Pferdesteuer Pferdesport Bad Sooden

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SPORT 1 PFERDESTEUER Der Aufstand der Reiter Weil sie Geld braucht, führte die hessische Kleinstadt Bad Sooden-Allendorf eine Steuer auf Pferde ein. Andere Kommunen ziehen nach. Die Pferdesportlobby schäumt. VON Christian Spiller | 14. Mai 2013 - 16:44 Uhr Frank Hix kann sich noch gut an diesen Tag im Dezember erinnern. Da musste der Bürgermeister des hessischen Städtchens Bad Sooden-Allendorf zum Spießrutenlauf über den eigenen Marktplatz. Ein paar Hundert Empörte hatten sich dort im vergangenen Jahr versammelt. "Wir wurden beschimpft und beleidigt, einige sogar bedroht", sagt Hix. Die Situation war so angespannt, dass die folgende Stadtverordnetenversammlung unter Polizeischutz abgehalten werden musste. Die Politiker des 8.300-Einwohner-Ortes, der ziemlich genau in der Mitte Deutschlands liegt, haben an diesem Tag ein Sparpaket beschlossen. Ein Punkt darin: die Einführung einer Pferdesteuer. Als erste Kommune bundesweit. 200 Euro pro Jahr und Pferd müssen die Halter berappen. Damit haben die Stadtverordneten in den Augen vieler Pferdefreunde eindeutig über die Stränge geschlagen. Henrik von der Ahe ist einer von ihnen. Er arbeitet für den Reitsportverband, die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), Generalsekretariat für Sonderaufgaben. Weil die Pferdesteuer eine Sonderaufgabe ist, war von der Ahe auch vor Ort an diesem Tag. Er hatte mit zur Demonstration gerufen. "Der ganze Markplatz war voll, bei widrigsten Witterungsbedingungen", sagt von der Ahe. Mit der Pferdesteuer wird erstmals ein Sport besteuert. Und würde sie flächendeckend eingeführt, träfe sie viele. Etwa 1,24 Millionen Deutsche betreiben laut einer Studie regelmäßig Pferdesport. Es gibt in Deutschland mehr als eine Million Pferde und Ponys. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung zählt rund 730.000 Mitglieder, die Hälfte davon ist jünger als 26 Jahre. Bei Mädchen und Frauen unter 26 Jahren ist Pferdesport sogar die drittbeliebteste aller Sportarten. Das Pferd gehört für viele zur Familie. © ZEIT ONLINE CHRISTIAN SPILLER Christian Spiller ist Redakteur im Ressort Sport bei ZEIT ONLINE. Seine Profilseite finden Sie hier .

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P F E R D E S T E U E R

Der Aufstand der ReiterWeil sie Geld braucht, führte die hessische Kleinstadt BadSooden-Allendorf eine Steuer auf Pferde ein. Andere Kommunenziehen nach. Die Pferdesportlobby schäumt.VON Christian Spiller | 14. Mai 2013 - 16:44 Uhr

Frank Hix kann sich noch gut an diesen Tag im Dezember erinnern. Da musste der

Bürgermeister des hessischen Städtchens Bad Sooden-Allendorf zum Spießrutenlauf

über den eigenen Marktplatz. Ein paar Hundert Empörte hatten sich dort im vergangenen

Jahr versammelt. "Wir wurden beschimpft und beleidigt, einige sogar bedroht", sagt Hix.

Die Situation war so angespannt, dass die folgende Stadtverordnetenversammlung unter

Polizeischutz abgehalten werden musste.

Die Politiker des 8.300-Einwohner-Ortes, der ziemlich genau in der Mitte Deutschlands

liegt, haben an diesem Tag ein Sparpaket beschlossen. Ein Punkt darin: die Einführung

einer Pferdesteuer. Als erste Kommune bundesweit. 200 Euro pro Jahr und Pferd müssen

die Halter berappen. Damit haben die Stadtverordneten in den Augen vieler Pferdefreunde

eindeutig über die Stränge geschlagen.

Henrik von der Ahe ist einer von ihnen. Er arbeitet für den Reitsportverband, die

Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), Generalsekretariat für Sonderaufgaben. Weil

die Pferdesteuer eine Sonderaufgabe ist, war von der Ahe auch vor Ort an diesem Tag.

Er hatte mit zur Demonstration gerufen. "Der ganze Markplatz war voll, bei widrigsten

Witterungsbedingungen", sagt von der Ahe.

Mit der Pferdesteuer wird erstmals ein Sport besteuert. Und würde sie flächendeckend

eingeführt, träfe sie viele. Etwa 1,24 Millionen Deutsche betreiben laut einer Studie

regelmäßig Pferdesport. Es gibt in Deutschland mehr als eine Million Pferde und Ponys.

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung zählt rund 730.000 Mitglieder, die Hälfte davon

ist jünger als 26 Jahre. Bei Mädchen und Frauen unter 26 Jahren ist Pferdesport sogar die

drittbeliebteste aller Sportarten. Das Pferd gehört für viele zur Familie.

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CHRIST IAN SP ILLER

Christian Spiller ist Redakteur im Ressort Sport beiZEIT ONLINE. Seine Profilseite finden Sie hier.

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Mit der Steuer träfe man demnach vor allem Kinder und Jugendliche oder deren Eltern,

sagen die Gegner der Steuer. Außerdem sorgten Pferde für Vielfalt in der Natur, weil in

ihren Misthaufen zweihundert verschiedene Insekten lebten. Schließlich würde hier eine

Gruppe willkürlich herausgegriffen, die schon alle anderen Gebührenerhöhungen mittrage.

Wo bitte bleibe die Steuergerechtigkeit?

Frank Hix kennt all diese Argumente, aber der Bürgermeister hat auch ein gutes: Seine

Stadt braucht Geld. Der Kurort gehört zu den ärmsten Kommunen des Landes, auf über

82 Millionen Euro ist der Schuldenberg gewachsen. Um unter den Schutzschirm der

Landesregierung zu schlüpfen, muss der Ort sparen, bis es knirscht. Dann werden Bad

Sooden-Allendorf fast die Hälfte der Schulden vom Land abgenommen, aber nur dann.

"Wir sind in einer Situation, in der wir nach jedem Strohhalm greifen müssen", sagt Frank

Hix.

Also schnürte die Stadt ein Maßnahmenpaket. Die Bücherei wird künftig ehrenamtlich

betrieben, das spart gut 10.000 Euro. Die Straßenbeleuchtung wird unter der Woche nachts

abgeschaltet, 40.000 Euro. Die Spielapparatesteuer wurde erhöht, 13.600 Euro. Selbst der

Neujahrsempfang der Gemeinde findet künftig ohne kostenloses Buffet statt, was noch

einmal 1.400 Euro sparen soll. Insgesamt umfasst das Paket neununddreißig Punkte. Der

umstrittenste von ihnen, die Pferdesteuer, soll etwa 22.500 Euro bringen.

Die Gebühr wurde getreu dem Motto eingeführt: Alle sollen ihren Beitrag leisten.

22.500 Euro klingen nicht viel, laut Hix ist das aber etwa so viel Geld wie die Stadt für

Schulsozialarbeit und Schulkinderbetreuung ausgibt. "Wenn die Stadtverordneten bei

der Pferdesteuer eingeknickt wären, hätten wir den Marktplatz voll mit Hundebesitzern,

Freibadfreunden oder Eltern, die ihr Kind weiter in die Kita schicken wollen", sagt Hix.

"Und das zu Recht."

Die kamen aber nicht. Stattdessen kamen die Pferdefreunde. 400, sagt der Bürgermeister.

1.000, sagt Henrik von der Ahe. Pferdeliebhaber aus ganz Deutschland reisten nach Hessen

auf den schmucken, historischen Marktplatz. Sie brachten hölzerne Steckenpferde mit,

Kinder hielten Plakate mit Aufschriften wie "Meine Mami muss unser Pony verkaufen"

oder "Ich möchte meinen Freund behalten" in die Höhe.

Die Reiterszene ist in Aufruhr, weil sie einen Präzedenzfall fürchtet. Auch andere

Kommunen denken laut darüber nach, eine solche Steuer einzuführen. In Kirchheim in

Osthessen wurde sie Ende April schon beschlossen. In Schlangenbad bei Wiesbaden wird

es sie ab 2014 geben.

Deswegen bietet die Reiterliche Vereinigung alles auf. Es gab eine Online-Petition und

eine gewöhnliche Unterschriftenliste. Mehr als 500.000 Menschen haben unterschrieben.

Sie hat ein Normen-Kontrollverfahren vor dem Hessischen Landesgerichtshof eingeleitet

und erstellt eine "Wertschöpfungsanalyse Pferd", bei der gezeigt werden soll, wie wichtig

das Pferd für die Gesellschaft ist. Weil es ja nicht nur um das Tier, sondern auch um

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das Überleben von Reiterhöfen, Tierärzten, Hufschmieden, Futtermittelherstellern und

Reitsportausrüstern gehen könnte.

Der Bürgermeister Hix hat in den vergangenen Wochen die ersten Steuerbescheide

rausgeschickt. Er hat auch schon Widersprüche bekommen. Erst einmal aber lässt er die

Waffen ruhen. "Wir werden nicht vollstrecken, solange kein höchstrichterliches Urteil da

ist", sagt er.

Auf einen solch starken Gegenwind war er nicht vorbereitet. "Ich bin überrascht über die

starke Lobby der Reiter", sagt der Bürgermeister. "Das kann sich nur ein Verband leisten,

der über entsprechende Strukturen und Finanzmittel verfügt." Das passt zum Klischee,

dass Reiter keine Armut leiden. Die haben’s doch! Warum nicht von ihnen nehmen? Die

Pferdesteuer als verkappte Luxussteuer?

"In diesem Thema steckt immer auch eine Neid-Diskussion", sagt Henrik von der Ahe.

Doch es sei schon längst nicht mehr so, dass nur die Reichen ritten. "Reiten ist ein

Breitensport, ein Volkssport, viele Leute kommen aus mittleren Einkommensschichten

und verzichten auf vieles, um sich das Hobby Reiten leisten zu können", sagt er. Durch

die Pferdesteuer werde eher der gegenteilige Effekt verstärkt. Reiten könnte wieder zum

Luxussport werden.

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