlich Transfereinkommen) je Einwohner (mit negativem Vorzeichen). Die in der Studie von Messner et al. mit einbezogene Variable „Schulabgänger“ ersetzen wir durch die Schuldnerquote: den Anteil derjenigen Ein-wohner über 18 Jahre, die ihre Schulden wegen zu geringen Einkommens oder Ver-

8 Absolute Zahl und Dichte der Einwohnerschaft korrelieren nicht hoch miteinander (r = 0,46).

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 453

mögens auf absehbare Zeit nicht tilgen können.9 Dieser Indikator ist analytisch enger als die Schulabgängerquote mit der Wohlstandsdimension verbunden; außerdem ord-nen wir Bildungsindikatoren dem Faktor „desintegrativer Individualismus“ zu (siehe unten). Der Eigenwert des Deprivationsfaktors wird durch diese Korrektur wiederum nur minimal von 3,52 auf 3,59 erhöht (Varianzbindung 71,7 %, die Ladungsgewichte aller fünf Indikatoren sind im Absolutbetrag größer als 0,73; KMO = 0,71).

(5) Wie in Abschn. 3 erläutert, steht das Konstrukt des desintegrativen Individualismus, bzw. eine bestimmte Komponente dieses Konzepts, im Zentrum unserer theoreti-schen Fragestellung. Der entsprechende Faktor („DesintIndivid“) wird (wiederum per Hauptkomponentenanalyse) aus folgenden Indikatoren gebildet: (a) Anteil der Hoch-qualifizierten (mit mindestens Fachschulreife) unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, (b) Anteil der Gymnasialschüler, gemessen an der Gesamtschülerzahl, (c) Anteil der Zugezogenen plus Anteil der Fortgezogenen an der Gesamtbevölkerung (Binnenwanderungsvolumen, residentielle Mobilität), (d) Anteil der Ein-Personen-Haushalte, bereinigt um den Alterseffekt (also in Form der entsprechenden Residu-en mit dem Mittelwert Null).10 Für diesen Faktor ergeben sich folgende statistische Kennzahlen: Eigenwert = 2,64; Varianzbindung = 65 %; alle Ladungsgewichte sind größer als 0,76; KMO = 0,77.

(6) Außerdem berücksichtigen wir vier weitere Variablen, die in kriminalsoziologischen Untersuchungen schon häufig als relevante Einflussfaktoren eingeführt worden sind: (a) den Anteil der 15- bis 29-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, (b) den Anteil der Männer dieser Altersgruppe, alternativ auch der Gruppe der unter 25-Jährigen, im Vergleich zum Anteil der gleichaltrigen jungen Frauen (Sex-Ratio), (c) die Schei-dungsquote (Ehescheidungen je 1000 Einwohner über 18 Jahre), (d) den Pendlersaldo des Kreises (Differenz zwischen dem Anteil der beruflichen „Einpendler“ – gemessen an der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort – und dem Anteil der „Auspendler“ – gemessen an der Zahl der SV-Beschäftigten am Wohn-ort). Mit Ausnahme des Pendlersaldos interessieren uns diese Variablen hier nur als statistische Kontrollvariablen, deren theoretische Interpretierbarkeit wir offenlassen; sie werden lediglich eingeführt, um Effektstärken der theoretisch interessierenden Variablen (siehe die oben beschriebenen Faktoren) unabhängig von ihnen schätzen zu können. Der Pendlersaldo kann theoretisch in unterschiedlicher Weise gedeutet werden (auch als zusätzlicher Indikator für desintegrativen Individualismus), worauf wir bei der Ergebnisdarstellung (Abschn. 5) näher eingehen.

9 Die Daten hierzu entstammen dem „Schuldneratlas“ der Jahre 2006 und 2007, den die Creditreform-Tochterfirmen CEG Creditreform Consumer GmbH und microm Micromarke-ting-Systeme und Consult GmbH Neuss erstellt haben. Wir danken der Firma microm, die uns diesen Datensatz zur Verfügung gestellt hat. Die Daten (auch für folgende Jahre) sind außerdem im Internet verfügbar unter www.boniversum.de/schuldneratlas/gesamtberichte.

10 Der Anteil der Ein-Personen-Haushalte ist auf Kreisebene im INKAR-Datensatz nur bezogen auf die Gesamtbevölkerung gegeben. Deshalb haben wir diese Variable per Regressionsanalyse um den Alterseffekt (dem Anteil der Personen über 65 Jahre) „bereinigt“.

454 H. Thome und S. Stahlschmidt

Sämtliche Variablen (mit Ausnahme der Regional-Dummies) werden in Tab. 2 mit Angabe ihrer Mittelwerte und Standardabweichungen zusammengefasst.

Die Regressionsanalysen zur schrittweisen Überprüfung der Erklärungsmodelle wer-den zunächst nach dem üblichen Kleinstquadratverfahren (OLS) durchgeführt. Der Plot der (geschätzten) Residuen liefert keine Hinweise auf nicht-konstante Streuung oder sonstige Abweichungen von den unterstellten Modellannahmen. Mit Heteroskedastizi-tätsproblemen ist dennoch zu rechnen, weil die Kreisdaten auf stark unterschiedlichen Fallzahlen beruhen (siehe Fn. 19). Eine zentrale Voraussetzung des OLS-Verfahrens, nämlich die Unabhängigkeit der Residuen untereinander, kann allerdings nicht mithilfe

Arithmetisches Mittel Median SDAbhängige VariablenRaubdelikte (pro 100.000 Einwohner) 47,56 37,54 39,62LN (Raubdelikte) 3,56 3,63 0,79Körperverletzungsdelikte (pro 100.000 Einwohner)

613,10 558,89 240,43

LN (Körperverletzungsdelikte) 6,35 6,33 0,36Faktor UrbanitätBevölkerungsgröße 199.393,45 142.890,00 225.837,79Bevölkerungsdichte 523,15 201,33 671,17Anteil Beschäftigte im primären Sektor 3,08 2,70 2,33Ausländeranteil 7,20 6,37 4,58Faktor Relative DeprivationArbeitslosenquote 11,51 10,00 5,03SGB-II-Quote 10,56 9,40 5,84Anteil der Haushalte mit Miet- oder Heizkostenzuschuss

13,29 11,90 6,47

Durchschnittliche Haushaltseinkommen 1459,94 1453,50 194,21Schuldnerquote 10,33 10,32 2,91Faktor Desintegrativer IndividualismusAnteil der Hochqualifizierten 7,70 6,90 3,62Anteil der Gymnasialschüler 26,76 26,10 6,92Binnenwanderungsvolumen (pro 1000 Einwohner)

63,47 58,00 20,39

Anteil Ein-Personen-Haushalte (ohne Alterseffekt, Residuen)

0,00 − 0,75 3,35

KontrollvariablenAnteil der 15- bis 29-Jährigen 17,48 17,02 1,73Geschlechterverhältnis der 15- bis 29-Jährigen

95,61 95,85 2,57

Geschlechterverhältnis der 15- bis 24-Jährigen

105,81 106,17 6,94

Scheidungsquote (pro 1000 Einwohner) 2,30 2,29 0,39Pendlersaldo − 4,37 − 8,80 16,93

Tab. 2: Deskriptive Beschreibung der Variablen

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 455

der üblichen Residuenanalyse überprüft werden. Setzt sich die Stichprobe aus benach-barten Gebietseinheiten zusammen, muss man davon ausgehen, dass die („wahren“) Residuen nicht unabhängig voneinander realisiert werden. Im Modell spezifizierte und nicht spezifizierte Einflussgrößen können räumlich miteinander korrelieren; kriminogene Effekte, die sich in einer Gebietseinheit herausgebildet haben, können auf benachbarte Gebiete „überspringen“. Inzwischen liegen Test- und Schätzroutinen einer „spatial ana-lysis“ vor, die solche räumlichen Abhängigkeiten identifizieren und bei der Schätzung der Effektparameter berücksichtigen können. Dieses Modellierungsverfahren wird im Anhang zur Online-Version des Artikels kurz erläutert.

5 Datenanalyse und Modellentwicklung

Die schrittweise entwickelten Analysemodelle werden mit ihren jeweiligen Schätzergeb-nissen (Effektstärken der Prädiktor-Variablen) in den Tab. 3 (für KV-Delikte) und 4 (für Raubdelikte) dargestellt.11 Die den einzelnen Variablen in den Modellen 1 bis 5 jeweils zugeordneten Werte stellen (in dieser Reihenfolge) (a) den nicht-standardisierten Regres-sionskoeffizienten (b), (b) den für ihn ermittelten Standardfehler (in runden Klammern) sowie den standardisierten Regressionskoeffizienten Beta-Gewicht (β) (in eckigen Klam-mern) dar.12 In beiden Tabellen repräsentieren die ersten vier Spalten OLS-Modelle, wäh-rend Modell 5 aus der räumlichen Datenanalyse (siehe Anhang) hervorgegangen ist.13 Der Parameter Lambda ist ein Maß für die räumliche Abhängigkeit im Sinne autokorre-lierter Residualwerte unmittelbar benachbarter Kreise, während die Likelihood und vor allem Akaikes Informationskriterium (AIC) die Anpassungsgüte unter Einbeziehung der Modellkomplexität der einzelnen Modelle aufzeigen. Wie in Abschn. 4 erläutert, sind die abhängigen Variablen, also die Häufigkeitszahlen (HZ) für Körperverletzungs- und Raub-delikte, wegen ihrer ausgeprägt rechtsschiefen Verteilung logarithmiert worden.

Das jeweilige Modell 1 in den Tab. 3 und 4 enthält neben der Konstanten lediglich die beiden Regionaldummies als Regressor-Variablen. Dieses Modell beschreibt somit die Ausgangssituation der regional unterschiedlichen Belastungsniveaus, die bei den Körper-verletzungs- (KV-) und Raubdelikten vorliegen (vgl. Tab. 1). Die nicht-standardisierten Regressionskoeffizienten geben indirekt an, wie stark sich die Belastungsniveaus der Ost- und der Süd-Region von denen der Nordwest-Region prozentual unterscheiden (zur Umrechnung der nicht-standardisierten Koeffizienten in Prozentgrößen siehe die Erläu-terungen zu den abhängigen Variablen in Abschn. 3). Bei den KV-Delikten (siehe Tab. 3) zeigen sich relativ geringe Differenzen: Die östlichen Kreise weisen durchschnittlich ein

11 In die Tabellen werden (mit einer Ausnahme) nur Variablen aufgenommen, die sich als signi-fikant (p < 0,05) erwiesen haben.

12 Die standardisierten Koeffizienten sind im Falle von Dummy-Variablen nicht aussagekräftig und werden deshalb nicht dargestellt.

13 Die Parameter der OLS-Modelle basieren auf 411 Fällen, da bei der Konstruktion des Faktors „relative Deprivation“ (siehe oben) die Angaben zur Schuldnerquote für den Stadt- und den Landkreis Aachen fehlten. Bei der nachfolgenden räumlichen Analyse wurden die fehlenden Werte durch das arithmetische Mittel ersetzt.

456 H. Thome und S. Stahlschmidt

etwa um 5 % niedrigeres Belastungsniveau auf als die Kreise der nordwestlichen Region, die südlichen Kreise liegen immerhin 19 % darunter. Diese regionalen Differenzen reprä-sentieren aber laut R2 nur etwa 6 % der Gesamtvarianz der KV-Delikte, bezogen auf alle Kreise. Erheblich größer sind die regionalen Differenzen bei den Raubdelikten (siehe Modell 1 in Tab. 4); sie machen etwa 35 % der Gesamtvarianz aus. Dabei ist die Diffe-renz zwischen den nordwestlichen und den östlichen Bundesländern (− 4,6 %) wiederum sehr gering, während das durchschnittliche Belastungsniveau in Baden-Württemberg und Bayern 63 % niedriger liegt.

Inwieweit lassen sich die regionalen Differenzen auf Einflussgrößen zurückführen, wie sie oben in Abschn. 3 skizziert worden sind? Um diese Frage zu beantworten, betrachten

Tab. 3: Regressionsmodelle für KörperverletzungsdelikteModell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5

Konstante 6,433*** 6,423*** 6,431*** 6,230*** 6,459***Ost − 0,053

(0,046)−0,402*** (0,047)

− 0,422*** (0,044)

− 0,343*** (0,048)

− 0,305*** (0,059)

Süd − 0,212*** (0,039)

0,239*** (0,044)

0,189*** (0,041)

0,165*** (0,044)

0,107* (0,053)

Deprivation – 0,269*** (0,024) [0,741]

0,268*** (0,023) [0,738]

0,246*** (0,023) [0,676]

0,226*** (0,022) [0,623]

Depr*Süd – 0,240*** (0,046) [0,331]

0,196*** (0,044) [0,270]

0,166*** (0,044) [0,230]

0,186*** (0,039) [0,512]

Urbanität – 0,103*** (0,013) [0,285]

0,031* (0,016) [0,085]

– 0,068*** (0,016) [0,187]

DesintIndivid – – 0,122*** (0,015) [0,336]

0,097*** (0,017) [0,266]

0,089*** (0,017) [0,244]

DesintIndivid*Ost – – − 0,061 (0,034) [− 0,059]

− 0,074* (0,034) [− 0,071]

− 0,104*** (0,028) [− 0,285]

Pendlersaldo – – – 0,004** (0,001) [0,172]

0,003*** (0,001) [0,147]

Scheidungsquote – – – 0,087* (0,034) [0,095]

Lambda – – – – 0,630***Adj. R2 0,064 0,569 0,626 0,636 –Log Likelihood − 151,891 9,648 39,775 46,251 99,931AIC 311,783 − 5,297 − 61,551 − 72,50 − 177,86Standardfehler der Steigungskoeffizienten in runden Klammern; standardisierte Koeffizienten in eckigen Klammern*p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 457

wir zunächst die Effekte der beiden Standard-Faktoren „Urbanität“ und „relative Depri-vation“, die (in leicht veränderter Form) auch in der Studie von Messner et al. (2013) ein-gesetzt worden sind. Die unter „Modell 2“ in den Tab. 3 und 4 präsentierten Ergebnisse zeigen wie erwartet, dass die Häufigkeitsziffern der KV- und der Raubdelikte mit zuneh-mendem Urbanisierungsgrad und höherer „Deprivation“ ansteigen, wobei der Urbani-sierungsgrad bei den KV-Delikten – anders als bei den Raubdelikten – deutlich hinter der Einflussstärke des Deprivationsfaktors zurückbleibt. Es ist anzunehmen, dass die mit der Urbanisierung einhergehende geringere informale soziale Kontrolle und die besseren Gelegenheitsstrukturen, die die Städte im Vergleich zu den ländlichen Regionen bieten, Raubdelikte in besonderer Weise begünstigen. KV-Delikte sind von diesen Anreiz- und Gelegenheitsstrukturen in geringerem Maße abhängig; eine größere Rolle dürften hier

Tab. 4: Regressionsmodelle für RaubdelikteModell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5

Konstante 3,906*** 3,894*** 3,936*** 3,974*** 3,94***Ost − 0,047

(0,083)− 0,428*** (0,068)

− 0,484*** (0,066)

− 0,422*** (0,064)

− 0,225* (0,084)

Süd − 0,998*** (0,072)

− 0,463*** (0,063)

− 0,487*** (0,061)

− 0,655*** (0,046)

− 0,529*** (0,076)

Deprivation – 0,366*** (0,035) [0,463]

0,364*** (0,034) [0,462]

0,324*** (0,032) [0,410]

0,267*** (0,032) [0,336]

Depr*Süd – 0,162* (0,067) [0,102]

0,133* (0,064) [0,085]

– 0,148* (0,055) [0,187]

Urbanität – 0,464*** (0,023) [0,587]

0,337*** (0,032) [0,397]

0,278*** (0,031) [0,353]

0,347*** (0,035) [0,438]

(Urbanität)2 – − 0,040*** (0,007)[− 0,168]

− 0,031*** (0,013) [− 0,066]

− 0,016* (0,007) [− 0,066]

− 0,032*** (0,006) [− 0,040]

DesintIndivid – – 0,190*** (0,030) [0,241]

0,141*** (0,031) [0,179]

0,125** (0,029) [0,157]

(DesintIndivid)2 – – − 0,042*** (0,014) [− 0,090]

− 0,052*** (0,013) [− 0,113]

− 0,040*** (0,010) [− 0,051]

Pendlersaldo – – – 0,008*** (0,002) [0,182]

0,007*** (0,001) [0,160]

Lambda – – – – 0,630***Adj. R2 0,348 0,810 0,827 0,835 –Log Likelihood − 400,100 − 143,892 − 123,572 − 113,649 − 47,415AIC 808,200 303,785 267,145 247,30 118,83Standardfehler in runden Klammern; standardisierte Koeffizienten in eckigen Klammern*p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001

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anomische Effekte spielen, die aus prekären Lebenslagen und verschärften Wettbewerbs-situationen entstehen können.14 Für beide Prädiktorvariablen haben wir (per schrittweiser Regression) geprüft, ob signifikante Abweichungen von der Nicht-Linearität vorliegen, ob sie regional unterschiedliche Effekte aufweisen und ob sie sich in ihrer Wirkung auf die abhängigen Variablen wechselseitig beeinflussen. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass weder bei den KV- noch bei den Raubdelikten eine signifikante Wechselwirkung (Interaktion) zwischen den beiden Einflussfaktoren vorliegt. Anders als bei den KV-De-likten ist jedoch bei Raubdelikten eine Linearitätskorrektur des Urbanisierungseffekts angezeigt (siehe Urbanität2 in Tab. 4): Die Zunahme der logarithmierten Häufigkeits-zahlen für Raub wird mit steigendem Urbanisierungsgrad abgeschwächt (was nicht nur auf die Millionenstädte zurückzuführen ist). Für den Deprivationsfaktor ist eine solche Korrektur für keine der beiden Deliktkategorien angezeigt. Bezüglich der regionalspezi-fischen Effekte ist Folgendes zu beobachten: Die kriminogene Wirkung des Depriva-tionsfaktors ist in Baden-Württemberg und Bayern deutlich stärker ausgeprägt als in den beiden übrigen Großregionen, sowohl bei den KV- als auch bei den Raubdelikten (siehe die Einträge unter „Depr*Süd“ in den Tab. 3 und 4). Bei den KV-Delikten verdoppelt sich der Steigungskoeffizient nahezu (von b = 0,269 auf b = 0,269 + 0,240). Dies könnte darauf hinweisen, dass der in Süddeutschland besonders starke Wohlstandszuwachs der letzten beiden Jahrzehnte auch das Gewicht relativer Armut stärker hat ansteigen lassen.

Tendenziell lässt eine höhere Urbanisierung die KV-Delikte in den NBL in schwäche-rem Maße ansteigen als in den ABL15, dieser Effekt ist jedoch recht schwach und erhöht die Erklärungskraft des Gesamtmodells nicht signifikant, weshalb wir ihn hier nicht wei-ter berücksichtigen.

Ein Blick auf die Steigungskoeffizienten der Dummy-Variablen in Modell 2 zeigt, in welchem Maße die drei Großregionen sich in ihrer Belastung mit Raub- und KV-Delik-ten noch unterschieden, falls der Grad der Urbanisierung und der relativen Deprivation für alle Regionen auf den mittleren Skalenwert „0“ fixiert wäre. Bei den KV-Delikten läge unter dieser Bedingung die für die NBL (mit b = − 0,402) erwartete durchschnitt-liche Häufigkeitszahl um 33 % niedriger als in den nordwestlichen Regionen der ABL; Baden-Württemberg und Bayern lägen dagegen nicht mehr unter, sondern 27 % über deren Niveau (b = 0,239). Bei den Raubdelikten bliebe das Belastungsniveau in Baden-Württemberg und Bayern (mit b = − 0,463) das niedrigste, läge aber nur noch 37 (nicht mehr 63) % unterhalb des Niveaus der nordwestlichen Regionen, ganz in der Nähe der NBL mit einem Minus von 35 % (b = − 0,428). Im Grad der durchschnittlichen Urbanität unterscheiden sich die drei Großregionen nur geringfügig (in den NBL ist er am niedrigs-ten, im Nordwesten am höchsten), die regionale Zugehörigkeit „erklärt“ nur 1 % ihrer Gesamtvarianz. Erhebliche Unterschiede gibt es jedoch im Grad der relativen Armut, hier machen die regionalen Differenzen 65 % der Gesamtvarianz aus; das Deprivationsniveau

14 Hierzu passen die Befunde verschiedener empirischer Untersuchungen, über die Wilkinson und Pickett (2010, S. 135) berichten: „Homicides and assaults were most closely associated with income inequality, and robbery and rape less so“.

15 Hierbei könnte sich auswirken, dass es erklärtes Ziel der politischen Führung der DDR war, die politisch-kulturellen wie auch die ökonomisch-strukturellen Stadt-Land-Differenzen abzubauen (siehe Staritz 1996).

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 459

liegt in den NBL 1,4 Standardabweichungen über dem bundesdeutschen Durchschnitt, das der beiden südlichen Staaten 0,85 Standardabweichungen darunter.

Wir können die bisherigen Ergebnisse also wie folgt zusammenfassen: Dass die beiden südlichen Länder die niedrigsten Häufigkeitsziffern bei den KV-Delikten und (mit noch größerem Abstand) bei den Raubdelikten aufweisen, ist in diesem Ausmaß vor allem ihrem höheren Wohlstandsniveau und, im Vergleich zur Nordwest-Region, teilweise auch ihrer geringeren Urbanisierung zu verdanken. Allerdings bleibt bei den Raubdelikten das Belastungsniveau im Süden auch bei „Konstanthalten“ dieser beiden Faktoren deutlich niedriger als im Nordwesten. Die NBL, deren Häufigkeitsziffern in beiden Deliktkate-gorien faktisch nur wenig unter denen der nordwestlichen Bundesländer liegen, würden (bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen) diesen Abstand weiter nach unten vergrö-ßern, wenn ihr Wohlstandsniveau so hoch wäre wie im Westen.16 Zusätzliche Analysen innerhalb der NBL zeigen aber auch hier bei den Raubdelikten eine noch nicht erklärte Nord-Süd-Differenz mit einem geringeren Belastungsniveau in Sachsen und Thüringen.

Dass die Gewaltkriminalität mit einem höheren Urbanisierungsgrad ansteigt, ist in vielen kriminologischen Untersuchungen festgestellt worden (einen Überblick zu den empirischen Befunden und theoretischen Erklärungsansätzen geben McCall et al. 2010). Die längerfristige historische Entwicklung bietet jedoch ein differenzierteres Bild: In der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in vielen euro-päischen Regionen für die größeren Städte ein niedrigeres Gewaltniveau registriert als in ländlichen Gegenden (siehe Spierenburg 2008, S. 177; Eisner 1997, S. 54 ff.; Lehti 2001; Thome 2010a). Um den Richtungswechsel im Zusammenhang von Urbanisie-rungsgrad und Gewaltkriminalität zu verstehen, muss man ihn in einen umfassenderen Prozess historischer Entwicklung einordnen. Wie oben schon erwähnt, ist seit etwa dem 15. Jahrhundert in europäischen Regionen die individuelle, interpersonell ausgerichtete Gewaltausübung bis Mitte des 20. Jahrhunderts in erheblichem Maße zurückgegangen (mit Unterbrechungen und rückläufigen Bewegungen), danach aber wieder (vergleichs-weise moderat) angestiegen (für die empirischen Belege hierzu siehe Eisner 2003, 2008). Folgt man der Argumentation Durkheims, so lässt sich, wie in Abschn. 3 schon erwähnt, der Rückgang des interpersonellen (nicht des kollektiv ausgeübten oder zwischen-staatlichen) Gewaltniveaus nicht zuletzt mit der Erosion kollektivistisch ausgerichteter Gesellschaftsstrukturen erklären, die durch eine starre soziale Hierarchie und einen darin eingebundenen differenziellen Ehrenkodex gekennzeichnet waren. Es war also gerade die mit der Industrialisierung und Verstädterung vorangetriebene Individualisierung, die in dieser historischen Phase insgesamt (mit einigen Einschränkungen) den Rückgang dieser Form der Gewaltausübung längerfristig beförderte (argumentative Differenzierungen und empirische Belege hierzu bietet die Studie von Thome 2010a). Der neuerliche Anstieg der interpersonellen Gewalt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ver-suchsweise und in Fortführung der Durkheim’schen Überlegungen als Konsequenz eines rapiden sozialen Wandels und einer daraus hervorgehenden strukturellen Begünstigung desintegrativer (statt kooperativer) Formen des Individualismus erklären (siehe Thome 2007 sowie, mit umfangreichen empirischen Materialien, Thome und Birkel 2007). Dieser

16 In einem erweiterten Erklärungsmodell wären hier wohl auch die längerfristigen Wohlstands- bzw. Armutszuwächse zu berücksichtigen.

460 H. Thome und S. Stahlschmidt

Strukturwandel, so ist anzunehmen, vollzieht sich erneut rascher und stärker ausgeprägt in großstädtischen Kontexten, in denen nicht zuletzt aus diesem Grunde die Gewaltkrimi-nalität ein höheres Niveau erreicht als in ländlich und kleinstädtisch geprägten Räumen. Diese Hypothese wird durch unsere weiteren Untersuchungsergebnisse bestätigt.

In Modell 3 wird der oben erläuterte Faktor desintegrativer Individualismus („Desint-Individ“) als zusätzliche Prädiktor-Variable in die Regressionsanalyse einbezogen. Die drei Regionen unterscheiden sich nur sehr geringfügig im durchschnittlichen Niveau die-ser Form des Individualismus; in den NBL ist er etwas stärker ausgeprägt als in den ABL; sein Effekt auf die Körperverletzungsdelikte ist dort jedoch tendenziell geringer als im Westen (siehe die Einträge unter DesintIndivid*Ost, Tab. 3). Bleiben wir zunächst bei den KV-Delikten: Der Individualisierungsfaktor erhöht die Erklärungskraft des Modells von 57 auf 63 %. Bemerkenswerter ist, dass er den Urbanitätseffekt nahezu vollständig absorbiert (der nicht-standardisierte Steigungskoeffizient sinkt von 0,103 auf 0,031, das Beta-Gewicht von 0,285 auf 0,085). Da die beiden Faktoren immerhin mit r = 0,67 kor-relieren, liegt der Verdacht eines Multikollinearitätseffekts nahe. Beide Variablen weisen jedoch VIF-Werte kleiner als 2,2 auf, was gegen diesen Verdacht spricht; auch ist der Konditionsindex in beiden Fällen geringer als 5,2, und der Standardfehler des Urbani-tätsfaktors erhöht sich beim Übergang von Modell 2 zu Modell 3 nur geringfügig. Auch zusätzliche Analysen führen zu keinen Hinweisen, dass hier ein Scheineffekt vorliegt.

Die Modellschätzungen für die Raubdelikte (siehe Tab. 4, Modell 3) weisen in die gleiche Richtung. Auch hier zieht der Individualisierungsfaktor (mit leichter Linearitäts-korrektur, siehe DesintIndivid2) mit einem Gewicht von β = 0,241 einen signifikanten Teil des Einflussgewichts auf sich, das zuvor der Urbanisierungsvariablen zugeschrieben wurde, für die aber trotz der Minderung immer noch ein ähnlich starker Effekt wie für die Deprivationsvariable ausgewiesen wird. Die mit hoher Urbanität verbundenen Gelegen-heitsstrukturen zeigen hinsichtlich der Raubdelikte weiterhin einen starken Effekt, auch wenn die kriminogenen Potenziale des mit der Urbanität ebenfalls verbundenen desin-tegrativen Individualismus herauspartialisiert worden sind. Zwar ist anzunehmen, dass individualistische im Vergleich zu kollektivistischen Orientierungen dem instrumentalis-tischen Denken generell ein größeres Gewicht beimessen, dass aber der „desintegrative“ Individualismus – im Unterschied zum „kooperativen“ – ebenfalls (wenn auch in anderer Weise als der Kollektivismus) Statusdifferenzen betont und Verlierer ins Abseits stellt – ein Ort, an dem expressive Mittel der Selbstbehauptung (wie der körperliche Gewaltein-satz gegenüber anderen Personen) an Attraktivität gewinnen.

Unsere Interpretation des Individualisierungsfaktors wird durch folgende Beobachtun-gen weiter unterstützt: Die Variablen DesintIndivid und Bruttowertschöpfung korrelieren positiv miteinander, wenn auch nur schwach (r = 0,25). Obwohl eine steigende Wert-schöpfung die relative Deprivation generell mindert (r = − 0,49), korreliert sie bivariat mit der Häufigkeit der Körperverletzungsdelikte so gut wie gar nicht (r = − 0,065). Filtert man aber (per Regression) aus der Bruttowertschöpfung jenen Varianzanteil heraus, der sich auf den Individualisierungsfaktor zurückführen lässt, wird der Zusammenhang mit den Körperverletzungsdelikten statistisch signifikant negativ, auch wenn er weiterhin nur schwach ausgeprägt ist (r = − 0,21); Ähnliches gilt auch für die Raubdelikte. Das heißt, gestiegener Wohlstand (im Sinne der Bruttowertschöpfung) führt nur dann zu einem Absinken der Gewaltkriminalität, wenn er nicht mit einem Zuwachs an desintegrativem

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 461

Individualismus erkauft worden ist. Im Endeffekt scheint diese Form des Individualismus die relative Deprivation eher noch zu begünstigen (r = 0,19), beispielsweise durch eine Zunahme der Sozialhilfeempfänger (r = 0,24). Dies spricht für die Annahme, dass ein Anstieg des Bildungs- und Qualifikationsniveaus derzeit sowohl den Wohlstand als auch die Wohlstandsdifferenzen (die relative Armut) ansteigen lässt.17

Im letzten Schritt der Modellerweiterung berücksichtigen wir vier weitere Variablen, die in kriminalsoziologischen Untersuchungen häufig diskutiert worden sind und hier als zusätzliche Kontrollvariablen berücksichtigt werden sollen (siehe oben Abschn. 4, Ziff. 5). Betrachten wir zunächst den Einfluss dieser Variablen auf die KV-Delikte (siehe Tab. 3, Modell 4). Hier erweisen sich sowohl die Altersvariable (Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen) wie auch die Sex-Ratio dieser Altersgruppe als nicht-signi-fikant,18 auch dann nicht, wenn man einen multiplikativen Effekt der beiden Variablen mit einbezieht (sie tauchen deshalb in Tab. 3, Modell 4 nicht auf). Die (regional unspezi-fischen) positiven Effekte der Scheidungsquote und des Pendlersaldos überschreiten zwar die übliche Signifikanzgrenze, erhöhen die Erklärungskraft des Gesamtmodells aber nur um ein Prozent. Die Scheidungsquote dürfte als Indikator für geringen sozialen Zusam-menhalt zunehmend unbrauchbar werden, vor allem dann, wenn sie sich nicht auf die Zahl der geschlossenen (und dann aufgelösten) Ehen, sondern (wie hier) auf die Ein-wohnerzahl insgesamt bezieht. Die Zahl der Eheschließungen geht nun einmal zurück, der Anteil der nicht formalisierten Partnerschaften und der „Singles“ nimmt relativ zu. Bezeichnenderweise lässt sich die Scheidungsquote in dieser Form auch nicht in den Individualisierungsindex einbauen.

Bedeutsamer ist der „Pendlersaldo“ (mit β = 0,172). Er lässt sich möglicherweise als zusätzlicher Indikator für desintegrativen Individualismus interpretieren; er korreliert stark (r = 0,73) mit diesem Faktor und senkt dessen Beta-Gewicht entsprechend ab (von 0,336 auf 0,266). Baut man hingegen den Pendlersaldo in den Individualisierungsfaktor mit ein (was die Qualität des Faktors gemäß den statistischen Kennwerten noch leicht verbessert), erhöht sich dessen Beta-Gewicht von 0,27 auf 0,40; der Deprivationsfak-tor bleibt aber die stärkste Einflussgröße mit β = 0,71. In Anlehnung an Oberwittler und Gerstner (2011, S. 22) lässt sich der Pendlersaldo aber auch spezifischer als Indikator für den Grad der „Arbeitsplatzzentralität“ eines Kreises interpretieren: Je mehr die Zahl der Einpendler (für die der jeweilige Kreis Arbeitsort ist) die Zahl der Auspendler (für die der gleiche Kreis Wohnort ist) übersteigt, desto höher dürfte die Zahl potenzieller Täter und Opfer vor Ort sein. Der Effekt wäre auf Gemeindeebene sicherlich stärker, als er sich hier auf Kreisebene zeigt. Ob der Pendlersaldo eher Anreiz- bzw. Gelegenheits-effekte indiziert oder desintegrative Mobilitätserfordernisse repräsentiert, ließe sich wohl

17 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Ergebnis, das der von der Prognos AG und der AMB General Holding AG (2009, S. 23) auf der Basis von 44.000 Befragten sämtlicher Stadt- und Landkreise erstellte Engagementatlas 09 vorlegt: Der Anteil der Hochqualifizierten an allen Beschäftigten korreliert negativ (r = − 0,26) mit dem Anteil bürgerschaftlich Engagier-ter.

18 Das gilt unabhängig davon, ob man die Altersgrenze für diese Variable auf unter 25 oder auf unter 30 Jahre festlegt; bei den Raubdelikten ist es nicht anders.

462 H. Thome und S. Stahlschmidt

nur mit entsprechend differenzierten Individualdaten klären (die uns nicht zur Verfügung stehen).19

Wenden wir uns nun noch kurz den Raubdelikten zu (siehe Modell 4 in Tab. 4). Außer dem Pendlersaldo, der (mit β = 0,182) erneut einen relevanten Anteil der Effektstärke des Individualisierungsfaktors absorbiert, wird nun keiner der anderen Kontrollvariablen ein positiver Effekt zugeschrieben. Baut man den Pendlersaldo wiederum in diesen Faktor mit ein, erhöht sich dessen Beta-Koeffizient auf beachtliche 0,312 und erreicht damit fast die Stärke des Urbanisierungsfaktors; der Deprivationsfaktor (relative Armut) behält auch unter dieser Bedingung das stärkste Einflussgewicht. In Modell 3 waren die nega-tiven Steigungskoeffizienten und damit die im Vergleich zum Nordwesten niedrigeren Belastungsniveaus im „Osten“ und „Süden“ nahezu identisch; jetzt, unter zusätzlicher Kontrolle (Konstantsetzen) des (im Süden deutlich höheren) Pendlersaldos, bewegt sich das (unter diesen Bedingungen) erwartbare Belastungsniveau für Baden-Württemberg und Bayern wieder weiter nach unten (b = − 0,655). Die in Modell 4 verbliebenen regio-nalen Differenzen repräsentieren aber nur noch 13 % der Gesamtvarianz der Raubdelikte (verglichen mit nahezu 35 % in Modell 1), während Urbanisierung, Individualisierung und relative Armut gut 70 % der Gesamtvariation erklären.

Damit kommen wir zur „räumlichen“ Datenanalyse im technisch-statistischen Sinn. Die Ergebnisse der Lagrange-Multiplier-Tests sprechen sowohl bei den Raub- als auch bei den Körperverletzungsdelikten für die Wahl eines Fehler- statt eines Lag-Modells (siehe hierzu die im Anhang zum Online-Artikel gegebenen Erläuterungen). Modell 5 in Tab. 3 und 4 präsentiert die jeweiligen Schätzergebnisse für die beiden Deliktkategorien (gerechnet mit dem Programmsystem R).

In der räumlichen Datenanalyse wurden zunächst die Modellspezifikationen für beide abhängigen Variablen erneut überprüft (Signifikanz der Prädiktoren, lineare oder nicht-lineare, additive oder multiplikative Effekte). In das abschließende Erklärungsmodell für KV-Delikte (Tab. 3) wurde der Urbanitätsfaktor mit einem (schwach) signifikanten Bei-trag wieder aufgenommen; die Scheidungsrate dagegen erwies sich als nicht-signifikant und wurde ausgeschlossen. Die geschätzten Effektparameter der übrigen Prädiktoren verändern sich unter Berücksichtigung der räumlichen Fehler-Abhängigkeit nur gering-fügig. „Deprivation“ bleibt die mit Abstand erklärungskräftigste Variable (β = 0,623). In den ABL behält der Faktor „desintegrativer Individualismus“ ein stärkeres Beta-Gewicht (β = 0,244) als der Urbanisierungsgrad (β = 0,187), in den NBL wird dieser Effekt aller-dings auf Null reduziert. Bezieht man den Pendlersaldo in den Individualismus-Faktor mit ein, erhöht sich der standardisierte Steigungskoeffizient auf β = 0,361, und der Effekt bleibt in den NBL tendenziell positiv.

19 Der Breusch-Pagan-Test belegt Heteroskedastizität für Modell 4 bei den KV-, nicht aber bei den Raubdelikten. Folglich haben wir das KV-Modell mit sogenannten „robusten“ Schätzme-thoden überprüft, die aber nur zu sehr geringfügigen Abweichungen in den Schätzergebnissen führten. Der Interaktionseffekt DesintIndivid*Ost verfehlt nun erneut (wie schon in Modell 3) ganz knapp die Signifikanzgrenze von p ≤ 0,05. Eindeutig bestätigt wird die Nicht-Signifikanz von Urbanität. Da für die nachfolgende räumliche Datenanalyse keine Verfahren vorliegen, mit denen die Standardfehler hinsichtlich Heteroskedastizität robust geschätzt werden könnten, präsentieren wir in den Tab. 3 und 4 weiterhin die OLS-Ergebnisse (die, wie eben erläutert, von Heteroskedastizitätseffekten offenkundig nur minimal beeinflusst sind).

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 463

In das räumliche Fehler-Modell für Raubdelikte wurde die „Sex-Ratio“ (Bevölke-rungsanteil junger Männer im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil junger Frauen) als (formal) „signifikante“ weitere Prädiktor-Variable mit einbezogen – mit einer erwartungs-gemäß positiven, aber sehr geringen Effektstärke. Der Urbanisierungsgrad wird in diesem Modell wieder zum erklärungsstärksten Prädiktor (β = 0,438) vor der relativen Deprivation (β = 0,336), während für den Individualisierungsfaktor mit β = 0,157 ein etwas schwäche-rer Effekt als im OLS-Modell 4 ausgewiesen wird; anders als bei den KV-Delikten gilt er nun auch für die NBL. Die geschätzte Effektstärke dieses Faktors steigt erneut an, wenn der Pendlersaldo in ihn mit aufgenommen wird, statt als selbstständige Erklärungsvaria-ble zu fungieren. Die weiteren Kontrollvariablen (Scheidungsquote, Anteil Jugendlicher und junger Erwachsener, Sex-Ratio) erweisen sich als nicht-signifikant.

Die OLS-Modelle hatten gezeigt, dass sich die großregionalen Differenzen hinsicht-lich des Niveaus der Gewaltkriminalität verschieben und teilweise – wie im Fall der Raubdelikte – auch reduzieren, wenn das Niveau der Prädiktor-Variablen – vor allem das Wohlstands- bzw. Deprivationsniveau – rechnerisch konstant gehalten wird. Wenn die kleinräumigen Abhängigkeiten in der statistischen Analyse mit berücksichtigt werden, ist damit zu rechnen, dass die geschätzten regionalen Differenzen zurückgehen. Die in Modell 5 präsentierten Werte (die nicht-standardisierten Steigungskoeffizienten für „Ost“ und „Süd“) bestätigen diese Erwartung, wenn man sie mit den entsprechenden Koeffi-zienten in Modell 4 vergleicht. Vor allem bei den Raubdelikten (Tab. 4) nähert sich das niedrigere Belastungsniveau der NBL dem Belastungsniveau der nordwestlichen Bun-desländer (Referenzkategorie) deutlich an: Der nicht-standardisierte Steigungskoeffizi-ent steigt von b = − 0,422 auf b = − 0,225 (nur noch 20 % unter dem Nordwest-Niveau). Auch für die beiden südlichen Bundesländer vermindert sich der Abstand, bleibt aber mit b = − 0,529 immer noch beträchtlich (41 %) unter dem Nordwest-Niveau. Bei den Körper-verletzungsdelikten (Tab. 3) liegen dagegen die NBL (mit b = − 0,305) weiterhin deutlich (ca. 26 %) unter dem Belastungsniveau der nordwestlichen Bundesländer; Baden-Würt-temberg und Bayern rücken von der anderen Seite etwas näher an das durchschnittliche Belastungsniveau der nordwestlichen Bundesländer heran, bleiben aber mit b = 0,107 etwa 11 % über deren Marke.

Die Lambda-Koeffizienten indizieren für Raub- und KV-Delikte eine gleich starke räumliche Abhängigkeit der Fehlergrößen (Residuen). Das positive Vorzeichen bedeutet, dass im Erklärungsmodell nicht erfasste Bedingungsfaktoren, die in einem bestimmten Kreis das gewaltkriminelle Belastungsniveau hochtreiben oder absenken, tendenziell auch in benachbarten Kreisen wirksam sind.

6 Zusammenfassung und Diskussion

Unabhängig davon, wie die länderübergreifenden Regionen definitorisch eingegrenzt werden, variieren die für kleinere räumliche Einheiten (wie z. B. Kreise) ausgewiesenen Belastungsniveaus innerhalb der jeweiligen Regionen erheblich stärker als zwischen den Regionen, wobei diese Divergenzen je nach Deliktart und Zeitpunkt nochmals unter-schiedlich ausfallen. Für Baden-Württemberg und Bayern werden aber schon für einen längeren Zeitraum relativ niedrige Häufigkeitsziffern bei der Gewaltkriminalität regist-

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riert, weshalb wir diese beiden Länder zur Süd-Region zusammengefasst haben, der wir die Nordwest-Region mit allen anderen alten Bundesländern (ABL) gegenüberstellen; beide Regionen kontrastieren wir zudem mit den neuen Bundesländern (NBL). Unsere Vergleiche beschränken sich auf die zusammengefassten Häufigkeitsziffern (HZ) schwe-rer und leichter Körperverletzungen sowie der Raubdelikte in der Zeit von 2005 bis 2007 (siehe Tab. 1).

In unseren Regressionsanalysen haben wir zunächst geprüft, inwieweit sich die regionalen Differenzen auf Unterschiede im Grad der Verstädterung und im Maß des Wohlstands bzw. relativer Armut – den beiden dominanten Prädiktor-Variablen krimino-logischer Analysen auf der Aggregatebene – zurückführen lassen. Beiden Faktoren wird auch in unserer Studie eine erhebliche Erklärungskraft zugewiesen, wobei der Urbanisie-rungsgrad bei den KV-Delikten – anders als bei den Raubdelikten – deutlich hinter der Einflussstärke relativer Armut zurückbleibt; diese variiert zwischen den drei Groß-Re-gionen erheblich stärker als der Urbanisierungsgrad: Die beiden südlichen Bundesländer sind reicher, die NBL deutlich ärmer als die anderen. Wir haben sodann noch weitere Prädiktor-Variablen in das Regressionsmodell eingeführt, von denen sich die folgenden als signifikant erwiesen haben: (a) ein neu gebildeter Faktor „desintegrativer Individualis-mus“, (b) der Pendlersaldo, der die Zentralität und Attraktivität eines Kreises im Sinne von Tätermobilität und Gelegenheitsstrukturen indiziert, sich aber auch in den Individua-lisierungsfaktor mit einbauen lässt. Die so ergänzten Modelle führen zu weiteren Ver-schiebungen in den regionalen Differenzen. Als nicht signifikant, sowohl bei den KV- als auch bei den Raubdelikten, erweisen sich, etwas überraschend, der Anteil der 15- bis 29-Jährigen an der Wohnbevölkerung sowie der Anteil der Männer im Vergleich zu dem der Frauen innerhalb dieser Altersgruppe, aber auch innerhalb der etwas jüngeren bis zu 24 Jahren. Die Scheidungsquote erreicht nur bei den KV-Delikten einen schwach positi-ven und vernachlässigbaren Effekt.

Bei der Analyse mit Gebietseinheiten ist die (noch weitgehend übliche) Verwendung von OLS-Schätzverfahren problematisch, da die dabei vorausgesetzte Unabhängigkeit der Residuen in der Regel nicht erfüllt sein dürfte. Es ist damit zu rechnen, dass im Regressionsmodell nicht berücksichtigte (unbekannte) Einflussfaktoren in benachbar-ten Kreisen ähnlich ausfallen; außerdem könnten sich kriminogene Tendenzen im Sinne eines „Spill-over“- oder „Lag“-Effekts auf andere benachbarte Kreise ausdehnen. Diese Möglichkeit wird in Schätzmodellen der räumlichen Analyse berücksichtigt, die wir im Anhang zur Online-Version des Artikels vorstellen. Wir haben deshalb die Regressions-modelle mit diesen Verfahren erneut geschätzt und dabei auch geprüft, ob die zuvor als nicht-signifikant gewerteten Effekte nun doch als signifikant ausgewiesen werden. Die schließlich ausgewählten spatial error models führen zu kleineren Modifikationen bei der Auswahl der relevanten Variablen und zu leichten Korrekturen bei den Effektstärken ein-zelner Prädiktoren. Bei den Raubdelikten bleiben der Urbanisierungsgrad und das Maß relativer Armut die stärksten Prädiktoren. Letzterem wird bei den KV-Delikten erneut der weitaus stärkste Effekt zugewiesen, an zweiter Stelle folgt der „desintegrative Individua-lismus“, neben dem der Urbanisierungsfaktor nun aber (anders als im OLS-Modell) einen eigenständigen (wenn auch schwachen) Effekt behält.

Werden räumliche Abhängigkeiten bei der Schätzung der Effektgrößen auf diese Weise berücksichtigt, reduzieren sich die regionalen Differenzen im gewaltkriminellen Belas-

Zur räumlichen Verteilung der Gewaltkriminalität in Deutschland 465

tungsniveau, die bei rechnerisch konstant gehaltenen Prädiktor-Variablen zu erwarten sind. Es bleibt aber dabei, dass auch unter dieser Bedingung für die NBL bei den Körper-verletzungsdelikten ein deutlich niedrigeres Belastungsniveau ausgewiesen wird als für die ABL. Es läge 26 % unterhalb des Niveaus der nordwestlichen Bundesländer, während Baden-Württemberg und Bayern es immer noch, jetzt um 11 %, überschritten (statt es faktisch, laut PKS-Daten, um nahezu 20 % zu unterschreiten). Bei den Raubdelikten ist für Baden-Württemberg und Bayern jedoch weiterhin das niedrigste Belastungsniveau zu erwarten: 41 % (statt 63 % gemäß PKS) niedriger als das Nordwest-Niveau, das auch von den NBL um immerhin 20 % unterschritten würde (mit einer zusätzlichen Nord-Süd-Differenzierung auch innerhalb der NBL).

Die in der PKS registrierten Nord-Süd-Differenzen sind somit auf Basis unserer Modell-Annahmen zu einem beachtlichen Teil erklärt bzw. verschoben worden; dennoch bleibt ein erheblicher Anteil der Variationen unerklärt, vor allem das in Baden-Würt-temberg und Bayern, aber auch in Sachsen und Thüringen besonders niedrige Belas-tungsniveau bei den Raubdelikten. Diese Besonderheit lässt sich wohl kaum durch eine effektivere polizeiliche Kontrolle oder durch Unterschiede in der Registrierungspraxis erklären. Zwar ist laut PKS 2007 die Aufklärungsrate bei den Raubdelikten in Bayern (wie auch in Thüringen) besonders hoch, in Baden-Württemberg aber eher durchschnitt-lich (wenn man die Stadtstaaten aus der Rechnung herausnimmt). Bei schwerer und gefährlicher Körperverletzung werden auf Länderebene in dieser Hinsicht nur geringe Unterschiede (außerhalb der Stadtstaaten) registriert. Da in den beiden südlichen Ländern das mittelständische Unternehmertum besonders stark vertreten ist, könnte man anneh-men, (a) dass dort die informalen sozialen Kontrollen besser greifen und (b) diese infor-malen Kontrollen bei der Eindämmung von Raubdelikten stärker wirksam werden als bei den KV-Delikten. Das sind derzeit allerdings nur spekulative Vermutungen.

Eine andere Ausgangssituation ergibt sich beim Ost-West-Vergleich. Hier weisen die PKS-Daten für die NBL sowohl bei den KV- als auch bei den Raubdelikten geringere Belastungsniveaus aus, als sie in den nordwestlichen Bundesländern registriert sind. Nach unserem Erklärungsmodell wären aber in den NBL, vor allem wegen des dort ver-gleichsweise hohen Maßes an relativer Deprivation, deutlich höhere Belastungsniveaus zu erwarten. Zwar sind die Aufklärungsraten in den NBL durchschnittlich höher als in den nordwestlichen Bundesländern, aber auch hier können wir deren potenzielle Effekte nicht überprüfen; die dazu benötigten Daten sind auf Kreisebene nicht verfügbar. Cle-mens Kroneberg et al. (2010, S. 274) vermuten, in diesem Kontext sei ein kulturelles Erbe aus DDR-Zeiten wirksam: eine größere Bereitschaft, Gesetze zu befolgen und zur Bereitstellung kollektiver Güter beizutragen. Für weitere Analysen wäre sicherlich ein längsschnittliches Design wünschenswert, in dem Veränderungsraten, insbesondere bei der Entwicklung der relativen Armut bzw. des relativen Wohlstands, mit zu berücksichti-gen wären. Noch besser wäre es, wenn man wie bei der Panelanalyse Querschnittsdaten in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum aneinanderreihen könnte.

Neben den neueren Methoden räumlicher Analyse stellen wir in unserer Studie auch einen Vorschlag zur Operationalisierung bestimmter Komponenten eines „desintegrati-ven Individualismus“ vor. Soweit uns bekannt, ist dieses Konzept in der hier vorgeschla-genen Interpretation bisher noch nicht in kriminologischen Analysen mit Aggregatdaten angewandt worden. Die entsprechenden theoretischen Überlegungen und daraus abgelei-

466 H. Thome und S. Stahlschmidt

teten Messoperationen sind in Abschn. 3 ausführlich dargestellt worden; an dieser Stelle seien lediglich die folgenden Punkte nochmals hervorgehoben: Die hier eingesetzte Ope-rationalisierung erfasst nur einen Teilbereich des umfassenderen heuristischen Konzepts, das inzwischen auch (wiederum nur in bestimmten Aspekten) in den Ansatz der institutio-nal-anomie theory eingebaut worden ist (siehe Messner et al. 2008). Dem so konstruier-ten Faktor konnte in den OLS-Modellen eine beachtliche Erklärungskraft zugeschrieben werden, die sich in den spatial error models nur leicht abschwächte. In beiden Modell-varianten erhöhte sich die Erklärungskraft dieses Faktors deutlich, wenn der Pendlersaldo in ihn als fünfte Variable mit eingebaut wurde; ob dies analytisch sinnvoll ist, müsste in weiteren Studien geklärt werden. In zusätzlichen Analysen konnte gezeigt werden, dass dieser Weg der Individualisierung (Modernisierung) einerseits die Bruttowertschöpfung erhöht, andererseits aber auch mit einer Zunahme der relativen Deprivation verbunden ist. Der Wohlstandszuwachs lässt offenkundig die Gewaltkriminalität nur in dem Maße sinken, wie er nicht mit einem Anstieg des desintegrativen Individualismus erkauft wor-den ist. In zukünftigen Analysen sollte geprüft werden, ob Daten für alternative oder erweiterte Operationalisierungsvorschläge zur Verfügung stehen, sodass sich möglicher-weise auch Teil-Skalen konstruieren ließen, die der Mehrdimensionalität des Konstrukts besser gerecht würden.

Es stellt sich die Frage, ob die Indikatoren für desintegrativen Individualismus nicht auch (oder sogar eher) als Indikatoren für „Gelegenheitsstrukturen“ im Sinne des „Rou-tine-Activity-Ansatzes“ aufzufassen seien – für situative Arrangements also, die poten-ziellen Tätern erhöhte Anreize und Möglichkeiten bieten, eine kriminelle Handlung zu begehen. Danach lasse ein höherer Anteil mobiler und hochqualifizierter (damit auch wohlhabender) Personen die Zahl attraktiver und zugänglicher Opfer ansteigen. In die-sem Falle wäre mit höheren Kriminalitätsraten selbst dann zu rechnen, wenn der von uns so interpretierte Desintegrationsfaktor die kriminogenen Neigungen potenzieller Täter entgegen unseren Annahmen nicht weiter verbreiten oder intensivieren würde. Diese Möglichkeit ist nicht gänzlich auszuschließen. Doch sprechen u. E. folgende Überle-gungen gegen den Versuch, den Kausalpfad des desintegrativen Individualismus inter-pretatorisch durch den Kausalpfad der Gelegenheitsstrukturen zu ersetzen: (1) Mit dem Anwachsen von residentieller Mobilität und Ungleichheit hat sich auch die räumliche Segregation erhöht, sodass nicht unbedingt damit zu rechnen ist, dass aktionsbereite Täter leichter oder häufiger auf attraktive potenzielle Opfer stoßen. An dem altbekannten Sach-verhalt, dass Täter und Opfer ganz überwiegend den gleichen oder ähnlichen sozialen Milieus entstammen, dürfte sich kaum etwas geändert haben. (2) Die Gelegenheitsstruk-turen sollten vor allem Raub- und Eigentumsdelikte begünstigen. Wie oben dargestellt, hat sich in unseren Untersuchungen jedoch gezeigt, dass dem desintegrativen Individua-lismus bei den Gewaltdelikten ein stärkeres Einflussgewicht zuzuschreiben ist als bei den Raubdelikten.

Allerdings ist auch die Frage aufzuwerfen, wie die Zunahme des desintegrativen Indi-vidualismus mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass seit Ende der 1990er Jahre die Häu-figkeitszahlen für Raubdelikte und für schwerwiegende Jugendgewalt, seit 2007 auch die Körperverletzungsdelikte insgesamt rückläufig sind (aber immer noch auf einem deutlich höheren Niveau liegen als beispielsweise in den 1960er Jahren). Hier ist zunächst ganz allgemein auf den Sachverhalt zu verweisen, dass sich lang- und kurzfristig vollziehende

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gesellschaftliche Entwicklungstendenzen in wechselnden Konstellationen und mit gegen-läufigen Effekten immer wieder neu überlagern. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren sind z. B. die polizeilichen Aufklärungsprogramme und Präventionsmaßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den Schulen deutlich verbessert worden. Zudem hat längerfristig nicht nur der Gewalt begünstigende desintegrative Individualismus ein stärkeres Gewicht erhalten; es sind auch Restbestände eines Gewalt fördernden hierarchisch ausgerichteten Kollektivismus weiter abgebaut worden, insbesondere innerhalb der Familie; elterliche Gewaltanwendung gegenüber Kindern ist seit längerer Zeit rückläufig (siehe den Über-blick in Thome und Birkel 2007, Kap. 6.6). Es ist anzunehmen, dass (a) der Rückgang hierarchisch-kollektivistischer Orientierungen die Gewaltrate sinken lässt (siehe Thome 2007) und (b) diese (in unserem Datensatz nicht erfassten) Orientierungen negativ mit dem Faktor desintegrativer Individualismus korreliert sind. Wäre in unserer Querschnitts-analyse eine Kontrollvariable „hierarchischer Kollektivismus“ verfügbar, müsste folglich der Effekt des Faktors desintegrativer Individualismus nicht schwächer, sondern noch stärker als von uns registriert hervortreten. Dieser Suppressionseffekt könnte allerdings durch die auf Kreisebene nicht erfassbare „Dunkelziffer“ (abhängig u. a. von der Anzei-gebereitschaft) gemindert oder ausgeglichen werden, denn diese ist nicht nur mit der registrierten Kriminalitätsrate, sondern möglicherweise auch mit dem desintegrativen Individualismus negativ korreliert. In der Regressionsanalyse würde dies eine (partielle) scheinkausale Effektkomponente für den desintegrativen Individualismus implizieren, der jedoch mit dem eben erläuterten (gegenläufigen) Suppressionseffekt zu verrechnen wäre – wenn die entsprechenden Daten vorlägen. Da dies nicht der Fall ist, gehen wir einstweilen davon aus, dass unser Schätzergebnis einigermaßen realistisch ist; jedenfalls sehen wir derzeit keine Argumente, die beweiskräftig dagegen sprächen.

Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass sich aus unseren Untersuchungsergebnis-sen kein Verdikt gegen die Bildungsexpansion (die Zunahme der Studienberechtigten und der Hochqualifizierten) und eine durch sie (möglicherweise) verbesserte Chancengleich-heit ableiten lässt. Sie machen aber darauf aufmerksam, dass mit ihr – vor allem auf dem Wege eines verschärften individualisierten Wettbewerbs – nicht-intendierte Nebeneffekte verbunden sein könnten, die einen anomischen, desintegrativen Individualismus beför-dern. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die systemtheoretische These, wonach eine fortschreitende funktionale Differenzierung in Richtung „Weltgesellschaft“ mit einer Bedeutungszunahme kognitiver Mechanismen zulasten eines normativen Erwartungsstils einhergeht (siehe Strulik 2012, S. 62 f., unter Verweis auf Luhmann 1991). Nicht zuletzt angesichts beschleunigter Kommunikationsprozesse und intensivierter Kontingenzerfah-rungen, die der „Wissensgesellschaft“ eigen sind, wäre die von Luhmann beiseite gescho-bene Frage nach dem Anomiepotenzial funktional differenzierter Gesellschaften neu zu stellen (siehe hierzu z. B. die widersprüchlichen Aussagen in Luhmann 1972, S. 191, und Luhmann 1998, S. 28). Auf diesem Wege ließe sich auch, so unsere Vermutung, die auf Durkheim und Merton zurückgreifende institutional-anomie theory von Steven F. Mess-ner und Richard Rosenfeld (2007) konzeptuell erweitern.

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Stephan Stahlschmidt, Dipl.-Volksw., M.Sc. Statistik. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Cent-rum für Soziale Investitionen und Innovationen, Universität Heidelberg, Doktorand am Lehrstuhl für Statistik (SFB 649 „Ökonomisches Risiko“), Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Graphische Modelle, Treatment/Intervention Effects, Statistical Learning, Räumliche Datenanalyse.