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managerSeminare C Heft 80 C Oktober 2004 37 Peter Senge „Die Zukunft ist uns fremd“ 14 Jahre nach Erscheinen seines Bestsellers „Die fünfte Diszi- plin“, mit dem das Konzept der lernenden Organisation welt- weit bekannt wurde, plädiert der Management-Vordenker Pe- ter Senge nachdrücklicher denn je für einen Richtungswechsel im Denken und Handeln der Unternehmen: Weil sie in einer Welt voller Interdependenzen agieren, müssen sie im globalen Kon- text lernen – und zwar für eine nachhaltige Zukunft. Bei der ASTD-Tagung im Frühjahr 2004 stellte Senge seine Ideen vor. den ist, griff Peter Senge, Vater des Konzepts der lernenden Organisation, in einem Vortrag an- lässlich der ASTD-Tagung 2004 mit Bedacht auf. Ging es dem Management-Vordenker in seiner Rede, die an sein aktuelles Buch „Pres- ence: Human Purpose and the Field of the Fu- ture“ anknüpfte, doch darum, dem Publikum bewusst zu machen, worauf es in einer Welt, in der sich die Aktionen multinationaler Konzerne auf Gesellschaft und Ökologie in allen Teilen der Erde auswirken, ankommt: auf die Fähigkeit dieser Konzerne, in großen Zusammenhängen, also systemisch, zu denken und im globalen Kontext zu lernen. Interdependenzen führen zu Verunsicherung Eine Fähigkeit, von der die meisten Organisatio- nen allerdings noch weit entfernt sind, so der Management-Vordenker, der als Leiter des Cen- ter of Organisational Learning am MIT (Mas- sachusetts Institute of Technology) über viele Jahre untersucht hat, wie sich Unternehmen und andere Organisationen in einer Welt wach- sender Komplexität und raschen Wandels er- folgreich behaupten können. Senge, bekannt als Autor des 1990 erstmals erschienen Welt- bestsellers „Die fünfte Diszi- plin“, fordert die Unternehmen dazu auf, sich als auf Nachhal- tigkeit bedachte lebende Syste- me zwischen Wachstum und Begrenzung zu verstehen. Nur so können sie überlebensfähig bleiben – und dazu beitragen, das Überleben auf unserem Planeten zu sichern. Senge ist sich indes bewusst, dass der Richtungswechsel den meisten Firmen schwerfällt: Nach wie vor denken sie lokal, identifi- zieren sich primär mit ihrem unmittelbaren Umfeld, igno- rieren die zunehmenden globa- len Interdependenzen und ver- kennen die Implikationen eines gemeinsamen Ökosystems. Nur wenige haben sich auf die ver- änderte Umfeldsituation vor- bereitet. Peter Senge, Vater des Konzepts der lernenden Organisation. B ei einem zweitägigen Outdoor-Training in der Wüste New Mexi- cos hatten die Top-Ma- nager der Firma Xerox ihre Offenbarung. Sie kam da- her in Gestalt eines ausrangier- ten Xerox-Kopierers, der auf ei- ner wilden Müllkippe seine letzte Ruhestätte gefunden hat- te. Der unschöne Anblick ging den Spitzenmanagern derart unter die Haut, dass sie sich fortan von einer völlig neuen Vision für ihr Produkt leiten ließen, getreu dem Motto: Die Natur produziert keinen Müll. Wieso sollten wir es anders machen? Das Resultat: Mittler- weile sind die Produkte von Xerox zu 98 Prozent recycling- fähig. Dieses Beispiel eines Unterneh- mens, das sich seiner globalen Verantwortung bewusst gewor- A

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managerSeminare C Heft 80 C Oktober 2004 37

Peter Senge

„Die Zukunftist uns fremd“14 Jahre nach Erscheinen seines Bestsellers „Die fünfte Diszi-

plin“, mit dem das Konzept der lernenden Organisation welt-

weit bekannt wurde, plädiert der Management-Vordenker Pe-

ter Senge nachdrücklicher denn je für einen Richtungswechsel im

Denken und Handeln der Unternehmen: Weil sie in einer Welt

voller Interdependenzen agieren, müssen sie im globalen Kon-

text lernen – und zwar für eine nachhaltige Zukunft. Bei der

ASTD-Tagung im Frühjahr 2004 stellte Senge seine Ideen vor.

den ist, griff Peter Senge, Vater des Konzepts derlernenden Organisation, in einem Vortrag an-lässlich der ASTD-Tagung 2004 mit Bedachtauf. Ging es dem Management-Vordenker inseiner Rede, die an sein aktuelles Buch „Pres-ence: Human Purpose and the Field of the Fu-ture“ anknüpfte, doch darum, dem Publikumbewusst zu machen, worauf es in einer Welt, inder sich die Aktionen multinationaler Konzerneauf Gesellschaft und Ökologie in allen Teilender Erde auswirken, ankommt: auf die Fähigkeitdieser Konzerne, in großen Zusammenhängen,also systemisch, zu denken und im globalenKontext zu lernen.

Interdependenzen führen zu Verunsicherung

Eine Fähigkeit, von der die meisten Organisatio-nen allerdings noch weit entfernt sind, so derManagement-Vordenker, der als Leiter des Cen-ter of Organisational Learning am MIT (Mas-sachusetts Institute of Technology) über vieleJahre untersucht hat, wie sich Unternehmenund andere Organisationen in einer Welt wach-sender Komplexität und raschen Wandels er-

folgreich behaupten können.Senge, bekannt als Autor des1990 erstmals erschienen Welt-bestsellers „Die fünfte Diszi-plin“, fordert die Unternehmendazu auf, sich als auf Nachhal-tigkeit bedachte lebende Syste-me zwischen Wachstum undBegrenzung zu verstehen. Nurso können sie überlebensfähigbleiben – und dazu beitragen,das Überleben auf unseremPlaneten zu sichern. Senge istsich indes bewusst, dass derRichtungswechsel den meistenFirmen schwerfällt: Nach wievor denken sie lokal, identifi-zieren sich primär mit ihremunmittelbaren Umfeld, igno-rieren die zunehmenden globa-len Interdependenzen und ver-kennen die Implikationen einesgemeinsamen Ökosystems. Nurwenige haben sich auf die ver-änderte Umfeldsituation vor-bereitet.

Peter Senge, Vater des Konzepts derlernenden Organisation.

Bei einem zweitägigenOutdoor-Training inder Wüste New Mexi-cos hatten die Top-Ma-nager der Firma Xerox

ihre Offenbarung. Sie kam da-her in Gestalt eines ausrangier-ten Xerox-Kopierers, der auf ei-ner wilden Müllkippe seineletzte Ruhestätte gefunden hat-te. Der unschöne Anblick gingden Spitzenmanagern derartunter die Haut, dass sie sichfortan von einer völlig neuenVision für ihr Produkt leitenließen, getreu dem Motto: DieNatur produziert keinen Müll.Wieso sollten wir es andersmachen? Das Resultat: Mittler-weile sind die Produkte vonXerox zu 98 Prozent recycling-fähig.

Dieses Beispiel eines Unterneh-mens, das sich seiner globalenVerantwortung bewusst gewor-

A

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Info-QuellenA www.solonline.org: Auf der Homepage dervon Peter Senge mitbegründeten Society forOrganizational Learning findet sich eine wei-tergehende Darstellung der ÜberlegungenSenges.A Unter www.astd.org/pdfs/M118.pdf kannSenges ASTD-Handout kostenlos abgerufenwerden.

„Die Zukunft erscheint unsfremd“, brachte Senge die Ver-unsicherung auf den Punkt, diedaher rührt, dass wir Men-schen nie zuvor in einem Um-feld gelebt haben, in dem eineHandlung auf der einen Seiteder Erde tief greifende Auswir-kungen auf das Leben auf deranderen Seite der Erde habenkann. Allerdings stellt z.B. dasWissen um die Interdependenzzwischen Mensch und Umwelthistorisch gesehen eigentlichnichts Neues dar. Lange Zeit, soSenge, haben wir unseren Platzin der Welt sehr wohl durch-schaut: Demjenigen, der als Jä-ger oder Fischer unmittelbarvon seinem natürlichen Um-feld lebte, war schon immerklar, dass er seine Existenz-grundlage nicht zerstören darf.

Für Peter Senge sind Unterneh-men jedoch zu häufig im eige-nen Verhalten und in der eige-nen Routine gefangen, um dievielen Interdependenzen unddie Implikationen ihres Han-delns im Blick zu behalten. Fo-kussiert auf die Lösung von Ta-gesproblemen dominiert dieErzeugung kurzfristiger Ergeb-nisse. Es fehlt den Firmen ent-weder eine Vision von der Zu-kunft und die Fähigkeit,Unternehmenstraditionen zuüberwinden und neue Perspek-tiven einzunehmen. Oder sielösen das Spannungsverhältniszwischen Vision und Realitätdadurch, dass sie die Visionaufgeben und sich auf erreich-bare Ziele beschränken. Auchnehmen sie die aktuelle Situati-on oftmals verzerrt wahr, wo-bei ihre Fähigkeit zur Verände-rung verloren geht.

Die Firmen wagen keineNeuorientierung im Denken

Wenn überhaupt Veränderun-gen in Angriff genommen wer-den, sind diese meist adaptiv,das heißt: Sie dienen dazu, ausdem bestehenden System resul-tierende Fehler zu beheben.

„Die Herausforderungen derGlobalisierung, des technolo-gischen Wandels und der de-mographischen Entwicklunglassen sich jedoch nicht durchadaptive Veränderungen inStrategie, Strukturen oderSystemen bewältigen“, mahntSenge. Die Entwicklung vonAnpassungsfähigkeit durchadaptives Lernen sei zwar einenotwendige Grundvorausset-zung zum kurzfristigen Über-leben einer Organisation. Diekontinuierliche Erneuerung er-fordere jedoch weitergehende„generative“ Lernprozesse, diemit alten Paradigmen brechenund Neues hervorbringen.Dabei müssen äußere Verände-rungen in Strukturen, Prozes-sen und Systemen einhergehenmit inneren Veränderungen inden Zielen und Werten und imVerhalten der Mitarbeiter. Diemüssen neue Problemlösungs-fähigkeiten entwickeln, wobeies gilt, in zunehmend multi-kulturell ausgerichteten Orga-nisationen die Vielfalt gezieltzu nutzen und Diversity alsChance zu betrachten.

Wie Senge bereits in seinemBestseller „Die Fünfte Diszi-plin“ schrieb, müssen vor allemdie derzeit vorherrschenden,auf Macht-Akkumulation undfunktionalem Denken fußen-den Management-Systemeüberwunden werden, damitgeneratives Lernen möglichwird. Diese nämlich lassen kei-nen Raum für Initiative, Lern-experimente und Reflexion.Sie motivieren die Mitarbeiternicht, individuelles Wissen ingemeinsame Lernprozesse ein-zubringen. „Ein Baumsamen,dem man keinen Raum zurEntfaltung gibt, wird nie zu ei-nem Baum“, resümierte Senge.

Engagement, nichtFügsamkeit, gilt es zu fördern

Eine wesentliche Vorausset-zung, um auf allen Unterneh-mensebenen das Engagementund die Lernfähigkeit der

Mitarbeiter zu nutzen, ist die Schaffung einesneuen Unternehmensumfeldes, in dem Mitar-beiter sich selbst einbringen können. Solch einUmfeld wird laut Senge von fünf Komponentengeprägt: Selbstführung und Persönlichkeitsent-wicklung, worunter zu verstehen ist, dass alleAkteure kontinuierlich daran arbeiten, ihre Fä-higkeit zu verbessern, die Zukunft zu gestalten.Zudem: gemeinsame mentale Modelle in Bezugauf das Unternehmen, seine Märkte und seineWettbewerber; eine gemeinsame Vision; Team-Lernen, also Lernen in Dialog und Diskussion,sowie Systemdenken. Die Fähigkeit zum syste-mischen Denken – die fünfte Disziplin – bildetdabei die Grundlage, die die anderen Diszipli-nen zusammenführt, da jedes Einzel-Ereignisim System jedes andere beeinflusst.

All dies impliziert, dass die Führungskräfte ihretraditionellen Macht- und Kontrollfunktionenaufgeben und ein Umfeld schaffen, in dem Mit-arbeiter Verantwortung übernehmen und sichentwickeln können. Lernen und Führung sindfür ihn eng miteinander verknüpft, ebenso wiedie Notwendigkeit einer hohen Fehlertoleranz,um aus Fehlern gemeinsam lernen zu können.Der Mangel an Experimentierfähigkeit stellthier laut Senge eine wesentliche Hürde dar.

Manager müssen inspirieren und Visionen ver-körpern; sie sind Lehrer und Designer vonLernprozessen. Der gerade in Großunterneh-men und in komplexen Strukturen häufig zubeobachtende Verlust der Sinnhaftigkeit des ei-genen Handelns verlangt Vertrauen und Beteili-gung der Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrundfordert Senge eine neue Führungskultur, die aufder Lernfähigkeit des einzelnen Mitarbeitersaufbaut und Engagement statt Fügsamkeit för-dert: „Echtes Engagement ist in heutigen Unter-nehmen selten. Unserer Erfahrung nach handeltes sich in neunzig Prozent der Fälle, die für En-gagement gehalten werden, um Fügsamheit“,stellte Senge fest.

Professor Dr. Karlheinz Schwuchow C