Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt...

44
BRENNPUNKT ARZNEI Jhrg. 19, Nr. 4 Dezember 2014 Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie Jeder kennt sie, jeder hat sie: Die innere Uhr. Auch in der Pharmakologie ist sie wichtig, denn die Wirkung vieler Medikamente unterscheidet sich je nach Zeitpunkt der Einnahme. Das können Sie nutzen, indem sie dem Patienten wissenschaftlich fundiert entsprechende Empfehlungen zur Einnahme geben – und auf diese Wei- RD CHD 3GDQ@OHD MNBG DEÆYHDMSDQ L@BGDM $HMD ¥ADQRHBGS YT CHDRDL 3GDL@ R@LS $QK«TSDQTMF CDQ YTFQTMCD KHDFDMCDM /GXRHNKNFHD ÆMCDM 2HD @TE Seite 4 Patient steuert seine antihypertensive Therapie selbst Kann er so seine Prognose verbessern? Die Blutdruck-Selbstmessung ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber sollten die Patienten die Messwerte nicht nur dokumentieren, sondern damit auch gleich die medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks selbst anpassen? Das wird wohl kaum mit allen Patienten funktionieren, aber eine neue Untersuchung in englischen Allgemeinpraxen spricht dafür, dass ausgewählte Hypertoniker durchaus auf diese Weise an ihrer antihypertensiven Therapie mitarbeiten und damit ihre Prognose verbessern können. Seite 11 ff Wundmanagement in der hausärztlichen Praxis Die Behandlung chronischer Wunden fordert einiges an Geduld. Verständlich, C@RR /@SHDMSDM TMC /ÇDFDODQRNM@K HM CHDRDQ 2HST@SHNM FDQMD YT CDM UHDKDM MDTDM TMC SDTQDM 6TMC@TÇ@FDM FQDHEDM 4MSDQRSÂSYS VDQCDM RHD C@ADH UNQ @KKDL HM CDM Heimen von den sogenannten Wundmanagern, von denen manche direkt mit DHMDL 'DQRSDKKDQ UNM 6TMC@TÇ@FDM UDQA@MCDKS RHMC .A DHMD RNKBGD !DG@MCKTMF wirklich notwendig und sinnvoll ist, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Sicher ist dagegen: Der zu Recht oft zurückhaltend behandelnde Hausarzt hat hier einen schweren Stand. Seite 16 ff Die „Choosing-wisely“-Kampagne Pragmatische Aktion gegen die Überversorgung Antibiotika bei viralen Atemwegs-Infektionen oder Röntgenuntersuchungen bei unkomplizierten akuten Kreuzschmerzen sind keine Seltenheit, aber dennoch oft unnötig. Einige Verhaltensweisen haben sich eben in den Köpfen vieler Kollegen EDRSFDRDSYS NAVNGK VHQ HL &QTMCD VHRRDM C@RR RHD MHBGS HM .QCMTMF RHMC #@FDFDM will in den USA die inzwischen von vielen Fachgesellschaften unterstützte Kam- pagne „Choosing wisely“ ankämpfen. Die Empfehlungen, die dabei herausgegeben werden, sind auch für deutsche Verhältnisse von Bedeutung. Seite 27

Transcript of Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt...

Page 1: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

BRENNPUNKT ARZNEIJhrg. 19, Nr. 4 – Dezember 2014

Am Puls der Zeit: ChronopharmakologieJeder kennt sie, jeder hat sie: Die innere Uhr. Auch in der Pharmakologie ist sie wichtig, denn die Wirkung vieler Medikamente unterscheidet sich je nach Zeitpunkt der Einnahme. Das können Sie nutzen, indem sie dem Patienten wissenschaftlich fundiert entsprechende Empfehlungen zur Einnahme geben – und auf diese Wei-

Seite 4

Patient steuert seine antihypertensive Therapie selbst

Kann er so seine Prognose verbessern?Die Blutdruck-Selbstmessung ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber sollten die Patienten die Messwerte nicht nur dokumentieren, sondern damit auch gleich die medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks selbst anpassen? Das wird wohl kaum mit allen Patienten funktionieren, aber eine neue Untersuchung in englischen Allgemeinpraxen spricht dafür, dass ausgewählte Hypertoniker durchaus auf diese Weise an ihrer antihypertensiven Therapie mitarbeiten und damit ihre Prognose verbessern können. Seite 11 ff

Wundmanagement in der hausärztlichen PraxisDie Behandlung chronischer Wunden fordert einiges an Geduld. Verständlich,

Heimen von den sogenannten Wundmanagern, von denen manche direkt mit

wirklich notwendig und sinnvoll ist, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Sicher ist dagegen: Der zu Recht oft zurückhaltend behandelnde Hausarzt hat hier einen schweren Stand. Seite 16 ff

Die „Choosing-wisely“-Kampagne

Pragmatische Aktion gegen die ÜberversorgungAntibiotika bei viralen Atemwegs-Infektionen oder Röntgenuntersuchungen bei unkomplizierten akuten Kreuzschmerzen sind keine Seltenheit, aber dennoch oft unnötig. Einige Verhaltensweisen haben sich eben in den Köpfen vieler Kollegen

will in den USA die inzwischen von vielen Fachgesellschaften unterstützte Kam-pagne „Choosing wisely“ ankämpfen. Die Empfehlungen, die dabei herausgegeben werden, sind auch für deutsche Verhältnisse von Bedeutung. Seite 27

Page 2: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 2 KVH aktuell Nr. 4 / 2014

Hinweis zu KVH – Brennpunkt ArzneiDie vorliegende Publikation „KVH – Brennpunkt Arznei“ ist ein Informationsangebot zur rationalen und rationellen Phar-makotherapie in der Praxis. Sie wird herausgegeben und mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Die enthaltenen Beiträge geben die Auffassung der Verfasser bzw. der Redaktion wieder. Aufgrund der regionalen Unterschiede können nicht alle Inhalte auf die Gegebenheiten in Hamburg übertragen werden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann keine Gewähr übernommen werden.

Editorial

Sofosbuvir – Sovaldi® – ist ein Meilenstein in der Behandlung der chronischen Hepatitis C. Mit ihr wird eine weitgehende Viruselimination erreicht und viele fatale Folgen wie Leberzirrhose, Leber-karzinom und Tod werden verhindert. Zu welchem Preis? Die Behandlung von 300.000 Hepatitis-C-Patienten in Deutschland – andere Schätzungen gehen von bis zu 600.000 Patienten aus – kostet bis zu 18 Milliarden Euro. Dies entspricht ca. 50% des gesamten Arzneimittelbudgets. In den USA würden die Kosten für 4 Millionen Patienten bei 336 Milliarden Dollar liegen. Auch wenn nur 50% der Patienten in Deutschland zum halben Preis be-handelt würden, kostete dies 4,5 Milliarden Euro.

Dies ist vom Gesundheitssystem nicht zu leisten, das können die Versicherten nicht bezahlen.

Wie kommt überhaupt der Preis für diese Thera-pie zustande? Die Entwicklung eines Arzneimittels soll bis zu 1 Milliarde Dollar kosten. Der Hersteller von Sovaldi® hat es aber gar nicht selbst entwickelt,

Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich

Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen

sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar gekauft. Dieser extreme Preis ist nur zu verstehen, weil der Hersteller wusste, dass dieser Super-Blockbuster mit seinem viel zu hohen Preis aufgrund seines therapeutischen Fort-schrittes keinem Patienten vorenthalten werden kann.

Jetzt sind die Krankenkassen aufgerufen, bei den Preisverhandlungen zu einem wirtschaftlichen Preis einen Abschlag von dem durch nichts zu rechtfer-tigenden hohen Preis vorzunehmen, der weit über den bisherigen Umfang bei anderen Arzneimitteln hinaus gehen muss.

Falls dies nicht erfolgt, kommt es wieder zu einer Debatte über Priorisierung und Rationierung. Ganz schnell würde dann die Frage gestellt, ob all die Pa-tienten, „die an ihrer Hepatitis C weitgehend selbst schuld sind“, behandelt werden sollen.

Nein, dies wäre unakzeptabel unethisch, ebenso wie die Preisforderung des Herstellers von Sovaldi®.

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

Die KV Hamburg ist umgezogen. Bitte beachten Sie die neue neue Anschricht:Heidenkampsweg 99, 20097 Hamburg.

Page 3: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 3Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

ImpressumVerlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 WiesbadenHerausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt (www.kvhessen.de)Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.), Dr. med. Christian Albrecht, Petra Bendrich, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. med. Uwe Popert, Karl Matthias Roth, Dr. med. Joachim Seffrin, Dr. med. Gert Vetter, Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross.Fax Redaktion: 069 / 79502 501Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität FrankfurtDie von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken

Editorial 2

Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie bringt in der Praxis einige Vorteile 4

ADVANCE-ON: Blutdrucksenkung bei Diabetikern 9

Arterielle Hypertonie: Selbst-Messung und Selbst-Titration der Medikamente

Neue Behandlungsmöglichkeiten bei der chronischen Hepatitis C

COPD bei älteren PatientenKombination aus langwirksamen Beta-Agonisten und inhalierten Kortikosteroiden wirkt besser 23

Die „CHOOSING WISELY”-KampagnePragmatisch gegen Überversorgung 27

Praxisbesonderheit bei Arzneimitteln mit Zusatznutzen 37

Durchbruch in der Behandlung von Patienten mit Alopecia areata? 39

SGLT2-Inhibitoren gegen Diabetes: Gemeinsamer Bundesausschuss sieht keinen Zusatznutzen 42

Bewertungen von Arzneimittelrisiken 42

Page 4: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 4 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie bringt in der Praxis einige VorteileEin Beitrag aus dem Verordnungsforum unseres Kooperationspartners,der KV Baden-Württemberg

Die innere Uhr – jeder kennt sie, jeder hat sie. Wo sie sich befindet? Die sogenann-te „Master-Clock“ ist im Nucleus suprachiasmaticus (SCN) lokalisiert und verant-wortlich für die Ausprägung des zirkadianen Rhythmus („zirka ein Tag“).

Gesteuert wird die Master-Clock zusätzlich über äußere Zeitgeber (vor allem durch den Hell-Dunkel-Zyklus). Über die Melatoninausschüt-tung wird so im Tierreich nor-malerweise der Tag-Nacht-Rhythmus reguliert. Beim Menschen ist durch geändertes Sozialverhalten und bestimmte Lebensumstände der Schlaf-Wach-Rhythmus jedoch oft bedeutsamer [1, 4].

Letzten Endes folgen weite Teile der Physiologie

dies beim Schlaf, aber auch bei der Regulierung der Körpertemperatur, des Blutdrucks, der Hor-monausschüttung sowie generell beim Metabo-lismus.

Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Fähigkeit zur Ausbildung einer gewissen Rhythmik nicht nur der SCN be-sitzt, sondern fast allen peripheren Geweben in die Wiege gelegt wurde. So können regional und unabhängig von der „Hauptzentrale“ (im Normal-

fall erfolgt jedoch eine Syn-chronisation mit dem SCN) wichtige Prozesse gesteuert werden und zugleich ist es der Peripherie möglich, auf

-ren.

Beispielweise zeigt fast jedes Neurotransmittersys-tem entweder einen eigenen Rhythmus oder interagiert direkt mit einem Zeitgeber [6]. Auch bei den Hormo-

-zeitlichen Schwankungen:

Gastrinfreisetzung im Zusam-menspiel mit lokalen Zeitgebern im GI-Trakt (Nah-rungsaufnahme) die Verdauungsfunktion. Ebenso unterliegt der Thyreotropinspiegel (TSH) tages-zeitlichen Schwankungen [7]. In der Leber spielen zirkadian exprimierte Gene eine wichtige Rolle bei der Entgiftung. Gleiches gilt für die Niere, bei

die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und weitere Parameter einem Rhythmus unterliegen [6].

Im Körper laufen viele metabolische Prozesse oszillierend ab (zum Beispiel Fett- und Glukose-stoffwechsel). Dies erfolgt durch das kontrollierte rhythmische Ablesen von Genen und der Produk-tion der entsprechenden Enzyme. Es ist erwiesen, dass beispielsweise Schlafentzug oder Schichtar-beit den Rhythmus der Ausschüttung von

Schritte in der Arzneistoffkinetik Zeitabhängige physiologische Funktionen

Aktivität in Ruhe

Distribution Aktivität in Ruhe

Hepatischer Metabolismus

Renale Elimination

fcwwd

r

jtRd[

z

G

Einige Arzneimittel wirken je nach Tageszeit

unterschiedlich stark. Wenn man ihren optimalen

Einnahme-Zeitpunkt kennt, kann man sie effektiver einsetzen und unerwünschte Nebenwirkungen

reduzieren.

Page 5: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 5Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Melatonin und Wachstumshormonen stören, die -

sonspiegel erhöhen [1]. Die verschiedenen Zeit-geber (zentral: SCN / Peripherie) scheinen nicht synchron zu arbeiten. Untersuchungen liefern Hinweise, dass hierdurch die Ausbildung eines metabolischen Syndroms begünstigt wird [1].

Im Lauf des Tages reagiert der Körper ganz unterschiedlichEs ist nachvollziehbar, dass auch die Wirkung von Arzneimitteln auf den unterschiedlichsten Ebenen moduliert werden kann. Man spricht bei einer Be-

Chronopharmakokinetik (CPK). Als einfachstes

genannt. Da die meisten oral gegebenen Arznei-stoffe über keine aktiven Transportmechanismen verfügen, sind die Magenentleerungszeit, die Magendurchblutung sowie der pH-Wert von gro-ßer Bedeutung bei der Resorption [5, 6]. Relevant wird dies besonders bei lipophilen Wirkstoffen in nicht retardierter Form. Demnach erreichen diese Stoffe bei erhöhter Passagezeit und Durchblutung schneller die maximale Wirkstoffkonzentration, was zu Nebenwirkungen führen kann. Es wurde gezeigt, dass gerade in der Nacht und am frühen Morgen diese Parameter erhöht sind.

-dert, spricht man von Chronopharmakodyna-mik (CPD) [4]. Beispielsweise verdoppelt sich bei einer Heparininfusion (über zwei Tage) nachts der antikoagulative Effekt [2]. Bei Toxizitätsuntersu-

Prozent toten Tieren) von Halothan zwischen fünf und 76 Prozent, je nachdem zu welcher Tages-zeit die Tiere der Wirkstoffdosis ausgesetzt sind. Eine solche Tagesrhythmik im Zielorgan kann deshalb auch zu einer pulsierenden Symptomatik einer Krankheit führen – dabei spricht man von Chronopathologie. Genaue Kenntnisse der tageszeitlichen Rhythmik der Körperphysiologie in Verbindung mit chronopharmakokinetischen Gegebenheiten ermöglichen so eine Optimierung der Therapie, Vermeidung von Nebenwirkungen sowie Verbesserung der Wirkung. Diese Faktoren müssen auch bei der Beurteilung der therapeuti-schen Breite eines Arzneistoffes mit einbezogen werden [5].

Auch das kardiovaskuläre System unterliegt zir-kadianen Schwankungen. Humorale und nervale

-quenz, Schlagvolumen, Durchblutung sowie den peripheren Widerstand [5]. Klinisch zeigt sich diese Rhythmik an der Häufung von Herzinfark-ten, pektanginösen Beschwerden, Schlaganfäl-len und plötzlichem Herztod in den frühen

Auch wenn es nur

ein Medikament am Morgen oder am Abend

Wirkung und die Nebenwirkungen erheblich

Foto

: PT

DLR/

BMBF

Page 6: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 6 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Morgenstunden [3]. Hintergrund ist der erhöhte Sauerstoffbedarf am Myokard, der durch die morgendliche Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdruckes zustande kommt. Gleichzeitig ist morgens auch der periphere Widerstand erhöht. Dagegen ist eine stabile Belastungsangina eher tagsüber zu beobachten, da diese durch kör-perliche Anstrengung ausgelöst wird [5]. Im Fol-genden möchten wir einige praktische Beispiele

das therapeutische Vorgehen haben.

AntihypertensivaDer physiologische Blutdruck steigt in der Regel morgens zwischen 6 und 10 Uhr auf sein Maxi-mum an und fällt im Tagesverlauf ab, um in der Nacht sein Minimum zu erreichen. Die übliche Bluthochdrucktherapie dient lediglich dem Ziel, den Blutdruck auf bestimmte Richtwerte zu

wiederherzustellen. Doch gerade diese Schwan-

kungen sind wichtig, um das kardiovaskuläre Risiko niedrig zu halten. Je stärker die nächt-liche Absenkung ausfällt, desto geringer ist das Risiko. Interessanterweise haben Menschen mit normalem Blutdruck ohne Nachtabsenkung (non-dippers) das gleiche kardiovaskuläre Mortalitätsri-siko wie Hypertoniker, die eine Nachtabsenkung (dippers) haben [10]! Aus dieser Sicht ist es in der Bluthochdruck-Therapie wichtig, ein möglichst

zu erreichen.

Für Kalziumblocker wurde gezeigt, dass diese bei abendlicher Gabe die Fähigkeit besitzen, ein

sei angemerkt, dass es nicht für alle Wirkstoff-gruppen chronopharmakologische Studien gibt – tendenziell sind auch ACE-Hemmer, Sartane und

Hier müssen weitere groß angelegte Untersu-chungen einen Unterschied je nach Einnahme-zeitpunkt zeigen.

Eine gute Empfehlung für Ihre Patienten: Statine immer abends einnehmen!

Arzneimittel C [μg/l] t [h]

morgens abends morgens abends

Enalaprilat

Propranolol

Verapamil

Verapamil retadiert

morgens abends morgens abends

Diazepam

NSAR morgens abends morgens abends

Sertralin

Cmax = maximale Arzneistoffkonzentrationtmax = Zeit bis zum Erreichen von Cmax

Chronopharmakokinetik ausgewählter Arzneimittel

Page 7: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 7Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Arzneimittel Indikation Empfohlener Einnahmezeitpunkt

Asthma

Salbutamol

rheumatoide Erkrankungen abendliche Gabe besser verträglich

M. Addison

Hemmtest

Standardheparin Antikoagulation sehr effektiv

niedermolekulares Heparin Wirkung unabhängig von der Zeit

Propranolol Angina pectoris

Diltiazem Prinzmetal-Angina morgendliche Gabe empfohlen

Hepatitis-B-Impfstoff Impfung Impfung am Nachmittag wirksamer

Überraschenderweise hat auch die abendliche Gabe von 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) eine blutdrucksenkende Wirkung, die vor allem bei Patienten ohne eine Nachtabsenkung vorhanden war [3].

Statine und ThrombozytenaggregationshemmerBei der Therapie mit Statinen ist seit langem be-kannt, dass das zu hemmende Enzym (HMG-CoA-Reduktase) vor allem nachts aktiv ist. Deshalb wird eine abendliche Gabe der Cholesterinsenker zur Entfaltung der vollen Wirkung empfohlen [8]. Die meisten Untersuchungen hierzu gibt es für den Wirkstoff Simvastatin. Aufgrund der langen Halbwertszeit ist dieses Phänomen bei Atorvasta-tin schwächer ausgeprägt.

Blutplättchen neigen eher morgens zur Aggre-gation. Deshalb scheint eine Einnahme von ASS zur Herzinfarkt-Prophylaxe in den späten Abend-stunden von Vorteil (siehe auch Antihypertensiva). Gleichzeitig ist die gastrointestinale Verträglich-keit am besten [4]. Jedoch wurde in den Studien niemals der Einnahmezeitpunkt mitprotokolliert. Hier müssen weitere Untersuchungen abgewartet werden.

AntiasthmatikaDie Lungenphysiologie unterliegt ebenfalls einem

tageszeitlichen Rhythmus. Nachts stehen bei--

lichkeit auf bronchokonstriktorische Substanzen ist erhöht [5]. Gleichzeitig fällt nachts der Corti-sonspiegel. Dies zusammen begünstigt Asthma-anfälle, die – wie in epidemiologischen Studien gezeigt wurde – vorwiegend nachts auftreten. Deshalb haben diese chronopathologischen Er-kenntnisse schon seit langer Zeit Eingang in inter-nationale Leitlinien gefunden, um die veränderte Wirkung der Pharmaka zu berücksichtigen.

Das Paradebeispiel für chronopharmakologische Studien ist Theophyllin. Hier kann man gut das Zusammenspiel von CPK und CPD erkennen. Bei morgendlicher Gabe ist die Aufnahme von Theo-phyllin erheblich besser als bei abendlicher Gabe. Gleichzeitig werden aber zur Vorbeugung von Asthmaanfällen in der Nacht aufgrund der geän-derten Physiologie höhere Wirkspiegel benötigt. Man muss also abends die reduzierte Resorption (CPK) sowie die veränderte Physiologie (CPD)

dass etwa zwei Drittel der Dosis am Abend gege-ben werden.

An diesem Beispiel wird klar, dass nicht immer ein möglichst konstanter 24-Stunden-Wirk-spiegel (Steady State) vorteilhaft sein muss, sondern ein auf die Chronopathologie ange-passter Spiegel effektiver sein kann [5].

Page 8: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 8 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

HormoneDer bevorzugte Zeitpunkt der oralen Gabe von

-pression der Nebennierenrindenhormone (feed-back) minimiert. Dies liegt daran, dass morgens der körpereigene Cortisonspiegel ebenfalls erhöht ist [4]. Will man hingegen einen Hemmtest durch-führen, erfolgt die Applikation selbstverständlich spät am Abend.

Bei Anwendung im Falle rheumatoider Erkran-kungen mit morgendlicher Gelenksteifigkeit existieren retardierte Fertigarzneimittel, die bei abendlicher Verabreichung eine Freisetzung sehr früh morgens gewährleisten.

Auch die Regulation der Schilddrüsenhormone folgt einem zeitlichen Muster. TSH, das T3 und T4 aus der Schilddrüse freisetzt, sowie T3 beginnen um Mitternacht zu steigen und erreichen das Maximum in den frühen Morgenstunden. Wenn nun Thyroxin substituiert werden muss, wird eine morgendliche Gabe vor dem Frühstück bevorzugt. Hintergrund ist die bessere Aufnahme des Wirk-stoffes auf nüchternen Magen, sowie – wie bei

des TSH-Spiegels durch die negative Rückkopp-lung an der Hypophyse. Falls Patienten jedoch über Schlappheit klagen, kann eine abendliche Gabe von Vorteil sein: Hier wird laut neuesten Un-tersuchungen die nächtliche TSH-Spitze gekappt, die T3- und T4-Werte sind erhöht und der Patient fühlt sich besser [7].

Magen-Darm-MittelDie Säureproduktion im Magen-Darm-Trakt be-ginnt in den frühen Abendstunden zu steigen, erreicht spät abends ein Maximum und fällt im

Laufe des Morgens wieder ab. Aus diesem Grund liegt eine abendliche Gabe säureblockender Mit-tel nahe. Im Falle der Protonenpumpenhemmer (PPI) ist dies jedoch nicht der Fall. Untersuchun-gen mit Omeprazol und Lansoprazol haben gezeigt, dass eine morgendliche Gabe die Maxi-malkonzentration erhöht und so die Hemmung der Säureproduktion verstärkt wird. Auch das

fällt bei morgendlicher Gabe positiver aus. Grund dafür ist, dass nicht nur, wie erwähnt, die Ma-ximalkonzentration steigt, sondern die Biover-fügbarkeit erhöht wird – also wie viel Wirkstoff überhaupt im Körper ankommt. Verantwortlich hierfür ist neben der besseren Aufnahme der PPIs am Morgen auch die Tatsache, dass aufgrund der höheren Säureproduktion bei abendlicher Gabe vermutlich mehr Wirkstoff zerstört wird und dies zusätzlich die Bioverfügbarkeit erniedrigt [5].

Analgetika – AntirheumatikaDie Magendurchblutung ist morgens erhöht – so führt eine morgendliche Gabe von nichtste-roidalen Antirheumatika (NSAR) dazu, dass die Resorption und die Maximalkonzentration erhöht sind. Wie in Studien belegt, zeigte sich im Gegensatz zu einer abendlichen Gabe von retardierten Präparaten (Indomethacin und Ke-toprofen) eine Erhöhung der Nebenwirkungsrate (gastrointestinal sowie zentralnervös). Die Rate der Studienabbrecher war ebenfalls um das Zwei- bis Dreifache erhöht [2].

Wenn möglich, sollte die Einnahme also ent-sprechend angepasst werden, jedoch immer das patientenindividuelle Schmerzempfinden mit einbezogen werden. Wenn beispielsweise abendliche Symptome vorherrschen, kann eine Gabe gegen 13 Uhr optimal sein. Bei einer

Fazit

Chronotherapie gewährleistet nicht nur, dass die richtige Menge der rich-tigen Substanz an das richtige Zielorgan gelangt, sondern dass dies auch zur richtigen Zeit geschieht [5]. Damit werden sowohl Nebenwirkun-gen vermieden als auch die Wirkung verbessert [2].

Ein möglichst konstanter 24-Stunden-Wirkspiegel (Steady State) muss nicht immer vorteilhaft für die Dauertherapie sein. Ein auf die Chrono-pathologie angepasster Spiegel kann effektiver sein [5].

Page 9: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 9Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

morgendlichen oder konstanten Symptomatik mit Entzündungskomponente ist eine abendliche Gabe zu bevorzugen [2].

Metamizol zeigt seine beste Wirkung nach morgendlicher Verabreichung [4].

Literatur:

-

insights and therapeutic implications. Annu Rev Pharmacol

-cance of the nocturnal decline in blood pressure in individuals

ADVANCE-ON [1] bestätigt die langjährig etablier-

es sich um eine Patientenklientel handelt, die ein nicht

um Patienten mit bereits schwerer kardiovaskulärer Erkrankung. Die immer wieder propagierte „J-Kur-ve“ in der Blutdrucktherapie – also das Optimum in einem hochnormalen Bereich bei 135/85 – kommt nämlich nur dann zustande, wenn man ohne Risikoadjustierung Daten aller möglichen Patienten vermischt – also auch solcher, die1. niedrige Blutdruckwerte wegen anderer

bedeutsamer Erkrankungen hatten (wie z.B. Aortenklappenstenose, Anämie, einge-schränkte Herzleistung etc.) oder

2. so schwer gefäßkrank waren, dass ein ge-wisser Perfusionsdruck zur Sicherung eines

ADVANCE-ON: Blutdrucksenkung bei DiabetikernDr. med. Christian Albrecht

ADVANCE-ON zeigt, dass in der Primärprävention auch beim Blutdruck gilt: „the lower – the better“.

ADVANCE ON zeigt aber – genau wie ACCORD [2] – auch, dass für die makrovaskulären Kompli-kationen (Herzinfarkt, Schlaganfall, CV Tod ...) of-fenbar nicht so sehr der Blutzucker und das HBA1c, sondern eher Insulinresistenz, Hyperinsulinämie und die dadurch bedingte typische diabetische Dyslipoproteinämie verantwortlich sind.

Literatur:-

Page 10: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 10 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Kotecha et al. haben in einer Metaanalyse die Effektivität von ß-Blockern bei Patienten mit Herz-

undund kamen zu dem überraschenden Ergebnis: „ß-Blocker sollten nicht bevorzugt gegenüber an-deren die Herzfrequenz regulierenden Substanzen

-mern benutzt werden und sind nicht geeignet, die Prognose zu verbessern.“

Nach meinem Dafürhalten ist die Metaanalyse al-lerdings nicht geeignet für eine solch weitreichende Schlussfolgerung.

Welche „anderen Substanzen“ sind denn hier wohl gemeint?

Digitalis? Neuere Daten zeigen für diese Substanz eher eine Prognoseverschlechterung bei dem oben genannten Patientenkollektiv.

gar nicht zugelassen bzw. kontraindiziert wegen den zum Teil deutlich negativ inotropen Effekten.

Procorolan? Hilft nur bei Sinusrhythmus.

Für eine derartige og. Interpretation, die bei kon-sequenter Befolgung weitreichende Konsequenzen

-ten haben würde, genügen die vorgelegten Daten meines Erachtens nicht:

Fazit

Zusammenfassend würde ich von der bewährten Strategie, Patienten mit ACE-Hemmern,

Diuretika incl. Aldosteronantagonisten und eben ß-Blockern zu behan-deln, aus den genannten Gründen nicht abweichen. Man sollte aber die Me-dikation kontinuierlich überwachen und dabei auf Blutdruck, Herzfrequenz, Kreatinin und Kalium achten – und natürlich auch auf die Lebensqualität und Nebenwirkungen bei unseren Patienten.

1. Es wurde lediglich eine „Nicht-Überlegenheit“ der ß-Blocker „nachgewiesen“, aber mitnich-ten eine Gefährdung durch ß-Blockergabe.

2. Die Studie hat mehrere methodische Schwächen, die an ihrer Glaubwürdigkeit Zweifel aufkommen lasssen:– mittlere Nachbeobachtungszeit: nur 1,5

Jahre– 18.254 Patienten wurden aufgenommen,

davon hatten 13.846 Sinusrhythmus,

mit dem Rest von 1342 Patienten?– in der VHF-Gruppe hatten nur 58% eine

orale Antikoagulation.– Die Basis-Herzfrequenz war zu Beginn mit

80/min identisch bei SR und VHF– Die NYHA-Klasse III/IV war um ca 10%

öfter in der VHF-Gruppe – wen wundert es da, dass insbesondere der Endpunkt „Krankenhausaufnahme wegen Herzin-

– Zudem waren die VHF-Patienten im Schnitt um 5 (!) Jahre älter (knapp 70

zudem bekanntermaßen im Mittel ohne-hin eine um 6 bis 7 Jahre kürzere Lebens-erwartung haben.

Literatur:

Dr. med. Christian Albrecht

Page 11: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 11Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Im August dieses Jahres veröffentlichte JAMA [1] eine schöne Arbeit von Professor Richard McManus, Allgemeinmediziner an der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität Oxford, zur Blutdruckselbstmessung und -behandlung.

Er untersuchte, ob die patienteneigenen Blut-druckmessungen mit eigenen Korrekturen der Medikation zu besseren Ergebnissen führen. Dazu wurden über 500 Patienten aus Allgemeinarztpra-xen rekrutiert, die mindestens 35 Jahre alt waren und eine Vorgeschichte von Schlaganfall, KHK, Zu-ckerkrankheit oder chronischer Nierenerkrankung hatten (durchschnittliches Alter rund 70 Jahre).

Die Patienten mit einem Ausgangsblutdruckwert von mindestens 130/80 mmHg mit oder ohne Medi-kament wurden an rund 60 Allgemeinarztpraxen in England zwischen 2011 und 2013 behandelt. Ausge-schlossen waren Patienten mit einem Blutdruck über 180/100 mmHg, mit einem Abfall des systolischen Drucks um mehr als 20 mmHg beim Aufrichten sowie die Einnahme von mehr als drei unterschiedlichen Antihypertensiva, oder wenn sie in Behandlung bei einem Blutdruckspezialisten waren.

Die Intervention beinhaltete einen individualisier-ten Algorithmus zur Selbsttitration der Blutdruck-werte zu dem die Patienten in mehrstündigem Unterricht geschult worden waren. Der Algorith-mus wurde dann mit dem Hausarzt abgesprochen. Anhand farbkodierter Anweisungen konnten die Patienten ihre Behandlung variieren. Im Falle un-

mmHg oder systolisch <100 mmHg sandten die Patienten ohne Arztkontakt ihre Mess-werte auf einem Formular dem Hausarzt, der bei freier Wahl des Wirkstoffes dem Patienten Entsprechendes verordnete.

Während der Studie sollten die in der Praxis gemessenen Wer-te 130/80 mmHg und die zu-hause gemessenen Werte unter 120/75 mmHg betragen (Vorga-ben der englischen Gesellschaft für Hypertensiologie zum Zeit-

punkt der Studie für Patienten der oben genann-ten Risikoerkrankungen). Die Kon trollpatienten erhielten die übliche Behandlung, die darin be-stand, ihren Hausarzt für Routinekontrollen und gegebenenfalls notwendige Korrekturen aufzu-

vorgegeben. Das Vorgehen bei den Kontrollen und der Korrekturen der Behandlung lag in der Hand des jeweiligen Hausarztes.

Die Fragestellung beinhaltete das Ergebnis des Unterschieds im systolischen Blutdruck zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe nach zwölfmonatiger Behandlung.

Am Ende der Studie waren für etwa 450 Pa-tienten, das sind rund 80 Prozent, auswertbare Daten vorhanden. Nach einem Jahr fand sich ein Unterschied von über neun Millimeter Quecksil-bersäule beim systolischen und rund 3 Millimeter Quecksilbersäule beim diastolischen Blutdruck. Gegen Ende der Untersuchung erhielten die Pa-tienten beider Gruppen mehr Medikamente, die

als die der Standardgruppe. Es zeigte sich aber kein

von Nebenwirkungen zwischen den Gruppen.

Hier sollen nun nicht die Zielwerte der Studie dis-kutiert, sondern lediglich die zentrale Fragestellung der Untersuchung erörtert werden, nämlich ob Patienten in der Lage sind, ihre Behandlung selbst

sehr schön zeigt, dass Patienten, die motiviert be-ziehungsweise motivierbar sind, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, durchaus in der Lage sind, aktiv und er-folgreich mitzuarbeiten. Man mag auf den ersten Blick viel-leicht meinen, dass die zahlen-mäßig geringe Absenkung der Messwerte kaum von Relevanz sein mag. Allerdings handelt es sich hier um die durchschnitt-lichen Werte, die im Ergebnis, das heißt bezüglich und letzt-lich der Komplikationsraten eine dramatische Verbesserung

Können Patienten ihre antihypertensive Therapie anhand der RR-Werte selbst steuern?Dr. med. Joachim Seffrin

idifmlmMssldld

Geeignete Patienten können

aktiv an der Therapie mitarbeiten und

dabei ihre Prognose erheblich verbessern

– und zwar mehr als mit manchen Medikamenten.

Page 12: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 12 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

der Prognose der Patienten darstellt. Die Forscher geben eine durchschnittlich 30%ige Absenkung des Schlaganfallrisikos durch die Verbesserung der Behandlung an. Aus meiner Sicht eine enorme Ver-ringerung mit Blick auf die Komplikationsrisiken.

Man vergleiche diese Maßnahme mit anderen Interventionen, wie beispielsweise Verbesserung des Outcomes durch neue, sehr teuere Throm-bozytenaggregationshemmer im Vergleich zu Standardpräparaten, die in marginalen Prozent-bereichen liegen!

Die Wissenschaftler schätzen, dass außerhalb von Studienbedingungen bis zu 20 Prozent der Patienten für eine solche Intervention geeignet sein könnten. Dies ist fast schon eine Aufforderung

meiner Sicht sollte uns diese Studie auf jeden Fall bestärken, geeignete Patienten in die Behandlung konsequent miteinzubeziehen. Systematische Schulungen, wie in der Studie, wären geeignet, entsprechend motivierte Patienten zu aktivieren.

Unter dem Strich würde ich auch eine Entlastung der Hausärzte erwarten. Auch wäre denkbar, dass unsere Praxen und Notdienste wegen leicht er-

höhter Blutdruckwerte seltener belästigt würden. Wir alle kennen die Patienten, die wegen Werten von z.B. systolisch 160 mmHg verängstigt ständig nachmessen und zu jeder Tages- und Nachtzeit in Panik den Arzt aufsuchen.

Nicht zu vergessen: Je schwerer die Grunderkran-kung, und je mehr Herz-Kreislauferkrankungen

intensive Schulung für den Patienten.

Diese Studie wurde auch unter www.evimed.ch [2] besprochen, wo noch weitere Einzelheiten auf-

den folgenden Seiten. evimed.ch bietet übrigens einen kostenlosen email-Newsletter, der regel-mäßig aktuelle Studien verschiedenster Themen

Literatur:

Arterielle Hypertonie: Selbst-Messung und Selbst-Titration der Medikamente verbessern BlutdruckwerteProf. Dr. med. Johann Steurer*

Frage: Wirksamkeit und Sicherheit der Selbstbe-handlung der arteriellen Hypertonie bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko, verglichen mit ususal care?Hintergrund: Trotz enormer Fortschritte in der Therapie der arteriellen Hypertonie in den vergan-genen Jahren ist der Blutdruck bei einem Teil der Patienten immer noch unbefriedigend. Das Selbst- Monitoring und auch die Selbstbehandlung durch die Patienten ist eine der Optionen für eine verbes-serte Blutdruckeinstellung. Das Ziel dieser Studie ist zu untersuchen, ob mit einer Selbstbehandlung durch die Patienten die Blutdruckeinstellung besser ist wie unter gewöhnlicher Therapie (usual care)?

Einschlusskriterien: Älter als 35 Jahre mit hohem kardiovasku-

lären Risiko (das heisst, bereits vorhandener kardiovaskulärer Erkrankung, Diabetes, chro-nische Nierenerkrankung mit GFR unter 50 ml/min/m2, koronarer Herzkrankheit).

Bei der Baselineuntersuchung Blutdruck grös-ser 130/80 mmHg (mit oder ohne antihyper-tensive Therapie).

Ausschlusskriterien: Blutdruck über 180/100 mmHg bei Baseline-

untersuchung. Abfall des systolischen Drucks um mehr

Page 13: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 13Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

als 20 mmHg nach Aufstehen. Einnahme von mehr als drei unterschiedlichen

Antihypertensiva. Hypertonie-Behandlung bei einem Spezialis-

ten und nicht in Allgemeinpraxis.

Studiendesign und Methode: Randomiserte, nicht verblindete Studie.

Studienort: 59 Grundversorgerpraxen in England.

Interventionen: Gruppe 1: Instruktion der Teilnehmer im

Selbst-Management mit Selbstmessung des Blutdrucks und Selbst-Titration mit Medi-kamenten nach einem individuell erstellten Schema, bei Blutdruckwerten unter 100 mmHg systolisch oder über 180/100 mmHg mussten die Patienten den Hausarzt konsultie-ren. Es wurde ein damals von verschiedenen Guidelines empfohlener Ziel-Wert von weni-ger als 120/75 mmHg angestrebt.

Gruppe 2: usual care beim Grundversorger (was immer das auch konkret heisst)

Outcome:Primärer Outcome

Differenz der systolischen Werte nach 12 Monaten.

Sekundärer Outcomes Lebensqualität, Nebenwirkungen, Anzahl

verschriebener Medikamente.

Resultat: 552 Patienten wurden randomisiert, das

mittlere Alter betrug 59 Jahre, 60 % waren.Männer, der mittlere BMI lag um die 30, 6% der Teilnehmer waren bei Baseline Raucher

19% der Patienten kamen nicht zur Blut-druckmessung nach 12 Monaten (das sind die sogenannten „drop outs“).

Der Unterschied der mittleren systolischen Werte war nach 12 Monaten 9 mmHg, der.Unterschied der diastolischen Werte 3 mmHg; die niedrigeren Werte waren in der Gruppe.mit Selbstmanagement.

Unterschiede in der Lebensqualität zwischen den beiden Gruppen waren nicht auszuma-chen.

Anzahl und Dosis der antihypertensiven Me-dikamente stiegen in der Interventionsgruppe

„usual care“ Gruppe. Bei den Nebenwirkungen waren zwischen

den beiden Gruppen keine relevanten Unter-schiede feststellbar.

Kommentar: Diese Studie zeigt, dass ein Selbst-Monitoring

mit Selbst-Titration der antihypertensiven Therapie bei Patienten möglich ist und die Un-terschiede klinisch relevant sind. Laut Berech-nung der Autoren wird mit einer systolischen Blutdrucksenkung von 9 mmHg das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis um 30% ge-senkt.

Es konnte nur ein kleiner Teil aller Patienten, welche potentiell die Einschlusskriterien er-füllten, in die Studie eingeschlossen werden. Daraus kann man schliessen, dass Selbstmo-nitoring und Selbst-Titration nicht bei allen Patienten möglich ist. Das ist keine Schwäche der Studie sondern ein Fakt, der jedem Arzt schon lange bekannt ist.

Literatur: McManus R et al. Effect of self-monitoring and medication self-

Page 14: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 14 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Wie Leitlinien zu einer Verhaltensänderung in der Verschreibungspraxis führenDr. med. Joachim Fessler

Die Autoren stellen sich die Frage inwieweit ein Trainingsprogramm (QIC, Quality Improvement Collaborative) die Implementierung einer Leitlinie zur Behandlung der Depression mit Antidepressiva verändert. Die Studie fand in den Niederlanden statt und wurde anhand von Daten aus der Regel-versorgung durchgeführt [1].

HintergrundDie Leitlinien empfehlen bei der Erstbehandlung einer leichten Depression zunächst nicht die Ver-schreibung von Antidepressiva, sondern kurze, nicht pharmalogische Interventionen sowie ein aktiv abwartendes Verhalten (watchfull waiting Strategie), körperliche Betätigung oder kognitive Therapie. Antidepressiva sollten bei Patienten mit moderaten oder schweren Depressionen sowie chronischen Verläufen eingesetzt werden. Welt-weit beobachtet man jedoch eine Zunahme der Verschreibung von Antidepressiva.

Einschlusskriterien1. Patienten zwischen 18 und 65 Jahren mit

einer neu diagnostizierten Depression in Be-handlung einer Hausarztpraxis

2. Interventionsgruppe: Ärzte, die am QIC (Qua-lity Improvement Collaborative) teilnehmen

3. Kontrollgruppe: Hausärzte, die ihre Daten in einer nationalen Datenbank erfassen.

MethodeQuasi experimentelle Studie mit einer Kontrollgrup-pe und einem dreijährigem Beobachtungzeitraum (2006-2008). Studienort: Niederlande

Intervention15 Monate andauerndes QIC. QIC ist eine Imple-mentierungsstrategie mit folgenden Funktionen:

1. Auswahl eines Themas mit vorhandenem Performancegaps

2. Unterstützung durch klinische Experten3. Teilnahme an einem multidisziplinärem Zirkel4. Existenz einer Leitlinie zur Verbesserung der

Versorgung5. Prozessbeschreibung mit Struktur innerhalb

eines Zeitraums, hier: Multidisziplinärer Zirkel, Praxisvisitation mit Experten, Weiterbildungssitzungen, etc.

EndpunktPrimärer Endpunkt ist die Verordnungsrate von Antidepressiva, Sekundärer Endpunkt ist die Über-weisungsrate vom Hausarzt zum Spezialisten (Psy-chiater, Psychologen, ambulant oder stationär).

ErgebnisseIn der Interventionsgruppe machten 50% der an-gefragten Hausärzte mit. Von ihnen wurden 400 Patienten ausgewählt und in der Kontrollgrup-pe wurden 115 Hausärzte aufgenommen (diese führten die normale Versorgung, usual care [U10]durch). Bei ihnen waren es 3956 Patienten. In der dreijährigen Verordnungsrate wurde in der Inter-ventionsgruppe ein Rückgang der Verschreibungen von 49,4 auf 26,1% erzielt, absolute Reduktion 23,3%, relative Reduktion nahezu 50%. In der Kontrollgruppe veränderte sich die Verschreibungs-rate nicht.

Die Überweisungsrate war in beiden Gruppen unverändert.

Diskussion [2]1. In der Interventionsgruppe verringerte sich die

Verschreibungsrate deutlich im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Es bringt nichts, den Kollegen nur eine Leitlinie auf den Tisch zu legen. Lernen wir von der Pharmaindustrie: Es braucht eine komplexe

Kommunikationsstrategie, um das Verordnungsverhalten zu verändern.

Page 15: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 15Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

2. Die Info-Intervention ist sehr komplex, zeitin-tensiv und auch teuer.

3. Nur die Hälfte der angefragten Hausärzte hat teilgenommen, es ist offensichtlich ein starker Anreiz zur Teilnahme notwendig.

4. Es gibt keine Endpunktdaten zu Nebenwir-kungen, Rezidivraten, Remissionsraten.

5. Die Kontrollgruppe ist nicht randomisiert. Darüber hinaus ist ein Selektionsbias denkbar, da sicherlich nur hochmotivierte Hausärzte an der Interventionsgruppe teilgenommen haben und der Effekt somit überschätzt wird.

6. Trotz dieser Limitierung zeigt die Studie ein-deutig, dass das Erstellen und Verbreiten von Leitlinien alleine nicht ausreicht, um eine Ver-haltensänderung im Verschreibungsverhalten herbeizuführen. Es bedarf einer umfangrei-chen, komplexen Interventionsstrategie. Diese muss der vorliegenden Indikation angepasst werden. Es bedarf einer kontinuierlichen Be-gleitung der durchführenden Ärzte. Darüber hinaus sind Rückmeldesysteme bzw. Analysen der Verordnungsdaten begleitend zur Inter-vention sinnvoll.

Viele Kollegen kennen bereits entsprechende Im-plementierungsstrategien, die mit Hilfe von Verord-

nungsdaten – insbesondere in Hessen – durchge-führt wurden. Hierzu erhielten die teilnehmenden Praxen ihre eigenen Verordnungsdaten von den Instituten Aqua oder PMV in aufbereiteter Form übermittelt. Parallel hierzu fanden Moderatoren-trainingssitzungen statt. Weitere Ansätze, so zu verfahren, sind aus Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen bekannt.

Will man gezielt Qualitätsverbesserung durch die Implementierung von Leitlinien durchführen, so muss man eine Begleitstrate-gie fahrenderzeit kein Konsens in der Gesundheitspolitik, wer diese Kosten zu tragen hat. Um hier eine stabile Qualitätssicherung durchzuführen, bedarf es of-fensichtlich gesetzlicher Regelungen.

Literatur:

Page 16: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 16 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Akute Wunden heilen in der Regel von alleine, ohne dass eine besondere Versorgung, oder eine andere therapeutische Maßnahme notwendig wären. Die Versorgung der aktuten Wunde stellt deshalb in der hausärztlichen Praxis kein Problem dar. Über Verbandsmaterialien, die per Verordnung im Sprechstundenbedarf in der Praxis vorrätig sind, erhält der Patient seine Wundversorgung. Ggf. wird bei einem weiteren Arzt-Patienten-Kontakt der Verband in der Praxis gewechselt.

Treten aber Verzögerungen und Komplikationen während der Heilung der Wunde auf, ist ein Wund-management gefragt, das in der Hausarztpraxis zu einigen Problemen führen kann.

Es werden rund drei bis vier Millionen Men-schen mit chronischen Wunden in Deutschland versorgt, bei denen der natürliche Heilungs-prozess gestört oder gänzlich gestoppt ist. Man spricht von chronischen Wunden, wenn der Hautdefekt innerhalb eines Zeitraumes von sechs bis acht Wochen, trotz fachgerech-ter Therapie, keine Heilungstendenz zeigt [1].

Eine chronische Wunde zu beurteilen und zu versorgen, zählt in der Ausbildung des Arztes nicht zu den besonders relevanten Fächern. Oft handelt es sich zudem um Patienten, die weitere, oft auch schwerwiegende Erkrankungen aufweisen und daraus resultiert ein hoher Zeitbedarf für den Arzt-Patienten-Kontakt.

Dass zu einer moder-nen Wundversorgung eine feuchte Wundauflage ge-hört, das ist allgemein be-kannter Standard. Die vor-handene Produktvielfalt von sogenannten hydroaktiven

nicht zu überblicken. Ver-bandmittel zählen zwar hin-sichtlich ihrer Verordnungs-kosten zu den Arzneimitteln und gehen in die Statistiken

zur statistischen Wirtschaftlichkeitsprüfung ein, sie werden aber als Medizinprodukte mit re-lativ geringerem Aufwand auf dem deutschen Pharmamarkt zugelassen.

Konsequenz: Ständig neue Produkte – keine Markttransparenz. Die Einführung von Medizin-produkten verlangt lediglich, dass deren Sicherheit und Übereinstimmung mit ihrer Zweckbestimmung belegt ist.

Insbesondere die Datenlage zur Wirksamkeit

Heilungsprozesses der Wunde – ist enttäuschend. Die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Leitlinie erfüllt zwar die formalen Kriterien des S3-Niveaus, die wesentlichen Aussagen basieren aber auf einer Konsensbildung, was eher dem Charakter eines S1-Niveaus entspricht. Somit gibt es keine verläss-liche evidenzbasierte Informationsquelle, die die Produkte vorgibt, die aus der Vielzahl der Angebote zu favorisieren sind.

Verbandsmaterialien als solche sind natürlich zu Lasten der GKV verordnungsfähig, unabhängig

-

Der Patient hat einen Anspruch auf die Versor-gung bzw. Verordnung von Verbandmaterialien

gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 31 SGB V).

Der Vertragsarzt muss mit der Verordnung zu Lasten der Solidaritätsgemein-schaft der gesetzlich Kran-kenversicherten eine ausrei-chende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung vornehmen. Eine moderne

-ßig, aber welche unter den modernen Wundauflagen ist wirtschaftlich?

Eine Preistransparenz gibt es faktisch nicht. So

Wundmanagement in der hausärztlichen PraxisApotheker Klaus Hollmann

KS

ddskcwv

ßmi

e

Studien kann keines der untersuchten

Materialien (Alginat, Schaumstoff, Acrylat,

Hydrokolloid, Hydrofaser, feuchte Kompresse,

Gaze) gegenüber anderen Materialien einen Vorteil

für die Wundheilung nachweisen.“ [2]

Page 17: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 17Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

werden Preise für Verbandmittel in den Arztsoft-wareprogrammen überhaupt nicht ausgewiesen. Versorgt man einzelne Patienten mit chronischen Wunden oder gar eine Vielzahl von Bewohnern in

Kassenrezept entstandenen Verordnungskosten der Verbandmittel nicht in die statistische Auswer-tung der Arztsoftware aufgenommen.

Apotheken, Homecare-Unternehmen oder Sani-tätshäuser beliefern die Rezepte und rechnen über ihre Rechenzentren gegenüber den Krankenkassen ab und diese ordnen die Verordnungskosten nach

-tiken ein, mit denen der Vertragsarzt dann, wenn es um die Budgeteinhaltung geht, konfrontiert wird.

Warum die Preise für Verbandsmaterialien nicht ausgewiesen werden, hängt damit zusammen, dass die sogenannte Arzneimittelpreisverordnung nur für Arzneimittel aber eben nicht für Verbandsmittel gilt und somit vertraglich festgelegte Preise und ggf. von Kasse zu Kasse unterschiedliche Preise, relevant sind.

So müsste erst der Gesetzgeber im SGB V nach-justieren, bevor die Arztsoftwareprogramme Preise für Verbandsmaterialien nennen dürfen.

Die Intransparenz des Produktangebots und der Preise, als auch das knappe Zeitbudget des Arz-tes, beides wird seit einigen Jahren aufgefangen durch die sogenannten Wundmanager. Dies

Bereich der Versorgung der chronischen Wunden fortgebildet haben, Mitarbeiter von Sanitätshäu-sern oder Personen, die in einem angestellten Verhältnis zu einem Verbandmittelhersteller stehen.

Manchmal zieht man diese Wundmanager bereits im Krankenhaus hinzu, oder man kooperiert seitens

regelmäßig mit der Konsequenz, dass Vorschläge – meist ohne Abstimmung mit dem Arzt – unter-breitet werden, die der Arzt verordnen solle.

In manchen Fällen drängt sich bei den vorgeschla-genen Artikeln und Kombinationen der Eindruck auf, dass die Empfehlungen nicht nur zum Vorteil des Patienten und der schnelleren Wundheilung

Produkten gleichzeitig bei einer Wunde ange-wendet, was zu extremen Kosten führt. Es wird kritisiert, dass sich die Wundbehandlungsinterven-

tionen mehr auf Marketing und Erfahrungswissen begründen als auf Evidenz.

Wundspülung, Hydrogel, Schaumverband zur Exu-dataufnahme und zusätzlich hydrokolloider Wund-verband lassen bei täglichem Wechsel – obwohl die-se Verbandsmaterialien eine Wundversorgung über mehrere Tage sichern sollen – Tagestherapiekosten von bestimmt 20 € entstehen, was, übertragen auf ein Quartal, 2000 € pro Patient bedeutet.

Im Bereich der KV Hessen gibt es eine Einzel-fallprüfung mit einer Regressforderungen von 40.000 € bezogen auf einen Patienten für den Zeitraum von einem Jahr! Ärzte sind deshalb gut beraten, nicht einfach den Empfehlungen von Wundmanagern zu folgen, denn es gibt eben ge-rade keine Garantie, dass eine chronische Wunde, auch wenn man die exklusivsten Produkte mitein-ander kombiniert, nach drei Monaten geheilt ist.

Was sollte man beachten, um die Vorgabe einer wirtschaftlichen Verordnungsweise im Bereich der Wundversorgung zu erfüllen?

Auf Lokaltherapeutika (z.B. Povidon-Jod: Betai-sodona® u.a., H2O2) sollte weitgehend verzichtet

hoher Keimdichte und allen Infektionszeichen

Allerdings ist Polividon-Jod nach den Arznei-mittel-Richtlinien, Anlage 1, zur Behandlung von Ulcera und Dekubitalgeschwüren zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Andere Desinfektionsmittel

und es gibt keine Ausnahmeregelung, so dass die-se nicht verordnet werden können. Beispielsweise muss der Patient Octenisept® privat kaufen. Wei-chen Sie nicht auf sogenannte Hydrogele aus, die

sie als Verbandsmaterial eingestuft werden, eine Verordnungsfähigkeit suggerieren!

Bitte keine Polypragmasie (!) bei der Auswahl der Verbandmittel, denn für das Ausprobieren vieler Behandlungsmöglichkeiten und Lokaltherapeuti-ka gibt es keine Evaluation. Die Behandlung einer chronischen Wunde braucht Zeit, um über Erfolg und Misserfolg entscheiden zu können. Wichtig ist eine Dokumentation (am besten mittels Photos), die den Therapieverlauf zeigt.

Lokale Antibiotika haben sich nicht bewährt, sie wirken oft allergen und können die Granula-

Page 18: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 18 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

tion behindern. Salben verhindern grundsätzlich

die Wunde, so dass die Beurteilung erschwert wird. Farbstoffe können zudem zelltoxisch wirken.

Eine Wundspülung kann mit isotonischer Koch-salzlösung erfolgen. Spezielle antiseptische Wund-spüllösungen wie Lavasept® und Prontosan® wer-den zwar als geeignet angesehen, sie sind aber keine Kassenleistung. Eine Wundspülung (cave H2O2!) ist nur bei viel Exsudat in der Reinigungspha-se nötig. Ansonsten stört die Wundspülung nur die Wundruhe. Es sollte alles unterlassen werden, was die Wundgranulation, die meist von den Wundrän-dern ausgeht, behindern kann.

Treten beim Allgemeinbefinden des Patien-ten keine Veränderungen wie Fieber, vermehrte Schmerzen, Kachexie auf und deutet auch die Geruchsprobe nicht auf eine Keimbesiedlung hin (E. coli riecht), dann ist eine tägliche Inspektion der Wunde mit Ablösen des Wundverbandes nicht nötig. Intervalle von 3 bis zu 7 Tagen können je nach Befund sinnvoll sein.

Apotheken und Sanitätshäuser (Wundmanager) kennen die Preise für Verbandmaterialien, die sie mit den Kassen abrechnen. Wenn sie Vorschläge

unterbreitet bekommen, so bestehen Sie darauf, zu erfahren, welche Kosten mit der Verordnung ausgelöst werden. Bestehen Sie durchaus auch auf einem weiteren – ggf. einem reduzierten – Versorgungsvorschlag, der insbesondere auch mit geringeren Kosten verbunden ist.

Zusätze wie Ag (chemisches Zeichen für Silber)oder BORDER im Produktnamen deuten auf spezia-lisierte Produkte hin, die regelmäßig zu Mehrkosten führen. Hier kann man nach dem Standardprodukt fragen.

-hängig von den Erfordernissen der Wundsituation, den Zielen des Patienten und der Wirtschaftlichkeit [2].

Literatur:

Der vorige Artikel greift ein ganz wichtiges Thema auf, das in unserem Arbeitsalltag weitestgehend

-kungen der Versorgung unserer chronisch Kranken mit Verbandmitteln. Ich kann zwar nicht sagen, welche Beträge jedes Jahr für Verbandmittel allein in Deutschland ausgegeben werden, darf aber davon ausgehen, dass es sich um einen hohen Millionenbetrag handelt.

Grundsätzlich haben wir dabei die denkwürdige Konstellation, dass unser vertragsärztliches Handeln weitestgehend auf wissenschaftlich

Allmächtige Wundmanager, fast ohnmächtige HausärzteDie so genannte „moderne Wundbehandlung“ bei chronischen Wunden aus der Sicht des Hausarztes – medizinische und vertragliche Aspekte

Dr. med. Joachim Seffrin

nachweisbarem Nutzen beruhen soll (Stich-wort evidence based medicine), während eine heutzutage so teure Maßnahme wie die lokale Wundtherapie mit „modernen Verbandsmate-rialien“ (Google bietet 485.000 Ergebnisse für diesen Begriff) sich keinerlei Nutzennachweis unterziehen muss.

Auch als neugieriger, motivierter Arzt, der up to date ist oder zumindest versucht, sich einigermaßen auf dem aktuellen Stand zu halten, haben Sie keine Möglichkeit, unter den mittlerweile unzähligen Angeboten irgendwo den evidenzbasierten

Page 19: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 19Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

andere Quellen wie infomed [3,4] können nur all-gemeine Hinweise und Empfehlungen zu Prinzipien der Wundbehandlung geben. Konkrete Nachweise für die Überlegenheit einer bestimmten Wundauf-lage werden Sie so gut wie

Als Arzt, der einige Pa-tienten im Altenheim be-treut, kommen sie unaus-weichlich in die Situation, mit sogenannten Wundma-nagern zusammenarbeiten zu müssen. Ich will damit keine Kritik an diesen Fach-leuten üben. Ich möchte damit nur klarstellen, dass der Vertragsarzt letztlich keine Chance hat, hier einen nennenswerten

-

Herr Hollmann in seinem Artikel bereits ausge-führt hat, lassen sich in unseren Praxiscomputern

ermöglichen.

Als Krönung der Intransparenz dürfen wir zur Kenntnis nehmen, dass „ggf. von Kasse zu Kasse unterschiedliche Preise relevant sind …“ (Klaus Hollmann, vorstehender Artikel). Letztlich ist auch festzuhalten dass das Preisniveau und damit die

bemerkenswert hoch sind. Dazu kommt, dass es daneben noch ganz beson-ders teure Materialien gibt, die das allgemeine, sowie-so schon hohe Preisniveau überragen. Die Tagesthera-piekosten werden dann un-ter Umständen dramatisch.

Der Arzt, der versucht, die Kosten der Wundbe-handlung zu begrenzen, ist sehr schnell der Kritik

ausgesetzt. Hier wird sofort unredliche Sparwut vermutet, die den armen Kranken beschädigt. Der

durch einen willigen Kollegen ausgetauscht. Die Empfehlung von Herrn Hollmann, nicht unkri-tisch den Empfehlungen der Wundmanager zu folgen, ist somit sehr relativ zu sehen. Auf jeden Fall werde ich versuchen, seine Tipps auf der

erreichen lässt.

Interessanterweise glauben viele an die besonde-ren, fast magischen Wirkungen der teuren Wund-

-gepersonal berichtet über scheinbar eindrucksvolle Wirkungen, auch wir Ärzte sind vor Selbstsuggestion nicht sicher. Jeder glaubt, mit einer bestimmten Prä-paration schon besondere Effekte gesehen zu haben. Dazu ist auf die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Wundhei lung und Wundbehandlung e.V. zu verweisen, die uns auf den Boden der Tatsachen zu-

rückführt, siehe unten!

Auf Kassenseite werden lediglich die Ausgaben addiert und im Falle einer sogenannten Überschrei-tung die Verantwortlichkeit komplett dem Arzt übertragen, als habe der behandelnde Arzt tat-sächlich die sogenannte Therapiehoheit oder auch irgendeine anders geartete, gar nennenswerte Kon-trolle über die Ausgaben. Die Realität ist, wie oben angesprochen, gänzlich anders. Die übliche Folge ist ein Regress. Ich sehe hier ein Dilemma, aus dem wir nur äußerst geringe, beziehungsweise aktuell so gut wie keine Chancen haben, herauszukommen.

Die nachwachsenden Ärztegenerationen ha-ben schon lange erkannt, welches Spiel hier mit uns niedergelassenen Ärzten getrieben wird. Insoweit darf sich auch niemand wundern, dass große Teile dieser Generationen von Ärzten sich anderen Auf-gaben zuwenden, als etwa in der Niederlassung Pati-

enten zu betreuen. Die Angst vor einem Regress ist real begründet, kann sie doch im Einzelfall zum

Jahren als sogenannter Leistungserbringer (begon-nen hatte ich als Arzt) im System arbeite, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Arbeit fortzuführen. Ausklinken geht nicht mehr mit Ende 50.

-steht darin, dass die von mir regelmäßig sofort

wngdwdÄg

„Als Arzt habe ich begonnen, jetzt bin

ich Leistungserbringer geworden.“

sWsnmpEDdfWvB

Hausärzte dürfen oft nur noch das Rezept unterschreiben und die Regressgefahr

übernehmen – und wenn sie sich weigern, werden sie unter Druck gesetzt.

Page 20: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 20 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

verordneten Wechseldruckmatratzen üblicherweise erst nach mehreren Wochen beim Patienten ein-treffen. Das bedeutet, frühzeitig erkannte Verände-rungen der Haut, die drohende Komplikationen zei-

in entsprechende Maßnahmen umgesetzt. Nach nicht nachprüfbaren Informationen soll es daran liegen, dass die Entscheidung beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen die Lieferung verzögere. Es scheint also, dass wichtige, hochdringliche Ent-scheidungen unbearbeitet bleiben, die im Weiteren zu schlimmsten Schäden für die Patienten führen können.

Letztlich zahlen alle drauf: zunächst der Patient, den unsägliches Leid erwartet, das vorzeitig sein Leben sogar beenden kann, die Krankenkassen, die erhebliche Mehrkosten zu übernehmen haben, die

Mehrarbeit erwartet und schließlich der betreuende

ins Elend gerät und er selbst dabei von hohen Re-gresssummen bedroht wird.

Nach meiner Kenntnis gibt es kein anderes Land auf der Welt, in dem in ähnlicher Weise der Arzt

-anlassten Leistungen in der gleichen Weise trägt und unter Umständen dafür sogar noch persönlich haften muss.

Es stellt sich zusätzlich die Frage, ob es Zufall ist, dass keine evidenzbasierten Studien zur Wirk-

also keine evidenbasierte Grundlage für unsere Entscheidungen. Haben die Hersteller bei ihren Untersuchungen möglicherweise gar keine Vorteile für ihre teuren Produkte gefunden?

Zum Abschluss hier einige Auszüge von Aus-sagen der S3-Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden“ zum wissenschaftlichen Kenntnisstand im Jahr 2012:

1 …„In den dazu vorhandenen Studien kann keines der untersuchten Materialien (Alginat, Schaumstoff, Acrylat, Hydrokolloid, Hydro-faser, feuchte Kompresse, Gaze) gegenüber anderen Materialien einen Vorteil für die Wundheilung nachweisen.

2 Anhand der vorliegenden Studien können keine belastbaren Aussagen zum Nutzen oder Schaden der Therapie mit Silber im Hinblick auf die Wundheilung getroffen werden. Es gibt Hinweise aus In-vitro-Studien, dass Silber zwar wirksam gegen Bakterien ist, sich aber auch schädlich auf die Wundheilung auswir-ken kann.

3 Anhand der vorliegenden Studien können keine belastbaren Aussagen zum Nutzen oder Schaden der Wundreinigung getroffen wer-den.

4 Anhand der vorliegenden Studien können keine belastbaren Aussagen zur Spülung mit Ringer- oder isotoner Kochsalzlosung oder Leitungswasser getroffen werden.

Wie sehen Sie diese Situation? Medizinische Perspektive: Glauben Sie selbst noch an den besonde-

Wie gehen Sie mit dem Druck um, der auf uns Ärzte ausgeübt wird? Politische Perspektive: Können die Regressbedingungen unseren

Nachwuchs für den Beruf in der Niederlassung begeistern?

Schreiben Sie uns bitte, wir sind auf Ihre Antworten gespannt!

Zuschriften bitte an:Redaktion KVH aktuell, Frau Petra Bendrich, Kassenärztliche Vereinigung Hessen,Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurtoder Fax: 069 / 7 95 02-501; oder E-Mail: [email protected]

Page 21: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 21Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

5 Literatur zu Leitungswasser, isotoner Koch-salzlösung: (47) Literatur zu Ringerlösung: Keine RCT* für Lösungen die Octenidin, Poli-hexanid, PVP-Iod, Wasserstoffperoxid, Chlor-hexidin und Farbstoffe – einschließlich Ethac-ridinlactat – enthalten, es liegen anhand der vorliegenden Studien keine belastbaren

Aussagen zum Nutzen als Wundspüllosung vor. “…

Literatur:

Die chronische Hepatitis C ist eine Viruserkran-kung, in deren Verlauf es zu schweren Leberschä-digungen wie Leberzirrhose oder Leberzellcarzi-nom kommen kann. In Deutschland wird zurzeit von bis zu 300.000 Patienten ausgegangen, bei denen eine chronische Hepatitis-C-Infektion vor-liegt.

Die bisherigen Behandlungsmöglichkeiten sind Kombinationstherapien mit beispielsweise dem Nukleosidanalogon Ribavirin und Peginterferon alpha. Diese Therapien müssen über 16 bis 72 Wochen angewendet werden. Bei ihnen tre-ten teilweise erhebliche Nebenwirkungen, u.a. schwerwiegende psychiatrische Nebenwirkungen wie Depressionen auf.

Für die Bewertung von Sofosbuvir gegenüber den bisherigen Therapien spielt die mögliche Verkürzung der Therapiedauer auf 12 bis 24 Wochen, die zum Teil interferonfreie Therapie und in diesem Zusammenhang die Vermeidung der schweren Nebenwirkungen des Interferons sowie ein dauerhaftes virologisches Ansprechen (SVR) von bis zu 96 % die entscheidende Rolle.

Beim Hepatitis-C-Virus existieren verschiedene Genotypen, wobei der Genotyp 1 mit rund 60

%) und Genotyp 2 (ca. 7 %) in Deutschland ist. Die Genotypen 4 bis 6 spielen in Europa kaum eine Rolle.

Das Nukleosidprodrug/Polymeraseinhibitor So-fosbuvir ist zugelassen zur Behandlung der chro-nischen Hepatitis C bei

Patienten mit dem Genotyp 1, Genotypen 4, 5 und 6 in der Dreifachkombination von So-fosbuvir mit dem Nukleosidanalogon Ribavirin sowie Peginterferon alpha für 12 Wochen

in der Zweiertherapie mit Ribavirin über 24 Wochen, wenn eine Behandlung dringend erforderlich ist und Peginterferon alpha kontraindiziert ist bzw. eine Interferonunver-träglichkeit besteht. In der Zweiertherapie bei den Genotypen 2 und 3 sowie bei Patienten aller Genotypen, die auf eine Lebertransplan-tation warten. Bei Genotyp 2 soll 12 Wochen, bei Genotyp 24 Wochen behandelt werden. Der Genotyp 3 kann auch mit der Dreifach-kombination mit 12 Wochen Therapiedauer behandelt werden. Bei Vorliegen von weite-ren Risikofaktoren soll bei allen Genotypen eine Verlängerung der Therapiedauer auf 24 Wochen überlegt werden.

Im Rahmen der Nutzenbewertung von Arzneimitteln hat der Gemeinsame Bun-

Neue Behandlungsmöglichkeiten der chronischen Hepatitis C

Je nach Patientensubgruppe unterschiedlicher Zusatznutzen für SofosbuvirDr. med. Wolfgang LangHeinrich

Page 22: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 22 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

desausschuss (G-BA) Sofosbuvir für die ver-schiedenen Patientensubgruppen mit einem Hinweis auf einen beträchtlichen, Anhalts-punkt für einen geringen bzw. keinen Zu-satznutzen bewertet.

Zur wirtschaftlichen Behandlung einer Hepatitis-C-Infektion ist die Genotypisierung des Patienten unerlässlich. Die entsprechende Laborabrech-nungsziffer ist die GOP 32827 „Bestimmung des Hepatitis-C-Virusgenotyps vor antiviraler Therapie mit Interferon und/oder Nukleosidanaloga“. Diese Laborleistung belastet das Laborbudget der anfor-dernden Praxis.

Die Nutzenbewertung des G-BA hat ergeben:

a) Genotyp 1 (naiv ohne Zirrhose, Interfe-ron-haltiges SOF-Regime): wegen hoher SVR-Raten, deutlicher Verkürzung der Thera-piedauer mit weniger Nebenwirkungen auf Basis einer einarmigen Studie. Hieraus ergibt sich ein Anhaltspunkt für geringen Zu-satznutzen.

b) Genotyp 1 (naiv mit Zirrhose, Interferon-haltiges SOF-Regime): die hohen SVR-Raten sowie die deutliche Verkürzung der Therapiedauer mit weniger Nebenwirkungen auf Basis einer einarmigen Studie ergeben einen Anhaltspunkt für geringen Zusatz-nutzen.

c) Genotyp 1 (therapieerfahren, Interferon-haltiges SOF-Regime): wegen unzurei-chender Datenlage kein Zusatznutzen.

d) Genotyp 2 (naiv, Interferon-freies SOF-Regime): hohe SVR-Rate und die Möglich-keit einer Interferon-freien und verkürzten Therapiedauer mit weniger Nebenwirkungen ergeben einen Hinweis auf einen be-trächtlichen Zusatznutzen.

e) Genotyp 2 (therapieerfahren, Interferon-freies SOF-Regime): hohe SVR-Raten und die Möglichkeit der Interferon-freien Thera-pie mit einer deutlichen Verkürzung der The-rapiedauer und weniger Nebenwirkungen führen auf Basis einer einarmigen Studie zu einem Anhaltspunkt für geringen Zusatz-nutzen.

f) Genotyp 3 (naiv/therapieerfahren, Interferon-freies SOF-Regime): hohe SVR-Raten, Interferon-freie und deutlich verkürz-te Therapiedauer bei weniger Nebenwirkun-gen führen auf Basis einer einarmigen Studie

zu einem Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen.

g) Genotyp 3 (naiv/therapieerfahren, Interferon-haltiges SOF-Regime): wegen unzureichender Datenlage kein Zusatznut-zen.

h) Genotyp 4 bis 6 (naiv/therapieerfahren, Interferon-haltiges SOF-Regime): wegen unzureichender Datenlage kein Zusatznut-zen.

i) Genotyp 1 bis 6 mit HIV-Coinfektion (naiv/therapieerfahren, je nach Geno-typ Interferon-freies oder Interferon-haltiges SOF-Regime): wegen hoher SVR-Raten, sowie deutlicher Verkürzung der Therapiedauer mit weniger Nebenwirkun-gen ergibt auf Basis einer einarmigen Studie Anhaltspunkt für geringen Zusatznut-zen.

Die Therapiekosten sind außerordentlich hoch und liegen zwischen ca. 60.000 und 120.000 Euro.

Die Kostenerstattung und mögliche Regress-forderungen wegen unwirtschaftlicher Therapie durch die Krankenkassen hängt vom Stand der Nutzenbewertung durch den G-BA und den sich hieraus ergebenden Verhandlungen zu einem wirtschaftlichen Preis zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband ab.

Mit dem Markteintritt eines neuen Präparates muss der Hersteller dem G-BA ein Dossier zu die-sem Präparat vorlegen, mit dem der Mehrnutzen gegenüber einer zuvor durch den G-BA genann-ten zweckmäßigen Vergleichstherapie nachge-wiesen werden soll. Bis zur Veröffentlichung die-ser frühen Nutzenbewertung kann das Präparat – in diesem Fall Sofosbuvir – entsprechend seiner Zulassung und Indikation verschrieben werden. Die Kassen erstatten den Apothekenabgabepreis. Ein später zu vereinbarender niedriger liegender wirtschaftlicher Preis führt zu keinen Regressfor-derungen.

Mit der Veröffentlichung der frühen Nut-zenbewertung (17.07.2014) ist die Verord-nung von Sofosbuvir bei den Indikations-gruppen ohne Zusatznutzen unwirtschaftlich und potentiell von einem Regress bedroht.

Die Indikationsgruppen mit Zusatznutzen sind uneingeschränkt verschreibungsfähig und

Page 23: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 23Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

COPD betrifft 5 bis 22% der Erwachsenen über 40 Jahren auf und hat weiterhin ein „lifetime risk“ von

Todesursache. Wegen der durchweg schlechten Prognose einer COPD werden verschiedene The-rapieoptionen bei älteren Patienten besonders diskutiert.

Studienpopulation und DesignDazu wurde in einer neuen Untersuchung von einer populationsbezogenen retrospektiven Lang-zeitbeobachtung bei etwa 2 Millionen Einwohnern über 65 Jahren in Kanada anhand der kompletten Daten der zentralen Gesundheitsverwaltung im Bundesstaat Ontario zwischen dem 1.9.2003 und dem 31.03.2011 über die Behandlung aller COPD-Patienten (38.266) berichtet. Es wurden dort 11.872 Patienten über 65 Jahren in einem Therapievergleich mit unterschiedlichem Vorgehen behandelt: neue Anwendung von Inhalationen mit LABA* + ICS* versus neue Anwendung von Inha-lationen LABA ohne ICS [1].

Es wurden retrospektiv sämtliche Therapieer-gebnisse (nach entsprechender Voruntersuchung, Spirometrie usw.) von den 8.712 Patienten, die eine Kombinationstherapie mit LABA- + Kortiko-steroid-Inhalation erhalten hatten und von den

COPD bei älteren Patienten

Kombination aus langwirksamen Beta-Agonisten und inhalierten Kortikosteroiden wirkt besserDr. med. Klaus Ehrenthal

werden weiterhin mit dem Apothekenabgabe-preis von den Kassen erstattet.

Die Preisverhandlungen zwischen dem Arz-neimittelhersteller und dem GKV-Spitzenver-band sollen 3 Monate nach Veröffentlichung der frühen Nutzenbewertung zu einem wirtschaft-lichen Preis führen. Dieser gegenüber dem bis dahin geltenden Apothekenabgabepreis ist dann die künftige Kostenerstattung für dieses Arznei-mittel. Diese sehr teure Therapie wird in vielen Fällen dazu führen, dass das Richtgrößenbud-

get der Praxis, die Patienten mit chronischer Hepatitis C behandeln, um mehr als 25% überschritten wird. Unstrittig ist diese extrem teure Therapie eine Praxisbesonderheit, die, wenn sie entsprechend der Nutzenbewertung des G-BA durchgeführt wird, nicht zu einem Richtgrößenregress führen kann bzw. wird.

Literatur:

3.160 Patienten, die lediglich mit LABA-Inhalation behandelt worden waren, berichtet. Patienten, die nicht dem allgemeinen staatlichen Gesund-heitssystem für alle Bürger zur Verfügung standen (534) und solche, die eine Lungenresektion oder Lungentransplantation (74) erhalten hatten, wur-den ausgeschlossen.

Die durchschnittliche Therapiedauer betrug 2,7 bzw. 2,5 Jahre. Als zusammengesetzter Endpunkt galten Tod und Hospitalisierung wegen COPD. Die Ergebnisse wurden mit etlichen differenzierten Zusatzanalysen sehr sorgfältig statistisch ermittelt.

ErgebnisseUnter 5.594 erstmaligen Anwendern mit LABA plus ICS bei über 65-jährigen hatte es 3.174 (36,4%) Sterbefälle gegeben und 2.420 (27,8%) Krankenhausaufnahmen wegen der COPD.

Bei 2.129 erstmaligen Anwendern von lediglich LABA-Inhalationen waren 1.179 (37,3%) verstor-ben und 950 (30,1%) mussten wegen ihrer COPD stationär aufgenommen werden.

Die Inhalationsbehandlung der älteren Patienten mit LABA plus ICS erbrachte ein moderat vermin-dertes Sterberisiko und auch eine verminderte

der COPD gegenüber den Patienten, die nur mit LABA alleine behandelt worden waren. Der

Page 24: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 24 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Unterschied des zusammengesetzten Endpunktes nach fünf Jahren betrug: -3,7% (95%-CI: -5,7% bis -1,7%; Hazard Ratio (HR) 0,92, 95%-CI: 0,88 – 0,96).

Der deutlichste Unterschied der beiden Therapien fand sich bei älteren COPD-Patienten mit der Kodia-gnose Asthma. Die Differenz des zusammengesetz-ten Endpunktes nach 5 Jahren betrug hier -6,5% (96%-CI: -10,3% bis -2,7%, HR 0,84, 95%-CI: 0,77 – 0,91) gegenüber Patienten, die keine ICS erhalten hatten (zusammengesetzter Endpunkt nach 5 Jahren -8,4% (95%-CI: -11,9% bis -4,9%, HR 0,79, 95%-CI 0,73-0,86).

Es fand sich bei weiteren Analysen kein signi--

siko durch Pneumonien oder Frakturen. Bei den weiteren Datenanalysen fanden sich nur geringe Effekte bei Rauchern, nach BMI-Bestimmungen und bei selbst berichteten sonstigen Gesundheits-störungen.

Was bedeuten diese Ergebnisse?Bei älteren Patienten über 65 Jahren mit COPD – besonders bei der Kodiagnose Asthma – und vor Allem, wenn sie vorher keine Inhalationsmedikati-on mit langwirksamen Anticholinergika plus Korti-kosteroiden erhalten hatten, war der kombinierte Endpunkt (Tod und Krankenhausbehandlung wegen COPD) mit dieser kombinierten Behand-lungsstrategie – LABA plus ICS - in dieser grossen Untersuchung signifikant (p< 0,05) verbessert gegenüber einer Therapie lediglich mit LABA.

KommentarDie schlechte Prognose einer COLD mit ihrer ab-normen Entzündungsreaktion auf inhalative Noxen mit bronchialer Hypersekretion und obstruktiver Bronchiolitis, die dadurch zu strukturellen Lun-genschädigungen mit Änderungen ihrer Funktion und zu vorzeitigem Tod führt, hat auch bei vielen alternativen Behandlungsversuchen nur geringe Verbesserungen erkennen lassen.

Bei der Einteilung nach dem GOLD-Schema (Global initiative for chronic obstruktive Lung Di-sease), die in den Leitlinien der deutschen Atem-

mittels des BODE-Scores (ermittelt aus BMI, FEV-1, Dyspnoe-Einstufung und körperliche Belastbar-keit) die Prognose ermittelt werden (3, 4). Je nach GOLD-Einstufung ist eine Therapie bei der COLD wirksam. Dabei können ab Stufe II Behandlungen mit LABA, besser auch in Kombination mit Tiotro-

pium, einem lang wirkenden Anticholinergikum (LAMA) die Lungenfunktion (Lebensqualität und Zahl der Exazerbationen) verbessern.

Aber auch damit kann der allmähliche Rückgang der FEV-1 nicht aufgehalten werden. Es fanden sich ausserdem in einer Studie Hinweise auf eine Zunahme kardiovaskulärer Komplikationen unter Behandlung mit Tiotropium [5].

2014 wurden im Arzneimittelbrief ausführliche kritische Bewertungen zu weiteren Studien mit Kombinationsbehandlungen bei COPD veröffent-licht [6]. Hierbei handelte es sich um 3 Studien die nach der EU-Zulassung 2013 für die Kombi-nation zweier langwirksamer Bronchdilatatoren (LABA + 1 langwirksames Sympathiko-Mimetikum) durchgeführt wurden (SHINE-, ILLUMINATE- und SPARK-Studie). Die sehr teure Therapie mit den entsprechenden Kombinations-Inhalatoren konn-te zwar signifikant die Lungenfunktion gering verbessern jedoch ohne wesentliche Besserung

deutlichen Reduktionen der Exazerbationen. Über die Prognose des weiteren Verlaufs der COLD der Patienten wurden keine Aussagen gemacht.

Der G-BA hat in seiner frühen Bewertung im Mai 2014 keinen durchgehenden Zusatznutzen dieser neuen Kombinationsprodukte festgestellt [6].

Wenn das FEV-1 auf <50% gesunken ist, kann im GOLD-Stadium III eine Besserung von Lebens-qualität und Reduktion der Exazerbationen durch inhalierbare Kortikosteroide (ICS) erreicht werden.

Aber auch hierdurch kann das langsame Voran-schreiten der COLD mit Verkürzung der Lebens-erwartung nicht gestoppt werden. Ausserdem fanden sich in einer Metaanalyse zu ICS Hinweise auf ein erhöhtes Pneumonie-Risiko und andere Gefahren durch ICS, weswegen angestrebt wird, die ICS-Dosis möglichst klein zu halten [6].

Bereits 2003 wurden Studien (z.B. TRISTAN-Studie) mit LABA plus ICS durchgeführt ohne be-friedigende Wirksamkeitsbelege [7,8,9].

In einer aktuellen grossen multizentrischen, ran-domisierten Studie in England (WISDOM-Studie – „Withdrawal of inhaled glucocorticoids and Ex-acerbations of COPD“, publiziert 2014) wurde bei Patienten mit einer schweren COLD, die gleichzei-tig mit LABA und einem langwirkenden Muskarin-Antagonisten (LAMA) sowie ICS behandelt wurden, die zusätzlichen inhalierten Kortikoi-

Page 25: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 25Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

de ausschleichend abgesetzt. Dabei kam es nicht zu einer deutlichen Zunahme der Exazerbationen [10].

Dies bedeutet, dass bei den oftmals multi-pel erkrankten, meist älteren Risikopatienten mit schwerer COLD, die u. U. mit etlichen möglichen Komplikationen durch eine langdauernde ICS-Therapie (z.B. Soor, Dysphonie, Hämatomneigung, Gefahr von Osteoporose, Pneumonieanfälligkeit u.a.) betroffen sind, nach Erreichen eines Still-standes der COLD-Entwicklung durch kombinierte Inhalationen mittels LABA und LAMA durchaus ein ICS-Auslassversuch chancenreich ist und versucht werden sollte.

Ein Abfall der FEV 1 muss dabei aber überwacht werden. Der könnte allerdings das weitere Abset-zen von ICS limitieren. Ein Verzicht auf ICS bei der Therapie der entzündlichen Komponente der COLD wird als prognostische Gefahr diskutiert.

Was bleibt bei der COPD-Behandlung älterer Patienten?

An erster Stelle muss dafür gesorgt werden, dass der Patient mit dem Medikament richtig inhaliert. Da dies oftmals an der Handhabung mit dem Inhalator scheitert, ist es sehr wich-tig, dass die verschreibende Ärztin, der ver-ordnende Arzt dieses persönlich vorführt und mit dem Patienten praktisch übt. Bis zu 94% der Patienten waren 2008 in einer Untersu-chung nicht in der Lage, Pulverinhalatoren richtig anzuwenden! [9, 11]

Neben etlichen inzwischen obsoleten Phar-makotherapien ist eine Langzeit-Sauerstofft-herapie oft sinnvoll, eine mögliche operative Reduktion des Lungenvolumens und eventuell eine Lungentransplantation kann indiziert sein. Gegebenenfalls wird eine spezielle und gezielte Antibiotika-Therapie erforderlich. Da-neben sind immunmodulatorische Substanzen

in der (kontroversen) Diskussion. Letzten Endes kann jedoch die Letalität einer

COPD in jedem Alter nur durch einen kon-sequenten Tabakentzug gebessert werden. Hierdurch kann eine Prognoseverbesserung durch eine Reduktion des Krankheitsprozesses um 50% erreicht werden, was mit keinem Arzneimittel möglich ist (10).

Es bleibt also eine wichtige und durchaus oft erfolgreiche Aufgabe für die behandelnde Ärztin, für den behandelnden Arzt, sich ohne Frustration durch mannigfaltige Enttäuschun-gen nicht nachlassend um die Tabakabstinenz der COPD-Patienten zu bemühen.

Bitte beachten Sie dazu auch diverse unterstüt-zende Schriften des BZGA [12].

Literatur:

-

-

www.der-arzneimittelbrief.de

-

Eine Studie hat gezeigt: Bei COPD kommt es nicht unbedingt zu vermehrten Exazerbationen, wenn das inhalierte Kortikoid

vorsichtig abgesetzt wird [10].

Tipp für die Praxis: Der Arzt oder eine Helferin sollten dem Patienten zeigen, wie er richtig

inhaliert. Sonst machen es bis zu 94% der Patienten falsch.

Page 26: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 26 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Seit über einem Jahr steht Tetrazepam zur Be-handlung muskulärer Verspannung nicht mehr zur Verfügung. Eine Alternative wird nicht empfohlen, wie die Besprechung der folgenden zentralen Mus-kelrelaxantien zeigt.

Baclofen (Lioresal®

des Rückenmarkes (Indikationen: traumatische Rü-ckenmarksläsionen, MS, Spastik nach Apoplex). Als Nebenwir-

Schwindel, Übelkeit, Albträume bis hin zu Psychosen u.a. Das Absetzen von Baclofen geht nur ausschleichend.

Tolperison (Mydocalm®) ist schwach zentral wirkend. (Indi-kation: Muskelverspannung). Die Nebenwirkungen können teilweise dramatische Formen wie Anaphylaxie, toxische epidermale Nek-rolyse und Vasculitis allergica neben Schwindel und Müdigkeit u.a. annehmen, so dass das Medikament in USA und UK nicht mehr im Handel ist.

Methocarbamol (DoloVisano®) wirkt zentral muskelrelaxierend. (Indikation: Muskelverspan-nung). Bei nicht bekanntem Wirkungsmechanismus und nicht hinreichend belegtem Nutzen wegen

-kungen Benommenheit, Schwindel, Kopfschmer-zen, Koordinationsstörungen, Übelkeit u.a.

Orphenadrin ®) ist ein Antiparkinson-mittel mit den sedierenden und anticholinergen Eigenschaften eines Antihistaminikums. (Indikation: Kurzzeittherapie von Muskelverspannung). Uner-wünscht als Nebenwirkungen sind Harnverhalten, Depression, Glaukom, Mundtrockenheit, Müdig-keit, Schwindel u.a.

Pyridinol (Myoson®) ist ebenfalls ein Antipar-kinsonmittel und Antihistaminikum. (Indikation:

Muskelverspannung, Schiefhals). Risiko und Nut-zen weitgehend unbekannt. Als Nebenwirkungen werden Harnverhalten, Depression, Glaukom, Mundtrockenheit, Müdigkeit, Wahrnehmungsstö-rung u.a. angegeben. Myoson Direct und Myoson

-telzulassung für den deutschen Arzneimittelmarkt und sind deshalb nicht zu Lasten der GKV verord-

nungsfähig. Es gibt deswegen bereits Einzelregressverfahren.

Tizanidin (Sirdalud®) ist ein Clonidin-ähnl icher 2-Adrenorezeptor-Agonist (Indi-kation: Muskelverspannung,

eine unzureichende Evidenz, um Nutzen und Sicherheit bestim-men zu können. Insbesondere

da die Nebenwirkungsliste Müdigkeit, Schwindel, Depression, Blutdruckabfall und insbesondere in höheren Dosen Hypotension und Bradykardie, an-dererseits Reboundphänomene nach plötzlichem Absetzen mit Tachycadie und Hypertonie u.a. umfasst. Hemmstoffe des Cytochroms CYP 1A2

das 10-fache.

Diazepam beeinflußt die muskuläre Spastik (Indikation: Muskelverspannung, -spastik). Neben der Gefahr der Abhängigkeit und des Missbrauchs – wie bei Tetrazepam auch – gelten die Neben-wirkungen der Benzodiazepine wie Schwindel, Sturzgefahr, Müdigkeit u.a.

Zusammengefaßt bleibt den Patienten ei-gentlich nur – statt des Griffs zur muskelre-laxierenden Wohlfühl-Tablette – sich selbst-ständig mehr zu bewegen, um die Muskeln zu lockern.

Alternativen zu TetrazepamDr. med. Gert Vetter

b

eAk

eN

Tetrazepam war

kann die notwendige Bewegung nicht

ersetzen.

Page 27: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 27Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Antibiotika bei viralen Infektionen wie akuter Bronchitis oder Röntgenuntersuchungen bei un-komplizierten akuten Kreuzschmerzen sind in der Regel nicht sinnvoll – allerdings Versorgungsreali-tät. Möglicherweise fühlen sich die Behandler so auf der sicheren Seite, oder sie orientieren sich an Patientenwünschen. Solche Fehlentscheidungen reichen bis zur letzten Lebensphase: Selbst das Sterben wird unnötig schwer, wenn ein implan-

Stromstöße abgibt. [1] All dies greift die in den USA etablierte Kampagne Choosing Wisely auf. Sie

-sorgungen in den Fokus (vgl. Tabelle auf Seite 28).

-sche Maßnahmen können Patienten schädigen und Geld verschlingen, das dann in anderen Bereichen des Gesundheitswesens fehlt.

Die US-amerikanische Kampagne hat sich rasch zu einem Vorzeigeprojekt entwickelt: Zahlrei-che Fachgesellschaften ziehen unter ihrem Dach ohne administrativen Druck am gleichen Strang. Organisiert und gesponsert durch die unabhän-gige Stiftung American Board of Internal Medi-cine (ABIM) haben gut zwei Jahre nach Start der Choosing Wisely-Kampagne im April 2012 [2] bereits 58 US-amerikanische Fachgesellschaften für ihr Fachgebiet Top-5-Listen* mit Maßnahmen erarbeitet, bei denen die Nutzen-Evidenz nicht ausreicht bzw. die Nutzen-Schaden-Relation als nicht akzeptabel bewertet wird. Insgesamt wer-den somit inzwischen mehr als 300 Maßnahmen genannt, die „Ärzte und Patienten hinterfragen sollten”. Manche davon sind nicht grundsätzlich

als Überversorgung eingestufte Maßnahme wird daher kurz erläutert, die Entstehung der Listen beschrieben und inhaltlich durch Literaturzitate belegt. Über http://www.choosingwisely.org ste-hen alle Do-not-Listen für Ärzte und Patienten zur Verfügung. Sie werden durch patientenfreundli-che Texte ergänzt, beispielsweise zur sinnvollen Verwendung von Antibiotika oder von bildgeben-

den Verfahren – entstanden in Zusammenarbeit mit Verbraucherorganisationen.

Die Bewertungen von Choosing Wisely können und sollen den Beteiligten die Entscheidung über das Vorgehen nicht abnehmen. Die Kampagne will daher die Diskussion über die in den Fokus gestellten Maßnahmen zwischen Arzt und Pati-ent fördern, damit diese zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Im Gespräch soll deutlich werden, dass nicht alles, was machbar ist, der Gesundheit zuträglich ist, und dass Überdiagnose und Übertherapie schaden können. Zur Unterstüt-zung der Gespräche bietet Choosing Wisely Ärzten Kommunikationsmodule an. [3]

Die Kampagne hat Vorbildfunktion – in Bezug auf die Beteiligung von fast 60 Fachgesellschaften und mindestens 14 Verbraucherorganisationen mit gemeinsamem Internetportal, aber auch wegen des öffentlichkeitswirksamen pragmatischen Kon-

aktuell keine Gesundheitskampagne geben, die in Fach- und Laienmedien mehr Beachtung erzielt hat. [2]

Choosing Wisely ist unter gleichem Namen inzwi-schen auch in Kanada etabliert (derzeit sieben Listen). [4] Pendants gibt es darüber hinaus etwa in Italien [5] (Mehr ist nicht besser), in der Schweiz [6] (smarter medicine) und demnächst auch in Deutschland: Der Arbeitstitel der Initiative des Deut-schen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM), Gemeinsam klug entscheiden, [7] signalisiert die Intention, Patienten stärker einzubeziehen. Und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) bereitet unter dem Motto Klasse statt Masse eine Zusammenstellung

Maßnahmen und Negativempfehlungen für den hausärztlichen Bereich vor. [8]

Viele der Do not-Punkte werden in Deutschland bereits in S3-Leitlinien, in Nationalen Versorgungs-Leitlinien oder im IGeL-Monitor thematisiert, ohne dass dort jedoch explizit gefordert wird, die An-wendung mehr oder weniger stark zu reduzieren. [9] Die Fokussierung auf die Überversorgung

Die „CHOOSING WISELY”-Kampagne

Pragmatisch gegen ÜberversorgungNachdruck aus arznei-telegramm 8/2014 (a-t 2014; 45: 73-75) mit freundlicherGenehmigung der Redaktion und des Verlages des arznei-telegramms.

Page 28: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 28 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

kann daher neuen Schwung in die Verbesserung von Diagnostik und Therapie im Sinne einer evi-denzbasierten Medizin bringen. Das angestrebte intensive Patientengespräch steht hierzulande bereits im Patientenrechtegesetz (§ 630 c BGB).

soeben veröffentlichten Befragung von knapp 1.800 Personen weiß beispielsweise nur jeder Dritte, dass Früherkennungsuntersuchungen auch Risiken bergen. [10] Aber auch Ärzte schätzen den

ein. [11]

Bei aller grundsätzlichen Zustimmung zu Choo-sing Wisely gibt es Kritik und Verbesserungsvor-schläge. Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Do-not-Listen hängen wesentlich von syste-matisierter und strukturierter Bearbeitung und evidenzbasierter Absicherung ab. Die bei den US-Fachgesellschaften erkennbaren unterschied-lichen Vorgehensweisen sollten – wie auch bei Analogprojekten – vereinheitlicht werden. Auch wird angeregt, andere Beteiligte wie Pharmazeu-

auch das Problem tatsächlicher Unterversor-

„Do not” – Was Ärzte und Patienten in Frage stellen sollten.* Beispiele aus Choosing Wisely.

Link** vgl. a-t

Antibiotika

Antibiotika bei akuter milder bis mäßiger Sinusitisaußer bei Verschlechterung nach initialer Besserung

Antibiotika -

Glukosamin Chondroitin

Glukokortikoide nach schwerer traumatischer Hirnverletzung

Routinemäßige antiepileptische Prophylaxeaußer nach Auftreten eines Krampfanfalls

Neuroleptika

Verordnung von Cholinesterasehemmern

rezeptfreier Analgetika bei Kopfschmerzen

Allgemeines Screening auf Vitamin-D-Mangel

Bildgebende Diagnostik

-nung eines oralen Kontrazeptivums

Routinemäßiger jährlicher PAP-Test

HPV-Test

Routinemäßiges Screening auf Prostatakrebs mit PSA Test

Test auf Borreliose

Aktiviertlassen eines implantierten

Entfernen Quecksilberhaltiger Amalgamfüllungen aus Zähnen

Original-Listen.

auf der Startseite für a-t- Abonnenten im Internet.

Bei direkter Eingabe in die Adresszeile eines Browsers hängen Sie bitte die unter „Link” genannten vier Buch-

Beispiel: http://www.a-turl.de/?k=anda.

Page 29: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 29Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

gung mit der Top-5-Strategie zu bearbeiten. [13]

Bislang sieht Choosing Wisely nicht vor, den Er-folg der Kampagne, die keine Druckmittel kennt, selbst zu evaluieren. [2] Zu klären bleibt, welche Barrieren dem Abbau von Überversorgung entge-genstehen, vom generellen Misstrauen gegenüber einer von außen herangetragenen Nutzen-Scha-

-

Regelungen im Gesundheitssystem den Abbau von Überversorgung oder fördern diese sogar, etwa Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die zwar von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht er-

Überversorgung erkannt sind (vgl. a t 2011; 42: 88-9), aber als von den Patienten privat bezahlte

Ärzte darstellen. Die in den USA gegründete Kampagne Choo-

sing Wisely hat bislang knapp 60 medizinische Fachgesellschaften veranlasst, Top-5-Listen mit diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu erstellen, die als überwiegend unnötig und potenziell schädlich bewertet werden.

Die Kampagne will eine intensivierte Kommu-nikation zwischen Arzt und Patient anregen, um Überversorgung einzudämmen.

Viele der aufgegriffenen Maßnahmen werden

auch hierzulande bereits durch klinische Leitli-nien oder den IGeL-Monitor negativ bewertet. Bestechend ist jedoch das pragmatische und (fach)öffentlichkeitswirksame Konzept der geballten Information zu Überdiagnose und Übertherapie.

Die inzwischen auch in weiteren Ländern etablierte Kampagne kann auch hierzulande dazu beitragen, Diagnostik und Therapie von

Ballast zu befreien.

Literatur:

Weiitere praxisnahe Tipps und fundierte Tipps zur Reduktion unnötiger

Beitrag „Weniger ist mehr – Gefährdung der Patienten lässt sich durch Zurückhaltung deutlich reduzieren“

Page 30: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 30 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) und GerinnungstestsEin Beitrag aus dem Verordnungsforum unseres Kooperationspartners,der KV Baden-Württemberg

Die in steigendem Ausmaß verordneten

alltäglich verwendete Laborparameter der Hämostase. Folgender Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, was bei welcher Wirkstoff-gruppe zu beachten ist und ob es Tests gibt, die sich zur Ermittlung der NOAK-Wirkstoff-spiegel eignen. Der Text wurde in Abstim-mung mit den Landesverbänden der Kran-kenkassen und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstellt.

Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) können in zwei verschiedene Wirkstoffklassen un-terteilt werden, die unterschiedliche Auswirkungen auf die gängigen Gerinnungstests haben:

direkte Faktor-Xa-Inhibitoren: Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®)

direkte Thrombin-Inhibitoren: Dabigatran (Pradaxa®)

Mögliche Veränderungen gängiger Gerinnungsanalysen durch NOAK

Quick-Wert(Thromboplastinzeit = TPZ; Prothrombinzeit = PTZ)

Der Quick-Wert wird zur Überprüfung der Funktion des extrinsischen Gerinnungssystems verwendet (Faktor II, V, VII, X und Fibrinogen).

Veränderungen durch NOAKRivaroxaban und Apixaban hemmen den akti-

Ergebnisse des Quick-Tests ( ). Das Ausmaß der Auswirkungen hängt jedoch von der vorliegenden Wirkstoffkonzentration ab. In einer Studie an gesunden Probanden wurde zwei bis drei Stun-den nach der Einnahme von Rivaroxaban eine Reduktion des Quickwertes um 20 bis 30 Prozent beobachtet [1].

Auch Dabigatran kann als direkter Inhibitor von

Tests herabsetzen.

International Normalized Ratio (INR)

Die Resultate des Quick-Tests sind stark vom verwendeten Reagenz (Thromboplastin) des jeweiligen Labors abhängig, deshalb wurde die INR (International Normalized Ratio) eingeführt. Die Standardisierung auf ein von der WHO de-klariertes Standard-Reagenz ermöglicht einen Messwert, der reagenzunabhängig ist und die

-schen Zielbereichen (bei Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten) zulässt.

Veränderungen durch NOAKDa die NOAK (vor allem Rivaroxaban) den Quick-Wert tendenziell herabsetzen, steigt im Umkehr-schluss die INR ( ) bei Einnahme von NOAK.

Quick-Wert und INR wurden für das Monitoring von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) entwickelt und sind zur Überwachung und Thera-piekontrolle der NOAK nicht geeignet.

Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)

Die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) dient zur Kontrolle der Funktion des intrinsischen Gerinnungssystems (Faktoren II, V, VIII, IX, X, XI, XII, Fibrinogen, Präkallikrein und hochmolekulares Kininogen).

Veränderung durch NOAKRivaroxaban und Apixaban bewirken durch die Hemmung von Faktor Xa eine Änderung des in-trinsischen Gerinnungsablaufs und es kommt zu einer verzögerten Gerinnselbildung. Damit wird die aPTT verlängert ( ). Die einmalige Gabe von 20 mg Rivaroxaban bewirkt eine Steigerung der aPTT um das 1,5- bis 1,8-Fache, nach zwölf Stunden ist jedoch kein Effekt mehr vorhanden [2]. Dabigatran

stärker. Bei Patienten, die zweimal täglich 150 mg Dabigatran einnehmen, verlängert sich die aPTT um etwa das Zweifache. Selbst zwölf Stunden nach der letzten Tabletteneinnahme bleibt die mittlere aPTT immer noch 1,5-fach erhöht

Page 31: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 31Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

[3]. Die Beurteilung einer verlängerten aPTT unter NOAK-Einnahme erfordert daher Informationen zum letzten Einnahmezeitpunkt.

Eine verlängerte aPTT kann ein Hinweis auf eine bestehende Überdosierung und Akku-mulation bei NOAK, insbesondere vom Typ Dabi-gatran, sein. Auch die aPTT ist jedoch nicht dazu geeignet, um die Antikoagulation unter NOAK zu überwachen.

Thrombinzeit (TZ, TT)

Die Thrombinzeit wird zur Überprüfung der Fi-brinpolymerisation (letzter Schritt in der Gerin-nungskaskade) ermittelt und gibt die Zeit von der Thrombinzugabe bis zur Gerinnung der Probe an. Eine Verlängerung der Thrombinzeit wird durch Thrombinhemmung (unfraktioniertes Heparin und direkte Thrombin-Inhibitoren) und bei Polymeri-sationsstörungen des Fibrins hervorgerufen.

Page 32: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 32 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Veränderung durch NOAKDie Messung der Thrombinzeit ist nicht abhängig von der Aktivität des Faktors Xa, somit wird die Thrombinzeit durch Apixaban und Rivaroxaban nicht verändert. Dabigatran bewirkt als direkter Thrombin-Inhibitor eine Verlängerung der Throm-

-lich auf die Wirkung von Dabigatran und zeigt in therapeutischen Konzentrationen eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung [4]. Sie ermöglicht je-doch nur eine qualitative Aussage, da bei höheren Dabigatran-Plasmaspiegeln ein Plateau erreicht wird [5]. Eine normale Thrombinzeit ist ein Hin-weis auf die Abwesenheit einer klinisch relevanten antikoagulatorischen Wirkung von Dabigatran [6].

Eine Thrombinzeit im Normbereich schließt eine (noch vorhandene) Dabigatran-Wirkung eher aus. Die verlängerte Thrombinzeit ist zur Therapie-steuerung beziehungsweise zum Ausschluss einer Überdosierung ebenfalls nicht geeignet.

Fibrinogenbestimmung (nach Clauss)

Bei der Fibrinogen-Bestimmung handelt es sich um eine Variante der Thrombinzeit-Bestimmung mit hoher Thrombinkonzentration, somit ist das Fibrinogen reaktionsbestimmend und die gemes-sene Thrombinzeit proportional zur ermittelten Fibrinogenkonzentration.

Veränderung durch NOAKDie Faktor-Xa-Inhibitoren haben keine Auswirkung auf das Ergebnis der Fibrinogenbestimmung. Der direkte Thrombinhemmer Dabigatran kann die Aktivität des zugefügten Thrombins herabsetzen und die Resultate der Fibrinogenbestimmung kön-nen fälschlicherweise zu niedrig ( ) ausfallen. Die Ergebnisse sind laborabhängig und abhängig von

der verwendeten Thrombinkonzentration.

Tiefe Fibrinogenspiegel unter Dabigatran-Einnahme sind mit Vorsicht zu interpretieren und gegebenenfalls zwölf Stunden nach der letzten Dabigatran-Einnahme zu überprüfen.

Nachweis von D-Dimeren

D-Dimere sind Spaltprodukte des Fibrins, welche nach thromboembolischen Prozessen (Beinvenen-thrombose, Lungenembolie) im Rahmen der reak-tiven Fibrinolyse entstehen. Der Nachweis erfolgt mit Hilfe von Immunoassays, bei denen speziell hergestellte Antikörper an die Fibrinspaltprodukte binden. Die entstehenden Immunkomplexe können quantitativ bestimmt werden.

Veränderung durch NOAKDer Labortest zur Messung von D-Dimeren wird weder durch direkte Faktor-Xa-Inhibitoren noch durch direkte Thrombin-Inhibitoren gestört.

Das Testverfahren zum D-Dimer-Nachweis

Ist eine Therapieüberwachung (Gerinnungstests, Wirkspiegelbestimmung) von NOAK notwendig und möglich?Für alle NOAK gibt es aufgrund der linearen Dosis-Wirkungsbeziehung festgelegte Dosierschemata. Eine patientenindividuelle Dosierung mit Hilfe von Gerinnungstests (analog Vitamin-K-Antagonisten, VKA) ist nicht vorgesehen.

-

Dabigatran

Quick-Wert bis

bis

INR bis

Fibrinogen nach Clauss

D-Dimer

Anti-Xa-Aktivität

Page 33: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 33Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

mung der Wirkstoffspiegel von NOAK verfügbar. Diese sind jedoch nicht für den routinemäßigen Ein-satz vorgesehen, da bisher noch keine ausreichend gesicherten und klinisch relevanten Referenzberei-che für eine Spitzen- und Talspiegelbestimmung vorliegen und die Einschätzung der Messergebnis-se, auch aufgrund der großen interindividuellen Va-riabilität der Plasmaspiegel, schwierig erscheint [8].

Es können sich jedoch Situationen ergeben, in denen die Plasmawirkstoffspiegelbestimmung der NOAK sinnvoll sein kann, zum Beispiel:

akute Blutung und keine Information vom Pa-tienten verfügbar (zum Beispiel bei Bewusstlo-sigkeit),

vor Notfall- oder dringlichen Eingriffen zur Bestimmung des Restmedikamentenspiegels (Blutungsrisiko),

Ausschluss einer Akkumulation bei Nierenin-

Bei der Beurteilung von Wirkstoffspiegeln ist der Zeitpunkt der letzten Medikamenteneinnahme zu beachten (siehe Tabelle 2).

Besteht die Gefahr einer Wirkstoffakkumulation

sich eine Talspiegelkontrolle [10, 11]. Das Risiko

nach Substanz in dieser Reihenfolge ab: Dabigatran

Im Talspiegel überschrittene Grenzwerte ausge-wählter Gerinnungstests können bei Dabigatran auf ein erhöhtes Blutungsrisiko hinweisen (ver-gleiche Tabelle 3). Für Rivaroxaban und Apixaban werden in den jeweiligen Fachinformationen bisher keine Laborwerte angegeben, die Rückschlüsse auf ein erhöhtes Blutungsrisiko zulassen [12, 13].

Nachfolgend werden je NOAK-Wirkstoffgruppe Testverfahren dargestellt, die in kritischen Situati-onen (akute Blutungen, Notfalleingriffe) zur Beur-teilung des Blutungsrisikos herangezogen werden können.

Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban und Apixaban)

Thromboplastinzeit (TPZ) oder Prothrom-binzeit (PTZ)

Laut Angaben des Herstellers von Xarelto® (Rivaroxaban) eignet sich die Prothrombin-Zeit (gemessen in Sekunden) in Verbindung mit Neoplastin plus als Reagenz zum Monitoring

zeigt eine lineare Korrelation mit steigenden Plasmakonzentrationen von Rivaroxaban [14]. Um die Ergebnisse interpretieren zu können, sollten jedoch die interindividuelle Variabilität der Plasmakonzentrationen sowie der letzte Einnahmezeitpunkt berücksichtigt werden [16, 17].

Chromogener Anti-Faktor-Xa-Assay (zum Beispiel Biophen® DiXa-I, STA®-Liquid Anti-Xa und Technochrom® anti-Xa) [18-20]

Der Anti-Faktor-Xa-Assay dient zur quantita-tiven Bestimmung von Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban) und muss wirk-

Xa-Bestimmung auch zur Kontrolle von Fonda-parinux, unfraktioniertem und niedermolekula-rem Heparin verwendet werden kann, können die Ergebnisse bei gleichzeitiger Applikation mehrerer Faktor-Xa-Inhibitoren verfälscht sein (Biophen® -

Rivaroxaban Apixaban DabigatranSpitzenspiegel 3-4 h

*

Dabigatran Test (Talspiegel- messung)

VTE-Prävention 1 x tägl. 220 mg

Prävention von Schlaganfällen und systemi-schen Embolien 2 x tägl. 150 mg

keine Daten > 3

*

Page 34: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 34 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Labortests zur Einschätzung des Blutungsrisikos unter NOAK im BedarfsfallRivaroxaban, Apixaban

Prothrombinzeit, gemessen in Sekunden mit Neoplastin® plus als Reagenz (Rivaroxaban) lineare Dosis-Wirkungsbeziehung, jedoch keine Korrelation mit aufgetretenen Blutungen [14]

Chromogener Faktor-Xa-Assay Bestimmung der Plasmawirkstoffspiegel*, jedoch bisher keine evidenten Grenzwerte für ein erhöhtes Blutungsrisiko vorhanden

Dabigatran relevante Dabigatranwirkung nicht vorhanden

Hemoclot®-Thrombininhibitor-Test Bestimmung der Plasmawirkstoffspiegel* Hemoclot®

ECT 3- bis 4-fach verlängert oder

Abrechnungsfähigkeit von Gerinnungstests und speziellen Untersuchungen/Spiegelbestimmungen bei NOAK-Einnahme

Thromboplastinzeit und Prothrombinzeit können bei Bedarf nach folgenden GOP angefordert und erbracht werden:

stimmung von direkten Faktor-Xa-Inhibitoren). Dabigatran hat als Thrombin-Inhibitor keine Auswirkung auf die Ergebnisse der chromoge-nen Anti-Faktor-Xa-Bestimmung.

Direkte Thrombin-Inhibitoren (Dabigatran)

Hemoclot®-Thrombininhibitor-Assay (HTI) Der Hemoclot®-Thrombininhibitor-Assay ist

ein Gerinnungstest zur quantitativen Bestim-mung von direkten Thrombin-Inhibitoren (z. B. Dabigatran, Hirudin). Er basiert auf

Menge an Thrombin durch direkte Thrombin-Inhibitoren [21]. Die gemessene Zeit (dTT) bis zur Bildung des Gerinnsels ist proportional zur Plasmakonzentration in der Probe.

Ecarin clotting time (ECT) Bei der Ecarin clotting time handelt es sich

um einen Gerinnungstest, der die quanti-tative Bestimmung von direkten Thrombin-Inhibitoren ermöglicht (zum Beispiel Dabi-gatranetexilat, Hirudin). Aufgrund fehlender Standardisierung können die Ergebnisse zwischen verschiedenen Laboren erheblich variieren. Der Test eignet sich nur zur quan-titativen Bestimmung von Thrombin-Inhibito-ren. Faktor-Xa-Inhibitoren haben auf die ECT

Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)

Die aPTT wird durch Dabigatran verlängert und ermöglicht eine „grobe Abschätzung der Gerinnungshemmung“ [22]. Die Sensivität des aPTT-Tests ist jedoch limitiert und reicht

-nungshemmung, vor allem bei hohen Dabiga-tran-Plasmakonzentrationen, nicht aus.

Hinweis auf ein erhöhtes Blutungsrisiko (Akkumulation)!}

Page 35: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 35Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Fazit

-derung der herkömmlichen Gerinnungstests kann jedoch nicht zum Monitoring der NOAK verwendet werden, da sie keinen aussagekräftigen Rückschluss auf das aktuell vorliegende physiologische Gerinnungsvermögen zulässt.

Routine-Gerinnungsanalysen können jedoch Anhaltspunkte für eine bestehende Über-dosierung liefern und einen Hinweis auf das Vorliegen klinisch relevanter Wirkstoffdo-sen geben (wenn Thrombinzeit verlängert: Dabigatran im Plasma). Um die Testergeb-nisse genauer bewerten zu können, ist die Kenntnis des letzten Einnahmezeitpunktes notwendig.

auf dem Markt. Diese sind jedoch nicht zum routinemäßigen Monitoring vorgesehen, sondern zur Überprüfung in Notfällen oder bei Verdacht auf eine Überdosierung/Ak-kumulation.

Aktuell liegen keine ausreichend gesicherten und klinisch relevanten oder evidenzba-sierten Referenzbereiche für Tal- und Spitzenspiegelbestimmungen vor, um die ge-messenen Plasmawirkstoffspiegel hinsichtlich des Blutungsrisikos beziehungsweise des Risikos eines thromboembolischen Ereignisses genauer einschätzen zu können.

Gerade wegen des fehlenden Routine-Gerinnungsmonitorings bei NOAK ist die sorg-fältige Anamnese der Patienten auf vorhandene Kontraindikationen und Einschrän-kungen entscheidend, damit das Auftreten möglicher Komplikationen durch die Aus-wahl des geeigneten Wirkstoffs und der angemessenen Dosierung vermieden werden kann.

Wichtige Parameter, die vor der Verordnung von NOAK berücksichtigt werden sollten, sind neben der Nieren- und Leberfunktion vor allem Alter, Körpergewicht, Begleit-medikation und gastrointestinale Erkrankungen der Patienten.

Literatur:

-

magazine/uebersicht/zeitschriften-a-z/thrombosis-and-

download.html

-

-

-

-

Page 36: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 36 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

-

-

-

-

-

-

Anmerkungen der Redaktion zum Thema NOAK

Laborkontrollen sind bei den NOAK nicht erforderlich und auch nicht möglich: Das heißt, wir können nicht kontrollieren, wie die Gerin-nung eingestellt ist.

Es gibt kein Antidot: Was bedeutet das bei Unfällen oder akuten Ein-griffen?

Es gibt keine validierte Vorgehensweise für elektive Eingriffen. Die Begründung: Das NOAK muss nur ca. 24 Stunden vorher abgesetzt werden. Das bedeutet aber auch, dass es ebenso wie beim Phenpro-coumon eine Lücke im Schutz gibt, wenn auch kürzer. Ist das wirk-lich sicherer?

--

lichkeit auf der sicheren Seite zu bleiben?

Page 37: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 37Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neu-ordnungsgesetzes (AMNOG) Anfang 2011 werden neue Arzneistoffe einer frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen. Das Ausmaß eines hierbei mög-licherweise festgestellten Zusatznutzens eines Arzneimittels bestimmt seinen Erstattungspreis. Folgender Beitrag wurde in Abstimmung mit den Landesverbänden der Krankenkassen und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstellt.

GKV-Spitzenverband und das betreffende phar-mazeutische Unternehmen sollen spätestens sechs Monate nach dem Beschluss des G-BA zum je-weiligen Arzneimittel Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V abschließen. Neben der Höhe des Erstattungsbetrags können – nach Gesetzes-text – diese Vereinbarungen auch vorsehen, dass Verordnungen der Arzneimittel bei denjenigen Indikationen, in denen der G-BA dem Wirkstoff einen Zusatznutzen zugesprochen hat, als Praxis-besonderheiten im Rahmen von Wirtschaftlichkeits-prüfungen gelten.

Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes war lediglich für die drei folgenden Arzneimittel in den Erstattungsvereinbarungen eine entsprechende Regelung zur Berücksichtigung als Praxisbesonder-heit formuliert:

Zytiga® (Wirkstoff: Abirateronacetat) Esbriet® (Wirkstoff: Pirfenidon) Brilique® (Wirkstoff: Ticagrelor) (Cave! Gilt nur

für die Indikationen instabile Angina pectoris und Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-He-bung – NSTEMI) (Beleg für einen beträchtli-chen Zusatznutzen) sowie Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung (STEMI) und perkutane

Koronarintervention bei Patienten 75 Jahre, die nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Ab-wägung nicht für eine Therapie mit Prasu grel + ASS infrage kommen, oder bei Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke oder ischämischem Schlaganfall in der Anamnese (auf Anhaltspunkten basierender nicht quanti-

Entsprechend den Erstattungsvereinbarungen sind diese Arzneimittel ab dem ersten Behand-lungsfall als Praxisbesonderheit nach § 106 Abs. 5a SGB V in dem Anwendungsgebiet mit einem Zusatznutzen laut G-BA-Beschluss anzuerkennen. Aus diesem Grund bedarf es bei diesen Arzneimit-teln vor Anerkennung als Praxisbesonderheit im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen einer stichprobenhaften Überprüfung, ob die Voraus-setzungen für einen Zusatznutzen im Einzelfall vorgelegen haben.

Verordnungen dieser Arzneimittel für Patienten, für die kein Zusatznutzen entsprechend dem Be-

als Praxisbesonderheiten anzuerkennen. Dies gilt ebenso für die Verordnung von anderen Arzneimit-teln mit nachgewiesenem Zusatznutzen, in deren Erstattungsvereinbarungen keine Regelung zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit getroffen wurde.

Somit gilt, dass auch bei der Verordnung von Arzneimitteln, deren Erstattungsbetrag im Rah-men der frühen Nutzenbewertung vereinbart wurde, es weiterhin in jedem Einzelfall der Ab-wägung bedarf, ob die gewählte Verordnung im Hinblick auf die individuelle Patientensituation wirtschaftlich ist.

Praxisbesonderheit bei Arzneimitteln mit ZusatznutzenEin Beitrag aus dem Verordnungsforum unseres Kooperationspartners,der KV Baden-Württemberg

Page 38: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 38 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Es gibt doch immer wieder Dinge, die man sich so früher nicht vorstellen konnte. Die New York Times [1] berichtete über Patienten, die sich in New York chirurgischen Eingriffen an der Wirbel-säule unterziehen mussten. Bei diesen Operationen wurden zur Unterstützung externe Chirurgen hin-zugezogen, von denen die Patienten vorher nichts wussten. Hatten jene den Eingriff zunächst gut überstanden, traf sie wenige Wochen nach der Operation fast der Schlag, als sie ihre Rechnungen erhielten. Zusätzlich zu den mit dem Operateur der Klinik vereinbarten Honoraren tauchten Forderun-gen von bis zu 117.000 $ auf. Diese Honorarfor-derung stellte der so genannte drive-by-doctor, der von dem eigentlichen Operateur zur Assistenz gerufen worden war und diesen beim Eingriff un-terstützt hatte. Gelegentlich haben sich Operateur

und drive-by-doctor das zusätzliche Honorar geteilt, manchmal auch nicht. Interessanterweise haben die Versicherer zur Verwunderung ihrer Klienten diese exorbitanten Forderungen beglichen.

Wundert man sich hierzulande über manch unsinnige, nutzlose, nicht selten auch teure IGEL-Leistungen, die hilfesuchenden Patienten auf-geschwätzt und gelegentlich sogar aufgedrängt werden, stellen doch diese Vorgehensweisen, wie man Patienten ausplündert, einen neuen Tiefpunkt ärztlichen Handelns dar.

Man kann nur hoffen, dass unser System in Deutschland solche Wildwestmethoden nicht zu-lässt.

Hijacking von schutzlosen PatientenDr. med. Joachim Seffrin

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt – www.bast.de) hat ihre Begutachtungsleitlinien für Diabe-tiker aktualisiert. Diabetiker mit niedrigem Hypo-glykämierisiko (alle Therapieformen außer jenen mit Sulfonylharnstoffen und ihren Analoga sowie Insulin) können ohne Einschränkung Auto oder Mo-torrad fahren, sofern ihr Stoffwechsel stabil ist und keine Folgeschäden des Diabetes vorliegen. Für ein Steuern von Fahrzeugen der Klasse 2 (LKW, Taxi, Omnibus) muss der Patient nachweisen, dass er sei-nen Stoffwechsel in den letzten drei Monaten stabil

Fahrtauglichkeit von Diabetikern

halten konnte. Die Einnahme von Medikamenten erfordert regelmäßige ärztliche Kontrollen, bei der Einnahme von Sulfonylharnstoffen oder Insulin ist alle drei Jahre eine fachärztliche Begutachtung erforderlich. Dabei ist auch die Fahrzeugnutzung zu berücksichtigen (z.B. nur Fahren auf einem Be-triebsgelände).

Dr. med. Günter Hopf

www.bast.de/DE/FB-U/Fachthemen/BLL/BLL-Hintergrund.html

Fazit für die Praxis: Wichtiger als ein möglichst niedriges HbA1c ist es, zusammen mit dem Patienten die individuellen Therapieziele

eventueller Hypoglykämien auf die Fahrfähigkeit und deren Bedeutung für den Patienten berücksichtigt werden.

Page 39: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 39Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Durchbruch in der Behandlung von Patienten mit Alopecia areata?Dr. med. Joachim Seffrin

Alopecia areata ist ein in der Allgemeinarztpraxis

Stellen der Kopfhaut befallen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Manche Patienten müssen jedoch ausgedehnten bis kompletten Haarverlust hinnehmen. Im August berichtete die Zeitschrift Nature Medicine [1] über Fortschritte in der Be-handlung der Alopecia areata.

Diese Erkrankung beruht auf einer Autoim-munreaktion, bei der die Haarfollikel bekämpft und zerstört werden. Die Behandlung z.B. mit lokalen Steroiden war bis-her frustrierend und wenig überzeugend. Auch die An-wendung der Quadratsäure konnte nicht überzeugen, führt diese doch über eine allergische Reaktion zu einer ausgeprägten Ekzematisierung, die ähnlich inak-zeptabel ist wie die Erkrankung selbst.

Ein Team an der Columbia University hat bei Mäusen, die spontan Alopecia areata entwickeln, gefunden, dass die so genannte Janus Kinase (JAK) eine besondere Rolle im Krankheitsprozess spielt. Die lokale Behandlung mit JAK-Inhibitoren führte zu einem Wachstum der Haare und dem Rückgang der Erkrankung. In einem Versuch wurde fünf Patienten der Wirkstoff Ruxolitinib [2] oral verab-reicht, die nach Angaben der Forscher innerhalb von fünf Monaten eine nahezu komplette Remis-sion erlebten. Bemerkenswert ist, dass für diese nicht lebensbedrohliche Erkrankung eine solche Intervention gewagt wurde (Nebenwirkungsrisi-ken siehe unten!) und die Ethikkommission dieser zugestimmt hat.

Der Wirkstoff ist in Deutschland unter dem Han-delsnamen Jakavi® erhältlich und u.a. für die Be-

Die Kosten liegen übrigens für 28 Tage bei rund 3.700 €. Doch das eigentliche Problem der Be-handlung mit diesen Wirkstoffen besteht in ihren bedenklichen potenziellen Nebenwirkungen.

-nie und Anämie. Fragwürdiger sind wohl die viel-fältigen ernsten Infektionsrisiken, die mit der Behandlung einhergehen. Die Immunabwehr wird gefährlich beeinträchtigt und die Patienten müs-

sen unter dieser Therapie das Auftreten bakterieller Infektionen, Pilzinfektionen, Zosterinfektionen und Auf-

-ellen Infektionen fürchten. Nicht zuletzt ist mit einer

erhöhten Rate an Krebserkrankungen zu rechnen.

Letztlich eine spannende, interessante Entde-ckung, die manchem schwer betroffenen Patien-ten eine Hoffnung spenden mag. Die möglichen Nebenwirkungen dürften aber einer Therapie im Wege stehen.

Literatur:

PS: Bei meiner Recherche habe ich entdeckt, dass sogar Spiegel Online darüber berichtet hat [3]. Eventuell werden Patienten Sie mit Fragen konfrontieren.

dIZ

eN

Ist volles Haar die Lebensgefahr wert?

Page 40: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 40 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Die umfassende und praxisorientierte Leitlinie der Plättchenhemmung bei KHK referiert die beiden großen Indikationsgruppen der KHK:1. Die stabile koronare Hererkrankung und2. Das akute koronare Syndrom. Kommentar zu 1Der Leser wird ein wenig im unklaren gelassen, was er bei Kontraindikationen für ASS/Clopidogrel nach Stentimplantation machen soll. Zunächst ist das ein Thema, das den interventionellen Kardiologen fordert: DER muß sich überlegen, ob und wann in so einer Situation eine Stentimplantation wirklich sicher und gerechtfertigt ist. Er muß und wird dann auch genaue Anweisungen für die Nachbe-handlung mit Thromboztenaggregationshemmern machen, für die er auch verantwortlich ist.

„Drückt“ sich der Interventionalist davor, „ver-gißt“ er es oder treten die Kontraindikationen erst im Verlauf auf, fehlt hier eine Angabe, was der Leser/Hausarzt dann tun soll. Es käme bei ASS-Kon-traindikation eine Höherdosierung des Clopidogrel in Betracht, gekoppelt an eine Thrombozytenfunk-tionstestung. Schwierig wird es, wenn objektiv Kontraindikationen gegen Clopidogrel bestehen. Dann hätte der Interventionalist eher auf den Stent zugunsten einer anderen (medikamentösen oder operativen) Therapie verzichtet.

Schwer tue ich mich bei der Empfehlung, dass bei einem medikamentenbeschichteten Stent (DES) Clopidogrel nur für 6 Monate zum ASS eingenom-men werden soll – zumal hier nur eine einzelne Studie (PRODIGY) das Vorgehen stützt, Clopidogrel verkürzt (6 Monate) zu geben; in dieser Untersu-chung war aber der Vergleichsgruppe die duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel und ASS 24 Monate gegeben worden, was sicherlich zum Teil die erhöhten Blutungsraten erklärt.

Die vollständige Endothelialisierung (und damit das Ende der Stentthrombosengefahr) hängt doch sehr von der Art des DES ab und davon, wie und mit

Die Gefahr einer Stentthrombose bei einem noch nicht voll endothelialisierten Stent ist sehr hoch.

eines Kardiologen gelesen

Ich tendiere dazu, hier weiterhin Clopidogrel für 12 Monate zu geben – bis mehrere randomisierte

-heit bringen können.

Kommentar zu 2Bei der Indikationsstellung für die teure Therapie mit Ticagrelor sollte der Verordner darauf ach-ten, dass die Kriterien für ein akutes koronares

ST-Streckenveränderungen im Aufnahme-EKG des Krankenhauses oder ein relevanter Troponinan-stieg auf über 0,08 g pro Liter. Und dies nicht bei

Voraussetzungen waren nämlich die Einschlußkrite-rien für die zur Zulassung führende Studie PLATO, die zur Grundlage der Leitlinienempfehlungen he-rangezogen wird – war das Troponin normal, gab es keinen Vorteil des Ticagrelor.

Schwer tue ich mich bei der Grundsatzempfeh-lung „Ticagrelor für ein Jahr zum ASS“, wenna) bei der Akutbehandlung das Infarktgefäß

nicht eröffnet werden konnteb) kein Stent (sondern Bypass-OP oder rein

medikamentöse. Therapie) eingebaut wurde,

allem durch die Vermeidung von Stentthrom-bosen ergibt. Für die Subgruppen von a) und b) ergibt sich in der PLATO-Studie kein Hin-

Die Patienten, die Ticagrelor nicht vertragen, sollten entgegen der S1-Leitlinie eigentlich unab-hängig vom implantierten Stent über 12 Monate Clopidogrel einnehmen – so jedenfalls alle Leitlinien vor der Etablierung des Medikamentes Ticagrelor.

Die Feststellung, dass beim akuten Koronar-syndrom „Prasugrel nicht indiziert ist (Nutzen-Risiko(Blutungs-Verhältnis ungünstig)“ entspricht nicht der Datenlage oder den Empfehlungen der Fachgesellschaften AHA, ESC, DGK.

Dr. med. Christian Albrecht,Internist, Kardiologe

Königstein

Page 41: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 41Nr. 4 / 2014 KVH aktuell

Nach Empfehlungen europäischer Gesellschaften soll bei der Therapie der Hypertonie ein Zielblut-druck von 140/90 mm Hg angestrebt werden, bei Hochbetagten gelten Werte zwischen 140 und 150 mm Hg als ausreichend. Bei Diabetikern werden diastolische Werte zwischen 80 und 85 mm Hg empfohlen.

In einer pharmakritischen Zeitschrift wird eine systematische Zusammenfassung von vier Studien an circa 9.000 Hypertonikern zitiert, nach der eine antihypertensive Therapie bei Werten zwischen 140/90 und 160/95 mm Hg bei Patienten ohne

Empfohlener Zielblutdruck zu niedrig?

kardiovaskuläre oder renale Erkrankungen die gefürchteten Komplikationen einer Hypertonie wie Schlaganfall oder KHK nicht verringerte. Sta-tistisch traten, nicht verwunderlich, vermehrt uner-wünschte Arzneimittelwirkungen auf (eingesetzte Arzneistoffe: Thiazide, Betablocker). Die Autoren empfehlen bei dieser Patientengruppe ohne zu-sätzliche Risiken vermehrte Bewegung, reduzierte Salzzufuhr und eventuell eine Reduzierung des Körpergewichtes und des Alkoholkonsums.

Dr. med. Günter Hopf

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi-zinprodukte (BfArM) warnt vor der Anwendung des Produkts „Miracle Mineral Supplement“. In Spam-E-Mails und über das Internet wird dieses Natriumchlorit-haltige Präparat unter anderen als Mittel gegen Krebs, Malaria und chronische Infek-tionen beworben. Natriumchlorit setzt, mit einer Säure versetzt, Chlordioxid frei, das mit erheblichen Gesundheitsgefahren (Verätzungen) verbunden ist.

-liebt. Ein bräunliches, nach Zimt riechendes Pulver, erworben in Vietnam, wurde von einer Patientin zur Untersuchung vorgelegt. Ein undeklariertes Pul-verbriefchen mit 2,6 g Pulver enthielt zwar einige Zellwandbestandteile von Zimtrinde, überwiegend

Neue „Wundermittel“

jedoch 863 mg Paracetamol, dazu noch 262 mg Sulfamethoxazol (Bestandteil des Antibiotikums Cotrim) und 42 mg Indometacin. Diese irrationale Mischung kann bei Einnahme mehrerer Briefchen

-tamol-haltiger Arzneimittel zu schwerwiegenden Leberschäden und bei dauerhafter Einnahme zu einer Antibiotikaresistenz führen.

Der Glaube an Wundermittel ist wohl nicht aus-zurotten. Ärztinnen und Ärzte sollten zur Aufklä-rung beitragen und vor allem vor undeklarierten Präparaten eindringlich warnen.

Dr. med. Günter Hopf

Die Teratogenität von Acitretin (Acicutan®, Neoti-gason®) ist bekannt. Nach Absetzen der Therapie soll nach Herstellerangaben noch zwei Jahre jede Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Die lange Halbwertszeit dieser Arzneistoffe im Fettgewebe hat zu Empfehlungen in den USA geführt, insgesamt drei Jahre nach der letzten Einnahme eine Schwanger-

schaftsverhütung durchzuführen. Zum Schutz von Frauen im gebärfähigen Alter sollte diese längere Frist eingehalten werden. Dies gilt auch für Etretinat-haltige Arzneimittel (in Deutschland aus dem Handel).

Dr. med. Günter Hopf

Page 42: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Seite 42 Nr. 4 / 2014KVH aktuell

Immer wieder versucht die Arzneimittelwerbung für die neuen blutzuckersendenden Wirkstoffe der SGLT2-Hemmer den Eindruck zu erwecken, dass diese eine bessere Wirkung bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ II hätten, als eine bisherige Standardtherapie.

Nach der Nutzenbewertung des G-BA weisen Da--

in der Monotherapie und in der Kombinationsthera-pie mit anderen blutzuckersendenden Substanzen,

u. a. auch Insulin, keinen Mehrnutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie des G-BA auf. Bei dieser handelt es sich um die evidenzba-sierte Standardtherapie des Diabetes mellitus Typ II entsprechend den Leitlinien.

Bei dem zuletzt zugelassenen SGLT2-Inhibitor Empagliflozin ist die Nutzenbewertung nach AMNOG durch den G-BA noch nicht abgeschlossen.

Dr. med. Wolfgang LangHeinrich

SGLT2-Inhibitoren gegen Diabetes: Ausschuss sieht keinen Zusatznutzen

Auf den beiden folgenden Seiten stellen wir Ihnen eine Kurzfassung der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin zu den neuen oralen Antikoagulanzien bei nichtval-

Die Bewertung von Arzneimittelrisiken gehört zu den schwierigsten Aufgaben einer Arzneimittel-überwachungsbehörde. Vor allem die Einschät-zung, ob ein Nutzen für einige Menschen oder Menschengruppen das mögliche Risiko für andere Gruppen überwiegt, ist insbesondere bei neu zugelassenen Arzneimitteln mit einem hohen Un-sicherheitsfaktor verbunden. Aber auch bei alten, „bewährten“ Arzneistoffen können neu entdeckte Risiken oder die wachsende Anzahl bekannter Risiken zu einer Neueinschätzung führen. Die un-tenstehende Tabelle zeigt einige Beispiele.

Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern, in denen eine utilitaristische Ethik mit dem Ziel eines maximalen Nutzens für die gesamte Gesellschaft vertreten wird, wird bei uns überwiegend eine

Bewertungen von Arzneimittelrisiken

Jahr Arzneistoff Indikation RisikenSibutramin Adipositas kardiovaskuläre Komplikationen

Dermatitis Allergien

pAVK

Metoclopramid

Debatte über Risiken im Sinne der Kant’schen Ethik geführt: Den Rechten des Individuums kommt eine hohe Bedeutung zu.

Welche Ethik man auch vertritt, Arzneimittelrisi-ken müssen offengelegt und das aktuell bekannte Nutzen/Risikoverhältnis benannt werden (siehe Oseltamivir-Diskussion zum Nutzen der Neurami-nidasehemmer zur Grippeprophylaxe).

Generell kann nicht oft genug darauf hinge-wiesen werden, auf unerwünschte Wirkungen zu achten und diese an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu berichten (auch Ver-dachtsfälle).

Dr. med. Günter Hopf

Page 43: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

Autoren: H.-O. Wagner und A. Liesenfeld Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny Version 1.0, Stand 2013; © DEGAM www.degam-leitlinien.de

DEGAM S1-Handlungsempfehlung

Neue orale Antikoagulanzien

Versorgungsproblem:Als Standard für die orale Antikoagulation gilt die Behandlung mit einem Vitamin-K- An-tagonisten (VKA)1. Zusätzlich sind jetzt neuere Wirkstoffe, die sogen. neuen oralen Antikoagu-

2. Zum Gebrauch die-

und Bewertungen.

Diese Empfehlung und der folgende Algo-rithmus enthalten Ratschläge der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Fami-

und gelten ausschließlich für den ambulanten, hausärztlichen Versorgungsbereich. Die Hinweise sollen Hausärztinnen und Hausärzte bei notwen-digen Entscheidungen in der täglichen Praxis unterstützen. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und gelten nur solange, bis neuere Empfehlungen sie ablösen.Bitte prüfen Sie Aktualisierungen immer auf der Internetseite der DEGAM www.degam.de.Diese Handlungsempfehlung bezieht sich ausschließlich auf Patienten mit nicht-valvu-

-kation zur längerfristigen Antikoagulation nach dem CHADS2- oder CHA2DS2VASc-Score besteht.

Chancen und Risiken der NOAK:-

tienten dar, für die VKA nicht infrage kommen -

Vor und während der Anwendung der NOAK soll in jedem Fall die Nierenfunktion (Kreati-

medcalc.com) überprüft werden. Dosisanpas-sungen sind je nach eingesetzter Substanz und

höherem Alter, bestimmten Komedikamenten, niedrigem Körpergewicht, Magen-Darm-Anamne-se, hohem Blutungsrisiko.

-empfehlungen und Warnhinweise der Fach-informationen sind genau zu beachten. Jeder Patient mit NOAK soll einen Patientenaus-

die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Kontrollen und über das Problem eines feh-lenden Antidots aufgeklärt werden.

Statement:Insgesamt ergeben sich aus Sicht der DEGAM

-laxe kardio-embolischer Erkrankungen bei

NOAK.Es gibt eine ernstzunehmende Kritik an den drei Zulassungsstudien, die allesamt Nicht-Unterle-genheits-Studien sind. Es bleibt außerdem unklar, welche Relevanz eine in den Studien nachweis-bare marginale Risikoreduktion3 im klinischen Alltag besitzt, insbesondere bei Patienten, die gut eingestellt sind oder eine INR-Selbstkontrolle durchführen.Bei höherem Alter, niedrigem Körpergewicht, Polymedikation, unsicherer Therapietreue, TAH- und/oder NSAR-Einnahme, Multimorbitität, Ma-gen- und Blutungsanamnese und erhöhtem Blu-tungsrisiko bestehen unbekannte Risiken.

-fahrungen in der breiten Anwendung existie-ren. Die NOAK benötigen eine erhöhte Auf-merksamkeit. Unerwünschte Ereignisse sollen bei der Arzneimittelkommission der Deutschen

werden.

Weitere Informationsquellen:AkdÄ:

in Health: Antithrombotic agents for the preven-tion of stroke and systemic embolism in patients

Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN): Antithrombotics: indications and manage-ment, http://www.sign.ac.uk

1 VKA/Cumarine: Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®, Generika) oder Warfarin (Coumadin®).2 NOAK: Faktor Xa-Hemmstoff Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) und der Thrombinhemmstoff Dabigatran (Pradaxa®)3 Das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IGWiG) hat in seiner Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V vom

27.03.2013 für Patienten der VKA-Population in der ARISTOTLE-Studie mit Alter 65 Jahren einen Hinweis für einen Zusatznutzen von Apixaban gegenüber Warfarin festgestellt

Page 44: Pharmako Hamburg 2014 04M - kvhh.net · Mittel gegen Hepatitis C: Absurde Preisforderung sprengt jeden Rahmen sondern das Start-up-Unternehmen „Sovaldi“ für 11 Milliarden Dollar

XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 WiesbadenPVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689

PH863453V

Neue orale AntikoagulanzienS1-Handlungsempfehlung

Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern(Bei gegebener Indikation nach CHADS2-/ CHA2DS2VASc-Score und gemeinsamer Entscheidung mit dem Patienten)

abklären: Wäre zum jetzigen Zeitpunkt

eine Umstellung von NOAK auf VKA

möglicherweise problematisch oder besteht ein Patientenwunsch

für NOAK? c

liegen Kontraindikationen

für NOAK vor? b mechanische Herzklappe

oder duale TAH

oder schwere Lebererkrankung

oder schwere Niereninsuffizienz

CrCl < 30-15 ml/min b

NOAK erwägen d

nein

VKA indiziert

Therapie mit OAK bereits begonnen (mit NOAK oder VKA )

mit

NOAK mit

VKA

abklären: War eine Therapie mit VKA früher bereits schwierig oder könnte schwierig werden

und/oder ist die regelmäßige Kontrolle des INR-Wertes schwierig und/oder besteht für VKA ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittel- oder Arzneimittel-Interaktionen? a

sg

nein

nein ja

ja ja

ja

ja

ja

NOAK können eine Option sein für Patienten, die mit VKA schlecht einzustellen sind

oder eine erhöhtes Risiko für Interaktionen haben. Liegt diese Voraussetzung vor? a

nein

ja

nein

abklären abklären

OAK: NOAK: VHF:CrClr: NSAR:INR: International Normalized Ratio

a keine Indikationen für NOAK: gute Einstellbarkeit mit VKA (INR stabil im therapeutischen Bereich), erhöhte Blutungsgefährdung/erhöhter HAS BLED-Score, http://www.medcalc.com >2 (cave: fehlendes Antidot), Blutung unter VKA bei INR im Zielbereich

b weitere Kontraindikationen für NOAK: Schwangerschaft, Stillperiode, Kinder und Jugendliche, systemische Antimykotika, Makrolidantibiotika, HIV-Proteaseinhibitoren, Dialyse, CrCl < 30 ml/min bei Dabigatran, sonst <15 ml/min, hohes Blutungsrisiko

c Grundsätzlich sollte eine Umstellung von NOAK auf VKA gut überlegt und geplant werden. Prinzipiell besteht in Umstellungsphasen ein erhöhtes Risiko, sowohl für Blutungen wie auch für Thromboembolien. Von Dabigatran auf VKA wenn CrCl 50 ml/min: VKA drei (zwei bei

30 bis <50 ml/min) Tage parallel. INR-Test frühestens zwei Tage nach Ende von NOAK. Von Rivaroxaban oder Apixaban auf VKA: VKA parallel bis INR 2,0. INR-Test frühestens 24 Stunden nach Ende von NOAK

Multimorbitität, Magen- und Blutungsanamnese