Plastische Parodontalchirurgie – von der mucogingivalen Therapie bis zur heutigen Mikrochirurgie

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fortbildung Stomatologie (2010) 107: 147-151 DOI 10.1007/s00715-010-0128-3 © Springer-Verlag 2010 Printed in Austria Plastische Parodontalchirurgie – von der mucogingivalen Therapie bis zur heutigen Mikrochirurgie Michael Müller Parodontologie und Prophylaxe, Bernhard Gottlieb Universitätszahnklinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich Zusammenfassung: Die plastische Parodontalchirurgie bein- haltet nicht nur einen Stopp der Progression der gingivalen Rezession, sondern auch, wenn möglich, die vollständige De- ckung der exponierten Wurzeloberfläche und die Verbesse- rung der funktionellen und ästhetischen mucogingivalen Ver- hältnisse. Mit den heute bekannten minimalinvasiven und Evidenz basierenden Methoden der plastischen Parodontal- chirurgie ist die Regeneration beziehungsweise Reparation der verloren gegangenen Strukturen bis zu einem bestimmten Ausmaß möglich. Schlüsselwörter: plastische Parodontalchirurgie, gingivale Rezession, Miller Klassen, Rezessionsdeckung Periodontal plastic surgery from the mucocingi- val surgery to today´s microsurgery Summary: e plastic periodontal surgery includes not only the stop of the progression of gingival recession, but also, if possible, the complete coverage of exposed root surfaces and the improvement of the functional and aesthetic mucogingi- val conditions. Repair or regeneration of lost structures up to a certain extent is possible with the currently known evidence- based and minimal invasive methods of plastic periodontal surgery. Keywords: Periodontal plastic surgery, gingival root expo- sure, gingival recession, Miller Classification, root coverage Einleitung Die mucogingivale erapie und erste Anfänge der chirurgi- schen Intervention am Weichgewebe wurden durch Friedman (1957) publiziert. Die mucogingivale Chirurgie umfasste chir- urgische Techniken, die dem Erhalt der Gingiva, Entfernung von pathologischen oder störenden einstrahlenden Bänder- und Muskelansätzen als auch der Vertiefung des Vestibulums für prothetische Notwendigkeiten dienten. Später wurde die- ser Begriff für alle chirurgische Verfahren an der Gingiva ein- schließlich der Alveolarmukosa und sogar für spezielle Techni- ken, die den Sinn verfolgten Sondierungstiefen zu verringern, verwendet. In Abhängigkeit auf das Ausmaß der Gingiva und verschiedenen Rezessionstypen bevorzugte Miller (1993) in Übereinstimmung mit der American Academy of Periodonto- logy den Begriff der plastischen Parodontalchirurgie. Die plastische Parodontalchirurgie umfaßt alle präventi- ven und korrigierenden Maßnahmen, um anatomische, emb- ryologische, traumatische oder krankheitsbedingte Defekte der Gingiva, der Alveolarmukosa oder des Alveolarknochens zu therapieren. Dazu zählen: Rezessionsdeckung Verbreiterung der Gingiva propria Kronenverlängerungen aus ästhetischen oder parodontal prothetischen Gründen Alveolarkammaugmentation Rekonstruktion der Papille Chirurgische Freilegung von retinierten Zähnen Korrektur, Entfernung abweichender, abnorm einstrahlen- der Bändchen Korrektur mucogingivaler Defekte um Implantate Die Beschreibung veränderter Zustände gelingt aber nur unter Kenntnis von Zahnformen, Größenverhältnisse, Zahn- stellungen in Relation zueinander sowie in Bezug auf die Al- veolarkämme, Mittellinie, Lachlinie, Okklusionsebene und „Rot-Weiß“ Ästhetik. Die gingivale Harmonie richtet sich auch nach den unterschiedlichen Phänotypen „high thin scalloped“ und „low thick“. Weiters sind für die natürliche, ästhetische Wirkung eines Gesichts verschiedene Parame- ter beschrieben. Symmetrie der rechten und linken Ge- sichtshälfte, horizontale Ausrichtung der Interpupillarlinie, Parallelität der Verbindungslinie der Pupillen und der Ok- klusionsebene, sowie Regeln, die die Gesichtshöhe vertikal einteilen. Per definitionem ist eine gingivale Rezession die orale Ex- position der Wurzeloberfläche, durch den apicalen Versatz des gingivalen Epithelrandes in Bezug auf die Schmelzzement- grenze. Damit einhergehend Beeinträchtigung der Ästhetik. Für die objektive Beschreibung gingivaler Rezessionen wurden viele Indices entworfen, die die vertikale und horizon- tale Ausdehnung, sowie die Veränderungen der Papille beur- teilten. Übereinkommend verwendet man heute für die Ein- teilung der gingivalen Rezessionen die Miller Klassifikation (Miller 1985). Dieser Index ist nicht nur deskriptiv sondern er- Korrespondenz: Parodontologie und Prophylaxe der Bernhard-Gott- lieb-Universitätszahnklinik Wien, Leitung der „parodontal-ästheti- schen“ Sprechstunde, Sensengasse 2a, A-1090 Wien E-mail: [email protected] stomatologie © Springer-Verlag 7-8/2010 stomatologie Plastische Parodontalchirurgie 147

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Stomatologie (2010) 107: 147-151DOI 10.1007/s00715-010-0128-3© Springer-Verlag 2010Printed in Austria

Plastische Parodontalchirurgie – von der mucogingivalen Therapie bis zur heutigen MikrochirurgieMichael Müller

Parodontologie und Prophylaxe, Bernhard Gottlieb Universitätszahnklinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich

Zusammenfassung: Die plastische Parodontalchirurgie bein-haltet nicht nur einen Stopp der Progression der gingivalen Rezession, sondern auch, wenn möglich, die vollständige De-ckung der exponierten Wurzeloberfläche und die Verbesse-rung der funktionellen und ästhetischen mucogingivalen Ver-hältnisse. Mit den heute bekannten minimalinvasiven und Evidenz basierenden Methoden der plastischen Parodontal-chirurgie ist die Regeneration beziehungsweise Reparation der verloren gegangenen Strukturen bis zu einem bestimmten Ausmaß möglich.

Schlüsselwörter: plastische Parodontalchirurgie, gingivale Rezession, Miller Klassen, Rezessionsdeckung

Periodontal plastic surgery from the mucocingi-val surgery to today´s microsurgery

Summary: The plastic periodontal surgery includes not only the stop of the progression of gingival recession, but also, if possible, the complete coverage of exposed root surfaces and the improvement of the functional and aesthetic mucogingi-val conditions. Repair or regeneration of lost structures up to a certain extent is possible with the currently known evidence-based and minimal invasive methods of plastic periodontal surgery.

Keywords: Periodontal plastic surgery, gingival root expo-sure, gingival recession, Miller Classification, root coverage

Einleitung

Die mucogingivale Therapie und erste Anfänge der chirurgi-schen Intervention am Weichgewebe wurden durch Friedman (1957) publiziert. Die mucogingivale Chirurgie umfasste chir-urgische Techniken, die dem Erhalt der Gingiva, Entfernung von pathologischen oder störenden einstrahlenden Bänder- und Muskelansätzen als auch der Vertiefung des Vestibulums für prothetische Notwendigkeiten dienten. Später wurde die-ser Begriff für alle chirurgische Verfahren an der Gingiva ein-

schließlich der Alveolarmukosa und sogar für spezielle Techni-ken, die den Sinn verfolgten Sondierungstiefen zu verringern, verwendet. In Abhängigkeit auf das Ausmaß der Gingiva und verschiedenen Rezessionstypen bevorzugte Miller (1993) in Übereinstimmung mit der American Academy of Periodonto-logy den Begriff der plastischen Parodontalchirurgie.

Die plastische Parodontalchirurgie umfaßt alle präventi-ven und korrigierenden Maßnahmen, um anatomische, emb-ryologische, traumatische oder krankheitsbedingte Defekte der Gingiva, der Alveolarmukosa oder des Alveolarknochens zu therapieren. Dazu zählen:

Rezessionsdeckung■■

Verbreiterung der Gingiva propria■■

Kronenverlängerungen aus ästhetischen oder parodontal ■■

prothetischen GründenAlveolarkammaugmentation■■

Rekonstruktion der Papille■■

Chirurgische Freilegung von retinierten Zähnen■■

Korrektur, Entfernung abweichender, abnorm einstrahlen-■■

der BändchenKorrektur mucogingivaler Defekte um Implantate■■

Die Beschreibung veränderter Zustände gelingt aber nur unter Kenntnis von Zahnformen, Größenverhältnisse, Zahn-stellungen in Relation zueinander sowie in Bezug auf die Al-veolarkämme, Mittellinie, Lachlinie, Okklusionsebene und „Rot-Weiß“ Ästhetik. Die gingivale Harmonie richtet sich auch nach den unterschiedlichen Phänotypen „high thin scalloped“ und „low thick“. Weiters sind für die natürliche, ästhetische Wirkung eines Gesichts verschiedene Parame-ter beschrieben. Symmetrie der rechten und linken Ge-sichtshälfte, horizontale Ausrichtung der Interpupillarlinie, Parallelität der Verbindungslinie der Pupillen und der Ok-klusionsebene, sowie Regeln, die die Gesichtshöhe vertikal einteilen.

Per definitionem ist eine gingivale Rezession die orale Ex-position der Wurzeloberfläche, durch den apicalen Versatz des gingivalen Epithelrandes in Bezug auf die Schmelzzement-grenze. Damit einhergehend Beeinträchtigung der Ästhetik.

Für die objektive Beschreibung gingivaler Rezessionen wurden viele Indices entworfen, die die vertikale und horizon-tale Ausdehnung, sowie die Veränderungen der Papille beur-teilten. Übereinkommend verwendet man heute für die Ein-teilung der gingivalen Rezessionen die Miller Klassifikation (Miller 1985). Dieser Index ist nicht nur deskriptiv sondern er-

Korrespondenz: Parodontologie und Prophylaxe der Bernhard-Gott-lieb-Universitätszahnklinik Wien, Leitung der „parodontal-ästheti-schen“ Sprechstunde, Sensengasse 2a, A-1090 Wien E-mail: [email protected]

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laubt auch eine prognostische Aussage auf die Vorhersagbar-keit einer chirurgischen Intervention.

Ätiologisch betrachtet sind anatomische Beziehungen Zahn zu Knochen, Knochendehiszenzen & Fenestrationen als primäre Ursache für gingivale Rezessionen auszumachen. Als Kofaktoren gelten Trauma, Putztechnik sowie Frequenz und Beschaffenheit der Zahnbürste, als auch Frenula, lokale Fak-toren (iatrogene Ursachen), Schmelzzungen, okklusale Fakto-ren, Parodontitis, parodontales Debridement, Zahnfehlstel-lung, oder orthodontische Bewegungen.

Indikationen für chirurgische Interventionen sind:Ästhetische Ansprüche des Patienten■■

Verbreiterung der befestigten Gingiva (vor Orthodontie, ■■

Hygieneproblem)Progressive Rezession■■

Wurzelkaries■■

Sensible Zahnhälse (limitierte Indikation)■■

Wichtige Voraussetzung für einen parodontalchirurgischen Eingriff ist, dass alle PatientInnen in ein parodontales Thera-piekonzept mit Debridement, umfassenden Mundhygieneinst-ruktionen, Auswahl geeigneter Mundhygienehilfsmittel einge-bunden sind und Entzündungsfreiheit besteht. Zuvor gilt es eine genaue Diagnostik mit Fotos und in manchen Fällen auch Studienmodellen aus forensischer Sicht durchzuführen. Wei-

ters wird in dieser ersten Phase der Therapie versucht, Risiko-faktoren der Progression der gingivalen Erkrankung und solche, die negative Auswirkungen auf ein positives Ergebnis haben, zu minimieren. Kriterien einer erfolgreichen Rezessionsdeckung sind: eine vollständige Deckung der gingivalen Rezession, das heißt der gingivale Epithelrand liegt an der Schmelzzement-grenze. Die Sondierungstiefe beträgt ≤ 2mm und es zeigt sich ein stabiler Gingivaverlauf mit einem breiten Band an keratini-sierter Gingiva bei negativem „bleeding on probing“.

Techniken zur Rezessionsdeckung

Durch Variationen der Schnittführung und Lappenverlage-rung in Kombination mit Transplantaten, Membranen, Wachstumsfaktoren und Schmelzmatrixproteinen haben sich verschiedene erfolgsversprechende Methoden entwickelt:

Die Semilunartechnik1. Diese Technik wird ausschließlich im Oberkiefer bei singu-

lären oder nebeneinander liegenden multilokulären Rezessio-nen angewendet. Vorausgesetzt ausreichend vorhandene kera-tinisierte Gingiva. Der Nachteil bei dieser Methode besteht in der oft narbigen Ausheilung apical der Rezession (Abb. 1–3).

Techniken mit Lappenverlagerung2. Durch vertikale und, oder horizontale Incisionen werden

bewegliche Mucosalappen präpariert, die anschließend über

Abb. 1: Patientin 51a, generalisierte Rezessionen. Miller Klasse I Regio 21,22,23

Abb. 2: Incision an der Mucogingivalen Grenzline entsprechend der Semilunartechnik Abb. 3: Ergebnis ein Jahr postoperativ

Abb. 4: Patientin 52a, Rezession 23 Miller Klasse I

Abb. 8: Patientin 32a, Miller Klasse II Regio 13

Abb. 6: Nach coronal verscho-bener Mucosalappen und Fixation durch Einzelknopfnähte und Umschlingungsnaht

Abb. 10: Einziehen des freien Bindegewebstransplantates (6x4x1,5mm) mit der Naht in das zuvor präparierte Empfängerbett

Abb. 5: Incision für coronal zu verschiebenden Lappen

Abb. 9: Incision mit der Mikroklinge und Bildung eines unterminierenden Mucosaanteils

Abb. 7: Ergebnis ein Jahr postoperativ

Abb. 11: Ergebnis ein Jahr postoperativ

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die Rezession bewegt, rotiert und an neuer Position vernäht werden. Auch diese Techniken setzen keratinisierte Gingiva coronal oder lateral des zu verschiebenden Anteils voraus und zeigen oft nach Abheilung kleine Narbenstränge an den Hilfs-inzisionen.

Coronal verschobener Lappena. (Abb. 4–7)Lateral verschobener Lappenb. Doppelt lateral verschobener Lappenc.

Die Envelopetechnik: 3. (Abb. 8–11)Durch den minimalinvasiven Zugang zeigt diese Technik bei

singulären gingivalen Rezessionen kaum Narbenbildung. Wei-ters kann diese Technik auch eingesetzt werden, wenn apical der Rezession kaum bis keine keratinisierte Gingiva vorliegt.

Die Tunneltechik4. Entspricht der Envelope-Technik bei mehreren nebenein-

ander liegenden Rezessionen. Hauptaugenmerk liegt bei der Präparation darauf, Perforationen zu vermeiden und eine gute Verschieblichkeit des Lappen zu erreichen. Für die Posi-tionierung des beweglichen Mucosaanteiles werden spezielle Haltenähte mit coronalem Zug verwendet.

Die Methoden der Punkte 2 bis 4 sind auch für kombinierte Verfahren einsetzbar und werden oft gemeinsam mit Binde-gewebstransplantaten, seltener mit Schmelzmatrixproteinen, Membranen (resorbierbar oder nichtresorbierbar) und allo-genen Transplantaten (AlloDerm®) verwendet.

Die Periosteversionstechnik 5. (Virnik et al. 2009)Diese Technik beruht auf einem appräparierten gestielten

Periostlappen, der reversiv von einem Mucoperiostlappen ab-

gelöst und anschließend über die Rezession gelegt und ver-näht wird.

Das freie Schleimhauttransplantat (siehe Verbreiterung 6. der Gingiva propria)

Die Selektion der einzelnen Techniken richtet sich nach vertikaler und horizontaler Ausdehnung der gingivalen Re-zession, Anzahl der betroffenen Zähne, sowie dem Ausmaß an keratinisierter Gingiva apical der Rezession. Bei der Entschei-dungsfindung kann das Konzept von Wachtel herangezogen werden (Tabelle 1).

Verbreiterungen der Gingiva propria

Lange herrschte Uneinigkeit über die notwendige Breite für gesunde und stabile Verhältnisse der festsitzenden Mund-schleimhaut. Sie zeigt eine inter- und intraindividuelle Schwankungsbreite zwischen 1 bis 9 mm. Entgegen der an-fänglichen Annahme von Nabers, Friedman und Ochsenbein, zeigten neuere Untersuchungen, dass eine geringere Breite bis hin zur völlig fehlende Gingiva propria mit gesunden par-odontalen Verhältnissen vereinbar ist (Bowers 1963, Myasato 1977). Unter bestimmten Umständen ist aber eine gewisse Breite und/oder Dicke festsitzender Gingiva notwendig, um die Hygienefähigkeit aufrecht erhalten zu können. Dazu zäh-len Miller Klasse III und IV Rezessionen im nicht sichtbaren Bereich, Restaurationsränder äqui- und subgingival. Vor kie-ferorthopädischen Zahnbewegungen, vor allem in vestibulä-rer Richtung und rund um Implantate ist eine Verbreiterung

Abb. 12: Patientin 16a, St.post Geburtstrau-ma und KFO Miller Klasse III Regio 33

Abb. 13: Im Empängerbett fixiertes freies Schleimhauttransplantat (14x7x2mm) Abb. 14: Ergebnis ein Jahr postoperativ

TABELLE 1

Entscheidungshilfe für die einzelnen chirurgischen Methoden

Rezessionstiefe Höhe keratinisierte Gingiva apical

Breite keratinisierte Gingiva mesial / distal

Breite keratinisierte Gingiva mesial und distal Operationsmethode

< 3 mm < 2 mm Envelope

< 3 mm ≥ 2 mm Semilunar

≥ 3 mm ≥ 2 mm Coronal verschobener Lappen + BGT

≥ 3 mm < 2 mm ≥ Rezessionsbreite + 2 mm Lateral verschobener Lappen + BGT

≥ 3 mm < 2 mm ≤ Rezessionsbreite + 2 mm ≥ Rezessionsbreite + 1 mm „Double papilla“+ BGT

≥ 3 mm < 2 mm ≤ Rezessionsbreite + 2 mm ≤ Rezessionsbreite + 1 mm Freies Schleimhaut- transplantat

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der attached Gingiva notwendig. Um in solchen Situationen das Fortschreiten der Rezession zu verhindern, transplantiert man ein vom Gaumen entnommenes freies Schleimhaut-transplantat in das zuvor chirurgisch präparierte Empfänger-bett (Abb. 12–14)

Verlängerungen der klinischen Krone

Ein wichtiger Parameter in diesem Zusammenhang ist die biologische Breite, sowie die Bezugspunkte Schmelzzement-grenze und Limbus alveolaris. Angewandte Verfahren für die Kronenverlängerungen aus ästhetischen oder parodontal pro-thetischen Gründen sind die Gingivoplastik, Gingivektomie und gegebenenfalls Osteoplastik sowie Ostektomie.

Rekonstruktion des Alveolarfortsatzes

Im Bereich zahnloser Alveolarfortsätze gelingt die Wiederher-stellung der interdentalen Papillen vor der Eingliederung ei-ner prothetischen Brücke oder Implantaten ebenfalls nur nach Rekonstruktion der physiologischen anatomischen Di-mensionen. Zur Rekonstruktion des Alveolarfortsatzes in sei-nen ursprünglichen Dimensionen bei Einzelzahnlücken und erhaltenen Papillen reicht in der Regel die Übertragung von subepithelialem Bindegewebe aus. Oft kommt die Einlage-rung des Transplantats als „interpositional-graft“ zwischen die beiden Schichten eines gespaltenen Weichteillappens zur

Anwendung. Für die Aug-mentation von Hartgewebe werden Onlay- oder Inlay-grafts eingesetzt. Diese zei-gen aber oft unmittelbar postoperativ eine unzurei-chende Versorgung und so-gar Nekrosen. Zukünftig hofft man durch Wachstumsfakto-ren – insbesondere die soge-nannten „bone morphoge-

nic proteins“ – die Hartgewebsaugmentation verbessern und die therapeutischen Alternativen erweitern zu können.

Rekonstruktion der interdentalen Papille

Takei befasste sich mit den wesentlichen Aspekten der chirur-gischen Rekonstruktion der interdentalen Papille an natürli-chen Zähnen. Entscheidend für die Wiederherstellung der Pa-pille ist neben physiologischen Kontaktverhältnissen zwischen den benachbarten Zähnen, eine nicht zu große apikokoronale Distanz zwischen dem Approximalkontakt und dem darunter befindlichen Alveolarknochen (nicht mehr als 6 mm). Ist der Abstand krankheitsbedingt größer oder fehlt der Approximal-kontakt, ist eine dauerhafte Rekonstruktion der Papille nicht möglich. Die chirurgische Rekonstruktion der Interdentalpa-pille stellt nach wie vor eine der schwierigsten Aufgaben auf dem Gebiet der plastischen Parodontalchirurgie dar, da eine langfristige Prognose über das Therapieergebnis im Einzelfall nahezu unmöglich ist. Für die Papillenrekonstruktion ver-wendete Techniken sind Rolllappen und bilaminäre Tunnel-techniken, sowie konservative Wiederherstellung der Appro-ximalkontakte und kieferorthopädische Maßnahmen.

Chirurgische Freilegung von retinierten Zähnen

Die im Bereich der Kieferorthopädie zur Anwendung kom-menden chirurgischen Verfahren unterscheiden sich in Ab-hängigkeit vom Zeitpunkt des Durchtrittes der Zähne. Vor und während des Zahndurchtritts verwendet man am häufigsten die folgenden Techniken:

Den apikalen Verschiebelappen, den latero-apikaler Ver-schiebelappen, den apikalen Verschiebelappen in Verbin-dung mit einem Bindegewebstransplantat. Augenmerk ist im-mer auf die Zone der fixierten Gigiva zu legen, um diese nicht zu verlieren. Es kann aber auch vorkommen, dass nach dem Durchtritt der Zähne prophylaktisch ein freies Schleimhaut-transplantat zur Verbreiterung der Gingiva propria notwendig wird.

Korrektur, Entfernung abweichender, abnorm einstrahlender Bändchen

Abnorm einstrahlende Frenula können die Durchführung ei-ner effektiven Plaquekontrolle einrseits behindern und ande-rerseits als Kofaktor zu gingivalen Rezessionen führen. Fre-nula spielen manchmal auch eine Rolle beim Diastema mediale. In den meisten Fällen reicht eine Exzision, VY-, Z-Plastik aus. Je nach Ansatzstärke und Ausdehnung ist manch-mal eine Kombination mit einer Vestibulumplastik und einem freien Schleimhauttransplantat notwendig (Abb. 15–19).

Korrektur mucogingivaler Defekte um Implantate

Die Insertion von Implantaten nach Zahnverlust ist oft nur nach ein- oder zweizeitigen Hartgewebsaugmentationen durchführbar. Die adäquate Weichgewebssituation rund um das Implantat ist für ein stabiles ästhetisches und funktionel-les Langzeitergebnis von entscheidender Bedeutung. Für die passende Rot-Weiß Ästhetik und Hygienefähigkeit ist neben

Abb. 18: Mit Naht im Empfän-gerbett fixiertes freies Schleim-hauttransplantat (21x4.5x1.5mm)

Abb. 16: Abpräparation des Lippenbändchens

Abb. 19: Ergebnis ein Jahr postoperativ

Abb. 17: Apical verlagerter Mucosalappen und Lippenbänd-chen; mittels Periostnähten fixiert

Abb. 15: Patient 16a, Miller Klasse IV einstrahlendes Lippenbändchen Regio 32/42 Aplasie der Zähne 31/41

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der optimalen prothetischen Versorgung des Implantates auch ein harmonischer Verlauf der Gingiva ebenso wie ein ausreichendes Volumen an mastikatorischer Mukosa notwen-dig. Wenn dieser Zustand primär nicht erfüllt ist, können zum Aufbau verschiedene zuvor erwähnte Verfahren eingesetzt werden, um die periimplantäre Weichgewebssituation zu ver-bessern und zu stabilisieren. Eine objektive Bewertung dieser Ergebnisse ist durch den Pink Esthetic score gegeben (Für-hauser 2005).

Conclusion

Systematic Reviews zeigen, dass unabhängig von der gewähl-ten Therapiemethode nur bei Defekten vom Grad I und II mit einer vollständigen Restitution gerechnet werden kann, vor-ausgesetzt eine optimale postoperative Nachsorge und Wund-stabilität kann gewährleistet werden. Im Gegensatz dazu ist eine vollständige Rezessionsdeckung in Klasse-III- und -IV-Fällen wegen des Verlusts an knöchernem Stützgewebe aus-schließlich mit chirurgischen Methoden nicht mehr möglich. Die besten Ergebnisse finden sich nach Rezessionsbehand-lung mit einem koronal verschobenen Mukoperiostlappen. Wobei an Rezessionen vom Grad II und III zusätzlich ein freies Bindegewebetransplantat verwendet werden sollte. Defekte vom Grad IV erfordern auch oft eine kieferorthopädischen Einstellung des betroffenen Zahnes. Der Consensus Report des sechsten europäischen Workshops (2008) der EFP (Euro-pean Federation of Periodontology) kam zu dem Schluss, dass Membrantechniken nicht den klinischen Erfolg verbes-sern und kontroverse Ergebnisse für den Einsatz von azellulä-rer Dermamatrix vorliegen. Weiters sind die derzeitigen wis-senschaftlichen Daten zu gering, die den Einsatz von PRP unterstützen.

LiteraturBowers GM (1963) A study of the width of attached gingiva. J Periodontol

34: 201-209Consensus Report 6th European Workshop (2008) J Clin Periodontol

35(Suppl 8): 1-2Friedman N (1957) Mucogingival surgery. Texas Dental 75: 358-362Fürhauser R (2005) Evaluation of soft tissue around single-tooth implant

crowns: the pink esthetic score. Clin Oral Implants Res 16(6): 639-644

Guinard E, Caffesse R (1977) Localized gingival recessions: 1. Etiology and prevralence. J West Soc Periodontol 25(1): 3-9

Miller PD (1985) A classification of marginal tissue recession, Int J Perio-dontics Restorative Dent 85: 5(2): 8-13

Miller PD (1993) Root coverage grafting for regeneration and aesthetics. Periodontology 2000 1: 118-127

Myasato M (1977) Gingival condition in areas of minimal and appreciable width of keratinized gingival . J Clin Periodontol 4: 200-209

Virnik S, Chiari FM,GagglA et al (2009) Periosteoplasty for covering gin-gival recessions: Clinical results Cosmetic and Investigational Den-tistry 1:13

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