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Barbara Seibert People. Unterwegs mit dem glokalen Kompass Kapitel 1 Dubai

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1 Barbara Seibert

People. Unterwegs mit demglokalen Kompass

Kapitel 1Dubai

Barbara SeibertPeople. Unterwegs mit dem glokalen Kompass

Herzlichen Dank der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur

Redaktionsschluss: 04.10.2017Alle Rechte liegen bei der Autorin.

Barbara Seibert studierte Geographie und Religionswissenschaft. Nach 20 Jahren als selbstständige Unternehmerin leitet sie seit 2007 das Elbinstitut Hamburg e.V., in dem sich bisher über 1000 Fellows mit Migrationsgeschichte schulbegleitend oder schulunabhängig in Sprache und Allgemeinbildung qualifiziert und zahlreiche Debatten-runden stattgefunden haben.

ISBN 978-3-9813256-7-6 www.elbinstitut.de

Barbara Seibert

People. Unterwegs mit demglokalen Kompass

Kapitel 1Dubai

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Daten und Fakten

Der Aufstieg Dubais

Der Diplomat

Der Wüstenpfarrer

Die Juristin

Der Businessman

Der Pakistaner Ali

Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum:Wenn Leidenschaft zu Zukunft wird

Reiter am Golf

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A great leader creates more great leaders and does not reduce the institution to a single person. – Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum

The Executive Office of His Highness Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum (2015): Flashes of Wisdom. The Collected Quotes of Mohammed bin Rashid Al Maktoum, Motivate Publishing, S. 82. Getty Images.

Vorwort

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1 Der Begriff gehört zu den längsten Worten der deutschen Sprache. Quelle: http://www.sprachlog.de/2013/06/05/das-neue-laengste-wort-des-deutschen. Abgerufen am 3.10.2017.

2 Seibert, Barbara. „Glokalisierung“. Lit Verlag Münster 2017 (zweite Auflage).

Bildquelle: Privat 2017

Auch wenn der Begriff „Glokalisierung“ für manchen Zeitgenossen vielleicht fast so umständlich klingt wie „Synchronisation“ oder gar die „Vermögenszuordnungszuständigkeitsübertragungsverordnung“ ¹, so kann sie in diesem Buch für sich in Anspruch nehmen, nahe an den Menschen zu sein: Denn in den derzeit drei geplanten Großkapiteln geht es um deren Geschichten in global-lokalen Umgebungen. Dabei erzählt das Buch in einer fortlaufenden Form und kann immer wieder ergänzt werden. Wie im eher wissenschaftlich orientierten Debatten-buch „Glokalisierung“ ² oder auch der Einleitungsseite www.gloka-lisierung.eu für ein allgemein interessiertes Publikum geht es auch hier nicht um schrille Sensationen, sondern um Beobachtungen und Gespräche im ganz normalen Leben: „People“, Menschen, erscheint mir für diese Betrachtung ein so neutraler wie allgemein verständlicher Titel zu sein. Der Untertitel „Unterwegs mit dem glokalen Kompass“ gibt die Verortung wieder, mit Begriffen der Geographin.

Dabei hat „glokal“ hier eine regional orientalische Bedeutung. Denn in nicht politischen Zusammenhängen ist seine praktische Anwendung eine andere als in sogenannten „vorpolitischen“ oder gar „politischen“ Räumen: Noch mehr als dort ist „glokal“ ein Synonym für Verpflich-tungen, Spielregeln, die Anerkennung bestehender Realitäten und gleichzeitig eine konstruktive Umsetzung auf Basis gemeinsamer Ziele. Dies, so werden wir im Text lesen, beschreibt dann auch je Formen „glokaler Identitäten“, welche neben anderen kulturbezogenen Iden-titäten bestehen können. Dies vorausgeschickt, bevor wir nun auf die Reise gehen.

Das erste Kapitel führt uns über fünf Flugstunden von München in südöstliche Richtung – nach Dubai. Die Millionenstadt am Golf und ihr glokales Konzept sind mir auf einer fast zufälligen Reise sozusagen vor die Füße gefallen und sie hat mich von Anfang an fasziniert: Hier erlebte ich mein Konzept über unser Hamburger Elbinstitut hinaus,

Vorwort

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Bildquelle: Privat 2017

in einer orientalischen Variante, aber gleichwohl der entsprechenden Haltung und weiter entwickelt auf der Straße, im Gespräch mit Taxi-fahrern, Kellnern, Verkäuferinnen und Verkäufern. Hier „lebt“ das Glokale, wenn auch nicht in einer demokratischen Staatsform und weitgehend ohne vorpolitische und politische Gremien.

Es war dann ein Glück, dass die Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur sich bereit erklärte, meiner Neugier eine finanzielle Basis zu geben, sodass ich mich aufmachen konnte, Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zu suchen, die bereit waren, mir aus ihrem Le-ben zu erzählen. So entstanden zunächst eine Reihe von Gesprächen mit Deutschen in Dubai, die in ganz verschiedenen Bereichen arbeiten und leben und mit ihrem nichtlokalem kulturellen Hintergrund von ihren Erfahrungen und Erlebnissen erzählten: Sie sind sozusagen „Übersetzer“ für die Stadt am Golf.

Kurz vor Erscheinen dieser Geschichten kam mir wiederum ein Zufall zur Hilfe, um einen noch leeren Raum zu füllen: Normalerweise ist es sehr schwierig, mit einem der asiatischen Gastarbeiter zu sprechen, denen Dubai neben vielen anderen Faktoren seinen Aufstieg verdankt. Eines schönen Augusttages erzählte mir einer unserer Fellows im Institut, dass sein Vater als Bauarbeiter in Dubai begonnen hatte und heute in einer weit besseren Stellung dort immer noch lebt. Dieser Mann erklärte sich zu zwei Skype-Gesprächen bereit, sodass ich Ihnen eine Stimme auch dieser Seite von Dubai wiedergeben kann.

Bevor wir nun beginnen, möchte ich sehr herzlich der Hamburger Stif-tung für Wissenschaft und Kultur für die Finanzierung danken und allen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern für Ihre Bereitschaft zur Erzählung, zum Gespräch und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Auch danke ich Lisa Winkler (Lektorat), Simon Steinberger (Grafik) und Lea Petschulat (Bildauswahl) für ihre große Unterstützung.

Vorwort

Und Ihnen wünsche ich nun Freude beim Lesen dieses ersten Kapitels.

Barbara Seibert

Daten und Fakten

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Quelle Infobox: http://www.dubai.ae/en/aboutdubai/Pages/DubaiEconomy.aspx (Abgerufen: 06.06.2017)http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/VereinigteArabischeEmirate_node.html (Abgerufen: 06.06.2017)

Daten und Fakten

Bildquelle: Privat 2017

Fläche

Einwohner

Hauptstadt

Amtssprache

Bruttoinlandsprodukt

Bruttosozialprodukt

Währung

Botschaft in Deutschland

Regierung

Nationalfeiertag

Verwaltungsgliederung

Staats- und Regierungsform

Staatsreligion

Religionen

Rechtssystem

Parlament

Bevölkerung

Sprachen

Arbeitslosigkeit

Inflationsrate

Außenhandel

77.700 km2

9.157.000 = 118 je km2 (2015)

Hauptstadt: Abu Zabi (Abu Dhabi)

Amtssprache: Arabisch

ca. 345 Milliarden US-Dollar (2015)

ca. 36.000 US-Dollar (2015) pro Einwohner

1 Dirham (Dh.) = 100 Fils = 0,2316 Euro (4.10.2017)

Hiroshimastr. 18, 10787 Berlin, Deutschlandwww.uae-embassy.ae/Embassies/de

Staatsoberhaupt: Khalifa bin Zâyid Al Nahayân

2. Dezember

Sieben Emirate als weitgehend autonome Bundesstaaten

Monarchie nach einer Verfassung von 1971. Föderation (Ittihad) von sieben autonomen Emiraten

Islam

76% Muslime (überwiegend Sunniten), 9% Chris-ten; 15% andere Religionen (2006)

Scharia

Föderativer Nationalrat

4.106.427 Einwohner (2005)(ca. 70% Araber, bis zu 10% Nomaden; Iraner, Inder, Bangladescher, Pakistaner u. Philippi-ner; 75% Ausländer)

Arabisch; außerdem Hindi, Urdu u. Farsi

Ø 2015: 3.7%(in % aller Erwerbspersonen)

Ø 2015: 4.1%

Import: 230 Mrd. US-$ (2015)Export: 265 Mrd. US-$ (2015)

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4 Quelle: Auswärtiges Amt, Stand 2016. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-lodes_Uebersichtsseiten/Vereinigte-ArabischeEmirate_node.html, (Abgerufen am 31.05.2017)

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Stand 2016. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65830/vereinigte-arabische-emirate, (Abgerufen am 07.06.2017).

http://www.dailymail.co.uk/news/article-2144613/Pictures-Dubai-1960s-1970s-city -fishing-settlement.html

Dubai liebst Du oder Du hasst es und tatsächlich: Die Riesenstadt am Golf spaltet wie wenig andere Orte der Welt die Gemüter. Für die einen überdrehter irrealer Glitzertempel oder auch Turmbau zu Babel, für andere die „Stadt des Übermorgen“, wie der Journalist Dietmar Ossen-berg es einmal formulierte. Dubai macht vielerlei Dimensionen wahr, die wohl nur einer ganz und gar freigesetzten, unabhängigen Phantasie gemeinsam mit großem Reichtum entspringen können. Und wo auch immer ihr Ursprung liegt: Eine real gewordene Herausforderung für die Auseinandersetzung mit der Zukunft ist die Stadt allemal. Denn sie vereint auf besondere Art und Weise globale und lokale Elemente und sucht sich ihren ganz eigenen Weg im Spannungsfeld zwischen vergangenen und künftigen Traditionen, westlichen und orientalischen Moden, Sicherheit und Freiheit.

Dubai liegt am südöstlichen Teil der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bzw. den United Arab Emirates (UAE), und ist einer von sieben weitgehend autonome Bundesstaaten, bzw. Emiraten: Abu Dhabi, Adschman, Dubai, Fudschaira, Ra’s al-Chaima, Schardscha, Umm al-Qaiwain. Angrenzende Länder sind der Oman und Saudi-Arabien und über eine Seegrenze der Iran. Der Creek, Handelsfluss mit langer wechselvoller Geschichte nach Fernost, teilt und verbindet die beiden Teile des modernen Dubai.⁴

Die Hauptstadt der VAE ist das benachbarte Abu Dhabi mit circa 2,5 Millionen Einwohnern. Insgesamt leben ca. 9,15 Millionen Menschen in den Emiraten, davon 85 Prozent Ausländer und von ihnen 5 Millio-nen Inder und eine Million Pakistani. Dubai zählt insgesamt 1.321.453 Einwohner, mit einem Anteil von noch ca. zwölf Prozent sogenannter Locals.

Die Landessprache ist Arabisch, aber auch Englisch wird weit verbreitet gesprochen. Hinzu kommen die Sprachen der jeweiligen Regionen und

Daten und Fakten

24 25Kapitel 1, Dubai

5 Wheeler, Julia: „Dubais formidable new ruler“, 5.1.2006, aus: news.bbc.co.uk/2/hi/middle-east/4582236.ttm, (abgerufen am 4.10.2017)

6 Global Summit of Women Speakers of Parlament

http://www.dailymail.co.uk/news/article-2144613/Pictures-Dubai-1960s-1970s-city -fishing-settlement.html

Kulturen. Staatsreligion ist der Islam mit 80 Prozent Sunniten und 16 Prozent Schiiten. In den VAE herrscht Religionsfreiheit und vor allem in Dubai gilt alles andere als geschäftsschädigend.

Dubais Staatsform wird überwiegend als konstitutionelle Monarchie beschrieben und das Emirat kann nicht ohne die Vereinigten Arabischen Emirate insgesamt gedacht werden. Deren Staatsoberhaupt ist Seine Hoheit Präsident Scheich Halīfa bin Zāyid bin Sultān Āl Nahyān: Der Herrscher von Abu Dhabi wurde am 3.11.2004 von den Oberhäuptern der Emirate gewählt und 2009 für weitere fünf Jahre bestätigt. Sein Stellvertreter in Personalunion des Regierungschefs und Verteidi-gungsministers von Dubai ist S.H. Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, gleichzeitig Verteidigungsminister und als Herrscher des Emirates Dubai laut BBC ⁵ seit Anfang 2006 im Amt.

Der Nationale Bundesrat (Federal National Council/ al-Majlis al-Ittihadi al-Watani) der VAE nimmt die Aufgaben eines Parlamentes wahr. Er besteht aus insgesamt 40 Mitgliedern, 20 gewählten und 20 von den Emiren ernannten Abgeordneten, die in beratender Funktion tätig sind. Acht Sitze hält Dubai . Die letztvergangenen Wahlen fanden am 03.10.2015 statt. Die Präsidentin des Parlaments ist Ihre Exzellenz⁶ Dr. Amal Abdullah Al Qubaisi, eine Frau! Das höchste Bundesorgan der VAE ist der aus den Herrschern aller sieben Emirate bestehende Oberste Rat al-Majlis al-Ala oder Supreme Council. Regierungspar-teien, eine Opposition oder Gewerkschaften gibt es nicht.

Daten und Fakten

Der Aufstieg Dubais

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8 www.thecrazyfacts.com/10-interresting-facts-dubai.com, (abgerufen am 1.6.2017)9 N.N.: Zahl der Autos pro Einwohner: Dubai überholt Metropolen, 16.3.2015

(abgerufen am 4.10.2017.)10 Deutsch: am arabischen Golf führendes Mehr-Zweck Geschäftszentrum und

regionalen Knotenpunkt11 Deutsch: Hat sich als Handelsdrehkreuz entpuppt12 www.thecrazyfacts.com/10-interresting-facts-dubai.com, (abgerufen am 1.6.2017)

Im Jahr 1968 fuhren in Dubai 13 Autos ⁸, im Jahr 2015 laut NT-V runde 1,4 Millionen ⁹.

Mehr als manche andere Zahl zeigt dieser Vergleich den rasanten Auf-stieg von Dubais Wirtschaft: Eine Kombination aus Umgebung, Kosten, Markt und weichen Standortvorteilen, wie Gastronomie, Vergnügungen, riesigen Shoppingmalls, aber auch der radikal durchgeplante, stellen-weise rücksichtslose Einsatz von armen und ärmsten Menschen bilden seit vielen Jahrzehnten ein ideales und attraktives Klima für lokales und expatriates Business. Die „Arabian Gulf’s leading multi-purpo-se business center and regional hub city“ ¹⁰ wird erlebte Realität der dynamisch wachsenden globalen Märkte.

Und dies nicht erst seit gestern: Das moderne Dubai steht in einer historisch gewachsenes Handels- und Seefahrtstradition, seit jeher ist der Creek regionales Handelsdrehkreuz des Mittleren und Fernen Osten und „has emerged as its key re-export“ ¹¹. Einst verdiente die Stadt ihr Geld vor allem mit Perlenfischerei und Gewürzhandel, wohl auch Schmuggel jeder Art füllte die Taschen der geschäftstüchtigen Emiratis.

In den letzten Jahrzehnten wurde das Emirat zum Schauplatz wach-sender, profitabler Industrien und Aktivitäten in vielen Bereichen: Konferenzen und Ausstellungen, Tourismus, regionale Headquarters, regionaler Transport, Steuerung und Logistik Center, Banken, Finanzen und Versicherungen, Business und Industrieberatung, Information und Kommunikationstechnologie, leichte und mittelschwere Produktion. Und eine schier endlos anmutende Bautätigkeit: In Dubai stehen 20 Prozent der größten Kräne der Welt.¹²

Möglich wurde diese Entwicklung durch eine pragmatische Wirtschafts-politik, der es insgesamt gelang, vor dem Hintergrund politischer

Der Aufstieg Dubais

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Stabilität die geostrategische und klimatische Lage Dubais mit der hohen Lebensqualität am Golf zusammenzuführen: in ausgezeichnete Infrastrukturen, wettbewerbsfähige Finanzstrukturen, umfangreiche Handelsnetzwerke und am Ende einen schnell wachsenden, profita-blen Produktions- und Dienstleistungssektor. Starke lokale Handel-straditionen geben der Entwicklung die Basis und den ganz eigenen orientalisch geprägten Charme.

Und Glitzerwelt hin oder her: „The Arabian Gulf’s premier international business center“ ist eine Erfolgsgeschichte und dazu tragen in erheb-lichem Maße auch die warmherzigen, gastfreundlichen, hilfsbereiten Menschen bei. An Tankstellen, in Taxis, in Hotels, den zahllosen Re-staurants kann man den Eindruck gewinnen, dass sie alle, Locals und Expats, die Botschaft des Herrscherhauses verstanden haben: Das Öl hat uns reich gemacht, nun aber müssen wir die Zukunft auf andere Weise gestalten. Fast scheint es eine Vision der Gemeinsamkeit, zu der sie sich verpflichtet haben und jede und jeder trägt sein Mögliches dazu bei.

Und mindestens seinen Emiratis dankt es das Herrscherhaus auf ara-bische Weise: Nicht in Form von Wahlrecht und Demokratie, sondern ganz im Sinne der Stammesgesellschaft mit Geschenken: Ein ansehn-liches Bildungssystem, ein Haus zur Hochzeit, die Übernahme teurer Arztkosten im Ausland.

Vorsicht ist geboten bei einem allzu raschen Vergleich der Lage zuge-reister Bauarbeiter, vor allem aus Pakistan und Bangladesch mit denen zum Beispiel in Europa. Ja, ihre Wohnsituation in den sogenannten „Local Camps“ ist zum großen Teil unannehmbar, ja, auch private Emiratis schlagen ihren Profit aus der Situation, indem sie Zimmer an viel zu viele Menschen zu viel zu hohen Preisen „vermieten“. Und ja, die Löhne sind gemessen an den unseren viel zu niedrig, die Ar-

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beiter sind nicht gewerkschaftlich organisiert und müssen das Land verlassen, sobald sie keine Arbeit mehr haben. Fernab allen Zynismus allerdings ist die Arbeit am Golf für zehntausende Inder, Pakistani und Bangladeschi oft die einzige Möglichkeit, ein regelmäßiges und im Vergleich zur Heimat höheres Einkommen zu erwirtschaften und so ihren fernen Familien den Aufstieg aus der Armut zu ermöglichen: Dies gehört eben auch zur Wahrheit.

Und immerhin gibt es seit Kurzem eine gesetzlich verpflichtende Kran-kenversicherung, erste besser gebaute und ausgestattete „Local Camps“ und dem Vernehmen nach auch Anregungen über erste Altersheime für Diejenigen, welche nach Ablauf eines Arbeitsvisums nicht nach Hause zurück können, zum Beispiel aufgrund klimatisch bedingter Überflutungen in Bangladesch.

Was aber bleibt, ist die Tatsache, dass Ausländer unabhängig von ih-rem Herkunftsland, die kein Arbeitsvisum und keinen Sponsor haben, gehen müssen und insgesamt die Situation für sie anstrengender wird: Freiberufler zum Beispiel müssen für die Ausübung ihrer Tätigkeit Lizenzgebühren zahlen und Ausländer kommen nicht in den Genuss der Verwöhnung durch das Herrscherhaus – gleichwohl sie am Auf-stieg Dubais ebenso beteiligt sind und dafür so manche familiäre und geschäftliche Beziehung anderswo für lange, lange Zeit hinter sich gelassen haben.

Besuchen wir nun, wie schon angekündigt, gemeinsam einige Deut-sche, die in Dubai leben und arbeiten. Sie erzählen uns aus ihrer Sicht etwas über das Emirat, seine Menschen, seine Kultur.

Der Aufstieg Dubais

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Der Diplomat

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Der Diplomat

GR Wir haben sieben Emirate mit unterschiedlichem Entwick-lungsstand. Dubai ist in seinem internationalen Bewusstsein weit vorangeschritten, Sie sehen dies zum Beispiel ganz praktisch daran, dass Rechnungen für Strom und Wasser zweisprachig aufgestellt sind. Insgesamt bei der digitalen Vernetzung ganz vorne dabei zu sein, ist fester Konzept-bestandteil der Emiratis und ihrer weltweit wirksamen Marke.¹³

BS Wie schaut es in diesem Kontext mit dem Datenschutz aus?GR Wie wir Vorschriften und vor allem die Debatte darüber aus

Deutschland kennen, gibt es den Datenschutz nicht und vor allem die allgegenwärtige Überwachung schreitet voran. Kameras sehen Sie an jeder Ecke, in jedem öffentlichen Raum, in Aufzügen, überall. Dies kann einen beunruhigen oder auch nicht – ausweichen kann man den elektronischen Augen nirgendwo, wenn man alltagstauglich bleiben möchte.

BS Dann ist die Situation vergleichbar mit London und seinen fast neun Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die Emirate bringen es gemeinsam auf etwas mehr als neun Millionen. Hat die Bewachung etwas mit der reinen Zahl von Einwoh-nern eines Raumes zu tun?

GR Die Emirate sind eine Insel der Seeligen, Sie müssen sich

Am 20. Dezember 2016 traf ich den Generalkonsul der Bundesrepu-blik Deutschland im Konsulat in Dubai. Günter Rauer, Jurist, verhei-ratet und Vater von sechs Kindern, ist seit Herbst 2016 im Amt, nach verschiedenen Funktionen im Auftrag des Auswärtigen Amts unter anderem in Brüssel, Quito und Bogotá.

Weil dieses Thema viel über die Fortschrittlichkeit einer Region aus-sagt, fragte ich Günter Rauer zunächst nach dem Stand der digitalen Transformation in Dubai.

13 Am 1.6.2017 nutzten 64 Prozent der Bevölkerung der VAE Facebook und 71 Prozent Twitter. Quelle: www.go-gulf.ae/blog/dubai-numbers/ (abgerufen am 1.6.2017)

38 39Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

nur in der unmittelbaren Nachbarschaft umschauen, überall herrschen mindestens innere Unruhe, wenn nicht Krieg. Da halte ich die Furcht von Regierungen der VAE, Opfer asymmetrischen Terrors zu werden, für nachvollziehbar und ihr Schutzbedürfnis für berechtigt. Und die Maßnah-men wirken gemeinsam mit anderen, das ist unbestritten: Dubai gilt als eine der sichersten Städte der Welt, ebenso wie Abu Dhabi und die Städte und Orte der kleineren und ärmeren Emirate. Mit Strömungen, die militanten Jihadis-mus fördern, haben die Emirate im Übrigen nichts am Hut.

BS Sie sprachen gerade von Regierungen, aber eigentlich liegt die Macht doch bei wenigen Familien?

GR Ja, formal gibt es ein Kabinett, die tatsächliche politische und vor allem finanzielle Macht liegt aber bei den Herr-scherfamilien. Sie haben in ihren Regionen alle wirklich wichtigen Schlüsselpositionen inne…

BS …also eigentlich als Fortsetzung unter anderen Vorzeichen der quasi kolonialen Vergangenheit?

GR Zwar gab es sogenannte „Residency Agents“ zur Wahrung britischer Interessenlagen und im Jahre 1894 für Dubai die Unterzeichnung des „Exclusive Agreements“; gleichwohl profitierte die Region vor allem von den englischen Militärs, die ihnen Piraten erfolgreich vom Hals hielten und damit freie Handelswege unter anderem für die Perlenfischerei nach Osten, nach Indien und so die Existenz der Einwohner mit absicherten, wenn auch auf sehr bescheidenem Niveau. Für den Verlauf im 20. Jahrhundert gilt dann, hier stark ver-kürzt: Auch wenn sie stets ihre Interessen im Auge hatten, waren die Briten wohl eher Schutzmacht als Ausbeuter und gewissermaßen auch Entwicklungshelfer zum Beispiel für die Infrastruktur. Die Emiratis beantworteten dies pragma-tisch mit dem steten Bemühen um ein gutes Verhältnis zu

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Der Diplomat

England, sie nutzten die gebotenen Chancen für den Aufbau des späteren Reichtums. Und seit Dezember 1971 sind die ehemaligen Trucial States auch staatsrechtlich unabhängig.

BS Schauen wir nochmals auf die Machtverhältnisse. Von Demokratien im westlichen Sinne können wir in den Emiraten sicher nicht sprechen?

GR Nein. Eher würde ich die Staatsform als aufgeklärte Feudal-herrschaft bezeichnen, geführt von weitblickenden gütigen Visionären, bisher jedenfalls ist dies so. Die Hoheiten haben zum Teil eine erstaunliche Nähe zu ihren Schutzbefoh-lenen. Zum Beispiel machen die Scheichs von Abu Dhabi und Dubai regelmäßige Umfragen, deren Ergebnisse dann in Regierungsentscheidungen einfließen. Und den Scheich von Dubai sieht man gelegentlich selbst mit dem Auto herumfahren oder er besucht unerwartet morgens um halb acht Uhr eine Behörde, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Solche Initiativen der Regierenden kenne ich aus westlichen Demokratien nicht.

BS Können wir uns demnach etwas abschauen?GR Wir haben unser Modell, die parlamentarische Demo-

kratie; ihr Vorteil: Es gibt Kontrollorgane, Wahlen, mehr oder weniger starke Oppositionen und ihr Vorteil ist, dass Entscheidungen durch viele Köpfe und Hände gehen. Wenn der Herrscher in Dubai oder dem noch reicheren Abu Dhabi einen Fehler macht, kann damit das ganze System ins Wanken gebracht werden. Daher ist Beratung, und zwar die bestmögliche, sehr wichtig und dies geschieht ja auch. Für die EXPO 2020 zum Beispiel werden weltbeste Consultants engagiert und auf sie hören die Herrscher dann auch.

BS Braucht es eine EXPO überhaupt in Zeiten von Internet noch? Die Investments sind ja enorm, seriöse Quellen sprechen von derzeit kalkulierten bis zu neun Milliarden US-Dollar.

42 43Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

GR Ja, auf der anderen Seite steht aber ein erheblicher Wachs-tumsschub, den man sich erwartet. Derzeit gehen der In-ternationale Währungsfond (IWF) und das Washingtoner Institute of International Finance (IIF) von zwischen 4,5 und 5,5 Prozentpunkten realem BIP Wachstum aus. Gleich-zeitig soll sich die Staatsverschuldung um etwa 30 Prozent auf 70 Prozent des BIP verbessern. Und schon jetzt sind die Resonanzen bei möglichen Investoren nicht schlecht; Weltklassehotels, Weltklasseentertainment und insgesamt die Attraktivität des Tourismus werden nochmals erheblich zulegen, eine wichtige Entwicklung in Zeiten weltweit ver-änderten Energiebewusstseins. Auch der Immobiliensektor und das Transportwesen und viele andere Sektoren werden profitieren.

Vergessen wir nicht: Dubai, Abu Dhabi und erst recht die kleineren Emirate haben noch erhebliches Entwicklungs-potential, dies unterscheidet sie von einem bereits hochent-wickelten Land wie Deutschland.

BS Der damalige Geschäftsführer der deutsch-emiratischen Handelskammer (AHK), Dr. Peter Göpfrich, eröffnete in Anwesenheit Ihres Vorgängers Stefan Gollon und Dr. Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammerta-ges (DIHT) bereits im Oktober 2014 das „AHK EXPO 2020 Büro“. Was ist Deutschlands Interesse an der EXPO 2020?

GR Dubai ist wirtschaftlicher Vorreiter, sein Hafen der größte in der Region ¹⁴, der Flughafen Drehscheibe für die gesam-te arabische Welt ¹⁴; alle zwei bis drei Minuten startet und landet dort eine Maschine, Tag und Nacht. Die familien- eigene Fluglinie „Emirates“ gilt bei vielen Passagieren in Preis und Service als ungeschlagener Favorit, obwohl auch sie sparen müssen. Die Digitalisierung ist weit vor-angeschritten und Dubai soll weiter wachsen. Zudem gel-

14 Zweitgrößter von Menschen erbauter Hafen. Quelle: www.thecrazyfacts.com/10-interresting-facts-dubai.com, (Abgerufen am 1.6.2017)

15 Im Jahr 2014 wurden 70.475.636 Passagiere gezählt. Quelle: www.go-gulf.ae/blog/dubai-numbers/ (Abgerufen am 1.6.2017)

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ten die Emirate als Entwicklungsmotor für afrikanische Länder. Gleichzeitig handelt es sich um eine zu annähernd 100 prozentige Handels- und Dienstleistungsökonomie, es gibt kaum verarbeitende und produzierende Industrie. Hier liegt das Interesse Deutschlands mit seinem starken Maschinen- und Anlagenbau, der Automobilindustrie und seinem hochdivers aufgestellten Mittelstand. Die Märkte und Kompetenzen ergänzen sich und diese Chance kann die EXPO 2020 wirksam ausbauen.

BS Und wie sieht es mit der „Ethik“ der Arbeitsmärkte aus? Wie mit Arbeitnehmerrechten, Bezahlung, Gleichberechti-gung? Macht Deutschland da alles mit, nur um ins Geschäft zu kommen oder drin zu bleiben?

GR Ich bin Generalkonsul der Bundesrepublik, nicht Lobbyist der Emirate. Und ein überzeugter Vertreter von hohen So-zialstandards und anständigen Löhnen. Aber aus Sicht der Emirate sehe ich schon, dass ihre Wirtschaftspolitik eine Logik hat, jedenfalls auf diesem Entwicklungsstand und angesichts der Bevölkerungsstruktur: Dass die zugereiste Vielvölkerschaft reine Arbeitskräfte sind und keinen An-spruch auf Staatsangehörigkeit und eine Teilhabe an den Rechten der Emirati haben, resultiert sicher vor allem aus der Sorge vor einer ja auch realen Gefahr, das eigene kul-turelle Erbe ganz zu verlieren, wenn die über 80 Prozent der Nichtemiratis zu viel Einfluss gewinnen.

BS Bietet eine EXPO dann auch die Chance, immer wieder an Menschenrechte zu erinnern, vielleicht gar nicht so sehr in den Emiraten selbst, sondern für ihre Funktion im arabisch/afrikanischen Verbund?

GR Ja, weil es eben auch Menschenpflichten gibt. Und daran hapert es doch teilweise noch ganz gewaltig. Zum Beispiel in der Aufnahme von Flüchtlingen oder auch Fragen rund

46 47Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

um Altersversorgung der Gastarbeiter aus armen und ärms-ten Ländern. Eigentlich muss jeder Expat nach Abschluss seiner Arbeitszeit, also mit 65 Jahren, das Land verlassen, wohin aber soll man diese Leute schicken?

Die Diskussion beginnt zwar langsam und sie zeigt sich zum Beispiel mit einer vor wenigen Monaten modifizierten Krankenversicherung. Eine öffentliche Debatte vergleich-bar zu Deutschland findet allerdings nicht statt, eher ein Meinungsbildungsprozess bei den Eliten.

BS Dies wirkt mir als das Gegenteil von Integration…GR …die hier nicht gewünscht ist. Wie auch würde eine Leit-

kultur für diese Integration aussehen? Die beduinische Stammeskultur ist westlich sozialisierten Menschen nicht zu vermitteln, abgesehen davon, dass sie gar keinen Zutritt gewähren würde. Und viel Asiaten kommen einfach nur, um Geld zu verdienen.¹⁴

BS In Deutschland wird ja ganz besonders auf Bildung geachtet und mindestens der Erwerb der deutschen Sprache gilt als Eintrittsschein in die Arbeitsmärkte.

GR Auch wenn Arabischkenntnisse als Bedingung für Arbeit nicht vorausgesetzt werden: Bildung insgesamt wird in den Emiraten immer wichtiger, die Herrscher halten ein hohes Niveau für das Kapital der Zukunft. 75 bis 80 Prozent der studierenden Emiratis sind übrigens weiblich. Dennoch sind später nur wenige in der Privatwirtschaft tätig, weil man dort zu wenig verdient. Im Vergleich dazu halten viele Expats die Gehälter für attraktiv, sie sind einer der Anziehungspunkte Dubais zum Beispiel für indische Akademiker, denen ihr eigenes Land keine entsprechenden Angebote machen kann.

BS Gibt es eine systematische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Emiraten? Die Systeme sind doch sehr unterschiedlich und mit Bildung werden ja stets auch Werte vermittelt.

16 Am 1.6.2017 betrug der indische Bevölkerungsanteil 50 Prozent, der Emiratis 17 Prozent. Quelle: www. Thecrazyfacts.com/10-interesting-facts-dubai/, (Abgerufen am 1.6.2017.)

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Der Diplomat

GR Oja, Kooperationen gibt es in vielfacher Hinsicht: Zum einen mit Stipendienprogrammen für Emiratis an deut-schen Universitäten durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Zusammenarbeit mit dem VAE Hochschulministerium. Außerdem sollen mehr emiratische Kinder an internationale, auch deutsche Schulen gebracht werden. Über Deutschland hinaus gibt es Partnerschaften unter anderem mit dem MIT in Cambridge und 2014 nahm der Kronprinzenhof in Abu Dhabi Deutschland in sein „Youth Ambassadors Programme“ auf, das emiratischen Studierenden Deutschkurse beim Goethe-Institut und Prak-tika bei Firmen in Deutschland ermöglicht.

Leistung ist hier der absolute Maßstab und auch die Schulen sind weit voran in der Digitalisierung. Jedes Kind arbeitet mit seinem Laptop und ein Schulverwaltungsprogramm, an dem alle Akteure beteiligt sind, regelt Lehrpläne, Arbeiten, Leistungsbeobachtung. Das ist schon vorbildlich.

Inhalte werden durchaus kontrolliert, aber soweit ich das einschätzen kann, nicht ideologisch. Die Inhalte der inter-nationalen deutschen Schule hier orientieren sich beispiels-weise am Lehrplan für Thüringen. Die Verbindungen von staatlichen und privaten Schulen unterliegen Qualitätskon-trollen und im Sinne der Herrscherlinie werden vor allem die Emiratis großzügig unterstützt. Also, zusammengefasst: Man hat die Bedeutung von Bildung und einer internatio-nalen Vernetzung auf Spitzenniveau erkannt und investiert bei auch in emiratischen Familien abnehmender Kinderzahl jetzt vor allem in die sogenannten „Locals“. Ausländer sind auf eigene finanzielle Möglichkeiten angewiesen.

BS In Deutschland sorgen im Bildungsbereich immer wieder Fragen der Religionsausübung für aufgeheizte Diskussio-nen, Stichwort Kopftuch.

50 51Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

GR In Dubai gilt Religionsfreiheit, alles andere wäre geschäfts-schädigend. Gleichzeitig hat man aber auch die Gefahr erkannt, dass Traditionen verloren gehen und daher entste-hen nun die ersten Museen. Außerdem gibt es neben dem Geburtstag des Propheten auch neue Feiertage, wie den „Tag des Märtyrers“. Solche Bewegungen entstehen aber nicht aus der Bevölkerung heraus, sondern werden von oben verordnet: Die von Herrschern bewusst konzipierte Politik ist der treibende Faktor.

BS Und wie sieht es mit einer kritischen Begleitung durch Me-dien aus?

GR Mindestens mittelbar sind Medien im Eigentum von Emira-tis und die meisten Zeitungen schreiben für Expats im Wesentlichen Positives und Motivierendes. Politik ist im Allgemeinen tabu, allerdings wurde im letzten Jahr auch über die Flüchtlingskrise in Deutschland berichtet und An-deutungen, wo denn ein Engagement der Emirate bleibt, waren durchaus auch ein Thema…

BS …spätestens über die sozialen Medien ist das Thema ja auch nicht zu umgehen?

GR Ja, und nachdem früher gelegentlich Webseiten abgeschaltet wurden, habe ich dies in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr gehört. Im Gegenteil nutzt man sie mehr für eigene Interessen und Belange.

BS Welche erfolgreiche Lebenszeit geben Sie diesem ganz ei-genen Glokalisierungskonzept hier am Golf, was meinen Sie?

GS Das System hält sich als Beduinensystem und dies bedeu-tet auch, dass über 80 Prozent der Menschen, die in den Emiraten leben, nicht Objekt staatlichen Handelns sind. Geschenke, wie Land und Häuser, seit Neuestem auch eine Krankenversicherung und vieles mehr, werden an die Un-

52 53Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

tertanen gegeben und dafür halten sie den Herrschern die Gefolgschaft.

Für Expats wiederum ist vor allem Dubai sehr anziehend: Gute Gehälter – ich erwähnte dies schon; auch im unteren Lohnbereich können die Arbeiter ihre Familien zu Hause ernähren und noch etwas zurückbehalten: Für Viele sub-jektiv offenbar mehr Perspektive, als das Heimatland ihnen bietet.

Solange der Ölpreis über die Zeit stabil bei etwa 50$ bleibt, sind genug Mittel vorhanden, den öffentlichen Lebensstan-dard hoch zu halten und die persönliche Sicherheit der Menschen zu gewährleisten; zu letzterem gehören übrigens auch harte Strafen bei Vergehen und schnelle Ausweisung.

BS Summa Summarum klingt dies nach der dauerhaften Wärme des Erfolgs, wenn auch in einem straff geführten Klima. Welches sind die Dunstwolken vor der Sonne am Golf?

GR (lächelt): Ja, so könnte man das sagen: Eine Weltwirtschafts-krise wäre natürlich fatal und die Emirate müssen aufpas-sen, sich nicht zu hoch zu verschulden. Investment sollte nachhaltig sein, das wäre zum Beispiel bei der EXPO der Fall, denn teure Transportsysteme dienen anschließend der gesamten Infrastruktur.

BS Gestern Abend erlebte Deutschland den grauenhaften An-schlag gegen Menschen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Ganz schnell und vor allen polizeilichen Ermittlungen sind AfD und Identitäre Bewegungen mit Schuldzuweisungen dabei, die einen gemeinsamen Nenner haben: Ausländer und alle, die sie ins Land holen, sind schuld an den Toten.

GR Vielleicht sollte man diese Leute mal hier ins Land holen und ihnen zeigen, wie kunterbuntes Zusammenleben aus-sehen kann. Am Golf kann jeder unbehelligt leben, wie er will, solange er nicht kriminell wird. Die Vereinigten

54 55Kapitel 1, Dubai Der Diplomat

Arabischen Emirate haben sich zusammengeschlossen, um ihren Reichtum zu mehren und jeder ist willkommen, dieses Konzept zu unterstützen.

BS Wären strategisch und operativ so erfolgreiche Persönlich-keiten wie die Scheichs von Abu Dhabi und Dubai nicht unter Umständen auch erfolgreiche Moderatoren eines dringend überfälligen Friedensprozesses für den gesamten arabischen Raum?

GR Ich denke nicht, dass sie daran Interesse haben. Das bisheri-ge Eingreifen in Syrien und dem Jemen geschah aus meiner Sicht aus Solidarität mit Saudi-Arabien, aber ansonsten haben die hiesigen Herrscher und ihre Familien ein Inter-esse, ihre Regionen aufzubauen und weiter zu stabilisieren – auch wenn wir in letzter Zeit beobachten können, dass sie bei den Vereinten Nationen und der OECD selbstbewusster auftreten.

BS Vielleicht ist dies ja ein Anfang? Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Generalkonsul.

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Der erste Eindruck an diesem heißen 21. April 2017 ist verwirrend: Die katholische Gemeinde liegt am südöstlichen Rand Dubais, umgeben von noch sandig staubigen oder gerade frisch geteerten Straßen, der Blick geht weit in die Wüste, irgendwo in gefühlter diesiger Ferne liegt Dubai. Es ist eine dieser Gegenden, in die sich das Emirat weiter ausdehnt, noch vor ganz wenigen Jahren war hier reine Ödnis, erfahre ich später.

Dennoch scheinen sich hier die Glaubensgemeinschaften zu konzen-trieren: An einer Moschee war ich gleich nach der Autobahnausfahrt vorbeigefahren; die evangelische Gemeinde hat ihr Zuhause in unmit-telbarer Nachbarschaft, ein Sikhtempel strahlt am Eingang der Straße. Ich frage Leute an ihren Autos, ob dies hier der richtige Ort sei, ich suche die katholische Gemeinde. Ja, richtig, dort hinter dem Tor sei das Gebäude. Etwas versteckt liegt es da, erreichbar über einen hübsch bepflanzten Weg, der zwischen ockerfarbenen Mauern, rosa Blüten-bäumen und kleinen, vorwiegend indisch geprägten Menschengruppen an Beschreibungen aus Romanen von Agatha Christie erinnert.

Nun bin ich zwar im richtigen Haus, aber noch nicht am Ziel und als gelernte Deutsche ohne ein sichtbar angebrachtes Schild mit Pfeil und Namen auch ziemlich hilflos vor einem langen Gang mit vielen Türen. So frage ich im ersten offenen Raum eine Frau nach „Mr Sahner“. Sie versteht zwar, schaut mich aber verständnislos an. „The priest“ versu-che ich weiter zu erklären. Jetzt strahlt sie: Ah, Reinhold und sie rollt das RRRR ausdrucksvoll über die Lippen. Ja, Reinhold, genau den. Da, das ist Reinhold zeigt sie auf einen schlanken Mann Mitte fünfzig in blauem Hemd und heller Hose, der an einen Tresen gelehnt zwei jungen Männern etwas erklärt. Kurz darauf begrüßt er mich mit einem offenen, freundlich konzentrierten Blick, Sie sind zu früh, bitte warten Sie noch kurz, ich habe noch einen anderen Termin. Kaum kann ich noch sagen: „kein Problem“, schwubs, da ist der Pfarrer auch schon

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um die Ecke verschwunden.

Ich setze mich auf einen der wenigen Stühle, die ordentlich anein-andergereiht am Eingang stehen. Der kleine Raum wirkt informell, die Menschen aber sind gut strukturiert: Die beiden jungen Männer hinter dem Tresen stellen zügig Papiere für das ein- und ausgehende Publikum aus, ein großer Monitor hängt an der Wand, daneben die unvermeidliche Klimaanlage, der man ihre Jahre ansieht. Alles ist einfach hier, die Atmosphäre äußerst lebendig und, ja, hier stimmt der abgegriffene Begriff wirklich: bunt.

Mehrere Liter des Wasserkonsums in den letzten Stunden bei über 35 Grad im Schatten fordern ihren Tribut und auf dem Weg zur Toilette komme ich an zahllosen Räumen vorbei, in denen gesungen und gelernt wird, Kinder, wohin das Auge blickt, aber auch viele junge Ehepaare schieben sich durch die engen Gänge, verteilen sich immer neu in die Zimmer. Auch hier alles bunt, mit vorherrschend asiatischen Gesich-tern und in Lautstärke und Fröhlichkeit diametral entgegengesetzt zu allen katholischen Gemeinden, die ich bis dahin kennengelernt hatte.

Später werde ich von Reinhold erfahren, dass diese fast 70.000 Mitglie-der umfasst und damit die jüngere der beiden katholischen Gemein-den in Dubai und gleichzeitig die größte der Welt ist. Fünf Priester sind hier tätig, einer davon ist Reinhold Sahner, nicht als „verkappter Mönch“, sondern in der Funktion eines Diözesanpriesters und „rich-tiger Pfarrer“, wie er nicht ohne Stolz sagt. Seinen Kollegen und ihm stehen etwa 120 englischsprachige und 40 muttersprachliche Lektoren zur Seite, weiterhin 150 Kommunionshelfer, 100 Ministranten, alle na-türlich ehrenamtlich - zudem sage und schreibe zehn englischsprachige Chöre und noch einmal so viele muttersprachliche, unter Leitung des jungen Ingenieurs Christopher. In den eineinhalb Jahren der bisheri-gen Amtszeit von Reinhold am Golf haben die Chöre ihr Repertoire

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von 30 auf 350 Lieder erweitert, Wechselgesänge kennen- und singen gelernt, sie haben ganze Jazzgottesdienste gestaltet und vor hohen christlichen Feiertagen „Tag und Nacht“ geübt.

Inzwischen hat der Pfarrer mich aus der Empfangslobby abgeholt und lotst uns durch Menschengruppen, die sich in den engen Gängen zu seinem Zimmer um ihn scharen. Es sind vor allem Inder, Filipinos, Afrikaner. Europäer oder Deutsche habe ich noch keinen einzigen gesehen. Die Menschen strahlen ihn an, er fragt, antwortet, beruhigt, segnet. Ein Junge hat einen Verband um den Kopf. Ist das hier passiert, in der Gemeinde, fragt Reinhold den Vater. Nein, in der Schule, beim Fußballspielen. Reinhold ist beruhigt, na dann, wart Ihr beim Arzt? Ja, sagt der Vater und die Kopfschmerzen werden auch schon besser. Auch dieses Kind erhält einen Segen und weiter geht’s.

Wieder läuft Agatha Christie mit: Reinholds Weg durch die Menschen erinnert an ganz alte, feudale Zeiten und ist dennoch hochaktuell. Denn das Vertrauen der Menschen hier ist mit Händen zu greifen, er ist ein Anker, viel mehr noch, als ich in diesen Minuten ahnen kann. Die Inder zum Beispiel kommen lieber zu ihm, weil ihre eigenen mut-tersprachlichen katholischen Priester „die gebeichteten Probleme in die Community hinein tratschen“. Zu Reinhold haben sie Vertrauen, er hält den Mund und gelegentlich schon mal eine Predigt über das Thema üble Nachrede: „Mit dem Mund könne man mehr Menschen erstechen als mit der Hand“, sagt er.

Mittlerweile sind wir in seinem Arbeitsraum angekommen: 25 Quad-ratmeter groß, dämmerig abgeschirmt gegen Wärme und Sonne, ein kleiner Schreibtisch, eine Sitzecke, zwei Bücherschränke mit der üb-lichen katholischen Literatur. Eine Tür führt in den länglichen Pfarr-garten, Reinholds ganzer Stolz: Dort züchtet er Bananen, Orangen, Melonen und Kohl und dort ist auch seine eigentlich verschwiegene

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Raucherecke, die aber mittlerweile gar nicht mehr verschwiegen ist, sondern von seinen Mitarbeitern eifrig mit genutzt wird.

Wie auch die Wein- und Biervorräte des Pastorats mit den Teams ge-teilt werden, darf der eine etwas trinken, dürfen die anderen es auch: Dies ist dann ganz und gar nicht feudal, sondern partizipativ gelebte Zusammenarbeit, der eigene Weg des Pfarrer Reinhold Sahner am Golf. Zum ersten und nicht zum letzten Mal im Gespräch mit ihm kommt mir das Lied von Frank Sinatra in den Sinn: „I did it my way …“

Hier in diesem leisen, konzentrierten Arbeitsraum einen Laptop zum Mitschreiben benutzen? Ausgeschlossen, das passt nicht, entscheide ich und hole mein Notizbuch aus der Tasche. Die Zeit, eine Frage zu stellen aber bleibt nicht, Reinhold kommt umgehend zum Thema: „Dubai überholt sich seit Jahren selbst und hier im Zentrum sehen wir die Kehrseite des glitzernden Emirates. Hier geht es darum, Not zu lindern. Und dies sind dann entweder Einsamkeit oder auch handfes-te finanzielle Probleme.“ Im Jahr 2016 hat die Pfarrei etwa 500.000 Dirham (circa 130.000 Euro) für ganz akute Nothilfe bereitgestellt: Mieten, die nicht gezahlt werden konnten, weil Arbeitgeber die Löhne schuldig blieben, Kosten für Essen, Flugtickets, Strafen. „Es kommen aber nur Leute, die gebildet genug sind, um Hilfe anzufragen“, erklärt Reinhold. Denn auch in seiner Gemeinde müssen inzwischen Anträge gestellt, Begründungen abgegeben werden. Früher lief das alles noch etwas informeller, „jetzt werden wir aber mehr kontrolliert und kon-trollieren uns auch selbst.“

Ihm zur Seite für all diese Verwaltungsaufgaben steht ein Pfarrge-meinderat, bestehend aus zwölf Mitgliedern und zwölf Stellvertretern, die nicht durch die Gesamtgemeinde gewählt, sondern durch die ein-zelnen Gruppen der Gemeinde vorgeschlagen werden. „Es hapert bei den Frauen, da haben wir viel zu wenig“, kommentiert Sahner meine

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diesbezügliche Nachfrage zerknirscht. Mit dem Problem allerdings steht er nicht alleine: Frauen, die sich ins Scheinwerferlicht trauen und sei es auch noch so klein, gibt es immer noch viel zu wenige und wa-rum soll dies am Golf besser sein als in Deutschland? Dabei wünscht sich der Pfarrer einen ausgewogenen Think Tank, in dem jede Gruppe und jede Sprachkultur mit berät und vorschlägt, die Frauen wären da bitter notwendig.

Und wer hilft ihm noch? Für die immens wichtige, verlässliche Ver-waltung der Gelder sorgen ein kompetenter Finanzbeauftragter und eine gut durchdachte, transparente Haushaltsplanung. Einmal jährlich berichtet der Pfarrer an sein Ortsbistum. Staatliche Stellen in Dubai und sein Mutterbistum in Kopenhagen kontrollieren die Gemeinde.

Sahner ist Deutscher, aber aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit in Kopenhagen von einem dänischen Bistum an den Golf abgeordnet wor-den. Alles Geld für die Gemeindeaktivitäten inklusive der Nothilfen aber muss durch Spenden und Kollekten eingeworben werden und das klappt auch gut, wie ich eingedenk der schmalen Einwürfe in deutsche Klingelbeutel zu meinem Erstaunen erfahre. „Die Armen geben immer etwas, in allen Gottesdiensten kommen aber auch die ganz großen Scheine der Wohlhabenden“, erfahre ich.

Früher gab es noch einen Ausbildungsfonds für Kinder armer Fami-lien, aus dem zum Beispiel das Schulgeld bezahlt wurde, wenn dem Vater gekündigt worden war und einige Monate bis zur Heimreise überbrückt werden mussten, damit die Kinder ihr Schuljahr zu Ende machen konnten. Dieser Fonds von etwa 200.000 Dirham (50.000 Euro) musste aber nach Unregelmäßigkeiten noch unter dem Vorgän-ger Sahners eingestellt werden, das Budget wird jetzt in die Nothilfe einkalkuliert.

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Nothilfe für wen, sprechen wir von Menschen in den Labour Camps? ¹⁷ frage ich und erfahre zu meinem Erstaunen: „Manchmal ja, obwohl es den Leuten dort deutlich besser geht als noch vor einigen Jahren. Sie leben zwar immer noch beengt, es gibt aber Ärzte, Läden, schulische Einrichtungen, eine kleine, aber funktionierende Infrastruktur. Übri-gens ausdrücklich gewollt durch die Herrscherfamilie und die dubai- ischen Verwaltungen. Das weit schlimmere Problem sind die staatlich eigentlich streng verbotenen Massenvermietungen durch Emiratis selbst, die zum Beispiel in ihrer Privatwohnung zwei Räume wie diesen zu 100 Dirham je Person je Monat an zwanzig Männer oder zwanzig Frauen als Schlafplatz vermieten. Da die staatliche Strafe weniger als die Hälfte der Einkünfte ausmacht, lohnt sich das Geschäft allemal. Das sind die skandalösen neuen Labour Camps, gegen die dringend etwas unternommen werden müsste.“

Mir fällt auf, wie wenig wir über pastorale Aufgaben sprechen. Ist Reinhold nun mehr Theologe und Seelsorger oder Manager und Ver-bindungsmann zu Politik und Behörden? „Notgedrungen zweites“, sagt er, „viel ist praktisches Leben, zum Beispiel die Eheschließungen. Es gibt keine standesamtliche Möglichkeit, daher heiraten junge Paare auch gemischter Nationalitäten kirchlich und dies wird dann später von staatlichen Stellen anerkannt, auch in Deutschland. Aber Sie haben Recht: Bei allem darf die Katechese ¹⁸ nicht zu kurz kommen, dazu gehört auch der Religionsunterricht. Die Schulen übernehmen eine Art Ethikunterricht über Weltreligionen, der konfessionell ka-tholische Teil aber findet in den Gemeinden statt, ebenso wie auch bei den Protestanten.“

Und wer unterrichtet? Ich erinnere an eine Debatte in Deutschland über die Qualifizierung von Islamlehrern, in diesem Punkt aber ist die katholische Kirche offenbar einen ganzen Schritt weiter: „Jeder Dozent muss einen mehrjährigen Onlinekurs an einer amerikanischen

17 Dubaiische und in Europa hoch umstrittene Unterkünfte für vor allem indische und pakistanische Bauarbeiter.

18 Auslegung des Evangeliums.

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Universität absolvieren“, erfahre ich von Reinhold, „ein Ministudium, vergleichbar dem an einer pädagogischen Hochschule wie in Freiburg. Erst nach erfolgreichem Abschluss darf dann Religionsunterricht er-teilt werden. Eine gute Regelung, die fundiertes Arbeiten ermöglicht.“

Und auch sonst liegt dem Pfarrer in der Wüste die Katechese am Herzen: Das Predigen oder die Vermeldung, wie Reinhold es nennt, kann Brü-cke zwischen beidem sein und ist in der arabischen Welt viel einfacher als in Europa: „Ich kann auf dem aufbauen, was hier ist, auf Bilder in den Köpfen. Zum Beispiel kann ich die laufende Magdalena mit einer Frau vergleichen, die in der Mall mit hochgezogener Abaya ihrer Fa-milie hinterherrennt. Dann ist den Leuten sofort klar, was gemeint ist.“ Ein Problem allerdings ist die Sprache. Viele Leute können Englisch, viele aber haben auch nur wenige Sprachkenntnisse und die Koreaner zum Beispiel sprechen gar kein Englisch. „Der Weg führt wie so oft über die Jüngsten. Die einfachen Texte in den Kindergottesdiensten werden durch Eltern mit wenigen Sprachkenntnissen verstanden und die wenigen „Sprachexperten“ sind nicht beleidigt wegen des niedri-gen Niveaus, weil es sich ja an ihre Kinder richtet. Zudem halte ich viele interaktive und anschauliche Predigten. Dieses Jahr hatten wir eine Osternachtsfeier ausdrücklich für Kinder. Sie haben sich um den Altar versammelt und da hat man im Übrigen schon gesehen, dass die indischen braver waren als die europäischen“, erzählt er mit seinem ansteckenden Lachen.

Das bringt mich auf die Rolle der ca. 12.000 registrierten Deutschen in Dubai und den davon geschätzten 20 Prozent Katholiken in der Gemeinde, genaue Zahlen gibt es nicht. Reinholds Gesicht wird zum ersten Mal richtig finster: „Die Deutschen machen zu wenig mit“, sagt er und der Ärger ist ihm deutlich anzuhören, „Die Erstkommunion zum Beispiel wird im Schnellverfahren erledigt, sie singen nicht mit, stattdessen wird ständig mit Handys geknipst. Niemand, tatsächlich

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niemand der Eltern hat auf das Taufversprechen geantwortet.“ Als persönliche Reaktion darauf ist Reinhold in diesem Jahr nach dem Gottesdienst abgetaucht, hat sich nicht zu den üblichen Gruppenphotos gesellt, sondern ist einfach verschwunden. Zwei Familien von 25 schrieben ihm daraufhin und entschuldigten sich, alle anderen hatten auch diese deutliche Reaktion wohl nicht bemerkt oder es interessierte sie nicht.

Auch das Interesse der deutschen Amtsbrüder hält sich in überschau-baren Grenzen. Einmal war für drei Tage Bischof Schick in seiner Funktion als Beauftragter für die Weltkirche da und hatte kaum Zeit für längere Gespräche oder einen Einblick in das Gemeindeleben der vielen hundert oder gar tausend Menschen, die hier wöchentlich im Zentrum aktiv sind. „Dabei ist Kirche gerade hier in der Diaspora ¹⁹ viel mehr Zuhause, als in Deutschland und ein Ort, um die kulturelle Identität zu bewahren“, betont Reinhold nochmals und ich merke ihm die Enttäuschung über das geringe Interesse seiner Kollegen an.

Da wage ich mich doch mal auf schwieriges Terrain: Versteht Reinhold die Situation der Türken in Deutschland und versteht er Präsident Er-doğan? Die Antwort ist differenziert: „Ja, ich verstehe die Deutsch-Tür-ken menschlich, sie wollen ihr Eigenes in einer Mehrheitsgesellschaft bewahren, aber man muss einen gemeinsamen Weg finden.“ In seiner Gemeinde sieht der so aus, dass auch entgegen manchem Protest der Freitag nun der Sonntag ist und möglichst wenig individuelle Sprach-gottesdienste stattfinden, sondern viele in Englisch. Reinhold will die Gesamtgemeinde erreichen und das kann er nur über Sprachgrenzen hinweg in einer gemeinsamen, dies ist ein Unterschied zur türkischen Gemeinde in Deutschland. „Und Wahlkampf in einem anderen Land zu machen“ sieht er sehr kritisch, „außerdem sind die Türken in Deutsch-land Nutznießer von Freiheit, gegen die sie dann für ihr Heimatland zu einem Großteil abgestimmt haben. Das ist unlogisch.“19 Regionen, in der eine bestimmte Glaubensgemeinschaft in der Minderheit ist

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Der Wüstenpfarrer denkt politisch und so ist er auch sehr einverstan-den, wenn die Polizei zu Ostern aus Sicherheitsgründen von Grün-donnerstag bis Ostermontag den ganzen Kirchenbezirk absperrt, weil Tausende von Menschen zu den Ostergottesdiensten erwartet werden. „Das hat prima geklappt“, sagt Reinhold, „die Autos wurden in der Wüste geparkt, es gab Checkpoints mit strengen Kontrollen und am Ende kam der Polizeichef mit Fahrerkarawane und seiner Entourage nebst Photographen und wollte unser Feedback über die ganze Aktion hören. Ich konnte ihm nur sagen, das lassen sie uns im nächsten Jahr wieder so machen, es ist viel unkomplizierter für uns, weil die Leute eher auf Polizei hören, als auf unsere Sicherheitsleute und außerdem ist der ganze Autogestank weg aus dem Kirchenbezirk.“ Kirchlicher Pragmatismus am Golf, „wir sind alle hier, um Probleme gemeinsam zu lösen.“

Dies versucht Reinhold auch mit den Kollegen der anderen Glaubens-gemeinschaften und erlebt dabei so manch bizarre Geschichte: Einmal traf er einen Mann in der Sauna, die beiden fanden sich sympathisch, kamen aber schnell an eine Sprachgrenze, er spricht Englisch, der andere Arabisch. Das war es dann erst einmal. Bei einem weiteren Treffen hörte Reinhold seinen Saunafreund dann französisch sprechen und flugs hatte man die gemeinsame Sprache. Schnell stellte sich her-aus, dass hier zwei Kollegen miteinander sprachen, er als christlicher Pfarrer, der andere als Imam der benachbarten Moschee.

Aber der interreligiöse Dialog entsteht nicht nur zufällig: Unter der Schirmherrschaft der Sheikha Lubnah fanden schon Veranstaltungen seiner Gemeinde zum Beispiel mit den Sikhs statt, zum Thema „Tole-ranz“. Immerhin gibt es für dieses Thema in Dubai auch eine eigene Ministerin. Keinen Kontakt allerdings hat Reinhold zur evangelischen Gemeinde gleich nebenan, aus Zeitgründen, wie er sagt. Mein zwei-felnder Blick bleibt unbeantwortet: Deutsch definierte Ökumene hat

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offenbar keinen hohen Rang angesichts der drängenden Tagesproble-me, die jeder für sich alleine am besten zu lösen meint.

Und wie sieht es aus mit Kontakten zu staatlichen Stellen? Diese Frage ist Reinhold deutlich lieber: „Ja, es gibt offizielle Treffen. Im Rama-dan sucht der Pfarrer gemeinsam mit Ratsvertretern alle relevanten staatlichen Vertreter auf, von der Behörde für Transport und Verkehr, über das oberste Gericht und die neue ‚Community Development Agency‘, die auch für Visafragen und Kirchenlizenz zuständig ist. Am Ende wird dann noch der Geheimdienst besucht und immer sitzt man zusammen, ohne feste Themen, lernt sich kennen und wenn es dann im Laufe des Jahres Probleme gibt, hat man sich schon einmal kennen gelernt.“ Der Pfarrer auch als Diplomat, eine weitere Rolle.

Und die Steilvorlage ist zu verlockend. „Vor einigen Tagen habe ich gehört“, so meine Frage, „dass sich der Scheikh von Abu Dhabi in seiner Funktion des Vorsitzenden der VAE ganz gegen die bisherigen Gewohnheiten nun doch auch an Verhandlungen über Syrien beteiligt. Weiß Reinhold darüber etwas? „Ja“, sagt er, „da stand sogar etwas in der Zeitung, ganz klein zwar, aber es ging um Treffen in Moskau mit Putin.“ Mich beruhigt diese Aussage, vielleicht, weil ich den Herrschern in Abu Dhabi und Dubai – Demokratie und oder her – auch aufgrund ihrer eigenen Interessenlage derzeit noch die besten Chancen zutraue, im Mittleren Osten zu vermitteln, was kaum noch zu vermitteln scheint: Ein Friedensprojekt.

Die Juristin

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Das erste Mal traf ich die deutsche Anwältin Elena Schildgen in ihrem Büro im 30. Stock eines traditionellen, im Kolonialstil erbauten Dubaier Bürohochhauses. Hier wuselt es von Menschen nur so, gefühlt Hunderte sind ständig von unten nach oben und wieder zurück unterwegs sind und der Aufzug hält in jeder zweiten Etage. Im Gegensatz dazu ist der erste Eindruck des Büros gar nicht orientalisch. Das Mobiliar stammt aus den Fünfziger Jahren, nichts ist übertrieben, alles bodenständig, konzentriert, pragmatisch.

Und diesen Eindruck vermittelt auch Elena selbst: Die Frau Mitte 50, mit halblangen blonden Locken, in alterslosem Businessschick und einer eigentlich unauffälligen Brille, die aber doch das Gesicht entscheidend mitgestaltet, ist mir auf den ersten Blick sympathisch. Eine gemeinsame Bekannte hatte das Gespräch mit ihr empfohlen, um näher in die deutsch-emiratische Welt einzutauchen. Denn Elena ist nicht nur erfolgreiche Juristin, sondern seit zwanzig Jahren mit ei-nem Emirati verheiratet, sie und ihr Mann haben eine 18-jährige und eine 15-jährige Tochter, beide damals westlich gekleidete Mädchen in Jeans und T-Shirt.

Elena ist Anwältin, ihre Kanzlei vertritt ein breites Spektrum, von Familienrecht bis zur Beratung bei Markeneintragungen für alle GCC-Länder ²⁰. Wie in Dubai üblich, verfügen die Anwälte über eine Lizenz der dubaiischen Behörden, die relativ teuer ist und, so die gängige Begründung, der Qualitätskontrolle dient. Solche jährlichen Lizenzen müssen auch Ärzte und seit neuestem sogar Lehrer erwer-ben. Offenbar sucht auch das reiche Dubai nach neuen, nachhaltigen Einnahmequellen.

Ich beginne unser Gespräch mit der Frage, wie sie das Leben in der Stadt mit ein paar Worten skizzieren würde? Elenas Antwort kommt nicht überraschend: Dubai sei ein Melting Pot, eine Ansammlung

20 Mitglieder des Golfkooperationrates: Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE).

https://www.xing.com/profile/Elena_Schildgen

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vieler verschiedener Nationalitäten und Kulturen, die auf eine besondere Art hier gut miteinander auskommen. Elena mag diese Kontraste, wie sie zum Beispiel in den Malls ²¹ aufeinandertreffen oder nebeneinander herlaufen – je nachdem, wie man es sehen möchte: Es gibt wenig Rei-bungspunkte zwischen dem kurzberockten westlichen Mädchen und dem emiratischen Paar mit der verschleierten Frau, offenbar funkti-oniert das, nach dem Prinzip „leben und leben lassen“.

Allerdings, so Elena weiter, hat die Internationalität ihren Preis, sie knabbert an der ursprünglichen Identität der Emiratis. Auch, wenn die Männer mit ihren weißen Gewändern und viele Frauen in schwarzen Abayas das äußere Erscheinungsbild auf Straßen, Plätzen und in den Malls prägen: In Dubai sind die Emiratis in der Minderheit, mit nur noch etwa 17 Prozent der etwa sieben Millionen Einwohner - und dies hat Folgen.

Zum Beispiel für die Flüchtlingspolitik: Die reichen Emirate haben zum Unverständnis Europas bisher kaum Flüchtlinge aufgenommen. Im Rahmen ihres Studiums hat sich Elenas Tochter Aisha mit dieser Frage beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass vor allem die Sor-ge vor Identitätsverlust dahinter steht. Interessanterweise macht sie in ihrer Beschreibung keinen Unterschied zwischen der Einwanderung aus Afrika und „the rest of the Middle East“ und zieht einen allgemei-nen Schluss, indem sie den ehemaligen Popperschüler David W. Miller zitiert: „The presence of refugees and migrants would increase the in-centive among natives to defect from using their national languages in everyday transactions and make the project of language-preservation harder to carry through.“ ²²

Am Ende ihrer Ausführungen kommt die junge Frau zu dem Schluss, „refugees and migrants should not be allowed into the United Arabic Emirates as hardships will most definitely arise from this in the form

21 In Dubai befindet sich die weltweit größte Mall. Quelle: www.thecrazyfacts.com/10-interresting-facts-dubai.com, (Abgerufen am 1.6.2017)

22 Aldhaheri, Aisha „Should the country YOU are from admit large numbers of re-fugees and migrants from Africa and the Middle East. University of Abu Dhabi. 11/2017

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of loosing the culture of the country…“. Lediglich könne sie sich auf-grund einer extrem schlechten humanitären Lage von Flüchtlingen eine Hilfe auf Zeit vorstellen, so Aisha Aldhaheri.²³

Elena hat mir den Aufsatz ihrer Tochter mit deren Zustimmung zur Verfügung gestellt und kommentiert ihn selbst so: „…Ein Aspekt, der mir jetzt noch mehr auffällt, ist, dass doch an sich jedes Land dieselben Argumente für sich in Anspruch nehmen kann – nicht nur der Westen, nicht nur Deutschland – auch ein arabisches, muslimisches Land muss doch „das Recht“ besitzen dürfen, seine Staatsangehörigen, Nation, Kultur, Werte, Arbeitsplätze, etc. schützen zu dürfen! Was natürlich dazu führen könnte, dass es letztendlich nirgendwo einen Platz für Flüchtlinge gibt! Somit bedarf es wiederum jemandem, der dennoch allen Argumenten die Stirn bietet und aufsteht und sagt ‚Wir schaffen das‘! Dass die Stimmen dagegen nur plakativ Stimmung betreiben und keine Alternativen anbieten, ist selbstredend! Realistisch gesehen, kann es natürlich weder eine Person noch eine Nation alleine, sondern da es ein globales, glokales (?) Thema ist, müsste doch auch die ganze Welt beteiligt sein. Wäre das nicht endlich mal eine weltumspannen-des Thema für die UN – ggfls. eine Ratio zu finden, die unter Berück-sichtigung aller Argumente für und wider einen Verteilungsschlüssel aufstellt, der belegt, zu welcher Quote ggfls. jedes Land ‚fähig‘ sein müsste, eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Wie man die Länder dann dazu bekommt oder auch ob den Flüchtlingen ‚vorgeschrieben‘ werden kann, in welches Land sie ‚geschickt‘ werden, ist dann natürlich die Folgediskussion.“ ²⁴

Nach diesem bereits in unserem Gespräch eingeleiteten Ausflug in die eher akademische Welt kommen wir zurück in Elenas tatsächli-che, alltägliche Realität. Ihre eigene emiratische Familie ist arabisch geprägt, Elena selbst zum Islam konvertiert, obwohl ihr Mann eine gewisse Distanz zur eigenen Kultur hat und die Töchter auch durch

23 Ebd.24 Schildgen, Elena, Mail vom 22.12.2016 (Auszüge)

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ihren Vater nicht in irgendeine Richtung „gezwungen werden“, wie Elena mehrmals betont. Auch, wenn der Rest der weiblichen Familie Abaya und Sheraya trägt, gibt es vom Vater keine Vorschriften für diese oder andere Kleidung. Allerdings ist ihm wichtig, dass die Töchter die Kultur ihres Lebensmittelpunktes kennen und der Spagat zwischen ihm und der deutsch geprägten Mutter mit deren „German System, Kinder um sieben ins Bett“, wie ihre Schwiegermutter einmal mit Respekt den spezifischen Erziehungsstil kommentierte, ist aus Elenas Sicht für die Töchter nicht immer einfach. Sie fürchtet gelegentlich sogar, ihren Kindern zu viel zugemutet zu haben, zu viel Verschiedenheit, zu viel Gegensätze, zu viele Risse. Nicht zuletzt steht da die Frage, wen die Töchter einmal heiraten können?

Und zum ersten Mal in unserem Gespräch scheint ein schwieriges wahres Leben durch und was es bedeutet, nicht vom ruhigen Plätzchen eines 82 Millionen Volkes mit mehrheitlich christlichem Hintergrund aus theoretisch über Vielfalt und Buntheit zu philosophieren, sondern sich Tag für Tag mit Verstand und Herz der Realität zu stellen, die eigenen Kinder, zumal Töchter in eine kulturelle Welt hineinwachsen zu sehen, die mindestens die Hälfte des eigenen Lebens nicht die ei-gene war.

Dabei hat Elena es gut getroffen: Ihr Mann hatte eine gehobene Po-sition, er ließ sich bewusst auf die Ehe ein, und man „muss ihm nur ein bisschen Zeit geben“, sagt Elena, zum Beispiel, wenn es um die Fahrten der älteren Tochter zwischen dem Studienort Abu Dhabi und Dubai geht. Obwohl Aisha einen Führerschein hat, holt und bringt der Vater sie selbst, mit der Begründung, sie fahre zu schnell und zu dicht auf – was gut stimmen kann, weil es so gut wie alle Arabis tun, ich erlebe dies selbst im Straßenverkehr. Also elterliche Sorge oder doch mindestens ein Rest kultureller Einengung? Elena löst die Frage mit dem Kopf: „So offen sich die Gesellschaft in Dubai gibt, so traditio-

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nell ist sie auch.“ Sie selbst hat sich nie verbiegen lassen, aber immer Kompromisse gemacht. Weihnachten zum Beispiel wollte ihr Mann nicht feiern, ihren Beruf aber hat sie immer ausgeübt, als Anwältin im internationalen Privatrecht, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht. Sie hilft auch Frauen, berät bei Adoptionen und Scheidungen, als lokale Anwältin mit lokalen Kenntnissen und in ihrem eigenen Beziehungs-geflecht zwischen der deutschen und emiratischen Kultur.

Wobei letztere einen wesentlich stärkeren Einfluss auf ihr Leben hat als die in Deutschland lebenden Eltern. Zwar kommen diese regelmäßig und für längere Zeit zu Besuch, und obwohl nach dem Tod der Schwie-germutter die emiratische Familie zunächst auseinandergefallen war, treffen sie sich doch regelmäßig mit Schwägerin und den Cousinen der Töchter zum gemeinsamen Essen. Ramadan zum Beispiel wird mit intensivem Familienkontakt gepflegt. Und dort findet auch der inner-familiäre „Think Tank“ statt, so scheint mir, dort zeigen sich Stillstand oder Bewegung. Wenn es beispielsweise um ein Auslandsstudium in Amerika oder England für Töchter geht. Im Dezember 2016 undenkbar ohne die Begleitung eines Bruders, eines Vetters. „Unsere Familie ist zu klein“, sagt Elena, „wenn Aisha oder Maryam ins Ausland wollten, könnten wir niemanden mitschicken.“ Eine scheinbar unvorstellbare Grenze in Zeiten von Facebook und Internationalität und doch Realität. Geht es hier wiederum um die Bewahrung der Kultur, eingeschränkte Frauenrechte inklusive, die vermeintlichen Nachteile des Internati-onalen und darum, auch im Ausland ein Refugium für „Locals“ zu bewahren? Letzteres kenne ich aus Erzählungen des eigenen Umfelds, wenn in Südamerika deutsche Schulen, deutsche Sportclubs, deutsche Zirkel und traditionelle Werte mehr und intensiver gepflegt werden, als dies in der Heimat selbst der Fall ist. Niemand verliert gerne die Träume der Kindheit.

Für einen Moment haben mich die eigenen, lange vergangenen, aber

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prägenden Bilder abgelenkt. Aufmerksam schaut Elena mich an, ganz fokussierte Anwältin und fast automatisch stelle ich ihr die nächste Frage, immer noch im Bild der eigenen Familie: Wo bleiben denn die Männer in der Familie, wo sind sie? Ich erinnere gut, wie mein Groß-vater, die Onkels und erwachsenen Vettern bei größeren Anlässen nach Aufheben der offiziellen Tafel im „Herrenzimmer“ verschwanden, um bei einer guten Zigarre und einem nicht minder schmackhaften Cognac wichtige Gespräche „über Geschäftliches“ zu führen, während die Frau-en sich bei Mocca und Sherry über Kochrezepte, Kinderkrankheiten und so manches vielleicht auch verschwiegene „Beziehungsproblem“ austauschten.

Elenas sachliche Stimme holt mich endgültig zurück: „Frauen und Männer führen hier ein relativ getrenntes Leben“ erklärt sie mir und auch, wie sich dies auf die Kommunikation mit ihrem Mann auswirkt. Er verstehe oft nicht, worüber sie sich so alles Gedanken mache, das sei doch gar nicht nötig. Dieses Argument allerdings erinnert mich an ergebnislose Diskussionen auch in westlichen Kontexten. Einen weiteren Unterscheid allerdings macht Elena: Nirgendwo seien Männer so höf-lich wie in arabischen Umgebungen: „Kaum jemand, der mir nicht die Hand ausstreckt“, bebildert sie diese Erfahrung, fügt allerdings gleich hinzu, dass es in Saudi-Arabien noch ganz anders aussieht; dort sei die gelebte Religion päpstlicher als der Papst: Dieser Vergleich bringt uns in die Welt der Scharia: „Eigentlich bedeutet sie ein Konglomerat aus Koran, Hadithen, Religion, Kultur und unzähligen Familientra-ditionen. Die Basis der Scharia sind die Grundkonzepte von vier ver-schiedenen Rechtsschulen“, sagt die Juristin Elena, „Rechtsprinzipien können verschieden sein, je nachdem, wie das entsprechende Gericht es handhabt. Im Familienrecht wird im Übrigen das Kindeswohl vo-rangestellt, aber natürlich ist das auch Interpretationssache. Frauen, die mit einem muslimisch geprägten Araber verheiratet sind, müssen wissen, dass sie bei Eheschließung ihren Namen und das mitgebrachte

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Vermögen behalten, der Vater aber über den Aufenthalt der Kinder entscheidet und in traditionellen Familien die Frau im Familienheim bleibt, während der Vater für sie und die Kinder sorgt. In Dubai aller-dings herrscht ein ganz anderes Frauenbild und dies liegt vor allem an der Herrscherfamilie und Sheikh Mohammed, der – so seltsam dies vielleicht klingt – gezielte Frauenförderung betreibt, bis in die obersten Spitzen verantwortlicher Positionen. Seine Politik bedeutet einen Rückhalt für die Frauen und den brauchen sie auch, um sich im Kleinen Schritt für Schritt durchsetzen zu können – wenn sie es denn wollen.“ Und was ist mit den Trennungen von Männern und Frauen in öffentlichen Bereichen? Zum ersten Mal in unserem Gespräch lacht Elena: „Ja, das ist eine typische Frage aus Sicht der Emanzipation, aber die Frauentaxis mit dem rosa Dach, die Warteräume für Frauen in Behörden, das Extraabteil in der Schnellbahn hier in Dubai bedeute vor allem keine Wartezeiten, keine Rangeleien und immer freie Plätze. Der Respekt vor den Frauen gebietet den Männern, solche Räume zu schaffen, auch, um ihr Unannehmlichkeiten zu ersparen.“ Die Män-ner schaffen also diese Räume, Frauen folgen ihnen, hier Chef, da Dienerin? „Es ist eine Frage der Perspektive“, kommt die sachliche Antwort in kurzem bündigem Ton, „ich kann mich toddiskutieren, oder die Vorteile sehen.“

Hier komme ich nicht weiter: Elena hat für sich ein Weltbild geschaffen, mit dem sie offenbar gut zurechtkommt und in dem bestimmte Fragen nicht ständig neu aufgerollt werden, zum Beispiel auch die, ob Regeln einer Stammesgesellschaft noch zeitgemäß sind und warum Frauen nicht Mullahs werden dürfen. Jetzt beim Aufschreiben dieses Gesprä-ches allerdings fällt mir ziemlich verschämt ein, dass ich seit vielen Jahren tatenlos aus der Katholischen Kirche austreten will, weil diese Frauen nicht zur Weihe zulässt und damit vom eigentlichen „Zweck“, nämlich der Nähe zu Christus ausschließt. Wo bitte ist der Unterschied und wo bisher meine Konsequenz? Und ist nicht jede Diskussion von

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uns katholischen westlichen Frauen über die angebliche Rückständig-keit muslimischer Frauen in Wirklichkeit scheinheilig? Und schauen wir eine kurzen Blick lang in den öffentlichen Sektor: Nicht einmal vierzig Jahre ist es her, dass deutsche Ehemänner den Arbeitsvertrag ihrer Frau kündigen konnten. Und wo sind all die Führungskräfte in deutschen DAX-Unternehmen? Was will frau wirklich?

Gewiss, es gibt herausragende kämpferische Frauenpersönlichkeiten, die sich auch in der arabischen Männerwelt Respekt und Achtung verschafften und eine, die Elena besonders am Herzen liegt, ist die britische Forschungsreisende, Abenteurerin, Agentin und Autorin im Wechsel des 19. zum 20. Jahrhundert, Gertrude Bell. Diese Frau mit dem einem Laurence von Arabien vergleichbaren Mythos wurde be-reits in ihrer Lebenszeit als „Mann ehrenhalber“ behandelt und betrat Häuser oder Zelte niemals von der Frauenseite. Aber ist dies bei allem Respekt vor dem Leben einer besonderen Frau auch das Konzept einer Elena oder vieler anderer europäischer Frauen im Orient?

Zum Abschluss unseres Gespräches frage ich sie, ob sie im Rückblick alles nochmals so machen würde, Deutschland verlassen, einen emira-tischen Mann heiraten, Kinder bekommen, bleiben: „Ja, das würde ich“, kommt die klare Antwort, und sie klingt mir glaubwürdig. Nicht ohne ein Gefühl des Respektes und gleichzeitig der Verwunderung über so viel verlässliches Funktionieren verlasse ich Elena.

Mitte April 2017. Wieder bin ich in Dubai und wieder treffe ich Elena.

Zwischenzeitlich hatten wir losen Mailkontakt gehalten und uns dieses Mal zu einem emiratischen Essen verabredet. Sie kommt mir schon am Aufzug entgegen, die Begrüßung ist herzlich. Wir wählen einen Tisch auf dem Balkon, an der belebten Jumeirah Beach Street und bekommen eine schön gestaltete Speisekarte. Elena wählt das Essen, ich genieße

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die warme Nachtluft und denke kurz an Deutschland mit Schnee zu Ostern auf den Bergen und höchstens neun Grad Aprilwetter.

Anders, als beim letzten Gespräch, bestimmt dieses Mal Elena die Rich-tung, eine unerwartete Richtung. Denn nach einigem kurzen Smalltalk kommt sie auf ihre Tochter Aisha zu sprechen, die innerhalb der letzten Wochen eine entscheidende Wandlung vollzogen hat: Sie kleidet sich nun in Abaya und Sheraya. „Ich erkenne meine Tochter nicht mehr“, sagt Elena, und versucht sich in einem Vergleich, der lustig klingen soll: „The socks of my mother“, was so viel bedeutet wie: Ich erkenne meine Mutter in einer Gruppe Frauen nur noch an den Socken wieder. Ich erschrecke vor diesem Bild, versuche, zu verstehen, was da ge-schehen ist. Dass Aisha auch ohne Druck ihres Vaters seiner Kultur eng verbunden ist, konnte schon aus der Seminararbeit gelesen wer-den. Warum aber dieser radikale Schritt und warum jetzt? „In der Universität bewegt sie sich in einem Kreis von Locals und Abu Dhabi ist konservativer als Dubai“, versucht sich Elena in einer Erklärung, „auch Cousinen tragen die Abaya und vielleicht möchte sie einfach dazugehören.“

Aber es ist noch mehr, „ein Zeichen des Erwachsenwerdens, des Ab-grenzens von der Mutter vielleicht auch.“ Wie fühlt sich das wohl an? Ich denke an meine Tochter; sie ist ähnlich selbstbewusst wie Aisha und würde einen solchen Entschluss wohl auch nicht diskutie-ren, sondern mitteilen. Ohnmacht fällt mir dazu ein und eine große Hilflosigkeit, aber auch ein Gefühl des Alleinseins. „Ich schütze die Tradition“, sagt Aisha zu ihrer Mutter, und: „jetzt ist es doch egal, ob mein T-Shirt darunter gebügelt ist oder nicht“ und sie wundert sich darüber, dass sie bei einem Auswahlgespräch für einen Aufenthalt in China über China befragt wurde. Schlecht sei das Gespräch gelaufen, und es klang wie ein kleines Mädchen, sagt Elena. Wo steht Aisha? Was ist Spiel, Ausprobieren, was ernst und ein Plan für lange Zeit?

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Wie wird sich das praktische Leben verändern? Aisha geht nicht mehr zu männlichen Ärzten, sie zieht sich zu Hause zurück, wenn Männer zu Gast sind. Was ist, wenn irgendwo ein Glas Wein getrunken wird? Steht Aisha dann auf und geht?

Zum ersten Mal, seit ich Elena kenne, erlebe ich sie ratlos, natürlich diszipliniert, etwas anderes würde auch nicht passen, aber sie wirkt verletzlich und ist tief verunsichert, ob das alles richtig gelaufen ist und wieder stellt sie die Frage, ob sie als Eltern den Töchtern nicht zu viel zugemutet haben. Und zum ersten Mal fragt sie sich, ob sie wirklich alles nochmals so machen würde?

Dies auszudrücken, ist für Elena ein Riesenschritt und sie sagt das auch. Meine Antworten müssen sie enttäuschen, es sind die unerfahrenen und theoretischen einer Europäerin, über die Großartigkeit und die Chancen von Vielfalt, das große Herz und den klaren Verstand, das Verabreden von Spielregeln. Dazu kann ich am Ende noch am besten stehen, weil Elena mir als eine Meisterin des Erfindens von Spielregeln erscheint und weil ich generell finde, dass erwachsen werdende Kin-der ihren Eltern auch bei der Suche nach Identität nicht auf der Nase herumtanzen müssen, zum Beispiel, indem Aisha erwartet, dass ihre Mutter die neuen Ärzte für sie sucht.

Elena erzählt weiter, von der jüngeren Tochter die einen Auslandsauf-enthalt in London plant, bei unserem letzten Gespräch war er noch ganz unmöglich gewesen, die Familie zu klein, keine männliche Be-gleitung in Sicht. Jetzt aber hatte eine Cousine die Phalanx der Ängste durchbrochen und den Präzedenzfall geschaffen. Und Elenas Mann bewegt sich. Maryam wird alleine gehen dürfen. Meine Güte, Elena: Zwei Töchter, dieselben Eltern, zwei ganz verschiedene Leben, jeden-falls von heute aus betrachtet.

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Und wie wird es weitergehen? Einige Tage später in der Lobby eines guten Hotels inmitten Dubais und in der großartigen Vielfalt von Gäs-ten, am Schreibtisch vor meinem Laptop wirkt fast alles machbar und sicher. Aber wieviel Gewissheit braucht Elena? Einfach so in einem Restaurant, auf der Straße, in einem Flugzeug wird sie ihre Tochter erst einmal oder auch nie wieder so sehen wie früher, sondern das vertraute Gesicht eingepackt in Tuch und Hülle. Mindestens daran gewöhnen wird sie sich mit dem ihr eigenen Pragmatismus, da bin ich sicher.

Und vielleicht wird ihr helfen, dass sie in der gleichen Zeit der vergan-genen Wochen und Monate die Leitung der Kanzlei übernommen hat und selbstbewusst dort ihren Weg nach oben geht. Ein neues Design für das Gesicht der Kanzlei, die Webseite und Prospekte, waren ihre ersten Maßnahmen und dies ist vielleicht nicht ganz zufällig…

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Eine Liebe war es auch, die Peter Goepfrich aus Deutschland in den Orient brachte: Als junger Mann lernte der angehende Jurist die Frau kennen, mit der er mittlerweile seit etwa vier Jahrzehnten verheiratet ist: Cedar.

Die Familiengeschichte der väterlicherseits aus einer libanesischen Scheikhfamilie stammenden und in Haifa geborenen Israel-Araberin faszinierte und bewegte ihn von Anfang an: Große Teile ihrer christ-lichen Familie leben im Libanon, stammen aber aus alten arabischen Traditionen. Die Mutter, deren Familie aus dem Libanon in das dama-lige Palästina übergesiedelt war, schickte die Tochter zunächst auf ein Internat und mit 16 Jahren nach Deutschland, weil sie im europäischen Umfeld erwachsen werden sollte. Dort absolvierte Cedar zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester und lernte in einer Diskothek „beim Feiern“ den damaligen Bundeswehrsoldaten Peter kennen.

Und obwohl Cedar eigentlich in Deutschland bleiben wollte – die ty-pisch deutschen Eigenschaften hatten es der struktursuchenden jungen Frau angetan – und Ägypten beiden nicht wirklich attraktiv erschien, folgte das Paar 1982 einem Zufall und zog nach Kairo. Peter hatte mittlerweile Arabisch gelernt und promoviert und war zunächst wis-senschaftlicher Mitarbeiter für Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg – daneben engagierte er sich auf Anregung von Cedar in Solidaritätsgruppen für die Sache der Palästinenser und kümmer-te sich um das Personenstandsrecht von Mischehen und Studenten, „um mir wenigstens ein bisschen das Bewusstsein aus meiner Zeit als Altachtundsechziger zu erhalten und mein schlechtes Gewissen zu beruhigen“, sagt der heute 67-jährige. So konnte Peter sprachlich und gut vorbereitet die Rechtsabteilung der Deutsch-Arabischen AHK in Kairo (DAIHK) übernehmen; zu Beginn waren 90 Prozent seiner Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter noch Kopten, die Struktur änderte sich dann nach und nach, folgte den kulturell-muslimischen Bedingungen im Lande.

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In den Jahren 1986 bis 2015 folgten Tätigkeiten als Hauptgeschäfts-führer der DAIHK und als Delegierter der Deutschen Wirtschaft für den Libanon und Palästina, danach ab 2008 die des Hauptgeschäfts-führers der Deutsch-Emiratischen Handelskammer in Dubai und des Delegierten der Deutschen Wirtschaft für die Golfregion.

Seit 2016 ist Peter als Rechtsanwalt in Heidelberg und Dubai tätig. Möchte man einen Termin mit ihm vereinbaren, gibt es allerdings einige Stationen mehr zu überwinden: Johannesburg und Potsdam, die Wohnorte der beiden gemeinsamen Kinder und deren Familien, außerdem Hannover, Berlin, München, Kairo, gelegentlich weitere Standorte in den Golfstaaten.

Viele Zehntausende von Flugkilometern hat Peter in seinem Berufsle-ben zurückgelegt, und auch jetzt sammelt er noch Meilen um Meilen auf seinem Flugkonto. Warum dieses, wenn nicht rastlose, so doch ruhelose Leben? Peter antwortet ohne Zögern: „Schon zu Beginn meiner Berufszeit wollte ich immer etwas Neues, ins kalte Wasser springen, nicht alles durchkalkulieren, lieber Risiken eingehen, ein ergebnisoffenes Leben führen – und daran hat sich nichts geändert. Immer wieder etwas anfangen, immer wieder Pionier sein.“

Da hätte wohl so manche Ehefrau die Segel gestrichen und sich mit einem mehr oder weniger freundlichen „Mir reicht das jetzt“ verab-schiedet. Nicht so Cedar; sie blieb auch über persönliche Höhen und Tiefen Peters wichtigster Halt, seine Expertin und Kritikerin, Kame-radin, Freundin. Bei unserem ersten Gespräch in einem Hotel in Dubai lag ihm das Herz auf der Zunge: „Ohne Cedar wäre mein Interesse an der arabischen Welt nicht geweckt worden, und schon den ersten Job in Kairo hätte ich nicht angenommen“, sagt er, „und noch wichtiger, ohne die Wurzeln meiner Ehe hätte ich ein solches Leben nicht führen können.“ In den letzten Minuten ist aus dem quirligen Manager ein

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nachdenklicher Ehemann und Lebensgefährte geworden, der darüber nachdachte, ob denn immer noch all diese Termine sein müssen, „jeder würde verstehen, wenn ich mich nun voll auf die Familie konzentrieren und im Übrigen den ‚wohlverdienten Ruhestand‘ genießen würde“. Dennoch wird er an seinem Lebenstempo freiwillig nichts ändern. Sucht nach Bedeutung? „Ich halte mich bewusst aus meinem früheren beruflichen Umfeld heraus“, sagt Peter und wir wissen beide, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Denn schon die gelegentliche Rückkehr an einen ehemaligen Wirkungsort zeigt mindestens enge Verbundenheit, wenn nicht Gestaltungswillen über die frühere Tätigkeit hinaus.

Dabei hat sich zwischen seinen Dienstjahren und denen des jetzigen Geschäftsführers der AHK die Arbeitsarchitektur eines deutschen Kam-mervertreters in Dubai deutlich geändert: „Unfreier ist sie geworden, technokratischer“, sagt Peter und „ich gehöre zur zweiten Generation der Auslandsvertretungen des DIHT, die erste war noch viel freier als ich. Da gab es gar nichts, keine Vorschriften, keinen festen Finanz-haushalt.“ Also auch keinen Chef im üblichen Sinne und eine Menge an Gestaltungsspielräumen, von denen deutsche Verbandsmitarbeiter heutzutage nur träumen können.

Na, typisch, denke ich mit einer guten Portion Neid, die Freiheit für Männer im Orient – aber Peter unterbricht meine Gedanken: „Diese Unabhängigkeit kann mit gehörigem Ärger verbunden sein und so etwas kann sehr schnell gehen, zum Beispiel, wenn man in die Fänge von Weltpolitik gerät.“

So geschehen Anfang März 2010. „Da hat Deutschland mich alleine gelassen“, sagt Peter, und sein Gesichtsausdruck verdüstert sich zuse-hends in Erinnerung an die Ereignisse, „um Mitternacht wurde mir die Lage dann zu heiß und ich beschloss, am nächsten Morgen das erste Flugzeug nach Berlin zu nehmen, um vor Ort zu sein, wenn über die

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Konsequenzen beraten wird.“ Ein freundliches Empfangskomitee al-lerdings erwartete ihn nicht, sondern erst einmal eine recht einsame Sitzung vor einer Tasse Kaffee in einem Besprechungszimmer der Zentrale des Deutschen Industrie- und Handelstages.

Was war geschehen? Heute liest sich die Sache wie ein Krimi: Neben an-deren Arbeitsgruppen der von Peter in Dubai geleiteten deutsch-emira-tischen Handelskammer gab es seit November 2009 eine auch für die deutsch-iranische Zusammenarbeit. Wir befanden uns in der Zeit wirtschaftlicher Embargos gegen das iranische Regime zur Abwehr atomarer Bedrohung und dies bedeutete absolute Einfuhrverbote in das Land auch deutscher Waren. Gleichwohl sollte „die Iran-Arbeits-gruppe weiter arbeiten und quasi out of the box und unter´m Radar konkrete Möglichkeiten und Wege ausloten, um über das damalige Regime hinaus den Weg für die Freundschaft und den Handel zwischen Deutschland und dem Iran zu erhalten,“ so Peter heute.

Und Embargo hin oder her: Das Interesse der deutschen Industrie an Geschäften mit dem Iran wurde dadurch nicht gestoppt, übrigens ein gutes Beispiel für die Problematik von Wirtschaftssanktionen ins-gesamt, denn „schließlich geht es vor allem um die Bevölkerung und nicht um das Regime“, dies sagte damals nicht Peter, sondern - wen wundert‘s? - eine iranische Journalistin.

Aber Weltpolitik spielt nach ihren eigenen Regeln: Als Anfang März 2010 die Bundeskanzlerin vor der Knesset bestätigte, alles daranzu-setzen, „dass die Handelswege“ deutscher Firmen „nicht über Umwege doch wieder in den Iran führen“ ²⁵ und gleichzeitig ein Medienvertre-ter in Dubai auf die Aktivität der Iran-Arbeitsgruppe der deutschen Auslandsvertretung des DIHT aufmerksam wurde, war es um Peters Unabhängigkeit am Golf geschehen. 25 Küntzel, Matthias „Heimliche Geschäfte deutscher Firmen mit dem Iran“. Aufge-

rufen unter: https://www.welt.de/politik/ausland/article6660495/Heimliche-Ge-schaefte-deutscher-Firmen-mit-Iran.html, zuletzt am 3.10.2017.

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Deutschland unterlaufe die Sanktionen: Voller Wonne stürzten die Me-dien sich auf diesen so konkreten Fall mit dem allzu leicht identifizier-baren Gesicht des Peter Goepfrich. Als „peinlich und ärgerlich“ ist seine Reaktion bis heute im Internet zu nachzulesen; das undurchsichtige und für die iranische Bevölkerung harte, in der amerikanisch-israelischen Achse gleichwohl gut verankerte Embargo hatte seinen handfesten Skandal. „Mit den kleinen Schlupflöchern durch die Boote am Creek in Dubai allerdings hatte die deutsche Auslandsvertretung nichts zu tun“, setzt Peter sich bis heute für seinen ehemaligen Arbeitgeber von den einträglichen Gepflogenheiten deutscher Unternehmen ab.

„Was hilft dem Menschen hinter der Funktion in einem solchen Fall?“, frage ich ihn. „Meine Frau, die Familie und von außen eigentlich nur eine ganz kurze SMS der damaligen Wirtschaftsministerin von Du-bai, Sheikha Lubnah, die sich nicht zur Sache äußerte, mir aber ihre Freundschaft bestätigte“, meint er, „viel mehr Freunde auch unter den Kollegen gab es da zunächst nicht, weil die meisten in Deckung gingen.“Vor allem in der Berliner Zentrale. Da saß Peter an einem langen Kon-ferenztisch, bekam einen Kaffee und nacheinander kamen Personen herein und gingen wieder heraus, fragten etwas, dann die nächste Person, dann die nächste. Irgendwann Stunden später unterschrieb er eine Erklärung und dann war das Schauspiel vorbei.

Was ist aus dieser Erfahrung geblieben? „Mein Glaube an die Medien ist gesunken, Interviews wurden nach Gutdünken zusammengeschnitten, da konntest du gar nichts machen“, sagt Peter, „und ich habe erlebt, wie die deutsche Bürokratie bei tatsächlicher oder vermeintlicher Gefahr im Verzug fast maschinell zuschlug.“

Zwar versteht er die Reaktion von damals jetzt besser, dennoch bleibt ein ungläubiges Staunen darüber, wie jahrelanges Vertrauen in den Sinn und die Vernunft seiner Arbeit so schnell in zumindest vorüber-

http://www.dailymail.co.uk/news/article-2144613/Pictures-Dubai-1960s-1970s-city -fishing-settlement.html

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gehendes Fallenlassen umschlagen konnte. Bevor Peter ihn fragen konnte, reagierte allerdings ein leitender Mitarbeiter des Wirtschafts-ministeriums sozusagen im Vorhinein: „Wer sagt denn, dass wir dich entlassen wollten?“

„Solche Situationen steht man mit wenigen durch“, sagt er heute und Peter wäre nicht Peter, wenn er sich nicht relativ rasch auch wieder erholt hätte: Bis heute ist er ein Wanderer zwischen den Welten, oder, wie er selbst sagt: „ein fokussierter Weltenbummler“ – mit spürbarer Freude an den über Jahrzehnte aufgebauten und gepflegten Kontakten, die im Orient noch wichtiger sind als in Europa; es braucht nicht viel Phantasie, sich ihn in Runden mit Emirs und Scheichs vorzustellen, wie sie die Welt erfinden und ich stelle erst mir und dann ihm die Frage, ob es im Orient überhaupt Handelskammern braucht, mit all dem ty-pisch deutschen technokratischen, bürokratischen Aufwand? „Stimmt, Auslandskammern sind etwas sehr deutsches“, bestätigt Peter, „und die AHK in Kairo war lange institutionell ein Fremdkörper. Zudem hatte sie dort keinen Rechtsstatus oder eine Registrierung. Das ent-scheidende sind die Kontakte von Mensch zu Mensch, sie kann keine auch noch so effiziente Verwaltung oder ein noch so schönes Organi-gramm ersetzen. Und auf einer solchen Basis lassen die Regierungen einen dann arbeiten, trotz fehlender staatlicher Strukturen.“

Und wie sieht es in Dubai aus? Ich sehe, dass auch hier immer mehr Regulierungen kommen, wie die mir schon aus dem Gespräch mit Elena bekannten Bezahllizenzen für Ärzte und Anwälte. Dies kann Peter bestätigen: „Die AHK in Dubai ist anerkannt, sie bietet Beratung und guten Service und ist Repräsentant der deutschen Wirtschaft. Jeder und jede dort ist ein Diplomat für Deutschland. Für diese in unruhigen Zeiten immer wichtigeren Aufgaben allerdings werden die Auslandskammern seitens des Auswärtigen Amtes nicht wirklich gut ausgestattet: Ihr Gesamtetat weltweit ist geringer als derjenige der

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Deutschen Botschaft in Paris, die Kammern sind eindeutig unter Wert gehandelt.“

Woran liegt dies, frage ich verwundert? Peter lächelt etwas gequält: „Na, das zweite deutsche Headquarter in Deutschland ist das Wirt-schaftsministerium und ich nehme mal an, da spielt auch Neid eine Rolle, meine Vermutung. Die Teams in den Auslandskammern sollen nicht mehr verdienen als sie selbst, lieber noch ein bisschen weniger. Was immer die Gründe sind: Die Kammern müssen einen hohen Teil ihrer Kosten durch eigene Aktivitäten decken und auch dafür braucht es ja Menschen, deren Arbeit wiederum Geld kosten. Sie verstehen?“ Oh ja, ich verstehe, das läuft wohl ähnlich wie bei gemeinnützigen Instituten in Deutschland. Die Geografin Saskia Sassen hat diese Zu-sammenhänge einmal sinngemäß so beschrieben: „Organisationen müssen ihre Angebote zusammenstreichen und mit weniger mehr leisten. Dann wird die Arbeit noch anstrengender und die Leiter sol-cher Gruppen, ob bezahlt oder ehrenamtlich tätig, verwenden einen Großteil ihrer Zeit auf die Beschaffung von Spenden, statt auf ihre eigentliche Aufgabe.“ Peter nickt: „Ja, das kann man vergleichen und für die Kammern bedeutet dies die Erwirtschaftung immer höherer Eigenanteile“ und „die neue Generation steht unter immer größerem Leistungsdruck.“

Nach meinen Einblicken über das Leben von Expats aus Europa in Dubai klingt mir dies denn doch ein bisschen sehr einseitig. Für arm-selige deutsche Beamte das Leben am Golf ein einziger Frondienst? „Nein, so ist das nun auch nicht“, kommentiert ein belustigter Peter: „Es ist schon bunt hier und hat viele Facetten, gleichzeitig kann ein Leben als Expat zu seltsamen Spaltungen führen. Zum Beispiel durf-ten Auslandsdeutsche, auch Leute wie ich mit politischen Jobs, eine gewisse Zeit in Deutschland nicht wählen, sich aber wie die anderen 85 Prozent Expats auch in Dubai nicht politisch engagieren. Und das

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Heimatgefühl wird durch die Entfernung stärker. Das kann dann so-weit führen, dass ein eigentlich polyglotter Bekannter von mir auf die Flüchtlingskrise mit einem Aufschrei reagierte: ‚Die machen mir die Heimat kaputt‘.“

„Außerdem“, erzählt er weiter, „und das gehört auch zur Wahrheit, führen viele Expats am Golf ein quasi koloniales Leben und dies ver-lockt auch eine besondere Gruppe Deutscher, RTL2-Leute, Halbwelt. Manchen faszinieren solche halbseidenen Schickimicki-Welten, in der kaum Locals sichtbar sind. Aber auch das seriöse Leben hier ist zum Teil Schauspielerei, zum Beispiel, wenn wir das Oktoberfest feiern. Wir machen mit, solange Leute so etwas erwarten, irgendwann ändert sich das vielleicht auch.“

Genau so stellt sich Hänschen Müller das Leben in Dubai vor: Als Glit-zerwelt, in der nur Geld zählt und alles sehr oberflächlich ist ²⁶ – und Peter kann da zweifellos mitspielen, wenn der Job es verlangt. Wie aber sieht es zum Beispiel mit richtigen Freundschaften aus?

„Da gibt es Regeln, die ganz anders sind als in Europa. Auch die gro-ßen wohlhabenden emiratischen Familien der Moderne gehören tra-ditionellen Stammesgesellschaften an, in denen man befreundet sein kann und es dennoch bei Fragen enge Grenzen und insgesamt Regeln gibt. Und man muss genau zuhören, ein Gespräch einfach auch mal so stehen lassen können, deutsches Oberlehrertum braucht hier niemand.“

Das Gegenteil also von sozialpädagogischen Endlosdiskussionen, eine sympathische Vorstellung – wie aber funktioniert die Kommunikation im Geschäftsleben, in der doch Ziele erreicht werden sollten? Nachsich-tig schaut Peter mich an: „Alles beruht auf persönlichen Beziehungen, eine im deutschen Sinne effiziente Verhandlung zwischen sich fremden Partnern mit einer Agenda oder gar mit der Türe ins Haus zu fallen,

26 Aus Dubai kommt die längste Goldkette der Welt: 22 Kilogramm Gold in einer Län-ge von 4,2 Kilometern. 9.600 Menschen kauften sie in einzelnen Stücken. Quelle: www.thecrazyfacts.com/10-interesting-facts-dubai, (Abgerufen am 1.6.2017)

https://dubai.platinumlist.net/event-tickets/61153/oktoberfest-2017?show=88835

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funktioniert hier gar nicht. Abstrakt geht nichts, alles braucht Zeit, auch der Aufbau von Vertrauen, besonders der. Dies gilt übrigens un-abhängig davon, ob es sich um ein Treffen in der Wüste handelt oder der Rolls Royce des Gesprächspartners vor dem klimatisierten Hotel steht. Die Regeln sind dieselben und wer sie nicht akzeptiert, hat ver-loren, bevor er es merkt. Also, man sollte die Grundregeln kennen.“

Aber welche Regeln? „Araber pflegen eine schier grenzenlose Gast-freundschaft, dies hängt mit ihrer Beduinenherkunft in der Wüste zusammen“, erläutert Peter, „aber jeder Besuch ist nach drei Tagen zu Ende, dies gilt für den größten Freund und den größten Feind. Dann nehmen die Gastgeber gerne Geschenke entgegen, aber bitte kein Geld, ‚Wir sind doch keine ägyptischen Hunde‘, sagen zum Beispiel die Sinai-Beduinen. Und ganz aktuell: Flüchtlinge werden in den VAE nicht aufgenommen, aus Angst vor Islamismus und anderen Radikalen, Pakistani sind Ausländer, auch wenn sie Moslems sind. Vielleicht hört sich das für westliches Verständnis seltsam an, aber das Stammesden-ken geht über den eigenen Stamm nicht hinaus.“

Also Abschottung gegen „Fremde“? Was ist dann mit der Weltoffen-heit in Dubai, mit Burka und Bikini nebeneinander im Strand? Die erlebe ich selbst und auch eine unglaublich bunte Modenvielfalt in den Malls und Restaurants; noch nie habe ich außerdem so viele teure Dessousläden auf einem Fleck gesehen wie hier. „Ja, Dubai soll keine fremde Stadt sein, sie ist gebaut für alle, die gerne kommen und dort arbeiten möchten. Aber das hat weniger mit Stammesdenken zu tun, das ist vor allem Geschäft. Im Übrigen stehen hinter jedem Emirati, der in Dubai etwas plant, zwei westliche Consultants. Da wird nichts dem Zufall überlassen.“

Dies leuchtet ein, vor allem vor dem Hintergrund des Grundsatzes der herrschenden Sheikhfamilie Al Maktoum, nichts zu tun, was

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geschäftsschädigend sein könnte und dazu gehört auch die freie Re-ligionsausübung, damit Expertinnen und Experten aus aller Welt nicht abgeschreckt werden. Peter nickt: „Grundsätzlich schöpft das emiratische Denken viel aus dem Glauben und kulturell denken sie ethnokratisch, was auch bedeuten kann, nicht integrativ. Und ja, für Dubai stimmt das Motto, wobei sie eine relativ zu anderen Staaten am Golf tolerante und gleichzeitig pragmatische Auslegung des Islam pflegen und damit eine Ausnahme sind in der Region. Denn eigentlich unterdrückt die Religion kreatives Denken. Und auch in Dubai gilt das Schariagesetz, allerdings nicht in der Auslegung des arabischen „al“ die Religion, sondern als „eine Religion.“

Ich hake nach: Wenn es aber im Koran so klare Denk- und damit auch Entwicklungsverbote gibt, warum sind dann die Schulen in Dubai und auch das überall gegenwärtige Sicherheitssystem mit tausenden von Kameras so deutlich weiter in der Digitalisierung als die in Deutsch-land? Das brauchte eine jahrelange und teure Entwicklungszeit und musste viel früher begonnen haben als in Europa.

Peters Antwort zeigt, wie nahe er der Denkweise seiner zweiten Wahl-heimat ist, der Ton in der Stimme ist freundlich, aber auch abschließend: „Der Koran ist eben teilweise eng, teilweise weit. Es ist ein bisschen wie in der Familie, da gilt leben und leben lassen. Und im wirtschaftli-chen und technischen Bereich gilt hier: Das Geschäftsmodell ist global und wir wollen die Besten sein, niemand kennt den zweiten, jeder nur den ersten. An die Expats wird dabei übrigens nicht gedacht, es geht immer um Gutes für die Locals und alle anderen dürfen dabei helfen und sollen damit glücklich sein.“

Es ist atmosphärisch mit Händen zu greifen: Vermutlich ist dies nun genau so eine Grenze, an der weitere Fragen nichts bringen würden, zum Beispiel nach dem in der Verfassung verankerten Prinzip des

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Glücklichseins, nach der Rolle von Frauen, nach den Verflechtungen mit Staaten, die den Terrorismus unterstützen, usw. Also beobachte ich Peter, wie er genüsslich seinen Imbiss löffelt und tue es ihm nach und denke mir, dass es gelegentlich auch ganz entspannend sein kann, nicht allem und jedem sofort auf den Grund gehen zu wollen. Inschal-lah, es wird eine andere Gelegenheit geben.

Zwei Monate später gibt es sie, ich treffe Peter in Berlin; nach einer freundlichen Begrüßung im Restaurant Borchard schließe ich meine Fragen dort an, wo wir in Dubai aufgehört hatten. Zwischenzeitlich hat sich die politische Lage am Golf zugespitzt, die USA, Saudi-Arabien und einige weitere Golfstaaten haben Katar mit Sanktionen belegt. Am Abend vor unserem Gespräch wurde in Saudi-Arabien einer der Söhne als Kronprinz eingesetzt, angeblich hatten 31 von 34 Mitgliedern des Familienrates der Sauds diesen Schritt gebilligt.²⁷

Wie verhalten sich die VAE und speziell Dubai in dieser Lage? Wie lange noch wird Dubai als neutrale Zone zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu halten sein? „Aus meiner Sicht finden derzeit seismische Veränderungen statt am Golf“, sagt Peter „und einiges widerspricht diametral arabischen Traditionen. Zum Beispiel, dass dem katarischen Regime jedenfalls allem Anschein nach kein Rückzug aus der Situation ohne Gesichtsverlust ermöglicht wird, das ist sehr ungewöhnlich, un-arabisch und für mich nicht erklärbar. Dabei betreibt das wirtschafts-orientierte Dubai bisher keine scharfmacherische Politik und ist im Übrigen auch interessiert an einer stabilen Verbesserung der Bezie-hungen zum Iran. Allerdings wird die offizielle VAE-Außenpolitik durch den Vorsitzenden in Abu Dhabi bestimmt und der ist deutlich weniger liberal als sein Stellvertreter in Dubai, der am liebsten leise und neutral bleiben würde.“

Ja, aber alle liefern Waffen in die Krisengebiete ihrer Nachbarländer,

27 Und kurz vor Veröffentlichung dieses Gespräches Ende September 2017 sollte endlich in Saudi-Arabien das Verbot für Frauen fallen, Autos selbst zu fahren. Ein Meilenstein, aus ökonomischen Gründen: Denn Frauen sollen künftig selbststän-dig ihre Arbeitsplätze aufsuchen können.

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auch Dubai. „Problem ist, dass der Begriff ‚Terrorist‘ von verschiede-nen Emiraten, Sultanaten, Regionen unterschiedlich definiert wird“, meint Peter, „Für die VAE zum Beispiel sind die Moslembrüder auch Terroristen, für die Saudis die Hisbollah. Und wenn jeder sozusagen seine persönliche Terroristengruppe hat, liefern auch alle unter dem Fähnchen ‚Abwehr‘ ihre Waffen.“ Und welche sind die Ebenen hinter denen, die wir auch in den Medien erleben, frage ich nach. „Eindeutig die militärischen Kreise der Familien,“ sagt Peter, „dies ist für ein richtiges Verständnis im Westen immer der Punkt: Da ist nicht in ers-ter Linie ein Verteidigungsministerium, wie wir es kennen, sondern Verantwortliche in den Familien, mit dem dazu gehörenden Verhal-tenskodex. Unberechenbarer Faktoren sind im Übrigen auch schnelle emotionale Reaktionen, bis hin zu Wut über Entwicklungen – auch dies sollte der Westen nicht vergessen.“

Ich wechsele das Thema und frage Peter nach den Local-Camps, Un-terbringungen für niedrig bezahlte Gastarbeiter vor allem auf den Baustellen, die in Europa immer wieder für Aufregung sorgen. „Ja“, bestätigt er, „das war viele Jahre ein Thema, vor allem in der interna-tionalen Presse und tatsächlich wurde das sogenannte Bürgenprinzip durch Emiratis pervertiert, indem vor allem Bangladeshis und Indern die Pässe weggenommen wurde, sie in sehr zweifelhaften Camps un-tergebracht wurden oder auch in vielfach belegten Zimmern von Pri-vatwohnungen mit einer unzulässig hohen Abgabe dafür. Die andere Seite ist allerdings, dass diese Gastarbeiter freiwillig kommen und mit dem in Dubai verdienten Geld ihre Familien zu Hause ernähren können. Aber es gibt einen Bewusstseinsprozess für eine Verbesserung der Lage, bis zu ersten Altenheimen für Menschen, die nicht mehr zurück können.“ ²⁸

Und ein weiteres interessiert mich: Wie sieht es aus Peters Sicht mit den Frauenrechten aus? Wir hatten das Thema immer wieder gestreift

28 Im Anschluss an dieses Kapitel finden Sie die Aufzeichnung eines Skype-Gespr- äches mit einem Pakistani, der über die Lage aus seiner Erfahrung berichtet.

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und Peter fasst seine Ansicht zusammen: „Da muss man sehr stark un-terscheiden. Grundsätzlich wird in der öffentlichen Diskussion zu viel generalisiert, denn beispielsweise gibt es große Unterschiede zwischen wahhâbistischen und schiitischen Regionen. Drei grundsätzliche Rechte sind im Gesetz verankert, nämlich die Beibehaltung des Namens bei Heirat, der Behalt des Vermögens und der Schutz durch die Familie“, was aber auch Kontrolle bedeutet, werfe ich ein, „ja, das stimmt, und zwar aufgrund von Scham- und Ehrkodexen aus vormodernen Zeiten, die in unserer Zeit auch von Frauen selbst wieder entdeckt und un-terstützt werden. Wir beobachten, wie noch vor wenigen Jahren viel mehr Frauen westliche Kleidung trugen, die jetzt wieder Abaya oder Kopftuch tragen und dies betrifft in den Golfstaaten vor allem auch Frauen in hohen Positionen. Ich würde sagen, es handelt sich um einen Aufbruch des Stolzes vor allem blaublütiger privilegierter weiblicher Mitglieder großer Familien, die so ihre Identität zu erhalten versu-chen.“ Ähnliche Erfahrungen entnehme ich auch anderen Gesprächen und denke wieder einmal, dass vor allem wir Frauen gut daran tut, die Entwicklungen mit Respekt und möglichst wenig Alarmismus zu begleiten.

Und was sagt der Netzwerker Peter Goepfrich zum Thema Digitali-sierung? „Dubai ist in der Anwendung eindeutig weiter als Deutsch-land, vor allem was E-Government und die Verbreitung von Social Media betrifft und dies gilt auch im sonstigen arabischen Raum, weil das Internet eine Escapevariante aus den Regimen heraus bedeutet. Junge Leute können Smartphones übrigens als Umgehung einer alten Tradition nutzen, wenn ein Junge und ein Mädchen sich durch einen Vorhang getrennt kennenlernen sollten und dann über Social Media verständigen können, so war das jedenfalls noch vor ein paar Jahren. Da wurde dann auch nichts abgestellt, wie in der Türkei, sondern den Dingen ihren Lauf gelassen. Das ist Pragmatismus à la VAE. Dubai selbst hat viele Start ups und erklärtes Ziel ist es, die Stadt

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Der Businessman

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spätestens zur EXPO 2020 zum Place of the World für die junge Ge-neration zu machen.“

Das gibt mir ein gutes Stichwort und zum Abschluss unseres Ge-spräches frage ich Peter, was seine nächsten Pläne sind? Er gerät ins Schwärmen: „Ein Kompetenzzentrum in Heidelberg als Plattform für islamisches und arabisches Recht, in dem arabische und europäische Juristen das arabisch geprägte Civil Law und anglikanisches Recht in Akademien und post graduate Studiengängen beraten können. Auch soll das Kompetenzzentrum Möglichkeiten der Kooperation mit ara-bischen Universitäten aufbauen und Geschäftsanbahnungen in den Nahen und Mittleren Osten organisieren.“ Das klingt nach einer wei-teren Mammutaufgabe und vielleicht ein Thema auch für die EXPO? Da überlegt Peter noch: „Wir müssen vorausdenken, was sinnvoll ist und wie wir auf verschiedenen Ebenen die geknüpften Verbindungen erhalten und möglichst noch ausbauen können.“ Da ist er wieder, der Netzwerker und Businessman, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dass er sich irgendwann „zur Ruhe setzt“.

Wir beenden unser Gespräch und ich begleite Peter auf die Straße, sein nächster Termin steht an: Mit einem saudischen Freund über Möglichkeiten zu sondieren, die Duale Ausbildung nach Saudi-Arabi-en zu bringen; Siemens und SAP haben bereits einen entsprechenden Vertrag unterschrieben – darauf lässt sich doch aufbauen.

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Der Businessman

Der Pakistaner Ali

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Der Pakistaner Ali

Skype-Gespräche mit dem Pakistaner Ali in Dubai.²⁹

Im September ergab sich dann durch einen Zufall die Möglichkeit für ein Gespräch mit einem ehemaligen Arbeiter in Dubai und Bewohner von Labour Camps. Er ist der Vater einer unserer Fellows im Elbins-titut: Nasar stammt aus Pakistan, hat dort Medizin studiert und sich als Arzt approbiert. Für künftige Spezialisierungen schrieb er sich in Deutschland als Student ein und landete auf Umwegen in unserem Orientierungskurs, um sich auf die Sprachprüfungen mit hohen Levels vorzubereiten.

Sein Vater Ali ³⁰ lebt seit dem Jahr 2000 in Dubai und ist heute Busfah-rer, hat es also geschafft, sich aus den extrem bedrängten Situationen der Camps herauszuarbeiten. All die Jahre verdiente er so viel, dass seine sechs Kinder in Pakistan gute Schulen besuchen und studieren konnten und heute fast alle akademischen Berufe haben.

Ich bin Nasar und seinem Vater Ali sehr dankbar, dass die beiden sich zu zwei Skype Gesprächen mit mir bereit erklärten. Denn so habe ich nicht nur das Leben pakistanischer Gastarbeiter und ihrer Familien im Ansatz selbst ein wenig mitdenken können; ich kann auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser eine seltene Originalbeschreibung über die Lage dieser unersetzlichen Aufbauhelfer des Emirates Dubai weitergeben: Ohne die vielen zehntausende Gastarbeiter vor allem aus Indien und Pakistan hätte Dubai seine Entwicklung niemals nehmen können.

Und weil sie mich besonders berührt hat, möchte ich eingangs die Gesprächssituation beschreiben: Nasar und ich saßen in der Kahlheit eines EDV Raums im Elbinstitut, als das große Skype-Bild des Vaters erschien: Ein freundlicher kräftiger Mann mit einem ausdrucksvollen Gesicht und kräftiger Stimme dort, sein feingliedriger und eher leiser Sohn neben mir. Im Wissen um die besondere Gemeinschaftsleistung

29 Am 19. September und 4. Oktober 2017. Die Gespräche sind im Text zusammen-gefasst.

30 Der Name wurde geändert

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dieser Familie wurde mir in diesem Moment klar, welche Gastfreund-schaft am 19. September und 4. Oktober 2017 mir Vater und Sohn da gewährten und welch besonderen Einblick in eine fast zwei Jahrzehnte andauernde familiäre Solidarität, die allen Beteiligten äußerstes ab-verlangte.³¹

Um die allzu dichte Atmosphäre ein wenig zu neutralisieren, fragte ich Ali zunächst nach dem Wetter in Dubai und erhielt die erwartete Antwort: Es sei extrem warm in diesen Herbsttagen, antwortete er und sein Lächeln zeigt, dass er den Sinn meiner rhetorischen Einleitung gut verstanden hatte. Die Gesprächslage entspannte sich nun zunehmend und ich stellte ihm die nächste Frage:

Wie war Dubai um die Jahrtausendwende, wie sah die Stadt aus? „Viel einfacher, 50 Prozent der Hochhäuser waren schon da, die anderen aber wurden erst dann gebaut von Menschen wie mir, die nur wenig Jahre in der Schule waren und ohne Ausbildung kamen, um einen Job zu finden.“

Mit welchen Gefühlen verließ er Pakistan, um in ein völlig fremdes Land zu gehen? Die Antwort kommt ohne Zögern: „Wir besaßen da-mals nichts in Pakistan und ich wollte, dass meine Kinder eine gute Ausbildung machen, das war das Ziel, unbedingt! Eigentlich wollte ich nach Europa, aber das funktionierte nicht. Wir hatten eine sehr schlechte Zeit in der ganzen Familie.“

Und wie verlief das Ankommen in Dubai ganz praktisch? „Es war nicht einfach, ein Visum zu bekommen, aber ein Onkel war schon in Dubai und half mir. Ohne ihn hätte das nicht funktioniert, er kannte sich aus. Er kam mit zwei Freunden zum Flughafen, um mich abzuholen. Am Anfang war ich froh und zufrieden, in Dubai angekommen zu sein und dachte, es sei ein gutes Land. Als ich dann aber die Wohnung sah 31 Sie lesen die Gespräche in einer direkt übersetzter und mitgeschriebener Fassung.

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mit acht Männern in einem Zimmer, da dachte ich: Wie kann man hier leben? Der Anfang war sehr, sehr schwer.“

Haben Sie das nicht vorher gewusst? „Nein, ich hatte keine Ahnung. Früher konnten wir nicht am Telefon sprechen. Ich hatte nur die Idee, dass ich in Dubai arbeiten könnte. Ich bin ein positiver Mensch und habe von meinem Vater gelernt, dass es immer einen Weg gibt. Außerdem hatte ich keine Möglichkeit zu arbeiten in Pakistan.“ Wären Sie auch gefahren, wenn Sie gewusst hätten, wie schwierig das ist? „Vielleicht wäre ich zu einem anderen Land gefahren.“ Und mir fiel ein, was wir immer wieder so schnell vergessen: Handy und Internet war damals lange nicht so verbreitet wie heute und Informationen noch nicht die globale Währung.

Ali kam also nur mit dem Wissen, dass es in Dubai Arbeit gäbe, dort an. Was waren die nächsten Schritte? „Der erste war, ein Visum zu bekommen, das dauert etwa zwei Monate. Es war auch nicht ein richti-ges Visum, sondern der Onkel kaufte das Papier als Bestätigung eines arabischen Mannes für 9.000 Dirham für Fahrerdienste. Man konnte das Visum nicht direkt bekommen und auf jeden Fall nicht ohne einen arabischen Mann.

Als das Visum dann da war, arbeitete ich für eine Baustellenfirma und habe in 18 Tagen acht Kilo abgenommen. Ich lebte im Camp und jeden Tag hat ein Bus uns auf die Baustelle gefahren. Es gab damals sechs oder sieben Leute in einem Zimmer und es sind jetzt immer noch dieselben Zustände. Vielleicht ist es jetzt noch schlechter als damals, außer vielleicht in einer großen Firma. Immer noch sind normaler-weise sechs oder sieben Leute in einem Zimmer und mindestens zehn, manchmal zwanzig haben die gleichen Toiletten oder Badezimmer.“ Ich hatte gehört, dass die Lage in den Camps sich verbessert, aber Ali widerspricht mir, auch heute seien die Camps nicht besser, nur bei

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manchen großem Firmen ist es ein bisschen besser, versichert er mir, und, dass das jetzt etwas höhere Gehalt durch höhere Preise ‚aufge-gessen‘ wird.

Haben Sie genug zu essen und zu trinken bekommen? frage ich weiter. „Wir mussten das selbst bezahlen und das ist heute noch so.“ Und was haben Sie verdient? „Im Labourjob waren es 1.000 Dirham ³², normal waren 700, aber ich bekam mehr, weil die Arbeit besonders anstren-gend war. Ich habe mit der Hand die Straßen ausgebessert, es waren 40 oder 45 Grad im Sommer, dieser Job war richtig schwer und nor-malerweise machen die Leute ihn nicht. Deshalb bekam ich dann mehr Geld. Und weil ich ein freies Visum nicht nur für Bauarbeiter hatte, habe ich zusätzlich noch nachts zu Hause als Schneider gearbeitet und hatte dann insgesamt etwa 1.400 Dirham.

Ein großes Problem entsteht aber, wenn Firmen keine Löhne zahlen oder erst Monate später. In 50 Prozent der großen Firmen ist es besser geworden, bei den anderen wird es aber nicht regelmäßig gezahlt und das ist sehr schwierig für die Arbeiter. Viele gehen dann zurück.“ Kann man denn dann protestieren? „Damals nicht wirklich und es gab Black Lists über solche Leute und die galten dann für alle Emirate. Dann war man fertig, durfte nicht mehr arbeiten. Heute ist es ein bisschen besser, man kann zu Gerichten gehen, aber das kostet wieder Geld.“ Und wie lange dauert es dann, bis das Gericht die Sache geklärt hat? „Nach zwei Monaten etwa bekommt man die Erlaubnis, bei einer an-deren Firma zu arbeiten und nach sechs bis acht Monaten ist dann die Frage ganz geklärt und man bekommt Geld von der Firma oder nicht. Manchmal muss man sich von Freunden etwas leihen und protestieren geht eben auch nicht, weil man dann auf Black Lists kommt und für immer ausgewiesen wird.“

Hat Ali dennoch das Gefühl, mit Dubai die richtige Entscheidung ge-32 Dies entspricht etwa 480 EURO

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troffen zu haben? „Ja, denn es gab keine andere Möglichkeit und die meisten Leute sind zufrieden, weil sie ihre Familien unterstützen kön-nen. Zehn Jahre früher hätte ich vielleicht entschieden, nach Europa zu gehen, jetzt ist es dort aber auch nicht gut für uns.“

Man könnte sagen, Dubai ist auch bei den Arbeitern nur etwas für die Starken. Wer geht unter und wer kommt weiter? Die Antwort fällt pragmatisch aus, wie Alis gesamtes Denken nur sehr sparsam von Ge-fühlen und überwiegend alltagsorientiert geprägt ist: „Für mich war es einfacher, weil mein Onkel da war. Ohne ihn wäre ich nicht so schnell weiter gekommen. Und manche Arbeiter haben so große Familien und müssen so viel Geld nach Hause schicken, dass sie kaum Geld übrig haben, um den Führerschein zu machen und dann bleiben sie auf den Baustellen.“ Und wie sieht es mit Alis eigener Lebensplanung aus, hat er sich darüber Gedanken gemacht? Diese Frage ist ihm offensichtlich fremd: „Mein Ziel war, die Familie zu unterstützen“.

Ali, was denken Sie über den Herrscher von Dubai, Sheikh Moham-med? „Er ist eine respektierte Persönlichkeit. Er ist ganz ehrlich eine sehr gute Person, aber nur für die Emiratis, nicht für die armen ein-gewanderten Leute, die Inder und Pakistani. Europäer oder Ameri-kaner haben es besser, sie sind höher im Rang.“ Und was würden Sie sich wünschen von Sheikh Mohammed? „Ich würde ihn bitten, für die Bauarbeiter mehr zu tun.“

Mir fällt ein, dass auch für die Arbeiter seit letztem Jahr eine Kran-kenversicherungspflicht besteht. Was kostet sie und wer bezahlt sie, frage ich. „Manche Firmen zahlen sie und ziehen sie dann vom Gehalt ab, die meisten Arbeiter müssen die 1.200 Dirham pro Jahr aber direkt selbst bezahlen.“

Darf ich nochmals eine Frage über die Situation in der Familie stellen?

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Der Pakistaner Ali

Wie haben Sie in dieser schweren Zeit den Kontakt mit der Familie ge-halten? „Einmal im Monat konnten wir telefonieren und wir haben uns Kassetten geschickt. Und ich habe jeden Monat 700 Dirham nach Hause geschickt.“ Und welche Rolle spielt Ihre Frau? „Sie hat die wichtigste Rolle bei Allem. Ohne sie wären die Kinder heute nicht ausgebildet, es war nur möglich wegen ihr.“ Wie oft haben Sie sich gesehen? „Die ersten fünf Jahre gar nicht, dann alle ein/zwei Jahre für einen Monat.“

Von seinem Sohn weiß ich, dass Ali sich schnell aus dem Status des Bauarbeiters herausgearbeitet hat. Wie hat das funktioniert, frage ich ihn: „Zunächst musste ich den Führerschein machen, das kostete damals 2000 Dirham, außerdem musste ich ihn neben der Arbeit machen und trotzdem habe ich mich dafür schon 2001 für eine Schule angemeldet. Die Schicht begann um sechs Uhr und sie dauerte bis 14.00 Uhr, und die Schule fand zweimal die Woche statt. Normalerweise konnte man nach 20 Unterrichtseinheiten die Prüfung machen, aber weil ich das Geld langsam verdienen musste, dauerte es sechs Monate, obwohl ich von Zuhause aus schon ein guter Fahrer war. Weil ich als Busfahrer arbeiten wollte, habe ich dann fast drei Jahre in einer Fachschule für den Busführerschein gelernt.“

Sie haben das geschafft und sind schon seit vielen Jahren Busfahrer. Wie ist Ihr Leben jetzt? Wie wohnen und leben Sie? „Das Leben ist besser als am Anfang. Ich verdiene jetzt 3000 Dirham und bin ein Senior Driver, deswegen bekomme ich ein bisschen mehr Geld. Die Arbeitszeiten sind von sechs Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags. Seit letztem Jahr haben auch alle Arbeiter in Dubai eine Krankenversiche-rung. Und ich lebe ich einer Privatwohnung, aber nicht in Dubai, das wäre zu teuer. Und die Familie ist immer noch sehr weit weg.“ Wieviel Geld schicken Sie nach Hause? Das sind jetzt schon 1.800 Dirham.“

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Nasar hat sich bisher nicht eingemischt, sondern sorgfältig hin und her übersetzt. Jetzt aber gibt er einen Hinweis: „Mein Vater möchte mit Ihnen noch über ein großes Problem sprechen.“ Der Vater nimmt den Wink auf: „Ja, es gibt ein sehr großes Problem mit dem Verkehr und der Polizei, sie geben sehr hohe Strafzettel an die Busfahrer ohne jede Regel, das können erst 5.000, dann 10.000 oder 20.000 Dirham sein, also fast ein ganzes Jahresgehalt. Wir haben dann eine Fahrerunion gemacht und gemeinsam gezahlt. Aber diese Korruption ist ein sehr großes Problem und die Administration bekommt einen Teil dieser Strafgebühren. Sie machen das ohne Grund oder Beweis und wenn man fragt, warum, sagen sie: ‚Geh zum Gericht‘. Das ist kostenlos und manchmal geht es dann positiv aus, die meisten von uns haben aber gar keine Zeit dafür. Es ist ein großes Problem“, und ich sehe, wie der bisher so besonnene Mann verzweifelt ist, weil er keinen Ausweg weiß. Ich nehme mir vor, dem nachzugehen und dann nochmals mit ihm zu sprechen und diese Gelegenheit ergibt sich bei unserem zweiten Gespräch Anfang Oktober.

Wann muss man denn die Strafen zahlen, frage ich Ali: „Zum Beispiel darf ich einen Arbeiter, der in meiner Wohnung etwas repariert hat, nicht mit meinem Privatauto nach Hause fahren. Das Gesetz verbie-tet es. Sie dürfen nur im Taxi fahren.“ Nun sind wir meinem deut-schen Denken ein Stück näher gekommen, denn einen rechtsfreien Raum in dieser Form kann ich mir bei bester Phantasie in Dubai nicht vorstellen. Könnte es sein, dass es sich um versicherungsrechtliche Fragen handelt, die Ali nicht kennt? „Ja, das könnte sein, aber wir wissen nichts darüber.“ Dann wäre doch ein dringender Vorschlag an Sheikh Mohammed, zunächst einmal für bessere Informationen an die Arbeiter zu sorgen.

Zum Schluss stelle ich noch eine Frage, die mich schon lange beschäf-tigt: Was geschieht mit Ihnen und der Familie, wenn Sie Ihre Arbeit

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aus Altersgründen beenden und dann Dubai verlassen müssen? Ali antwortet mit einem Lächeln und wieder wird mir klar, wie gefangen ich manchmal in meinem westlichen Denken bin: „Dann wird mein Sohn mich unterstützen.“ Nasar neben mir nickt zustimmend: „Ja, so ist das, so ist der Generationenvertrag.“

Da sitzen die Beiden, Vater und Sohn, auf zwei ganz verschiedenen Lebenswegen, in diesem Moment durch 6000 geografische Flugkilo-meter getrennt und sind sich gleichwohl so nahe, dass es mit Händen zu greifen ist. Kurz habe ich ein Gefühl des Außenseins, aber das freundliche Lächeln des Vaters holt mich zurück: „Ich möchte Ihnen danke sagen für alles, was Sie für meinen Sohn tun.“ Diesen Dank kann ich nur zurückgeben an die Beiden - für einen Einblick in die so ganz andere Seite von Dubai.

Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum:

Wenn Leidenschaft zu Zukunft wird

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Sheikh Mohammed

Wer sind sie? Mythos aus 1001 Nacht oder modernste Pragmatiker des 21. Jahrhunderts? Unbestritten sind die entscheidenden Strate-gen und Schlüsselfiguren für Dubai seit Jahrzehnten die Mitglieder der Familie Al Maktoum und vor allem der derzeitge Regent „His Highness Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum“: Aufgeklärter Herrscher, Visionär, Autor sind nur einige der Prädikate, mit denen diese Persönlichkeit und ihre vielseitigen politischen und persönlichen Interessen beschrieben werden. Und bei aller Kritik aus dem Ausland an vermeintlich überdimensionalen Vorhaben und der Abwesenheit eines demokratischen Systems bleibt das Fazit, dass der rasante Auf-stieg Dubais zur Metropole von Weltrang und bisher auch sicheren, friedlichen Insel inmitten von Krisen und Kriegen mit seinem Namen verbunden ist: Sheikh Mo, wie er von Ausländern liebevoll genannt wird, ist die treibende Kraft.

Sheikh Mohammed wird am 22. Juli 1949 in Shindagha geboren, als Drittältester der vier Söhne von Scheich Rashid Bin Saeed Al Maktoum; die Brüder sind Scheich Maktoum, Scheich Hamdan und Scheich Ah-med. Sein Großvater Scheich Saeed war bereits Herrscher von Dubai.Der junge Mohammed genießt eine umfangreiche und sorgfältig auf-gebaute Bildung: Ab dem vierten Lebensjahr erhält er zunächst Pri-vatunterricht in Arabisch und Islamkunde, mit sechs Jahren kommen Englisch und Mathematik hinzu, außerdem erlernt er erste Fertigkeiten in Reiten, Falknerei und Jagen. Ab 1955 besucht er eine private Schule in Dubai. Der Tod des Großvaters im Jahre 1958 bringt seinen Vater auf den Thron und den jungen Mohammed einen Platz weiter in der Thronfolge. Zunächst aber folgen Jahre im Ausland: Er besucht die Bell School of Languages in Cambridge und beendet seine schulische Laufbahn als Offizier der militärischen Kadettenschule Mons Officer in Aldershot bei London.

Bereits mit 19 Jahren nimmt die junge Hoheit an ersten Gesprächen zwischen den Herrschern von Abu Dhabi und Dubai über die Gründung

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Mohammad bin Rashid Al Maktoum (2013): Flashes of Thoughts. Inspired by a dialogue at the Government Summit 2013, Motivate Publishing, S. 17.

Sheikh Mohammed

einer emiratischen Föderation teil. Dieser Zeitpunkt gilt als Grundstein der VAE, bzw. UAE. 1968 folgt die Ernennung zum Polizeichef Dubais. 1971 findet ein Treffen der Herrscher der Emirate im Strandpalast von Scheich Rashid zur Unterzeichnung der provisorischen Verfassung der UAE statt und im Anschluss ernannte der älteste Bruder und Premier-minister Scheich Maktoum den damals 22-jährigen Mohammed zum damals jüngsten Verteidigungsminister der Welt.

Schon im ersten Jahr seiner Amtszeit warteten vielfache Herausforde-rungen auf den jungen Minister: Der arabisch-israelische Krieg, ein ver-suchter Staatsstreich in einem Nachbaremirat, die berühmt gewordene Flugzeugentführung der RAF an Dubais internationalem Flughafen; zudem der Aufbau einer Nationalen Streitkraft, die Übernahme eines von Scheich Rashid gegründeten Komitees zur Flughafenverwaltung; mit einem sicheren Blick und Mut in die Zukunft führt der junge Sheikh die freie Luftfahrtpolitik ein und legt damit den Grundstein auch zum Tourismusboom der 1990er Jahre.

Etwa zur gleichen Zeit erfolgt die Übernahme der Verantwortung für die Ölindustrie und 1985 die Gründung der Fluglinie Emirates. Und fast die gesamten Achtziger Jahre hindurch bleiben ihm die Konflikte bei den Nachbarn erhalten: Die Libanon-Invasion, der Iran-Irak Krieg und der Beginn der Intifada in Palästina am 9. Dezember 1987. Der Tod des Vaters Scheich Rashid im Jahr 1990 führt den nun 41-jäh-rigen Regenten endgültig in die politische Verantwortung an der Golfregion, einem der gefährdetsten Brennpunkte der Welt – vorläu-fig allerdings noch unter dem Schutz seines älteren Bruders, Sheikh Maktoum bin Rashid Al Maktoum.

Am 4. Januar 1991 wird er Kronprinz von Dubai. Und seine Aktivitäten beschränken sich nicht alleine auf den Bereich des Verteidigungsmi-nisters: Im Anschluss an die irakische Invasion in Kuwait liefert das

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http://www.turf-times.de/kontakt/sheikh-mohammed-bin-rashid-al-maktoum

Sheikh Mohammed

Emirat unter seiner Leitung 250 Tonnen Hilfsgüter, die Armee entsandte medizinische Teams zum Aufbau des zerstörten Gesundheitswesens nach Kuwait City. Während des Bosnienkrieges werden Kriegsverletzte in Dubai mit Hilfe privater Gelder medizinisch versorgt. 1990 gründen die UAE- Staaten die multinationale Gemeinschaftsaktion „Restore Hope“ zur Linderung der Hungersnot in Somalia.

Auch im globalen Marketing ist der Scheikh gut dabei: 1995 führt er das Dubai Shopping Festival ein – möglichst alle Wirtschaftszweige sollen in diesem Event verbunden werden und 1996 folgt erstmalig ein besonderes Spektakel, die Ausrichtung des höchstdotierten Pferde-rennens der Welt: Da macht der Sheikh seine Leidenschaft zu Gold. 1998 wird Dubai mit der Eröffnung des Scheich Rashid Terminals und Abschluss der ersten Phase des Flughafenausbaus für 540 Millionen Dollar endgültig Verkehrsdrehkreuz der arabisch/asiatischen Welt. 1999 erfolgt die Stationierung der emiratischen Armee im Kosovo, mit dem Bau von 1000 Häusern für Obdachlose und medizinische Versorgung. Das Burj Al Arab ³³ wird gebaut und ab 2001 beginnt der Bau der Palme. Die „Mohammed Bin Rashid Stiftung“ stellt 2001 einen Antrag zur Errichtung von Flüchtlingslagern in Afghanistan und an der Grenze zu Pakistan sowie fünf Millionen Dollar für die Opfer der World Trade Center Anschläge und Preisgelder über 2,5 Mio. Dollar des eigenen „Godolphin-Team“, aus Pferderennen an New Yorker Fa-milien der Feuerwehrmänner, Polizisten, dem Rettungspersonal zur Verfügung.

Als der Bruder stirbt, wird Mohammed Anfang Januar 2006 Herrscher von Dubai. Am 5. Januar wählen die Mitglieder des UAE Supreme Council ihn zum Vizepräsidenten der UAE und der Präsident der UAE, seine Hoheit Sheikh Halīfa bin Zāyid bin Sulţān Āl Nahyān ernennt ihn mit Bestätigung des Supreme Council zum Prime Minister. Er und die Mitglieder seines Kabinetts legen ihren Eid am 11. Februar 2006 vor

33 Die Eingangshalle eines der Restaurants im Burj Al Arab ist höher als die Freiheitsstatue. Quelle: www.thecrazyfacts.com/10-intersting-facts-dubai/. (Abgerufen am 1.6.2017.)

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Mohammad bin Rashid Al Maktoum (2013): Flashes of Thoughts. Inspired by a dialogue at the Government Summit 2013, Motivate Publishing, S. 51.

Sheikh Mohammed

Sheikh Khalida im Al Bateen Palance in Abu Dhabi ab. Das Kabinett bildet die Exekutive der Föderation VAE, bzw. UAE und handhabt die Ausführung aller innen- und außenpolitischen Themen, die in Verbindung mit der Föderation der UAE-Verfassung und dem föde-ralen Gesetz stehen – unter Aufsicht des Präsidenten und des Federal Supreme Council. Dieses Kabinett besteht aus dem Prime Minister, zwei stellvertretenden Prime Ministern, den Ministern der UAE und einem aktiven General Secretariat.

Reiter am Golf

163 Reiter am Golf

Seitdem er Vizepräsident, Prime Minister der UAE und Herrscher von Dubai ist, hat Sheikh Mohammed vielfache lokale und regionale Initia-tiven im Land eingeleitet. Beispiel ist der am 7. April 2007 vorgestellte UAE Government Strategy Plan, mit dem Ziel einer nachhaltigen Ent-wicklung, einer deutlich höheren Effizienz in der Nutzung föderaler Ressourcen, sowie deren Verantwortlichkeit und Transparenz durch föderale Körperschaften.³⁴ Auch die Anfang 2016 ernannte „Ministerin für Glück“, Ohud al-Rumi, ist Zeugin für die politische Phantasie und Zukunftssicht in der Regierungsführung, ebenso wie ihre Kollegin-nen im Fachbereich für Toleranz, Sheikha Lubna al-Quasim und die noch nicht 25-jährige Ministerin für Jugend, sie im Übrigen bereits mit Masters in Oxford and BSc from NYU, Shamma AlMazrui ³⁵.

Weltweit beachtetes Nahziel ist die Ausrichtung einer spektakulären EXPO 2020 und damit einem weiteren Baustein zum Mythos Dubais als Wirtschaftsmacht an vorderster Stelle: Mit einem Nachhaltigkeitsfak-tor von 80 Prozent soll sie ein „Fest menschlichen Einfallsreichtums werden“ ³⁶ und vor allem die Jugend der Welt in die Stadt bringen. Die Liste der auf Webseiten nachzulesenden Sponsoren allerdings scheint noch überschaubar, möglicherweise auch aus Sorge von Investoren über die Lage in den Nachbarländern.

Dabei ist die Rolle seiner Hoheit in der Außenpolitik nicht ganz klar: Eigentlich will das Emirat sich aus den Verwicklungen seiner Nachbarn heraushalten, dennoch ist man in diesem Jahr einer Koalition gegen Katar beigetreten – die Regeln für diese Politik allerdings werden wohl in Abu Dhabi gemacht. Offiziell fühlen sich die Emirate insgesamt einem Ansatz verpflichtet, der den Schwerpunkt legt „auf Diploma-tie, Verhandlung und die Bereitschaft, den weniger Begünstigten zu helfen. Die VAE fühlen sich ihren Nachbarn und der internationalen Gemeinschaft gegenüber bezüglich Frieden in der Region, Stabilität und Sicherheit verpflichtet. Um diese Ziele zu erreichen, hat das Land

34 Das Gesamtkapitel: http://www.whoswho.de/bio/mohammed-bin-rashid-al-mak-toum.html sowie: United Arab Emirates. The Cabinet. https://uaecabinet.ae/en/about-the-cabinet, (Abgerufen zu verschiedenen Zeiten.)

35 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/dubai-ernennt-ministe-rin-fuer-glueck-14063525.html. (Abgerufen am 3.9.2016)

36 https://expo2020dubai.ae.

von links nach rechts:• https://de.wikipedia.org/wiki/Lubna_Khalid_al-Qasimi#/media/File:Lubna.png• http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/dubai-ernennt-minis-

terin-fuer-glueck-14063525/gluecksbringer-ohud-al-rumi-14063643.html• https://africa.cgtn.com/2017/02/14meet-the-worlds-youngest-minister-shamma-

al-mazrui/

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Reiter am Golf

Brücken, Partnerschaften und den Dialog gefördert und legt einen Schwerpunkt auf Mäßigung, Toleranz und Respekt gegenüber allen Völkern und Religionen. Auf Basis dieser Instrumente konnte die Regierung effektive, ausgewogene und weitreichende Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft knüpfen, insbesondere mit den Vereinten Nationen und angegliederten Organisationen in der Rolle als ‚guter globaler Bürger‘.“ ³⁷

Dieses Konzept dürfte für Dubai weitgehend glaubwürdig sein, denn seiner Herrscherfamilie geht es zuvorderst um den verlässlichen wirt-schaftlichen Aufstieg und damit um Ruhe und Sicherheit für seine Locals und die Ausländer in der Riesenstadt: Auch sind Stammesgesellschaften traditionell großzügig und so soll jeder sich in Dubai wohlfühlen kön-nen. Dabei kann der Scheich die orientalische Kultur, man könnte auch sagen, den Flair und ein dafür notwendiges Zusammengehörigkeitsge-fühl der Emiratis vor allem durch weitgehende Unterscheidungen zu den Ausländern in Fragen der Wohlfahrt absichern: Die einen gehören zur Familie und für sie wird gesorgt, die anderen sind willkommene Gäste mit Chancen zur Selbstentwicklung – auf welchen Niveaus auch immer –, die aber ansonsten für sich selbst sorgen müssen.

Dies wird bisher allgemein akzeptiert, von Expats aus obrigkeitskriti-schen Gesellschaften der westlichen Welt und entgegen viel Kritik aus dem Ausland auch von den Zuwanderern aus armen asiatischen Regi-onen, meine Gespräche haben dies bestätigt und zudem viele kleine Erlebnisse in der Stadt: Hier finde ich eine Form der glokalen Identität, die neben allen anderen Identitäten als gemeinsames Verständnis, als mehr oder weniger unausgesprochene Verabredung offensiv mitgetra-gen wird. Denn alle wissen, dass am Ende die gemeinsam gewünschte, existentiell notwendige Stabilität des Emirates auch vom Erhalt der Loyalität seiner emiratischen Minderheit abhängen wird. Nichtsdesto-trotz ist die Lage der Arbeiter zum Teil immer noch katastrophal und 37 http://www.uaeinteract.com/german/government/

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schreit nach einer Humanisierung, wie ich sie in ersten neugebauten und auf den ersten Blick nicht mehr als Camp identifizierbaren kleinen Stadtteilen bereits sehen konnte.

Insgesamt ist eine gelungene Glokalisierung in Dubai keine Kür, hier ist sie Pflicht und muss wirklich gelingen: Weil sie hier nicht lediglich eine Frage von Stil und Geschmack ist in einem aus Glas und Stahl sichtbar gewordenen Ausdruck von Zukunftsvisionen – hier ist sie am Ende auch eine Frage von Frieden oder Krieg. Die Antwort wiederum birgt Gefahren insbesondere für ein nicht demokratisches System und seinen inneren Kompass.

Vor allem für die Herrscher und deren Positionierung bedeutet dies daher in einer immer gefährlicher werdenden Welt einen Ritt auf der Rasierklinge: Können sie mit ihrem Konzept der toleranten „aufge-klärten Feudalherrschaft“, wie der deutsche Generalkonsul in Dubai das System beschrieb, ³⁸ im Sitz bleiben, ohne sich autokratisch/dik-tatorischen politischen Konzepten anzunähern? Kann diese beson-dere, wechselseitig respektierende und verbindende glokale Identität erhalten bleiben? Die Geschichte der Region gerade des vergangenen Jahrzehntes hat uns gelehrt, dass eine Antwort dem unmöglichen Blick in die Zukunft gleichkäme. Denn zu sehr hängt die Stabilität des Emirats auch von Faktoren der Finanzmärkte, dem Ölpreis, der globalen Wirtschaftslage und den politischen und kulturellen Rich-tungsentscheidungen seiner Nachbarn ab.

Sie sind ausgezeichnete Reiter, die Araber. Wünschen wir auch in un-serem eigenen Interesse ihnen und damit allen Menschen in Dubai, dieser Insel von Frieden, Stabilität und Internationalität am Golf, weiterhin einen sicheren Tritt und guten Sitz auf den mal steinigen, mal sandigen Wegen in die Zukunft.

38 Vgl. das Interview in diesem Buch: „Der Diplomat“.

I love my horses and they love me too. Horse riding is a beautiful world and whoever discovers it falls in love with it and can not stay away. – Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum

The Executive Office of His Highness Sheikh Mohammad bin Rashid Al Maktoum (2015):FlashesofWisdom.TheCollectedQuotesofMohammed bin Rashid Al Maktoum, Motivate Publishing, S. 101.

Lektorat: Lisa WinklerGrafik: Simon SteinbergerBildauswahl: Lea Petschulat

ISBN978-3-9813256-7-6www.glokalisierung.eu