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III Erkrankungen der Genitalorgane KAPITEL 12 12.1 Allgemeines Im Unterschied zur Mikrochirurgie der Gefäße, wo der chirurgische Erfolg sofort nach der Operation mittels Durchgängigkeitsprüfung der Anastomose beurteilt werden kann, ist der definitive Erfolg in der peripheren Nervenchirurgie nicht unmittelbar nach Beendigung entweder einer primären Nervennaht oder einer Ner- ventransplantation kontrollierbar. Gerade deshalb muss besonders darauf geachtet werden, dass bei der periphe- ren Nervenchirurgie keine wie immer gearteten Kom- promisse eingegangen werden. Absolute Voraussetzung für den Erfolg der peripheren Nervennaht –unabhängig davon, ob die Rekonstrukti- on durch eine primäre Naht oder durch eine Nerven- transplantation erfolgt – ist das Vorliegen spannungs- freier Verhältnisse im Koaptationsbereich. Da intraoperativ eine direkte Nervenstimulation not- wendig ist, um eine Nervenläsion (genauer bei Neuroly- se) zu diagnostizieren, dürfen während der (IT-)Narko- se keine relaxierenden Medikamente eingesetzt werden. Für eine für die Intubation notwendige Relaxierung sollte nur die niedrigste Dosis gewählt werden. Eine Ab- sprache mit der Anästhesie ist unerlässlich. 12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Für die exakte Beschreibung der verschiedenen Opera- tionstechniken am peripheren Nerv ist eine einheitliche Benennung der verschiedenen anatomischen Struktu- ren des peripheren Nervs notwendig: Der periphere Nerv setzt sich aus nervalen und bindegewebigen Antei- len zusammen. Blut- und Lymphgefäße verlaufen im Bindegewebe. ! Inhalt 12.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie . . . . . . . 000 12.1.1.1 Bindegewebige Anteile . . . . . . 000 12.1.1.2 Nervale Anteile . . . . . . . . . . . 000 12.1.1.3 Vaskularisation . . . . . . . . . . . 000 12.1.2 Operationszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . 000 12.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . 000 12.2 Spezielle Operationstechniken . . . . . . . 000 12.2.1 Eingriffe bei erhaltener Kontinuität . . . . . 000 12.2.1.1 Neurolyse . . . . . . . . . . . . . . 000 12.2.1.2 Adjuvante Eingriffe . . . . . . . . . 000 12.2.2 Eingriffe bei Kontinuitätsunterbrechung . . 000 12.2.2.1 Bereitung der Stümpfe . . . . . . . 000 12.2.2.2 Approximation der Stümpfe . . . . 000 12.2.2.3 Koaptation (Neurorraphie) . . . . . 000 12.2.2.4 Wiederherstellung der Nervenkontinuität ohne Defektzustände . . . . . . . . . . . 000 12.2.2.5 Wiederherstellung der Nervenkontinuität bei Defektzuständen . . . . . . . . . . 000 12.2.3 Fehler und Gefahren . . . . . . . . . . . . . 000 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Mikrochirurgie peripherer Nerven R. Hierner · A. Berger

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III Erkrankungen der GenitalorganeKAPITEL 12

12.1 Allgemeines

Im Unterschied zur Mikrochirurgie der Gefäße, wo derchirurgische Erfolg sofort nach der Operation mittelsDurchgängigkeitsprüfung der Anastomose beurteiltwerden kann, ist der definitive Erfolg in der peripherenNervenchirurgie nicht unmittelbar nach Beendigungentweder einer primären Nervennaht oder einer Ner-ventransplantation kontrollierbar. Gerade deshalb mussbesonders darauf geachtet werden, dass bei der periphe-ren Nervenchirurgie keine wie immer gearteten Kom-promisse eingegangen werden.

Absolute Voraussetzung für den Erfolg der peripherenNervennaht –unabhängig davon,ob die Rekonstrukti-on durch eine primäre Naht oder durch eine Nerven-transplantation erfolgt – ist das Vorliegen spannungs-freier Verhältnisse im Koaptationsbereich.

Da intraoperativ eine direkte Nervenstimulation not-wendig ist, um eine Nervenläsion (genauer bei Neuroly-se) zu diagnostizieren, dürfen während der (IT-)Narko-se keine relaxierenden Medikamente eingesetzt werden.Für eine für die Intubation notwendige Relaxierungsollte nur die niedrigste Dosis gewählt werden. Eine Ab-sprache mit der Anästhesie ist unerlässlich.

12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie

Für die exakte Beschreibung der verschiedenen Opera-tionstechniken am peripheren Nerv ist eine einheitlicheBenennung der verschiedenen anatomischen Struktu-ren des peripheren Nervs notwendig: Der periphereNerv setzt sich aus nervalen und bindegewebigen Antei-len zusammen. Blut- und Lymphgefäße verlaufen imBindegewebe.

!

Inhalt

12.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00012.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie . . . . . . . 000

12.1.1.1 Bindegewebige Anteile . . . . . . 00012.1.1.2 Nervale Anteile . . . . . . . . . . . 00012.1.1.3 Vaskularisation . . . . . . . . . . . 000

12.1.2 Operationszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . 00012.1.3 Postoperative Behandlung

und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . 00012.2 Spezielle Operationstechniken . . . . . . . 00012.2.1 Eingriffe bei erhaltener Kontinuität . . . . . 000

12.2.1.1 Neurolyse . . . . . . . . . . . . . . 00012.2.1.2 Adjuvante Eingriffe . . . . . . . . . 000

12.2.2 Eingriffe bei Kontinuitätsunterbrechung . . 00012.2.2.1 Bereitung der Stümpfe . . . . . . . 00012.2.2.2 Approximation der Stümpfe . . . . 00012.2.2.3 Koaptation (Neurorraphie) . . . . . 00012.2.2.4 Wiederherstellung der

Nervenkontinuität ohne Defektzustände . . . . . . . . . . . 000

12.2.2.5 Wiederherstellung der Nervenkontinuität bei Defektzuständen . . . . . . . . . . 000

12.2.3 Fehler und Gefahren . . . . . . . . . . . . . 000Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000

Mikrochirurgie peripherer Nerven

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2 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

12.1.1.1 Bindegewebige Anteile

Folgende bindegewebige Strukturen werden unterschie-den: Der periphere Nerv ist in eine adventitielle binde-gewebige Schicht, das Paraneurium oder Mesoneurium,eingebettet. Diese zeigt fließende, ineinander übergrei-fende Verbindungen in das darunter liegende, den peri-pheren Nerv in seiner Gesamtheit umgebende Epineu-rium. Bei den peripheren Nerven unterscheidet man einäußeres und ein inneres Epineurium, das zwischen dieeinzelnen Faszikelgruppen hineinreicht. Das Perineuri-um umhüllt die Faszikel, während das Endoneurium dieeinzelnen Nervenfasern umscheidet. Die Handhabungdes peripheren Nervs darf nur durch Anfassen des Epi-oder Perineuriums erfolgen (Abb. 12.1).

In Abhängigkeit von der Anzahl und Anordnung derFaszikel in einem peripheren Nerv werden 3 Grundty-pen unterschieden (Abb. 12.2):

∑ monofaszikulärer Nerv,∑ oligofaszikulärer Nerv,∑ polyfaszikulärer Nerv.

Diese Einteilung ist bedeutsam für die Wahl der Koapta-tionstechnik (trunkulär vs. interfaszikulär) und Naht-technik (epineural vs. epiperineural).

Nervenstämme zeigen einen kabelartigen Aufbau.Dieser ist charakterisiert durch plexusartige Verbin-dungen der einzelnen Nervenfaszikel. Hierdurch wird

Neurale Komponenten

Myelinisierter Axon

Nicht myelinisierter Axon

Axone

Axon

Nerv

Endoneurium

Perineurium

EpineuriumMesoneurium

Mikrogefäße

Abb. 12.1. Querschnittsanatomie des peripheren Nervs

Monofaszikulär Oligofaszikulär(2 – 4 Faszikel)

Oligofaszikulär(5 –10 Faszikel)

Polyfaszikuläre Gruppen(10 –12 Faszikel)

Polyfaszikulärdiffus

Abb. 12.2. Klassifikation des peripheren Nervs in Abhängigkeit von Anzahl und Anordnung seiner Faszikel

Mikrochirurgie peripherer Nerven 3KAPITEL 12

türlich topographische Studien von Nerven durchge-führt werden, die jedoch nur anhaltsweise exakte Funk-tionszuordnungen ermöglichen. Erschwerend kommthinzu, dass durch den plexusartigen Aufbau und damitden gewundenen Verlauf der Nervenfaserbündel in denNervenstämmen auf einem anderen Niveau ein Aus-tausch von Faszikeln vorgetäuscht werden kann, ohnedass wirklich Abzweigungen stattgefunden haben. Derplexusartige Aufbau der Nerven hat wahrscheinlich viel-mehr auch den Vorteil der besseren Kompensation dermechanischen Scher- und Dehnungs- sowie Biege- undKompressionskräfte.

Für den klinischen Gebrauch wichtig ist die Unter-scheidung in Zonen mit hoher Austauschrate (z.B. pro-ximaler Oberarm, Ellenbogenbereich) und Zonen mitgeringer Austauschrate (z.B. distaler Unterarmbereich).

ermöglicht, dass einzelne Faserbündel ihre Position imInneren des Nervenstammes ändern können, um trotzunterschiedlicher Herkunft ein gemeinsames Innervati-onsgebiet zu erreichen. Größere oder kleinere Faser-gruppen wechseln von einem Faszikel in einen anderenhinüber,kehren teilweise auf einer anderen Höhe wiederin ihren vormaligen Faszikel zurück oder bauen neueFasergruppen auf, wobei der Sinn dieses ständigen Fa-serwechsels nicht immer zu erkennen ist. Der dauerndeWechsel des Faszikelmusters im Verlauf eines Nervsführt dazu, dass ein bestimmtes Querschnittsbild desNervs sich höchstens über eine Strecke von 0,6–6 mmverfolgen lässt (Abb. 12.3).

Diese innere Plexusbildung ist nicht seitenkongruentund auch nicht für den gleichen Nerv bei verschiedenenIndividuen konstant. Eine sozusagen gesetzmäßige in-nere Topographie der Nervenstämme besteht dahernicht. Trotzdem können auf verschiedenen Höhen na-

N. medianus

N. interosseusanterior

Abb. 12.3. Faseraustausch im Verlauf peripherer Nerven (distale Plexusbildung)

4 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

12.1.1.2 Nervale Anteile

Die eigentliche Nervenfaser besteht aus dem Axon, ei-nem bis zu 1 m langen Fortsatz einer Nervenzelle, derenPerikaryon z.B. im Rückenmark oder im Spinalganglionliegt, und einer dieses Axon umscheidenden Hülle. Beimarklosen Nervenfasern wird das Axon vom Zytoplas-ma der Hüllzellen, bei markhaltigen Nervenfasern vonder Markscheide umgeben.Die Markscheide besteht ausMyelin, einem Lipoprotein, das von den Hüllzellen ge-bildet wird. Im Fall der peripheren Nerven sind es dieSchwann-Zellen. In regelmäßigen Abständen (1–3 mm)wird die Markscheide durch tiefe Einschnürungen, diesog. Ranvier-Knoten, unterbrochen, wobei der Ab-schnitt zwischen 2 Knoten, das sog. Internodium, derAusdehnung einer Hüllzelle entspricht. Das Axon ver-läuft von seinem Perikaryon bis zu den Endorganenohne Kontinuitätsunterbrechung und teilt sich meisterst im distalen Abschnitt in zahlreiche Kollateralen auf.

Zwischen dem Umfang eines Axons, der Dicke derMarkscheide, dem Abstand der Ranvier-Knoten und derLeitgeschwindigkeit eines Nervs bestehen gesetzmäßigeBeziehungen. Je größer der Umfang eines Axons ist undje dicker die ihn umgebende Markscheide, umso längersind die Internodien. Je länger die Internodien sind, de-sto schneller ist die elektrische Leitgeschwindigkeit derFaser.Wenn z.B. bemarkte Nervenfasern noch wachsen,wie z.B.bei Extremitätennerven,so vergrößert sich auchdie Länge der Internodien (Abb. 12.4).

Insgesamt unterscheidet man markhaltige, markar-me und marklose Nervenfasern, die auch als A-, B- undC-Fasern bezeichnet werden. Die markhaltigen A-Fa-sern haben einen Axondurchmesser von 3–20 µm undeine Leitgeschwindigkeit von bis zu 120 m/s. Die mark-armen B-Fasern zeigen nur noch einen Durchmesser biszu 3 µm und eine Leitgeschwindigkeit bis zu 15 m/s, undam langsamsten verläuft die Erregung in den marklosenFasern mit nur ca. 2 m/s (Tabelle 12.1).

Bei den marklosen Fasern erfolgt die Erregungsaus-breitung kontinuierlich und dadurch deutlich langsa-mer als in den markhaltigen Nerven. Diese sind durcheine saltatorische, d.h. sprunghafte Erregungsleitunggekennzeichnet. Die morphologische Grundlage dersaltatorischen Erregungsleitung ist der Wechsel vonmarkhaltigen Internodien mit nackten Ranvier-Knoten.Der Strom springt hier intraaxonal von einem Knotenzum nächsten, wobei am Knoten durch Permeabilitäts-änderung der Axonmembran jedes Mal der Stromkreisgeschlossen wird. Diese Fortleitung ist damit wesentlichschneller und verbraucht weniger Energie als die konti-nuierliche Ausbreitung der Erregung.

Nissl-SchollenPerikaryon

Ursprungskegel

Myelinscheide

Axon

Zentralnervensystem

Oligodendrocyt

Schwann-Zelle

Peripheres Nervensystem

Endknöpfchen

Endverzweigung

Anfangssegment des Axons

Dendrit

Abb. 12.4. Aufbau der Nervenfasern

Mikrochirurgie peripherer Nerven 5KAPITEL 12

einheit, die der anatomischen Einheit der „gruppiertenFaszikel“ nach Millesi entspricht. Der endoneurale Ge-fäßplexus besteht aus Arteriolen, Kapillaren und Veno-len, die charakteristischerweise longitudinal angeord-net sind und von Zeit zu Zeit in unterschiedlicher HöheSchleifen bilden. Aufgrund des großen Gefäßkalibersund der hohen Kapillardichte können Änderungen derGefäßperfusion ausgezeichnet kompensiert werden(Abb. 12.5).

Nach Anzahl und Bedeutung der extern makrosko-pisch sichtbaren Gefäße des peripheren Nervs werdennach Breidenbach und Terzis drei verschiedene externeVersorgungstypen unterschieden (Abb. 12.6):

∑ Typ I beschreibt Nerven ohne dominanten externenGefäßstiel. Die externe Versorgung erfolgt über seg-mentale Äste aus der Umgebung.

∑ Beim Typ II versorgt ein dominanter Gefäßstiel einenGroßteil des peripheren Nervs. Der restliche Anteilerhält segmentale Zuflüsse aus der Umgebung, kannaber auch über das innere Gefäßplexussystem ausrei-chend versorgt werden (z.B. vaskularisiertes N.-ul-naris-Transplantat).

∑ Nerven des Typs III haben multiple dominante äuße-re Gefäßstiele (z.B. R. superficialis N. radialis).

12.1.1.3 Vaskularisation

Die Kenntnis der Vaskularisation der peripheren Ner-ven ist für jeden Eingriff (vor allem für die mikrochirur-gische Neurolyse) von größter Bedeutung. Die Vaskula-risation erfolgt über ein inneres Gefäßplexussystem, dasaus einem epineuralen, perineuralen und endoneuralenGefäßplexus besteht und von mehreren äußeren Zuflüs-sen versorgt wird. Beide Systeme können bis zu einemgewissen Grad Funktionsstörungen des anderen kom-pensieren.

Das charakteristische Bild des epineuralen Gefäßple-xus zeigt große longitudinal angeordnete Arteriolenund Venolen, die zahlreiche segmentale Äste zu den um-liegenden Faszikeln abgeben. Über diese Äste werdenreichhaltig Anastomosen mit dem perineuralen Systemausgebildet. Diese perineuralen Gefäße verlaufen longi-tudinal im perneuralen Gewebe. Nach einem mehr oderweniger langen geraden Verlauf geben sie charakteristi-scherweise schräg verlaufende Äste ab, welche die peri-neurale Membran durchziehen und in den endoneura-len Raum eintreten, wo sie mit Ästen des endoneuralenPlexus anastomosieren.

Nach Lundborg bilden das perineurale und endoneu-rale Gefäßsystem zusammen eine gut definierte Gefäß-

Tabelle 12.1. Dicke und Funktion der verschiedenen Nervenfasern

Durchmesser Leitungsgeschw. Bezeichnung[µm] [ms]

Buchstaben Ziffern

12–20 70–120 Aa Ia, Ib

5–15 30–70 b II

2–10 15–30 g

1–7 12–30 d III

<3 3–15 B

0,3–1,3 0,7–2,3 C IV

A: a Nervenfasern für extrafusale Muskelfasern (die dickeren für „schnelle“,die dünneren für „langsame“);

b Fasern,die „langsame“ extrafusale Muskelfasern innervieren und Kollate-ralen zu intrafusalen Muskelfasern abgeben;

g Fasern, die intrafusale Muskelfasern innervieren.B: Präganglionäre autonome (markhaltige Fasern.C: Postganglionäre autonome (marklose) Fasern.Ia: Fasern von primären sensiblen Endigungen an Muskelspindeln;Ib: Fasern von Sehnenspindeln.II: Fasern von sekundären sensiblen Endigungen an Muskelspindeln; Fasern

von sensiblen Nervenendigungen der Haut.III: Fasern, die Schmerz- und Temperaturempfindungen und andere sensible

Qualitäten leiten.IV: Schmerzleitende Fasern von Eingeweiden und anderen Körperstellen

(marklos).

6 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

12.1.2 Operationszeitpunkt

Liegt zum Zeitpunkt der Nervenläsion kein Nervende-fekt vor, dann sollte – vorausgesetzt der Allgemeinzu-stand des Patienten erlaubt es – wenn immer möglicheine spannungsfreie primäre Nervennaht (primäre Ner-venrekonstruktion) durchgeführt werden. Bei komple-xen Knochen-Weichteil-Schäden mit starker Fibrosie-rung im Koaptationsbereich ist eine engmaschige Nach-untersuchung notwendig, um bei inadäquater Regene-ration innerhalb der ersten 3–6 Monate eine frühsekun-däre Nerventransplantation durchzuführen.

Liegt zum Zeitpunkt der Nervenläsion ein Nervende-fekt vor, erfolgt die Versorgung der Nervenläsion in derRegel sekundär nach 3 bis maximal 6 Monaten („frühsekundäre Nervenrekonstruktion“). Zu diesem Zeit-punkt sind mitbestehende Muskel-Sehnen- und/oderKnochenläsionen konsolidiert und das wirkliche Aus-maß der Nervenschädigung (vor allem bei Avulsions-oder Quetschtraumata) kann deutlich besser beurteiltwerden (sekundäre Nervenrekonstruktion). Da die

funktionellen Ergebnisse nach sekundärer Nervenwie-derherstellung >6 Monate („spät sekundäre Nerven-rekonstruktion“) nach Unfall, aufgrund einer Endor-ganschwäche in den reinnervierten Muskeln deutlichschlechter werden, muss die nervale RekonstruktionPriorität gegenüber sekundären traumatologischenEingriffen haben. Eine nervale Rekonstruktion mit demZiel der Verbesserung der Motorik sollte abhängig vonder Entfernung zwischen Läsionshöhe und Muskel nichtspäter als 12 (große Distanz), maximal 18 Monate (klei-ne Distanz) durchgeführt werden. Soll nur eine Verbes-serung der (protektiven) Sensibilität erreicht werden, sokann eine nervale Rekonstruktion auch nach 24–36 Mo-naten noch durchgeführt werden.

Nur ausnahmsweise wird primär eine Nerventrans-plantation durchgeführt, wenn Nerventransplantations-material aus einem nicht mehr zu rekonstruierendenKörperabschnitt verwendet werden kann („Gewebe-bankkonzept“).

Epineurium

Perineurium

Endoneurium

Extrinsische Gefäße

Lokale Versorgungsgefäße

Typ I Typ II Typ III Typ IV Typ V

Abb.12.5. Das innere Gefäßplexussystem der peripheren Ner-ven. (Mod. nach Lundborg [4])

Abb. 12.6. Klassifikation der externen Blutversorgung des pe-ripheren Nervs nach Breidenbach und Terzis

Mikrochirurgie peripherer Nerven 7KAPITEL 12

externen und internen Blutversorgung des peripherenNervs. Der Benefit der Neurolyse, die Dekompressiondes Nervs für eine Verbesserung der Vaskularisation(auf lange Sicht) und Funktion, muss deshalb der Schä-digung des Gewebes durch Operation mit weiterer aku-ter Reduktion der Durchblutung überwiegen. Um eineminimale iatrogene Schädigung zu bewirken, muss jedeNeurolyse mit feinen mikrochirurgischen Instrumentendurchgeführt werden. Für alle Operationen an periphe-ren Nerven ist zumindest eine Lupenbrille, besser dasOperationsmikroskop, notwendig.

Für die Klassifikation der intraoperativen Befundebei mikrochirurgischer Neurolyse eines peripherenNervs verwenden wir die Klassifikation nach Millesi [6].Diese Klassifikation basiert auf der Beschreibung deranatomischen Veränderungen um und innerhalb einesperipheren Nervs sowie auf den Ergebnissen der direk-ten intraoperativen Nervenstimulation. Die operativenSchritte sind genau definiert und werden der individu-ellen Situation genau angepasst (Tabelle 12.2).

Als externe Neurolyse bezeichnet man die Präparati-on des peripheren Nervs aus seinem umliegenden Ge-webe, wobei die Präparationschicht auf dem Paraneuri-

12.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge

Vor dem Wundverschluss ist eine sorgfältige Blutstil-lung anzustreben. Der Wundverschluss erfolgt schicht-weise. Die unmittelbare Schicht oberhalb der Koaptati-on sollte vom Operateur selbst genäht werden. Als Drai-nage wird ein Easy Flow, abseits der Koaptationsstelle,eingebracht. Sonst übliche Redon-Drainagen sind auf-grund ihrer Sogwirkung kontraindiziert. Bei allen mi-krochirurgischen Nervennähten ist eine postoperativeRuhigstellung für 10 Tage obligat. Beim Säubern desWundgebietes sowie bei Verbandswechseln innerhalbder ersten 10 Tage ist darauf zu achten, dass keine Scher-kräfte im Koaptationbereich auftreten.

Bei Läsionen peripherer Nerven spielt die die ad-äquate Nachbehandlung eine entscheidende Rolle. Des-halb sollten Sehnen- und/oder Gelenkeingriffe nichtgleichzeitig durchgeführt werden. UneingeschränkteBelastungsstabilität im Bereich der Nervennaht bestehtnach 3–6 Wochen. Ein intensives physiotherapeutischesTherapieprogramm mit Ergotherapie (Schienen, Sensi-bilisierung/Desensibilisierung) und Krankengymnastikist notwendig.

12.2 Spezielle Operationstechniken

Die rekonstruktiven Eingriffe am peripheren Nerv kön-nen unterteilt werden in Eingriffe bei erhaltener Konti-nuität – entsprechend den Sunderland-Läsionen (I, II)III und IV – und Eingriffe bei Kontinuitätsunterbre-chung – entsprechend Sunderland V.

12.2.1 Eingriffe bei erhaltener Kontinuität

12.2.1.1 Neurolyse

Die Neurolyse ist indiziert bei Läsion ohne Kontinuitäts-unterbrechung (z.B. Kompressionssyndrom) und beiLäsionen mit Kontinuitätsunterbrechung im Rahmender Stumpfvorbereitung.

Im Falle einer Läsion ohne Kontinuitätsunterbe-chung ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass das tat-sächliche Ausmaß der Schädigung erst während dermikrochirurgischen Exploration durch differenzierteintraoperative Diagnostik bestimmt werden kann. Des-halb muss jeder Patient, bei dem eine Neurolyse geplantist, auch über die Notwendigkeit einer möglichen Ner-ventransplantation – bei Vorliegen einer höhergradigenNervenläsion – aufgeklärt sein (wichtiger medikolega-ler Aspekt).

Jede noch so kunstgerecht durchgeführte mikrochir-urgische Neurolyse führt zu einer Beeinträchtigung der

Abb. 12.7 a, b. Mikrochirurgische epifasziale Epineurotomiebei einem schweren Karpaltunnelsyndrom.a Klinischer Aspektvor Neurolyse (sanduhrförmige Einengung im Bereich derKompression); b klinischer Aspekt nach Neurolyse (frei expan-dierende Faszikelgruppen)

a

b

8 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

Einteilung bez. Kontinuität Einteilung bez. Reaktion(1–5 nach Sunderland) (A, B, C, N, S)

1 Leitfähigkeit verloren, –Kontinuität der Axone erhalten

1A Leitfähigkeit verloren, Fibrose des epifaszikulären Kontinuität der Axone Epineuriums (A)erhalten

1B Leitfähigkeit verloren, Fibrose des interfaszikulären Kontinuität der Axone Epineuriums (B)erhalten

2 Axonolyse, –Endoneurium intakt

2A Axonolyse, Fibrose des epifaszikulären Endoneurium intakt Epineuriums (A)

2B Axonolyse, Fibrose des interfaszikulären Endoneurium intakt Epineuriums (B)

3 Axonolyse, –Endoneurium zerstört,Perineurium intakt

3A Axonolyse, Fibrose des epifaszikulären Endoneurium zerstört, Epineuriums (A)Perineurium intakt

3B Axonolyse, Fibrose des interfaszikulären Endoneurium zerstört, Epineuriums (B)Perineurium intakt

3C Axonolyse, Fibrose auch des Endoneurium zerstört, Endoneuriums (C)Perineurium intakt

4N Kontinuität nur durch Narbe von Neurom BG aufrechterhalten durchwachsen (N)

4S Kontinuität nur durch Nur Narbe zwischen den BG aufrechterhalten Stümpfen (S)

5 Kontinuität verloren Je nach Schaden der Stümpfe

Mikrochirurgie peripherer Nerven 9KAPITEL 12

Tabelle 12.2. Klassifikation der intraoperativen Befunde nach Neurolyse bei Läsionen ohne Kontinuitätsunterbrechung.(Nach Millesi [6])

Aussicht auf spontane Diagnose TherapieRegeneration

Sehr gut Elektr. Leitfähigkeit der NF Keinetrotz Lähmung peripher erhalten

Gut nach D Elektr. Leitfähigkeit der NF trotz EpineuriotomieLähmung peripher erhalten

Gut nach D Elektr. Leitfähigkeit der NF trotz Partielle EpineuriektomieLähmung peripher erhalten

Sehr gut Keine elektr. Leitfähigkeit; Keinespontane Regeneration

Gut nach D Keine elektr. Leitfähigkeit; Epineuriotomiespontane Regeneration

Gut nach D Keine elektr. Leitfähigkeit; Partielle Epineuriektomiespontane Regeneration

Vorhanden Operation Keine

Vorhanden nach D Operation Epineuriotomie

Vorhanden nach D Operation Partielle Epineuriektomie

Keine Operation Resektion und NT

Schlecht Operation D durch NL oder

Keine Operation Resektion und NT

Keine Operation Anfrischung und NR oder NT

BG = Bindegewebe, D = Dekompression,NF = Nervenfaser, NL = Neurolyse,NR = Neurorrhaphie, NT= Nerventransplantation.

10 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

um verläuft. Zeigt sich keine Veränderung des Epineuri-ums, dann sind keine weiteren operativen Schritte not-wendig. Liegen jedoch Veränderungen des Nervenum-fangs (z.B. sanduhrförmige Einziehung) vor, so sindweitere operative Maßnahmen indiziert.

Alle operativen Schritte,die das Epineurium oder tie-fer gelegene Strukturen betreffen,werden unter dem Be-griff interne Neurolyse zusammengefasst.Zur Auflösungder klassischen „sanduhrförmigen Einziehung“ im Be-reich einer Kompressionsstelle erfolgt zunächst einelongitudinale Inzision von Paraneurium und Epineuri-um (epifasziale Epineurotomie). Können sich alle Faszi-kel(gruppen) frei ausbreiten, liegt eine Fibrose des Gra-des A nach Millesi vor. Eine weitere mikrochirurgischeIntervention ist nicht mehr notwendig (Abb. 12.7).

Kommt es zu keiner kompletten Expansion der Fas-zikel(gruppen), muss eine Fibrose zwischen den Faszi-kel(gruppen) angenommen werden. Als nächster intra-operativer Schritt erfolt die Epineurektomie, wobei die-se nicht komplett zikumferenziell durchgeführt werdensoll, um eine unnötige Beeinträchtigung der Vaskulari-sation des Nervs zu vermeiden. Kann eine freie Expan-sion der Faszikel(gruppen) erreicht werden, sind weite-re mikrochirurgische Operationsschnitte nicht mehrnotwendig.

Bei weiter bestehender Kompression der Faszikel-(gruppen) kann eine mikrochirurgische Resektion desBindegewebes zwischen den Faszikeln notwendig wer-den. Dieser Schritt wird als interfaszikuläre Epineurek-tomie bezeichnet. Es muss ausdrücklich darauf hinge-wiesen werden, dass die interfaszikuläre Epineurekto-mie zu einer Beeinträchtigung der Blutversorgung führtund dass im Rahmen der normalen Wundheilung nachNeurolyse erneut Narbengewebe zwischen den Faszi-kel(gruppen) liegen wird. Ziel der interfaszikulärenmikrochirurgischen Neurolyse ist nicht die Separationaller Faszikel voneinander, sondern deren möglichstfreie Expansion. Die interfaszikuläre Neurolyse ist indi-ziert ab einem Fibrosegrad BII nach Millesi [6]. In eini-gen Fällen kann das Faszikelmuster erhalten sein, je-doch sind die Faszikel fibrotisch verändert, gewelltund/oder induriert. Falls bei intraoperativer Nervenrei-zung keine adäquate Reaktion ausgelöst werden kann,sollten diese veränderten Abschnitte „bis ins Gesunde“reseziert und sofort eine interfaszikuläre Nerventrans-plantation durchgeführt werden.

In anderen Fällen können Abschnitte vorliegen, dieihre Faszikelstruktur verloren haben (Neuroma in con-tinuitatem). Hier liegt eine Schädigung im StadiumIII–IV vor. Bei Grad-IV-Läsionen ist zu unterscheiden,ob eine adäquate Antwort auf intraoperative direkteNervenstimulation erzielt werden kann oder nicht. Beiadäquater Reizantwort erfolgt keine weitere operativeMaßnahme. Bei inadäquater oder fehlender Antwortwird die Indikation zur interfaszikulären Nerventrans-plantation gestellt.

12.2.1.2 Adjuvante Eingriffe

Adjuvante Eingriffe nach Neurolyse sind Nerventrans-position (z.B. Ventralverlagerung des N. ulnaris beischwerer Kompression im Bereich des Sulcus N. ulnaris)oder Deckung des Neurolysebereiches mit Hilfe vonLappenplastiken (Abb. 12.8). Die intraoperative Applika-tion von Substanzen, die die postoperative Bindegewe-besbildung hemmen sollen, ist beschrieben, hat sich inunseren Händen jedoch nicht bewährt.

Die Ziele der adjuvanten Eingriffe können wie folgtangegeben werden:

∑ Reduktion der erneuten Bindegewebsbildung imRahmen der Wundheilung auf ein Minimum;

∑ Verbesserung der Durchblutung des umliegendenGewebes im Bereich der Neurolyse;

∑ mechanische Abpolsterung im Bereich der Neurolysezur Verringerung von Neurombeschwerden.

12.2.2 Eingriffe bei Kontinuitätsunterbrechung

Nach Millesi [6] können folgende Schritte der Wieder-herstellung der Kontinuität eines peripheren Nervs un-terschieden werden:

∑ Bereitung der Stümpfe,∑ Approximation der Stümpfe,∑ Koaptation,∑ Aufrechterhaltung der Koaptation.

12.2.2.1 Bereitung der Stümpfe

In Blutleere wird der durchtrennte Nerv, vom Gesundenkommend, so weit wie nötig und so wenig wie möglichprimär dargestellt (Abb. 12.9a). Nach vollständiger Frei-präparation der Nervenstümpfe wird die Blutleere ge-öffnet. Nun erfolgt eine sorgfältige Blutstillung mit derbipolaren (Mikro-)Pinzette. Neben der Inspektion er-gibt auch die Palpation wichtige Hinweise auf die Aus-dehung der primären (proximaler Stumpf: Neurom, di-staler Stumpf: Gliom) und sekundären (Fibrose) Schädi-gung. Die genaue Beurteilung der Nervenstümpfe unddie weiteren Schritte erfolgen unter dem Operationsmi-krokop.

Als Nächstes erfolgt eine Anfrischung des proxima-len und distalen Stumpfes mit dem Ziel, geschädigte

Abb. 12.8 a–f. Ulnodorsale Faszienlappenplastik zur Abpolste-rung des N. medianus nach interfaszikulärer Neurolyse imHandgelenkbereich. a Anatomie und Lappenplanung (Sche-ma), b intraoperativer Aspekt (Schema); c–f postoperativer kli-nischer Aspekt: c palmar, d ulnar, e, f Funktion

Mikrochirurgie peripherer Nerven 11KAPITEL 12

a

b

c d

e f

12 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

Nervenanteile möglichst komplett zu entfernen undeine möglichst glatte Schnittfläche für die weiteren Re-konstruktionsschritte zu erreichen. Hierfür können ent-weder ein scharfes Skalpell (Nummer 11) oder spezielleInstrumentarien (S&T) verwendet werden (Abb. 12.9b).Durch Anfassen und somit Fixierung des Nervs mit derMikropinzette wird unter Verwendung der glatten, ge-bogenen Mikroschere an dem dem Operateur zuge-wandten Anteil der äußeren Nervenhülle das Epineuri-um nach proximal im proximalen Stumpf und nach di-stal im Bereich des distalen Stumpfes auf einer Streckevon etwa 2 mm zurückpräpariert. Dadurch wird dasdarunter liegende Perineurium sichtbar. Es muss daraufgeachtet werden, dass in der dem Operateur gegenüber-liegenden Zirkumferenz des Nervs das Epineurium er-halten bleibt (Abb. 12.9c).

Sofort nach Anfrischung des Nervs, vor allem abernach Rückpräparation des Epineuriums, wird es zu ei-nem Vorquellen des Myelins aus den einzelnen Faszikelnkommen. Diese vorquellenden Myelinanteile werdenmit der Mikrorillenschere auf der Höhe der umgeben-den Hüllen gekürzt.

Bei oligofaszikulären und polyfaszikulären Nervenkann es darüber hinaus notwendig werden, durch inter-faszikuläre Präparation unterschiedlich stark geschä-digte Faszikel oder Faszikelgruppen auf unterschied-licher Höhe zu resezieren. Das Epineurium wird imGesunden längs gespalten, einzelne Faszikel oder Faszi-kelgruppen werden in ihren natürlichen Spalten isoliertund bis zum Stumpf hin freipräpariert. Anschließendwerden diese Faszikelgruppen so weit gekürzt, bis sie imEinzelnen eine gesunde Struktur zeigen [6] (Abb.12.9d).

12.2.2.2 Approximation der Stümpfe

Nach Abschluss der Stumpfbereitung erfolgt die Appro-ximation,d.h.das Zusammenführen beider Stümpfe,bissie sich berühren. Die Approximation erfolgt mit 2 Mi-kropinzetten,die das Epineurium fassen.Es muss daraufhingewiesen werden, dass es zu vermeiden ist, die bei-den Nervenstümpfe durch adaptierende Mikroklem-men aneinander zu bringen, da es infolge Quetschungzu einer irreversiblen Schädigung der Nervenstrukturkommt. Hierbei ist wichtig, dass dies spannungsfrei undohne Zug möglich ist. Zur Erleichterung der Approxi-mation kann eine Präparation der Nervenstümpfedurchgeführt werden. Vor allem im Bereich der Digital-nerven kann bis zu 1 cm Länge „gewonnen“ werden.

Eine Sonderform der Präparation stellt die Transpo-sition (z.B. N. ulnaris im Ellenbogenbereich) dar.

a

c

e

Mikrochirurgie peripherer Nerven 13

b

d

f

Abb. 12.9 a–f. Mikrochirurgische direkte End-zu-End-Neuro-rrhaphie. a Präoperativer Befund, b Bereitung der Stümpfe,cventrale limitierte Epineurektomie, d interfaszikuläres Zu-rückpräparieren bei oligo- und polyfaszikulären Nerven zurDarstellung gesunder Faszikel(gruppen),e Approximation derStümpfe und dorsale epiperineurale Nähte zur Rekonstrukti-on der dorsalen Leitstruktur, f epiperineurale ventrale Nähtezur Aufrechterhaltung der Koaptation der zentralen und peri-pheren ventralen Faszikelgruppen

14 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

12.2.2.3 Koaptation (Neurorrhaphie)

Nach erfolgter Approximation können 2 Situationen un-terschieden werden:

∑ Die Approximation kann spannungsfrei erfolgen;beide präparierten Nervenstümpfe liegen span-nungsfrei aneinander. Zur Aufrechterhaltung der Ko-aptation erfolgt eine direkte Neurorraphie.

∑ Eine spannungsfreie Approximation ist nicht mög-lich; zwischen beiden präparierten Nervenstümpfebesteht eine Lücke. Zur Wiederherstellung der Ner-venkontinuität ist eine Nerventransplantation odereine andere Technik der Kontinuitätsüberbrückungerforderlich.

Der entscheidende Schritt der Koaptation ist die mög-lichst genaue Gegenüberstellung der korrespondieren-den Faszikel(gruppen) im proximalen und distalenStumpf. Bei akuten glatten Schnittverletzungen kannder Verlauf epineuraler Gefäße wichtige Hinweise aufdie richtige Rotation der beiden Nervenstümpfe geben.Idealerweise ergibt der Anschnitt im distalen Stumpf einSpiegelbild des Anschnitts im proximalen Stumpf.

Bei Defektzuständen und sekundären Rekonstruk-tionen erfolgt die möglichst genaue Wiederherstellungder intraneuralen Topographie im Defektbereich durchanatomische Kenntnisse der Faszikelanordnung odergenauer durch immunhistochemische Untersuchungen.Eine wertvolle Hilfe stellt die intraoperative Erstellungvon Querschnittsschemata des proximalen und distalenStumpfes dar (s.Abb. 12.12c). Durch Vergleich der Anor-dung von Faszikel(gruppen) und Blutgefäßen könnenmit hoher Wahrscheinlichkeit korrespondierende Faszi-kel(gruppen) einander zugeordnet werden.

Mit Hilfe der Acetylcholinesterasemethode ist esmöglich, im Rahmen einer Schnellschnittuntersuchungmotorische Faszikel von sensiblen im Bereich des proxi-malen Nervenstumpfes zu unterscheiden. Eine Rekon-struktion des N. medianus im distalen Unterarmbereichkann somit genauer durchgeführt werden.

Aufrechterhaltung der Koaptation

Für die Aufrechterhaltung der Koaptation können meh-rere Techniken verwendet werden. In der Klinik eta-bliert ist die mikrochirurgische Naht (monofi1er Faden10×0) und die Fibrinklebung; experimentell sind kryo-chirurgische Verfahren,weitere Klebstoffe und der Laserin Erprobung.

12.2.2.4 Wiederherstellung der Nervenkontinuität ohne Defektzustände

Nach Durchtrennung eines peripheren Nervs kommt es,bedingt durch seinen Tonus, sofort zu einem Ausein-anderweichen der Nervenstümpfe (natürliche Retrak-tion). Es handelt sich um einen „scheinbaren Defekt“,bedingt durch die intrinsische Gewebeelastizität. Beiglatter Durchtrennung des N. medianus entsteht einZwischenraum von 1,5–2 cm. Bestehen klinische Zwei-fel and der Spannungsfreiheit nach Koaptation, kannder sog. 8×0-Stichtest für die großen Nervenstämme(Nn. medianus, ulnaris, radialis) bzw. 10×0-Stichtest fürdie kleineren peripheren Nerven durchgeführt werden.Kann ein epineural geführter Stich die Koaptation bei-der Nervenstümpfe aufrechterhalten, dann besteht kei-ne übermäßige Spannung; eine direkte Neurorrhaphieist möglich. Kommt es zu einem Einreißen des Epineu-riums, so liegt eine zu hohe Spannung im Nahtbereichvor; eine Nerventransplantation bzw. Defektüber-brückung muss durchgeführt werden.

Direkte End-zu-End-Neurorraphie

Mikrochirurgische NahtFür die Nervennaht verwendet man einen monofilen Fa-den der Stärke 10×0. Prinzipiell sollten so wenig Einzel-knopfnähte wie nötig gemacht werden, um die Koapta-tion aufrechtzuerhalten(cave: Nahtgranulome). Im Ge-gensatz zur Gefäßnaht ist eine „wasserdichte“ Naht amNerv falsch.

Die End-zu-End-Neurorrhaphie beginnt mit derNaht im verbleibenden, dem Operateur gegenüberlie-genden erhaltenen Epineurium. Dabei wird zuerst improximalen Anteil des Epineuriums, parallel zur Längs-richtung des Nervs, die Nadel, ihrem Krümmungs-durchmesser entsprechend, eingestochen, ausgestochensowie dann im distalen Stumpfbereich erneut ein- undausgestochen. Dabei ist darauf zu achten, dass die vorder Durchtrennung zueinander gehörenden Epineuri-umanteile wieder vereinigt werden.

Nach dem Ausstechen aus dem distalen Epineuriumerfolgt die Adaptation und Fixierung der beiden Stümp-fe durch einen 3fachen Knoten. Bei allen mikrochirur-gisch geknüpften Knoten ist darauf zu achten, dass sienicht zu fest oder zu locker geknüpft sind. Zu fest ge-knüpfte Knoten führen zu einem Gewebeuntergang mitFibrose und zu einer ungenauen Koaptation durch Her-ausquetschen von Endoneurium. Bei zu locker geknüpf-ten Knoten bleibt ein Spalt zwischen beiden Neven-stümpfen bestehen, in dem sich Bindegewebe ansam-melt und ebenfalls zu einem Regenerationshinderniswird.

Nach Vollendung der ersten Naht wird nun im gegen-überliegenden, noch verbleibenden Epineuriumanteil

Mikrochirurgie peripherer Nerven 15KAPITEL 12

eine zweite Naht in derselben Technik gesetzt. NachDurchführung dieser beiden epineuralen Nähte ist derNerv nun voll an der dem Operateur gegenüberliegen-den Seite adaptiert (Abb. 12.9e).

Die weitere Adaptation der einzelnen Faszikel(grup-pen) erfolgt sodann durch weitere (epi)perineuraleNähte. Die Wahl der Nahttechnik, epineural vs. epiperi-neural vs. perineural ist abhängig von der Faszikelstruk-tur des Nervs. Monofaszikuläre Nerven können miteiner epineuralen Technik versorgt werden. In den mei-sten Fällen einer Nervennaht bei oligo- und polyfaszi-kulären Nerven findet die epiperineurale NahttechnikVerwendung. Bei oligofaszikulären Nerven wird meistdas äußere Epineurium mitgefasst, bei polyfaszikulärenNerven wird meist das innere Epineurium um die Faszi-kelgruppen mitgefasst. Die rein perineurale Nahttech-nik kommt vor allem bei kleinen (mono- und bifasziku-lären) Nerven und bei gezielter Neurotisation eines di-stalen Nervenstumpfes mit einem speziellen Faszikel(z.B. FCU-Faszikel bei Oberlin-Transfer) zum Einsatz.

Bei der epiperineuralen Nahttechnik wird im Bereichdes Faszikels bzw. der Faszikelgruppe am proximalenStumpf die Nadel ihrer Krümmung entsprechend durchdas innere Epineurium unter das Perineurium eingesto-chen und sodann im Bereich des distalen Stumpfes wie-der unter dem Perineurium durch das innere Epineuri-um eingeführt und ausgestochen, ohne das Endoneuri-um zu verletzen. Auch hier erfolgt die Fixierung durcheinen 3fachen Knoten. Sollten nach Vollendung der Nahtnoch Myelinanteile aus den Faszikel(gruppen) vorquel-len, werden diese zusätzlich mit der Mikroschere zu-rückgekürzt.

Für einen oligofaszikulären Nerv sind 2 bis maximal4 Nähte notwendig. Für einen polyfaszikulären Nervsollten maximal 4–8 Nähte verwendet werden,da die pe-ripheren Faszikelgruppen zentral gelegene „schienen“(Abb. 12.9f).

FibrinklebungVor allem im proximalen (stammnahen) Bereich der pe-ripheren Nerven kann die Aufrechterhaltung der Koap-tation auch mit kommerziell erwerbbaren Fibrinkleber(Tissucol) durchgeführt werden. Hierzu wird unter dieKoaptation ein Plastikhintergrund gelegt (Abb. 12.10a).Nach exakter Koaptation der Nervenstümpfe erfolgt dieGabe von Fibrinkleber auf die Koaptation (Abb. 12.10b).Nun wird das Plastik um die Naht gerollt und mit 2 Mi-kropinzetten an die beiden Nervenstümpfe gedrückt,bisder Fibrinkleber abgebunden hat (Abb. 12.10c). An-schließend wird das Plastik entfernt und die Koaptati-onsstelle erneut inzisiert (Abb. 12.10d).

Abb. 12.10 a–c. Direkte End-zu-End-Neurorrhaphie im proxi-malen (stammnahen) Bereich eines peripheren Nervs mitFibrinkleber. a Exakte Approximation beider Nervenstümpfeauf einem Plastikhintergrund, Applikation des Fibrinklebers;b Einrollen des Plastikhintergrundes um die Koaptationsstelleund Andrücken mit 2 Mikropinzetten an die beiden Nervem-stümpfe, bis der Fibrinkleber abgebunden hat; c postoperati-ver Aspekt nach Entfernung des Plastikhintergrundes

a

b

c

16 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

End-zu-Seit-Neurorraphie

Obwohl die End-zu-Seit-Neurorrhapie schon im19. Jahrhundert beschrieben wurde, wurde sie aufgrundihrer inkonstanten Ergebnisse schnell wieder verlassen.Erst durch die Arbeiten von Viterbo [12, 13] erfuhr dieseNahttechnik eine Renaissance. Ihr Vorteil ist der geringeoder klinisch völlig fehlende Spenderdefekt. Für die Re-konstruktion sensibler Funktionen sind gute Ergebnis-se beschrieben worden. Bezüglich der Wiederherstel-lung motorischer Funktionen besteht nur dahingehendEinigung, dass agonistische Nervenanteile verwendetwerden müssen.

Die Ergebnisse der motorischen Wiederherstellungsind sehr divergent. Prinzipiell können 4 Techniken be-schrieben werden:

∑ keine epineurale Läsion,∑ epineurale Läsion,∑ epiperineurale Läasion,∑ direkte End-zu-Seit-Pfropfung auf das Endoneuri-

um.

In der klinischen Praxis hat sich die Technik der epineu-ralen Fensterung bewährt. Nach epineuraler Fensterung

wird der distale Stumpf – der nach den oben genanntenVerfahren vorbereitet wurde – an den Spendernervangesetzt (Abb. 12.11a). Die Aufrechterhaltung der Ko-aptation erfolgt mit 2–3 epiperineuralen Nähten(Abb. 12.11b).

12.2.2.5 Wiederherstellung der Nervenkontinuität bei Defektzuständen

Eingriffe bei vorhandenem proximalen und distalen Stumpf

NerventransplantationDie Wiederherstellung der Kontinuität eines Nervende-fekts erfolgt heute üblicherweise mit Hilfe eines autolo-gen Nerventransplantats. Die Standardspenderstellungfür autologe Nerventransplantate sind der N.suralis undN. cutaneus antebrachii medialis. Wird mehr Nerven-transplantatmaterial benötigt, kann auch der N. saphe-nus,N.cutaneous antebrachii medialis und der R.super-ficialis N. radialis verwendet werden. Der Nachteil derautologen Transplantate besteht in ihrem Spenderdefektund der limitierten Menge.

Aufgrund der immunologischen Abstoßungsreakti-on mit der Notwendigkeit einer systemischen Immun-suppression sind allogene Nerventransplantate von Er-wachsenen nicht in breitem klinischen Gebrauch.

Bevor die Nerventransplantation erfolgen kann,müssen die Nervenstümpfe entsprechend vorbereitetwerden. Dies erfolgt sowohl im proximalen als auch imdistalen Stumpfbereich (s. 12.2.2.1). Die entnommenenTransplantate werden auf eine Länge von 10% länger alsder Defekt gekürzt und invertiert in den Defektbereicheingebracht. Durch die Invertierung kann ein Verlustvon Axonen während der Regeneration verhindert wer-den. Auf eine ausreichende Anzahl von Nerventrans-plantaten ist zu achten. Ein „Overgrafting“, d.h. einEinbringen von mehr Transplantaten als die Fläche desNervenquerschnitts, sollte wenn möglich immer durch-geführt werden, da vor allem der N. suralis einen hohenAnteil an Bindegewebe zeigt.

Für den Erfolg einer Nerventransplantation ist dieQualität des Transplantatlagers von ausschlaggebenderBedeutung. Bei schlechtem Transplantatlager ist diesdurch eines „lagerverbessernden Eingriff“ (z.B. Lap-penplastik) zu beheben,oder es müssen längere Nerven-transplantate und/oder ein extraanatomischer Verlauf(z.B. N. radialis im Oberarmbereich) gewählt werden.Bei „ersatzstarkem“ Lager spielt die Länge des Nerven-transplantats nur eine untergeordnete Rolle.

Grundsätzlich können zwei unterschiedliche Techni-ken der Nerventransplantation unterschieden werden:die trunkuläre Transplantation und die interfaszikuläreTransplantation.

a

b

Abb. 12.11 a, b. End-zu-Seit Koaptation. a Koaptation des di-stalen Stumpfes „End-zu-Seit“; b Aufrechterhaltung der Koap-tation mit drei 10×0-Nähten

Mikrochirurgie peripherer Nerven 17KAPITEL 12

Bei großen Faszikeln und vor allem bei der Fixierungdes ersten dorsalen Faszikels, der als „dorsale Leitschie-ne“ dient, können 2 Nähte für eine exakte Koaptationnotwendig werden. Die weiteren Transplantate werdenin gleicher Technik,wenn möglich mit jeweils einer Nahtpro Nahtstelle,fixiert.Eventuell noch vorquellende Mye-linanteile werden durch entsprechend entgegengesetz-ten Zug mobilisiert und durch glatte Durchtrennung aufHöhe des Perineuriums rückgekürzt.

Trunkuläre Nerventransplantation. Die trunkuläreNerventransplantation kann bei proximalen (stammna-hen) Nervendefekten eingesetzt werden, da hier eineeindeutige intraneurale Topographie noch nicht vor-

Interfaszikuläre Nerventransplantation. Die interfaszi-kuläre Nerventransplantation ist die Technik der Wahl,vor allem im distalen (stammfernen) Abschnitt periphe-rer Nerven mit bereits festgelegter intraneuraler Topo-graphie (Abb. 12.12c). Die eingebrachten Nerventrans-plantate werden zunächst für die Transplantation vorbe-reitet. Hier erfolgt das Rückschieben der äußerenBindegewebsanteile in der gesamten Zirkumferenz mitder gerillten Schere bei gleichzeitigem entsprechendemGegenzug durch Anfassen des Nerventransplantats mitder Mikropinzette im perineuralen Bereich. Auch hierwerden eventuell vorquellende Myelinanteile mit derMikroschere auf die Höhe des Epineuriums zurüchge-kürzt. Das gleiche Vorgehen erfolgt im distalen Stumpf-bereich des Nerventransplantats.

Nervenstümpfe und Nerventransplantate sind nunfür die Transplantation vorbereitet. Mit Hilfe eines Ner-ventransplantats werden korrepondierende Faszikel-(gruppen) miteinander verbunden. Durch Einstechender Nadel unter das Epineurium und anschließendesAusstechen im Transplantatbereich, das wieder unterdem Perineurium bei gleichtzeitiger Schonung des Mye-lins erfolgt, wird die erste Naht durch einen 3fachenKnoten fixiert. Das gleiche Vorgehen erfolgt auch im di-stalen Nahtbereich.

Abb. 12.12 a–c. Interfaszikuläre Nerventransplantation. a Ein-bringen der invertierten Transplantate (mit einer Länge von10% mehr als die Länge des Nervendefekts);b Beginn der Ner-ventransplantation im dorsalen Bereich (das erste Nerven-transplantat dient als „dorsale Schiene“ analog dem Epineuri-um bei primärer Nervennaht); c interfaszikuläre Einbringungder Nerventransplantate zur Wiederherstellung der Kontinui-tät korrespondierender Faszikel(gruppen) analog der intra-neuralen Topographie

a c

b

18 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

liegt. Die eingebrachten Nerventransplantate werdenzunächst für die Transplantation vorbereitet. Im Gegen-satz zur interfaszikulären Transplantation müssen siegering mehr als 10% länger als der Defekt gewählt wer-den, da im Verlauf der Herstellung des trunkulären Ner-ventransplantats im proximalen und distalen Trans-plantatbereich jeweils ein zusätzlicher Anschnitt not-wendig ist.

Eine ausreichende Anzahl von Nerventransplantatenzur kompletten Abdeckung des Nervenquerschnittswird angehäuft. Im Bereich beider Transplantatendenwird ein Plastikhintergrund untergelegt. Im Bereich derTransplantatenden wird eine dreidimensionale Anord-nung der Nerventransplantate – für die Anschlüsse –durchgeführt. Im Transplantatverlauf selbst wird einehauptsächlich zweidimentionale Anordung, die eineAuffächerung der Nerventransplantate zulässt, gewählt.Durch die Auffächerung können die Nerventransplanta-te leichter aus der Umgebung re- bzw. neovaskularisiertwerden. Im Bereich der Transplantatenden werden dieTransplantate mittels Fibrinkleber miteinander verbun-den. Nach dreidimensionaler Anordung der Nerven-transplantatenden erfolgt die Gabe von Fibrinkleber(Abb. 12.13a). Nun wird das Plastik um die Naht gerolltund mit 2 Mikropinzetten an das trunkuläre Nerven-transplantat gedrückt, bis der Fibrinkleber abgebundenhat (Abb. 12.13b). Anschließend wird das Plastik ent-fernt. An der Klebestelle liegt ein kegelförmiger Über-schuss an abgebundenen Fibrinkleber vor. Das gleicheVorgehen wird auch am Gegenüberliegenden durchge-führt. Vor der Koaptation wird an beiden Transplanta-tenden ein frischer Anschnitt mit Exposition von Ner-vengewebe im gesamten Querschnittsbereich erfolgen(Abb. 12.13c).

Das zusammengesetzte trunkuläre Nerventransplan-tat wird nun in mikrochirurgischer Technik mittels we-niger epineuraler Nähte mit monofilem 10×0-Faden inden Defekt eingebracht. Der Fibrinkleber an beidenTransplantatenden dient als „Neoepineurium“ und stellteine mechanisch belastbare Schicht für die die Veranke-rung der Nähte dar. Abschließend ist darauf zu achten,dass im mittleren Abschnitt des zusammengesetzten

Abb. 12.13 a–d. Überbrückung eine stammnahen Nervende-fekts mit Hilfe eines zusammengesetzten trunkulären Nerven-transplantats. a Dreidimensionale Anordnung der Endigun-gen der Nerventransplantate auf einem Plastikhintergrundund Applikation des Fibrinklebers; b Einrollen des Plastikhin-tergrundes um die Koaptationsstelle und Andrücken mit 2 Mi-kropinzetten an die beiden Nervemstümpfe, bis der Fibrinkle-ber abgebunden hat; c postoperativer Aspekt nach Entfer-nung des Plastikhintergrundes und frischer Anschnitt imBereich des distalen Endes des zusammengesetzten trunkulä-ren Nerventransplantats; d Fixierung des zusammengesetz-ten trunkulären Nerventransplantats im Defekt mittels weni-ger epineuraler mikrochirurgischer Nähte

a

b

c

d

Mikrochirurgie peripherer Nerven 19KAPITEL 12

fäße (Arterie, Vene), Faszienschläuche etc. wurden auchzahlreiche nichtbiologische Substanzen erprobt.

In der klinischen Praxis konnten sich neben autolo-gen Venen, Silikonröhrchen und biodegradable, teilsauch semipermeable Röhrchen etablieren. Eine weitereMöglichkeit stellt die Interposition eines Basalmem-branconduits quer gestreifter Muskulatur dar. Aller-dings zeigte sich, dass eine den Ergebnissen nach auto-loger Nerventransplantation vergleichbare Regenerati-

trunkulären Nerventransplantats die einzelnen Nerven-transplantate möglichst breit aufgefächert sind, um einemöglichst schnelle Revaskularisation zu erreichen(Abb. 12.13d).

ConduitsNach anfänglichen Misserfolgen konnten kleine Ner-vendefekte zuverlässig mit Röhrchen überbückt wer-den. Neben biologischen Materialien wie Knochen, Ge-

3,5cm

2,0cm

2,0cm

3,5cm

Abb. 12.14 a, b. Überbrückung eines segmentalen Nervende-fekts <2 cm des N. digitalis proprius mit Hilfe eines Venencon-duits. a Klinischer Aspekt nach Bereitung des proximalen unddistalen Stumpfes und Einbringen des Venenconduits; b Fixie-rung der beiden Stümpfe nach proximaler und distaler Invagi-nation mit Hilfe je einer mikrochirurgischen Naht

a

b

20 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12

on nur bis zu einer Defektlänge von 2–3 cm zu erwartenwar. Eine gute Indikation für den Einsatz von autologenConduits stellt die Rekonstruktion kleiner Substanzde-fekte im Bereich rein sensibler Nerven, wie z.B. N. digi-talis proprius, dar (Abb. 12.14).

Bei Nervendefekten >2–3 cm kommt es aufgrund derfehlenden Schwann-Zellen und der von ihnen sezernier-ten Wachstumsfaktoren zu einer deutlich schlechterenNervenregeneration als nach autologer Nerventrans-plantation. Durch Einbringen von kleinen Nerven-stücken mit lebenden Schwann-Zellen in ein langesRöhrchen konnte tierexperimentell eine zufrieden stel-lende Regeneration auch über längere Defektstreckenerzielt werden. Mit Hilfe moderner Methoden der Zell-kultivierung ist es möglich, Schwann-Zell-Kulturen an-zufertigen, die – auf eine innere Matrix aufgebracht, inein bioresorbierbares Röhrchen eingebracht – als leben-des künstliches Nerventransplantat eingesetzt werdenkönnen.

NervendistraktionObwohl Einzelbeschreibungen gewollter und nicht ge-wollter (Vereinigung von Sehnenstümpfen mit denStümpfen des N. medianus) Distraktionen im Bereichperipherer Nerven existieren, hat sich dieses Verfahrenderzeit nicht in der klinischen Praxis etablieren können.Periphere Nerven können ohne klinisch sichtbare Funk-tionseinbuße bis zu 20% ihrer Länge gedehnt werden.Dies ist hauptsächlich der Grund, warum bei Extremitä-tenverlängerungen klinisch sichtbare nervale Defektenicht regelhaft auftreten. Allerdings führt die Extremi-tätenverlängerung zu signifikanten, subklinisch verlau-fenden elektrophysiologischen Veränderungen.

Eingriffe bei fehlendem proximalen Stumpf

Bei fehlendem proximalen Nervenstumpf, wie z.B.Wur-zelausriss bei Läsion des Plexus brachialis, kann eine ex-traanatomische Verbindung (Neurotisation) mit einemanderen Nerv (neuronerval) als Axonspender durchge-führt werden. Es erfolgt eine direkte Neurorrhaphie inEnd-zu-End- oder End-zu-Seit-Technik.

Eingriffe bei fehlendem distalen Stumpf

Ist der Nerv aus dem motorischen Feld seines Effektor-muskels herausgerissen, fehlt ein distaler Stumpf zurNeurotisation. Durch direkte neuromuskuläre Pfropfungan verschiedenen Stellen des Muskels – möglichst ubi-quitär über den Muskel verteilt – ist es möglich, einefunktionelle Muskelkontraktion zu erreichen.

Operationstechnisch ist dabei zu beachten, dass einemöglich große Aufsplitterung im Sinn einer intraneura-len mikrochirurgischen Neurolyse des proximalen Ner-venstumpfes oder daran fixierter Transplantate erfolgenmuss. Die einzelnen Faszikel werden nach Längsspal-tung der Muskelfasern möglichst atraumatisch in denMuskel eingebracht und mit einer mikrochirurgischenNaht fixiert (Abb. 12.15).

12.2.3 Fehler und Gefahren

Neben operationstechnischen Fehlern (Tabelle 12.3)sind eine ungünstige Wahl des Zeitpunktes der Ner-venrekonstruktion sowie eine mangelhafte postope-rative Ruhigstellung die Hauptursachen für ein unbe-friedigendes Ergebnis nach Nervenwiederherstel-lung.

Die primäre Nervenrekonstruktion in traumatisch starkverschmutztem und geschädigtem Gebiet ist durch se-kundäre Infektionen und Hämatome hoch gefährdetund wird daher nicht empfohlen. Dies gilt umso mehrfür den Einsatz von Nerventransplantaten.

!

Abb. 12.15. Direkte neuromuskuläre Neurotisation

Mikrochirurgie peripherer Nerven 21KAPITEL 12

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Tabelle 12.3. Schritte der mikrochirurgischen Neurorrhaphie und mögliche Fehlerquellen

Arbeitsschritte Fehler und Gefahren

1. Bereitung der Nervenstümpfe Inadäquate Beurteilung der wirklichen Schädigung der NervenstümpfeInadäquate mikrochirurgische Präparation der Nervenstümpfe

2. Approximation der Stümpfe Ungenügende Mobilisierung der Nervenstümpfe/übermäßige Mobilisierung mit iatrogener Devaskularisierung

Approximation in schlechtem Lager (mitbestehender Muskel-Sehnen- und/oder Knochenschaden)

3. Koaptation Koaptation unter SpannungInadäquate Beachtung der intraneuralen Topographie Zu wenig Nerventransplantate pro Querschnitt bzw. inadäquate

Nerventransplantate

4. Aufrechterhaltung der Koaptation Neurorrhaphie ohne Operationsmikroskop/kein Einsatz mikrochirurgischer Instrumente

Zu dickes Nahtmaterial, zu feste Naht, zu viele Nähte (Fibrose)Inadäquate Applikation von Fibrinkleber in den Koaptationsspalt

5.Wundschluss Einschichtiger WundschlussEinlage von Saugdrainagen in KoaptationsnäheExterner Druck auf Koaptation

6. Postoperative Nachbehandlung Fehlende oder inadäquate Ruhigstellung für 10 TageInadäquate postoperative Kontrolle der RegenerationInadäquate postoperative physiotherapeutische Begleittherapie

22 Mikrochirurgie peripherer Nerven KAPITEL 12