Perinatale Palliative Care - Kinderhospiz-Kongress...Perinatale Palliative Care Sterben – Tabu...

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Perinatale Palliative Care Prim. Univ.-Prof. DDr. MMag. Barbara Maier Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Wilhelminenspitals des KAV Email: [email protected] www.ddr-barbara-maier.at Seite 1 27.09.2016 2016

Transcript of Perinatale Palliative Care - Kinderhospiz-Kongress...Perinatale Palliative Care Sterben – Tabu...

Perinatale Palliative Care

Prim. Univ.-Prof. DDr. MMag. Barbara MaierVorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Wilhelminenspitals des KAV

Email: [email protected]

www.ddr-barbara-maier.at

Seite 127.09.2016

2016

Ein persönlicher undwissenschaftlicher Zugang…

Letztes Kapitel: Death and dying

Time is running out… at the beginning of life

Perinatale Palliative Care

� Sterben – Tabu

� Konfrontation mit eigener Endlichkeit (in der Situation möglicher Potenz, Leben hervorzubringen): sehr ICH-nahe Erfahrung

� Mit einer eigenen reproduktiven Geschichte

� BetreuerInnen: Seelische Tiefenwahrnehmung bei der Berührung mit dem Tod: seelische Grenzüberschreitung.

DIE ethische Aufgabe in der Medizin

Tod und TABU: Joan Didion, Markus Zusak

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„Here is a small fact: You are going to die.“

S 198

Unsere Sterblichkeit beginnt mit unserer Geburt.

� Sie ist einzig sicheres Faktum unseres Lebens und gleichzeitig lebensweltlich verdrängte Gewißheit: „Tragödie unseres Lebens“

� D Thomas, We live and die our metaphors. Because death is built in… to give birth to a child is to give death to a child… Also, it requires darkness to see, and it requires death to live. Collected Poems of Dylan Thomas, NY 1953/57

� Geburt/Gebären (Potential): doppelte Dimension Leben, einen Menschen hervorbringen zu können…

Leben zu schenken… selbst als vergänglicher Mensch.

Geboren werden und sterben

Schwangerschaft und Geburt sind so sehr mit Werden und Entfalten menschlichen Lebens verknüpft, daß eine mögliche Bedrohung durch Sterben und Tod - wie sie in alten Mythen vieler Kulturen als Kehrseite des Lebens immer wieder zum Ausdruck kommt - nicht erwogen bzw. massiv verdrängt wird.

Maier B (1998) Todeserfahrung. Trauer und Depression bei prae- und perinatalem Kindstod wie nach Abortus. In: Störfaktor. Zeitschrift kritischer Psychologen und Psychologinnen. Licht und Schatten. Diskussionsbeiträge zu Sterben und Tod 41,11/1, 9-23.

Berichte aus der Praxis –in verschiedenen Situation en

• Sterben/Tod eines Neugeborenen bei/nach der Geburt• Frühgeburt (an der Grenze der (Über)Lebensfähigkeit)• Tod eines Zwillingskindes• Tod eines schwer behinderten Kindes

• Sind Entscheidungen zu treffen? Wer? Wann? Mit welchen Konsequenzen?

• Als FrauenärztIn/NeonatologIn: mit/für die Mutter/Vater dieses Kindes

• Kind: Sterben – Schmerztherapie – Eltern: metaphysischer Schmerz

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Berichte aus der Praxis

Natalität: hineingeboren in… Matrix für die Entwicklung unserer Identität als Eltern – auch bei perinatalem Kindstod

hineingeboren in…

� einen genetischen Pool � in eine bestimmte Gefühls- und Erwartungswelt� in eine bestimmte Zeit, in eine bestimmte Gesellschaft

�(verstrickt) in Beziehungen, die wir nicht gewählt und die uns ein Leben lang begleiten werden…Bonding

Der wichtigste Faktor für ein gelungenes Leben: Bindung = grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen - Loslassen.

Natalität

FG• GA: Wie früh ist zu früh? Zusätzliche belastende Faktoren,

biologische Variabilität• Große Unsicherheit – Ermessensspielraum/Verantwortung• Intensive Emotionalisierung – vernünftige Entscheidung• „Best interest of the child“,„When is birth unfair to the

child?“ – Therapieverzicht?• „Provisional Care“ – Beobachtungszeitraum – Raum, sich

der Situation anzunähern – Entscheidung ob Therapieabbruch

• Umgang mit Schuldzuweisungen (Kausalitätsbedürfnis) der Eltern

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FG

Kommunikation zu Entscheidungsprozess

• Vorstellungen der Eltern erfragen – konkretisieren –korrigieren - Darstellung der Situation, der Schritte, Analyse der Konsequenzen

• Schnittstellen – Kohärenz• Rollenklarheit• EntscheidungsKOMPETENZ liegt bei den ÄrztInnen im

Konsens mit den Eltern (ihnen kann die Verantwortung für die Entscheidung nicht übertragen werden): gemeinsames (Er)Tragen der Entscheidungsfolgen

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Entscheidungsprozess

Das Gespräch über Sterben des NG• Vorbereitung

• Inhalt: Botschaft, Reife der Betroffenen, diese aufzunehmen, der Prozess selbst, (non)verbale Kommunikation

• Rahmen: Raum, Zeit, anwesende Personen = significant others

• Bereitschaft: Zuhören, Fragen, eigene Offenheit, Wiederholung

• Was wurde (noch) nicht angesprochen? Nicht alles auf einmal.

� BEZIEHUNGs-, SINN-, LEBENsthemen

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Gespräch

Intrauteriner Fruchttod (IUFT)

• Ist ein Kind im Mutterleib abgestorben, dann empfindet sich die Frau als Grab ihres eigenen Kindes. Die Geburt bringt nicht Leben, sondern Tod hervor... „Stillborn“

• Extrem Ich-nahe Todeserfahrung.

• Erschütterung des Vertrauens in die eigene Leben spendende Kompetenz.

• Schuldgefühle, Selbstvorwürfe (reproduktive Biografie)

Prä/peripartaler Kindstod und Kaiserschnitt

• Sectio als vorausgehender Rettungsversuch in massiver Drucksituation.

• Der Mutter fehlt die Zeit, in der das Kind verstorben ist, war nicht “dabei“...

Wissen/ErfahrungWie sich Eltern bei prä/peripartalem Kindstod verhalten

• Fehlbildungen und Mazerationen haben keinen Einfluß, ob Eltern das Kind sehen und/oder im Arm halten wollen.

• Namensgebung, Beerdigung.

Rand CSW et al. Parental behavior after perinatal death: twelve years of observations. In: J Psychosom Obstet Gynecol 1998;19,44-48.

Praxis mit Blick auf die Folgen des prä/perinatalen Kindstods für die Frau/das Paar

• Erschütterung der eigenen elterlichen Identität.

• Erschütterung der Paarbeziehung in der Hälfte der Fälle.

• Ein Viertel der Frauen lebt mit dem damaligen Partner nicht mehr zusammen.

• In einem Drittel der Fälle Auffälligkeiten bei Geschwisterkindern.

• Erschütterung des Vertrauens in die eigene reproduktive Kompetenz: sek. Sterilität.

• Gravierender Einfluß auf den Verlauf späterer Schwangerschaften Risikofaktor für Frühgeburt, für lange Einleitungen, Sectiones...

Wehkamp KH (1990, 2. Aufl.) Umgang mit dem perinatalen Kindstod: Ethischer Imperativ und psychoprophylaktische Aufgabe. In: Wulf KH, Schmidt-Matthiesen (Hg) Klinik der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Bd. 7/2, 442.

Besondere Aspekte bei Mehrlingen

• Das kranke, evtl. verstorbene Kind hat eine besondere Bedeutung im zukünftigen Leben des anderen Zwillings…

• Gute Dokumentation - Rückblende

• Möglichkeit der Bestattung des 2.Zw.

• Namen für beide

Besonderheiten bei Fetozid

• Es gibt hier spezielle Fragen, auf die geantwortet, und die, selbst wenn sie nicht gestellt wurden, angegangen werden sollten

• z.B. Spürt das Kind Schmerz? • Was ist der Unterschied im Sterben durch Fetozid oder

Schwangerschaftsabbruch im herkömmlichen Sinn?

• „Fetale Reduktion“ – Fortführung der Schwangerschaft

Nijs Michaela (2001) Trauern hat seine Zeit. In: Psychische Erkrankungen bei Frauen. Psychiatrie und Psychosomatik in der Gynäkologie (Hrsg. Rohde A, Riecher-Rössler A) S. Roderer Verlag, 132-141.

• Paradox: Tod-Geburt, stillbirth, stille Geburt...Lautlosigkeit = Sprachlosigkeit• Trauer als lebenslanger Prozess: Rosenblatt: reminders, Trauer ein Teil unserer

Identität...• Rituale ... bewusst vollzogene symbolische Handlungen,

die Gefühle und Gedanken ausdrücken, schöpferischer Umgang mit Verlust, Integrationsfunktion

• Auseinandersetzung im Tun: Name, Brief, Mementos... (mit)teilbare Erinnerungen

• Anwesenheit der professionellen Helfer als Menschen –in einer Kultur des Abschiednehmens in unserer Gesellschaft.

• Präventive Medizin

• Balint- und Supervisionsgruppen.

• Was erwartet mich in der Klinik?• Pränatalmedizinische Abklärung in der

Schwangerschaft und mögliche Konsequenzen

• Die Trauer des Vaters• Wie Geschwister trauern• Die Zeit danach• Informationen zu gesetzlichen

Regelungen; Bestattung• Wo können Sie zusätzlich Beratung und

Hilfe finden ?• Buchempfehlungen, Kinderbücher

Inhalt der Begleitbroschüre

Empfehlungen für die Betreuung betroffener Eltern (Initiative Regenbogen)

• Diagnose - Geburt Zeit

• Achtsame Sprache, offene und sorgfältige Information

• Keine Unterbringungauf der Wochenstation, Zeit im Kreissaal möglichst kurz

• Kontinuierliche Betreuung durch wenige Bezugs-Personen.

• Partner integrieren.

• Geburt, soweit möglich, in üblichen Bahnen ablaufen lassen

• Ausreichend Schmerzmittel, keine Beruhigungsmittel

• Das tote oder sterbende Kind behutsam wie ein lebendes versorgen.

Rand CSW et al. Parental behavior after perinatal death: twelve years of observations. In: J Psychosom Obstet Gynecol 1998;19,44-48.

Empfehlungen für die Betreuung betroffener Eltern (Initiative Regenbogen)

• Die Eltern zum Betrachten, Halten, ... ihres Kindes auffordern.

• Fotos anfertigen.

• Nach einigen Stunden nachfragen, ob sie ihr Kind (noch einmal) sehen wollen.

• Genau informieren, wohin das Kind nach der Geburt kommt, Bestattungsmöglichkeiten

• Möglichst bald aus stationärer Betreuung entlassen. • Vor Entlassung nochmaliges Gespräch und nach 6 Wochen • Weitere Hilfe während des stationären Aufenthalts anbahnen

(Einzelgespräche mit einer Psychologin: Psychosomatische Ambulanz, Selbsthilfegruppe, Literatur,...)

• Psychoprophylaxe im Arztbrief erwähnen.

Konkretisierung/Personalisierung

Ort der Trauer

Faktoren, die den Trauerprozeß erschweren bzw. pathologische Trauerreaktionen provozieren

• Verdrängung des Verlustes: Verschleierung der Wahrnehmung(in körperlicher, emotionaler, sozialer Perspektive)

• Sprach- und Empathielosigkeit

• Agieren und Sedieren

• “Medizinischer Reduktionismus = Clinical malpractice”

• Technische Hilfsmittel dienen der Klärung und Transparenz, nicht demVorbeiagieren an einer existentiellen Problematik

Rand CSW et al. Parental behavior after perinatal death: twelve years of observations. In: J Psychosom Obstet Gynecol 1998;19,44)

Psychosomatische

Beschwerden

• Kopfschmerzen, Rückenschmerzen

• grippale Infekte

• chronische Müdigkeit

• sexuelle Störungen

• Schlafstörungen

Weitere pathologische

Veränderungen

• (chronische) Depression

• Alkohol-, Medikamenten-, Drogenabhängigkeit

• Eßstörungen

• Suizidalität

Wenn Eltern „in der Trauer stecken bleiben“ ....

H.Lothrop (1996) Gute Hoffnung - jähes Ende. München, Kösel-Verlag, Im Anhang.

Death I understand

What is more than deathbut only falling asleep?What is left over?Life.Do not feel sorryfor the dead,but for the livingwho cause death.Betrayal I understand.Kindness is the surprise.Death I understand.Life is the surprise.

Warren Shibles

27.09.2016 27Der Tod als Thema des Lebens