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Zivilrecht IV PÜ Gesetzl. Schuldverhältnisse - SS 2011 Seite 1 von 21 PÜ gesetzliche Schuldverhältnisse 1. Stunde I. Einführung in das Bereicherungsrecht - Das Bereicherungsrecht kann als eine der schwierigsten 1 und zugleich examensrele- vantesten Materien 2 des Zivilrechts gesehen werden. - Bereicherungsrechtliche Beziehungen führen zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis. Ein vertragliches Schuldverhältnis entsteht (nur) durch Willen der Parteien; vgl. § 311 BGB. Grundlage des gesetzlichen Schuldverhältnisses ist das Gesetz selbst. Auf einen Parteiwillen kommt es nicht an. Die klassischen Gesetzlichen Schuldverhältnisse sind die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; §§ 677 687 BGB) die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 822 BGB) und die de- liktische Haftung (§§ 823 853 BGB). Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse finden sich auch im Sachenrecht (z.B. das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV); §§ 987 1003 BGB). 3 - Grund für die Existenz des Bereicherungsrechts ist das im deutschen Zivilrecht gel- tende Trennungs- und Abstraktionsprinzip o Die Unterscheidung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip Trennungsprinzip: Verpflichtungsgeschäfte (z.B. Kaufvertrag; § 433 Abs. 1 BGB) und Verfügungsgeschäfte (z.B. Übereignung; § 929 S. 1 BGB) sind separate Rechtsgeschäfte. Abstraktionsprinzip: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte sind in ihrer Wirksamkeit voneinander unabhängig. o Wenn Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft voneinander unabhängig sind, muss ein Ausgleichsmechanismus vorhanden sein, falls die Causa der Über- eignung (das Verpflichtungsgeschäft) unwirksam ist. Ist die Übereignung selbst nichtig, kann eine Herausgabe (nur) auf § 985 BGB gestützt werden. - § 812 BGB: Kondiktion- § 985 BGB: Vindikation1 Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 6. Auflage 2011, Rn. 1011. 2 In den letzten zehn Jahren hatten knapp 30% der bayerischen Zivilrechtsklausuren im Staatsexamen Bereiche- rungsrecht zum Schwerpunkt. 3 Weiterführend Peifer, Gesetzliche Schuldverhältnisse 2005, §1 Rn. 1.

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Zivilrecht IV PÜ Gesetzl. Schuldverhältnisse - SS 2011

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PÜ gesetzliche Schuldverhältnisse

1. Stunde

I. Einführung in das Bereicherungsrecht

- Das Bereicherungsrecht kann als eine der schwierigsten1 und zugleich examensrele-

vantesten Materien2 des Zivilrechts gesehen werden.

- Bereicherungsrechtliche Beziehungen führen zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis.

Ein vertragliches Schuldverhältnis entsteht (nur) durch Willen der Parteien;

vgl. § 311 BGB. Grundlage des gesetzlichen Schuldverhältnisses ist das Gesetz

selbst. Auf einen Parteiwillen kommt es nicht an. Die klassischen Gesetzlichen

Schuldverhältnisse sind die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; §§ 677 –

687 BGB) die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 – 822 BGB) und die de-

liktische Haftung (§§ 823 – 853 BGB). Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse

finden sich auch im Sachenrecht (z.B. das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

(EBV); §§ 987 – 1003 BGB).3

- Grund für die Existenz des Bereicherungsrechts ist das im deutschen Zivilrecht gel-

tende Trennungs- und Abstraktionsprinzip

o Die Unterscheidung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip

Trennungsprinzip: Verpflichtungsgeschäfte (z.B. Kaufvertrag; §

433 Abs. 1 BGB) und Verfügungsgeschäfte (z.B.

Übereignung; § 929 S. 1 BGB) sind separate

Rechtsgeschäfte.

Abstraktionsprinzip: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte sind in

ihrer Wirksamkeit voneinander unabhängig.

o Wenn Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft voneinander unabhängig sind,

muss ein Ausgleichsmechanismus vorhanden sein, falls die Causa der Über-

eignung (das Verpflichtungsgeschäft) unwirksam ist. Ist die Übereignung

selbst nichtig, kann eine Herausgabe (nur) auf § 985 BGB gestützt werden.

- § 812 BGB: „Kondiktion“

- § 985 BGB: „Vindikation“

1 Looschelders, Schuldrecht – Besonderer Teil, 6. Auflage 2011, Rn. 1011.

2 In den letzten zehn Jahren hatten knapp 30% der bayerischen Zivilrechtsklausuren im Staatsexamen Bereiche-

rungsrecht zum Schwerpunkt. 3 Weiterführend Peifer, Gesetzliche Schuldverhältnisse 2005, §1 Rn. 1.

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Fall 2: F steht am Straßenrand und bietet Waren feil. Unter anderem verkauft er Heilerde,

die er von einem fernöstlichen Guru erworben haben will. L kauft von F ein Dut-

zend der Gläser zum Preis von insgesamt 1.000 Euro. Zu Hause fällt F auf, dass es

sich um gewöhnlichen Sand von einer nahe gelegenen Baustelle handelt. Empört

fährt er zu F und verlangt sein Geld zurück. Alle möglichen Rechtsgeschäfte fech-

te er an. Ansprüche auf Herausgabe der 1000 € gegen F?

Lösung: Der zwischen den beiden geschlossene Kaufvertrag ist nach §§ 142 Abs. 1, 123

Abs. 1 Alt. 1 BGB infolge der Anfechtung nichtig. Aufgrund vorliegender Fehle-

ridentität ist auch die Übereignung nichtig.

Beachten Sie das Abstraktionsprinzip: Fehleridentität bedeutet gerade

nicht, dass wegen eines Willensmangels auf Ebene des Grundgeschäfts

auch das Verfügungsgeschäft notwendigerweise nichtig wird. Vielmehr

gibt es eben Fälle, in denen der gleiche Mangel, der das Grundgeschäft

zu Fall bringt, auch in den Willenserklärungen des Verfügungsgeschäfts

auftritt. Der Fehler ist insofern identisch und beeinträchtigt auf beiden

Ebenen das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts. Das passiert frei-

lich nur ausnahmsweise, da andernfalls vom Abstraktionsprinzip nicht

viel übrig bliebe.

Bei dem hier vorliegenden Fall der Doppelnichtigkeit (von Verpflichtungs- und

Verfügungsgeschäft) kann L von F die Herausgabe seines Geldes sowohl auf den

dinglichen Herausgabeanspruch des § 985 BGB (aufgrund der Nichtigkeit der

Übereignung) als auch auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (aufgrund der Nichtigkeit

des Kaufvertrages) stützen.

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- Die grundsätzliche Funktion des Bereicherungsrechtes ist die Abschöpfung ungerecht-

fertigter (rechtsgrundloser/rechtswidriger) Vermögensvorteile (…verschiebungen/

…mehrung).

o Das Bereicherungsrecht soll Vermögensverschiebungen ausgleichen, nicht

aber Vermögensminderungen entschädigen.4 Anknüpfungspunkt ist also die

Mehrung des Bereicherten, nicht die Minderung bei einer anderen Person. Oft

mögen beide Situationen zusammentreffen, jedoch muss immer daran gedacht

werden, anhand der Vermögensmehrung die Prüfung zu beginnen!

o Grundsätzlich ist dem Bereicherungsrecht ein poenales Element fremd. Aus-

nahmen sind allerdings vorhanden, so etwa §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB.

Das Bereicherungsrecht soll also keine Schäden ausgleichen. In diesem Zu-

sammenhang ist etwa auch § 818 Abs. 3 BGB zu verstehen. Danach ist eine

Herausgabe ausgeschlossen, wenn beim Bereicherten keine Bereicherung mehr

vorhanden ist (sog. „Entreicherung“). Denn es soll (nur) ein Vermögensvorteil

abgeschöpft werden. Auch hierzu bilden etwa §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB

die Ausnahmen.

Hier zeigt sich eine oft im BGB angewandte Gesetzessystematik von Regel

(Herausgabe bei Bereicherung; § 818 Abs. 1 BGB), Ausnahme (keine Her-

ausgabe bei Einreicherung; § 818 Abs. 3) und Gegenausnahme (doch Her-

ausgabe bei verschärfter Haftung; § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB).

o „In §§ 812 ff. BGB ist der Grundgedanke verankert, dass die nach den Krite-

rien der rechtsgeschäftlichen, bzw. gesetzlichen Güterzuordnung zu Unrecht

4 Dies ist ein Fall der sog. „ius commutativa“ (ausgleichende Gerechtigkeit) im Gegensatz zur „ius dstributiva“

(austeilende Gerechtigkeit); vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Auflage 1994, § 67 I 1 d).

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im Vermögen des Bereicherungsschuldners befindlichen Gegenstände oder

Werte an denjenigen herauszugeben sind, dem sie nach eben jenen Kriterien

unter Berücksichtigung der Billigkeit gebühren.“5

o Im Bereicherungsrecht kommt es auf ein Verschulden (Vorsatz/Fahrlässigkeit)

nicht an, da etwas ungerechtfertigt Erlangtes herauszugeben ist – also etwas,

was dem (Herausgabe-)Schuldner nicht verbleiben darf.

o Im Schadenersatzrecht muss der Schädiger aber etwas aus seinem eigenen

Vermögen aufwenden, um den Schaden auszugleichen. Im Schadensersatz-

recht geht es also um den Ausgleich einer Einbuße beim Geschädigten, im Be-

reicherungsrecht um den Ausgleich einer Vermehrung beim Bereicherten.

- Aufgebaut ist das Bereicherungsrecht nach Tatbestand und Rechtsfolge. Im Ganzen

finden sich neun Kondiktionstatbestände, drei Kondiktionssperren (§§ 814, 815, 817

S. 2 BGB), drei Normen zu den Rechtsfolgen (§§ 818 – 820 BGB) und eine Einrede

(§ 821 BGB).

- Als Rechtsfolge setzt das Bereicherungsrecht die Herausgabe der erlangten Bereiche-

rung fest.

o Die Herausgabe der erlangten Bereicherung selbst folgt schon aus den jeweili-

gen Tatbeständen in § 812 BGB („erlangtes etwas“). Grundsätzlich hat die

Herausgabe „in natura“ zu erfolgen.

o Für die Kondiktionen nach § 812 und § 817 S.1 BGB wird das Herauszuge-

bende zusätzlich um die in § 818 I BGB genannten Nutzungen (§§ 99, 100

BGB) und Surrogate erweitert.

Bei den Surrogaten ist der Unterschied zu § 285 BGB zu beachten. Bei §

285 BGB gelten als Surrogate solche, die durch Rechtsgeschäft erworben

wurden (z.B. der Erlös beim Verkauf einer Sache; „commodum ex negati-

one“) und solche, die unmittelbar als Ersatz der Sache gelten (z.B. Versi-

cherungsleistungen anstelle des abgebrannten Hauses; „commodum ex

re“). Bei § 818 Abs. 1 BGB zählt jedoch nur das commodum ex re zu den

Surrogaten im Sinne der Norm. Grund dafür ist, dass im Schadenersatz-

recht der Geschädigte durch Handlungen des Schädigers nicht (noch)

schlechter gestellt werden darf, im Bereicherungsrecht aber nur der Ab-

schöpfungsgedanke greift (s.o.).

5 Prütting/Wegen/Weinreich/Leupertz, BGB, 3. Auflage 2008, § 812 Rn. 1.

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o Bei den Kondiktionen nach § 816 BGB ergibt sich die Rechtsfolge der Her-

ausgabe ebenfalls aus der Norm selbst; § 818 Abs. 2 ist hier aber nach herr-

schender Meinung unanwendbar.

Fall 3: G erwirbt im Januar von H einen Apfelbaum. Im Dezember stellt sich heraus, dass

der Kaufvertrag unwirksam war. H will seinen Apfelbaum und alles andere zurück

haben. Was können G und H woraus verlangen?

Lösung: Nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB kann H den Apfelbaum selbst kondizieren.

Sollte dieser Früchte getragen haben, kann H sie nach § 818 Abs. 1 in Verbin-

dung mit §§ 100, 99 Abs. 1 BGB ebenfalls herausverlangen.

G kann den gezahlten Kaufpreis nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB herausver-

langen. Sollte H den Kaufpreis auf einem zinsbringenden Konto angelegt ha-

ben, kann G auch die Zinsen nach § 818 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 100, 99

Abs. 2 BGB verlangen.

o Ist die Herausgabe in natura aufgrund der Beschaffenheit nicht

möglich (z.B. bei Gebrauchsvorteilen), so ist nach § 818 Abs. 2 BGB Werter-

satz nach dem objektiven Wert der Bereicherung zu leisten.

Fall 4: Der nahezu mittellose A hat einen Flachbildfernseher gefunden. Da er den Fern-

seher auf jeden Fall nutzen zugleich aber Stromkosten sparen möchte, zapft er

heimlich das Stromnetz seines Bruders C an. Als dieser die Nutzung bemerkt,

stellt er A zur Rede und verlangt Ersatz von ihm. Woraus könnte C etwas verlan-

gen?

Anmerkung für die Dienstagsgruppe: Der Sachverhalt wurde modifiziert, um Ihren

Bedenken Rechnung zu tragen.

Lösung: C kann von A nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB Ersatz verlangen (Rück-

griffskondiktion). A kann den abgezweigten Strom aber nicht mehr in natura

herausgeben. Daher ist nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Dieser

richtet sich nach dem objektiven Wert, hier also nach dem Marktpreis des

Stromes. Auf Entreicherung kann sich A nicht berufen, weil er sich eigene

Aufwendungen beim Bezug von Strom erspart hat. Denn er musste keinen

Strom verbrauchen, der über seinen Zähler abgerechnet würde. Da er den Fern-

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seher auf jeden Fall genutzt hätte, handelt es sich bei den ersparten Ausgaben

nicht um sog. Luxusaufwendungen.

o Sofern beim Bereicherten keine Bereicherung mehr vorhanden ist, ist er auch

nicht mehr zur Herausgabe verpflichtet; § 818 Abs. 3 BGB. Eine Entreiche-

rung liegt aber dann nicht vor, wenn sich der Bereicherte eigene Aufwendun-

gen erspart hat.

Entscheidend für die Abgrenzung von einer „normalen“ und ei-

ner Luxusaufwendung ist das potentielle Budget des Bereicher-

ten. Zu fragen ist daher immer, wie sich der Empfänger verhal-

ten hätte, wenn ihm der Vorteil nicht zugeflossen wäre.

o Auf den Wegfall der Bereicherung kann sich der Bereicherte aber nicht beru-

fen, wenn er verschärft haftet. Dies ist in den Fällen von §§ 818 Abs. 4, 819

Abs. 1 und 2, sowie § 820 Abs. 1 BGB der Fall. Klausurrelevant sind nur §§

818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB.

Die Rechtshängigkeit nach § 818 Abs. 4 BGB liegt gemäß § 261 Abs. 1

ZPO mit der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten vor; § 253

Abs. 1 ZPO.

Die Bösgläubigkeit bestimmt sich nach § 932 Abs. 2 BGB analog.

Maßgeblich ist, ob der Bereicherte wusste, dass die zu Grunde liegende

Causa nichtig ist und dass sich daraus kein Rechtsgrund für das Behal-

ten des Vorteils ableiten lässt. Erwartet wird aber hier – ähnlich wie bei

der Anfechtung – keine exakte juristische Subsumtion des Bereicherten,

sondern nur ein abstraktes Wissen, dass der Vorteil einem nicht zustehe

(sogenannte „Parallelwertung der Laiensphäre“). Maßstab ist der objek-

tiv redlich Denkende.

Hintergrund dieser Regelung ist, dass das Bereicherungsrecht den redli-

chen (also gutgläubigen) und unverklagten Bereicherten schützen will.

Denn wer keine Anhaltspunkte hat, dass er das Erlangte nicht behalten

darf, wird vom Gesetz als schutzwürdig angesehen. Er kann insofern

mit dem Erlangten verfahren als wäre es dauerhaft in seinem Vermö-

gen.

- Stellenweise wird im BGB auf das Bereicherungsrecht verwiesen. Dabei ist häufig

fraglich, ob es sich um eine Rechtsgrund- oder um eine Rechtsfolgenverweisung han-

delt.

o Rechtsgrundverweisung: Alle Tatbestandsmerkmale des § 812 BGB müs-

sen – je nach Kondiktion – erfüllt sein (so z.B. bei § 951 BGB).

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o Rechtsfolgenverweisung: Der Tatbestand ergibt sich aus der verweisenden

Norm; es sind nur noch die Rechtsfolgen der §§ 818 ff. BGB zu prüfen (strit-

tig, aber herrschende Meinung zur GoA nach § 684 S. 1 BGB)6

II. Der Bereicherungsgegenstand

- Allen Bereicherungstatbeständen ist gleich, dass sie auf denselben Bereicherungsge-

genstand gerichtet sind. Bereicherungsgegenstand ist immer das „erlangte etwas“. De-

finiert werden kann das erlangte etwas immer als „jeder vermögenswerte Vorteil“.7

- Bezüglich einer Definition des Bereicherungsgegenstandes werden unterschiedliche

Ansatzpunkte vertreten. Es ist sinnvoll, den Bereicherungsgegenstand eher weit zu

fassen und mögliche Probleme (z.B. des tatsächlichen Wertes der Bereicherung) im

Rahmen der Rechtsfolgen zu lösen.

Bei der Leistungs- und bei der Nichtleistungskondiktion steht am Ende ein vermö-

genswerter Vorteil. Dass der eine auf einem Verpflichtungsgeschäft beruht, der

andere aber auf einem sonstigen Eingriff in den Zuweisungsgehalt eines Rechtes,

ändert nichts am generellen Vorliegen eines Vorteils.

- Beispiele:

o Rechte aller Art

Dingliche Rechte (Eigentum, Pfandrecht, Anwartschaften)

Persönliche Rechte (Forderungen, Gutschriften)

o Vorteilhafte Rechtsstellungen (Besitz; strittig, ob nicht bereits dingliches Recht)

o Befreiung von Verbindlichkeiten (Darlehenstilgung)

o Gebrauchsvorteile (Nutzung einer Wohnung)

o Ersparte Aufwendungen (Schwarzfahren)

6 Palandt/Sprau, BGB, 70. Auflage 2011, § 684 Rn. 1.

7 BGH, NJW 2006, 1731 (1732).

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III. Die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Nichtleistungskondiktion

- Die Abgrenzung von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion erfolgt im Grundsatz an-

hand des Leistungsbegriffes. Denn überall, wo eine Person durch eine Leistung einer an-

deren Person bereichert wurde, kann sie nicht gleichzeitig in sonstiger Weise bereichert

worden sein.

- Für das Zweipersonenverhältnis ist dies unproblematisch. Schwierigkeiten bereiten Drei-

und Mehrpersonenverhältnisse. Dort ist a priori oft nicht klar, ob ein Bereicherter durch

Leistung eines Dritten oder in sonstiger Weise einen Gegenstand erwirbt. Mehrpersonen-

verhältnisse sind daher die schwierigsten – und damit examensrelevantesten – Fälle des

Bereicherungsrechts.

Unabhängig von der rechtshistorischen, von Zeit zu Zeit auch neu geführten De-

batte, ob es nur einen einheitlichen Tatbestand für alle Kondiktionsarten oder eine

Zweiteilung des Systems gibt (sog. Trennungslehre; hM), ist jedenfalls in der Fall-

lösung strikt zwischen Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen zu unterschei-

den. Für die universitäre Ausbildung gilt ohne Einschränkung das Trennungsprin-

zip. Das ist in einer klausurmäßigen Falllösung auch nicht zu problematisieren.

a) Der Leistungsbegriff

- „Jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens“ (sogenannter „mo-

derner Leistungsbegriff“)8

Erforderlich ist eine doppelte Finalität bezogen auf das Bewusstsein

und die Zweckrichtung der Leistung.

Keine Leistung liegt vor bei unbewusster Vermögensmehrung oder

nicht/beschränkt geschäftsfähigen Personen.

8 BGHZ 40, 272 (277).

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Fall 6: Die Nachbarn P und R haben zwischen ihren Grundstücken keinen Zaun. In der

Annahme, es handle sich um sein Beet, gießt und düngt P das Beet des R. Später

verlangt P Ersatz.

Lösung: Vorrangig ist in dieser Konstellation an die Regeln der Geschäftsführung ohne

Auftrag (GoA), § 677ff. BGB, zu denken. Diese sind im Verhältnis zum Berei-

cherungsrecht abschließend und gerade für Fälle konzipiert, in denen jemand

im Pflichtenkreis eines anderen tätig wird. Die berechtigte GoA stellt einen

„rechtlichen Grund“ i.S.d. § 812 Abs. 1 BGB dar, sodass das Bereicherungs-

recht in derartigen Fällen ausgeschlossen ist.

Die GoA ist also stets vor bereicherungsrechtlichen Ansprüchen zu prü-

fen, wenn sie nach Lage des Falls überhaupt in Betracht kommt!

Allerdings liegt hier keine GoA vor, da P irrtümlich annahm, ein eigenes Ge-

schäft zu führen, vgl. § 687 Abs. 1 BGB. Ihm mangelt es am sog. Fremdge-

schäftsführungswillen.

Die Geschäftsführung ohne Auftrag wird noch Gegenstand dieser

Übung sein. Wichtig und bereits an dieser Stelle herauszustreichen, ist

der systematische Vorrang, den sie dann genießt, wenn jemand im Inte-

ressenkreis eines anderen tätig wird und diesem dadurch einen Vermö-

gensvorteil verschafft.

Eine Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt 1 BGB scheidet aus, da

die Gartenarbeit des P nicht bewusst zur Mehrung des Vermögens des R (in

Form der Ersparnis von Dünger und Gießwasser) erfolgte. Auch aus Sicht des

R stellte sich das Tätigwerden Ps keinesfalls als Leistung dar. In Betracht

kommt nur eine Nichtleistungskondiktion (in Form der Verwendungskondikti-

on) nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

b) Das Merkmal „auf dessen Kosten“

Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist nur für die Nichtleistungskondiktion re-

levant. Im Rahmen der Leistungskondiktion werden Leistender und Leistungsempfänger

(der Bereicherte) allein durch den Leistungsbegriff bestimmt.

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c) Das Subsidiaritätsdogma

- Das Subsidiaritätsdogma ist eine tragende Säule des Bereicherungsrechtes, anhand dessen

im Mehrpersonenverhältnis im Wesentlichen die Fallprüfung vorgenommen wird.

Kernaussage des Subsidiaritätsprinzips ist, dass bei mehreren möglichen Kondikti-

onen vorrangig innerhalb bestehender Leistungsbeziehungen abzuwickeln ist.

Gern gebraucht wird hier der Satz vom „Vorrang der Leistungskondiktion“,

bzw. der „Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion“. Das ist unscharf. Streng

genommen sind die Kondiktionen nur die Folge der Leistungsbeziehungen.

Deswegen ist es genauer, vom „Vorrang der Leistungsbeziehungen“ zu spre-

chen, innerhalb derer rückabzuwickeln ist.

Innerhalb der Zweipersonenverhältnisse sind die beteiligten Personen einfach zu

bestimmen. Bei Mehrpersonenverhältnissen sind aber vorrangig die Leistungsbe-

ziehungen zu identifizieren, innerhalb derer dann die Rückabwicklung zu erfolgen

hat. In besonderen Fällen kann davon allerdings eine Ausnahme gemacht werden,

sei es aufgrund expliziter gesetzlicher Anordnung (z.B. § 822 BGB), sei es, aus-

nahmsweise, aufgrund wertender Schutzaspekte (z.B. Minderjährigenschutz). In

einer Handvoll Fälle ist also eine Direktkondiktion unter Umgehung der Leis-

tungsbeziehungen möglich.

Fall 10: A verkauft einen Laptop an B. B verkauft den Laptop weiter an C. Während

die Übereignungen von A an B und von B an C wirksam sind, war B beim

Schluss beider Kaufverträge hochgradig betrunken. Als er dies erfährt, will A

seinen Laptop zurück. An wen kann er sich wenden?

Lösung: A könnte von C nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB seinen Laptop herausver-

langen. Dazu hätte A aber an C leisten müssen. Das wäre bei einer bewussten

und zweckgerichteten Vermögensmehrung des A an C der Fall. Hier bestehen

aber keinerlei Beziehungen zwischen den beiden. Vielmehr hat nur B das

Vermögen des C bewusst gemehrt, um seine eigene Schuld aus seinem Kauf-

vertrag zu erfüllen. Genauso hat A nur bewusst das Vermögen des B gemehrt,

um seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag mit B zu erfüllen. Somit bestehen

Leistungsbeziehungen nur zwischen A und B und zwischen B und C. Eine

Leistungskondiktion scheidet demnach aus.

Eine Nichtleistungskondiktion (allgemeine Rückgriffskondiktion) nach § 812

Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB von A bei C scheitert hier hingegen daran, dass bezo-

gen auf denselben Gegenstand vorrangige Leistungsbeziehungen, innerhalb de-

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rer rückabzuwickeln ist, vorliegen – nämlich zwischen A und B und B und C.

A kann sich daher nur an seinen Vertragspartner B wenden.

Zur Rechtsfolge: Bei dem hier gegebenen Fall des Doppelmangels (bei-

de Kausalverhältnisse sind unwirksam) müsste A von B dessen Heraus-

gabeanspruch gegen C kondizieren („Kondiktion der Kondiktion“).

Nach anderer Ansicht müsste B Wertersatz für den Laptop nach § 818

Abs. 2 BGB leisten.

Hintergrund des oben genannten Grundsatzes vom Vorrang der Leistungsbezie-

hungen sind mehrere Punkte, die vor allem im Mehrpersonenverhältnis offensicht-

lich hervortreten. In diesen Mehrpersonenverhältnissen erfolgt grundsätzlich eine

sogenannte Rückabwicklung „übers Eck“; d.h. jede beteiligte Person kann nur von

der Person kondizieren, mit der sie eine Leistungsbeziehung hat. Direktkondiktio-

nen – wie etwa oben A bei C – sind nur in wenigen, eng umgrenzten, Ausnahme-

fällen möglich.

o Jeder soll nur mit dem (ehemaligen/vermeintlichen) Vertragspartner zu tun

haben, den er sich zuvor ausgesucht hat. Würde eine Direktkondiktion im-

mer zugelassen, so bekäme ein Herausgabeschuldner plötzlich einen Gläu-

biger, den er zuvor gar nicht kannte.

Dadurch behält jeder bereicherte Herausgabeschuldner seine bisher

bestehenden Einwendungen gegen den Herausgabegläubiger.

Jeder Vertragspartner trägt folglich auch nur das Insolvenzrisiko

seines Vertragspartners, den er sich ausgesucht hat.

o Aus §§ 816 Abs. 1 S. 2 und § 822 BGB lässt sich schließen, dass die Di-

rektkondiktion eine Ausnahme darstellt, die nur in den genannten Fällen

und in wenigen daraus abgeleitete oder auf Wertungsgründen beruhenden

Ausnahmefällen zulässig sein darf.

o Durch die Kondiktion soll der gutgläubige Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932

BGB nicht ausgehebelt werden.

„Der gutgläubige Erwerb ist kondiktionsfest.“

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IV. Die Leistungskondiktionen

1. Die Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (condictio indebiti)

- Die condictio indebiti ist dann anwendbar, wenn von Anfang an kein Rechtsgrund für

eine Leistung bestand.

- Hauptfall sind Sachverhalte, bei denen ein Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag,

Werkvertrag) von Anfang an (ex tunc) nichtig ist oder ein solches nie geschlossen

wurde.

- Die condictio indebiti hat folgende Tatbestandsmerkmale:

o etwas erlangt

o durch Leistung eines anderen

o ohne Rechtsgrund

Fall 11: Kredithai K und Spielsüchtiger S schließen einen Darlehensvertrag über 100.000

Euro. S soll ein Jahr später 200.000 Euro zurückzahlen. K zahlt an S den Betrag

aus. Nach einer Therapie besinnt sich S eines besseren. Er will die Zinsen nicht

zahlen. Wie ist die Rechtslage?

Lösung: Der Darlehensvertrag nach § 488 Abs. 1 BGB ist wegen Wuchers, § 138 Abs.

2 BGB, von Anfang an nichtig. S ist zur Leistung der Zinsen nicht verpflichtet.

K könnte aber seinerseits 100.000 € nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB her-

ausverlangen. Allerdings könnte dem die Kondiktionssperre des § 817 S. 2

BGB entgegenstehen.

§ 817 BGB ist eine auf den ersten Blick wenig übersichtliche Norm.

Beachten Sie, dass die Rechtsprechung § 817 S. 2 BGB als Kondikti-

onsausschluss für die allgemeine Leistungskondiktion interpretiert. §

817 S. 2 BGB bezieht sich also nicht ausschließlich auf § 817 S. 1 BGB

sondern auch auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Außerdem erfährt die

Norm eine weitere Ausweitung durch die Rechtsprechung. Der Aus-

schluss der Leistung ist nämlich nicht nur ausgeschlossen, wenn dem

Leistungsempfänger und „gleichfalls“ dem Leistenden ein Gesetzes-

oder Sittenverstoß zur Last fällt, sondern insbesondere auch dann, wenn

nur dem Leistenden ein solcher Verstoß zur Last fällt. Beide Auswei-

tungen des Anwendungsbereichs von § 817 S. 2 BGB ergeben sich

nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, sondern vielmehr aus der ratio der

Norm. Man muss sie sich also merken.

Fraglich ist aber, ob hier die Rückforderung der 100.000 Euro tatsächlich aus-

geschlossen ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Das hängt davon ab, was

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ihm von K geleistet wurde. Die Überlassung eines Geldbetrags in Erfüllung ei-

nes Darlehensvertrags erfolgt von vornherein auf Zeit und ist auf Rückzahlung

gerichtet. Hierauf hat ein wucherischer Zins an sich keinen Einfluss. Das Be-

reicherungsrecht wirkt eben nicht pönal.

Der Nettokreditbetrag sollte nie endgültig in das Vermögen des S übergehen.

Insofern ist eine Kondiktionssperre ausgeschlossen. Allerdings sollte die Kapi-

talnutzungsmöglichkeit über die Kreditzeit (hier ein Jahr) dauerhaft in das

Vermögen des S übergehen. Insofern greift § 817 S. 2 BGB ein. Wenn aber K

die Kapitalnutzung über die Kreditzeit nicht herausverlangen kann, bedeutet

das, dass K den Kapitalbetrag nicht vor Ablauf der Kreditzeit verlangen kann.

Folglich kann K nicht vor Ablauf des Jahres die 100.000 Euro von S heraus-

verlangen.

Fall 12: Häuslebauer H geht zur Werkstatt des Schreiners S und fragt nach einer neuen,

maßgefertigten Eckbank. Als S nach den Angaben des H eine ungefähre Kosten-

aufstellung errechnet, merkt H, dass er statt der teueren Eckbank doch lieber ein

neues Motorrad hätte. Eine Eckbank vom Discounter tue es auch. S, dessen Ge-

schäft gerade etwas daniederliegt, braucht aber Umsätze und zwingt den H durch

Vorhalt eines Holzschlegels dazu, doch einen Vertrag über Herstellung und Liefe-

rung der angedachten Eckbank zu unterschreiben. Diese wird von S angefertigt

und an H geliefert. Nachdem H zunächst dem S wortlos beim Einbau der Eckbank

zugesehen hat, erzählt er alles seiner Frau F. Die F überredet H dazu, dem S die

Meinung zu sagen. H erklärt S, als er den Hof verlassen will, er solle mit seiner

Eckbank bleiben, wo er wolle. Den bereits per Vorkasse gezahlten Betrag von

15.000 Euro solle er aber gefälligst wieder hergeben. Wie ist die Rechtslage?

Lösung:

A. Anspruch des H gegen S

I. Anspruch des H gegen S aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der 15.000

Euro

1. „Etwas erlangt“

- erlangtes etwas ist jeder vermögenswerte Vorteil

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- hier hat S Besitz und Eigentum an den Geldscheinen und –münzen erhal-

ten; alternativ einen Auszahlungsanspruch gegen seine Bank in Höhe von

15.000 Euro

- vermögenswerter Vorteil (+)

2. „durch Leistung eines anderen“

- Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermö-

gens

- H wollte (bewusst) an S zahlen, um (zweckgerichtet) seine Schuld aus dem

mit S geschlossenen Werkvertrag zu tilgen

- Leistung (+)

3. „ohne Rechtsgrund“

- Als Rechtsgrund der Leistung des H kommt zunächst der mit S geschlosse-

ne Werkvertrag nach § 631 Abs. 1 BGB in Betracht.

a) Anspruch ursprünglich entstanden

Der Werkvertrag nach § 631 BGB über die Herstellung der

Werkbank wurde wirksam geschlossen.

Anspruch entstanden (+)

b) Anspruch entfallen durch Anfechtung?

Anfechtungserklärung; § 143 Abs. 1 BGB

o H erklärt, er wolle mit der Eckbank nichts mehr zu

tun haben. Das Wort „Anfechtung“ muss – ebenso

wenig wie „Rücktritt“ – explizit fallen. Es genügt bei

laiengünstiger Auslegung, dass der Erklärende zum

Ausdruck bringt, er wolle am Vertrag nicht weiter

festhalten.

o Anfechtungserklärung (+)

Gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner; § 143 Abs. 2

Alt. 1 BGB

o Der richtige Anfechtungsgegner ist der andere Ver-

tragsteil, also S als Vertragspartner.

o richtiger Anfechtungsgegner (+)

Anfechtungsgrund?

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o In Betracht käme die widerrechtliche Drohung nach

§ 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB.

Drohung

Eine Drohung ist jedes Inaussichtstel-

len eines Übels, auf das der Drohende

Einfluss zu haben vorgibt.

Durch Vorhalt des Holzschlegels

stellt S dem H konkludent Schmerzen

in Aussicht.

Drohung (+)

widerrechtlich

Die Widerrechtlichkeit der Drohung

ergibt sich aus dem Zweck, dem Mit-

tel oder einer Zweck-Mittel-Relation.

Hier ist schon das Mittel (körperliche

Schmerzen) nicht hinnehmbar.

Widerrechtlichkeit (+)

Kausalität („durch“)

Der Bedrohte muss durch die Dro-

hung zur Abgabe einer Willenserklä-

rung veranlasst worden sein.

H wollte lieber ein Motorrad kaufen.

Ohne die Drohung des S hätte er die

Willenserklärung nicht abgegeben.

Kausalität (+)

o Anfechtungsgrund „widerrechtliche Drohung“ (+)

Verfristung nach § 124 Abs. 1 BGB(-)

Bestätigung nach § 144 BGB (-)

Ausschluss nach § 242 BGB (-)

Wirksame Anfechtung daher (+)

Anspruch entfallen (+); § 142 Abs. 1 BGB

c) Ohne Rechtsgrund (+)

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4. P: Wirkung der Anfechtung im Bereicherungsrecht

- Bei der Anfechtung ist umstritten, wie ihre Wirkung einzuordnen ist.

o eA: Die Anfechtung führt zur Nichtigkeit ex tunc. Es lag

folglich nie ein wirksamer Vertrag und somit nie ein Rechts-

grund vor.9

o aA: Bis zur Erklärung der Anfechtung hat ein Rechtsgrund

bestanden. Die Rückwirkung der Anfechtung ist auch sonst

nicht absolut (so z.B. auch nicht beim sogenannten „fehlerhaf-

ten Arbeitsverhältnis“). Daher ist eher von einem späteren

Wegfall des Rechtsgrundes auszugehen.10

o Stellungnahme: Für die Annahme eines Wegfalls des

Rechtsgrundes ex tunc spricht klar der Wortlaut von § 142 Abs.

1 BGB („von Anfang an nichtig“). Die Gegenansicht führt als

Argument Ausnahmefälle aus der Rechtssprechung auf, deren

Fallgestaltung und Rechtsfolgen nicht mit der Anfechtung ver-

gleichbar sind. Folglich ist § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die

richtige Anspruchsgrundlage.

Bedeutung hat der Streit, wenn man sich die Wirkung der Kondiktionssper-

ren vor Augen führt (s.u.).

II. Ausschluss des Anspruches

1. Eingreifen von Kondiktionssperren

- Im Bereicherungsrecht gibt es Kondiktionssperren, die Ansprüche aus Be-

reicherungsrecht ausschließen. Neben den § 814, § 815 und § 817 BGB

gibt es für den Sonderfall der Zusendung unbestellter Waren den Sperr-

grund aus § 241a BGB.

- Zu beachten ist, dass § 814 BGB mit seinen beiden Alternativen nur bei der

Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB eingreift, während

§ 815 BGB mit seinen beiden Alternativen nur für den Fall der Leistungs-

kondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB anwendbar ist.

2. Bedeutung des oben dargestellten Streites um die Wirkung der Anfechtung für die

Kondiktionssperren.

9 Lorenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Auflage 1994, § 68 I 1.

10 Palandt/Sprau, BGB, 70. Auflage 2011, § 812 Rn. 26.

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a. Bedeutung des § 814 BGB

- Nach der oben vertretenen Meinung ist § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1

BGB bei erfolgter Anfechtung anwendbar. Hier könnte der Aus-

schlussgrund nach § 814 BGB einschlägig sein.

- In Betracht kommt hier gem. § 814 Alt. 1 BGB die Leistung trotz

Kenntnis der Nichtschuld. Hierfür hätte H im Zeitpunkt der Leis-

tung bewusst sein müssen, dass keine Schuld bestand.

- In diesem Zusammenhang wird § 142 Abs. 2 BGB einschlägig.

Danach steht die Kenntnis von der Anfechtbarkeit der Kenntnis der

Nichtigkeit gleich. Konsequenterweise leistet so jeder, der von der

Anfechtbarkeit weiß, in Kenntnis der Nichtschuld.

b. Anwendung

Rückblick: Bei Annahme einer Kondiktion nach § 812 Abs. 1 S.

2 Alt. 1 BGB (Zweckfortfallkondiktion) würde gar keine Prü-

fung der Kondiktionssperren erfolgen. Es könnte sofort die

Rechtsfolge (Herausgabe) geprüft werden. Prüfungspunkt II.

würde entfallen.

- § 814 Alt. 1 BGB setzt voraus, dass eine Person in Kenntnis der

Nichtschuld leistet. Nach dem oben gesagten genügt nach § 142

Abs. 2 BGB die Kenntnis von der Anfechtbarkeit. Dabei genügt ei-

ne Parallelwertung der Laiensphäre; eine exakte juristische Analyse

wird nicht verlangt.11

- Demnach konnte H, der zum Vertragsschluss gezwungen wurde,

wissen, dass der Vertrag angreifbar war. Er leistete also in Kennt-

nis, bzw. in fingierter Kenntnis der Nichtschuld. Er könnte dem-

nach das Geleistete – seine 15.000 Euro – nicht zurückverlangen.

c. Korrektur?

- Dieses Ergebnis scheint unbillig. Zu seiner Lösung werden ver-

schiedene Ansätze vertreten.

o Eine Ansicht will das Problem mit dem Sinn und Zweck

von § 814 Alt. 1 BGB in den Griff bekommen. Die Rege-

lung sei eine besondere Ausprägung der Verhinderung wi-

dersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum propri-

um“). Ein Schuldner, der leiste, obwohl er wissentlich nicht

dazu verpflichtet sei, solle nicht das Geleistete auch noch

11

Prütting/Wegen/Weinreich/Leupertz, BGB, 3. Auflage 2008, § 814 Rn. 5.

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zurückverlangen können. Bei der Anfechtung könne das

aber nur gelten, wenn die Anfechtung bereits erklärt worden

sei. Bis zur erklärten Anfechtung gelte aber ein wirksamer

Vertrag, der auch erfüllt werden müsse. Schließlich steht es

den Parteien frei, ob sie die Anfechtung erklären oder

nicht.12

Hier hat H erst nach der Zahlung angefochten. Die zuvor er-

folgte Leistung war demnach unschädlich. § 814 S. 1 BGB

wäre nicht einschlägig.

o Eine andere Ansicht differenziert und wendet § 142 Abs. 2

BGB bei § 814 Alt. 1 BGB jedenfalls dann an, wenn ein

Anfechtungsrecht für den Leistenden besteht, der sich auf

den bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch stützt.

Denn der Leistende hätte es in der Hand, den Rechtsgrund

der Leistung durch seine – nur ihm mögliche – Anfechtung

zu beseitigen.13

Demnach könnte H hier seine 15.000 Euro nicht zurückfor-

dern, da er mit der Anfechtung selbst erst die Voraussetzun-

gen für den Herausgabeanspruch geschaffen hat.

(Anders sieht dies aus, wenn man den Anspruch des S auf

Herausgabe der Werkbank prüft; dazu unten.)

o Teilweise wird vertreten, § 814 BGB könne im Fall der

Anfechtung aufgrund des Anfechtungsgrundes in § 123

BGB nie zu Lasten des Anfechtungsberechtigten gehen.14

Schließlich sei Bereicherungsrecht Ausfluss von Billigkeits-

recht.15

Dieser Ansicht nach wäre der bedrohte H schützenswert, so

dass die Kondiktionssperre in diesem Fall nicht zu seinen

Lasten greifen würde. H könnte die 15.000 Euro herausver-

langen.

12

Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 34. Auflage 2010, § 37 Rn. 26. 13

RGZ 151, 361 (367); BGH, NJW 2008, 1878 (1879). 14

Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 5. Auflage 2007, Rn. 303. 15

Gegen diese Herleitung aus dem Billigkeitsrecht stemmt sich Lorenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Auflage

1994, § 67 I 1 d); andere Ansicht Palandt/Sprau, BGB, 70. Auflage 2011, Einf v § 812 Rn. 1 in Anlehnung an

die Rechtsprechung BGHZ 36, 232 (235).

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o Überzeugend argumentiert für diesen Sachverhalt aber die

Rechtsprechung, wonach § 814 Alt. 1 BGB sowieso nur

für Fälle gelten könne, in denen der Schuldner (völlig) frei-

willig leiste. Fälle, bei denen unter Druck geleistet werde,

würden von der Kondiktionssperre gar nicht erfasst.16

Hier hat H noch unter dem Eindruck der beim Vertrags-

schluss erfolgten Drohung den Werklohn geleistet. Er kann

daher von der Kondiktionssperre nicht betroffen sein. Er

kann die 15.000 Euro herausverlangen.

- Nach der für diesen Fall letztlich entscheidenden vierten Ansicht

kommt die Kondiktionssperre hier beim Anspruch des H gar nicht

zur Anwendung.

Würde man oben bereits bejahen, in derartigen Fällen sei die

Zweckfortfallkondiktion einschlägig, würde man den gerade

dargestellten Streit gar nicht prüfen können. Damit schneidet

man sich in der Klausur aber wichtige Prüfungspunkte ab, die

letztlich der Notendifferenzierung (nach oben) dienen. Freilich

sollte der Streit auch in Klausuren nicht übermäßig problemati-

siert werden. Denn letztlich kommen alle Meinungen bis auf ei-

ne mit Wertungsargumenten zum richtigen Ergebnis.

3. Ausschluss nach § 814 Alt. 1 BGB (-)

III. Rechtsfolge

- Herausgabe der erlangten 15.000 Euro in natura aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

direkt

- Sollte H unbar bezahlt haben oder S die Scheine und Münzen bereits in seinem

Tresor eingeschlossen und mit anderen Geldscheinen und –münzen vermischt ha-

ben (vgl. hierzu § 948 BGB), so hat S Wertersatz in gleicher Höhe nach § 818

Abs. 2 BGB zu leisten.

- Sollte S das Geld ausgegeben haben, kann er sich nicht auf Entreicherung berufen.

„Geld hat man zu haben!“

B. Anspruch des S gegen H

16

BGH, NJW 1995, 3052 (3054).

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I. Anspruch des S gegen H auf Herausgabe der Eckbank aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1

BGB

1. „etwas erlangt“

- erlangtes etwas ist jeder vermögenswerte Vorteil

- Hier hat H Besitz und Eigentum an der Eckbank erlangt

- erlangtes Etwas (+)

2. „durch Leistung eines anderen“

- Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermö-

gens.

- S wollte (bewusst) die Eckbank bei H anliefern, um (zweckgerichtet) seine

Schuld aus dem mit H geschlossenen Werkvertrag zu tilgen

- Leistung (+)

3. „ohne Rechtsgrund“

- Aufgrund der erfolgten Anfechtung ist der Rechtsgrund entfallen (siehe

oben)

- ohne Rechtsgrund (+)

II. Kondiktionssperre des § 814 Alt. 1 BGB.

- Für den Anspruch des S gegen H könnte ebenfalls die Kondiktionssperre gelten.

- Auch der drohende S wusste – aus der Warte eines Laien – von der Anfechtbar-

keit des Rechtsgeschäftes. Damit ist fraglich, ob der Kondiktionsausschluss des

§ 814 Alt. 1 BGB i.V.m. § 142 Abs. 2 BGB einschlägig ist.

- Wendet man die oben dargestellten Ansichten hier an, zeigt sich allerdings, dass

S als Drohender schon nicht anfechtungsberechtigt war und ihm daher auch kein

widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden kann. Denn es liegt nicht in

seiner Hand, ob der Rechtsgrund (der Werkvertrag zwischen S und H) durch An-

fechtung wegfällt. Es wäre schließlich möglich, dass H die Eckbank so gut ge-

fällt, dass er auf sein Anfechtungsrecht verzichtet. Dann bliebe allerdings auch

die schuldrechtliche causa, der Werkvertrag als Rechtsgrund für das Behalten-

dürfen, bestehen.

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- Für den Leistenden kann die Kondiktionssperre gar nicht gelten, wenn nur der

Leistungsempfänger ein Anfechtungsrecht hat.17

- Kondiktionssperre nach § 814 Alt. 1 BGB (-)

Hier zeigt sich, dass ein bestehendes Anfechtungsrecht per se nicht die

Vertragssubstanz beschädigt. Vielmehr macht das BGB durch Einfüh-

rung des Anfechtungsrechts gerade deutlich, dass Rechtsgeschäfte, die

an entsprechenden Mängeln leiden, prinzipiell wirksam sind und der

Anfechtungsberechtigte die Wahl hat, ob er ihre Wirkungen beseitigen

oder an ihnen festhalten möchte. Das impliziert dann im vorliegenden

Fall überdies, dass die Kondiktion der Eckbank nicht durch § 817 S. 2

BGB ausgeschlossen ist. Denn ein Geschäft, dass das BGB als prinzipi-

ell wirksam wenngleich anfechtbar ansieht, verstößt nicht gegen die gu-

ten Sitten. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 138 BGB, der

die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Sittenverstoßes regelt.

III. Rechtsfolge

- Herausgabe der Eckbank nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

- Auf § 818 Abs. 2 BGB kommt es nicht an, da die Eckbank in natura wieder her-

ausgegeben werden kann.

Nochmals: Das Ergebnis ist nicht unbillig. Zwar mag man einwenden,

dass S ja jedem drohen und abwarten könnte, ob jemand vielleicht nicht

anficht. Sinn des Bereicherungsrechtes ist aber nur, erlangte Vermö-

gensvorteile abzuschöpfen. Auf Schadensausgleich sind die §§ 812 ff.

BGB nicht ausgelegt. Im vorliegenden Fall sind eventuelle Schäden al-

lein über das Rechtsinstitut der „culpa in contrahendo“ (cic) ersatzfähig.

17

BGH, NJW 2008, 1878 (1879).