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Paul L. Janssen Als Psychoanalytiker in der Psychosomatischen Medizin

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Paul L. JanssenAls Psychoanalytiker in der PsychosomatischenMedizin

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Das Anliegen der Buchreihe Bibliothek der Psychoanalyse bestehtdarin, ein Forum der Auseinandersetzung zu schaffen, das der Psycho-

analyse als Grundlagenwissenschaft, als Human- und Kulturwissenschaft sowieals klinische Theorie und Praxis neue Impulse verleiht. Die verschiedenen Strö-mungen innerhalb der Psychoanalyse sollen zu Wort kommen, und der kritischeDialog mit den Nachbarwissenschaften soll intensiviert werden. Bislang habensich folgende Themenschwerpunkte herauskristallisiert:

Die Wiederentdeckung lange vergriffener Klassiker der Psychoanalyse – bei-spielsweise der Werke von Otto Fenichel, Karl Abraham, Siegfried Bernfeld,W.R.D. Fairbairn, Sándor Ferenczi undOtto Rank – soll die gemeinsamenWur-zeln der von Zersplitterung bedrohten psychoanalytischen Bewegung stärken.Einen weiteren Baustein psychoanalytischer Identität bildet die Beschäftigungmit demWerk und der Person Sigmund Freuds und den Diskussionen und Kon-flikten in der Frühgeschichte der psychoanalytischen Bewegung.

ImZuge ihrer Etablierung als medizinisch-psychologischesHeilverfahren hatdie Psychoanalyse ihre geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politi-schen Bezüge vernachlässigt. Indem der Dialog mit den Nachbarwissenschaftenwieder aufgenommen wird, soll das kultur- und gesellschaftskritische Erbe derPsychoanalyse wiederbelebt und weiterentwickelt werden.

Die Psychoanalyse steht in Konkurrenz zu benachbarten Psychotherapiever-fahren und der biologisch-naturwissenschaftlichen Psychiatrie. Als das ambitio-nierteste unter denpsychotherapeutischenVerfahren sollte sichdiePsychoanalysederÜberprüfung ihrerVerfahrensweisen und ihrerTherapieerfolge durch die em-pirischen Wissenschaften stellen, aber auch eigene Kriterien und Verfahren zurErfolgskontrolle entwickeln. In diesen Zusammenhang gehört auch die Wieder-aufnahme derDiskussion über den besonderenwissenschaftstheoretischen Statusder Psychoanalyse.

Hundert Jahre nach ihrer Schöpfung durch Sigmund Freud sieht sich diePsychoanalyse vor neue Herausforderungen gestellt, die sie nur bewältigen kann,wenn sie sich auf ihr kritisches Potenzial besinnt.

Bibliothek der PsychoanalyseHerausgegeben vonHans-JürgenWirth

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Paul L. Janssen

Als Psychoanalytikerin der

PsychosomatischenMedizinEine persönliche berufspolitische Geschichte

der Psychotherapie, Psychiatrie undPsychosomatik

Psychosozial-Verlag

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

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vervielfältigt oder verbreitet werden.Umschlagabbildung: Paul Klee, Stadtperspective, 1928

Umschlaggestaltung & Innenlayout nach Entwürfen von Hanspeter Ludwig, WetzlarSatz: metiTec-Software, me-ti GmbH, Berlin

ISBN 978-3-8379-2686-6

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Inhalt

Vorwort 9

1 Autobiografische Vorbemerkungen 131.1 Mein erster Weg zur Psychoanalyse 131.2 Mein Weg zur Psychiatrie und Neurologie 251.3 Mein zweiter Weg zur Psychoanalyse 301.4 Mein Weg zur und in der Berufspolitik 37

2 Erfahrungen und Entwicklungenin der stationären Psychotherapie 47

2.1 Die Begegnung mit der Gruppe 472.2 Stationäre analytische Gruppenpsychotherapie

im Rahmen einer neuro-psychiatrischen Klinik 502.3 Die Erfahrungenmit der Gestaltungs- und Kunsttherapie und

die Integration in die stationäre Psychotherapie 552.4 Das Essener Modell 562.4.1 Integrative, gruppen- und

teamorientierte psychoanalytische Therapie 602.4.2 Gruppenanalytische Teamarbeit 712.5 Weiterentwicklung der psychoanalytischen Therapie

in der Klinik 75

3 Weiterentwicklung und Neuordnung derPsychotherapie, Psychoanalyse, Psychiatrie undPsychosomatischenMedizin in der ärztlichenWeiterbildungsordnung 81

3.1 Die Diskussion um die Stellung der Psychotherapie,Psychoanalyse und Psychosomatischen Medizin 81

3.2 Einführung der psychosomatischen Grundversorgung 89

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3.3 Einführung des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin 973.4 Das Konzept der Gebietsbezeichnung

»Psychotherapeutische Medizin« 1093.5 Modell einer Vernetzung der Weiterbildung zum Facharzt

für Psychotherapeutische Medizin mitder Weiterbildung zum Zusatztitel Psychoanalyse 113

4 Entwicklung des Gebietes und der DeutschenGesellschaft für PsychosomatischeMedizin undärztliche Psychotherapie e.V. 119

4.1 Gründung der Deutschen Gesellschaft fürPsychotherapeutische Medizin e.V. und ihr Mitgliederprofil 119

4.2 Entwicklungen, Kooperationen und Konflikte 1244.2.1 Die Weiterbildung 1344.2.2 Die Krankenhausplanung 1494.2.3 Die Niederlassung 1554.2.4 Grundsatzpositionen 1594.2.5 Die ärztliche Ausbildung 1614.3 Fachärztliche Identität und Psychoanalyse 1634.4 Abschied als Vorsitzender, Verschmelzung der DGPM und

der AÄGP undweitere berufspolitische Aktivitäten für die DGPM 170

5 Psychiatrie und Psychoanalyse 1815.1 Leitender Arzt der Westfälischen Klinik

für Psychiatrie in Dortmund 1815.2 Psychodynamische Psychiatrie 1835.3 Das psychoanalytisch-organisationsdynamische

Leitungskonzept 1905.4 Veränderungsprozesse 1935.5 Die Wiederkehr des Verdrängten:

Das Krankenhaus zur Zeit des Nationalsozialismus 2025.6 Strukturelle Veränderungen 208

6 PsychosomatischeMedizin und Psychoanalyse 2156.1 Stationäre psychoanalytische Therapie und

Psychosomatische Medizin 2156.1.1 Psychoanalytische Behandlungsstrategien

für psychosomatisch Erkrankte 216

Inhalt

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6.1.2 Prozessmodell des stationären Behandlungsverlaufesfür psychosomatisch Kranke 222

6.2 Ambulante analytische Gruppenpsychotherapie undKunsttherapie 227

6.3 Psychosomatisch-analytischer Konsiliardienst 2316.4 Übernahme der Funktionen eines leitenden Fachvertreters

für Psychosomatische Medizin und Psychotherapiean der Universität Bochum 234

6.5 Abteilung für Psychosomatik undPsychotherapeutische Medizin amWZPPP 236

6.5.1 Behandlungsschwerpunkt Borderline-Störungen 2416.5.2 Behandlungsschwerpunkt Essstörungen und

weitere Störungen 2496.6 Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten

in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie 251

7 Diagnostik und Psychoanalyse 259Vondempsychoanalytischen Interview zurOperationalisierten PsychodynamischenDiagnostik (OPD)

7.1 Das psychoanalytische Erstgespräch 2597.2 Modifikation in der psychoanalytischen

Erstuntersuchung 2637.3 Die Entwicklung einer psychodynamischen Diagnostik

im Essener Modell 2677.4 Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) 271

8 Mein Arbeitsmodell für die psychoanalytische undpsychotherapeutische Praxis 279

8.1 Mein psychoanalytisches Arbeitsmodell 2818.2 Beispiel für die Anwendung meines

psychoanalytischen Arbeitsmodells 2868.3 Meine Arbeitsmodelle für die psychodynamische

Psychotherapie 297

9 Die Gruppe, die Organisation unddie Psychoanalyse 305

9.1 Die gruppenanalytischen Theorien unddie psychoanalytische Haltung in Gruppen 308

Inhalt

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9.2 Psychoanalytische Selbsterfahrungsgruppen 3149.3 Leitung von Balintgruppen 3189.4 Leitung von therapeutischen Organisationen 3249.5 Der gruppenanalytische Workshop in Altaussee 3259.6 Aus- und Weiterbildung in

psychodynamischer Gruppenpsychotherapie 3349.7 Neuordnung des Verbandswesens

in der Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie 338

10 Die psychoanalytische Ausbildung unddie institutionalisierte Psychoanalyse 347

10.1 Erfahrungen als Dozent, Supervisor und Lehranalytikerin der psychoanalytischen undpsychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung 348

10.2 Erfahrung mit der Leitung von administrativen Gremiender psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft 360

10.3 Das Verhältnis von Psychoanalyse und Psychotherapiein der Arbeitsgemeinschaft 373

10.4 Mitwirkung in den Gremiender Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) 388

10.5 Begegnungen mit der Internationalen PsychoanalytischenVereinigung (IPV) 398

10.6 Die Zukunft der institutionellen Psychoanalyse 404

Literatur 413

Inhalt

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Vorwort

Im Oktober 2011 auf dem Gründungskongress der Deutschen Gesell-schaft für Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie in Berlin sprachmich Ludger Hermanns an, ob ich schon mal daran gedacht hätte, etwasAutobiografisches zu schreiben. Er bot mir an, für seine Reihe Psychoana-lyse in Selbstdarstellungen einen Text zu verfassen. Ich sagte spontan zu,begabmichdannnachHause undbegann, Skizzen zumachen.DerProzessbis zur Veröffentlichung der Texte mit erheblichen Kürzungen zog sichbis 2015 hin. Ich entdeckte bei den Recherchen und bei meinen Unterla-gen so viel Material, dass ich damit ein Buch füllen konnte. Ich bot diesals Idee Hans-JürgenWirth vom Psychosozial-Verlag an, der nach Durch-sicht des erstenTextes sofort damit einverstandenwar. Für diese erfreulichspontane und schnelle Zusage meinen Dank an Hans-JürgenWirth.

Die Darstellung meines Wegs als Psychoanalytiker mit berufspoliti-schenAmbitionen inderMedizin, insbesondere inderPsychosomatischenMedizin, und mit einem Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Kranken-haus und an der Universität hat sicher wegen der berufspolitischen Seiteallgemeine Bedeutung für die gesellschaftlichen Prozesse, in denen diePsychoanalyse steckt. Ich stelle viele berufspolitische Entwicklungen undEntscheidungen in voller Absicht in den Vordergrund, denn Psychoana-lytiker1 haben manchmal einen blinden Fleck in der Wahrnehmung vonsozialen Realitäten oder bekämpfen sie wie Don Quichote die Wind-

1 Im vorliegenden Buch findet aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend diemännliche Form Verwendung. Alle geschlechtsbezogenen Ausführungen beziehen sichgleichermaßen auf weibliche und männliche Personen.

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mühlenflügel. Ihre Ausbildung, so auch meine, schult den Blick nachinnen jedoch nicht nach außen. Mein Anliegen ist es, Brücken zu schla-gen in dem Spannungsfeld zwischen dem Blick auf die Realitäten in derGesellschaft und in derMedizin und demBlick nach innen in der Psycho-analyse. Polarisierungenhaben Jahrzehnte langdasVerhältnis vonMedizinund Psychoanalyse bestimmt, aber auch wechselseitig beeinflusst. Inso-fern ist es von allgemeinem Interesse, welche Konzepte Psychoanalytikerin der Medizin und hier im Speziellen in der Psychosomatischen Medi-zin entwickelten und vertraten, um diesen Polaritäten zu begegnen odersie sogar aufzuheben. Dies hat eine persönliche Erfahrungsseite in mei-ner ärztlichen Tätigkeit in der Psychiatrie, in der Neurologie und in derPsychosomatischenMedizin und ich habe es aufmeineWeise zu lösen ver-sucht, wie ich darstellen möchte. Mein Buch ist kein Sachbuch, sondernverbindet die erlebte und reflektierte Berufs- und Gesundheitspolitik mitden inhaltlichen Fragen der Psychoanalyse.

Des Weiteren möchte ich mit dem Buch einen Beitrag gegen kollek-tives Vergessen leisten. Es hat eine autobiografische Note, es reflektiertbestimmteStadienmeinerberuflichenBiografie,meinerBegegnungenmitPersonen, Institutionen undmit der Literatur, es ist also keineGeschichts-schreibung mit Quellenstudie und Hinweisen auf Quellen, sondern essind subjektive, persönliche Erfahrungen im beruflichen und berufspoli-tischen Feld.Obwohl ich keine geschichtlicheDarstellung leistenmöchte,meine ich, dasswesentlicheAussagen über die allgemeineEntwicklung desVerhältnisses der Psychoanalyse zur Medizin und insbesondere der Psy-chosomatischen Medizin beschrieben werden. Sie können vielleicht dernächsten Generation zur Bewältigung ihrer Probleme hilfreich sein. JedeGeneration von Psychoanalytikern wird vor der Frage stehen, ob sie in derLage ist, sich in ihren Institutionen den gesellschaftlichen und gesund-heitspolitischen Veränderungen zu stellen, einen von außen entstandenenVeränderungsdruck aufzugreifen undnicht nur alsAngriff oder Eingriff indie inneren Strukturen zu verstehen, sondern sie auch als mögliche Chan-ce im Kontext mit den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zusehen und sich weiterzuentwickeln oder dem Veränderungsdruck stand-zuhalten. Ich werde an mehreren Stellen im Buch solche Knotenpunkteder Entwicklung der Psychosomatischen Medizin und der Psychoanalysein den letzten 50 Jahren berühren.

Einen besonderen Stellenwert in dem Buch hat die Entwicklung derPsychoanalyse und der PsychosomatischenMedizin in der ärztlichenWei-

Vorwort

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terbildungsordnung über die Zusatzbezeichnung »Psychoanalyse«, dieGebietsbezeichnung »Psychotherapeutische Medizin«, die Gebietsbe-zeichnung »Psychosomatische Medizin und Psychotherapie« und die»Psychosomatische Grundversorgung«. Einen besonderen Stellenwertnimmt auch das Verhältnis von Psychoanalyse zur Psychiatrie und zurPsychosomatischen Medizin ein sowie die Beziehung von Psychoanalyseund Gruppenanalyse. Nicht zuletzt werde ich über meine Erfahrungen inder psychoanalytischen Ausbildung und mit der institutionalisierten Psy-choanalyse reflektieren. Es stehen jedoch immer der persönliche Bezug zudem jeweiligen inhaltlichen Thema und meine Aktivitäten, meine Erfah-rungen und meine Rezeption der Literatur im Vordergrund. Ich berühresicher manchen kritischen Punkt in der Entwicklung und habe auch si-cher Auffassungen, die Diskussionen anstoßen.

Kein Leser muss das ganze Buch lesen, obwohl ich es wünsche. Wenner sich für stationäre Psychotherapie interessiert, sollte er das Kapitel 2lesen und für PsychosomatischeMedizin das Kapitel 6. Interessiert er sichfür die Entwicklung des Facharztes für Psychosomatische Medizin undPsychotherapie und für die Entwicklung der Fachgesellschaft, dann findeter in den Kapiteln 3 und 4 Informatives. Interessiert er sich für meine Po-sition zur Psychiatrie, dann findet er einen Erfahrungsbericht inKapitel 5.Will er etwas erfahren über Psychoanalyse und Diagnostik verweise ichauf Kapitel 7 und bei dem Verhältnis von Psychoanalyse und Gruppe aufKapitel 9. Für Psychoanalytiker dürfte interessant sein, was ich eigentlichfür ein psychoanalytisches Konzept vertrete und wie ich psychoanalytischarbeite (Kapitel 8) und welche Erfahrungen ich mit der institutionali-sierten Psychoanalyse in den nahezu 50 Jahren gemacht habe (Kapitel 1und 10). In den jeweiligen Kapiteln verweise ich auch auf andere Kapitel.Das Buch ist also ein Kaleidoskop subjektiven und reflektierten psycho-analytischen Denkens und Handelns in der psychosozialenMedizin.

Ichmöchtemich bei Isolde Böhme,MichaelHayne,Wolfgang Pittrichund Johannes Kruse bedanken, dass sie Teile des Textes gelesen und mitmir diskutiert haben und wertvolle Hinweise für Veränderungen gegebenhaben. Ein besonderer Dank gilt Sieglinde Hoffstadt, die schon meineHabilitationsschrift in Essen getippt und nun meine Diktate aufs Papiergebracht und mir wieder zur Korrektur zur Verfügung gestellt hat. Dankauch an Ludger Hermanns, der mich zu diesem Buch über seine damaligeAnfrage angeregt hat.

Vorwort

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1 Autobiografische Vorbemerkungen

1.1 Mein ersterWeg zur Psychoanalyse

Mein Motiv, Psychoanalytiker zu werden, hatte etwas damit zu tun,innere Widersprüche im Selbst zu überwinden oder zumindest zu verste-hen, später kamen dann intellektuelle und berufliche Interessen hinzu.Bei mir waren es primär die Widersprüche zwischen einer bürgerlichen,römisch-katholischen, dörflichen Umgebung, geprägt von der abendlän-dischen Kultur, ein »heiler Ort«, in dem ich 1937 geboren wurde, unddem Nationalsozialismus, dem Krieg, das heißt den Erfahrungen mit sei-ner zerstörerischen, zerstörten, bedrohlichen, Angst einflößenden Welt.Meine erschütternsten Erfahrungen waren der Verlust des als vermisst ge-meldeten Vaters und des Onkels durch den Krieg sowie der psychischeZusammenbruch meiner starken Großmutter als sie vom Kriegstod ihresSohnes, meines Onkels, erfuhr. Retrospektiv gesehen führten die Erfah-rungen des Kriegskindes zur Psychoanalyse.

Ich erlebte denKrieg alsOpfer vonGewalt und vonEreignissen, die icherst nach und nach begriff. Ich hörte Bombengeschwader über dem Ort,sah Abstürze von Fliegern, hörte von Phosphorbomben, verbrennendenMenschen, Brandbomben, sah den brennenden Himmel, sah zerstörteHäuser und Straßen und Städte. Ich erlebte, dass ich in den Luftschutz-bunker musste, erlebte Verdunklungen, Sirenengeräusche, Geknatter vonLuftabwehrgeschützen. Wir wurden darüber unterrichtet, wie man Gas-masken trug, wie man sich in einem Bunker verhielt, dass wir nicht dasLicht anlassen durften, auch wenn wir Angst hatten. Das Gekreische desRadios, das Geschrei der Nazis und die harte und laute Marschmusik

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flößten mir Angst ein. Ich erlebte die Evakuierung, Flucht, Abgelehnt-werden, Isoliertsein, Einsamsein. Ich erlebte aber auch einen Neuanfangnach dem Krieg, der zwar mit Hunger, Kälte, Not, Krankheit und Unfäl-len begann, aber nach und nach in die Hoffnung überging, neu beginnenzu können. All das und manches mehr über mein starkes Bedürfnis nachsinngebenden Strukturen, die ich in der Literatur, der Kultur, der MusikundderReligionnebenmeinerAusbildungbei derDeutschenBundespostsuchte, und über die Entwicklung bis zur psychoanalytischen Ausbildunghabe ich in meinen autobiografischen Skizzen ausführlicher festgehalten( Janssen, 2015).

Nach der Abiturprüfung am erzbischöflichen Abendgymnasium inNeuss studierte ich ein Semester Philosophie und Psychologie an derUni-versität Bonn, das imWintersemester 1959/1960 begann.Die Stadt Bonnam Rhein sollte mit ihrer Umgebung Lebensraum für mich und späterauch für meine Familie für über 26 Jahre werden. Das erste Semester ver-brachte ich ganz im Sinne eines Studium generale. So hörte ich überKantsKritik der reinen Vernunft, über die Metaphysik und Erkenntnistheorieund über Fundamentaltheologie. In der Psychologie hörte ich über diePersönlichkeitstheorien bei Hans Thomae und besuchte auch seine Semi-nare, wo ich ein Referat über Freuds Persönlichkeitstheorie hielt. MeinInteresse für Psychoanalyse wurde durch das Seminar bei Thomae ver-stärkt, sodass ich mich systematisch damit befassen wollte. Ich besuchtein der Medizin die tiefenpsychologische Vorlesung von Günther Elsässer,die mich motivierte, mehr zu lesen. Ich las die Einführungen von Lud-wig Marcuse und Gustav Bally in die Psychoanalyse Freuds und MartheRoberts Die Revolution der Psychoanalyse. Mir gefiel in diesem Buch be-sonders dasWort »Revolution« und die dialogische Auseinandersetzungder Lehre Freuds mit der Philosophie und Medizin und der Bezug zumLeben Freuds. Die psychoanalytischeWelt des Denkens schien mir etwasvon demGeist der Eroberung und des Abenteuers zu haben, der mich fas-zinierte und anzog.

Im ersten Semester war noch vollständig offen, welches Berufsziel ichanstreben sollte. Ich dachte an Journalismus, aber auch an Psychoanaly-tiker bzw. Psychotherapeut. Ich suchte 1959 ein Gespräch mit GüntherElsässer, den ich für einen Psychoanalytiker hielt. Daher dachte ich, ersei der richtige Ansprechpartner. Später erfuhr ich, dass Günther Elsässer( Jahrgang 1907), Prof. für Psychiatrie an derMedizinischen Fakultät, sichwährend der nationalsozialistischen Herrschaft an der Universität Bonn

1 Autobiografische Vorbemerkungen

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im Provinzialinstitut für psychiatrische und neurologische Erbforschungmit rassenideologischen und genetischen Fragen befasst hatte und auchKriegsneurotiker mit galvanischen Strömen behandelt hatte. Er konntenach zwei Entnazifizierungsverfahren seine universitäre Laufbahn fort-setzen und wandte sich an der Universität Bonn bis 1969 ganz der Lehreder Psychotherapie zu. Wann er seine jungianische Ausbildung gemachthat, wusste ich nicht und erfuhr es auch später nicht, jedenfalls war erDozent an einem psychoanalytischen Institut und hielt an der Universitäteine tiefenpsychologischeNeurosen-Vorlesung, diemich sehr beeindruck-te, besonders die Fälle, die er vorstellte.

Das persönliche Gespräch mit ihm brachte eine wesentliche Entschei-dung. Ich fragte ihn, wie man Psychoanalytiker bzw. Psychotherapeutwerden könne. Er antwortete sinngemäß: Wenn Sie Psychoanalytikerwerden wollen, dann sollten Sie Medizin studieren und danach eine Aus-bildung an dem Institut für analytische Psychotherapie im Rheinland inKöln zum Psychoanalytiker machen. Er selber war Dozent an diesem In-stitut. Nach dem Gespräch entschied ich mich, Medizin zu studieren,und musste mich nun sehr auf die Naturwissenschaften konzentrieren.Ich blieb aber in Psychologie und Philosophie als Zweitfach eingeschrie-ben, sodass ich ab Sommersemester 1960 nicht nur mit dem sehr struk-turierten Medizinstudium begann, sondern auch parallel dazu philoso-phische und psychologische Vorlesungen oder Seminare besuchte, zumBeispiel zur Gestaltpsychologie (Sander), Phänomenologischen Psycho-logie (Graumann), Entwicklungspsychologie (Salber), Alterspsychologie(Lehr). Daneben absolvierte ich ein experimentalpsychologisches Prakti-kum und einen Statistikkurs. In den folgenden Jahren interessierte ichmich noch für Religionswissenschaften (Mensching), Theologie (Ratzin-ger) und Kunstgeschichte (Lützeler). In der Philosophie beschäftigte ichmichmit Kant,Heidegger, Sartre, Theilhard deChardin (Martin, Schnei-der, Hartmann). Alles war irgendwie spannend, aber einen Schwerpunktsetzte ich nicht, obwohl ich weiter regelmäßig die Veranstaltungen vonElsässer über allgemeine und spezielle Neurosenlehre besuchte. Nach demmedizinischen Staatsexamen und während meiner dreijährigen Medizi-nalassistenzzeit besuchte ich weiter philosophische und psychologischeSeminare. Aber einen Abschluss gab es in diesen Studien nicht, weil ichsehr früh mit der Ausbildung in Psychoanalyse begann (siehe unten).

Während des Studiums absolvierte ich ein Praktikum an der psychia-trischen Landesklinik in Bonn auf der Station, die Günther Elsässer leitete

1.1 Mein ersterWeg zur Psychoanalyse

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(siehe auch Kapitel 1.2). Elsässer schlug mir vor, eine Dissertation überdie Familiensituationen bei schizophrenen Patienten zu übernehmen undmich an die Untersuchungen des Psychoanalytikers Theodor Lidz (1959)anzulehnen. Ich arbeitete mich in die Literatur ein, verfasste ein Exposéund trug es Elsässer vor. Er war einverstanden. Aber als es an die prakti-sche Arbeit ging, Familien zu gewinnen, die sich einem Interview stellenwürden, wurde es schwierig. Auch die übrigen psychiatrischen Kollegenin der Landesklinik, die ich nach und nach kennenlernte, belächelten einesolche psychoanalytischeUntersuchung.Da ich jugendlich-enthusiastischwar, wollte ich ihre negativen Einstellungen zu der Behandelbarkeit psy-chisch Kranker nicht teilen. Die Dissertation gab ich zurück, da ich dieFamilien nicht gewinnen konnte und auch keinerlei Unterstützung fand.Retrospektiv finde ich schade, dass ich aufgrund des Mangels an Unter-stützung, die Arbeit zurückgab. Wahrscheinlich wäre mein Weg in derPsychiatrie sonst anders verlaufen. Ich nahm eine biologische Dissertati-on bei Gerhard Piekarsky im Institut für Medizinische Parasitologie derUniversität Bonn an und promovierte über Untersuchungen zu Toxoplas-ma gondii ( Janssen, 1967). Da die Dissertation mit summa cum laudebewertet wurde und ich auch einen Preis der Universität bekam, bot mirGerhard Piekarsky eine wissenschaftliche Assistentenstelle an. Ich nahmsie an neben meiner Tätigkeit als Medizinalassistent in der Inneren Me-dizin, Gynäkologie und Chirurgie. Die Labor- und Kliniktätigkeit nahmmich bis in meine Medizinalassistententätigkeit hinein sehr in Anspruch,fast wäre ich bei der somatischen Seite der Medizin geblieben und hättemich der Inneren Medizin, insbesondere der Tropenmedizin, zugewandtund in diesen Fächern wissenschaftlich qualifiziert (siehe z.B. Janssen,1968, 1970a, b, 1971; Janssen et al., 1970).

Zwei Jahre vor der Aufnahme der Tätigkeit an derNervenklinik (April1970) und noch währendmeiner Tätigkeit am Parasitologischen Institut,also noch in der Medizinalssistentenzeit, bewarb ich mich beim Ausbil-dungszentrum für Psychotherapie und Psychoanalyse des Instituts fürAnalytische Psychotherapie im Rheinland (Köln) und der Universitäts-nervenklinik Bonn wie Günther Elsässer mir empfohlen hatte. Ich musswohl gespürt haben, dass die reine naturwissenschaftliche Tätigkeit imLabor und die klinischen Tätigkeiten auf den Stationen, die mich inder dreijährigenMedizinalassistentenzeit ausfüllten, mich nicht zu einemklaren Berufsziel führten. Ich wollte anderes, Reflektierteres, auch Philo-sophischeres,Geisteswissenschaftliches und sicher auch etwasBesonderes.

1 Autobiografische Vorbemerkungen

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