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Politische Parteien (Fortsetzung) Zivilgesellschaft und gesellschaftliche Akteure PD Dr. Silvia von Steinsdorff Vorlesung: Demokratien, Autokratien, Grauzonenregime. Die politischen Systeme in Ost- und Südosteuropa 19. Juni 2007

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Politische Parteien (Fortsetzung)

Zivilgesellschaft und gesellschaftliche

Akteure

PD Dr. Silvia von SteinsdorffVorlesung:

Demokratien, Autokratien, Grauzonenregime. Die politischen

Systeme in Ost- und Südosteuropa 19. Juni 2007

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Gliederung 1. Bedeutung politischer Parteien im demokratischen

Konsolidierungsprozess1.1 Parteien und Wahlen1.2 Parteien im Parlament

2. Gründe der defizitären Parteientwicklung2.1 Sozio-kulturelle Erklärungsansätze2.2 Institutionelle Erklärungsansätze2.3 Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungsansätze

3. Zivilgesellschaft und Sozialkapital3.1 Definition und Abgrenzung der Begriffe3.2 Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft3.3 Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser der

Zivilgesellschaft?

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Indikatoren zur Performanzmessung politischer Parteien (1)

• Proportionalität:Anteil „verlorener Stimmen“

• Fragmentierung/effektive Parteienzahl:Anzahl und relative Größe der Parteien im ParlamentFragmentierungsindex (F):Gesamtzahl der gültigen Stimmen = 1Anteil einer Parteien an der Gesamtzahl der gültigen Stimmen in % (dezimal ausgedrückt)F = 1 – ( A1² + A2²+ A3²+…)Effektive Parteienzahl (N):N = 1 : (1-F)

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Indikatoren zur Performanzmessung politischer Parteien (2)

• Volatilität:Veränderung der Wahlergebnisse für jede Partei in zwei aufeinander folgenden WahlenMOE: „bereinigte Volatilität“ wegen starker Fluktuation der Parteien bzw. ParteinamenVolatilitätsindex (V):1. Wahl = W1, 2. Wahl = W2Anteil der gültigen Stimmen pro Partei in % (dezimal) = A1, A2…V = [( A1W2 – A1W1) + (A2W2 – A2W1) + (…)] : 2

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Effektive Parteienzahl (Beispiele)

• Polen 1991: 27 Parteien im Parlament N = 13,8

• Polen 1998: 6 Parteien in Parlament N = 3,1

• Lettland 1998: 6 Parteien im Parlament N = 5,5

• Lettland 2002: 11 Parteien im Parlament N = 7

• Ungarn 1998: 7 Parteien im Parlament N = 3,5

• Ungarn 2006: 5 Parteien im Parlament N = 2,7

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Volatilität (Beispiele)

• Ungarn 1994 1998: 28,7%• Ungarn 2002 2006: 10%

• Lettland 1994 1998: 48,1%• Lettland 1998 2002: 44,8%

• Polen 1991 1993: 28,8 %Polen 1993 1997: 31,9%

(Dtl. 0205: 10,6%; FR 9702: 26,2%)

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Parteien im Parlament

Fraktionen als wichtigste Handlungseinheit Problem des „Fraktionstourismus“ Zusammenhang mit der RegierungsstabilitätBeispiel Litauen: 4/1/4 Regierungswechsel während der ersten drei Legislaturperioden, aber keine einzige vorzeitige ParlamentsauflösungBeispiel Tschechien:monatelanges Tauziehen um Regierungsbildung (Patt) 2006/07, aber keine Parlamentsauflösung!

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Gründe für die defizitäre Parteientwicklung in MOE (1)

• Sozio-kulturelle Ansätze(Cleavage-Theorie, Frage der Programmatik) gesellschaftliche Interessenstrukturen bilden sich erst allmählich!

• Institutionelle Begründungen- ständig veränderte Rahmenbedingungen (Wahlrecht, Regierungssystem)- Hang zu informellen Regelungen fluide Parteisysteme als logische Folge

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Gründe für die defizitäre Parteientwicklung in MOE (2)

• Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungen:Wähler stimmen rational nach ihrer individuellen Interessenlage ab Programmatik der Parteien entscheidendABER:- Rechts-Links-Achse funktioniert nur teilweise- zunächst keine Programmparteien vorhanden (H. Kitschelt: Führer-Partei Klientel-Partei Programmpartei)

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Zivilgesellschaft und Sozialkapital

• Ebene der „Verhaltenskonsolidierung“ (nach W. Merkel) Akteure Bevölkerung

• Oft schwer zu trennen heute: Konzept der Zivilgesellschaft

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Definition und Abgrenzung der Begriffe (1)

Zivilgesellschaft:• Alle Formen der gesellschaftlichen

Selbstorganisation, die STAATSFERN geschehen (= nur Handeln)

• inhaltliche Ausrichtung am Gemeinwohl• gewaltfrei, im Idealfall den Prinzipien der

demokratischen Gesellschaftsordnung folgend (inklusiv, binnendemokratisch, transparent…) Mezo-Ebene

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Definition und Abgrenzung der Begriffe (2)

Politische Kultur:Summe der Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung im Bezug auf das politische Gemeinwesen(= Fühlen, Denken und Handeln) Mikro-Ebene

• Politische Kultur bestimmt mit über die Art und Weise, wie die Zivilgesellschaft funktioniert

• Wandel von politischer Kultur PK dauert länger als der Wandel der politischen/ökonomischen/sozialen Institutionen

• Jede Gesellschaft hat eine politische Kultur (patrimoniale, partizipatorische, autoritäre, demokratische…) Frage der Ausrichtung entscheidend

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Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft

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Analytische Grundprobleme

• Wie bestimmt man den Typus der Zivilgesellschaft?

• Wie kann man „Art und Ausmaß“ der Zivilgesellschaft messen?

„Versuch, den Pudding an die Wand zu nageln“

Sozialkapital als Antwort

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Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser derZivilgesellschaft?

Robert Putnam 1993: “Making democracy work”• “Sozialkapital” als Erklärung der unterschiedlichen

Effizienz politischer Institutionen (Regionalverwaltungen) in Nord- und Süditalien

• Bestandteile von Sozialkapital:- Ausmaß von Vertrauen in die Mitbürger- Akzeptanz von Normen (Verhaltenserwartungen)- Grad der sozialen Vernetzung

• Messinstrumente:- Zeitungslektüre (Abonnements von Regionalzeitungen)- Vereinsmitgliedschaften- Wahlverhalten (Beteiligung bei Referenden)

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ABER…

• Auswahl geeigneter Messinstrumente von Land zu Land sehr verschieden Problem der Vergleichbarkeit

• In Transformationsgesellschaften muss Sozialkapital NICHT immer demokratieförderlich sein „dark sides of civil society“Einerseits: Systemwandel von innen funktioniert umso besser, je stärker die „strategische“ Zivilgesellschaft ist (Extremfall: Guerilla-Taktik)Andererseits: Nach dem Systemwandel muss sich die Zivilgesellschaft wandeln (von „strategisch“ zu „reflexiv“

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Beispiele (1)

• Russland:„Gesellschaft als staatliche Veranstaltung“ Versuch, Zivilgesellschaft von oben zu schaffen und zu lenken Wie strategisch muss die Zivilgesellschaft agieren (Bürgerforum, Gesellschaftskammer…)

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Beispiele (2)

• Tschechien:Glorifizierung der Zivilgesellschaft als Gegenkonzept zu den politischen Institutionen (Vaclav Havel) Übergang von der konstruktiven zur reflexiven Zivilgesellschaft kann nicht gelingen Gefahr für die demokratische Konsolidierung?

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Beispiele (3)

• Serbien:extrem leicht zu mobilisierende Gesellschaft hohes Maß an SozialkapitalPositiv: Absetzung des Regimes Milosevič 2000Negativ: Militarisierung der Gesellschaft im Vorfeld des Bürgerkrieges (Fussball-Fanklubs para-

militärische Gruppen)

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Fazit

• Konzept der Zivilgesellschaft in MOE hoffnungslos überstrapaziert?

• Auch Westeuropa sehr unterschiedliche Formen von Zivilgesellschaft pluralistische Demokratie basiert gerade auf dem Prinzip der Vielfalt/des Wettbewerbs gesellschaftlicher Interessen „DIE“ Zivilgesellschaft kann es eigentlich gar nicht geben