PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht...

20

Transcript of PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht...

Page 1: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 1Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 2: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die

Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin, das weiße

Schwein, über das die rosa Artgenossen lachen, rettet Lila, das Huhn,

das keine Eier mehr legen kann. Adel, der Junge, der einmal Arzt

werden und nicht so viel träumen soll, schließt Freundschaft mit

dem Kamel im Heidelberger Zoo, das ihm ein großes Geheimnis

verrät.

Rafik Schami, 1946 in Damaskus geboren, zählt zu den bedeutendsten

Autoren deutscher Sprache. Seine Bücher wurden in 23 Sprachen

übersetzt und vielfach ausgezeichnet. In der Reihe Hanser sind von

ihm unter anderem bereits erschienen »Das große Rafik Schami

Buch« (dtv 62418) und »Das Herz der Puppe« (dtv 62572).

Henrike Wilson, 1961 in Köln geboren, studierte dort und in den USA

Grafik-Design und Malerei. Heute lebt sie als freie Illustratorin im

Taunus. Für die Reihe Hanser hat sie bereits Jostein Gaarders »Das

Schloss der Frösche« (dtv 62302) illustriert.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 2Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 3: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

R AFIK SCHAMI

Der Kameltreibervon Heidelberg

Geschichten für Kinder

jeden Alters

Bilder von Henrike Wilson

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 3Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 4: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

Ausführliche Informationen überunsere Autoren und Bücher

www.dtv.de

Rafik Schami in der Reihe Hanser:»Reise zwischen Nacht und Morgen« (dtv 62083)

»Die Sehnsucht der Schwalbe« (dtv 62195)»Der geheime Bericht über den Dichter Goethe,

der eine Prüfung auf einer arabischen Insel bestand« (dtv 62068), in Zusammenarbeit mit Uwe-Michael Gutzschhahn

»Das große Rafik Schami Buch« (dtv 62418)

4. Auflage 20162008 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© Carl Hanser Verlag München 2006Umschlagillustration: Henrike WilsonGesamtherstellung: Kösel, Krugzell

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany · ISBN 978-3-423-62374-2

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 4Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 5: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

Inhalt

Der Kameltreiber von Heidelberg 7

Der Schnabelsteher 32

Albin und Lila 45

Der Löwe Benilo 53

Der Drache und der Verrückte 61

Bobo und Susu 77

Fatima oder die Befreiung der Träume 97

Der fl iegende Baum 115

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 5Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 6: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 6Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 7: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

7

Der Kameltreiber von Heidelberg

or nicht allzu langer Zeit lebte ein Junge namens Adel in der

alten Stadt Heidelberg. Sein Vater arbeitete als Bäckergeselle,

und seine Mutter hatte nach langer Suche eine Putzstelle in

einem Altersheim gefunden. Adel ging in die siebte Klasse eines

Heidelberger Gymnasiums.

Sein Vater hatte große Pläne mit ihm: »Du wirst ein sehr berühm-

ter Arzt werden. Ich werde den Nachbarn in unserem alten Viertel

sagen können: Schaut her! Zwanzig Jahre habe ich die Fremde er-

tragen. Zwanzigmal habe ich die eisigen Winter erduldet. Ich bringe

nicht nur ein Auto, einen Fernseher und zwei Videogeräte mit in die

Heimat zurück, sondern auch einen berühmten Arzt. Sie werden alle

vor Neid erblassen!«

Adel verstand nicht, warum er ausgerechnet Arzt werden sollte.

Am liebsten wollte er Kapitän eines Dampfers sein. Wenn er aber sei-

nem Vater von seinen Träumen erzählte, lachte dieser.

»Genauso wie dein Opa, der war auch immer auf Achse. Nein,

mein Lieber! Lebensmittelhändler oder Arzt. Das sind zwei sichere

Berufe; denn solange Menschen leben, müssen sie essen und krank

werden. Du hast auf immer Kundschaft.«

V

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 7Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 8: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

8

Manchmal war es lustig, den Träumen des Vaters zuzuhören; wenn

er nur nicht dauernd genörgelt hätte. Kam Adel verschwitzt vom

Spielplatz, jammerte der Vater, und wenn er ruhig auf dem Sofa lag

und keiner Fliege etwas zuleide tat, sondern seine Abenteuerromane

las, entsetzte sich der Vater. Einerlei, ob er spielte oder las, für den

Vater war das reine Zeitverschwendung, die sich nur die Kinder der

Reichen leisten konnten. So musste sich Adel notgedrungen immer

wieder neue Ausreden ausdenken, wenn er manchmal zu spät nach

Hause kam. Und wenn er seine spannenden Räubergeschichten las,

versteckte er die Bücher hinter dem großen Mathebuch. Sein Vater

sah aus seiner Ecke nur das Schulbuch und war nicht nur zufrieden,

sondern hatte manchmal gar Mitleid mit seinem fl eißigen Sohn, der

sich stundenlang in die Mathematik vertiefte.

Der Mutter war es gleichgültig, ob Adel Arzt oder Bäcker werden

würde. Wichtig war für sie, dass ihr einziger Sohn gesund blieb. Je

weniger Adel seinem Vater von seinen Träumen und Streichen er-

zählte, desto mehr sprach er mit seiner Mutter, die ihm aufmerksam

zuhörte, lachte oder mit ihm seine Feinde verfl uchte. Er erzählte ihr

auch jedes Abenteuer, über das er las, weil die Mutter selbst nicht le-

sen konnte, aber gerne Geschichten hörte. Dann lachte oder weinte

sie und war oft voller Sorge um den Helden der Geschichte. Und da-

mit sie ruhig schlafen konnte, bat sie Adel manchmal, doch zu sagen,

was aus den Verliebten wurde, die in Ungnade gefallen waren.

Die Arbeit in der Bäckerei war hart, aber der Vater schien zufrie-

den zu sein. Er freute sich über die freien Samstagnachmittage und

die Sonntage. In Damaskus – Adels Heimatstadt – haben die Bäcker

keinen freien Tag; sie arbeiten sieben Tage in der Woche. Adels Mut-

ter aber war alles andere als zufrieden. Sie fand das Leben in der

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 8Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 9: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

9

Fremde ungemein langweilig. »In Damaskus«, klagte sie oft, »fehlt

den Nachbarn immer etwas, mal ein bisschen Zucker und manchmal

etwas Reis und immer ein bisschen Nähe. Deshalb besuchen sie sich.

Hier fehlt den Leuten nichts. Sie brauchen nicht einmal ihre Alten.

Sie stecken sie einfach ins Altersheim.«

Adel versuchte oft, nach der Schule den Nachbarn und Freund zu

spielen, um den Kummer seiner Mutter zu lindern. Er tratschte mit

ihr über seine Lehrer, ihre Heimleiterin und den Vater.

Schwer ist das Leben der Männer in der Fremde, doch noch schwe-

rer das der Frauen.

Wenn der Vater aus der Bäckerei kam, wusch er sich, aß und schlief

eine Weile. Und ging er danach nicht in die Stadt spazieren oder ei-

nen Freund besuchen, machte er sich einen starken Tee, verschwand

im kleinen Zimmer der Eltern und verschloss die Tür hinter sich.

Eines Tages hörte Adel, wie sein Vater mit jemandem sprach. Er

wunderte sich über diesen Gast, den er nicht hatte kommen sehen.

Auf Zehenspitzen näherte er sich der Tür. Die tiefe Stimme des Un-

bekannten war deutlich zu hören, aber als Adel an die Tür klopfte,

wurde es still. Nach einer kurzen Weile öffnete sein Vater die Tür und

sah ihn verärgert an.

»Musst du unbedingt stören? Was ist los?«

»Vater, mit wem hast du gerade gesprochen?«

»Mit niemandem!«

Adel versuchte, in das Zimmer zu spähen, sah aber nur ein großes

Buch auf dem kleinen Hocker liegen.

»Was ist das für ein Buch?«, fragte er neugierig.

»Das ist nichts für Kinder! Nun lass mich in Ruhe!«, fuhr ihn sein

Vater ungeduldig an und knallte die Tür wieder zu.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 9Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 10: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

10

Wessen Stimme war das? Warum erzählte sein Vater ihm nicht,

was das für ein Buch war? Diese Fragen gingen Adel nicht aus dem

Kopf.

In jener Nacht, das Frühjahr neigte sich dem Ende zu, regnete es

in Strömen und der Wind sang sein Lied durch die Zweige der Trau-

erweide vor dem Fenster. Adel konnte lange nicht einschlafen; denn

immer wieder drangen leise Stimmen aus dem kleinen Zimmer zu

ihm herüber. Wenn der Regen laut an die Fensterscheibe klopfte,

konnte Adel für einen Augenblick das Gefl üster vergessen; doch be-

ruhigte sich der Wind ein wenig, drang das leise Raunen erneut an

seine Ohren und vertrieb die Müdigkeit aus seinen Augen.

Adels Neugier wuchs in den folgenden Tagen ins Unermessliche.

Gründlich durchkämmte er die Wohnung nach dem Buch und ent-

deckte dessen Versteck: Ein kleiner verschlossener Schrank, dem

Adel bisher kaum Beachtung geschenkt hatte, stand in dem Zimmer

seiner Eltern. Nur darin konnte das Buch liegen, da war sich Adel si-

cher. Den einzigen Schlüssel trug der Vater allerdings immer bei sich.

Der Schrank wehrte sich standhaft gegen Adels Versuche, ihn

mit anderen Schlüsseln zu öffnen. Manchmal vergaß Adel die Stim-

me und das Buch für ein paar Tage. Dann aber drang das Gefl üster

Samstag für Samstag unüberhörbar wieder aus dem kleinen Zimmer

und bohrte sich gnadenlos in seine Ohren.

Eines Tages wollten Adels Eltern einen kranken Kollegen des Vaters

in Mannheim besuchen. Adel fi eberte ein paar einsamen Stunden

entgegen. Er schob seine Hausaufgaben als Grund vor, daheim zu

bleiben. Die Mutter wollte das nicht gelten lassen, da der Besuch von

Kranken für sie wichtiger war als alle Hausaufgaben der Welt.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 10Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 11: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

11

Der Vater aber nahm seinen Einzigen in Schutz. »Ein Besuch macht

noch keinen Arzt«, sagte er bedeutungsvoll.

Die Eltern fügten noch hinzu, sie würden erst spät heimkommen,

da der Kollege sie nicht ohne Abendessen zurückkehren lassen wür-

de. So ist es nämlich Sitte bei den Arabern, sie nehmen immer an,

die Gäste seien hungrig und durstig, und bieten ihnen deshalb Essen

und Getränke an. Andere Völker vermuten, dass die Gäste schon

übersättigt sind, und bieten ihnen deshalb freundlich nichts an.

Als die Eltern endlich gegangen waren, wartete Adel noch eine kur-

ze Weile, dann hielt er es nicht mehr aus und stürmte in das kleine

Zimmer. Aufgeregt stand er vor dem Schränkchen und starrte es an.

Plötzlich strahlte er. Er rückte es von der Wand, holte einen Schrau-

benzieher und löste die vier Schrauben, mit denen die Rückwand

befestigt war.

Als wäre das Schränkchen nur für das Buch gedacht, waren die

anderen Regale gähnend leer. Auf dem untersten Regal lag das dicke

Buch mit der dunklen, ledernen Hülle.

Adel trug es vorsichtig, als wäre es aus Glas, zu einem Hocker. Mit

zitternden Händen schlug er es auf. Auf der ersten, bunt geschmück-

ten Seite las er den in geschwungenen arabischen Schriftzeichen ge-

schriebenen Titel:

»Mein abenteuerliches Leben und meine überaus beeindrucken-

den Erlebnisse mit Mensch und Tier, aufgezeichnet vom frommen

Sklaven Gottes und über alle Maßen gerechten und mutigen Räuber

Adel.«

Ein Lächeln umspielte Adels Mund. Er dachte, sein Vater mache

ein riesiges Geheimnis um ein einfaches Räubermärchen. Voller

Neugier blätterte er die Seite um. Weißer Rauch zischte aus dem

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 11Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 12: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

12

Buch und füllte im Nu den Raum. Adel fuhr erschrocken einige

Schritte zurück, er wollte zur Tür fl üchten, doch er stolperte über

vorher nicht da gewesene Matratzen und Hocker.

Als die Rauchschwaden sich verzogen, enthüllten sie einen al-

ten Mann, der in arabischem Gewand auf einem Teppich saß. Das

Zimmer war verschwunden. Unendlich weit erstreckte sich die

Wüste. Bei einer Feuerstelle nahe dem Zelt spendete eine Palme et-

was Schatten. Eine leichte Brise trug den würzigen Kaffeeduft von

einer großen Kanne zu Adel herüber. Nur das aufgeschlagene Buch

auf dem Hocker war unverändert geblieben.

»Deine Hände zittern, mein Sohn! Sie sind so klein wie die der Kin-

der. Was ist los mit dir?«, sprach der alte Mann auf Arabisch.

Adel schaute verwundert den großen, schneeweißen Schnurrbart,

das krumme Schwert an der Seite des Mannes und dessen große,

knorrige Hände an.

»Ich bin nicht dein Sohn!«, fl üsterte er mit trockener Kehle.

»Wie redest du heute? Ich verstehe kein Wort«, wunderte sich der

alte Mann.

»Das ist Deutsch«, erklärte Adel auf Arabisch. »Ich bin nicht dein

Sohn, habe ich dir gesagt. Siehst du das nicht?«

»Nur Lebende haben Augen zum Sehen. Ich höre und fühle dich.

Das genügt. Warum zitterst du?«

»Ich habe Angst vor dir. Du bist aus dem Rauch gekommen. Wer

bist du?«

»Ich bin Adel der Gerechte. Ich bin die Freude der Armen und der

Schrecken der Reichen. Wenn dein Geldbeutel nicht größer als dein

Herz ist, brauchst du keine Angst vor mir zu haben. Wie heißt du?«

»Mein Name ist auch Adel.«

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 12Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 13: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

13

»Mein Enkel?!«, rief der alte Mann und strahlte über das ganze

Gesicht. »Du bist also mein Enkel. Warum versteckt dich dein Vater

bloß vor mir? Er sagte, du willst Arzt werden und hältst von der Stra-

ßenräuberei nicht viel.«

Adel lachte und erzählte seinem Großvater, dem berühmtesten

Straßenräuber in der Geschichte Syriens, welche Wünsche er tat-

sächlich hatte. Beide lachten laut.

»Aber sag mal, wenn du gestorben bist, wie kannst du aus dem

Buch kommen? Bist du ein Geist?«

»Gestorben bin ich schon lange, aber ich erwache jedes Mal zum

Leben, wenn jemand das Buch sehnsüchtig liest«, antwortete der

Großvater und fi ng an, die Geschichte seines Lebens zu erzählen.

Adel staunte, wie der alte Räuber Zeile für Zeile berichtete, ohne

in das Buch zu schauen. Wenn er anhielt, blätterte Adel die Seite um,

und der Großvater erzählte weiter, wie er den Weg vom ängstlichen

Bauernknecht zum mutigsten Straßenräuber gegangen war.

Als der alte Mann mit seiner tiefen Stimme stolz von jener Schlacht

erzählte, in der er mit achtzig Räubern über zweitausend Soldaten

in die Flucht geschlagen hatte, rief Adel: »Du musst aber sehr mutig

sein. Mein Vater bekommt schon weiche Knie, wenn ein Polizist ihn

anhält.«

»Mut allein haben nur Dummköpfe. Ein Räuber ist nicht nur mu-

tig. Er ist klug und weiß, was er will. Er muss präzise wie ein Uhr-

macher, mutig wie eine Mutter, deren Kinder in Gefahr sind, und

lautlos listig wie eine Schlange sein. Ich bin vierzig Jahre lang in

den Bergen gewesen, und niemand konnte mich fassen, weil ich

überall in den Herzen der Armen geborgen war. Mein Bett war die

Erde und meine Decke der Himmel. Ich musste Tier und Mensch

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 13Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 14: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

14

verstehen. Ein Räuber, der nur Geld scheffelt, ist ein armer Hund.

In meiner Truppe habe ich alles verzeihen können, auch wenn einer

meiner Männer einen Teil der Beute versteckt hielt und nicht teilen

wollte. Niemals aber habe ich es verziehen, wenn einer Kinder un-

ter den Reisenden misshandelte. Den habe ich sofort aus der Truppe

entfernt. Kinder muss ein Räuber schonen, sonst ist er ein Schuft,

ein schäbiger Kerl! In meiner Satteltasche hatte ich immer Bonbons

und Nüsse für die Kinder, damit sie sich nicht langweilten, bis wir

unsere Arbeit erledigt hatten. Manch ein Kind verriet uns, wo seine

Eltern die Geldbeutel versteckt hatten. Die Geizhälse versteckten

oft ihre Geldbeutel bei ihren Frauen, obwohl sie ihnen doch sonst

keinen Groschen anvertrauten.

Ja, manches Kind rief sogar: ›Geldbeutel her, sonst frisst Adel eure

Leber ungebraten!‹ Dir kann ich es ja sagen, ich habe Leber nie ge-

mocht, aber die Reisenden zitterten immer bei der Vorstellung, ich

würde es tun, und rückten lieber ihr Geld heraus.«

Der alte Räuber schwieg.

»Und weiter!«, rief Adel ungeduldig.

»Blättere um bis zum nächsten Kapitel.«

Adel blätterte schnell und las laut die Überschrift:

»Wie ich einen Löwen ohrfeigte.«

»Ja, das war in einem Frühjahr. Ich wollte den Staub der weiten

Reise loswerden und mich im klaren Wasser eines kleinen Flusses er-

frischen. Ich hatte mich noch nicht einmal ausgezogen, als das Was-

ser sich trübte. Ich schaute auf. Eine Löwin plätscherte zusammen

mit ihren drei Jungen im Wasser herum. Ich merkte, dass sie fremd

in meinem Gebiet waren; denn kein anderer Löwe hätte es gewagt,

mein Badewasser zu trüben.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 14Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 15: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

15

Ich brüllte sie an: ›Erst zählt der Mensch und dann das Tier!‹ Sie

sollten verschwinden, bis ich in Ruhe gebadet hatte. Plötzlich tauch-

te ein mächtiger Löwe auf und brüllte fürchterlich. Ich fragte ihn in

Löwensprache, ob er ein paar Ohrfeigen bräuchte. Der Löwe aber

rief: ›Das werden deine letzten sein‹, und sprang mich an. Ich gab

ihm dreiundneunzig Ohrfeigen und sagte ihm immer wieder, er kön-

ne noch mehr haben. Dann packte ich ihn am Schwanz und schleu-

derte ihn so lange im Kreis herum, bis ihm schwindelig wurde und

er anfi ng, wie eine Miezekatze zu miauen und um Gnade zu betteln.

Ich ließ ihn frei. Er taumelte zu seiner Familie. Seit jenem Tag wusste

auch die Bescheid.«

Der alte Räuber begann zu gähnen.

»Erzähl doch weiter!«, bettelte Adel.

»Ich kann nicht. Wer aus seinem Herzen heraus erzählt, spürt eine

immer größer werdende Leere. Ich muss mich ausruhen!«, sagte der

Alte und gähnte noch einmal herzhaft.

»Dann warte ich, bis du dich ausgeruht hast!«

»Du musst das Buch zuklappen!«

Adel klappte widerstrebend den Deckel zu.

Der Großvater, das Zelt und die Wüste verschwanden augenblick-

lich. Adel schaute auf die Uhr: Es war bereits nach elf.

Schnell stellte er das Buch zurück in den Schrank und schraubte

die Rückwand an. Er war gerade fertig, als er im Hof die Stimme sei-

nes Vaters hörte. Mit einem Sprung erreichte er das Sofa und nahm

das seit dem Nachmittag aufgeschlagene Geographiebuch in die

Hand.

Sein Vater strahlte zufrieden, als er seinen fl eißigen Jungen sah.

»Tüchtig, tüchtig!«, lobte er.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 15Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 16: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

16

Die Mutter stöhnte aus Sorge über die Augen ihres Sohnes.

»Vater, was war Opa eigentlich von Beruf?«, fragte Adel listig.

»Er war – wie soll ich sagen – ein edler Ritter!«

»Hatte er eine Burg und viele Knechte?«

»Hm, nein, das nicht!«

»Wovon hat er denn gelebt?«

»Er nahm Gebühren von den Reisenden.«

»War er denn ein Schaffner?«

»Nein, das auch nicht.«

»Dann muss er ein Straßenräuber gewesen sein!«

»Das könnte man so nennen, und jetzt geh schlafen«, stöhnte der

Vater verzweifelt.

Die Tage krochen langsam dahin und Adels Sehnsucht nach sei-

nem Großvater wuchs von Tag zu Tag. Seine Mutter bemerkte seine

Unruhe. Sie fragte ihn nach dem Grund, doch Adel schwieg. Zum

ersten Mal in seinem Leben spürte er, dass ein Geheimnis nur ihm

gehörte.

An einem Sonntag beschlossen die Eltern, eine Familie im nahen

Neckargemünd zu besuchen. Adel schob gewitzt eine schwere Haus-

aufgabe, die er am Montag abgeben musste, als Entschuldigung vor,

damit er zu Hause bleiben konnte.

Mit fi ebernden Händen legte er das Buch auf den Hocker. Er schrak

nicht mehr vor dem Rauch zurück, sondern wartete ungeduldig auf

den alten Räuber.

»Heute zitterst du noch mehr!«

»Ich habe schon ungeduldig eine ganze Weile auf dich gewartet!

Nun erzähl doch bitte weiter!«

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 16Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 17: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

17

»Lies den Titel!«

Adel schaute auf die aufgeschlagene Seite.

»Das wunderbarste Tier der Erde: das Kamel.«

Als er die Überschrift gelesen hatte, fi ng der alte Räuber an zu erzäh-

len, wie ein Kamel ihm einst das Leben gerettet hatte. Er schwärmte

lange von den Eigenschaften des Wüstenschiffes, ohne das die arabi-

sche Kultur nicht denkbar gewesen wäre. Die Araber bewunderten

das Kamel so sehr, dass sie das Wort »Schönheit« von seinem Namen

ableiteten. Er lobte das einzigartige Gedächtnis des Tieres, das sich

nicht nur an verschüttete Wüstenwege und Wasserquellen erinnerte,

sondern seine Peiniger auch noch Jahre später wiedererkannte und

bestrafte.

Lange schwärmte der Großvater vom großartigsten aller Tiere,

und Adel wartete geduldig auf das Ende der Geschichte. Sie langweil-

te ihn etwas, aber er hörte gerne die tiefe Stimme des alten Räubers,

und als ob dieser es spürte, erhob er seine Stimme, um die Aufmerk-

samkeit seines Zuhörers erneut zu fesseln.

». . . und das Kamel kann besser als der Mensch eine Oase von ei-

ner Fata Morgana unterscheiden. Wären die Menschen Kamele, hät-

ten sie uns einige Dummheiten erspart.«

Ungeachtet der lauten Stimme seines Großvaters gähnte Adel

herzhaft. Und als der alte Räuber auch noch von der Kunst der

Kameltreiberei schwärmte, wollte Adel beinahe das Buch zuklap-

pen.

»Und ich sage dir, nur die Aquarellmalerei ist schöner!«, rief der

alte Mann noch ganz erregt.

»›Kameltreiber‹ ist doch ein Schimpfwort!«, wandte Adel ein und

winkte geringschätzig mit der Hand.

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 17Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 18: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

18

»Was sagst du da? Ein Schimpfwort? Bei welchen Barbaren lebst

du!«

Ȇberall schimpfen die Leute so. Sogar mein Freund Horst sagt es,

wenn ich ihn ärgere!«

»Dann ist er kein Freund. Ich kenne ihn nicht, aber ein Dummkopf

ist niemals ein guter Freund. Weiß dieser Barbar, dass ein Kamel alle

Sprachen der Welt versteht?«

»Ach Opa, du übertreibst! Ein Kamel ist doch noch dümmer als

ein Esel.«

»Das ist sein Geheimnis, mein Junge. Schlauer als der Fuchs zu

sein und dümmer als der Esel zu scheinen. Du kannst es erfahren,

wenn du willst.«

»Soll ich mit einem Kamel Latein reden?«

»Ich weiß nicht, ob das Kamel Latein braucht, aber wenn du das

Schlüsselwort lernst, es in deinem Herzen trägst und einem Kamel

sagst, wirst du staunen, was . . .«

»Was ist das für ein Wort?«, unterbrach Adel seinen Großvater neu-

gierig.

»La Dimokratia Bidun Hukuk Alakaliat Wa Huriat Almarat. Al Hal

Alwahid Hua Al . . .« (Die fehlenden Wörter verweigert der Autor,

damit die Kamele in Ruhe gelassen werden. – Der Verlag)

Am Freitag war der Vater noch in der Bäckerei. Die Mutter ging ein-

kaufen, und das verabredete Fußballspiel im Verein fi el aus. Adel

trieb sich gelangweilt in der Wohnung herum.

Plötzlich erinnerte er sich seines Großvaters und beschloss, die

halbe Stunde, bis die Mutter zurückkommen würde, bei ihm zu ver-

bringen. Er holte das Buch und blätterte lustlos darin herum, aber

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 18Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 19: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

19

weder Rauch noch der alte Räuber kamen zum Vorschein. Unruhe

packte Adel. Er behielt das Fenster im Auge, um die Rückkehr seiner

Mutter aus dem Supermarkt nicht zu verpassen. Er blätterte

und blätterte, dann warf er das Buch in den Schrank, schraubte die

Rückwand zu und eilte hinaus, um seiner Mutter eine der schweren

Einkaufstüten abzunehmen. Was war mit dem Großvater passiert?

War er nun zum zweiten Mal gestorben? Oder hatte das Buch seinen

Zauber verloren?

In den folgenden Tagen wuchs die Unruhe in Adel noch; er brannte

darauf, das Buch noch einmal in die Hand nehmen zu können. Er aß

wenig und spielte kaum mit den Jungen seiner Klasse.

Wie Regen nach einem schwülen Nachmittag erlöste Adel nach ein

paar Tagen die Nachricht, die Eltern würden am Samstag zu einem

Beschneidungsfest nach Eppelheim fahren. Er schaute den Eltern

nach, stürzte dann ins Zimmer und schlug das Buch mit zitternden

Händen auf.

»Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht!«, schrie Adel

seinen Großvater aufgeregt an.

»Erst grüßt ein Araber, auch wenn er einem Feind begegnet!«,

tadelte ihn der alte Mann.

»Ja, grüß dich! Wo warst du?«, brummte Adel.

»Ja, auch ich grüße dich herzlich. Ich war immer in deiner Nähe.«

»Aber ich habe es versucht, du kamst nicht heraus.«

»Zu einem guten Buch gehören wie in der Liebe zwei: ein guter

Autor und ein guter Leser. Der beste Leser macht ein schlechtes

Buch nicht besser, und was nützt die schönste Geschichte, wenn

du gelangweilt darin herumblätterst. Hast du mit einem Kamel ge-

sprochen?«

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 19Über 400 Jahre

Bücher mit System

Page 20: PDF zur Ansicht,mitder Bitte um schnellstmögliche ... · Bobo, der Elefant, der sich nicht streiten möchte, liebt Susu, die Maus, die immer so spannende Geschichten erzählt. Albin,

20

»Ich habe die Formel, dieses komische Zauberwort, vergessen!«,

gestand der Junge.

Adel lernte an jenem Abend nicht nur das Schlüsselwort, sondern

genoss wieder aufregende Stunden mit seinem Großvater und des-

sen Abenteuern.

Am nächsten Tag eilte Adel in den Heidelberger Zoo. Er beachte-

te weder die Affen noch die Flamingos. Ihn interessierte nur ein

Tier.

Da stand das Kamel, kaute und schaute unbeteiligt in die Gegend.

Adel lehnte sich an den Zaun des Geheges. Sein Herz klopfte aufge-

regt. Er sprach die Worte laut und deutlich, die er auf dem Weg zum

Zoo mehrmals wiederholt hatte. Plötzlich schaute ihn das Kamel mit

aufgerissenen Augen an.

»Hallo, Junge!«, rief es überrascht und rannte zum Zaun.

Adel streichelte es an der Schläfe.

»Wieso kennst du das Schlüsselwort? Du bist doch noch so jung!«

»Mein Großvater hat es mir gesagt. Er war ein berühmter Räuber

in Syrien und hat sich mit Kamelen angefreundet, nachdem sie ihm

das Leben gerettet haben . . .«

»War dein Opa vielleicht Adel der Gerechte?«, wollte das Kamel

wissen.

»Ja, woher weißt du das?«, fragte Adel überrascht.

»Meine Urgroßmutter hat ihn, als er verwundet war, drei Tage auf

ihrem Rücken getragen, bis sie ihn in einer Oase in Sicherheit wuss-

te. Überall erzählte sie von seinen edlen Eigenschaften. Er war einer

der wenigen Freunde der Kamele. So, so, diese Stammbaum hat

dich also zu mir geführt.«

PDF zur Ansicht, mit der Bitte um schnellstmögliche Druckfreigabe!DTV_14315696_62374_Schami_Kameltreiber Seite 20Über 400 Jahre

Bücher mit System