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1 Delegationsprobleme in repräsentativen Demokratien Weimann Kap. 9 In repräsentativen Demokratien: Delegation der Entscheidungen Schafft zusätzliche Probleme Vier Gruppen sind beteiligt: 1. Die Wähler Ihre Bedeutung ist offensichtlich Sie bestimmen die Repräsentanten 2. Die Politiker bzw. die politischen Parteien Konkurrieren um die Wählerstimmen orientieren sich deshalb am Wählerwillen?!

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Delegationsprobleme in repräsentativen DemokratienWeimann Kap. 9

In repräsentativen Demokratien: Delegation der Entscheidungen Schafft zusätzliche Probleme

Vier Gruppen sind beteiligt:1. Die Wähler

• Ihre Bedeutung ist offensichtlich • Sie bestimmen die Repräsentanten

2. Die Politiker bzw. die politischen Parteien• Konkurrieren um die Wählerstimmen• orientieren sich deshalb am Wählerwillen?!

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3. Die Interessenverbände• Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, NGO‘s aller

Art• Hohes Interesse an Interessenwahrnehmung (im

Unterschied zu Wählern)

4. Die Bürokratie• Wichtiger Teil der Exekutive• Politiker müssen zwangsläufig einen Teil der

Entscheidungen an Bürokraten delegieren!• Minister kommen und gehen, Bürokraten bleiben!• Bürokratie gehorcht eigenen Gesetzen!

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Die Wähler: Das WahlparadoxonDie Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen liegt bei über 70%

Warum gehen so viele Menschen wählen? Ist es rational zu wählen?

Ein einfaches ModellWalter ist unser repräsentativer Wähler

Er entscheidet sich zwischen zwei Kandidaten {1, 2} und bevorzugt Kandidat 1.

B – ist der Vorteil den Walter hat, wenn 1 gewählt wird d – ist der direkte Nutzen aus dem Wahlakt (staatsbürgerliche

Pflichterfüllung) c – sind die Kosten der Wahlbeteiligung

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n1 , n2 = Wählerstimmen für Kandidat 1, 2 Vier Fälle:

a) n1 – n2 > 1 Kandidat 1 gewinnt auch wenn Walter nicht zur Wahl geht

b) n1 – n2 = 0 Walter entscheidet die Wahl zugunsten seines

Kandidaten

c) n1 – n2 = 1 Walter kann ein Patt erreichen

d) n1 – n2 < -1 Kandidat 2 gewinnt auch wenn Walter für 1

stimmt

Sei q1 die Wahrscheinlichkeit für Ausgang a), und p die W‘keit für die Ausgänge b) und c). Dann ist der Erwartungsnutzen Walters:

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Der erwartete Nutzen aus der Wahlbeteiligung:(bei Patt entscheidet das Los)

E[U(W)] = q1B + pB + p ½ B + d – c

Erwartungsnutzen, wenn Walter nicht zur Wahl geht:E[U(E)] = q1B + p ½ B

Walter geht wählen, wenn die Differenz:pB + d –c > 0 ist!

Achtung: p ist praktisch = 0! 1960: Kennedy 49,72%, Nixon 49,55% = 114.673 Stimmen Differenz!

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Resultat:1. Wählen, um einen Kandidaten auszuwählen, macht

keinen Sinn. Die W‘keit, entscheidend zu sein, ist zu klein Impliziert, dass es auch keinen Sinn macht, sich über

Kandidaten zu informieren!2. Zur Wahl geht nur, für den d > c gilt

Es muss wenig kosten zu wählen und es muss hinreichend viel „Spaß“ machen!

Macht es mehr Spaß bei den Gewinnern zu sein? These der Schweigespirale

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FolgerungenAus der Sicht des einzelnen Wählers:

Wahl dient nicht der Auswahl eines Kandidaten

Wenn deshalb niemand wählen geht: kann ein Wähler entscheiden

für diesen ist es dann rational zur Wahl zu gehen! Wahlbeteiligung = 0 deshalb kein Gleichgewicht

Aber: Gleichgewicht bei sehr geringen Beteiligungsraten!

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FolgerungenWahlbeteiligung ist ein Akt der Bereitstellung eines

öffentlichen Gutes Demokratie demokratisch gewählte Regierung wir bekommen alle die gleiche!

Kann man 70 – 80% Beteiligung mit dem üblichen Kooperationsverhalten erklären? Wohl kaum d spielt eine wichtige Rolle

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Direkter Nutzen der Wahlbeteiligung

Für d > 0 gibt es verschiedene Interpretationen: Staatsbürgerliche Pflicht Implizite Sanktionen der Wahlenthaltung

„es gehört sich nicht“

Wahl als Ausdruck der einen Präferenz Eine Art Konsumakt gewählt wird auch dann, wenn der eigene Kandidat keine Chance

hat! Es geht darum kundzutun, welche Vorliebe man hat.

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Wahl als Ausdruck der politischen Präferenz:

Legt die Zerlegung des Wahlaktes in zwei Stufen nahe:1. Welche Präferenz habe ich 2. Soll ich dieser auch Ausdruck verleihen (wählen

gehen)• Für beides muss die Nutzen-Kosten Kalkulation

getrennt durchgeführt werdenKosten-Nutzen des Wahlganges (2. Stufe):• Kosten: Nur die Opportunitätskosten der Zeit• Nutzen d muss nur gering sein, um die Wahlbeteiligung

zu einem rationalen Akt werden zu lassen

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Kosten und Nutzen der PräferenzbildungFrage: Welche Kosten entstehen, wenn ein Wähler versucht, die für ihn beste

Partei zu finden und welchen Vorteil hat er von einer fundierten Entscheidung?Antwort: Die Kosten sind extrem hoch

Informationsaufwand sehr groß Die Erträge sind praktisch = 0

Ein Irrtum verursacht keine Kosten Wahlentscheidung unbedeutend für den Ausgang!

Analogie zum Restaurantbesuch: Macht es Sinn, die Karte extrem aufwendig zu studieren, wenn klar ist, dass es

sowieso nur Erbsensuppe gibt?

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Rationale Wähler sind schlecht informiert Information lohnt sich nicht

Entscheidung wird dadurch nicht „besser“ Hat weit reichende Konsequenzen:

Wählerstimmenmarkt: Parteien treten in Konkurrenz um die Wählerstimmen Erfolg hat die Partei, die ein Programm anbietet, das den Präferenzen der

Wähler entspricht Analogie zum Gütermarkt:

Nur der Anbieter hat Erfolg, der sein Produkt den Bedürfnissen der Wähler anpasst.

Analogie trägt aber nicht Parteien wissen, dass Wähler die wahre Qualität ihre Produkts nicht

kennen!

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Die Funktion von IdeologienIdeologien sind die Kurzfassungen der Weltanschauungen

Bestehen aus Schlagwörtern und „Glaubenssätzen“, wie „Erneuerbare Energien sind gut für die Umwelt“ „Arbeitszeitverkürzungen führen zu mehr Beschäftigung“ „Mehr Markt, weniger Staat“ „Arbeit muss sich wieder lohnen“

Die „Gläubigen“ hinterfragen diese Sätze nicht mehrIdeologien sind leicht konsumierbar

Deshalb eignen sie sich in der politischen Auseinandersetzung Sachliche Argumente sind viel zu schwierig

Ideologien lösen das Informationsproblem der Wähler!

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Die Funktion des ParteienstandortsGemeint ist die Position im Links-Rechts Schema

Dient ebenso wie Ideologien der Orientierung der Wähler Erlaubt es den Wählern, die Distanz, in der sie sich zu

einer Partei befinden, einfacher abzuschätzen. Wettbewerb der Parteien findet vor allem in diesem Raum

statt. Zur Frage der Mehrdimensionalität später mehr

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Die Funktion der Medien Ideologien und Parteistandorte müssen den Wählern bekannt gemacht

werden Diese Aufgabe erledigen die (Massen-) Medien.

Aber: Der rationale Wähler ist schlecht informiert D.h. er hat keinen Anreiz, Informationen über das öffentliche Gut

„Politikermeinung“ einzuholen Er hat auch keinen Anreiz Informationen über andere, aus seiner Sicht

öffentliche Güter nachzufragen Der letzte Stand der Diskussion um die nächste Rentenreform?! Arbeitsmarktreformen der Zukunft?!

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Private Medien Bieten die Information an, die auch nachgefragt wird Das sind nicht „politische Informationen“ Politiker passen sich den Bedingungen des Medienmarktes an Produzieren die Information, die eine Chance hat,

veröffentlicht zu werden Darin besteht die eigentlich wichtige Medienfunktion:

Nicht in der direkten Beeinflussung der Wähler Außerdem wirken sie als Agenda Setter!

Sie bestimmen die Themen der Diskussion

These:Rationale Politiker und rationale Journalisten investieren nicht in

Kompetenz

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Parteienverhalten Parteienverhalten stark abhängig von den institutionellen

Bedingungen: Verhältniswahlrecht? Zwei Parteien System?

„Arbeitspferd“ der public choice Theorie: Medianwählermodell Eingeschränkt in seiner Anwendbarkeit:

Eindimensionalität des Entscheidungsraums Wähler und Politiker müssen den gleichen Entscheidungsraum

unterstellen Verhältniswahlrecht nicht abbildbar etc.

Dennoch: Tendenz zur Mitte wird häufig beobachtet

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Gleichgewichte für mehr als zwei Parteien: 3 Parteien ist der Ausnahmefall, denn bei drei Parteien

existiert kein Gleichgewicht Beachte dass es in Deutschland lange Zeit ein stabiles Drei Parteien

System gab Bei 4 Parteien: Je zwei auf ¼ und ¾ Bei 5 Parteien: Wie bei 4 plus eine Partei auf ½

Allen Modellen gemeinsam: Verhaltensannahme für die Politiker: Stimmenmaximierer

Rational und eigennützig Interessiert an Macht und Amt

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Interessengruppen Zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Interessengruppen

Erfolg heißt: Partikulare Interessen durchsetzen, ggf. auf Kosten der Allgemeinheit. Steinkohlelobby, Landwirtschaft Greepeace, Anti Atom Bewegung Gewerkschaften

Aber genauso gibt es viele Gruppen, die sehr wenig Erfolg haben

Wovon hängt es ab, Interessengruppen erfolgreich sind oder nicht?

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Informationspolitik und Drohpotential Informationspolitik bedeutet, die öffentliche Meinung zu

mobilisieren es geht auch darum, die Politiker zu informieren, aber das

Interesse der Politiker an dieser Information hängt stark von der öffentlichen Aufmerksamkeit ab.

Nachfrageverhalten der Medien: Produziere Nachrichten, die gefragt werden, die gut visualisierbar sind,

Unterhaltungswert besitzen Beispiel: Bauerndemo, Greenpeace Aktionen

Themen, die die Medien auf die Agenda setzen, müssen von der Politik aufgegriffen werden.

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Drohpotential Was geschieht, wenn sich die Interessengruppe nicht durchsetzt? Die Konsequenzen daraus sind zu einem erheblichen Teil endogen, d.h.

können von der Interessengruppe gestaltet werden. Beispiele:

Durchschnittsalter im Steinkohlebergbau Mengensubventionen in der Landwirtschaft an Stelle von direkten

Einkommenszuschüssen.

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Bürokratie Zwischen dem, was Politiker beschließen und dem, was

tatsächlich geschieht, kann es beträchtliche Unterschiede geben: Dazwischen liegt die Bürokratie. Bürokraten haben Spielräume

entstehen durch asymmetrische Information Diese können genutzt werden zu

Maximierung des eigenen Budgets (Niskanen Modell) Minimierung des Arbeitsleides

Gegenmittel: Privilegien für loyales Verhalten (Lebensstellung, Ministerialzulage

etc.) Abbau dieser Privilegien: Gefahr der „Südamerikanisierung“