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Politik- wissenschaft Studienbuch für die Polizei von PD Dr. Bernhard Frevel Prof. Dr. Hans-Joachim Asmus Dr. Carsten Dams Hermann Groß Prof. Dr. Karlhans Liebl Prof. Dr. Patrik Ernst Sensburg VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb

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Politik-wissenschaft

Studienbuchfür die Polizei

von

PD Dr. Bernhard FrevelProf. Dr. Hans-Joachim Asmus

Dr. Carsten DamsHermann Groß

Prof. Dr. Karlhans LieblProf. Dr. Patrik Ernst Sensburg

VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBHBuchvertrieb

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Vorwort

Polizei und Politik haben nicht nur einen gemeinsamen Wortursprung. Die Beziehungen sind vielschichtiger und bedeutsamer: In der Übernahme der Sicherheitsgewährung als Staatsaufgabe konstituiert sich erst der Staat, und so trägt die erfolgreiche Polizeiarbeit ganz wesentlich zur Existenzberech-tigung und Legitimation eines Staates bei. Vermag die Politik es nicht, den Bürgern Sicherheit in angemessenem Rahmen zu gewähren, so scheitert die Regierung und gegebenenfalls sogar der Staat. Aber auch im Kleineren wird die Beziehung deutlich: Die politische Regelung der polizeilichen Aufgaben und der polizeilichen Kompetenzen steuert die tagtägliche Arbeit in den vielen Tätigkeitsfeldern im Bereich Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Prävention und Opferschutz. Nicht zuletzt muss zudem die Polizei als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols auch aktiv werden, um politische Entscheidungen durchzusetzen.

So empfiehlt es sich für die Polizistin und den Polizisten,

– etwas über die ideologischen und strukturellen Grundlagen der Politik zu wissen,

– Kenntnisse über das politische System zu haben, in dem sie leben und das sie repräsentieren,

– zu erkennen, wie Politik polizeiliches Handeln als Kriminal- und Polizeipolitik steuert,

– zu reflektieren, warum sich Polizei im heutigen demokratischen Deutsch-land so fundamental von der Polizei vergangener deutscher Staatsformen unterscheidet,

– politisch gefärbte Sicherheitsbedrohungen in Form von Extremismus und Terrorismus zu verstehen sowie

– die gravierenden Umbrüche in Zeiten von Europäisierung und Globalisierung mit ihren Wirkungen auf polizeiliches Handeln einordnen zu können.

Vier Sozialwissenschaftler, ein Jurist und ein Historiker aus vier Bundesländern haben es sich mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht, möglichst verständlich die Grundlagen der oben genannten Berührungspunkte von Politik und Polizei zu beschreiben.

Als Studienbuch soll es in den Vorlesungen und Seminaren an den Polizei ausbildenden Hochschulen zum Einsatz kommen, die Vor- und Nachbereitung der Lehre unterstützen sowie das Lernen für Prüfungen erleichtern. Sowohl in den bisherigen Diplom- und Staatsprüfungsstudiengängen als auch in den

Vorwort

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Vorwort

jungen Bachelor- und Master-Studien werden die hier präsentierten Inhalte entweder in den fachspezifischen Lehrangeboten oder in den interdisziplinär strukturierten Modulen ihren Platz haben. Im Namen aller Autoren wünschen ich unseren Leserinnen und Lesern viel Erfolg in Studium und Beruf und hoffe, dass unsere Autorenarbeit dazu beiträgt.

Ahaus und Hilden, im Sommer 2009 Bernhard Frevel

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Polizei, Politik und Politologie ............................................... 11 (von Bernhard Frevel)

1.1 Was ist Politik? ............................................................................ 121.2 Was ist Politikwissenschaft? ....................................................... 201.3 Politikwissenschaft für die Polizei ............................................... 22

2 Politische Theorie und polizeiliche Kompetenz ................... 26 (von Bernhard Frevel)2.1 Politische Theorien – Gesellschaftliche Strömungen .................. 272.1.1 Liberalismus ................................................................................ 282.1.2 Konservatismus .......................................................................... 302.1.3 Nationalismus ............................................................................. 322.1.4 Sozialismus ................................................................................. 332.1.5 Ökologisch-demokratische Richtung ......................................... 352.2 Polizeirelevante Wirkungen der ideologischen Staats- und

Menschenbilder ........................................................................... 37

3 Das politische System der Bundesrepublik Deutschland .. 56 (von Hermann Groß) 3.1 Verfassung, Verfassungsgericht und Staatsoberhaupt ............... 603.1.1 Verfassung und Verfassungsprinzipien ...................................... 603.1.2 Bundesverfassungsgericht .......................................................... 623.1.3 Staatsoberhaupt: Bundespräsident ............................................. 633.2 Parlament, Regierung und Ministerialverwaltung ....................... 663.2.1 Demokratisches Entscheidungszentrum: Der deutsche ............ 66 Bundestag ................................................................................... 3.2.2 Die parlamentarische Repräsentation der Länder: Bundesrat .... 753.2.3 Regieren und Verwalten ............................................................. 783.3 Gesetzgebung: Verfahren und Prozess ...................................... 873.4 Politische Willensbildung: Wahlen, Parteien und Interessengruppen ...................................................................... 943.4.1 Wahlen ........................................................................................ 943.4.2 Parteien und Parteiensysteme .................................................... 1013.4.3 Interessengruppen ...................................................................... 1053.5 Kommunalpolitik ......................................................................... 1083.6 Perspektiven einer etablierten Demokratie ................................. 110

4 Politikfeldanalyse Innere Sicherheit .................................... 1134.1 Historische Polizeientwicklung in Deutschland .......................... 121 (von Carsten Dams)4.1.1 Die Anfänge der Polizei in Deutschland..................................... 121

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4.1.2 Die Polizei während des Kaiserreichs........................................ 1224.1.3 Die Polizei der Weimarer Republik ............................................ 1244.1.4 Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus ............................. 1274.1.5 Besatzungszeit und Entwicklung in beiden deutschen Staaten....................................................................................... 1314.1.6 Ausblick ...................................................................................... 1344.2 Kriminal- und Polizeipolitik in Deutschland ............................... 135 (von Karlhans Liebl)4.2.1 Kriminalpolitik – Grundlagen ...................................................... 1354.2.2 Polizeipolitik – Grundlagen ........................................................ 1414.2.3 Kriminal- und Polizeipolitik – Problembereiche und Inhalte ....... 1434.2.4 Ausblicke auf eine zukünftige Kriminal- und Polizeipolitik ......... 154

5 Politischer Extremismus und islamischer Terrrorismus ........................................................................... 157 (von Hans-Joachim Asmus)5.1 Politischer Extremismus ............................................................. 1575.1.1 Die Bekämpfung des politischen Extremismus als Aufgabe der Polizei .................................................................................. 1595.1.2 Rechtsextremistische Ideologie ................................................. 1625.1.3 Linksextremistische Ideologie .................................................... 1665.1.4 Entwicklung der extremistischen Straftaten ............................... 1705.1.5 Das Wahl- und Personenpotenzial im Rechts- und Linksextremismus ...................................................................... 1755.1.6 Gewalttätige und gewaltbereite Rechts- und Links- extremisten ................................................................................ 1805.1.7 Erklärungsansätze des politischen Extremismus in der Gesellschaft .............................................................................. 183 5.2 Islamisch begründeter Terrorismus ........................................... 1905.2.1 Der problematische Terrorismusbegriff...................................... 1905.2.2 Die geschichtliche Entwicklung des Islam und des islamistischen Terrorismus .................................................. 1915.2.3 Die Struktur der Al-Qaeda und ihre Bedeutung im internationalen Terrorismus .................................................. 1945.2.4 Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ..................... 196

6 Bedeutung von Globalisierung, Internationalisierung und Europäisierung für die Polizei ........................................ 201 (von Bernhard Frevel und Patrik Ernst Sensburg) 6.1 Sicherheitsrelevante Auswirkungen ........................................... 2056.2 Europäisierung der Inneren Sicherheit ...................................... 2086.2.1 Schengen und die Europäische Union....................................... 210

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6.2.2 Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen 2126.2.3 Europol....................................................................................... 2146.2.4 Eurojust ..................................................................................... 2156.2.5 Weitere Formen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa ....................................................... 2176.2.6 Neue Instrumente der Zusammenarbeit ................................... 2206.3 Herausforderungen an eine neue Sicherheitsarchitektur........... 2246.4 Ein thesenartiger Blick in die Zukunft......................................... 226

7 Literatur ................................................................................... 229

8 Die Autoren ............................................................................. 245

9 Stichwortverzeichnis ............................................................. 247

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Polizei, Politik und Politologie

1 Polizei, Politik und Politologie

Eigentlich könnte doch schon die begriffliche Nähe von „Polizei“ und „Politik“ das Interesse der Polizistinnen und Polizisten an Politik auslösen. Beide Be-griffe stammen aus dem Griechischen, in dem „polis“ für die Stadt bzw. die Stadtverwaltung stand. In dieser Stadt kümmerten sich die einen – Politik – um die Planung, Entscheidung und den Interessensausgleich, während sich die anderen – Polizei – handelnd um die Wohlfahrt und gute Ordnung des Gemeinwesens kümmerten (wobei die heutige Aufgabentrennung sich erst langsam entwickelte). Polizei – oder pollicey, pollicy, policzey oder policei, wie es in deutschen Landen zu Zeiten ohne Rechtschreibverordnungen und DUDEN auch heißen konnte – war also zunächst der Name für die (Stadt-) Verwaltung in einem weiteren Sinne als heute, wo sich die Polizei im Wesent-lichen auf den exekutiven Bereich der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr konzentriert. In der Frühzeit der organisierten Gemeinwesen umfasste Polizei alle Verwaltung und noch heute finden sich z. B. in Österreich und der Schweiz Verwaltungsbereiche, die mit „-polizei“ bezeichnet werden, wo in Deutschland anders formuliert wird, so z. B.: Baupolizei als Bauamt, die Gemeindepolizei als Ordnungsamt, die Gesundheitspolizei als Gesundheitsamt, die Industrie-, Markt- und Gewerbepolizei als Gewerbe(aufsichts)amt oder Feuerpolizei bzw. Brandpolizei, die Aufsichts- und Genehmigungstätigkeiten übernehmen, die bei uns die Feuerwehr erledigt. Das ehemalige Verständnis von Polizei als hoheitliches Handeln ließ im 19. Jahrhundert gar eine Policeywissenschaft entstehen, die sich als Staatswissenschaft verstand und aus der sich dann die Rechtswissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Staatsökonomie (Volkswirt-schaftslehre) oder auch die Politikwissenschaft differenzierten. Etymologisch lässt sich also unterstellen, dass sich sowohl Polizei (im weiteren wie engeren Verwaltungssinn) und auch Politik um die „rechte Ordnung“ und das Gutergehen der Menschen im Gemeinwesen kümmern – wobei die jeweiligen Mittel zum Erreichen dieses Ziels allerdings unterschiedlich sind. Die Beziehung von Polizei und Politik geht aber über den begrifflichen Ursprung deutlich hinaus und ist vielfältiger. Einige wenige Stichworte sollen dies hier skizzieren: Die politische Gestaltung des Polizeiauftrages sagt sehr viel aus über

das jeweilige Politik- und Staatsverständnis sowie das diesem zugrunde liegende Menschenbild. So ist der sogenannte Polizeistaat bemüht, mit ständiger Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger, der stetenVerdächtigung, dem niederschwelligen Eingriff und hoher Gewaltbereitschaft seine Macht zu zementieren und die „staatsgefährdenden Umtriebe“ der nach Selbst-bestimmung strebenden Menschen zu unterdrücken. Der Rechtsstaat hingegen begrenzt sein eigenes Handeln, zügelt die Polizei, unterwirft

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Frevel • Polzei, Politik und Politologie

sie der straf- und verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und versucht damit, die individuellen und gesellschaftlichen Entfaltungs- und Gestaltungs-möglichkeiten zu sichern.

Der Staat regelt mit der Kriminal-, Sicherheits- und Justizpolitik die Möglichkeiten und Begrenzungen polizeilichen Handelns. Mit der straf-rechtlichen Kriminalisierung oder Entkriminalisierung von Handlungen wird das Aufgabenfeld der Polizei begrenzt oder erweitert. Mit dem Zulassen oder Verbieten von Kontroll-, Ermittlungs- und Vernehmungsmethoden wird das Handlungsspektrum der Polizei festgelegt.

Der Staat setzt Polizei ein, um politische Entscheidungen auch gegen den Widerstand der Bevölkerung oder von Teilen der Bevölkerung durchzusetzen. Beispiele hierfür sind z. B. in Deutschland die polizei-legendären Auseinandersetzungen, die mit den Ortsnamen „Brokdorf“, „Gorleben“, „Kalkar“, „Wackersdorf“ oder „Startbahn West“ in Verbindung stehen.

Polizei und Politik haben viel miteinander zu tun und für die Polizei ist es wichtig, Politik zu verstehen, um daraus Orientierungswissen für die eigene Institution zu ziehen, die politischen Rahmenbedingungen ihres Handelns reflektieren und einordnen zu können – aber auch, um selbst ihre Interessen im politischen Streit zu vertreten. Die Kenntnis von Politik mit ihren Strukturen und Prozessen sowie die Fähigkeit zur Analyse von Politik verschafft den Polizistinnen und Polizisten das Wissen, die Möglichkeiten und Grenzen der Polizei besser einzuordnen, die eigene Position im politischen System Deutschlands zu verstehen sowie die Ziele des polizeilichen Handelns nachzuvollziehen. Besonders wichtig ist das politische Bewusstsein aber auch für die Polizei, damit sie die politisch bedeutsamen Abwehr- und Teilhaberechte der Bürgerinnen und Bürger aner-kennt und schützt, die freiheitlichen Werte der Demokratie teilt und verteidigt und die politisch motivierten Gefährdungen der Inneren Sicherheit angemessen bekämpfen kann.

1.1 Was ist Politik?

Die Begriffe „Politik“ und „politisch“ gehören zur alltäglichen Umgangssprache, so dass sich fast die Kapitelfrage „Was ist Politik?“ erübrigen könnte. Beim Ver-such der Definition werden sich jedoch leicht Schwierigkeiten einstellen. Werden „ganz normale“ Menschen befragt, was für sie Politik umfasst, so werden die Antworten in sehr unterschiedliche Richtungen laufen. Betont der eine die Rolle von Regierung und Parlament, verweist die Zweite auf die Demokratie. Der Dritte winkt heftig ab und schimpft auf die Politiker, die ein dreckiges Geschäft betreiben, während die Vierte Politik als ein undurchschaubares, kompliziertes

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Ringen um die Zukunft beschreibt. Politikverdrossen mosert der Fünfte, dass „die da oben“ ja doch tun, was sie wollen und er darauf doch keinen Einfluss habe, und Wählen lohne sich auch nicht.

Wer von solchen Spontanantworten und emotionalen Haltungen nicht viel hält und sich daher fragend an die Wissenschaft als die zuständige Adresse wendet, der wird wahrscheinlich darüber erstaunt sein, dass er damit noch keineswegs am Ziel seines Wunsches nach einer klaren Definition angelangt ist.

Die Politikwissenschaft wurde zuweilen „als Disziplin auf der Suche nach ihrem Gegenstand“ bezeichnet (Naschold 1970: 14). Während sich andere Disziplinen, wie etwa die Wirtschaftswissenschaften, die Rechtswissenschaft, die Literatur- und Sprachwissenschaft, von den Naturwissenschaften ganz zu schweigen, ihres Gegenstandes (vermeintlich) gewiss sind und ihn auch ver-hältnismäßig klar und präzise definieren können, liegen bei der Bestimmung dessen, was Politik ist, die Dinge offensichtlich anders, weniger eindeutig. So verwundert es nicht, was der bekannte britische Wissenschaftler J.W.M. Mackenzie in diesem Zusammenhang sagte: „Wir wissen eigentlich nicht, was Politik ist, aber wir sehen, dass sie sich ereignet“ (zitiert in Böhret u. a. 1988: 2).

Diese beiden Zitate sind sicherlich sehr zugespitzt und provokativ, denn ganz so unklar ist denjenigen, die sich wissenschaftlich mit Politik befassen, der Gegenstand ihrer Arbeit natürlich nicht. Dennoch wird daraus etwas Wichtiges deutlich: es ist schwierig, „Politik“ eindeutig zu bestimmen und von anderen Phänomenen abzugrenzen. Selbst die Wissenschaftler stimmen bei der Be-schreibung ihres Gegenstandes nicht immer miteinander überein. Konkret: Auf die Frage, was Politik ist, wurden und werden auch von „kompetenter“ wissenschaftlicher Seite voneinander abweichende Antworten gegeben. Unterschiedliche Fragestellungen – oder auch „Erkenntnisinteressen“ – so-wie verschiedene Grundüberzeugungen der Wissenschaftler sind hierfür die Ursachen. Einzelne Definitionen beleuchten bestimmte Aspekte, Facetten der Politik. Eine allgemeingültige Definition in einem Satz, auf die sich alle Polito-logen einigen würden, gibt es nicht.

Beim Blick auf verschiedene Definitionen und Versuche der Begriffsbestimmung ergibt sich ein breites Spektrum von Auffassungen, die zusammengenommen aber ein klareres Bild dessen geben, was als typisch „politisch“ gilt. Schauen wir uns einige wichtige näher an, um daraus dann Schlussfolgerungen zu ziehen:

Nach einer weit verbreiteten, fast könnte man sagen: vorherrschenden, Auffassung geht es bei der Politik um „Umgang mit der Macht“. So sah es der Florentiner Schriftsteller und Politiker Niccolo Machiavelli Anfang des 16. Jahrhunderts in seinen Schriften, die als Anleitung für das politische

Was ist Politik?

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Frevel • Polzei, Politik und Politologie

Geschäft gelten. Er sagt: „Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“ (vgl. Böhret u. a. 1988: 3). Und der Soziologe Max Weber formulierte zu Beginn unseres Jahrhunderts: „Politik würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates oder zwischen den Menschengruppen, die er umschließt.“ Und: „Der Politik treibt, erstrebt Macht“ (1972: 822).

Politik wird häufig auf den Staat bezogen. Für die Politik sind – mehr oder weniger ausschließlich – der Staat und seine Einrichtungen zuständig, sie „machen“ Politik. Damit ist der Öffentlichkeitscharakter von Politik angesprochen, es geht um öffentliche Angelegenheiten (lateinisch: res publica; das davon abgeleitete Wort „Republik“ – für uns eine Staatsform – war für die Römer lange Zeit gleich bedeutend mit „Staat“). Wie diese behandelt und geregelt werden und mit welchem Ergebnis – das ist Gegenstand und Aufgabe der Politik.

Politik wird auch immer wieder als Führungsaufgabe gesehen. Im Evangelischen Staatslexikon von 1975 heißt es: „Politik ist Führung von Gemeinwesen auf der Basis von Machtbesitz.“

Politik als Umgang mit und Einsatz von Macht, als staatliches Handeln, als Führungsaufgabe – so verschiedene Akzente hier jeweils gesetzt werden, gemeinsam ist diesen Auffassungen die Orientierung auf eine übergeordnete Instanz hin, die für die Regelung der öffentlichen Angelegenheiten verantwort-lich ist. Aufgrund dieser Ausrichtung wird hier von einem „gouvernementalen Politikbegriff“ gesprochen.Mit welchem Ziel das geschieht, was also durch politisches Handeln erreicht werden soll, das kommt in einer anderen Gruppe von Auffassungen über Politik zum Ausdruck:

„Politik ist Kampf um die rechte Ordnung.“ So definierte 1950 Otto Suhr, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Was das im Einzelnen bedeutet, kann indessen Gegenstand heftigen Streits sein.

Präziser ist eine andere Zielvorstellung, wie sie der frühere Heidelberger Politikwissenschaftler und Publizist Dolf Sternberger formuliert hat: „Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede ... der Friede ist die politische Kategorie schlechthin.“ Damit ist dem Politiker ein Ziel gesetzt, wobei auch hier offen bleibt, wie es erreicht und gesichert werden kann.

Ein anderes Ziel politischen Handelns wird in den Begriffen „Freiheit“ oder „Demokratie“ ausgedrückt. In beiden Fällen geht es um charakteristische Merkmale der Ordnung eines Gemeinwesens, also des Staates und der Gesellschaft.

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Ordnung, Frieden, Freiheit und Demokratie sind nicht nur Ziele, sondern auch Orientierungspunkte politischen Handelns, sie umfassen Werte und Normen, weshalb sie auch als normative Politikbegriffe eingeordnet werden. Das mag recht abstrakt, vielleicht zu abstrakt erscheinen, zumal das Verständnis von Freiheit und Demokratie erfahrungsgemäß sehr unterschiedlich ist. Geht es in der Politik nicht um ganz handfeste Dinge? Dieser Überlegung trägt der folgende Definitionsversuch Rechnung:Politik ist die autoritative, von Regierenden und Herrschenden vorgenommene Verteilung von materiellen und immateriellen Werten in der Gesellschaft. Mit dieser Deutung weist der amerikanische Sozialwissenschaftler David Easton nachdrücklich auf ein weiteres Merkmal von Politik und politischem Handeln hin: Dass es bei der Regelung öffentlicher Angelegenheiten, die den einzelnen Menschen direkt betreffen, um die Verteilung von „Gütern“ (in einem sehr weiten Sinn verstanden) geht, um den Anteil, der dem einzelnen zufällt. Das bedeu-tet für den einzelnen Menschen, den Bürger, konkret: er fordert und erwartet „vom Staat“ Leistungen, z. B. Verkehrsverbindungen, Energieversorgung, Kommunikationsmittel (Post, Telefon), kommunale Versorgungs- und Entsor-gungseinrichtungen (Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung), Ausbildungsmöglich-keiten oder im Bereich der sozialen Sicherheit die Arbeitslosen-, Kranken- und Altersversorgung, ferner innere und äußere Sicherheit. Man muss nur eine Tageszeitung aufschlagen, um zu sehen, dass die Frage der Verteilung solcher Werte und Güter Anlass zu vielfältigem Streit ist: Wer welchen Anteil erhält und zu welchem Zeitpunkt und auch in welchen Raten; welche Leistung Vorrang vor anderen haben soll (Mehr Geld in die Bildung oder in die Sicherheit oder in die sozialen Leistungen? Zuerst Aufstockung von Löhnen und Gehältern oder Erhöhung des Anteils für Entwicklungshilfeleistungen oder militärische Rüstung?); welche Leistungen überhaupt vom Staat zu erbringen bzw. dem freien Spiel gesellschaftlicher Kräfte zu überlassen sind, wie also Staat, Gesellschaft und Wirtschaft geordnet sein und sich entwickeln sollen. Konflikt scheint damit ein wesentlicher Bestandteil dessen, was Politik aus-macht. Das kommt in den folgenden Definitionsversuchen zum Ausdruck:Politik als Kampf um die Veränderung oder Bewahrung bestehender

Verhältnisse. Diese Sichtweise des Politikwissenschaftlers und Zeit-geschichtlers Graf von Krockow umfasst die gesamte Ordnung eines Gemeinwesens, und die Verwendung des Ausdrucks „Kampf“ macht klar, dass dabei sehr intensive Auseinandersetzungen stattfinden können.

Diese Auffassung findet eine ganz besondere Zuspitzung in der Vorstellung von Politik als Klassenkampf. Im Wörterbuch der marxistisch-lenini-stischen Soziologie heißt es wörtlich: Politik sei „der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringende Kampf der Klassen und ihrer

Was ist Politik?

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Frevel • Polzei, Politik und Politologie

Parteien, der Staaten und Weltsysteme um die Verwirklichung ihrer sozialökonomisch bedingten Interessen und Ziele sowie die Stellung der Schichten und Klassen zur Macht“. Damit wird auch eine klare Antwort auf die Frage gegeben, was letztlich die Ursache dieses Kampfes ist: sozialökonomisch bedingte Interessen und Ziele. Diese Erklärung ent-spricht der marxistisch-leninistischen Ideologie, für die es charakteristisch ist, alle Konflikte auf sozialökonomische Ursachen als eigentliche und letzte Wurzel zurückzuführen.

Es ist täglich zu erleben, dass es noch vielfältige andere Konfliktbereiche und Konfliktursachen gibt: religiöse, weltanschauliche, ökologische aber auch ethnische Konflikte – durchweg sehr grundsätzliche Gegensätze, die häufig im internationalen Bereich angesiedelt sind, aber auch im Alltag europäischer Gesellschaften und Staaten eine Rolle spielen.Neben solchen Grundsatzproblemen sind es „im politischen Alltag“ aber vor allem Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Verteilung von Werten und Gütern, die zu Konflikten führen. Politik hat wesentlich mit solchen Kon-flikten und ihrer Lösung zu tun. Das wird in der folgenden Formulierung des deutschen Politikwissenschaftlers Gerhard Lehmbruch (1971: 17) deutlich. Er versteht Politik „als gesellschaftliches Handeln (d.h. Handeln, das zweckhaft auf das Verhalten anderer bezogen ist), welches darauf gerichtet ist, gesell-schaftliche Konflikte über Werte (einschließlich materieller Güter) verbindlich zu regeln“. Lehmbruch betont dabei, dass Verbindlichkeit keineswegs Zwang bedeuten muss. Diese Deutung von Politik geht davon aus, dass in jeder Gesellschaft Konflikte vorhanden sind, weil die Menschen unterschiedliche Interessen und Anschauungen haben. Sie geht zweitens davon aus, dass solche Konflikte geregelt werden müssen: wenn sich Menschen zu einem Gemeinwesen zusammenschließen, dann tun sie dies nicht zuletzt in der Erwartung, dass in diesem Rahmen Aufgaben bewältigt und auch Konflikte gelöst werden und zwar besser, als wenn es diesen Zusammenschluss nicht geben würde. Über die Art und Weise, wie eine verbindliche Konfliktregelung erfolgt, sagt die Formulierung nichts aus. Diese Politikbegriffe werden als konfliktorische bezeichnet, weil sie die wi-derstreitenden Interessen in den Vordergrund rücken.Ziel dieses Überblicks über verschiedene Definitionsversuche und Auffassun-gen war es, von politikwissenschaftlicher Seite Antworten auf die Frage zu erhalten, was Politik ist. Der Überblick zeigt ein vielfältiges, buntes Bild. Jeder Definitionsversuch beleuchtet einen ganz bestimmten Aspekt von Politik, lenkt die Aufmerksamkeit auf einzelne wichtige Facetten; zusammengenommen wird das Bild dessen, was man unter „Politik“ versteht, aber doch klarer und gewinnt Konturen.

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Politik als Regelung öffentlicher Angelegenheiten kann man im Einzelnen zu definieren versuchen, indem man erstens nach den dabei angestrebten Zielen und Inhalten (Ordnung, Friede, Freiheit, Verteilung von Werten), zweitens nach den dabei zur Anwendung kommenden Mitteln und For-men fragt (Umgang mit und Einsatz von Macht, staatliches Handeln, Führungsaufgabe) und sich drittens vergegenwärtigt, dass es sowohl über die Ziele als auch die Formen der Regelung öffentlicher Angelegenheiten Konflikte (gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Klassenkampf) gibt, die von Interessen geleitet werden. Damit werden ganz zentrale Aspekte des Politischen beleuchtet.

Der in den vorgenannten Zitaten verdeutlichte Streit um die Definition der Politik war in Deutschland vor allem in den 1950er bis 1970er Jahren geführt worden (weshalb hier auch die alten Quellen genutzt wurden). In einer Zeit also, als sich die Politik nach den Erfahrungen des politischen Desasters des Nationalsozialismus, unter den neuen Bedingungen der Demokratie und der Suche nach dem „richtigen Weg“ für Staat und Gesellschaft finden musste. Auch der langsame Aufstieg der Politikwissenschaft befruchtete die Diskussion. Dabei wurde durchaus heftig gestritten, bis sich dann ein eher pragmatisches Verständnis vom wissenschaftlichen Gegenstandsbereich „Politik“ entwickelte.Aus der Erkenntnis heraus, dass es keinen Grundkonsens für einen gemein-samen Politikbegriff geben kann und aus der Anerkennung der vielfältigen Forschungsfragen und -zugänge kam es zu der Einigung auf den gemeinsamen Nenner, dass der Wesensbegriff von Politik mehrdimensional betrachtet wer-den muss. Nicht allein die staatliche Ordnung, die gesellschaftlichen Konflikte oder die ideologischen Werte und Ziele können umschreiben, was Politik ist. In Übernahme des angelsächsischen Begriffstrios wird Politik in drei Dimen-sionen differenziert.1. Polity: hiermit wird die Form von Politik bezeichnet, wie sie uns in Verfas-

sung, Gesetzen und Institutionen begegnet, die Ordnung ist ein wesent-liches Merkmal;

2. Policy: umfasst den Inhalt von Politik, die Aufgaben und Ziele, die politi-schen Programme und betrifft die Gestaltung von Politik;

3. Politics: hierunter wird der politische Prozess verstanden, die Auseinan-dersetzung in Konflikten, die Suche nach Kompromissen und Konsens, die Vermittlung von Interessen: hier geht es um Macht und Durchsetzung.

Diese drei Dimensionen mit entsprechenden Kategorien und zugehörigen Schlüsselfragen liefern dem Politikwissenschaftler ein wichtiges Gerüst, um sein Erkenntnisinteresse, seine analytischen Betrachtungsschwerpunkte und auch seine Problemaufbereitung zu strukturieren.

Was ist Politik?

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Welche internationalen Abkommen/Regelungen bestimmen den Hand-lungsrahmen?

Welche Grundgesetzarti-kel werden berührt? Welche zentralen verfassungsrechtlichen Prinzipien müssen be-rücksichtigt werden?

Welche politischen Institutionen sind an politischen Entscheidun-gen beteiligt und welche Kompetenzen haben sie? Welche Gesetze und Rechtsnormen spielen eine Rolle?

Welche Wirkungen hat die politische Kultur? Um welches politisches Problem geht es?

Welche Ziele sollen erreicht werden? Welche Lösungsvor-schläge werden disku-tiert? Zu welchen Ergebnissen hat die Politik geführt?

Wie werden die Ergeb-nisse bewertet?

Tab. 1.1: Dimensionen des Politischen als Analyseinstrument

Dimensionen Kategorien Schlüsselfragen

– Internationale Abkom-men und Regelungen

– Grundgesetz

– Zentrale Verfassungs-prinzipien

– Politische Institutionen

– Gesetze und Rechts-normen

– Politische Kultur

– Politisches Problem

– Programme– Ziele– Lösungen

– Ergebnisse der Politik

– Bewertung der Politik

Policy (Inhalt) InhaltlicheHandlungsprogramme

Polity (Form) Politischer Handlungs-rahmen

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Welche politischen Ak-teure stehen im Mittel-punkt? Wer ist beteiligt, wer ist betroffen? Welche Chancen der Mitwirkung bestehen und welche werden genutzt?

Wie verlaufen die Kon-fliktlinien? Welche Machtstrukturen lassen sich feststellen und was beeinflusst sie? Welche Interessen kön-nen definiert werden, wie werden sie vermittelt und durchgesetzt? Wie werden Mehrheiten gefunden und wie wird Zustimmung gesucht?

Politics (Prozess) Politischer Willens- bil-dungs- und Entschei-dungsprozess

– Politische Akteure– Beteiligte, Betroffene

– Partizipation

– Konflikte

– Kampf um Machtantei-le und

– um Entscheidungsbe-fugnis

– Interessen(vermittlung) -artikulation -auswahl -bündelung -durchsetzung

– Legitimationsbeschaf-fung

- Verhandlungen - Kompromisssuche - Konsensfindung

aus: Ackermann u. a. 1995: 31 f.

Diese drei Dimensionen von Politik sind immer in einem Wechsel- bzw. Be-einflussungsverhältnis zu sehen. Wer sich beispielsweise als Wissenschaftler mit dem Problem der politischen Wirkung und Arbeitsweise von Interessens-organisationen (Gewerkschaften, Verbände etc.) befasst (Politics), kann dies nur tun, indem er die institutionellen Bedingungen in dem jeweiligen Staat berücksichtigt (Polity) und die zu vermittelnden politischen Inhalte (z. B. hinsicht- lich der Verfassungskonformität) einbezieht (Policy). Wer sich mit Polizeipolitik in Deutschland beschäftigt, wird auf der polity-Seite z. B. die freiheitliche Aus-richtung des Grundgesetzes, die Rechtsstaatlichkeit und den Föderalismus berücksichtigen müssen.

Die Polity-Dimension erfasst z. B. die sicherheitspolitischen Vorstellungen der Parteien, die berufsständischen Interessen der Polizistinnen und Polizisten

Was ist Politik?

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Frevel • Polzei, Politik und Politologie

sowie die Interpretation der Gefährdungslage. Die politics sind dadurch bestimmt, dass verschiedene Akteure an der Politikgestaltung mitwirken, von denen einige gut organisiert, konfliktfähig und einflussmächtig sind, während andere Akteure große Schwierigkeiten haben, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.

1.2 Was ist Politikwissenschaft?„Politikwissenschaft1) ist die Wissenschaft von der Politik“, könnte die Antwort lauten. Die Information, was Politik ist, wurde bereits im vorigen Abschnitt ge-geben, so dass nur noch zu klären ist, welches Wissenschaftsverständnis die Disziplin prägt und welche Themenfelder von ihr abgedeckt werden.Auch wenn fast „schon immer“ über Politik nachgedacht wurde, ist die Poli-tikwissenschaft als eigenständige Disziplin noch recht jung. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in ganz Europa erst zwei explizite Zentren für Politikwissen-schaft in Paris und London. In Deutschland wurde 1920 in Berlin die „Deutsche Hochschule für Politik“ gegründet. Einen Aufschwung erlebte die Disziplin dann nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei ihr zunächst der Auftrag übertragen wurde, als Demokratie-Wissenschaft die politische Bildung der Bevölkerung zu heben. Verkürzend ließe sich sagen, dass es hier vielen Fachvertretern darum ging, ausgehend von einem mehr oder minder festen Menschenbild und einem normativen Politikverständnis ein Grundverständnis von Herrschaft und demo-kratischer Ordnung zu entwerfen und zu vermitteln.Dem vielfach eher konservativen Normbegriff der Politik setzten die eher mar-xistisch geprägten Politologen mit ihrem Konzept der historisch-dialektischen Theorie ein Gegenmodell. Für sie war und ist der Ausgangspunkt ihrer Betrach-tung der historisch geprägte, immer bestehende soziale und politische Wider-spruch in den Gesellschaften, z. B. zwischen Armen und Reichen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Herrschenden und Beherrschten.Aber unter dem Einfluss insbesondere der US-amerikanischen „political science“ wurde dann auch in Deutschland der kritische und analytische Charakter der Politikwissenschaft gestärkt. Sie fand unter diesem Einfluss den heute weit verbreiteten Charakter als empirische Wissenschaft. Hier wird – im deutlichen Gegensatz zur normativ ausgerichteten Theorie – die durch Erfahrung (griech.: Empirie) und Beobachtung erfassbare Wirklichkeit betrachtet. Eine absolute, also unumstößliche, überall und zu jeder Zeit gültige Wahrheit gibt es hiernach nicht. Anhängern dieser Theorie geht es um die Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit, um die Herausarbeitung von Strukturen und Prozessen und um die Analyse von abgegrenzten Teilbereichen der Gesellschaft. Mit der Orientierung an Erfahrbarem und Beobachtbarem ist auch der Versuch der Messbarkeit der 1) Nicht immer wird dieser Begriff genutzt, gebräuchlich sind zudem „Wissenschaft von der Politik“, „Politologie“

oder auch „Politische Wissenschaft“.

Page 17: Politik- wissenschaft - · PDF file5 Vorwort Polizei und Politik haben nicht nur einen gemeinsamen Wortursprung. Die Beziehungen sind vielschichtiger und bedeutsamer: In der Übernahme

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Um die Politik in ihrer Breite erfassen zu können und verlässlich zu analysieren, hat die Politikwissenschaft sich – wie jeder andere wissenschaftliche Bereich – intern differenziert, wobei sich in den entsprechenden Universitätsinstituten insbesondere folgende Schwerpunkte zeigen:

Was ist Politikwissenschaft?

vgl. Schmitz 2005: 28; eigene Darstellung

... lösen, was problematisch ist

.... überprüfen,was richtig ist

... vorhersagen, was sein wird... vorschreiben, was sein soll

Der Politikwissenschaftler will ...

... verstehen, was ist

... erklären, was ist

... beschreiben, was ist

... kritisieren, was ist

Realität verbunden. Die zugehörigen Methoden sind beeinflusst von naturwis-senschaftlichen Wissenschaftsansätzen, in denen durch Messungen Gesetze gesucht und widerlegt werden.Der ehemals sehr heftige Streit um die Politikwissenschaft als Herrschafts- und Ordnungswissenschaft resp. als Revolutions-, Subversions- und Opposi-tionswissenschaft ist heute weitgehend beigelegt und die empirisch-analytische Sicht hat sich weitestgehend durchgesetzt. Ursächlich hierfür ist, dass sich die Politikwissenschaft als „normale“ Sozialwissenschaft etabliert hat und sie mit ihren Analysen und Beratungskonzepten für nahezu alle politischen Akteure, die Medien und die interessierten Bürgerinnen und Bürger nutzbringende Informationen liefert.Als Wissenschaftler versucht der Politologe zuverlässige (oder auch: reliable) und gültige (oder auch: valide) Aussagen über sein spezielles Interessenfeld und die dort zu klärenden Fragen zu treffen. Grundsätzlich geht das Spektrum des sogenannten erkenntnisleitenden Interesses der Politikwissenschaftler in verschiedenen Graden und Ansprüchen in folgende Richtungen: