Politische Studien Sonderheft 1 2000: Das Grundrecht des … · 2009. 5. 14. · 51. Jahrgang •...

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51. Jahrgang • April 2000 • ISSN 0032-3462 POLITISCHE STUDIEN Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen Atwerb-Verlag KG Das Grundrecht des Eigentums – Grundsätze und aktuelle Probleme Mit Beiträgen von Dieter Blumenwitz Otto Depenheuer Harald Fliegauf André Habisch Peter M. Huber Monika Jachmann Eberhard Roese Manfred Weiß Hanns Seidel Stiftung eV Sonderheft 1 / 2000

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51. Jahrgang • April 2000 • ISSN 0032-3462

POLITISCHES T U D I E N

Z w e i m o n a t s z e i t s c h r i f t f ü r P o l i t i k u n d Z e i t g e s c h e h e n

Atwerb-Verlag KG

Das Grundrecht des Eigentums – Grundsätze und aktuelle Probleme

Mit Beiträgen von

Dieter BlumenwitzOtto DepenheuerHarald FliegaufAndré HabischPeter M. HuberMonika JachmannEberhard RoeseManfred Weiß

HannsSeidelStiftung eV

S o n d e r h e f t 1 / 2 0 0 0

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Bernd Rill Einführung .......................................... 5

André Habisch „Mein und Dein“ – Die Bedeutung von Eigentumsrechten in der jüdisch-christlichen Tradition und ihre Konse-quenz für die europäische Rechts-entwicklung......................................... 8

Manfred Weiß Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit .................................... 17

Otto Depenheuer Der Eigentumsbegriff zwischen absoluter Verfügungsbefugnis und Sozialgebundenheit .......................... 29

Peter M. Huber Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit .......................... 45

Harald Fliegauf Eigentum und Verwaltungsrecht – Zur Effizienz des Eigentumsschutzes .......................... 63

Monika Jachmann Zur Besteuerung des Eigentums...... 78

Eberhard Roese Eigentumsschutz als Aufgabe der inneren Sicherheit – Bekämpfung der Einbruchskriminalität in einerMillionenstadt ................................... 95

Dieter Blumenwitz Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums....................................... 100

Autorenverzeichnis ........................................................ 115

Inhalt

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„Dem Eigentum kommt im Gefüge derGrundrechte die Aufgabe zu, dem Trä-ger des Grundrechts einen Freiheits-raum im vermögensrechtlichen Be-reich sicherzustellen und ihm damiteine eigenverantwortliche Gestaltungdes Lebens zu ermöglichen. Die Ge-währleistung des Eigentums ergänztinsoweit die Handlungs- und Gestal-tungsfreiheit, indem sie dem Einzel-nen vor allem den durch eigene Arbeitund Leistung erworbenen Bestand anvermögenswerten Gütern anerkennt.“(BVerfGE 30,334)

Wenn demnach das Eigentum zur frei-en Entfaltung der Persönlichkeit in di-rekten Bezug gesetzt und als „Aus-strahlung der Personenwürde in denSachgüterbereich“ angesehen wird,muss es sich beim Eigentumsrecht umein originäres Menschenrecht han-deln, ein „angeborenes, zur Mensch-heit gehörendes und unveräußerlichesRecht“ (Immanuel Kant). Freiheit hatnicht nur eine moralische, sondernauch eine sachliche Komponente, wes-halb es nach antiker Staatslehre selbst-verständlich war, dass nur diejenigenan der politischen Freiheit der Polisteilhatten, die hinreichend begütertwaren. Und wenn im 19. Jahrhundertdas Wahlrecht an einen Vermögens-Zensus gebunden war, so lehnen wirdas heutzutage zwar ab, da wir zu ega-

litären Demokraten geworden sind.Aber der Gedanke, der von den dama-ligen Politikern zur Abstützung ihresSystems gerne vorgetragen wurde, hatauch heute noch nichts von seiner Be-deutung eingebüßt: Wer Eigentum zuverlieren hat, ist weniger zu Abenteu-ern bereit, die die innere Ordnung ei-nes Staates gefährden!

Wenn Art. 14 Abs.1 S. 2 GG also for-muliert: „Inhalt und Schranken wer-den durch die Gesetze bestimmt“,dann darf dies nicht in dem Sinne ver-standen werden, dass die Gesetze über-haupt erst festlegten, welcher Eigen-tumsbereich dem Einzelnen von Staatswegen zugestanden wird. Denn es istklar, dass eine staatliche Ordnung, dieEigentumsrechte von sich aus definiertund auch manipuliert, auf diese Weisegrößten Einfluss ausüben und indi-viduelle Freiheit sogar illusorisch ma-chen kann.

Die stärkste Begründung für ein sol-ches Vorgehen des Staates läge in derBerufung auf eine nicht individualisti-sche, sondern kollektivistische Eigen-tumstheorie. Eine solche lag nicht nurden untergegangenen Staatsordnun-gen der kommunistischen Welt zu-grunde, sondern wurde mitunter auchaus der christlichen Urgemeinde her-aus legitimiert: „Die Gemeinde der

Einführung

Bernd Rill

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Gläubigen war ein Herz und eine See-le. Keiner nannte etwas von dem, waser hatte, sein Eigentum, sondern siehatten alles gemeinsam“ (Apg 4,32).Hingegen besteht, dies sei zur Vermei-dung von Missverständnissen umge-hend hinzugefügt, der Ausgangspunktder katholischen Soziallehre des 19.und 20. Jahrhunderts gerade in derAblehnung der Vergesellschaftung desEigentums.

Die Ausgestaltung des Eigentums inder Rechtsordnung der BundesrepublikDeutschland zeigt Elemente beiderLegitimationsmuster, des individualis-tischen und des kollektivistischen, wobei Ersterem jedoch der Vorrang ge-bührt. Ein der Konzeption von In-dividual-Grundrechten verpflichteterRechtsstaat hat auch kaum die Mög-lichkeit, die Gewichte hier anders zuverteilen. Daraus ergibt sich, wie indem Beitrag von Manfred Weiß ausge-führt, dass z.B. der Gedanke der So-zialstaatlichkeit nicht auf Kosten desGrundrechtes auf Eigentum verwirk-licht werden darf, dass mithin Ge-sichtspunkte der Vermögens-Umver-teilung, um durch Egalisierung derVermögen der sozialen Gerechtigkeitzu dienen, nicht auf Art. 14 Abs. 2 GG(„Eigentum verpflichtet. Sein Ge-brauch soll zugleich dem Wohle derAllgemeinheit dienen.“) gestützt wer-den können.

Solche Gesichtspunkte hatten in den70-er Jahren eine größere Konjunkturals heute, und die gegenwärtig amtie-rende Bundesregierung kann kaum ih-rer Absicht nachkommen, sich zurMitte hin zu öffnen, wenn sie das Ei-gentums-Grundrecht zur Zielscheibeihrer Politik macht. Die Autoren unse-rer Publikation sind sich im Großen

und Ganzen einig, dass unsere Justizden Eigentumsschutz so ernst nimmt,wie sie sollte. Es wäre wohl auch Alar-mismus, die vielfältigen Einschrän-kungen des Eigentums, die sich ausunserer hochkomplexen, hochkompli-zierten Lebenswelt notwendigerweiseergeben, einem gewissermaßen histo-rischen Trend zu immer stärkerer Ent-wertung von Eigentumspositionen zu-zuordnen. Dass der römisch-rechtliche,absolute Eigentumsbegriff in weitenBereichen der Lebenswirklichkeit ob-solet ist bzw. nur noch als logischerAnknüpfungspunkt für die Rechtsfin-dung taugt, versteht sich von selbst.

Es findet sich umgekehrt auch der Ge-danke, dass der in Art. 20a GG seit1994 vorgesehene Schutz der „natür-lichen Lebensgrundlagen“ ein neuar-tiges Staatsziel darstellt, das die Gestal-tungsfreiheit des Gesetzgebers bei derKonkretisierung des Gemeinwohls re-duziert, was sich zugunsten des Eigen-tums in seiner individuellen Kompo-nente auswirken mag. Die Gegner derEinfügung von Staatszielen ins Grund-gesetz werden dies als eine Bestätigungihrer Warnung ansehen, dass Staatszie-le die Tendenz hätten, sich gegenseitigzu neutralisieren und damit den Wil-len des Gesetzgebers zu lähmen. In un-serem Zusammenhang hat diese Neu-tralisierung wenigstens den Effekt,Angriffe auf ein Grundrecht zu er-schweren. Und dass die Erfordernissedes Umweltschutzes ihrerseits zur Aus-hebelung des Art. 14 GG führen, kannjedenfalls gegenwärtig noch nicht be-hauptet werden.

So stellt unsere Publikation wenigerein Grundrecht in seiner Krise dar, dieim Falle der Eigentums-Garantie aller-dings symptomatisch wäre für eine

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Einführung 7

noch viel weitergehende Krise vonStaat und Gesellschaft. Vielmehr wirdein wesentlicher Bestandteil unsererRechtsordnung, der in seiner Ausfor-mung aus dem bloßen Text des Grund-gesetzes nicht hinreichend plastischhervorgeht, klargelegt und in seinenRelationen zu anderen Bereichen die-

ser Rechtsordnung, die man manch-mal in einem Atemzug mit ihm nennt,definiert, und das heißt: gebührend ab-gegrenzt. Der Rechtsstaat lebt von derKlarheit der für ihn maßgeblichenrechtlichen Begriffe; im Bereich des Ei-gentums-Grundrechts will unsere Pu-blikation hierzu einen Beitrag leisten.

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1. Ausgangspunkte

Die Voraussetzungen der eigenen Kul-tur und Tradition erkennt man erst,wenn man mit dem Fremden konfron-tiert wird, wenn das Selbstverständ-liche unselbstverständlich zu werdenbeginnt. So hat die Globalisierung derkultur- und sozialwissenschaftlichenDiskussionen auch neue Fragestellun-gen auf die Tagesordnung gesetzt.

Eines dieser neuen Themen ist dieFrage, warum sich Industrialisierungund Modernisierung, die in den letz-ten 150 Jahren unser Leben tiefgrei-fend verändert haben, gerade im Kon-text der europäisch-abendländischenKultur entwickelt haben. Why Europe?– Warum gerade Europa? Diese Fragestellt sich um so dringender, als etwaim chinesischen Kulturraum vieletechnische Errungenschaften längstbekannt waren, als unsere Vorfahrennoch unter wesentlich primitiverenBedingungen lebten und arbeiteten.Ohne dass die Frage nach dem „Wun-der Europa“ (E. Jones) in der zivilisa-

tionsgeschichtlichen Forschung bereitsals endgültig geklärt gelten könnte, sokann doch zumindest soviel gesagtwerden, dass das rechtliche Institutio-nensystem, das die Europäer über Jahr-hunderte entwickelt haben, von ent-scheidender Bedeutung für ihren Er-folg gewesen ist.1 Ein grundlegendesElement dabei sind die Eigentums-rechte. Diese hatten im europäischenKulturraum immer eine herrschaftsbe-schränkende, emanzipative Funktion:Sie beschränkten den umfassendenMachtanspruch des (politischen) Herr-schers.

2. Vorgeschichte

Beispiele für diese Funktion findensich bereits in der Praxis der germani-schen Stämme. Jeder französischeGrundschüler lernt die Geschichte derVase von Soissons. Sie war ein wun-derschönes Objekt, das von den Fran-ken während eines ihrer Raubzüge auseiner Kirche gestohlen worden war.Der Frankenkönig Clodwig wollte sie

„Mein und Dein“Die Bedeutung von

Eigentumsrechten in der jüdisch-christlichen Tradition und

ihre Konsequenz für die europäische Rechtsentwicklung

André Habisch

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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„Mein und Dein“ 9

der Gemeinde zurückgeben, um einerhübschen Christin, die seine Aufmerk-samkeit erregt hatte, zu gefallen. Dochder Soldat, dem sie als Beute zugefallenwar, wollte sie nicht mehr herausge-ben. Er behauptete sein Eigentums-recht auch gegen den Herrscher, undging so weit, die Vase zu zerschmet-tern. Dazu rief er aus: „Was dein ist istdein und was mein ist ist mein.“ Die-sem Soldaten ist das Beharren auf sei-nen Eigentumsrechten zwar schlechtbekommen, denn beim nächsten Ap-pell tötete Clodwig ihn mit einer Axtund sagte: „Was dein ist ist dein, aberdu bist mein.“ Doch die Bedingung derMöglichkeit dieser kleinen Episode istes, dass die fränkische Rechtspraxisoffenbar ein so starkes Bewusstseinfür individuelle Eigentumsrechte ent-wickelt hatte, dass der Soldat es über-haupt wagen konnte, seinem König in dieser Weise zu begegnen.

Ein ähnliches Bewusstsein finden wirauch in der jüdisch-christlichen Tradi-tion wieder. So erzählt etwa das BuchNumeri des alten Testamentes im 16.Kapitel eine Episode aus der Wüsten-wanderung des Volkes Israel. Der Prie-ster Korach leitet hier eine Revolte ge-gen Moses. Dieser verteidigt sich gegenden lautgewordenen Vorwurf der Usur-pation mit den Worten: „Ich habenicht einen Esel von ihnen genom-men, noch habe ich irgendeinen vonihnen betrogen“ (Num. 16,15).

Mit ähnlichen Worten rechtfertigt sichder Prophet Samuel. Als die Israeliten – nun im heiligen Land angekommen –nach einem König verlangen, warnt sieSamuel vor den Konsequenzen ihresWunsches. Ein König – so mahnt er –wird nicht so sein wie er selbst: „Dennwessen Ochsen habe ich genommen

oder wessen Schaf habe ich geraubt?“ (1 Samuel 12,3) Und als sich KönigAhab von Samarien wiederrechtlichden Weinberg des Nabot aneignet, dakündigt ihm der Prophet Elija dieStrafe Gottes an (1 Samuel 21).

In solchen Geschichten, die in derKultgemeinde von Generation zu Ge-neration weitergegeben werden, spie-gelt sich die Bedeutung von Eigen-tumsrechten und zwar gerade in ihrerherrschaftsbeschränkenden, emanzi-pativen Funktion. Die Eigentumsrech-te sind letztlich in der Landgabe Got-tes an Israel begründet und könnenvom König nicht einfach rückgängiggemacht werden. Die Propheten erin-nern den Herrscher und die Ober-schicht an dieses Grundgesetz Israels –sie spielen hier die Rolle einer Art „Ver-fassungsgericht“. Die transzendenteBegründung der Rechtsordnung ent-zieht diese dem einfachen Recht. Hierzeichnet sich bereits in einfachen For-men ein mehrstufiges Denken ab, dasdie abendländische Tradition stufen-weise bis in die Neuzeit hinein prägenwird.

Der umfassende EigentumsanspruchGottes an alles Land geht exemplarischaus Numeri 25, 52–56 hervor. Aus die-sem göttlichen Anspruch folgt: DasLand darf nicht endgültig verkauftwerden, denn es gehört Gott und dieIsraeliten sind nur Fremde und Halb-bürger in ihm. Alle 50 Jahre soll ein Jubeljahr gefeiert werden, das die Skla-venbefreiung und die Rückführungverkaufter und verpfändeter Grund-stücke an ihren ursprünglichen Besit-zer bringen soll. Dieses Jubeljahr ist hi-storisch wahrscheinlich nie praktiziertworden, von Bedeutung aber ist dietheologische Aussage, die eine Ein-

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schränkung der unbedingten Verfü-gungsrechte des Eigentümers impli-ziert. Auch hier wird aus der theologi-schen Aussage ein machtbeschränken-des Element abgeleitet, diesmal in Be-zug auf die wirtschaftliche Macht desEigentümers. Denn dieser ist in seinemEigentumsgebrauch an die Grundre-geln, die das Leben Israels im gelobtenLand konstituieren, gebunden. Hier istansatzweise ein mehrstufiges Denkenin der Eigentumsfrage angelegt, diesesDenken setzt sich in der jüdisch-christ-lichen Tradition des Abendlandes fort,wobei in der Folge der Aufklärung andie Stelle der transzendenten Ebene dieVerfassungsebene tritt, auf der die po-litische Gemeinschaft jeweils die Ver-fügungsrechte über individuelles Ei-gentum kollektiv festlegt und anpasst.Die moderne Vertragstheorie, die dieRechtsordnung begrifflich aus demkollektiven Akt der Konstitution despolitischen Gemeinwesens heraus ab-leitet, lässt sich mithin bis auf bibli-sche Grundlagen im Bereich der Bun-destheologie des alten Testamenteszurückführen.

3. Jüdisch-christliche Traditionund abendländischeRechtsentwicklung

Die Fortschreibung einer derartigenkulturellen Tradition darf man sich al-lerdings nicht zu einfach und linearvorstellen. Die jüdisch-christliche Got-tesvorstellung wie auch Anthropologieund Sittenlehre sind nicht einfach dasSchnittmuster für die abendländischeRechtsentwicklung gewesen. Die Ent-stehung von rechtlichen Institutionenfolgt vielmehr einer eigenen Logik, fürdie die besagten Größen nur eine be-grenzte Rolle spielen.

Diese Rolle wird man noch am ehestendahingehend bestimmen können, dassdas jüdisch-christliche Selbst- undWeltverständnis die Entstehung vonKomplexität und eines differenzier-ten und vielschichtigen denkerischenZugangs zur Wirklichkeit ermöglichthaben.2

Ein klassisches Beispiel dafür bildet dieUnterscheidung von geistlichem undweltlichem Bereich, wie sie sich in-folge der cluniazensischen Reform-bewegung im 10. und 11. Jahrhundertdurchzusetzen beginnt. Diese Unter-scheidung, die für die mittelalterlicheWelt eine zentrale Rolle gespielt hat, istkeineswegs identisch mit der Auf-teilung der Gesellschaft in Bauern,Priester und Soldaten, wie sie auch in anderen Kulturräumen bekannt ist.Vielmehr bestehen der Anspruch geist-licher und säkularer Autoritäten ne-beneinander und in Bezug auf diesel-ben Menschen.

Deutlichsten Ausdruck findet dieserTatbestand in der Geschichte des Mit-telalters am Beispiel des BußgangesKaiser Heinrichs IV., des höchsten sä-kularen Herrschers, nach Canossa, umvom Bann Papst Gregors VII. gelöst zuwerden. Hier dokumentierte sich überalle kurzfristigen taktischen Überle-gungen der Beteiligten hinweg, dassdie höchste Autorität in einer Hinsichtgleichzeitig zum demütigen Bittstellerin anderer Hinsicht werden konnte.Geistlicher und weltlicher Bereich stel-len also je auf ihrem Feld Ansprüche inBezug auf dieselben Menschen. DieseAnsprüche müssen natürlich gegen-einander abgegrenzt und näher be-stimmt werden: Es bedarf der Meta-regeln, die Anspruch und Grenzengeistlicher und weltlicher Regeln be-

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„Mein und Dein“ 11

stimmen. Der Historiker Richard Ber-man leitet die Entstehung der abend-ländischen Rechtstradition auf die-se Begriffsbildungen des Mittelalterszurück. Die Unterscheidung zwischenrechtlicher Schuld und religiös-morali-scher Sünde beschäftigte kirchlicheund weltliche Juristen des Mittelaltersund schlägt sich in einer ausdifferen-zierten Strafpraxis geistlicher Instanzeneinerseits und weltlicher Gerichte an-dererseits nieder.

Hier zeigt sich: Christliches Welt- undMenschenverständnis bestimmt dieabendländische Rechtsentwicklungnicht einfach inhaltlich vor, wie diesetwa bei der Scharia in bestimmten is-lamischen Traditionen der Fall ist. Viel-mehr nötigt in der jüdisch-christlichenTradition die weltliche Unverrechen-barkeit des göttlichen Anspruchs ge-dankliche Unterscheidungen auf (zwi-schen Kirche und säkularer Gewalt,zwischen Recht und Moral, zwischengeistlichen und weltlichen Strafen), diein vielfältiger Weise wegbereitend ge-wesen sind für die Entstehung der mo-dernen Welt.3

Das Gesagte lässt sich gerade am Bei-spiel der Eigentumsrechte dokumen-tieren. Zwar gehört der Kirche im Mit-telalter in manchen Regionen nahezuein Drittel des Landes. Aber nirgendwoerhebt sie einen theokratischen An-spruch auf diesen Besitz. Vielmehr istklar, dass der umfangreiche Grundbe-sitz zum weltlichen Bereich der Kirchegehört und mithin denselben säkula-ren Regeln unterliegt, wie der weltlicheBesitz anderer Eigentümer. Der Beweisdafür ist, dass es etwa Klöster für nötigbefunden haben, eine umfangreicheschriftliche Dokumentation von Ei-gentumtransfers usw. vorzunehmen.

Als Konsequenz solchen Denkens ent-wickelt sich im christlichen Abendlandeine elaborierte Rechtskultur mit mehroder weniger formalisierter Gerichts-barkeit, rechtlicher Dokumentation,wissenschaftlicher Jurisprudenz undinsbesondere einer weitverbreiteten Er-fahrung im Umgang mit rechtlichenInstitutionen, die den europäischenKulturraum von anderen Teilen derWelt markant unterscheidet. Sie führtinsbesondere auch zu einer verfas-sungsmäßigen Beschränkung des säku-laren Herrschers.

Er kann die fundamentalen Rechts-prinzipien nicht einfach abändern,sondern muss sich selbst in seinerHerrschaftsausübung an Regeln halten.Dies wird handgreiflich schon an denHerrschern des Spätmittelalters, diewie etwa der römisch-deutsche KaiserMaximilian unter chronischer Geldnotlitten und sich bei reichen Kaufleutenwie Jakob Fugger verschulden muss-ten. Die Erfahrung eines hochver-schuldeten Kaisers, der am Ende seinesLebens aufgrund unbeglichener Rech-nungen nicht einmal mehr von seinerLieblingsstadt Innsbruck aufgenom-men wird, kann man in ihren Konse-quenzen für die Entwicklung einesbürgerlichen Emanzipationsbewusst-seins gar nicht hoch genug einschät-zen.

Eigentumsrechte tragen mithin in dereuropäischen Rechtstradition „konsti-tutionellen Charakter“: Sie bilden einkulturelles Kapital, über das sich der je-weilige Herrscher nicht ohne weitereshinwegsetzen kann. Tut er es doch, soist er einerseits legitimationspflichtigund verfällt zugleich dem Nimbus derIllegitimität, der schnell bedrohlichwerden kann.

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André Habisch12

4. Die europäische Rechts-tradition in der Differenz zur chinesischen Kultur

Wie eingangs bereits gesagt, ist es ins-besondere die Konfrontation mit ei-nem ganz andersartigen kulturellenHintergrund, der die verborgenen Vor-aussetzungen des eigenen Denkensund Handelns offenbart. Daher soll imFolgenden schlaglichtartig ein kurzerSeitenblick auf die Tradition des Eigen-tumsdenkens in der mehrtausend-jährigen Geschichte Chinas geworfenwerden.

Diese ist zunächst durch eine alles be-herrschende Dominanz des Familien-denkens gekennzeichnet. Die Familieist seit alters her das universelle Bau-element des chinesischen Sozialden-kens, das auch den gedanklichen Aus-gangspunkt für die Wahrnehmungund Konzeption übergreifender Verge-sellschaftungsformen bildet. Schon im Schöpfungsbericht der konfuziani-schen Tradition spielt das Familienmo-tiv eine sehr viel größere Rolle als etwain seinem alttestamentlichen Pendant.

Die informellen Autoritäts- und Ge-horsamsbeziehungen, wie sie das Zu-sammenleben zwischen Eltern undKindern in der Familie prägen, sinddenn auch konstitutiv für die Art undWeise, wie seit der Gründung eineseinheitlichen Reiches die Autorität derchinesischen Kaiser konzipiert ist. Derfreiwilligen liebenden Anerkennungder unbeschränkten Herrschergewaltauf Seiten der Untertanen korrespon-diert das Leitbild des gütigen und be-scheidenen Herrschers, der selbstlosum das Wohl seiner Untertanenbemüht ist. Innerhalb des konfuziani-schen Sozialdenkens kommt mithin

der Moral, die prinzipiell nach demVorbild der Familienmoral konzipiertist, umfassende Bedeutung auch zurRegulierung politischer und gesell-schaftlicher Beziehungen zu.

Herrschaftsbeschränkende Institutio-nen, wie wir sie für die jüdisch-christ-liche Tradition und das daraus ent-wickelte abendländische Denken kon-statiert haben, vermochten sich in einem solchen Kontext nicht zu ent-wickeln. Höchstes Ideal blieb vielmehrdie freiwillige Einordnung in das hier-archische Gesellschaftsgefüge („Li“).Nur für eine niedere Schicht derjeni-gen, die diese nicht leisten wollen oderkönnen, sind flankierende rechtlicheInstitutionen („Fa“) vorgesehen, diedie Über- und Unterordnungsverhält-nisse durch Zwang bestätigen sollten.Das Recht und die Entwicklung recht-licher Institutionen ist somit prinzi-piell mit dem Makel des weniger Wert-vollen behaftet, das nur dort sinnvollseinen Platz hat, wo die Beteiligtennoch nicht zur Vollform menschlicherGemeinschaftsbeziehungen durchge-stoßen sind.

Dieser mindere Wert der bloß äußerli-chen Rechtsbefolgung gegenüber demselbstbejahenden Tun weist Ähnlich-keiten zu Imanuel Kants Motiv desHandelns „bloß aus Pflicht“ auf. Esüberträgt sich aber im chinesischenKulturraum auf den sozialen Status desRechts insgesamt, das aufgrund seinerminderen Bedeutung keine elaborierteJurisprudenz, kaum ordentliche Ge-richtsbarkeit (diese findet überwiegendin den Familien statt) und damit auchkeine weitverbreitete Rechtskultur ent-wickelt hat. Die staatliche Obrigkeitgeht vielmehr selbst davon aus, dassdie Solidarität des Einzelnen zuerst

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„Mein und Dein“ 13

und ausschließlich seiner Familie undnur im Rahmen des davon nichtBerührten auch dem Gemeinweseninsgesamt gelten wird. Die weitver-breitete Praxis der Sippenhaft und desrechtlichen Zugriffs auf Familienan-gehörige trägt diesem Denken Rech-nung, das die Familie sozusagen alskollektive Rechtspersönlichkeit wahr-nimmt und rechtliche Beziehungennur überfamilial definiert. Innerfami-liale Vorkommnisse wie etwa die Tö-tung eines Kindes sind dagegen nurbegrenzt justiziabel.

Ganz analog ist auch das Eigentums-denken in der chinesischen Kulturstrukturiert. Der Kaiser ist als letzterpaternalistischer Bezugspunkt durchdie kosmische Ordnung zugleich alsEigentümer des gesamten Bodens legi-timiert.

Dieses Denken findet sich interessan-terweise mitunter selbst bei solchenGruppen, die sich politisch vom chi-nesischen Reich losgesagt hatten. Die-sem umfassenden Eigentumsanspruchdes Kaisers standen auch nicht – wieetwa im europäischen Feudalsystem –korrespondierende Rechte der Unter-tanen gegenüber.

Zudem fehlen jene Zwischenautoritä-ten zwischen Kaiser und Volk, die auchihrerseits unmittelbar göttlich legiti-miert wären. Vielmehr ist die Autoritätder mächtigen chinesischen Bürokratieihrerseits vollständig vom kaiserlichenHoheitsanspruch abgeleitet und kannbei Missverhalten jederzeit entzogenwerden. Auch diese Elemente standender Entwicklung einer Rechtskultur imWeg, die das Vorhandensein zweierprinzipiell gleichberechtigter Interak-tionspartner voraussetzt.

Kaum unterschieden wurde auch zwi-schen Pacht- und Steuerzahlungen, dader Kaiser und die auf ihn ausgerichte-te Verwaltung gleichzeitig politischeAutorität und eigentumsrechtlicherLetzteigentümer allen Landes war. Esbedurfte eines differenzierten Systemsmoralisch bestimmter Rollenzuwei-sungen insbesondere im Bereich derBeamtenschaft, um angesichts diesesweitgehenden Fehlens rechtlicher In-stitutionen die Funktionsfähigkeit deskaiserlich-chinesischen Gemeinwesensüber die Jahrhunderte hinweg zu ga-rantieren.

Zwar stellt diese Stabilität aus der Rück-schau ein beachtliches zivilisationsge-schichtliches Phänomen dar; sie wurdeaber bezahlt mit einer weitgehendenStatik und Fortschrittsfeindlichkeit, dieden Lebensstandard der bereits sehrfrüh riesig angewachsenen chinesi-schen Bevölkerung auf sehr niedrigemNiveau zementierte.

Demgegenüber haben die Eigentums-rechte in der europäischen Rechtstra-dition „konstitutionellen Charakter“.Sie stellen ein über Jahrhunderte ge-wachsenes Kapital dar, über das sichein Herrscher nicht ohne weiteres hin-wegsetzen kann. Wie hartnäckig sol-che Bestände sind, hat sich auch inden sozialistischen Diktaturen Ost-europas gezeigt, wo in einem gewissenWiderspruch zur Staatsideologie pri-vatrechtliche Eigentumsübertragungenbis zum Schluss möglich waren undpraktiziert wurden. Das totalitäreStaatssystem hat es hier trotz einermehr oder weniger vollständigen Be-herrschung nicht vermocht, die für dieeuropäische Rechtskultur grundlegen-de Institution der Eigentumsrechte zubeseitigen.

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André Habisch14

5. Die abendländische Rechtstra-dition und ihre Konsequenzenfür die Weiterentwicklungvon Eigentumsrechten im 21. Jahrhundert

Welche Bedeutung können die erho-benen Traditionsbestände abendlän-dischen Eigentumsdenkens für die zukünftig anstehenden Herausfor-derungen haben? Wo liegt ihr spe-zifischer Problemlösungsbeitrag zu drängenden Herausforderungen des21. Jahrhunderts?

Auch in Zukunft wird die Garantie vonEigentumsrechten für die wirtschaftli-che und gesellschaftliche Entwicklungeines Gemeinwesens eine zentrale Rol-le spielen. An die Stelle des absolutenHerrschers tritt in der Moderne die Respublica, die demokratisch verfasste po-litische Gemeinschaft. Auch hier ha-ben Eigentumsrechte eine herrschafts-und willkürbeschränkende Funktion,insofern sie Zugriffe des ordentlichenGesetzgebers auf Eigentumspositionender Bürger strengen Regelungen unter-werfen (Art. 14 GG). Nur wenn dieserSchutz prinzipiell gewährleistet ist,kann eine Wirtschaftsordnung funk-tionieren; bei weitverbreiteter Rechts-unsicherheit findet dagegen – wie diesnach der deutschen Wiedervereini-gung in den neuen Bundesländern er-lebt worden ist – ein Investitionsstauund damit ein Brachliegen wirtschaft-licher Aktivitäten statt. Herausforde-rungen stellen sich in diesem Bereichinsbesondere angesichts der Globali-sierung, die für den Schutz geistigenEigentums gravierende Probleme auf-wirft. So erleben wir gegenwärtig, dassauch aufgrund der unterschiedlichenRechtstraditionen in verschiedenenTeilen der Welt die globale Durchset-

zung von Urheberrechten (etwa vonSoftwareprodukten) ein noch unge-löstes Problem darstellt.

Andererseits wird man der zentralenBedeutung von Eigentumsrechtenkonzeptionell nicht dadurch gerechtwerden, indem man sie gleichsam alsabsolute Rechte normativ auflädt.Auch Eigentumsrechte sind in der Mo-derne nur als, allerdings zentrale, ge-sellschaftliche Institution fassbar. Diepolitische Gemeinschaft als Ganzeskommt nicht umhin, Umfang und Be-deutung von Eigentumsrechten jeweilsneu zu bestimmen und gegebenenfallsan veränderte Problemlagen anzupas-sen. Dies gilt etwa angesichts öko-logischer Herausforderungen, die esnotwendig machen, bestimmte Nut-zungsmöglichkeiten privaten Eigen-tums rechtlich einzuschränken. Hierzeigt sich: Auch Eigentumsrechte sindnicht Ausfluss vorgesellschaftlicherRechtspositionen, wie dies eine be-stimmte Rezeption des englischen Auf-klärungsphilosophen John Locke nahelegen würde. Ein Denken, das in dieserWeise individualistisch ansetzt, undFreiheitsrechte gegen das Gemein-wesen stark zu machen versucht, ver-strickt sich in konzeptionelle Aporien:Das „Recht auf Arbeit“ löst keineBeschäftigungsprobleme, das „Rechtauf Mobilität“ keine Verkehrsproblemeetc.

Mit Thomas von Aquin, Thomas Hob-bes und anderen wird eine Begrün-dung von Eigentumsrechten in derabendländischen Tradition vielmehrauf die Vorteilhaftigkeit dieser Institu-tion für das Gemeinwohl, und dabeisogar auch für die Nichteigentümerhinzuweisen haben. Auch sie, dienicht selbst über umfangreiche Eigen-

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„Mein und Dein“ 15

tumspositionen verfügen, haben syste-matisch Vorteile vom Eigentums-schutz. Auch sie würden das Leben ineiner Gesellschaft mit diesem Instituteinem Leben in einer Gesellschaft ohne dieses vorziehen.

Von der skizzierten jüdisch-christli-chen Tradition her legt sich mithineine zweistufige Konzeption von Ei-gentumsrechten nahe. Auf der Verfas-sungsebene werden Eigentumsrechtekollektiv festgelegt und ggf. angesichtsneuer Problemstellungen modifiziert;auf der operativen Ebene gelten dieseRegeln dann aber streng verbindlichund können weder durch private nochdurch öffentliche Akteure ohne weite-res außer Kraft gesetzt werden. Ein sol-ches zweistufiges Denken, wie es sichin der skizzierten Weise aus einemabendländischen Welt- und Men-schenverständnis heraus entwickelthat, trägt auch der Komplexitätzukünftiger Herausforderungen ange-messen Rechnung. „Privatheit“ lässtsich ja nur als öffentliches Gut (H. Bo-nus) begreifen, individuelle Rechtspo-sitionen sind Ergebnis kollektiver An-erkennungsprozesse und sind mithinauch deren Regeln unterworfen.

Nur dadurch, dass andere mein Eigen-tumsrecht anerkennen, wird mir eineRechtssicherheit garantiert und kanndie Eigentumsordnung regulierendeFunktionen übernehmen. Ebenso wieim alten Testament dem Landbesitzersein Eigentum nicht unmittelbar kraftgöttlichen Rechts zukommt, sondernsozusagen vermittelt durch den Bun-desschluss Gottes mit seinem Volk unddamit gebunden an die Regelungendes göttlichen Gesetzes (z.B. die Ver-pflichtung zur Armenfürsorge), so istauch in der modernen Welt der Eigen-

tumsanspruch des Einzelnen begriff-lich zurückgebunden an die gesell-schaftliche Grundordnung und diedaraus ableitbaren fundamentalen Re-geln. Gerade dies bedeutet aber, wiedie Geschichte der abendländischenRechtstradition beweist, keineswegs eine Verwässerung, sondern geradezueine Stärkung von Eigentumsrechtenund rechtlichen Traditionen.

6. Schluss

Der notwendigerweise holzschnittar-tige Durchgang durch einige Statio-nen der jüdisch-christlichen Traditiongerade im Gegenüber zu außereuropäi-schen Kulturtraditionen gibt ein diffe-renziertes Verhältnis von theologisch-anthropologischen Größen einerseitsund der kulturellen Evolution von Ei-gentumsrechten andererseits frei. Daschristliche Menschenbild sowie die Be-stimmung des Verhältnisses von Gottund Welt in der jüdisch-christlichenTradition sind nicht einfach eine Blau-pause für die Entwicklung rechtlicherStandards und Traditionen. Schon eherbilden erstere den Nährboden für kom-plexere soziale Umwelten, die zu ihrerRegulierung eines differenzierten undsich zunehmend differenzierendenrechtlich institutionellen Zugriffs be-dürfen. Es sind die Differenzen von„weltlich“ und „geistlich“, von Rechtund Moral, von Eigentumsordnungund politischer Ordnung etc. die die ei-gentümlichen Entwicklungspfade desabendländischen Kulturraums bestim-men und ihn etwa gegen die zum Teilsehr viel älteren asiatischen Kulturenabgrenzen. Die Fähigkeit, immer elabo-riertere und differenziertere Modifika-tionen von Eigentumsrechten hervor-zubringen, wird dann auch in Zukunft

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André Habisch16

in erheblichem Maße über die Pro-blemlösungskompetenz unseres Eigen-tumrechtssystems entscheiden. Diesgilt insbesondere auch für intellektuel-le Eigentumsrechte, deren relative Be-deutung in einer fortschrittsintensivenWelt immer größer wird. Hier sind aufinternationaler Ebene Initiativen undRegelungen notwendig, die kultur- undtraditionsübergreifend eine problem-

orientierte Fortschreibung nationaler Ei-gentumsordnungen leisten. Dass diesseitens der westlichen Länder von einersehr spezifischen und höchst voraus-setzungsreichen Grundlage aus ge-schieht, sollte stets präsent gehaltenwerden, um die Herausforderungennicht zu unterschätzen. An diesen Um-stand zu erinnern, war das Anliegen dervorliegenden Überlegungen.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu: Eric Jones, Das Wunder Europas,Tübingen 1991.

2 Vergleiche dazu: H. Berman, Recht und Re-volution. Die Bildung der westlichenRechtstradition, Frankfurt 1995.

3 Es erscheint nicht zufällig, dass die ersteDisziplin der europäischen Universität, die 1084 zur Gründung der Rechtsschulein Bologna geführt hat, das Kirchenrechtist.

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„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauchsoll zugleich dem Wohle der Allge-meinheit dienen.“ Diese Aussage unse-rer Verfassung, gemeinhin als „Sozial-bindung“ des Eigentums apostrophiert,wirft mehr Fragen auf, als sie beantwor-tet. Zunächst: Was ist eigentlich der Gegenstand solcher Bindung? EntstehtEigentum erst unter den Händen desmehr oder weniger sozial gesinntenGesetzgebers, oder ist diesem ein ori-ginär verfassungsrechtliches Substrat„Eigentum“ zwingend vorgegeben? So-dann: Wen verpflichtet denn das Eigen-tum? Und wozu? Handelt es sich viel-leicht nur um einen moralischen Appellder Verfassungsväter? Oder folgt etwaschon aus dem Wort „zugleich“, dassdie staatliche Steuergewalt die Sollerträ-ge privater Vermögen höchstens bis zurHälfte in Anspruch nehmen darf? Dieseund andere Grundfragen des Art. 14GG werden bis heute verfassungsrecht-lich kontrovers diskutiert; ihre rechts-politische Aktualität ist ungebrochen.

1. Die Bedeutung des Eigentumsim bürgerlich-liberalen Staat –historische Zusammenfassung

„Eigentum ist Freiheit“ – diese Formu-lierung von Günter Dürig steht in der

Tradition der Kant‘schen Rechtslehre.Welcher Rang der materiellen Unab-hängigkeit des Einzelnen für dessenChance zu individueller Selbstbestim-mung und -entfaltung zugemessenwurde, zeigt sich schon daran, dass dieSchutzgüter „Freiheit und Eigentum“in das bürgerlich-liberale Rechtsstaats-verständnis als die Eckpfeiler modernerGrundrechtsgewährleistung eingegan-gen sind. Ganz in diesem Sinne wardie einschlägige Regelung des § 164der Paulskirchen-Verfassung von 1849abgefasst, die in ihrer Abwehrhaltunggegenüber dem Staat ganz dem Kampf-geist des sich allmählich emanzipie-renden Bürgertums verpflichtet war.

Dass die Bedeutung privaten Eigentumssich in dieser Aussage nicht erschöp-fen konnte, wurde allerdings im Ge-folge der Industrialisierung rasch klar.Der Frühkapitalismus des ausgehen-den 19. Jahrhunderts entwickelte ein-drucksvolle neue Dimensionen wirt-schaftlicher Machtentfaltung und präg-te Wirtschaft und Gesellschaft neu,indem er die sozialen Gegenpole einerkleinen herrschenden Besitzschichteinerseits und eines Heers vermö-gensloser und existenziell abhängi-ger Arbeitnehmer andererseits hervor-brachte.

Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit

Manfred Weiß

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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Manfred Weiß18

Schon im Kaiserreich setzte sich des-halb bald die Erkenntnis durch, dassder Staat, der Privaten die ausschließli-che Verfügungsmacht über Rechtsge-genstände zuweist, damit wirtschafts-und gesellschaftspolitisch bedeutsameFakten schafft, für deren Auswirkun-gen er die Verantwortung zu überneh-men hat. Die Urfassung des Bürger-lichen Gesetzbuches trug dem inAnsätzen bereits Rechnung, indem sieden Rechtsgrundsatz des § 903 BGBunter den Vorbehalt verschiedensterBeschränkungen stellte, die der Wah-rung von Drittbelangen dienen sollten.

Zwei Weltkriege und die darauf folgen-den Inflationen haben dann die Pola-risierung der Vermögensverhältnisse inDeutschland entscheidend weiter ver-tieft. Vertreibung und Geldentwertungführten zu einer wirtschaftlichen Ent-eignung breiter Bevölkerungskreiseund trafen vor allem die bürgerlicheMittelschicht, deren wirtschaftlicherStatus bis zum Ende des Kaiserreichesweitgehend unangetastet gebliebenwar. Nach dem Zweiten Weltkrieg wares im Osten Ziel der sowjetischenBesatzungsmacht und des Staatssozia-lismus der DDR, die bürgerliche Eigen-tumsordnung endgültig zu zerschla-gen, um dem Volk die materielleGrundlage für eine eigenverantwort-liche Lebensgestaltung zu entziehen.Der Erfolg dieser Politik, die Zusam-menballung des gesamten Produk-tionsvermögens in den Händen einerüberforderten Bürokratie und ein un-durchschaubares, willkürliches Systemvon Nutzungsrechten haben entschei-dend zum Untergang der DDR bei-getragen.

Völlig anders verlief die Entwicklungin den westlichen Ländern. Die soziale

Marktwirtschaft und eine stabile, demsozialgebundenen Eigentum verpflich-tete Rechtsordnung brachten der Be-völkerung Freiheit und Wohlstand.Freilich führte der wachsende Wohl-stand in erster Linie zu mehr Kaufkraftund Konsum und weniger zur Bildungvon Vermögen, wenn man die (eben-falls unter dem Schutz des Art. 14 GGstehenden) Rentenanwartschaften au-ßer Betracht lässt. Die Beteiligung brei-ter Schichten an unternehmensgebun-denem Kapital ist nach wie vor unbe-friedigend. Bei der gegenwärtigen Dis-kussion um die Zukunft der sozialenSicherungssysteme wird deutlich, wiewichtig neben Haus- und Grundbesitzauch privates Kapitalvermögen füreine langfristig auskömmliche Alters-versorgung ist.

2. Das Eigentum im Grundgesetz

Die Eigentumsverhältnisse wie auchdie wirtschaftlichen und sozialen Rah-menbedingungen des Eigentums ha-ben sich demnach in den vergangenen150 Jahren einschneidend verändert.Das wirft die Frage auf, ob das Eigen-tums(verfassungs)recht in Deutschlanddiese Entwicklung in dem erforder-lichen Umfang mitvollzogen hat.

2.1 Grundlagen der Eigentums-Dogmatik

Nach den Erfahrungen der Gründerzeiterschien es konsequent, in Art. 153Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung(WRV) die Sozialgebundenheit des Ei-gentums in den Rang von Verfassungs-recht zu erheben; Art. 14 GG hat dieseNormstruktur zumindest dem Wort-laut nach weitgehend übernommen.

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Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit 19

Von einer Kontinuität des verfassungs-rechtlichen Eigentumsbegriffs seit demKaiserreich zu sprechen, wäre gleich-wohl voreilig. Denn mit dem berühm-ten Essay „Reichsverfassung und Ei-gentum“ von Martin Wolff (1923)begann eine neue Epoche eigentums-rechtlicher Dogmatik. Wolff forderteseinerzeit nicht nur eine verfassungs-rechtliche Emanzipation des Eigen-tumsbegriffs, den er von der – bisdahin allgemein als maßgeblich ange-sehenen – zivilrechtlichen Begriffsbil-dung abkoppelte. Im gleichen Zuge er-weiterte er auch den Schutzbereich desArt. 153 WRV auf alle vermögenswer-ten privaten Rechte, jeweils nach Maß-gabe des geltenden einfachen Rechts.

Von bahnbrechender Wirkung war je-doch Wolff’s Postulat einer verfassungs-rechtlichen „Institutsgarantie“ des Ei-gentums, und zwar in zweifacherHinsicht. Zum einen wurde damit derGedanke vom Vorrang der Verfassungbzw. von der Bindung (gerade auch) desparlamentarischen Gesetzgebers an dieVerfassung wieder aufgenommen. Die-ser war schon bei den Beratungen überdie Weimarer Reichsverfassung einigeJahre zuvor diskutiert worden; seineAufnahme in die Verfassungsurkundefand damals aber keine Mehrheit undwar wie Art. 20 Abs. 3 des Grundgeset-zes belegt, einer späteren Epoche vorbe-halten. Wolff thematisierte damit be-reits in den zwanziger Jahren einenrechtsstaatlichen Elementargrundsatz,der bis heute in der Mehrzahl par-lamentarischer Demokratien westlicherPrägung seiner konsequenten Verwirk-lichung noch harrt. Dass es Wolff seinerzeit, unter dem unmittelbarenEindruck der verheerenden Inflation1922/23, in erster Linie um die Bewah-rung überkommener Eigentumsstruktu-

ren zu tun war, berührt den Rang diesesgedanklichen Ansatzes nicht.

Neues brachte dieser Ansatz außerdeminsofern, als er die Voraussetzungendafür schuf, einen originär verfas-sungsrechtlichen Gehalt der Eigen-tumsgarantie zu entwickeln und so – im Einklang mit dem Wortlaut des Art.153 WRV – den verfassungsrechtlichenEigentumsschutz nunmehr auf zweiunterschiedlichen Gewährleistungs-ebenen zu entfalten: Die verfassungs-rechtliche Absicherung des eigentums-rechtlichen Status quo wie er sich nachMaßgabe einfachrechtlicher Ausfor-mung von Inhalt und Schranken dar-stellt, wird quasi überwölbt durch die Verfassungsgarantie eines abstrak-ten Idealtypus „Eigentum“, die zwarkeinen konkret und abschließend fi-xierten Eigentumsbegriff, wohl abergewisse originär verfassungsrechtlicheKernelemente dieses Rechtsinstitutsenthält, die auch dem Gesetzgeber un-verfügbar sind.

2.2 Art. 14.GG im Verhältnis zu Art. 153 WRV

Wichtige Teile der dogmatischen Bin-nenstruktur des Eigentumsverfassungs-rechts waren damit entworfen und ha-ben auch in das Verständnis des Art. 14GG Eingang gefunden. Dessen unge-achtet hebt sich das Individualgrund-recht nach Art. 14 GG in Bedeutungund Wirkungsweise von der Bestim-mung des Art. 153 WRV in grundsätz-licher Weise ab. Den Vergleich beiderNormen möchte man geradezu alsLehrstück für das Phänomen völlig un-terschiedlicher Bedeutung praktischwort- und ranggleicher Vorschriftenbezeichnen.

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Manfred Weiß20

Individualgrundrechte mit der fun-damentalen Wirkungsdimension des Art. 1 Abs. 3 GG besaß die WeimarerReichsverfassung bekanntlich nochnicht. Auch Wolffs Überlegungen wa-ren insoweit rein objektivrechtlicherNatur; sie sollten in erster Linie derKontrolle des parlamentarischen Ge-setzgebers dienen (in den man damalsnicht allzu großes Vertrauen setzte).Die fehlende individualrechtliche Ent-faltung des Eigentumsrechts erklärtsich im Übrigen gerade auch daraus,dass dem ausgehenden 19. und be-ginnenden 20. Jahrhundert der idea-listisch geprägte Blick für die indi-viduelle Freiheitsdimension des Eigen-tums weitgehend abhanden gekom-men war, zugunsten einer materia-listisch-vermögensbezogenen Wahr-nehmung, deren Parole im gegebenenFall denn auch lautete: „Dulde und liquidiere!“

Das Grundgesetz hat insofern das Ver-hältnis zwischen Staat und Bürger vomKopf auf die Füße gestellt. Schon früh-zeitig formulierte das Bundesverfas-sungsgericht, die Eigentumsgarantiehabe „nicht in erster Linie die Aufga-be, die entschädigungslose Wegnahmevon Eigentum zu verhindern, sondernden Bestand des Eigentums in derHand des Eigentümers zu sichern. (…)Die Eigentumsgarantie ist nicht zu-nächst Sach-, sondern Rechtsträger-garantie“ (BVerfGE 24, 367 <400>).

Damit wandelte sich auch das Verhält-nis der beiden Gewährleistungsebenenzueinander: Aufgabe der Garantie desEigentums als Rechtseinrichtung ist esnach heutigem Verständnis, der Si-cherung des individuellen Freiheits-grundrechts zu dienen und damit dieVoraussetzungen seiner wirksamen Ge-

währleistung zu schaffen (vgl. BVerfGE24, 367 <389>). Die Institutsgarantiesoll dabei den „elementaren Bestandgrundrechtlich geschützter Betätigungim vermögensrechtlichen Bereich“ si-chern (BVerfG a.a.O.). Als danach un-verzichtbare Elemente des verfassungs-rechtlichen Eigentumsbegriffs hat dasBundesverfassungsgericht die Zuord-nung der vermögenswerten Rechtspo-sition zum Eigentümer, die Wahrungder Eigentumssubstanz, die grundsätz-liche Privatnützigkeit der Eigentums-berechtigung sowie die aus dieserfließende grundsätzliche Verfügungs-berechtigung bezeichnet (vgl. BVerfGE93, 121 <137>).

2.3 „Abgeleitetes“ Grundrecht?

Mit dieser Zuordnung deutet sich be-reits das Verhältnis von Art. 14 Abs. 1Satz 1 GG zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GGan. Während Satz 1 das Rechtsinstitut„Eigentum“ auf Verfassungsebene ver-bindlich festlegt, bezeichnet Satz 2 denUmfang des konkret gültigen grund-rechtlichen Schutzbereiches, auf densich der Eigentumsberechtigte berufenkann und der nach dem Gesagten je-denfalls den Garantiegehalt des Sat-zes 1 nicht unterschreiten darf (vgl.BVerfGE58,300<339>; 91,294 <308>).

Funktional käme damit der Instituts-garantie des Eigentums die vom Bun-desverfassungsgericht geforderte „die-nende Stellung“ zu. Normhierarchischlägen die Verhältnisse dagegen anders:Das Individualgrundrecht „Eigentum“stellt sich, gerade in seinem Kernbe-reich, als ein nur abgeleitetes, auf dieGrundlage eines abstrakt-objektivenRechtssatzes angewiesenes Recht dar.Bedenkt man, dass Eigentum als

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Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit 21

Rechtszuordnungsprinzip erst durchden Normgeber entsteht, dann wirddieser Unterschied des Art. 14 GG zuanderen Grundrechtsgewährleistungen– die ein vorrechtliches Schutzgut zumGegenstand haben – erklärlich.

Man mag diesen Befund durchaus als Offenheit des Grundgesetzes fürzukünftige gesellschaftliche Entwick-lungen und speziell als Chance zurrechtspolitischen Dynamik im Eigen-tumsrecht bewerten. Eine gewisse„Unvollkommenheit“ des Grundrechtsnach Art. 14 GG lässt sich unter die-sem Blickwinkel aber kaum leugnen.Wer die freiheitsrechtliche Komponen-te des Eigentumsschutzes ernst nimmt– und zwar in ihrer individualschüt-zenden wie in ihrer ordnungspoliti-schen Bedeutung –, wird mit dieserNormlage sensibel umgehen.

3. Die Sozialbindung des Eigen-tums

Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14GG geht demnach von der Freiheit desIndividuums aus, sich eigenverant-wortlich eine materielle Lebensgrund-lage zu schaffen (insoweit besteht einSinnzusammenhang mit Art. 12 GG)und die so geschaffenen Werte nutzenund darüber verfügen zu können. Dasentspricht im Grundsatz dem traditio-nellen Eigentumsverständnis.

Die Eigentumsordnung des Grundge-setzes ruht allerdings noch auf einemwesentlichen zweiten Pfeiler: Dem vonArt. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste-ten Kerngehalt des Eigentums steht daseingangs zitierte Postulat der Sozial-bindung (Art. 14 Abs. 2 GG) gegen-über.

3.1 Sozialbindung als Direktive anden Gesetzgeber

Die dogmatische Stellung des Sozial-bindungsgrundsatzes nach Art. 14 Abs.2 GG darf heute im Grundsatz als ge-klärt gelten. Wie bereits dargelegt, wur-de die Eigentumsgarantie zu Zeiten derWeimarer Republik rechtsfolgenbezo-gen interpretiert. Die Strukturierungdes Eigentumstatbestandes erfolgte inerster Linie unter dem Blickwinkel derin Betracht kommenden Rechtsfol-ge „Enteignungsentschädigung“. Diedetaillierte Rechtsprechung des Reichs-gerichts zu diesem Themenkreis ent-faltete auch unter der Geltung desGrundgesetzes noch beherrschendeWirkung, nicht zuletzt deshalb, weil esnicht gelang, das Staatshaftungsrechtzu kodifizieren.

Das Bundesverfassungsgericht hattedemgegenüber schon relativ frühzeitigzum Ausdruck gebracht, dass die ent-schädigungsbezogene Systematisierungdes Eigentumsrechts mit der Strukturdes Art. 14 GG nicht in Einklang zubringen ist. Der Nassauskiesungsbe-schluss von 1981 (BVerfGE 58, 300)hat diese Tatsache ins allgemeine Be-wusstsein gerückt. Inzwischen ist – nicht zuletzt dank der unermüdlichenHinweise von Werner Böhmer zu die-sem Problemkreis – anerkannt, dass„Inhalts- und Schrankenbestimmung“einerseits und „Enteignung“ anderer-seits grundverschiedene staatliche Re-gelungskategorien darstellen, die einerAbgrenzung ihrer Anwendungsberei-che schon deshalb nicht bedürfen,weil sie typischerweise gar keine ge-meinsame Regelungsebene besitzen.Das hat das Bundesverfassungsgerichtinzwischen auch für die Schnittstelleso genannter „Reformgesetze“ aner-

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Manfred Weiß22

kannt, bei denen eine einschränkendegesetzliche Neuregelung des Eigen-tumsinhalts zu individuellen Verlustenbisheriger Rechtspositionen führt (vgl.BVerfGE 83, 201 <211 f.>).

Die Inhalts- und Schrankenbestim-mung lässt sich demnach als einfach-rechtliche Wirkungssynthese der ver-fassungsrechtlichen Antagonisten „Ei-gentum“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG)und „Sozialbindung“ (Art. 14 Abs. 2GG) deuten, deren Widerstreit der Ge-setzgeber unter Berücksichtigung allerrelevanten rechtlich geschützten Inter-essen und unter Wahrung des Über-maßverbotes aufzulösen hat. Art. 14Abs. 2 GG hat nach dieser Sichtweisenicht in erster Linie Schrankenfunk-tion, sondern er ist Direktive an denGesetzgeber bei der Bestimmung desunmittelbaren Gewährleistungsgehaltsder Eigentumsgarantie.

3.2 Sozialbindung – welchesLeitbild steht dahinter?

Über der Beschäftigung mit den dog-matischen Strukturen des Art. 14 GGist die Frage nach der sachlichen Be-deutung der Sozialbindungsklauselvielfach in den Hintergrund getreten.Hier wären indes fruchtbare Gestal-tungsansätze zu finden.

Der Verfassungsgeber hatte bei der Fest-legung des Gedankens der Gemein-wohlbindung – der ja seine Ausprä-gung schon in Art. 153 Abs. 3 WRVgefunden hatte – in erster Linie die Bo-denordnung im Auge, also die Vertei-lung eines knappen und nicht beliebigvermehrbaren, zugleich für die Gesell-schaft unverzichtbaren Wirtschaftsguts(vgl. BVerfGE 21, 72 <83>). Das Bun-

desverfassungsgericht hat in diesem Zu-sammenhang die Aufgabe des Gesetz-gebers dahin bestimmt, den Freiheits-raum des Einzelnen im Bereich derEigentumsordnung und die Belangeder Allgemeinheit in einen gerechtenAusgleich und in ein ausgewogenesVerhältnis zu bringen, wobei die Be-fugnisse und Pflichten des Eigentümersam Sozialstaatsprinzip zu orientierenseien (vgl. BVerfGE 25, 112 <117 f.>).

Später sprach das Gericht von der Auf-gabe, ein Sozialmodell zu verwirkli-chen, das in gleicher Weise beiden Ele-menten des dialektischen Verhältnissesvon individueller Freiheit und sozial-gerechter Eigentumsordnung Rech-nung trage. Voraussetzung sei aller-dings, dass das betreffende Eigen-tumsobjekt in einem sozialen Bezugund einer sozialen Funktion stehe (vgl.BVerfGE 37, 132 <140>). Je intensiverein Eigentumsobjekt tatsächlich in densozialen Raum hineinwirke und Belan-ge anderer Rechtsgenossen berühre,desto weitergehend unterliege das Ei-gentum daran Gemeinwohlschranken,in denen sich insbesondere das Gebotder Rücksichtnahme auf diejenigenNichtberechtigten aktualisiere, die zuihrer eigenen Grundrechtsverwirkli-chung auf die Nutzung dieses Objektesangewiesen seien (vgl. BVerfGE 50, 290<340 f.>). Grenze der daraus resultie-renden Einschränkungen sei nament-lich das Gebot einer – gemessen amRegelungszweck – unzumutbaren Be-lastung des Eigentümers (vgl. BVerfGE58, 137 <148>). Eine einseitige Bevor-zugung und Benachteiligung stündemit den Vorgaben des Art. 14 GGnicht in Einklang; das Wohl der Allge-meinheit sei nicht nur Grund, sondernauch Grenze für Eigentumsbeschrän-kungen (vgl. BVerfGE 79, 174 <198>).

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Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit 23

Diesen beispielhaft wiedergegebenenFormulierungen der Rechtsprechungliegt erkennbar die Vorstellung zu-grunde, dass der Verfassungsgeber dasZiel einer sozial ausgewogenen Eigen-tumsordnung verfolgte. Dem klarenBekenntnis zum Rechtsinstitut „Privat-eigentum“ soll dabei der Gemeinwohl-bezug korrespondieren. Die Sozialbin-dung ist hierbei nicht Selbstzweck(und schon gar nicht Vorstufe einerDemontage der tradierten Form desPrivateigentums). Ihr wohnt vielmehrein materieller Gerechtigkeitsgedankeinne, der den Staat in zweifacher Hin-sicht in die Pflicht nimmt:

● Dieser soll einerseits der Schaffungvon Privateigentum günstige Vor-aussetzungen und insofern mög-lichst weitgehende Chancengleich-heit schaffen.

● Zum anderen ist er gehalten, die so-ziale Verantwortung derjenigen ein-zufordern, denen mit der Verfügungüber sozial relevante Vermögensge-genstände soziale Gestaltungsmachtanvertraut ist, um dadurch wirt-schaftlich bedingte soziale Macht zukontrollieren und deren Missbrauchzu verhindern.

Man wird daher sagen können, dassverfassungsrechtliches Leitbild des Art.14 Abs. 2 GG in Zusammenschau mitArt. 20 Abs. 1 GG das Prinzip der so-zialen Gerechtigkeit der Eigentumsver-hältnisse ist.

4. Das Eigentum und die Gren-zen der Sozialstaatlichkeit

Bestimmt man den normativen Gehaltdes Art. 14 Abs. 2 GG in der vorge-nannten Weise, dann lässt sich zwar

feststellen, dass die Grundlinien des Ei-gentumsverfassungsrechts alle wesent-lichen Einzelbelange berücksichtigen,die Fassung des Art. 14 GG somit einegewissermaßen „zeitlose“ ist. Der nor-mative Anspruch des Art. 14 GG wirddagegen derzeit von Gesetzgeber undVerfassungsrechtsprechung – gemessenan der Rechtswirklichkeit – nur unzu-reichend erfüllt. Dies gilt sowohl fürdie individuelle Gewährleistungs- alsauch für die soziale Verantwortungs-dimension.

Um Missverständnissen vorzubeugen,sei allerdings vorab klargestellt, dassmit dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit– auch rechtspolitisch – ein grundsätz-lich anderer Maßstab beschrieben istals derjenige, der auf eine Umvertei-lung zum Zweck der Nivellierung indi-vidualrechtlicher Positionen abzielt.Ein solches Vorhaben ginge über diesozialverträgliche Ausgestaltung legi-tim erworbener Rechte weit hinaus.Auch der Gedanke, die Substanz außer-gewöhnlich großer privater Vermö-gensmassen angesichts einer gestei-gerten sozialen Verantwortung derVerfügungsberechtigten in besondererWeise in die Pflicht zu nehmen (vgl.dazu Böckenförde, Sondervotum zuBVerfGE 93, 121 <149 ff., 163 f.>) kannsich nicht auf Art. 14 Abs. 2 GG beru-fen. Man mag derlei aus historischen,gesellschaftspolitischen oder anderenGründen für wünschenswert haltenund hierfür das Sozialstaatsprinzip alsRechtfertigungsgrund anführen (soBöckenförde a.a.O.). Die Vorstellungaber, dass ein konfiskatorischer Zugriffdes Staates auf den Vermögensstammmit Art. 14 Abs. 2 GG zu rechtfertigenwäre, hat das BVerfG zu Recht stetsverworfen (vgl. zuletzt BVerfGE 93,121 <137>). Das erscheint angesichts

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der vorgegebenen strikten Trennungvon Sozialbindung und Enteignungauch verfassungssystematisch zwin-gend.

4.1 Eigentumsgarantie und Wohn-raummiete

Ein spezifisch verfassungsrechtlichesProblem effektiven Eigentumsschutzesist gerade erst durch die „Dynamisie-rung“ des Schutzbereiches des Art. 14GG entstanden. Dieser ist bekanntlichseit den Zeiten der Weimarer Republikkontinuierlich ausgeweitet worden.Dass diese Entwicklung durchaus ihreAmbivalenzen hat, belegt sehr deutlichder Beschluss des Bundesverfassungs-gerichts vom 26. Mai 1993 (BVerfGE89, 1) zur verfassungsrechtlichen Ein-ordnung des Besitzrechts des Wohn-raummieters.

Bundesverfassungsgericht: Wohnraummieter als Eigentums-position

Der Erste Senat des Bundesverfas-sungsgerichts hat in dieser Entschei-dung das mietvertragliche Besitzrechtdes Mieters als sacheigentumsgleicheRechtsposition dem Schutzbereich desArt. 14 GG zugeordnet. Vor dem Hin-tergrund der fortschreitenden Ent-grenzung des Eigentumsbegriffs (vgl.BVerfGE 83, 201 <208> in Kontrast zu BVerfGE 78, 58 <71>) kam dieserSchritt nicht überraschend. Die struk-turelle Gleichsetzung der eigentums-rechtlichen Position des Mieters mitderjenigen des Vermieters/Eigentümers(so ausdrücklich BVerfGE 89, 1 <8>) er-scheint allerdings fragwürdig; sie be-ruht auf einem Argumentationsmuster,

das methodisch wie sachlich nichtüberzeugt.

Der Senat stützt seine These von derstrukturellen Gleichartigkeit von Miet-besitz und Sacheigentum darauf, dassdiese Institute in ihren bürgerlich-rechtlichen Wirkungen gewisse Paralle-len aufweisen. Dass sich beide Rechts-tatbestände dagegen – gerade im Ver-hältnis zueinander – qualitativ ganzwesentlich unterscheiden, wird vomSenat zwar gesehen, aber übergangen.Vor allem die Tatsache, dass dem Miet-besitzer eine lediglich abgeleiteteRechtsposition zusteht, die ihm vomoriginär Berechtigten eingeräumt wor-den ist, wird vom Senat nicht ge-würdigt, sondern ohne Begründungbeiseite geschoben (vgl. BVerfGE 89, 1<7 f.>).

Dabei dürfte gerade hierin der ent-scheidende Grund dafür liegen, warumdie vom Senat gezogenen Schlussfolge-rungen viel zu weit gehen. Man mag esdurchaus für konsequent halten, derbesitzrechtlichen Position des Raum-mieters grundsätzlich den Schutz desArt. 14 GG zuzuerkennen; das er-scheint jedenfalls nach der vom Senatverwendeten neueren Eigentumsfor-mel (vgl. BVerfGE 89, 1 <6>; 83, 201<208 f.>) vertretbar. Der bürgerlich-rechtliche Befund, auf den sich der Senat hierbei beruft, könnte es aberallenfalls rechtfertigen, die Wirkungs-dimension des Mietbesitzes der desSacheigentums gleichzustellen, keines-falls aber seine Rechtsgrundlage. Me-thodisch erscheint es schlicht unstatt-haft, die strukturelle Gleichartigkeitzweier Rechtstatbestände zu behaup-ten, ohne sich mit der Frage ihrer Ver-gleichbarkeit umfassend auseinandergesetzt zu haben.

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Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit 25

Nach dem Rechtsbegründungstatbe-stand zu fragen, erübrigt sich beimSacheigentum in der Tat – ebenso wiebei allen anderen Rechtsinhaberschaf-ten, die schon bisher dem Art. 14 GGsubsumiert wurden.

Denn dort ist die grundsätzlich umfas-sende und allseitige Legitimation desRechtsinhabers unproblematisch. Dasverhält sich bei den abgeleiteten, zeit-lich und inhaltlich begrenzt überlas-senen Teilbefugnissen eines Mieters offensichtlich anders. Insoweit würdeeine Einordnung nach Art. 14 GG ne-ben der vergleichenden Betrachtungder Rechtsfolgenseite vor allem und inerster Linie eine Tatbestandsparallelezum Sacheigentum voraussetzen, unddie ist im Fall des Mietbesitzes unbe-streitbar nicht zu ziehen. Denn dieRechtsordnung verleiht dem Mietbesit-zer zwar gewisse eigentümerähnlicheBefugnisse, aber eben keine autonomeRechtsstellung, wie sie für das Sach-eigentum und andere originäre Rechts-inhaberschaften charakteristisch ist.

Weist also der Mietbesitz nur in Teil-bereichen eine Rechtsähnlichkeit mitdem von Art. 14 Abs. 1 GG geschütz-ten Idealtypus „Eigentum“ auf, so er-scheint es folgerichtig, einen verfas-sungsrechtlichen Schutz nach Art. 14GG auch nur diesen Teilbereichen einzuräumen. Folglich gewährt dieVerfassung dem Mietbesitzer nur imHinblick auf bestimmte Rechtsfol-gen – seine Besitzerbefugnisse – eine eigentümerähnliche, grundrechtlicheStellung. Sie knüpft dabei an einen be-stimmten privatrechtlichen Tatbestandan und setzt diesen voraus, ohne dassdiesem deshalb die auf die Rechtsfol-gen zielende grundrechtliche Schutz-wirkung innewohnen würde.

Das zwingt zu dem Schluss, dass dievom Bundesverfassungsgericht ge-forderte umfassende Anerkennung desMietbesitzes nach Art. 14 GG derGrundlage jedenfalls insoweit ent-behrt, als sie sich auf das den Miet-besitz erst begründende Rechtsverhält-nis – den Mietvertrag – beziehen soll.Dementsprechend kann sich der Miet-besitzer zwar auch gegenüber dem Vermieter/Eigentümer auf den grund-rechtlichen Schutz seiner aus der Mie-terposition fließenden schuldrecht-lichen und dinglichen Befugnisseberufen. Die Rechtsgrundlage seinerBefugnisse – der Bestand des Mietver-trags – selbst kann dagegen am Schutz-bereich des Art. 14 GG nicht teilhaben.

Bei der grundrechtlichen Würdigungdes Mietbesitzes ist mit anderen Wor-ten eine differenzierende Bemessungdes Schutzumfanges nach Art. 14 GGerforderlich. Die vom Senat gezogenenKonsequenzen werden demgegenübervon seinen Ausgangsüberlegungennicht getragen. Das gilt namentlich fürdie Behauptung, Art. 14 GG gewähredem Mieter einen Bestandsschutz sei-ner mietvertraglichen Position und seifolglich insbesondere im Kündigungs-recht zukünftig als Maßstab heranzu-ziehen (BVerfG a.a.O. S. 7, 8). Das Ge-genteil ist richtig: Die von Art. 14 GGgeschützten Wirkungen des Mietbesit-zes sind nur Produkt, nicht aber Maß-stab der Vertragsgrundlage; folglichkann sich der Mietbesitzer gegenüberÄnderungen der Vertragsgrundlage aufArt. 14 GG nicht berufen. Der Ent-scheidungstenor des Senats beruht aufeinem unausgesprochenen Fehlschlussvon der Rechtsfolge- auf die Tat-bestandsseite, die weder bürgerlich-rechtlich noch verfassungsrechtlich zurechtfertigen ist. Die Konsequenzen

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Manfred Weiß26

dieser Sichtweise – Vermietung als ver-fassungsrechtliche „Teilübereignung“,Kündigung des Vermieters als (ent-schädigungslose?) „Enteignung“ etc. –erscheinen also nicht nur dem Ergeb-nis nach merkwürdig, sondern beru-hen auf einer in dieser Form nichthaltbaren Prämisse.

Urteilskritik: es gibt kein „Grundrecht auf Wohnung“!

Nach alledem fehlt es der besproche-nen Entscheidung bereits an einerschlüssigen ratio decidendi. Außerdementfaltet sie bedenkliche grundrechts-dogmatische Folgen. Aufsehen hat sieja nicht deshalb erregt, weil hier demweitläufigen Schutzareal des Art. 14GG eine weitere Parzelle hinzugefügtwurde. Das systematisch Spektakulä-re besteht vielmehr darin, dass dasBVerfG hier in einseitiger Weise in pri-vatautonome Regelungssysteme ein-greift, um der einen Vertragspartei aufKosten der anderen Rechte zu ver-schaffen, die weder dem Willen desGesetzgebers noch dem der Vertrags-parteien entsprechen. Die Entschei-dung nimmt letztlich eine grundrecht-liche Umverteilung vor, indem sie demMieter einen Rechtsstatus verleiht, derzugleich dem Vermieter aberkanntwird. Der grundrechtliche Schutz desSacheigentums wird so um eines„Grundrechts auf Wohnung“ willenvon innen her erheblich beschädigt.

Damit hat das Gericht überdies Festle-gungen getroffen, die nicht seines Am-tes sind. Auch wenn man es für legitimhält, den Mietbesitz im Wege der Ver-fassungsauslegung in bestimmter Be-ziehung dem Schutzbereich des Art. 14GG zu unterstellen, so kann dies weder

auf Kosten der materiellen Rechtsstel-lung des Vermieters/Eigentümers ge-hen, noch lässt sich auf dieser Grund-lage eine strukturelle Gleichrangigkeitvon Mieter- und Vermietereigentumbehaupten. Denn die Inhaltsbestim-mung des Eigentums ist Sache des Ge-setzgebers, an dessen Wertsetzungs-und Strukturentscheidungen auch dasBundesverfassungsgericht gebundenist. Das Gericht ist deshalb nichtbefugt, die bestehende gesetzliche Ei-gentums- und Mietrechtsordnungdurch eigenmächtige Verschiebungvon Grundrechtsgewichten in diejeni-gen verfassungsrechtlichen Koordi-naten zu zwingen, die den Richternrechtspolitisch erwünscht scheinenmögen. Auch die Methode der Rechts-findung bietet somit Anlass, diesesJudikat kritisch zu überdenken.

4.2 Sozialbindung undMieterschutz

Der Gedanke der Sozialbindung legiti-miert weder die Zerstörung noch auchnur die Erosion legitim erworbenerRechte. Dass diese Feststellung prakti-sche Bedeutung besitzt, erweist sichimmer wieder im Recht der Wohn-raummiete.

a) Nachdem das „soziale Mietrecht“ inden vergangenen Jahrzehnten dasstrukturelle Ungleichgewicht zwi-schen Vermieter und Mieter besei-tigt, ja in mancher Beziehung zu-gunsten der Mieterseite ins Ge-genteil verkehrt hatte, musste dasBundesverfassungsgericht immerwieder einschreiten, um im Einzel-fall den Mindestanforderungen desArt. 14 Abs. 1 GG auf Seiten des Vermieters/Eigentümers Geltung zu

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Sozialbindung und soziale Gerechtigkeit 27

verschaffen. Bis zum Beginn der90er-Jahre hatte sich dann eine verfassungs- wie einfachrechtlich relativ ausgewogene Rechtspraxiseingestellt, die auch den grund-rechtlich geschützten Belangen derBeteiligten gerecht wurde.

b) Die bereits dargelegte Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts vom26. Mai 1993 (BVerfGE 89, 1) hat in dieses Äquilibrium empfindlicheingegriffen. Indem das Gerichtdem Mieter gerade gegenüber demVermieter/Eigentümer einen Schutznach Art. 14 GG unterschoben hatund diesen nunmehr als den Eigen-tümerinteressen strukturell gleich-artig und -wertig darstellt, hat esden originären Eigentumsschutz des Vermieters zum schlichten Ab-wägungsgesichtspunkt relativiert.Außerdem wurde die privatautono-me Entscheidungsfreiheit des Ver-mieters weiter eingeschränkt, dereine Kündigung des Vertragsver-hältnisses nunmehr als „Enteig-nung“ des Mieters rechtfertigenmuss.

Schon die Methode, durch eine„Kernspaltung“ der Grundrechts-gewährleistung den verfassungs-rechtlichen Schutz bestehenderRechtspositionen zu entwerten, istmehr als problematisch. Die For-derung nach einer praktischen Kon-kordanz dieser Grundrechts-Frag-mente (vgl. BVerfGE 89, 1 <8>) er-scheint bereits im Ansatz schief.

Vor allem aber fällt es schwer, dieseRechtsprechung mit dem Prinzip so-zialer Gerechtigkeit in Verbindungzu bringen. Die praktischen Folgendieser Entscheidung treffen ja nicht

etwa die gewerblichen Großvermie-ter, sondern vielmehr die – ständigwachsende – Zahl von privatenKleinvermietern, für die ihr Ver-mietungsobjekt oft hauptsächlicher(und lang ersparter) Besitz und Al-tersvorsorge ist und auf dessen best-mögliche Nutz- und Verwertbarkeitsie angewiesen sind. Dieser Bevölke-rungsgruppe schlägt das BVerfG mitder Bemerkung, es gebe doch so vie-le Nichtbesitzende, ihre legitimenRechte aus der Hand. Besinnt mansich auf den historischen Hinter-grund, der eingangs geschildertwurde, dann wirkt es nachgeradegrotesk, denjenigen, deren Familiennach 1945 wieder bei Null angefan-gen haben, die Früchte ihrer – auchvolkswirtschaftlich unverzichtbaren –individuellen Eigeninitiative undTüchtigkeit zu rauben. Die bespro-chene Entscheidung liegt damitganz im Trend einer Zeit, die die Be-reitschaft zu Eigeninitiative und Leistung als Dummheit belächeltund eine Versorgung möglichst aufKosten anderer zum Prinzip erhebt.Mit den Grundannahmen des Art.14 GG hat das nicht mehr viel zutun. Wenn gleichzeitig händerin-gend nach Möglichkeiten gesuchtwird, die sozialen Sicherungssystemezu entlasten, schließt sich der Kreisdes Absurden.

c) Nur am Rande sei erwähnt, dass dasgesamte soziale Mietrecht auf derPrämisse struktureller Unterlegen-heit des Mieters basiert und diesedurch einfachrechtliche Gestaltungauszugleichen sucht. Die vom Bun-desverfassungsgericht postulierteradikale Umgewichtung der grund-rechtlichen Positionen könnte inVerbindung mit der bestehenden

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Manfred Weiß28

Mietrechtslage auf die Dauer zu ei-nem „overkill“-Effekt führen, derdie Legitimität des sozialen Miet-rechts selbst in Frage stellen würde.

4.3 Eigentumsgarantie undMietrechtsreform

Sozial unausgewogen und damit nichtim Einklang mit Art. 14 Abs. 2 GG, er-scheinen auch Teile der derzeit von derBundesregierung vorbereiteten Miet-rechtsreform.

Das gilt etwa für das Vorhaben, dieKündigungsfrist für Mieter von Wohn-raum unabhängig von der Laufzeit desVertrages einheitlich auf drei Monatezu reduzieren, während die den Ver-mieter bindenden gestaffelten Fristenbeibehalten werden sollen („asymme-trische Kündigungsfristen“). Wie dieseoffensichtliche Ungleichbehandlungmit der Forderung des Bundesver-fassungsgerichts nach Ausgewogen-heit eigentumsrechtlicher Regelungund seinem Verbot übermäßiger Be-grenzungen privatrechtlicher Befug-nisse (vgl. BVerfGE 37, 32 <140 f.>; 52,1 <29 f.>; 79, 174 <198>) und mit demGleichbehandlungsgrundsatz zu ver-einbaren sein soll, ist nicht zu erken-nen.

Die bislang für dieses Regelungskon-zept vorgetragene Begründung ist vonder Einseitigkeit ihrer Interessenge-wichtung geprägt. Die Verbesserungder Rechtsstellung des Mieters wird einerseits damit begründet, es seienFälle denkbar, in denen die Einhaltung

der regulären Frist für den Mieter einebesondere Härte darstelle. Natürlichgibt es solche Situationen. Aber die wenigen derartigen Fälle, die in derRechtspraxis nicht einvernehmlichgelöst werden, rechtfertigen allenfallsdie Einführung eines außerordentli-chen Kündigungsrechts für den Mieterund nicht die generelle Reduzierungder Frist ohne jeden Sachgrund, die – etwa im Vergleich zur bisherigen Son-derregelung des § 570 BGB – als gera-dezu willkürlich anmuten würde. Hin-zu kommt, dass jedenfalls dann, wenndie härtebegründenden Umstände ausdem Risikobereich des Mieters stam-men, deren Überwälzung auf den Ver-mieter höchst erklärungsbedürftig ist.Wenn auf der anderen Seite dem Ver-mieter jedes schutzwürdige Interessean gestaffelten Fristen abgesprochenwird, ist das schwer nachvollziehbar.Es liegt doch nahe, dass der mit einemMieterwechsel verbundene Aufwandauch für den Vermieter mit der Längedes Mietverhältnisses typischerweisezunimmt. Außerdem sind auch aufVermieterseite ohne weiteres Fälledenkbar, in denen ein dringendes Ei-gennutzungsinteresse des Vermietersdie Abkürzung der Frist nahe legenwürde. Die Interessenlagen beider Ver-tragsparteien sind also in der Frage der Friststaffelung durchaus vergleich-bar.

Diese Einsicht möge den Gesetzgeberbewegen, die beabsichtigte Regelungnochmals auf die empfindliche Waageder sozialen Gerechtigkeit zu legenund einem akzeptablen Interessenaus-gleich näher zu bringen.

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1. Grundsätzlich: Eigentum istFreiheit

Im Eigentum spiegeln sich staatsrecht-liche und politische Grundsatzfragen.In wechselnden Kontexten steht dasEigentumsgrundrecht immer wiederim Zentrum verfassungstheoretischerwie rechtspolitischer Diskussionen.1

Die Vielfalt staats- und verfassungs-theoretischer Entwürfe in Geschichteund Gegenwart lassen sich auch durchihren Bezug zu der von ihnen unter-legten Eigentumsordnung typisierenund zu zwei idealtypischen Grundpo-sitionen verdichten: einer prinzipiel-len Wertschätzung und Anerkennungdes Privateigentums als Rechtsinstitutsteht ein ebenso prinzipielles Misstrau-en und Ablehnung desselben gegen-über.

Diese Positionen basieren ihrerseits aufaxiomatischen Festlegungen zum Ver-hältnis von Freiheit und Gleichheit.Wird staatliche Ordnung primär aufindividueller Freiheit gegründet, be-dingt dies eine prinzipielle Anerken-nung des Eigentums Privater. Wirdhingegen die Herstellung und Wah-rung von sozialer Gleichheit zur pri-mären Aufgabe des Staates erklärt, so

muss das Privateigentum aus dieserPerspektive im Kern als suspekt er-scheinen, ist es doch sichtbarster Aus-druck von Ungleichheit.

Der Kampf um das Privateigentum be-gleitet in den angedeuteten Frontstel-lungen die politische Ideengeschichteseit ihren Anfängen.2 Die Stellung zumPrivateigentum stand im Zentrum desweltumspannenden Streits der Ideolo-gien, unterschied die widerstreitendenLager im Weltbürgerkrieg, markiertedie Fronten im Kampf der politischenBlöcke seit Mitte des 19. Jahrhundertsund teilte die Welt politisch bis in dieunmittelbare Gegenwart hinein. Diepolitische Frontlinie verlief entlang derAlternative:

● Privateigentum oder Gemeineigen-tum,

● Verfügungsbefugnis des einzelnenoder des Kollektivs,

● Marktwirtschaft oder zentrale Plan-verwaltungswirtschaft.

Politisch, ökonomisch und moralischist dieses Duell zweier antagonistischerEigentumskonzeptionen entschieden:Der moralisch wie ökonomisch blama-ble Zusammenbruch des real existent

Der Eigentumsbegriff zwischenabsoluter Verfügungsbefugnis

und Sozialgebundenheit

Otto Depenheuer

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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Otto Depenheuer30

gewesenen Sozialismus hat weltweit zueiner beispiellosen Renaissance und Al-ternativlosigkeit des Privateigentumsgeführt. Nicht mehr Sozialisierungoder Verstaatlichung stehen am Aus-gang des 20. Jahrhunderts auf derTagesordnung der Weltinnenpolitik,sondern Privatisierung: politische Re-naissance und ökonomischer Triumphdes Privateigentums als Freiheitsrecht. Eigentum ist Freiheit. Zu Recht hat da-her das Bundesverfassungsgerichts Art.14 GG aus seiner jahrzehntelangenentschädigungsrechtlichen Verengungbefreit und als Freiheitsrecht dog-matisch neu fundiert und entfaltet:3

Tatsächlich ist Eigentum materialisier-te Freiheit. Art. 14 schützt in der Tradi-tionslinie des politischen Liberalismus4

das Eigentum in erster Linie als sub-jektiv-öffentliches Abwehrrecht desBürgers gegen staatliche Eingriffe.5 DerEigentumsgarantie kommt die Funk-tion zu, „den Bestand der durch dieRechtsordnung anerkannten einzelnenVermögensrechte gegenüber Maßnah-men der öffentlichen Gewalt zu be-wahren“.6

Das grundrechtlich geschützte Eigen-tum versteht sich freilich nicht im Sin-ne eines absoluten Herrschaftsrechts,sondern einer Befugnis, deren Aus-übung – wie es das Grundgesetz for-muliert – „zugleich dem Wohl der All-gemeinheit dienen“ soll. Gerade dieserAusgleich aber bildet das stets erneutzu bewältigende Problem der Eigen-tumsdogmatik, wie es sich derzeit vorallem im Umwelt- und Naturschutz-recht stellt. Abstrakt wie konkret stel-len sich eine Vielzahl von Fragen:

● Wo enden legitime Eigentümer-interessen, wo haben Allgemein-wohlziele den Vorrang?

● Gibt es eine Summe von Eigentums-einschränkungen, jenseits derer wei-tere Gemeinwohlbindungen des Pri-vateigentums unzulässig werden?

Die große Formel zur Beantwortungdieser und ähnlicher Fragen gibt esnicht. Die Praxis sucht sachbereichs-spezifische Antworten in Ansehungkonkreter Fälle, die Wissenschaft suchtden Entscheidungsprozess zu struktu-rieren. Tatsächlich sind Juristen es ge-wohnt, sich schwierigen materiellenWert- und Konfliktentscheidungen dadurch zu entziehen, dass sie sie inKompetenzfragen transformieren, d.h.die Frage nach dem Inhalt überfüh-ren in die Frage nach der Befugnis, dar-über nach Maßgabe von Darlegungs-und Begründungslasten verbindlich zu entscheiden. Begründungslastenund Entscheidungskompetenzen le-gen Verantwortlichkeiten fest, ermög-lichen demokratische Legitimationund rechtsstaatliche Bändigung. Andiesem Punkt aber zeigt das Eigen-tumsgrundrecht zwei Anomalien: Dieerste – weniger problematische – be-steht in einem ungewöhnlichen ver-fassungsgesetzlichen Appell: „Eigen-tum verpflichtet“.

Dieser Appell wird in der Literatur zu-weilen als eine unmittelbar wirkendeverfassungsgesetzlich statuierte Grund-pflicht des Eigentümers verstanden.7

Wäre dies so, so würde das Problemder sozialen Bindung des Eigentumsganz in die Kompetenz des Rechtsin-habers gelegt. Doch diese Lösung desProblems ist nicht nur zu schlicht, sieist offensichtlich ungeeignet, das Pro-blem der Vermittlung von legitimenEigennutz und Gemeinwohlerforder-nissen praktisch und theoretisch zu bewältigen. Denn das lapidare Gebot

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Der Eigentumsbegriff 31

„Eigentum verpflichtet“ sagt dem Ei-gentümer nicht, wozu er denn ver-pflichtet ist. Das ergibt sich auch nichtaus der programmatischen Erläuterungdes Verfassungstextes, dass der Ge-brauch des Eigentums zugleich dem„Wohle der Allgemeinheit“ dienen sol-le; denn wiederum bleibt offen, worindieser Dienst eigentlich besteht. Dieskann erst das Gesetz konkretisieren,das „Inhalt und Schranken“ des Eigen-tums bestimmt. Der Staat also ist undmuss es sein, der den Ausgleich vonIndividual- und Gemeinwohlinte-ressen vorzunehmen gehalten ist. Und hier stoßen wir auf eine zweiteAnomalie des Eigentumsgrundrechts,die ungleich brisanter ist, weil sie dierechtsstaatlichen Darlegungs- und Begründungslasten in bedenklicherWeise verschiebt.

2. Ein Grundrecht und seineInhaltsbestimmung

Grundsätzlich ist die Freiheit des Ein-zelnen dem Staat verfassungsrechtlichvorgegeben: Der Staat hat Freiheit undEigentum seiner Bürger als ihm vor-ausliegend zu achten und zu schützen.Allerdings kommt ihm die Aufgabe zu,diese Freiheit mit den Interessen derAllgemeinheit unter Beachtung derVerhältnismäßigkeit in einen Aus-gleich zu bringen; dafür trägt er dieBegründungslast.

Ganz in diesem Sinne spricht das Bun-desverfassungsgericht daher auch derEigentumsgarantie die Funktion zu,„den Bestand der durch die Rechtsord-nung anerkannten einzelnen Vermö-gensrechte [sc. des Bürgers] gegenüberMaßnahmen der öffentlichen Gewaltzu bewahren“.8 Aber anders als bei den

anderen Freiheitsrechten statuiert die Verfassung nicht nur eine Ver-pflichtung des Gesetzgebers, die im In-teresse des Gemeinwohls notwendigenSchranken, sondern auch den „Inhalt(…) des Eigentums durch die Gesetze“zu bestimmen. Damit gerät die Eigen-tumsdogmatik in ein Dilemma: Wiesoll das Eigentum gegenüber dem Ge-setzgeber verbindliche Direktiv- undAbwehrkraft entfalten können, wennsein Substrat („Inhalt“) von eben die-sem zunächst bestimmt werden muss?Dieses Kardinalproblem der grundge-setzlichen Eigentumsdogmatik zählt zuden umstrittensten und bis zum heu-tigen Tage ungelösten. Andererseits ist die Klärung dieses Problems für jede konsistente verfassungsrechtlicheEigentumsdogmatik ebenso funda-mental unausweichlich wie sachlichschwierig.

Um hier Klarheit zu gewinnen – oderzu behalten –, gilt es sich zunächst desAusgangspunktes zu vergewissern, derallen Überlegungen zum Eigentums-recht im Verfassungsstaat zugrunde-gelegt werden muss: der notwendigenRechtsgeprägtheit des Eigentums. Aufdieser Grundlage lässt sich sodann dieprinzipielle Alternative zur Bewälti-gung der Problematik analysieren, zu-gleich ihre verdeckte Tiefendimensionerkennen und ein Lösungsansatz ent-wickeln, der die Sozialbindung desEigentums in einer rechtsstaatlich ein-wandfreien und konsistenten Weiserealisiert.

3. Eigentum als Rechtsinstitut

Eigentum lässt sich dem Staat nichtdadurch entgegenhalten, dass man esals vorstaatliches, vorrechtliches, d.h.

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Otto Depenheuer32

als natürliches, dem Menschen vonNatur aus zustehendes Freiheitsrechtversteht. In einem Staat, der auf demRecht gründet, ist Eigentum notwen-dig rechtsgeprägt. Die Eigentums-garantie kann ohne positivrechtlicheVermittlung keine rechtspraktischeWirksamkeit entfalten. Eigentum er-wächst im Rechtsstaat nicht aus einemautonomen Akt des Individuums undstellt daher kein unmittelbares Rechts-verhältnis von Personen zu Sachendar.9 Das folgt aus der Erkenntnis, dassjedes Eigentumsrecht nicht nur Frei-heiten für seinen Inhaber beinhaltet,sondern immer auch Unfreiheiten aufder Seite der von der Nutzung der Ge-genstände Ausgeschlossenen.10 Die-ses Ausschlussrecht aber kann nichtdurch einseitig unternommene fak-tische Handlungen der Bearbeitungund Aneignung11 der Sache rechtlichbegründet sein.

Wenn die Eigentümerstellung nichtgetragen wird von einem Akt derSelbstverpflichtung aller Bürger zurAchtung fremden Eigentums, müsstesie zugleich Grundlage und Legitima-tion physischer Gewaltanwendung desEigentümers sein: Die Pflicht zur Ach-tung fremden Eigentums beruhte aufreiner Zwangsandrohung. Nur wenndie Pflicht zur Achtung fremden Ei-gentums sowie zur Abstinenz vom Ge-brauch der Dinge anderer als selbstauferlegt angesehen werden kann undan die Stelle physischen Zwangs dieSelbstverpflichtung zur Respektierungfremder Güterrechte tritt, kann Eigen-tum als Rechtsinstitut begriffen wer-den.

Die individuelle Güterzuteilung mussdaher, um rechtliche Wirksamkeit ent-falten zu können, als Zuteilung eines

Gutes durch den gemeinschaftlichenWillen aller Rechtspersonen gedachtwerden, die sich mit dieser Zuteilungimplizit zur Respektierung, d.h. demEnthalt vom Gebrauch der Sache inder Zukunft, verpflichten. Um also dieanarchische Behauptung von Eigen-tumsrechten zu vermeiden, muss jederfaktische Besitz als ein von der Ge-meinschaft aller Rechtspersonen zuge-teiltes Recht gedacht werden können:Dadurch allein kann seine Normati-vität gesichert werden.

Bereits Immanuel Kant formulierte da-her zutreffend: „Etwas Äußeres als dasSeine zu haben, ist nur in einem recht-lichen Zustande, unter einer öffentlichgesetzgebenden Gewalt, d. i. im bür-gerlichen Zustande, möglich.“12 Alleindie Rechtsordnung kann bestimmen,was eigen und was fremd ist: „Es istkein Recht oder Eigenthum ohne Gesetz.“13 Da das Eigentum als Zu-ordnung eines Rechtsgutes an einenRechtsträger auf rechtliche Ausfor-mung angewiesen ist, stellt sich die rechtliche Gestaltungsbefugnis als notwendiges Korrelat der verfassungs-rechtlichen Eigentumsgarantie dar: ohne positivrechtliche Entscheidungkein Eigentum.14 Aus der Einsicht indiese Struktur des rechtsstaatlichen Eigentums überantwortet der Verfas-sungsgeber dem Gesetzgeber die Ver-pflichtung, „Inhalt und Schranken desEigentums“ zu bestimmen.

4. Eigentum – apriorisch pflichtgebunden?

In der Konsequenz dieses eigentums-spezifischen Rechtsverhältnisses gehtauch das Bundesverfassungsgericht imAnsatz zutreffend davon aus, dass es

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Der Eigentumsbegriff 33

im Verfassungsstaat kein dem Gesetz-geber vorgegebenes „natürliches“ Ei-gentum gibt.15 Daraus leitet das Ge-richt freilich – zu – weitgehende Kon-sequenzen ab: Der verfassungsrecht-liche Eigentumsbegriff sei dem Staatprinzipiell nicht vor-, sondern aufge-geben. Der Gesetzgeber verfüge übereine umfassende, nur durch die Insti-tutsgarantie des Eigentums begrenzte,Kompetenz zur Eigentumskonstitu-ierung,16 nicht indessen der Eigen-tümer über einen verfassungsrecht-lichen Status, dessen Integrität er demeigentumsordnenden Staat entgegen-halten kann. Vielmehr sei es der Ge-setzgeber, der das Eigentum und seineBefugnisse durch das einfache Rechtzuallererst konstituiere. „Welche Be-fugnisse einem Eigentümer in einembestimmten Zeitpunkt konkret zuste-hen, ergibt sich [sc. nicht aus der Ver-fassung, sondern] vielmehr aus demZusammenhang aller in diesem Zeit-punkt geltenden, die Eigentümer-stellung regelnden gesetzlichen Vor-schriften. Ergibt sich hierbei, dass derEigentümer eine bestimmte Befugnisnicht hat, so gehört diese nicht zu seinem Eigentumsrecht. […] Aus derGesamtheit der verfassungsmäßigenGesetze, die den Inhalt des Eigentumsbestimmen, ergeben sich somit Ge-genstand und Umfang des durch Art.14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes.“17 Aus dieser Per-spektive bildet Art. 14 lediglich eineTransformationsnorm für gesetzlicheInhaltsbestimmungen des Eigentums,ohne ihnen gegenüber jemals inhalt-lichen Selbststand gewinnen zu kön-nen.

Die These von der gesetzgeberischenInhaltsbestimmung des verfassungs-rechtlichen Eigentumsbegriffs führt die

grundgesetzliche Eigentumsdogmatikin elementare Widersprüchlichkeitenund Aporien, auf die noch einzugehensein wird. Vor allem verbirgt sich hin-ter dem kompetenzrechtlichen Pro-blem der Bestimmung des Eigentums-begriffs auch – durch dieses verdeckt –eine inhaltliche Kontroverse über dasWesen des Eigentums. Was sich vor-dergründig als reines Konstruktions-problem der juristischen Dogmatikdarzustellen scheint, spiegelt in Wahr-heit eine Fundamentalkontroverse um das Eigentum wider, die auch in der Themenstellung dieses Beitragsanklingt: Hinter der Theorie von derexklusiven Maßgeblichkeit gesetz-geberischer Inhaltsbestimmungen desEigentums steht der – bewusste oderunbewusste – Versuch, auf Verfas-sungsebene einen konkreten und apriori pflichtgebundenen Eigentums-begriff zu etablieren und damit dieGrundentscheidung des Verfassung-gebers für den abstrakten Eigentums-begriff im Sinne umfassender Herr-schafts- und Verfügungsbefugnis zuunterlaufen, d.h. aufzulösen in eineVielzahl konkreter Einzelbefugnisse.Hier wird in neuer terminologischerGewandung und dogmatischer Funk-tion ein klassischer Meinungsstreit umdas Wesen des Eigentums erkennbar,so wie er insbesondere in der deut-schen Rechtsentwicklung immer wie-der als Auseinandersetzung zwischengermanischem und römischem Eigen-tumsbegriff18 ausgetragen worden ist.

Den Kern dieses idealtypischen Gegen-satzes bildet die Frage, ob Eigentum alsabsolutes, dem Gesetzgeber voraus-liegendes abstraktes Recht gedachtwerden kann oder stets als pflichtge-bundenes gedacht werden muss unddeswegen gesetzgeberischer Inhalts-

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Otto Depenheuer34

bestimmung apriori bedarf. In An-sehung dieser Alternative standen undstehen sich liberales und kommunita-ristisches, abstraktes und konkretes,absolutes und relatives Eigentumsver-ständnis, römische und germanischeRechtsauffassung gegenüber.19

Während das BGB und – dieses rezi-pierend – das Grundgesetz in der Tra-dition des Liberalismus stehen, suchtdie Gegenauffassung durch Interpreta-tion und dogmatische Konstruktiondie Idee des apriorisch pflichtgebun-denen Eigentums auf dem Wege überdie „gesetzliche Inhaltsbestimmung“erneut einzuführen. Dieser Versuchkann auf eine lange Reihe ideenge-schichtlicher Vorläufer zurückblicken.Sie bilden eine Konstante im politi-schen Denken um das Eigentum. Sowaren römisches Rechtsdenken, libera-les Grundrechtsdenken und abstrakterEigentumsbegriff nie unumstritten:Freiheit galt in historischer Rückschaudurchaus nicht als Wert an sich. ImGegenteil: Romantiker aller Zeiten undjeglicher Provenienz witterten in pole-mischer Abgrenzung zur Aufklärungs-philosophie in Rationalismus, Indivi-dualismus und Liberalismus den Keimfür Auflösung, Zersetzung und Verfallvon Gemeinschaft und Staat. Der Ge-danke vom Gleichgewicht durch Wett-bewerb, Gerechtigkeit durch Markt,Staatlichkeit durch Vertrag und Wahr-heit durch Verfahren war und istihnen zutiefst suspekt. Die Auseinan-dersetzung zwischen liberalem undpflichtigem Freiheitsdenken hat geradeim deutschen Rechtskreis Tradition: Inihr spiegelt sich der Konflikt zwischenrömischer und germanischer Rechts-tradition, der das deutsche Rechtslebenseit der Rezeption und mit dem Sieges-zug des römischen Rechts immer wie-

der durchzieht. Deutschland steht da-mit ideengeschichtlich im Zentrumzweier fundamental einander ent-gegengesetzter Formen rechtlichenDenkens.

5. Die Problematik apriorischerPflichtgebundenheit

Als Gegenentwurf zum liberalen, rö-misch-rechtlich geprägten Eigentums-begriff geht der germanische nichtvom Individuum und seiner Freiheitaus, sondern von der gegebenen inte-gralen Einheit – dem Volk, Staat, allge-mein: der Gemeinschaft. Der Bürgerwird nicht als einzelnes, isoliertes In-dividuum gedacht, sondern als stetsunverfügbarer Teil einer Gemeinschaft.Von diesem Ausgangspunkt her sinddie Individuen und ihre Rechte not-wendig funktional bezogen auf die sietragende Gemeinschaft. Grundrechtegewähren hier nicht wie im liberalenModell Freiheit um ihrer selbst willen,sondern um der Funktionserfüllung innerhalb der Gemeinschaft. Freiheitkann auf der Basis dieser Prämissenicht mehr als grundsätzlich unbe-schränkte gedacht werden. Vielmehrsind dem Begriff der Freiheit konkreteBindungen immanent: Freiheit ist im-mer sozial gebundene, d.h. pflichtigeFreiheit im Dienste der jeweiligen Ge-meinschaft.

In dieser Form bildet der deutsche Ei-gentumsbegriff in zweifacher Hinsichtdas idealtypische Gegenbild zum rö-mischen: Ihm ist die Pflichtbindungdes Rechtsinhabers immanent. Zudemkann auf seiner Grundlage Eigentumnicht abstrakt, sondern nur konkretgedacht werden. Repräsentativ formu-liert Otto von Gierke die germanische

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Idee des Eigentums: „Das deutsche Ei-gentum trägt Schranken in seinemBegriff. Es ist daher nicht ein im Ge-gensatz zu anderen Rechten unum-schränktes (absolutes) Recht“.20 Vonhier aus entfaltete Gierke seine Kritikam Entwurf des BGB. Ausgehend vondem Satz „Kein Recht ohne Pflicht“glaubte er 1889 prophezeien zu kön-nen, dass die Idee eines pflichtlosen Ei-gentums keine Zukunft habe.21 Wennsich auch die Verfasser des BGB sei-nerzeit von Gierkes Kritik kaum be-eindrucken ließen22, so judizierte dasReichsgericht jedoch bereits 1916 imSinne des germanischen Eigentumsbe-griffs: „Das Eigentum berechtigt nichtnur, sondern verpflichtet ebenso denEigentümer“.23 Dieser Gedanke hatdann bis in die Formulierung hineinEingang in die Eigentumsgewährlei-stung zunächst der Weimarer Reichs-verfassung und sodann in Art. 14 Abs.2 GG gefunden.

Ihre moderne Fassung hat die Idee deskonkreten, pflichtgebundenen Eigen-tums, die aus der Annahme notwendi-ger Symmetrie von Recht und Pflichtfolgt, exemplarisch, richtungsweisendund wirkmächtig durch Werner Böh-mer gefunden.24 Nach ihm obliegt dieAusgestaltung der Eigentumsordnungdem jeweiligen parlamentarischen Ge-setzgeber, der dabei insbesondere an § 903 BGB nicht gebunden sei. UnterAusblendung der normhierarchischgestuften Rechtsordnung obliegt nachihm die Ausgestaltung des konkre-ten Eigentumsrechts allein und aus-schließlich dem einfachen – privatenund öffentlichen – Gesetzesrecht. Das„Wir“, d.h. die Rücksichtnahme aufdie Belange der Allgemeinheit, welchesdurch die Normen des öffentlichenRechts zu verwirklichen sei, gehöre

von vorneherein zum Eigentumsbe-griff. Das Grundgesetz kenne folglichkein an sich unbeschränktes Eigen-tum.25 Der Gesetzgeber habe zualler-erst die Schaffung eines Ausgleichs vonEigentümerinteressen und Allgemein-heit zur Aufgabe. Darin könne deshalbschon begrifflich kein Eigentumsein-griff liegen.26 Indem die Verfassungdem Eigentumsbegriff das „Wir“ hin-zugefügt habe, habe es sich für das „so-zial gebundene Privateigentum“ ent-schieden und eine Absage erteilt aneine Eigentumsordnung, in der das In-dividualinteresse den unbedingtenVorrang vor den Interessen der Ge-meinschaft habe.27

Der pflichtgebundene Eigentumsbe-griff hat seine Konsequenzen: Er istnicht abstrakt, sondern notwendigkonkret. Eigentum im Sinne des ger-manischen Sachenrechts geht nichtabstrakt der Wirklichkeit als Idee vor-aus, sondern wächst in seiner konkre-ten Fülle aus dem Leben selbst her-vor.28 Es deckt sich mit dem jeweilskonkreten Inhalt an Herrschafts-macht.29 Dieser Ansatz zeitigt zweitheoretische wie praktische Konse-quenzen: Zunächst kann jede Berech-tigung an einer Sache als Eigentumqualifiziert werden mit der Folge, dassvielfache Berechtigungen an einemGegenstand gleichzeitig denkbar wer-den. Es gibt dann kein einheitliches,ungeteiltes Eigentum im Sinne einesumfassenden Herrschafts- und Verfü-gungsrechts mehr. Jede obligatorischeund sonstige Berechtigung vermag sichvielmehr zu verdinglichen.30 In derFolge können Verfügungs- von Nut-zungsbefugnissen unterschieden undentsprechend gedacht, Ober- und Un-tereigentum konstruiert werden.31

Zum anderen muss jedes Eigentums-

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recht in seiner Funktion im jeweiligenLebensbereich analysiert werden, weilsich das Eigentumsrecht nur in der je-weils konkreten Funktion darstellt undrechtlich geschützt sein kann. Der Um-fang des Eigentumsrechts ergibt sichaus der sozialen „Funktion der jeweili-gen Sachkategorie“.32 Abgesehen da-von, dass „die Funktion der jeweiligenSachkategorie“ eher eine Ermächti-gung zur Inhaltserfüllung an den je-weiligen Interpreten darstellt33 denneinen diesen bindenden Rechtsbegriff,wird Eigentum dergestalt zu Funk-tionseigentum, das einer spezifischenLogik folgt: Nur insoweit die konkreteBerechtigung eine Funktion für denRechtsinhaber erfüllt, eignet ihr auchverfassungsrechtlich Eigentumsqua-lität.34

Die Ausgangsthese des germanischenEigentumsbegriffs – „kein Recht ohnePflicht“ – kann inhaltlich sinnvoller-weise nicht bestritten werden. In derForm eines undifferenzierten Gemein-platzes bildet er freilich im Kontext ei-ner rechtsstaatlichen Verfassungsord-nung einen freiheitsgefährdendenFremdkörper. Denn aus verfassungs-rechtlicher Perspektive kommt es ent-scheidend nicht allein auf die inhalt-liche Richtigkeit einer Idee an, sondernauf deren juristische Umsetzung imKontext einer gestuften Rechtsord-nung, die auf der Freiheit des Bürgersgründet. Die juristische Struktur desVerhältnisses von Recht und Pflichtunterscheidet den pflichtgebundenenEigentumsbegriff aber fundamentalvon liberalem Grundrechtsdenken:dem germanischen Rechtsdenken istdie asymmetrische Konstruktion vonverfassungsrechtlich verbürgter Frei-heit und gesetzlicher Bindung fremd. Die Idee des apriorisch pflichtgebun-

denen Eigentums begegnet in derFolge zahlreichen – logischen, ver-fassungsrechtlichen und rechtspoli-tischen – Bedenken. Im Ansatz un-zutreffend erweist sich bereits diePrämisse, dass nur der pflichtgebunde-ne Eigentumsbegriff eine sozial ange-messene Eigentumsordnung ermög-liche. Nicht die Möglichkeit oder Un-möglichkeit einer sozial gerechten Ei-gentumsordnung steht jedoch bei derFrage des verfassungsrechtlichen Ei-gentumsbegriffs zur Diskussion, son-dern die rechtliche Struktur, auf derenGrundlage diese realisiert werden kannund muss. Insoweit steht aber alleindie Alternative zur Diskussion, ob derdie Eigentumsordnung konkret aus-gestaltende und zu diesem Zwecke Eigentümerbefugnisse beschränkendeGesetzgeber sich vor den Freiheitsan-sprüchen der Eigentümer rechtfertigenmuss oder – da er nur apriorisch ange-legte Pflichten aktualisiert – nicht. Mitanderen Worten: die verfassungsrecht-lich gebotene Zielsetzung, eine sozial-gebundene, die „Wir-Dimension“ be-inhaltende Eigentumsordnung bereit-zustellen, streitet keineswegs zwingendfür einen pflichtigen Eigentumsbe-griff.35

Im Gegenteil: gerade die gesetzgeberi-sche Aufgabe, zwischen den Interessender Eigentümer und denen der Gesell-schaft abzuwägen und dadurch einesozial gerechte Eigentumsordnung zuschaffen, setzt einen abstrakten, ver-fassungsrechtlich pflichtfreien Eigen-tumsbegriff voraus. Denn die Erfüllungdieser notwendigen Aufgabe setzt denk-notwendig einen verfassungsrechtli-chen Eigentumsbegriff voraus, der alsEckpunkt der Abwägung von Eigen-tümerinteressen und Gemeinschafts-belangen nicht identisch mit dem sein

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kann, der als Ergebnis der Abwägungzum Inhalt der gesetzlichen Eigen-tumsbestimmung wird. Gesetzliche In-halts- und Schrankenbestimmungenkönnen daher weder logisch noch ver-fassungsrechtlich als von vornhereinmitgedacht gelten, sondern müssen alsvon außen kommende und nachträg-liche Beschränkungen eines dem Ge-setzgeber vorgegebenen, verfassungs-rechtlich geprägten Eigentumsbegriffsangesehen werden.36 Dies setzt einendem Gesetzgeber vorgegebenen Garan-tiegehalt des Eigentums voraus, derverfassungstheoretisch sogar gedachtwerden müsste, um Eigentum als Frei-heitsrecht real wirksam werden zu las-sen. Die sozial gerechte Eigentumsord-nung ergibt sich also erst aus demZusammenspiel von verfassungsrecht-licher Gewährleistung und gesetzlicherBeschränkung, ist mithin Ergebnis,nicht Ausgangspunkt gesetzgeberischerGestaltung.

In der Konsequenz eines offenen, al-lein durch den Gesetzgeber originärauszufüllenden Eigentumsbegriffs er-geben sich zudem eine Reihe rechts-staatlicher Kurzschlüsse. Die Verfas-sung geriete mangels eigenen Selbst-stands in funktionale und uneinhol-bare Abhängigkeit vom Gesetz. DerGesetzgeber stünde nicht unter, son-dern würde in Ansehung des Eigen-tums zum Herrn der Verfassung.37 DieGrundentscheidung des Art. 1 Abs. 3GG, die Bindung aller Staatsgewalt andie Grundrechte, wäre für Art. 14 GGaußer Kraft gesetzt. Nur eine weitereFacette dieser Verkehrung der grund-gesetzlichen Freiheitsgewährleistungist es, dass auf der Grundlage der The-se vom originär gesetzesgeprägten Ei-gentumsrecht Inhaltsbestimmung undSchrankenziehung nicht mehr ausein-

andergehalten werden können, bei Art.14 GG also Inhalts- und Schrankenbe-stimmung ununterscheidbar zusam-menfallen.38 Tatsächlich widersprichtes elementarer Logik, etwas beschrän-ken und ausgleichen zu wollen, was zu-allererst konstituiert werden muss.

Der grundrechtsdogmatische Ansatzdes apriorisch pflichtgebundenen Ei-gentums hat aber nicht nur konstruk-tive, sondern erhebliche rechtsprak-tische Konsequenzen. Wenn Eigentumim Sinne des Art. 14 GG nur jeneRechtspositionen beinhaltet, die daseinfache Recht ausbildet, dann gibt eskeine prinzipielle Vermutung für dieFreiheit des Eigentümers. Das rechts-staatliche Verteilungsprinzip, nachdem die Freiheit des Bürgers prinzipiellunbegrenzt, die Eingriffe des Staateshingegen prinzipiell begrenzt undrechtfertigungsbedürftig sind, wäre fürdie Eigentumsgarantie außer Kraft ge-setzt; es liefe buchstäblich ins Lee-re. Die Verfassung wäre nicht mehrSchutzschild bürgerlicher Freiheit, son-dern hätte verfassungsrechtliche Beur-kundungs- und Rechtfertigungsfunk-tion für den eigentumsregelndenGesetzgeber. Die Freiheit des Eigentü-mers basierte nicht länger auf der Ver-fassungsgarantie, sondern nur auf derEbene des einfachen Gesetzes. Die Ver-fassungsgarantie böte gegenüber ge-setzlichen Ver- und Geboten keineSchranke mehr. Mehr noch: je wenigerEigentumsbefugnisse das einfacheGesetz dem Bürger beließe, destoschwächer würde der Schutz für dasverbleibende Resteigentum. Ein rechts-staatliches Paradoxon und Skandalon:je mehr Eingriffe in das Eigentum be-reits vorliegen, desto weitergehendeEingriffe würden legitimiert – eine frei-heitserdrosselnde Dogmatik.

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Vor allem aber wandelt sich auf derGrundlage des germanischen Eigen-tumsbegriffs die Freiheit des Bürgers unter der Hand in ihr Gegenteil: diePflicht. Nach der Auffassung vom aprio-risch gebundenen Eigentum gibt esnämlich überhaupt keine Freiheit jen-seits der Pflicht. Stattdessen gibt es nurnoch die Pflicht, und in der Pflicht-erfüllung wird die Freiheit des Eigen-tümers wirklich. In Anlehnung an eineberühmte Formulierung Hegels gälte:Die Pflicht ist die Wirklichkeit der Frei-heit. Gierke hat diese freiheitsgefähr-dende Konsequenz durchaus gesehenund sie gar positiv eingefordert: „DieRechtsordnung [darf] nicht davorzurückscheuen, nicht bloß den Miss-brauch des Eigenthums zu verbieten,sondern auch die Pflicht des rechten Ge-brauchs in dem social gebotenen Um-fange zur Rechtspflicht zu stempeln“39.Dem Bürger bleibt danach allein dieFreiheit, seine „recht verstandene“ Frei-heit, d.h. seine Pflichten, zu erfüllen.

Das Fazit der Analyse des aprioripflichtgebundenen Eigentumsbegriffsfällt ernüchternd aus. Aus der richtigenErkenntnis heraus, dass Rechte undPflichten einander korrelieren müssen,resultiert ein verfassungsrechtlicherFreiheitsbegriff, der inhaltlich das Ge-genteil des liberalen ist: pflichtige Frei-heit ist „Unfreiheit“. Die Ursache fürdiese Verkehrung der liberalen Frei-heitsidee liegt allein in einer Strukturdes rechtlichen Denkens, die Freiheitund Bindung nicht in ihrem asymme-trischen Stufenverhältnis, sondern nursymmetrisch zu denken weiß. Dadurchwird die gesetzliche Statuierung vonPflichten rechtskonstruktiv befreit vonder Rechtfertigung vor dem Grund-recht, da dieses nicht mehr als „ansich“ Unbeschränktes gedacht werden

kann. Die Kompetenz zur Inhalts- und Schrankenbestimmung verwan-delt sich aus der Befugnis, individuel-lem Eigentumsgebrauch Schranken zusetzen, in die unumschränkte Macht,positiv zu bestimmen, worin die Frei-heit des Eigentümers bestehen soll. Andie Stelle punktueller Eigentumsbe-schränkungen zur Missbrauchsverhü-tung tritt die positive Bestimmung desrechten Eigentumsgebrauchs. In derFolge kann zwischen Freiheit undPflicht inhaltlich nicht mehr unter-schieden werden: es gibt nur noch diePflicht zur Freiheitsausübung und dasist die Freiheit zur Pflicht.

Diese Konsequenzen der These von der gesetzgeberischen Inhaltsbestim-mungskompetenz des verfassungs-rechtlichen Eigentumsbegriffs gebenhinreichende Veranlassung, die Thesevon der originären und uneinge-schränkten Inhaltsbestimmungskom-petenz des Gesetzgebers kritisch zuüberdenken und ggf. zu präzisieren.Tatsächlich wird die nähere Analysezeigen, dass das Bundesverfassungsge-richt aus einer zutreffenden Prämissezu weitgehende Folgerungen zieht.Indem es nämlich die notwendigeRechtsprägung des Eigentums mit Ge-setzesprägung identifiziert und kurz-schließt, verliert es die Verfassung, d.h. den fundamentalen Baustein dergrundgesetzlichen Eigentumsordnung,aus den Augen.

6. Abstrakter Eigentumsbegriffund rechtliche Bindung

Die immanenten Widersprüche, diegegen Idee und Praxis des pflichtge-bundenen symmetrischen Eigentums-begriffs sprechen, lassen den abstrak-

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ten Eigentumsbegriff also zwar alspraktische Notwendigkeit erscheinen,vermögen ihn aber noch nicht alsauch theoretisch zutreffend und posi-tivrechtlich verbindlich zu erweisen.Insoweit kommt es vor allem daraufan, ihn mit der Erkenntnis notwen-diger und unverzichtbarer Rechtsge-prägtheit des Eigentums zu vermitteln.Tatsächlich steht oder fällt der abs-trakte Eigentumsbegriff mit der Bewäl-tigung dieser Aufgabe.

Auf den ersten Blick erscheint der ab-strakte Eigentumsbegriff allerdings mitder Erkenntnis unverzichtbarer Norm-geprägtheit des Eigentums unverein-bar. Denn die rechtsphilosophisch wierechtsdogmatisch zwingende Notwen-digkeit rechtlicher Vermittlung des Ei-gentums unterwirft die rechtsprak-tische Ausgestaltung des Eigentumsden wandelbaren gesellschaftlichenAnschauungen, stellt Eigentum in historische Kontingenz. Rechtsge-schichte und Rechtsvergleichung zei-gen denn auch unterschiedliche Antworten auf die Frage nach derrechtlichen Ausgestaltung des Verhält-nisses „Mensch – Sache – Rechtsge-meinschaft“. Die in Geschichte undGegenwart sichtbaren Lösungen spie-geln in ihrer Bandbreite die sich wan-delnden Ideen, Einstellungen undWünsche wider, die das Eigentum inder sozialen Ordnung bestimmt habenoder künftig bestimmen sollen. Auf ei-ner prinzipiellen Ebene obliegt es derRechtsordnung originär, ob, wie undin welcher Kombination sie die einzel-nen Grundelemente des Eigentums40

gewährleistet. Einen apriorischen,natürlichen, „übergesetzlichen“ oderabstrakten Rechtsbegriff des Eigentumsscheint es demnach nicht geben zukönnen.41

Der Widerspruch ist indes nur einscheinbarer. Er beruht auf der Gleich-setzung von natürlichem und abstrak-tem Eigentumsbegriff. Er löst sich da-her sofort auf, wenn der abstrakteEigentumsbegriff durch eine Norm despositiven Rechts dem Gesetzgeber ver-bindlich vorgegeben ist. Und an die-sem Punkt gilt es eine wichtige Dif-ferenzierung in den Blick zu neh-men: Die Erkenntnis unumgänglicherRechtsgeprägtheit des Eigentums istnämlich nicht gleichzusetzen bzw. zureduzieren auf notwendige „Gesetzes-geprägtheit“. Normprägung vollziehtsich nicht notwendig und ausschließ-lich in einem Akt der einfachen par-lamentarischen Gesetzgebung.42 ImKontext einer gestuften Rechtsord-nung wird das Eigentum von Verfas-sungsgeber und Gesetzgeber zur gesam-ten Hand geprägt.

Tatsächlich beinhaltet Art. 14 Abs. 1auf Verfassungsebene eine erste grund-legende, normativ verpflichtende, wei-teren Konkretisierungen zugängliche,ermöglichende und bedingende Kon-stituierung des rechtlich anzuerken-nenden Eigentums. Aus der Vielzahltheoretisch denkbarer Eigentumskon-kretisierungen hat der Verfassungsgebereinen bestimmten Typus von Eigen-tum verfassungskräftig zum Leitbildgesetzlicher Konkretisierungen erho-ben. Die Verfassung musste Eigentumnicht neu erfinden, sondern fand es alsausgeformtes Rechtsinstitut in seinenprägenden Strukturen im bürgerlichenRecht des Jahres 1949 vor und konntedaran anknüpfen. In diesem Sinne hatdas Bundesverfassungsgericht zutref-fend herausgestellt, dass das Grundge-setz in Art. 14 „das Rechtsinstitut desEigentums, so wie es das bürgerlicheRecht und die gesellschaftlichen An-

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schauungen geformt haben, schützen“wollte.43 Mit dem Vorrang der verfas-sungsrechtlichen Gewährleistung desEigentums ist Vorsorge dagegen getrof-fen, dass die Verpflichtung des Gesetz-gebers, den Inhalt des Eigentums zu be-stimmen, zu einem normativen Leer-laufen der Verfassungsgarantie führt.

Die Verfassung wird nicht zu einerschlichten Transformationsnorm, diejede einfachrechtliche Bestimmungdes Eigentums unvermittelt auf dieEbene der Verfassung hebt, ohne aberdort dem Gesetzgeber gegenüberSelbststand gewinnen zu können.

Der verfassungsrechtliche Strukturty-pus des Eigentums ist daher durch dasbürgerliche Sach- und Grundeigentumgeprägt.44 Dieser ist gekennzeichnetdurch privatnützig zugewiesene um-fassende Herrschafts- und Verfügungs-befugnis des Eigentümers, die § 903BGB – die magna charta des Eigen-tumsgrundrechts – klassisch dahinge-hend umschreibt, dass „der Eigentü-mer einer Sache (…) mit der Sachenach Belieben verfahren und anderevon jeder Einwirkung ausschließen“kann.45 Für die Rechtsordnung ist dasEigentum des Bürgers also eine bloßeNegation, nur dadurch definierbar,dass nicht gefragt werden darf, wie derjeweilige Eigentümer sein Herrschafts-recht ausübt.46 Art. 14 Abs. 1 stellt sichdamit in die Traditionslinie des ein-heitlichen, abstrakten römisch-recht-lich geprägten Eigentums und be-inhaltet eine prinzipielle Absage an al-ternative Eigentumskonstruktionen.47

Das Leitbild des bürgerlichen Eigen-tums bestimmen und konturieren sowohl Inhalt als auch Befugnisse des verfassungsrechtlich garantiertenStrukturtypus „Eigentum“.48

Nach Maßgabe der historischen An-knüpfung gewinnt das Eigentum imverfassungsrechtlichen Sinn seine denGesetzgeber bindenden Prägestruktu-ren. An ihnen entscheidet sich, ob diegesetzliche Zuweisung von vermögens-werten Rechtspositionen Eigentum imSinne des Art. 14 ist oder nicht. Indemdas Grundgesetz „Eigentum“ als Struk-turtypus verbindlich vorgibt, steckt esauch den Rahmen ab für sachlicheAusweitungen des eigentumsrechtli-chen Garantiegehaltes auf neuartigeRechtspositionen. Zu Recht stellt dasBundesverfassungsgericht daher inständiger Rechtsprechung bei der ei-gentumsrechtlichen Qualifikations-frage darauf ab, ob „ein vermögens-wertes Recht dem Berechtigten ebensoausschließlich wie Eigentum an einerSache zur privaten Nutzung und zur ei-genen Verfügung zugeordnet ist.“49

Neuartige, gesetzlich geprägte vermö-genswerte Rechtspositionen müssenmit diesem Leitbild des Sacheigen-tums „strukturkompatibel“ sein, umals Eigentum im Sinne von Art. 14 ge-schützt werden zu können.

Zutreffend hält das Bundesverfas-sungsgericht daher in ständiger Recht-sprechung auch daran fest, dass derBegriff des von der Verfassung gewähr-leisteten Eigentums aus der Verfassungselbst gewonnen werden muss.50 Mitanderen Worten: Es gibt einen verfas-sungsrechtlichen Eigentumsbegriff „ansich“, der dem Gesetzgeber Leitbildund Maßstab ist.51 Dem steht nichtentgegen, dass weder das Grundgesetznoch das Bundesverfassungsgerichtden verfassungsrechtlichen Eigentums-begriff abschließend definieren. Tat-sächlich ist die Eigentumsgarantie offen für Ausweitungen und weiter-gehende Prägungen des Schutzbe-

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reiches. Vorgegeben ist dem inhaltsbe-stimmenden Gesetzgeber indes einebestimmte Qualität der einfachrecht-lich zugewiesenen Rechtsposition: Die-se muss dem Eigentümer „wie Sachei-gentum“ als umfassendes Herrschafts-recht zugeordnet sein. Jeder Eigen-tümer kann sich hinsichtlich dieses In-halts seiner Rechtsposition unmittel-bar auf die Verfassung berufen.

Die freiheitssichernde rechtsstaatlicheStruktur der verfassungsrechtlichen Ei-gentumsgarantie verteilt mithin kate-gorisch Begründungs- und Rechtfer-tigungslasten bei der Beschränkungsubjektiv-rechtlicher Eigentumsposi-tionen und der Ausgestaltung einer so-zial ausgewogenen Eigentumsordnung.In der gestuften Rechtsordnung desGrundgesetzes wird das Eigentum imZusammenwirken von dirigierenderVerfassungsgarantie und ausformen-der Gesetzgebung geprägt. Die Verfas-sungsgewährleistung bestimmt dieStruktur jedes konkreten Eigentums-rechts im Sinne eines subjektiven undumfassenden Herrschafts- und Verfü-gungsrechts an der Sache. Der Gesetz-geber, der Eigentum inhaltlich be-stimmt, kann auf einer logisch erstenStufe eine Rechtsposition nur entwederim Sinne eines absoluten Herrschaftsund Verfügungsrechts zuordnen oderaber gar nicht. Eigentum in diesemSinne ist also grundsätzlich ein verfas-sungsrechtlich freies, unbeschränktesund absolutes Recht; denn nur unterdieser Voraussetzung ist es dem Be-rechtigten ebenso ausschließlich „wiedas Eigentum an einer Sache“52 zuge-ordnet. Erst auf einer logisch zweitenStufe kann der einfache Gesetzge-ber – gegebenenfalls uno actu mit der Rechtszuweisung – gemeinschafts-dienliche Beschränkungen des Eigen-

tums statuieren, die gegenüber demEigentümer rechtfertigungsbedürftigsind. So umfasst z.B. die rechtliche Zu-ordnung von Bodeneigentum grund-sätzlich das Recht auf Baufreiheit undWassernutzung, Anliegerrechte oderNachbarrechte,53 die sich auch ohneeinfachgesetzliche Vermittlung unmit-telbar aus Art. 14 Abs. 1 herleiten.

Aus der dogmatischen Konstruktiondes Eigentumsgrundrechts nach demrechtsstaatlichen Verteilungsprinzipfolgt weiterhin, dass der Gesetzgeberdas Eigentum im Interesse einer ausge-wogenen und sozialverträglichen Ei-gentumsordnung zwar einschränkenkann und ggf. muss. Insoweit aber be-stehen unverrückbar staatliche Recht-fertigungslasten in Bezug auf das alsdem Staat vorgegeben zu betrachtendeund verfassungsrechtlich als unbelastetzu denkende subjektive Eigentums-recht des Bürgers. Nur legitime undüberwiegende Gründe des Gemein-wohls vermögen den Eigentumsschutzpartiell und in den Grenzen der Ver-hältnismäßigkeit zurückzudrängen.

Darüber hinaus vermittelt das dem Ge-setzgeber vorausliegende Eigentums-recht des Bürgers diesem Ansprücheauf erneute Freiheitserweiterungenhinsichtlich seines Eigentums, wenndie Legitimation für rechtmäßige Ein-griffe in das Eigentum später wegfällt.Weil das Eigentum im verfassungs-rechtlichen Sinne als Abwehrrechtdem Eigentümer einen Anspruch auffreies, unbeschränktes Eigentum ver-mittelt, bleiben Eigentumsschrankenauch in der Zeit rechtfertigungsbedürf-tig. Der gesetzliche Status quo von Ei-gentümerbefugnissen ist daher nichtidentisch mit dem Umfang der verfas-sungsrechtlichen Gewährleistungsga-

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rantie, sondern markiert nur die Abgrenzung der Freiheitssphären zu einem bestimmten Zeitpunkt, die beieinem Wandel der Verhältnisse sowohlauf die Statuierung weitergehender wieauf die Aufhebung bestehender Be-schränkungen hinwirken können. Sokann das grundsätzliche Recht des Eigentümers auf Baufreiheit und Was-sernutzung aus Gründen überwie-gender Gemeinwohlbelange in denGrenzen der Verhältnismäßigkeit zwareingeschränkt werden; die konkreteRechtsposition des Eigentümers be-stimmt sich dann nach dem Gesetz.54

Die Gesetzeslage steht aber von Verfas-sungs wegen gleichwohl latent unterRechtfertigungszwang auch in derZeitdimension: Wegen des prinzipiel-len Anspruchs auf umfassende Herr-schafts- und Verfügungsbefugnis hatder Eigentümer bei Wegfall der die Ei-gentumsbeschränkung rechtfertigen-den Umstände einen grundrechtlichenAnspruch auf Wiederherstellung unbe-lasteten Eigentums. Anerkannt ist die-se Konsequenz der freiheitsschützen-den Wirkung der Eigentumsgarantiehinsichtlich Rückübereignungsansprü-chen nach Wegfall der Enteignungs-voraussetzungen.55

Die subjektive Rechtsstellung wirkt indes weitergehend auch bei gesetz-lichen Inhalts- und Schrankenbe-stimmungen hintergründig auf schran-

kenfreies Eigentum. Die Eigentums-garantie zielt nach Fortfall der eineEigentumsbeschränkung legitimieren-den Umstände auf Aufhebung der Beschränkung hin, d.h. auf Wiederher-stellung der grundsätzlich umfassen-den Herrschaftsbefugnis des Einzelnen.

Erst die konsequent rechtsstaatlicheKonstruktion der Eigentumsgarantielässt auch die Summeneffekte von im-mer mehr staatlichen Eingriffen durchimmer weitere Detailregelungen er-kennbar und beherrschbar werden: Dadas Gesetz die verfassungsrechtlicheStellung des Eigentümers nur in Anse-hung der je gegebenen Umstände,nicht aber abschließend und für alleZeit umschreibt, ist nicht der gesetz-liche Status quo Maßstab für weite-re eigentumsbeschränkende Regelun-gen, sondern die verfassungsrechtlichgrundsätzlich unbeschränkte Herr-schaftsposition über das zugewiesenevermögenswerte Recht.

Jede Regelung ist für sich genommenunerheblich. In der Summe aber hebendiese Regelungen die Privatnützigkeitdes Privateigentums auf und werden so in ihrer freiheitserdrosselnden Wir-kung transparent. Sie müssen sich inder Summe gegenüber dem Freiheits-recht rechtfertigen und nicht nur imDetail der konkreten, für sich genom-men eventuell marginalen Einzelre-gelung.56

Anmerkungen1 Walter Leisner, Eigentum, Schriften zu

Eigentumsgrundrecht und Wirtschafts-verfassung 1970 – 1996, hg. von JosefIsensee, 1996; ders., Eigentum, in: JosefIsensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuchdes Staatsrechts, Bd.VI, 1989, §149.

2 Überblick: Manfred Brocker, Arbeit und

Eigentum, 1992.3 BVerfGE 58, 300 (330ff.); vgl. dazu

m.w.N. Otto Depenheuer, Art.14, in:Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zumGrundgesetz, 4. Aufl., 1999, Rdnr. 86ff.

4 Zur liberalen Traditionslinie des Eigen-tumsgrundrechts: Ulrich Scheuner, Die

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Garantie des Eigentums in der Geschich-te der Grund- und Freiheitsrechte, in:ders., Staatstheorie und Staatsrecht, 1978,S.780ff.; Helmut Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 2. Aufl., 1976, S.60ff.; C.B. Macpherson, Die politischeTheorie des Besitzindividualismus, 1967;Martin Kriele, Einführung in die Staats-lehre, 5.Aufl., 1994, S.177ff.

5 BVerfGE 24, 367, 400; 31, 229, 239; Leisner, in: (HStR (N 1), Rdnr.5.

6 BVerfGE 72, 175, 195; 83, 201, 208.7 Nachweise Depenheuer (N 3) Rdnr.204ff.8 BVerfGE 72, 175, 195; 83, 201, 208.9 Vgl. Brocker (N 2), S.388ff.; Depenheuer

(N 3), Rdnr.29. Gegenposition der auf derLockeschen Arbeitstheorie beruhendenAuffassung, wonach der Bürger durch die Bearbeitung von Sachen und BodenEigentum an denselben erwirbt. Darstel-lung und Kritik: Brocker (N 2), S.354ff.

10 Zum Folgenden: Immanuel Kant, Meta-physische Anfangsgründe der Rechtsleh-re, § 8, 16ff.; vgl. dazu auch: Ralf Dreier,Eigentum in rechtsphilosophischer Sicht,ARSP 72 (1987), 159ff.; Wolfgang Ker-sting, Transzendentalphilosophische undnaturrechtliche Eigentumsbegründung,ARSP 67 (1981), 157ff.; Brocker, (N 2) S.392ff.

11 So aber sowohl die Okkupations- wie dieArbeitstheorie des Eigentums, vgl. Brocker(N 2), S.30ff., 125ff.

12 Kant, Metaphysische Anfangsgründe derRechtslehre, §8f.

13 Kant, Akademieausgabe, Bd. XIX, 1934,Ziff. 7665.

14 Vgl. Werner Böhmer, Eigentum aus ver-fassungsrechtlicher Sicht, in: Jürgen Baur(Hg.), Das Eigentum, 1989, S.62: „Der Eigentumsbegriff ist ohne rechtliche ‘In-frastruktur‘ eine leere und nichtssagendeWorthülse“; ferner Jochen Rozek, Die Un-terscheidung von Eigentumsbindung undEnteignung, 1998, S.65ff.

15 Vgl. BVerfGE 2, 237, 253f.; 15, 126, 144.16 BVerfGE 58, 300ff.; Böhmer (N 14),

S.63ff.; Rainer Wahl, Abschied von den„Ansprüchen aus Art.14 GG“, in: FS-Konrad Redeker, 1993, S.245, 255ff. – ZurInstitutsgarantie des Eigentums vgl. De-penheuer (N 3), Rdnr. 91f.

17 BVerfGE 58, 300, 336.18 Die Gegenüberstellung vom römischen

und germanischen Eigentumsbegriff folgteiner im letzten Jahrhundert geläufigenund tradierten Terminologie, von der ab-zuweichen keine Veranlassung besteht,da sie idealtypische Eigentumskonzep-tionen in prägnanter Kürze auf den prä-zisen Begriff bringt.

19 Vgl. zum Folgenden: Depenheuer (N 3),Rdnr. 37ff.

20 Otto von Gierke, Deutsches PrivatrechtII: Sachenrecht, 1905, S.358.

21 Otto von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889), abgedruckt in: E. Wolf, Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 1949,S.479ff.

22 Vgl. zu Einzelheiten: Karl Kroeschell, Dienationalsozialistische Eigentumslehre, in:Michael Stolleis/Dieter Simon (Hrsg.),Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus,1989, S.43, 60f.

23 RGZ 89, 120, 122.24 Böhmer (N 14), S.39ff., 61ff.25 Böhmer (N 14), S.69.26 Böhme (N 14), S.77.27 Böhmer (N 14), S.76f.28 Zum konkret-allgemeinen Rechtsbegriff

vgl. Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Aus-legung, 1973, S.302ff. m.w.N.

29 Vgl. Karl Kroeschell, Die nationalsoziali-stische Eigentumslehre, in: Michael Stoll-eis/Dieter Simon (Hrsg.), Rechtsgeschich-te im Nationalsozialismus, 1989, S.58 m.w.N.

30 Grundsätzlich dazu: Gerhard Dulckeit,Die Verdinglichung obligatorischer Rech-te, 1951; vgl. auch: Dieter Strauch, Dasgeteilte Eigentum in Geschichte und Ge-genwart, in: ders., Kleine rechtsge-schichtliche Schriften, 1998, S.102ff.

31 Karl Kroeschell, Die nationalsozialistischeEigentumslehre, in: Michael Stolleis/Dieter Simon (Hrsg.), Rechtsgeschichteim Nationalsozialismus, 1989, S.43ff.;Hans Hattenhauer, Über vereintes undentzweites Eigentum, in: Veröffentl. derJoachim-Jungius-Gesellschaft der Wis-senschaften, Nr. 58, 1989, S.83ff. Erstespraktisches Anschauungsmaterial bietetdie Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts zum „Eigentum des Mie-ters“: Dieser soll nicht auf die obligatori-sche Vermittlung durch den Vermieterangewiesen sein, weil auch „der Fortbe-stand eines einmal entstandenen unddurch Art. 14 GG als Eigentum erfasstenRechts, also der Bestandsschutz, […] Ge-genstand des Grundrechtsschutzes“ ist.So BVerfGE 89, 1, 7; vgl. dazu Depen-heuer (N 4), Rdnr.157ff., ders., Der Mie-ter als Eigentümer?, NJW 1993, S.2561ff.

32 Peter Badura, Eigentum im Verfassungs-recht der Gegenwart, Verhandlungen des49. DJT, Bd. 2, 1972, Teil T, S.26ff.

33 Der einzelne Grundrechtsträger bestimmtnicht mehr den Gebrauch des Grund-rechts, sondern seine Freiheit ist aufFunktionserfüllung im grundrechtlichen

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Otto Depenheuer44

Sachbereich reduziert. Das Grundrechtmutiert aus der Garantie individuellenFreiheitsrechts zum Oktroy fremdbe-stimmter Pflichten.

34 Einen Ansatz in diese Richtung bietet dieverfassungsgerichtliche Rechtsprechungzum Eigentumsschutz sozialversiche-rungsrechtlicher Positionen: Eigentums-rechtlich geschützt sind diese nur, wennsie u. a. der Existenzsicherung des Ver-sicherten dienen, vgl. Otto Depenheuer,Wie sicher ist verfassungsrechtlich dieRente?, Vom liberalen zum solidari-schen Eigentumsbegriff, AöR 120 (1995),S.417ff.

35 A.A. BVerfGE 52, 1, 49; Böhmer (N 14),S.39ff., 61ff.

36 A.A. Joachim Wieland, Art. 14, in: HorstDreier, Grundgesetz, Kommentar I, 1996,Art. 14 Rdnr. 37.

37 Grundlegend: Walter Leisner, Von derVerfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964.

38 Rozek (N 14), S.57ff.39 Otto von Gierke, Die soziale Aufgabe

des Privatrechts, abgedruckt in: E. Wolf,Quellenbuch zur Geschichte der deut-schen Rechtswissenschaft, S.491.

40 Vgl. zu den einzelnen theoretisch ver-selbstständigbaren Berechtigungen ausdem Eigentum: Brocker (N 2), S.395ff.

41 Insoweit zutreffend Böhmer (N 14), S.62.42 Zur Normprägung als Kategorie grund-

sätzlich: Peter Lerche, Grundrechtsschran-ken, in: HStR (N 1) V, §121 Rdnr. 37ff.

43 Vgl. BVerfGE 1, 264, 278; 65, 196, 209.44 Vgl. BVerfGE 78, 58, 71 m.w.N.; 83, 201,

208f.; 91, 207, 220; 95, 267, 300; Depen-heuer (N 3), Rdnr.61ff.; Wieland (N 37),Rdnr. 31ff.

45 Grundsätzlich a.A. Böhmer (N 14), S.63;vorsichtiger: Wieland (N 37) Rdnr. 21ff.

46 Hattenhauer (N 32), S.85.47 Theoretisch kann Eigentum zwar in

vielfachen Einzelberechtigungen ver-selbständigt und dem Bürger zugeordnetwerden, z.B. Zuweisung nur einzelner Berechtigungen, Kombination mehrererBerechtigungen an einer Sache etc., vgl.Brocker (N 2), S.395ff. Das Grundgesetzerteilt einem derart ausdifferenzierten Eigentumsbegriff eine Absage. Verfas-sungsrechtlich ist Eigentum „der um-fassende Begriff für die vielfältig denk-baren sachrechtlichen Beziehungen“(BVerfGE 24, 367, 389f.).

48 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Der öffentlich-rechtliche Schutz des Grund-eigentums in der neueren Rechtsent-wicklung, DVBl. 1987, 216, 217.

49 BVerfGE 78, 58, 71 m.w.N.; 83, 201,208f.; 91, 207, 220; 95, 267, 300.

50 BVerfGE 24, 367, 389; 89, 1, 6.51 BVerfGE 42, 263, 292f. Rozek (14), S.42ff.;

a.A. Wieland (N 37) Rdnr. 63.52 BVerfGE 78, 58, 71 m.w.N.; 83, 201, 208f.53 A.A. Dirk Ehlers, Eigentumsschutz, So-

zialbindung und Enteignung bei derNutzung von Boden und Umwelt, in:VVDStRL 51 (1992), 214.

54 In diesem Sinne auch BVerfGE 58, 300,336.

55 BVerfGE 38, 175, 180f.56 In diesem Sinne rückt auch das Bundes-

verfassungsgericht den Gedanken der„Gesamtbelastung“ zutreffend in dasZentrum seiner Rechtsprechung zu den Grenzen steuerlichen Zugriffs auf das Vermögen des Bürgers, vgl. BVerfGE93, 121, 136.

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1. Einleitung

Über Umweltschutz als Ausprägungvon Sozialgebundenheit zu spre-chen bedeutet, den Umweltschutz alsSchranke der Eigentumsgarantie zu be-greifen, d.h. das Spannungsverhältniszwischen staatlich induziertem Um-weltschutz und grundrechtlich ge-schützten Interessen privater Umwelt-belaster zu thematisieren. Dies istfreilich keineswegs der einzige Blick-winkel, unter dem das Verhältnis vonUmweltschutz und Eigentumsgarantiethematisiert werden kann. Auch dieKonstellationen, in denen das Eigen-tum vor Umweltgefahren, etwa durchLärmimmissionen, geschützt und dieSchutzpflichtdimension von Art. 14Abs. 1 GG aktiviert werden muss, ge-hören hierher oder jene Fälle, in denendas Privateigentum in den Dienst desUmweltschutzes gestellt wird, wie esetwa bei den sog. Sperrgrundstückenim Fachplanungsrecht der Fall ist.1

Gleichwohl ist der hier thematisierte – traditionelle – Zugang nach wie vorder mit Abstand wichtigste, sind dieFälle, in denen es um die Beschrän-kung des Eigentums im Interesse desUmweltschutzes geht, doch Legion.Die Verpflichtungen des BImSchG, des

WHG und des KrW-/AbfG zur Bestel-lung von Betriebsbeauftragten (§§ 53ff. BImSchG, §§ 21a ff. WHG, §§ 54 f.KrW-/AbfG) werden, um nur einigekursorische Beispiele zu nennen, eben-so als Ausdruck der Sozialpflichtigkeitdes (unternehmerischen) Eigentumsbeschrieben2 wie

● die Unterschutzstellung bestimmterGrundstücke im Interesse des Natur-und Landschaftsschutzes3,

● die naturschutzrechtlichen Betre-tungsrechte (§ 27 BNatSchG)4,

● die Haftung des Zustandsstörers/Grundstückseigentümers für Alt-lasten5 oder

● die Ablösung der erlaubnis- oder bewilligungspflichtigen Gewässer-nutzung vom Grundeigentum (§ 1aAbs. 3 WHG).6

Schon diese Beispiele zeigen, dass eshier um ganz heterogene Fälle geht, indenen zwar überall die Formel von derSozialpflichtigkeit bzw. Sozialgebun-denheit des Eigentums auftaucht. Umaber wirklich zu verstehen, was sie be-deutet, um ihre Leistungsfähigkeit undDirektionskraft einschätzen zu kön-nen, bedarf es ihrer Einordnung in dieeigentumsspezifische Grundrechtsdog-matik.

Umweltschutz als Ausprägungvon Sozialgebundenheit

Peter M. Huber

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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Peter M. Huber46

Ausgangspunkt für die folgendenÜberlegungen ist deshalb Art. 14 Abs.2 GG. „Eigentum verpflichtet“, heißtes dort, „sein Gebrauch soll zugleichdem Wohle der Allgemeinheit die-nen“. Worin das Wohl der Allgemein-heit besteht, sagt die Verfassung nicht.Es handelt sich insoweit um einen un-bestimmten Rechtsbegriff, der für ganzunterschiedliche Konkretisierungen of-fen ist, auch für solche im Dienste desUmweltschutzes. Zur Konkretisierungberufen ist in erster Linie der Gesetz-geber. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GGhat er Inhalt und Schranken des Ei-gentums zu bestimmen.

2. Der eigentumsrechtlicheSchutz von Umwelt-belastungen

2.1 Das Eigentum als gesetzesab-hängiges Individualgrundrecht

Die Rechtsstellungsgarantie und ihre Ausgestaltungsbedürftigkeitdurch den Gesetzgeber

Das Grundgesetz definiert nicht, wasArt. 14 unter „Eigentum“ versteht undwelchen konkreten Interessen er seinen Schutz angedeihen lässt. An-ders als die „klassischen“ Freiheits-rechte,

● die allgemeine Handlungsfreiheit(Art. 2 Abs. 1 GG),

● die Religions- (Art. 4 Abs. 1 GG),

● die Meinungs- (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG),

● die Vereinigungs- (Art. 9 Abs. 1 GG) oder

● die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG),

ist das Schutzgut der Eigentumsgaran-tie nicht durch eine „natürliche“ Frei-heitssphäre gekennzeichnet, die demGesetzgeber schon als maßstabbilden-de Größe vorgegeben wäre.7 Wie sichdem in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ent-haltenen Auftrag an den Gesetzgeberentnehmen lässt, nicht nur die Schran-ken, sondern auch den Inhalt des Eigentums zu bestimmen, handelt essich bei der Eigentumsgarantie um einauf normative Ausgestaltung ange-wiesenes, gesetzesabhängiges Grund-recht.8 Auch wenn das Bundesverfas-sungsgericht, diesen Befund verun-klarend, im Nassauskiesungs-Beschlussdavon spricht, dass der „(…) Begriff desvon der Verfassung gewährleisteten Eigentums (…) aus der Verfassungselbst gewonnen werden“ müsse9, sostellt es damit doch nicht in Frage,dass die Eigentumsgarantie ihren In-halt und ihre Konturen grundsätzlicherst durch das einfache Recht10 erhält,und dass es einen gleichsam „natür-lichen“ Eigentumsinhalt nicht gibt.

Als individualrechtliche subjektiveRechtsstellungsgarantie verbürgt Art.14 Abs. 1 Satz 1 GG deshalb nur jenevermögenswerten Rechte, die dem Ein-zelnen von der Rechtsordnung in derWeise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidungzu seinem privaten Nutzen ausübendarf.11

Die Institutsgarantie und ihre funktionalen Direktiven

Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestal-tung des Eigentums jedoch nicht frei.Das ist der Sinn jener Formulierung,wonach der Begriff des von der Verfas-

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 47

sung gewährleisteten Eigentums ausder Verfassung selbst gewonnen wer-den müsse12. Bei der inhaltlichen Aus-gestaltung muss der Gesetzgeber aufdie Funktion der Eigentumsgarantieund ihre Bedeutung im Gesamtgefügeder Verfassung zurückgreifen13. Diesebesteht – so die allgemein gebräuchli-che Wendung des Bundesverfassungs-gerichts – vor allem darin, dem Einzel-nen einen Freiraum im vermögens-rechtlichen Bereich zu verschaffen undihm auf dieser Grundlage die Möglich-keit zu einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung zu eröffnen (Privat-nützigkeit).14

Voraussetzung dafür ist jedoch, dassdie in Rede stehenden Rechte hinrei-chend verfestigt und i.d.R.15 durch ei-gene Leistung und eigenen Kapitalein-satz erworben sind. Bloße Chancenund Erwartungen werden vom Schutzdes Art. 14 Abs. 1 GG nicht erfasst.16

Dieser zielt vor allem darauf, dem Ein-zelnen auf der Grundlage verlässlicherund letztlich auch gerichtlich durch-setzbarer Rechtspositionen eine ver-mögensrechtliche Grundlage für dieindividuelle Lebensführung und -ent-faltung zu garantieren. Er schütztgrundsätzlich nur Rechtspositionen,auf deren Bestand der Berechtigte le-gitimerweise vertrauen kann.17 Wo esan dermaßen schutzwürdigem Ver-trauen fehlt, fehlt es auch an dem fürArt. 14 Abs. 1 GG notwendigen An-knüpfungsgegenstand.18

Das Haben und Gebrauchmachenvermögenswerter Rechte als Schutzgut

Die Eigentumsgarantie enthält in ersterLinie eine Substanzgarantie. Sie ver-

bürgt nicht nur den Bestand des ein-zelnen Rechtes, sondern auch das Interesse des Berechtigten an der Innehabung der ihm zugeordnetenRechte im Sinne eines „Habens“ und„Gebrauchmachens“19. Dabei erfasstsie allerdings nur ko<nkrete Rechte,nicht das Vermögen als solches.20 Kon-sequenterweise verbürgt die in Art. 14Abs. 1 GG enthaltene Nutzungsgaran-tie auch keinen bestimmten Wert vondem Eigentümer zugeordneten Rechts-positionen. Sie ist deshalb auch nichtin der Lage, ihn vor (bloßen) Wertver-lusten zu schützen, für die die öffentli-che Hand verantwortlich zeichnet21,wohl aber vor der Beeinträchtigungvon ihm bisher offenstehenden Nut-zungsmöglichkeiten.

Zwar gibt es in der Literatur seit gerau-mer Zeit eine Diskussion darüber, obund inwieweit die Nutzung eines ver-mögenswerten Rechtes, der usus fruc-tus, tatsächlich vom Schutz der Eigen-tumsgarantie umfasst wird, so wie esdie h. M. annimmt. Hier wird erwo-gen, ob menschliches Verhalten, dasüber die bloße Innehabung eines ver-mögenswerten Rechtes hinausgeht,nicht besser dem Schutz der einschlä-gigen Freiheitsrechte zugeordnet wer-den müsste.

Dagegen gibt es jedoch gewichtige Ein-wände. So bliebe von der (wirtschaft-lichen) Grundlage einer Freiheitsaus-übung im vermögensrechtlichen Be-reich kaum noch etwas übrig, wenn je-de Inanspruchnahme des vermögens-werten Rechts anderen Schutzgüternzugeordnet würde. Selbst die Veräuße-rung des Eigentums wäre, diesen Ge-danken konsequent zu Ende gedacht,eher eine Frage der Vertragsfreiheitdenn der Eigentumsgarantie. Darüber

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Peter M. Huber48

hinaus würde ein solcher Ansatzschwierige Abgrenzungsprobleme nachsich ziehen. Die Nutzung eines PKWsauf einer Wochenendfahrt etwa wärevom Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG er-fasst, die Nutzung auf dem Weg zur Arbeit hingegen dem – schwerer be-schränkbaren – Art. 12 Abs. 1 GG zu-zurechnen. Das kann nicht zu sinnvol-len Lösungen führen.

Zu den eigentumsrechtlich geschütz-ten Freiheiten des Einzelnen gehörendeshalb grundsätzlich auch solche Ak-tivitäten, die mit Umweltbeeinträchti-gungen verbunden sind, vorausgesetzt,es handelt sich dabei um den bestim-mungsgemäßen, von der Rechtsord-nung anerkannten Gebrauch eines ver-mögenswerten Rechts. Hierzu zäh-len, wie Rudolf Steinberg22 festgestellt hat, mit dem bestimmungsgemäßenBetrieb der Urproduktion – Landwirt-schaft, Bergbau – verbundene Beein-trächtigungen ökologischer Schutzgü-ter ebenso wie von Gewerbebetrieben,der Industrie oder dem Verkehr ausge-hende Emissionen. Es gehören dazuaber auch „(…) nicht – produktionsbe-zogene, d.h. konsumtive BetätigungenPrivater wie das Wohnen unter Ein-schluss des damit verbundenen Res-sourcenverbrauchs (Boden… ) (…).“

Diese Erscheinungsformen menschli-chen Verhaltens werden durch unter-schiedliche Grundrechte geschützt,nicht zuletzt durch die Eigentumsga-rantie. Sie alle schützen nicht nur diegrundrechtlich gesicherten Aktivitätenals solche, „(…) sondern auch die mitihnen mehr oder weniger notwendigverbundenen Emissionen, die Ein-griffe in Natur und Landschaft sowiedie Inanspruchnahme von Ressourcen– vor allem Boden, Energie und Roh-

stoffe –, soweit diese nach den Regelnder grundsätzlich privaten Güterord-nung verfügbar sind. (…).“23

Auch die Eigentumsgarantie ist damitgrundsätzlich blind für die in ihremRahmen verfolgten Zwecke. Wie alleGrundrechte setzt auch sie auf indivi-duelle Selbstbestimmung und auto-nome Prioritätensetzung, auf die Frei-heit, den eigenen Lebensentwurf auchim vermögensrechtlichen Bereich alsselbstbestimmtes Rechtssubjekt durch-zusetzen.24 Das schließt Beeinträch-tigungen von Belangen der Allgemein-heit oder Dritter als Folge des grund-rechtlich geschützten Verhaltens desEinzelnen grundsätzlich ein.25 Der ei-gentumsrechtliche Schutz von Kraft-fahrzeugen, Schweinemastanlagen oderKernkraftwerken impliziert m.a.W.auch die von der Rechtsordnung alsnotwendig erachteten Belastungen derUmwelt. Wie weit sie dieser tatsächlichzumutbar sind, ist eine Frage der So-zialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG).

2.2 Umweltschutz jenseits eigen-tumsrechtlicher Direktiven

Diese (traditionelle) Sichtweise ist ins-besondere von Dietrich Murswiek26

grundsätzlich in Frage gestellt worden.Nach seiner Auffassung ist die Nut-zung und Verschmutzung der Um-weltmedien Luft, Wasser, Boden denFreiheitsrechten und der Eigentumsga-rantie nicht inhärent. Sie besitzt viel-mehr teilhaberechtlichen Charakter.Wäre dies richtig, fiele die Belastungvon Umweltmedien nicht in denSchutzbereich der Eigentumsgarantie;dann bedürfte es auch keiner Zuord-nung des staatlich geregelten Umwelt-schutzes zum Prinzip der Sozialgebun-

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 49

denheit. Murswieks These ist jedochselbst von engagierten Umweltrecht-lern widersprochen und ein Totalita-rismus-Vorwurf gemacht worden. Siemuss in der Konsequenz dazu führen,dass die den Kern der Grundrechtsord-nung ausmachenden Freiheitsrechteweitgehend leerlaufen. Ohne die Inan-spruchnahme von Luft, Wasser undBoden sind menschliche Aktivitätenkaum denkbar. Zwar würde auch eineteilhaberechtliche Konstruktion denStaat verpflichten, dem Einzelnen aufder Grundlage der in den Grundrech-ten enthaltenen objektiven Wert-entscheidungen27 ein Minimum anUmweltbelastungen zu gestatten. Dasginge über die Garantie des Wesens-gehalts (Art. 19 Abs. 2 GG)28 jedochnicht hinaus.

Weitergehende rechtlich geschützte Interessen hätten lediglich leistungs-rechtlichen Gehalt, mit der weit-reichenden Folge, dass sie von einerpolitischen Entscheidung des Gesetz-gebers abhingen. Alles, was nicht indas grundrechtliche Minimum und da-mit verbundene Umweltbelastungenfiele, dürfte der Staat seinen Bürgernvorenthalten, ohne dabei an das dasstaatliche Regelungsanliegen diszipli-nierende Übermaßverbot gebunden zusein. Eine in der Tat totalitäre Vorstel-lung!

3. Der Umweltschutz im Schran-kensystem des Art. 14 GG

Bleibt man im System des Art. 14 Abs.1 GG, d.h. in Rechtsverhältnissen, dieunter der Direktionskraft der Eigen-tumsgarantie stehen, so spielt der Um-weltschutz vor allem bei der Rechtfer-tigung von Schrankenziehungen eine

Rolle. Um diese richtig einordnen zukönnen, bedarf es zunächst einer kur-zen Vergewisserung hinsichtlich derStruktur der Eigentumsgarantie.

3.1 Die Struktur der Eigentums-garantie

Die subjektive Rechtsstellungs-garantie und ihre Inhalts- undSchrankenbestimmungen im Dienste des Umweltschutzes

Nach allgemeiner Auffassung unter-scheidet man zwischen zwei struktur-bestimmenden Gewährleistungsgehal-ten der Eigentumsgarantie: der sub-jektiven Rechtsstellungsgarantie undder objektiven Rechtsinstitutsgaran-tie.29 Die subjektive Rechtstellungsga-rantie verkörpert den individualrecht-lichen Gehalt von Art. 14 Abs. 1 GG.Sie erfasst grundsätzlich alle (privat-nützigen) vermögenswerten Rechte,die im Zeitpunkt des Eingriffsaktes deröffentlichen Hand von der Rechtsord-nung anerkannt werden, und lässt ih-nen einen den Freiheitsrechten ver-gleichbaren Schutz angedeihen. Diesubjektive Rechtstellungsgarantie ist,wenn man so will, retrospektiv unddient auf diese Weise der Sicherung desvermögensrechtlichen Status quo.30 Inden Worten des BVerfG: Welche Be-fugnisse einem Eigentümer zu einembestimmten Zeitpunkt konkret zuste-hen, ergibt sich „(…) aus der Zusam-menschau aller in diesem Zeitpunktgeltenden, die Eigentümerstellung re-gelnden gesetzlichen Vorschriften.“31

Da es einen „natürlichen“ Gewährleis-tungsgehalt des Eigentums also nichtgibt, die subjektive Rechtsstellungs-garantie aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG

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Peter M. Huber50

jedoch der Sicherung des vermögens-rechtlichen Status quo dient und allezum Zeitpunkt des staatlichen Eingriffsbestehenden Rechtspositionen erfasst,müssen Gesetze mit Eigentumsbe-rührung doppelfunktional sein.32 Dasbedeutet, dass sie sich im Hinblick aufdie einfach-gesetzlich anerkanntenvermögenswerten Rechte als Schran-kenziehung darstellen und – vorbe-haltlich der Anforderungen des Art. 14Abs. 3 GG – dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit entsprechen müssen.

Für erst in der Zukunft zu begründen-de Rechtspositionen versagt die Direk-tionskraft der Rechtsstellungsgarantiehingegen. Insoweit kann der Gesetzge-ber in den Grenzen der Institutsgaran-tie grundsätzlich frei darüber entschei-den, welchen vermögenswerten Inte-ressen er den Schutz des Grundrechtszuteil werden lassen will. Pro futuro er-weist sich das schrankenziehende Ge-setz mithin zugleich als Inhalts-bestimmung des Eigentums33.

Das bedeutet in der Sache, dass der Ge-setzgeber die Direktionskraft der Eigen-tumsgarantie im Interesse staatlichenUmweltschutzes zumindest ein Stückweit zurückdrängen kann. Ist die Akti-vierung des Schutzes von Art. 14 Abs. 1 GG nämlich davon abhängig, dass er dem Einzelnen ein bestimmtes ver-mögensrelevantes Interesse zur privat-nützigen Verwendung zuordnet, dannfolgt daraus im Gegenschluss, dass Gü-ter, die er der Allgemeinheit und nichtdem Einzelnen zugeordnet hat, auchnicht Gegenstand eigentumsrechtli-chen Grundrechtsschutzes sind.

Beispiele hierfür bieten etwa die indivi-dueller Verfügungsbefugnis entzogenenHamburger Deichgrundstücke34 oder

das Grundwasser35, das das WHG – manche meinen hingegen erst § 1aAbs. 3 WHG36 – einem vom Grund-eigentum getrennten öffentlich-recht-lichen Benutzungsregime unterstellthat. Mag sich die Herausnahme be-stimmter Güter aus dem Kanon privat-nütziger Interessen für die Vergangen-heit somit auch als Schrankenziehungim Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GGdarstellen, so greifen solche Regelun-gen jedenfalls pro futuro nicht mehr indie Rechtstellungsgarantie bestimmterEigentümer ein. Sie stellen sich inso-weit nicht als Schranken, sondern alsInhaltsbestimmung des Eigentums darund erweitern damit den Aktionsradiusstaatlichen Umweltschutzes in der Zu-kunft.

Die Institutsgarantie des Eigen-tums im System der Grundrechts-dogmatik

Unabhängig vom Bestehen konkretervermögenswerter Rechte gibt die ob-jektiv-rechtlich ausgerichtete Instituts-garantie dem Gesetzgeber allerdings(äußerste) Leitlinien für die inhalt-liche Ausgestaltung des Eigentums vor,wobei Privatnützigkeit und Sozial-pflichtigkeit die Maßstäbe sind, an de-nen er sich zu orientieren hat. Das istgemeint, wenn das BVerfG davonspricht, dass der insoweit gebundeneGesetzgeber die grundlegenden verfas-sungsrechtlichen Wertentscheidungenfür das Eigentum zu beachten habe.37

Der Sache nach folgt aus der Instituts-garantie des Eigentums eine Verpflich-tung für den Gesetzgeber, einen Kern-bestand von Normen zur Verfügung zustellen, die die Funktionsfähigkeit unddie Privatnützigkeit des Eigentums ge-währleisten und dieses insbesondere ge-

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 51

genüber den Eingriffen der öffentlichenHand, aber nicht nur dort, durch ver-fahrensrechtliche und materiell-recht-liche Vorkehrungen abzusichern.38

Gefordert ist insoweit allerdings nurdie Sicherstellung des sog. Unter-maßverbotes bzw. des Wesensgehaltsder Eigentumsgarantie.39 Dahinter ver-birgt sich nichts anderes, als die auchvon anderen Grundrechten her geläu-fige objektive Wertentscheidung, mitallen dogmatischen Weiterungen, diesie durch Rechtsprechung und Lehreseit dem Lüth-Urteil40 erfahren hat.41

Das gilt auch hinsichtlich der Pflichtdes Staates bzw. des Gesetzgebers, sichdort schützend und fördernd vor dieeigentumsrechtlich geschützten Inter-essen der Grundrechtsberechtigten zustellen, wo diese nicht in der Lagesind, selbst für deren Integrität Sorgezu tragen. Schutzpflichten dieser Arthat das BVerfG auch im Hinblick aufdas Eigentum anerkannt.42

3.2 Die Sozialpflichtigkeit und dasStaatsziel Umweltschutz

Auch wenn man der traditionellen Ei-gentumsdogmatik folgt, etablieren dieGrundrechte im allgemeinen und dieEigentumsgarantie im besonderen alsonicht das „Gesetz des Dschungels“(Steinberg). Der Schutz ökologischerBelange ist jedoch auf „Eingriffe“ desGesetzgebers in das Eigentum ange-wiesen, durch die dieser den grund-rechtlich geschützten AktivitätenSchranken zieht.

Zur Einordnung des Umweltschutzes

Zu solchen Schrankenziehungen wur-de der Gesetzgeber schon von jeher

durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs.2 GG auch im Interesse des Schutzesvon Umweltgütern ermächtigt. Seit1994 stellt sich darüber hinaus die Fra-ge, wie sich die StaatszielbestimmungUmweltschutz (Art. 20a GG) in dieseSystematik einfügt.

Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG verweist aufdas „Wohl der Allgemeinheit“, also aufeinen unbestimmten und konkretisie-rungsbedürftigen Verfassungsbegriff.Diese Konkretisierung zu leisten ist zu-mindest primär Aufgabe des Gesetz-gebers, der sich dabei – wie bei seinergesamten Tätigkeit – an der Wertord-nung der Verfassung zu orientieren hat.Da diese in Art. 20a GG auch das Staats-ziel Umweltschutz enthält, ist eine Be-grenzung und Ausgestaltung der Eigen-tumsordnung im Interesse des Um-weltschutzes nicht mehr nur – wiefrüher – zulässig, sondern geboten.43 ImErgebnis steht Art. 14 Abs. 1 GG, wennman so will, unter einem – wenn auchnicht ausdrücklichen – ökologischenVorbehalt. Das Wohl der Allgemeinheit,dem der Gebrauch des Eigentums die-nen soll (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG), wirddurch die Verpflichtung des Staates auf die natürlichen Lebensgrundlagen(Art. 20a GG) verbindlich konkretisiert.Die „Naturpflichtigkeit“ des Eigentums(Meyer-Abich) ist insoweit ein wesent-licher Teil seiner Sozialpflichtigkeit.44

Das Wohl der Allgemeinheit i.S.V. Art.14 Abs. 2 GG erfordert daher gesetzlicheRahmenbedingungen für einen öko-logisch verträglichen Gebrauch des Eigentums.

Rechtsfolgen

Solche Rahmensetzungen, wie sie etwadurch das Bau-, Planungs-, Anlagen-

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Peter M. Huber52

und Umweltrecht erfolgen, hat der Ei-gentümer grundsätzlich zu dulden –entschädigungslos. Das ist der wirt-schaftliche Kern der Sozialbindung.Und in diesem Sinne ist er von derRechtsprechung vor allem im Natur-schutzrecht insbesondere für den Ent-zug bislang nicht ausgeübter Nut-zungsmöglichkeiten herausgearbeitetworden.45

Anders liegen die Dinge, wenn die –Sozialgebundenheit aktualisierende –Rahmensetzung Nutzungseinschrän-kungen nach sich zieht. Während dieRechtsprechung des BVerwG hier frü-her unter Zugrundelegung einer ma-teriellen Betrachtungsweise einen dieGrenze der Sozialpflichtigkeit über-schreitenden „Eingriff“ in das Eigen-tum erblickt hat46, scheint sie unterdem Eindruck der jüngeren Rechtspre-chung des BVerfG47 nunmehr auchden Eingriff in verfestigte Nutzungenals die Sozialgebundenheit aktualisie-rende Inhalts- und Schrankenbestim-mung zu begreifen.48

Das wird teilweise als Abkehr von derälteren Rechtsprechung gedeutet. ZuUnrecht. Denn in der Sache zieht einsolcher Eingriff in der Regel Ausnah-me- oder Übergangsregelungen bzw. finanzielle Ausgleichsleistungen nachsich, die ihn in seiner Intensität redu-zieren.49 Das aber spricht eher für eineDeutung, wonach das eigentumsrecht-lich geschützte Nutzungsinteresse zwarim Interesse des Gemeinwohls bzw.des Umweltschutzes weiter zurückge-drängt werden kann, ohne dass dabeijedoch die Grenze der Sozialgebun-denheit nennenswert verschoben wür-de. Das dem Übermaßverbot entnom-mene Instrument der Ausgleichsleis-tung stellt vielmehr sicher, dass die

Aktualisierung von Sozialgebunden-heit im Dienste des Umweltschutzesden Eigentümer nicht unzumutbartrifft.50

3.3 Keine unmittelbare Verpflich-tung des Grundrechtsträgers

Schon diese kursorische Skizze zur Ein-ordnung von Sozialbindung und „Na-tur-“ bzw. „Ökologiepflichtigkeit“ desEigentums zeigt, dass der dogmatischeKern der Aktualisierung von Sozial-bindung in einer Abwägung besteht,in die ökologisch schädliche, abergrundrechtlich geschützte Interessender Eigentümer ebenso einzustellensind wie die Interessen der Allgemein-heit an einer Optimierung des Um-weltschutzes oder die Interessen Drit-ter. Diese Abwägung ist Aufgabe desGesetzgebers.

Die Sozialgebundenheit des Eigentumsallein verpflichtet den Eigentümer da-gegen nicht unmittelbar, sein Eigen-tum nur in einer ökologisch verträg-lichen Weise zu nutzen. Wenn auchder imperativ formulierte Wortlautvon Art. 14 Abs. 2 GG zu der Annah-me verleiten mag, dahinter verbergesich eine Positivierung kantischer Mo-ralerwartungen, so übersieht diese Auf-fassung doch, dass Art. 14 Abs. 2 GGauf Art. 14 Abs. 1 GG bezogen ist. Die-ser aber bezieht seine Ausrichtung –wie alle Grundrechte des Grundgeset-zes – aus Art. 1 Abs. 3 GG und stelltsich insoweit ausschließlich als staats-gerichtete Regel- und Prinzipiennormdar.

Eine ökologisch verträgliche Inan-spruchnahme der Freiheitsrechte imvermögensrechtlichen Bereich, die das

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 53

gesetzlich erlaubte Maß an Umwelt-verschmutzung aus Einsicht und Ver-antwortungsgefühl unterschreitet, ver-dient Respekt und mag Ausdruck einer wahrhaft moralischen Gesinnungsein. Einer – justiziablen – Rechts-pflicht kann ein solches Verhalten je-doch schon definitionsgemäß nichtentsprechen.

4. Aktuelle Fragen

Eine Abwägung zwischen den Belan-gen des Umweltschutzes und den In-teressen der Eigentümer setzt zunächstvoraus, dass die auf eine Umweltbelas-tung zielenden Nutzungsinteressenauch tatsächlich den Schutz des Art. 14Abs. 1 GG genießen, d.h. vermögens-werte Rechte im verfassungsrechtli-chen Sinne sind.

4.1 Atomausstieg

Eigentumsrechtliche Rahmen-bedingungen

Dieser Frage kommt etwa beim in derDiskussion befindlichen Atomausstiegeine erhebliche Bedeutung zu. Denndie diskutierten Restlaufzeiten – der-zeit sind Spannen zwischen 30 und 43 Jahren effektiver Betriebsdauer imGespräch51 – sollen es den Betreibernvon Kernkraftwerken ermöglichen, diegetätigten Investitionen zu amortisie-ren bzw. abzunutzen. Sie sind nur vordem Hintergrund eines letztlich ver-fassungsrechtlich gebotenen Eigen-tums- und Vertrauensschutzes ver-ständlich. Gäbe es beim Betrieb vonKernkraftwerken keine eigentums-rechtlichen Rechtspositionen, so hättees der Gesetzgeber in der Hand, die bis-

lang unbefristeten Betriebsgenehmi-gungen nach § 7 AtG durch den be-rühmten Federstrich beiseite zu schie-ben.

Vertrauensschutz istdort,wo es um denBestand vermögensrelevanter Rechtegeht – des Sacheigentums etwa, desGrundeigentums, oder, wenn man ihndenn als Schutzgut der verfassungs-rechtlichen Eigentumsgarantie aner-kennt, des eingerichteten und aus-geübten Gewerbebetriebs52 – grund-sätzlich eine Frage der (subjektiven)Rechtsstellungsgarantie.53 Soweit Art.14 Abs. 1 GG tatbestandlich nicht ein-schlägig ist, würden abgeschwächteAnforderungen an die Gewährleistungvon Vertrauensschutz allerdings auchaus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20Abs. 3 GG) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG folgen. Wo es dagegen keine grund-rechtlichen Rechtspositionen gibt,zieht allein das Rechtsstaatsprinzip derRückbewirkung von Rechtsfolgen, d.h.Fällen „echter“ Rückwirkung, äußersteGrenzen.54

In der Sache ist die verfassungsrechtli-che Verortung der Betreiberinteressenfür das Ausstiegsszenario somit vonentscheidender Bedeutung. Da es beimAtomausstieg – zumindest dann, wenner gegen die Energieversorger durchge-setzt wird – um eine Änderung des AtGgeht, mit der eine nachträgliche Befris-tung der Betreibergenehmigungennach § 7 AtG eingeführt werden soll,es also um eine sog. tatbestandlicheRückanknüpfung oder „unechte Rück-wirkung“ geht, kommen einem Aus-stieg gegenläufige Betreiberinteressennur insoweit in Betracht, als sie grund-rechtlich abgesichert sind. Die diszipli-nierende Einwirkung des Art. 14 Abs. 3 GG wie des Verhältnismäßigkeits-

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grundsatzes setzt Berührungen undEinschränkungen des grundrechtli-chen Schutzbereichs tatbestandlichvoraus.

Das ist bei den Energieversorgungs-unternehmen, den Betreibern der ab-zuschaltenden Kernkraftwerke, jedochnicht durchwegs der Fall.

Zwar können die RWE mit einem An-teil von 29,3% öffentlicher Anteilseig-ner55 und nach der (rechtzeitigen) Ab-schaffung der Mehrstimmrechte imGeschäftsjahr 1997/9856 nicht mehrals öffentlich beherrschtes Unterneh-men beschrieben werden, und auchdie Bayernwerk AG dürfte angesichtseiner 97,1% betragenden Beteiligungder Viag57 grundrechtsfähig sein, be-sitzt der Freistaat Bayern an letztererdoch lediglich 25,2%.

Bei der Energie Baden-WürttembergAG, der Betreiberin der Kernkraftwerkevon Neckarwestheim, Obrigheim undLeipstadt, ist es jedoch anders. Hierhalten der Zweckverband Oberschwä-bische Elektrizitätswerke 34,75%, dasLand Baden-Württemberg 25,18% und der Gemeindeelektrizitätsverband8,88%58, was einen Anteil der öffent-lichen Hand von mindestens 68,81%ausmacht.

Und auch die HEW werden nach wievor öffentlich beherrscht, nämlichdurch die Freie und Hansestadt Ham-burg. Von der öffentlichen Hand be-herrschten gemischt-wirtschaftlichenUnternehmen kommt der Schutz der Eigentumsgarantie nach einer in der Literatur zwar kritisierten59, vom BVerfG jedoch zu Recht unbeirrtvertretenen Auffassung nicht zugu-te.60

Folgerungen

Die Folgen sind gravierend. Denn jenseits des Anwendungsbereichs vonArt. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GGkommt es für die Verfassungsmäßig-keit einer Novelle zum AtG auf die mitdem Atomausstieg verbundenen ver-mögensrechtlichen Folgen für die Be-treiber grundsätzlich nicht an. Über-gangsfristen werden sich zwar auchhier aus praktisch-technischen Grün-den, ggf. auch aus Gründen der Ver-tragstreue gegenüber den Betreibernder Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield nicht völligvermeiden lassen, wohl aber drastischreduzieren.

Dem „Einstieg in den Ausstieg“ wirdsich deshalb mit Blick auf die von deröffentlichen Hand betriebenen Kern-kraftwerke verfassungsrechtlich kaumetwas entgegensetzen lassen. Wenn erdenn dem Umweltschutz dient – unddiese Annahme ist angesichts der wei-teren Verminderung des Restrisikosdurch einen Atomausstieg zumindestnicht offensichtlich fehlsam61 – dannscheitert er auch nicht an der Bastiondes Art. 14 GG.

Völlig anders sieht es hingegen für jene Energieversorger aus, die denSchutz der Grundrechte genießen. Siehaben Anspruch auf Eigentums- undVertrauensschutz auch bei einer neuenund anderen Konkretisierung des staat-lichen Umweltschutzauftrages durchdas AtG. Angesichts einer durch denRegierungswechsel von 1998 alleinnicht veränderten Gefahrenprognosesowie mit Blick auf die enormen Inves-titionen der Energieversorger erfordertdies nicht nur deren Amortisation,nicht nur die Realisierungsmöglichkeit

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 55

eines angemessenen Gewinns, sondernauch die Möglichkeit, die Anlagen imRahmen der geltenden Umweltstan-dards abzunutzen. Laufzeiten von 40Jahren erscheinen vor diesem Hinter-grund keineswegs aus der Luft ge-griffen.

Andernfalls muss der Gesetzgeber aufdas Instrument der Enteignung zu-rückgreifen. Verfassungsrechtlicher An-knüpfungspunkt für die eigentums-rechtliche Beurteilung des Atomaus-stiegs ist das Eigentum der Kraftwerks-betreiber an ihren Anlagen. Dieses Eigentum würde durch einen gesetz-lich angeordneten Atomausstieg prak-tisch „entleert“, weil den Eigentümernnicht mehr bliebe, als die „grüne Wie-se“, und diese belastet mit den Ab-bruchkosten. Eine solche „Entleerung“ist eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3GG), die nur zum Wohl der Allge-meinheit und nur gegen angemesseneEntschädigung zulässig ist.

Die These, die „Entleerung“ des Eigen-tums der Kraftwerksbetreiber stelle lediglich eine Neudefiniton des Eigen-tums dar, die das Eigentum an Kern-kraftwerken für die Zukunft aus derRechtsordnung verbanne, und sei da-her lediglich eine – ggf. ausgleichs-pflichtige – Inhalts- und Schrankenbe-stimmung im Rahmen eines „Eigen-tumsreformgesetzes“62, stützt sich da-gegen zu Unrecht auf die jüngereRechtsprechung des BVerfG. Die inso-weit maßgeblichen Referenzfälle be-treffen allein Konstellationen, in de-nen aus dem Grundeigentum einzelneuntergeordnete Nutzungsbefugnisseausgegliedert wurden (Gewässerbenut-zung, Vorkaufsrecht), das Stammrechtim übrigen jedoch fortexistierte. Ge-nau dies ist bei einem Ausstiegsgesetz

jedoch nicht der Fall.63 Überholt istschließlich auch die Auffassung, eingesetzlich angeordneter Atomausstiegkönne deshalb keine Enteignung sein,weil diese einen dinglichen Übergangdes entzogenen Rechts voraussetze.64

4.2 Deponielaufzeiten im Kreislauf-wirtschaftsrecht

Ähnliche Probleme scheinen sich imKreislaufwirtschafts- und Abfallrechtzu stellen. Dort legt die TA Siedlungs-abfall, eine normkonkretisierende Ver-waltungsvorschrift65, bekanntlich fest,dass seit dem 1. Juni 1993 nurmehrsolche Siedlungsabfälle zur Beseitigungdeponiert werden dürfen, die be-stimmte Zuordnungskriterien einhal-ten (Ziff. 4.2.1 TASi), welche die TASiedlungsabfall in ihrem Anhang B imEinzelnen aufführt. In der Sache läuftdies darauf hinaus, dass Siedlungsab-fälle zur Beseitigung vor ihrer Ablage-rung grundsätzlich thermisch behan-delt werden müssen. Ausnahmen sindbis zum 1. Juni 2005 allerdings inso-weit zulässig, als es an Behandlungs-kapazitäten fehlt (Ziff. 12.1 TASi).

Die Folgen für die Betreiber der – häufigohnehin zu groß dimensionierten – Deponien sind gravierend, zumaldann, wenn sie – wie in den neuen Län-dern – noch kurz vor Inkrafttreten derTA Siedlungsabfall erhebliche Investi-tionen getätigt haben, um ihre Depo-nien auf den gesetzlich gefordertenStand der Technik (heute § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 KrW-/AbfG) zu bringen.Die Einhaltung der TASi-Anforderungenhat insoweit erhebliche Auswirkungenauf die Rentabilität der Deponien undkann in einer Reihe von Fällen auch deren Stilllegung nach sich ziehen.66

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Dass die Zuordnungskriterien demUmweltschutz dienen – dem Schutzdes Grundwassers, das vor Auswa-schungen aus der Deponie geschütztwerden soll, der Luft, in die so wenigDeponiegase wie möglich entweichensollen, des Bodens, der nicht durch dieErosion des Deponiekörpers kontami-niert werden soll, liegt auf der Hand.Geht es also auch hier um Umwelt-schutz als Ausprägung von Sozialge-bundenheit?

Zur Grundrechtsberechtigung vonDeponiebetreibern

Der Betrieb von (Hausmüll-)Deponien(§ 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KrW-/AbfG)fällt typischerweise in die Zuständig-keit der öffentlich-rechtlichen Ent-sorgungsträger, insbesondere der Land-kreise (Art. 4 Abs. 2 und 3 BayAbfG, § 5 Abs. 2 3. Sp. LAbfG NW, § 2 Abs. 1ThürAbfAG).67 Diese genießen – wiedie öffentlich beherrschten Energie-versorger – grundsätzlich keinen ver-fassungsrechtlichen Eigentumsschutz68,so dass Beschränkungen des Anlagen-betriebs im allgemeinen nicht als Aus-druck der Sozialgebundenheit und einer verhältnismäßigen Abwägungbegriffen werden können. Das bedeu-tet andererseits nicht, dass ihnen die –auch durch Art. 14 Abs. 1 und 2 GGgesteuerten – Wertungen nicht dochzugute kommen könnten.

Reflexartiger Schutz bloß zivilrecht-licher Eigentumspositionen

Nimmt der Gesetzgeber nämlich dieOrdnung eines Lebensbereiches – desKreislaufwirtschaftsrechts etwa – vor,so geschieht dies typischerweise in ge-

nereller und abstrahierender Form. Fixiert er ökologische Standards undQualitätsziele wie die Zuordnungs-kriterien im Anhang B TASi, Ver-fahrensanforderungen und Überwa-chungsbefugnisse, dann geschieht diesi. d. R. schon aus Gründen der Gleich-behandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) undwegen des Verbots von Einzelfallgeset-zen (19 Abs. 1 Satz 1 GG) grundsätz-lich ohne Rücksicht auf den einzelnenNormadressaten.

Das aber bedeutet zwangsläufig, dassder einfach- oder untergesetzlich vermittelte Schutz weiterreichen kannals der verfassungsrechtliche, ja dass er dies typischerweise sogar muss. – Einem nur zivilrechtlichen Eigentümeri.S.d. §§ 903 ff. BGB wird so ungeach-tet seiner fehlenden Grundrechtsträ-gerschaft der Schutz der Eigentumsga-rantie über den Umweg des einfachenRechts in aller Regel doch weitgehendzuteil. So betont das BVerwG etwa mitBlick auf das Fachplanungsrecht dasRecht der – nicht grundrechtsfähigen –Gemeinde, als Fehler der Abwägung zurügen, „(…) ihre Interessen, vor allemNutzungsinteressen, als Eigentümerinvon Grundstücken seien nicht odernicht mit dem ihnen gebührenden Ge-wicht in die Abwägung eingestellt wor-den; insofern hat sie die gleicheRechtsstellung wie andere – private –Eigentümer.“69

Das ist kein planungsrechtliches Spe-zifikum, sondern eine i.d.R. unver-meidliche Konsequenz der Funk-tionsweise jeglicher Normsetzung. DerGesetzgeber kann eine verfassungs-konforme Regelung nämlich nur auf-grund einer Abwägung erreichen, dieauch die eigentumsrechtlichen Rechts-positionen der grundrechtsberechtig-

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 57

ten Normadressaten hinreichend be-rücksichtigt. Wo zu den typischenAdressaten eines Gesetzes auch Grund-rechtsträger gehören, muss der gene-ralisierende und abstrahierende Ge-setzgeber seine Regelungen so aus-gestalten, dass sie sich auch für den amSchutz des Art. 14 Abs. 1 GG partizi-pierenden Eigentümer als angemesse-ne Aktualisierung ökologischer Sozial-gebundenheit darstellen.70

Sinnvolle Alternativen zu dieser Ge-setzgebungstechnik bestehen nicht.Denkbar wäre zwar ein Gesetz, das amLeitbild des nicht grundrechtsberech-tigten Eigentümers anknüpfte und in-soweit schärfere Maßstäbe des staat-lichen Umweltschutzes formulierte.Dies hielte verfassungsrechtlichen An-forderungen jedoch nur stand, wennes Ausnahmen für all jene vorsähe, diesich, anders als die typischen Adressa-ten, doch auf den Schutz der Grund-rechte berufen können. Das Gesetzkönnte unter diesen Voraussetzungendie angestrebte Ordnung des Lebens-bereichs jedoch i.d.R. nicht leisten.Derselbe Einwand würde in abge-schwächter Form auch gegenübereinem – nach der Grundrechtsberech-tigung gespaltenen – Normprogrammgelten. Hinzu kommen in diesen Fäl-len eine die Steuerungsfähigkeit desGesetzes relativierende Rechtsunsi-cherheit und – angesichts der einzel-fallbezogenen Voraussetzungen derGrundrechtsberechtigung – erheblicheVollzugsprobleme.

Da es auch private und grundrechts-fähige Deponiebetreiber gibt, das KrW-/AbfG (§§ 10 Abs. 4, 12) und die TASiedlungsabfall bei der Festlegung ihrerUmweltstandards jedoch zwischen un-terschiedlichen Typen von Deponie-

betreibern nicht differenzieren71, folgtdaraus, dass sie bei ihren Wertungenauch eine mögliche Grundrechtsbe-troffenheit berücksichtigen müssen.Die TA Siedlungsabfall hat dies an-erkanntermaßen auch getan – durchdie Normierung von Ausnahmerege-lungen (Ziff. 2.4 TASi) etwa und durchÜbergangsvorschriften in Ziff. 12 TASi.72 Auf diese Weise kann sich deröffentlich-rechtliche Deponiebetreiberunter den gleichen Voraussetzungenauf eine wirtschaftlich unzumutbareBelastung bei der Einhaltung der Zuordnungskriterien berufen wie derprivate.73

Zur Einordnung des Unzumut-barkeitsarguments

Noch nicht geklärt ist damit freilich,ob sich diese Erwägungen im Anwen-dungsbereich von Art. 14 Abs. 1 GGansiedeln lassen und ob die Pflicht zurEinhaltung der Zuordnungskriteriennach der TA Siedlungsabfall eine Aus-prägung der Sozialpflichtigkeit des Ei-gentums an der Deponie darstellt.

Das wird man nur insoweit bejahenkönnen, als es um die in Ziffer 12.2TASi geregelten Altanlagen geht bzw.ging, also um jene Anlagen, die ohneentsprechende Maßgaben bereits auf-grund eines Planfeststellungsbeschlus-ses oder einer Plangenehmigung be-trieben wurden und sich nunmehr aufdie neuen Gegebenheiten einstellenmüssen.74 Führt die Änderung derRechtslage hier zu Konstellationen, dieeinen ursprünglich wirtschaftlichenBetrieb insgesamt unmöglich machen,so ist die Grenze der Sozialbindungüberschritten. Das mag zwar nicht dieUnzulässigkeit solcher Qualitätsvorga-

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ben nach sich ziehen, wohl aber dieVerpflichtung des Staates, Übergangs-oder Ausnahmeregelungen vorzusehenbzw. einen finanziellen Ausgleich. In-soweit liegen die Dinge hier ähnlichwie beim Atomausstieg.75

Wo derartige Unzumutbarkeitserwä-gungen jedoch nicht mit Blick auf einebereits unter anderen rechtlichen Vor-aussetzungen genehmigte Deponie an-zustellen sind, geht es nicht um Ver-trauensschutz, und damit auch nichtum den Anwendungsbereich der Ei-gentumsgarantie.76 Unzumutbare Rah-menbedingungen pro futuro lassensich allenfalls am Maßstab der Berufs-freiheit messen.77 Auch hier könnenAusnahmen von einer strikten Bin-dung an die Zuordnungskriterien je-denfalls dann geboten sein, wenndurch die besonderen Gegebenheitendes Einzelfalls ein wirtschaftlicher Deponiebetrieb unmöglich gemachtwird.78

4.3 Das Kooperationsprinzip alsGrenze von Sozialgebundenheit?

Einen besonderen Akzent könnte dasSpannungsverhältnis zwischen Um-weltschutz und Eigentumsgarantiedurch das vom BVerfG 1998 als all-gemeines Rechtsprinzip aus der Taufegehobene Kooperationsprinzip79 erhal-ten. Zwar ging es bei den beiden Urtei-len zu den landesrechtlich geregeltenAbfallabgaben in Baden-Württemberg,Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein bzw. zur kommunalen Ver-packungssteuer in Kassel in der Sache(nur) um den Vorrang des Bundes-rechts (Art. 31 GG)80, nach Auffassungdes 2. Senats auch um den (vermeint-lichen) Rechtsgrundsatz der Wider-

spruchsfreiheit der Rechtsordnung.81

Im Ergebnis aber ging es darum, dasKooperationsprinzip kumulativen Be-lastungen aus dem staatlich induzier-ten Umweltschutz entgegenzusetzenund als Obergrenze aktualisierbarerSozialgebundenheit zu etablieren. Sogesehen erscheint das umweltrecht-liche Kooperationsprinzip als bereichs-spezifisches Pendant zum steuerrecht-lichen Halbteilungsgrundsatz.82 DieThese mag kühn erscheinen. Sie istvon Udo di Fabio83 in der Tendenzgleichwohl gewagt worden und findetnicht nur im Ergebnis, sondern auchin der Urheberschaft des Berichterstat-ters beider Verfahren einen plausiblenAnhaltspunkt.

Richtig daran ist zumindest Folgendes:Wo sich der Staat auf bestimmte In-strumente des Umweltschutzes fest-legt, und damit auch Sozialgebunden-heit aktualisiert, wie dies etwa durchdie Grundpflichten der Kreislaufwirt-schaft im KrW-/AbfG und ihre unter-gesetzliche Konkretisierung geschehenist, dort können es ihm Vertrauens-und Eigentumsschutz, Gleichheitssatzund vor allem der rechtsstaatlicheGrundsatz der Systemgerechtigkeit84

verwehren, den Umweltschutz zu La-sten des Eigentums beliebig weiterzu-treiben. Zumindest im konkreten Fallmarkiert das umweltrechtliche Koope-rationsprinzip deshalb in der Tat auchdie Grenze der Sozialgebundenheit.

5. Schluss

Dass das Spannungsverhältnis zwi-schen Umwelt- und Eigentumsschutznicht durch eine für alle Zeiten gültigeKonkretisierung der ökologischen So-zialgebundenheit aufgelöst werden

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 59

kann, sondern situationsgebundenvon einer Reihe von Faktoren abhän-gig ist – der Größe der Gefahr für dieUmweltmedien, den wirtschaftlichenRahmenbedingungen, den kulturellenDispositionen der Gesellschaft u.v.a.m.– ist eine Binsenweisheit, die jede Ge-setzesänderung aufs Neue bestätigt.Dabei dürfte der Trend schon wegender verfassungsrechtlichen Verpflich-tung des Staates auf den Umweltschutzin Art. 20a GG, in den Verfassungender Länder (Art. 141 Abs. 1 BV, Art. 31ThürVerf.) und wegen der neuen Quer-schnittsklausel Umweltschutz in Art. 6EG mittel- und langfristig zu einernoch stärkeren Betonung der Ökolo-giepflichtigkeit des Eigentums führen,und damit zu einer tendenziellenZurückdrängung vermögensrechtlicherAutonomie.

De lege ferenda sei hier nur an die von§ 14 Abs. 1 UGB – ProfE bzw. § 170UGB Kom-E entwickelten Vorschlägezur umweltbezogenen Konzernpub-lizität erinnert, die eine weitere Be-lastung des Unternehmenseigentumsdarstellen werden. Wohl nur noch eineFrage der Zeit dürfte es auch sein, bis

die aus dem Polizeirecht übernomme-ne Regelungstechnik des Verbots mitErlaubnisvorbehalt – insbesondere imImmissionsschutzrecht (§ 6 BImSchG)– etwa durch mit dem Wasserrecht ver-gleichbare Verbote mit Befreiungs-vorbehalt bzw. durch planungsrecht-lich strukturierte Gestattungen ersetztwird85. Die Beispiele ließen sich fort-setzen.

Dennoch wird der Umweltschutz dieüber 50 Jahre gewachsene Eigentums-dogmatik nicht sprengen. Er fügt sichin deren System ein, wobei die 1994eingeführte Staatszielbestimmung Um-weltschutz die Gestaltungsfreiheit desGesetzgebers bei der Konkretisierungdes Gemeinwohls reduziert.86 Eine gra-duelle Rückführung eigentumsrecht-licher Positionen muss dennoch nichtin einem Umweltstaat Orwell‘scherDimension enden. Umso wichtiger istes allerdings, dass andere offene Flan-ken des Eigentumsschutzes geschlos-sen und dem Zugriff des Staates strik-tere Grenzen gesetzt werden als bisher.Das gilt nicht zuletzt für den Schutzdes Eigentums gegenüber dem Steuer-staat.87

Anmerkungen1 BVerwG, NVwZ 1991, 781; F. Hufen, Ver-

waltungsprozessrecht, 3. Aufl., 1998, § 14Rdnr. 111.

2 M. Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998,§ 5 Rdnr. 339; Kübler, Gesellschaftsrecht,3. Aufl. 1990, S.260ff.; F. Rittner, Gut-achten zum 44. DJT, Bd. I, 1964, IV.

3 BVerwGE 4, 57/60; 49, 365/368; 67,84/86; 67, 93/95; 84, 361/370f.; BVerwG,DVBl 1993, 1141/1142; BGHZ 23, 30 –Grünflächenurteil; BGH, DÖV 1957, 669f.– Buchendom-Fall.

4 M. Kloepfer, a.a.O., § 11 Rdnr. 109.5 VGH Mannheim, DÖV 1986, 249ff.; VGH

München, DVBl 1986, 1283/1286; H.- J.Papier, Altlasten und polizeiliche Störer-haftung, 1985, S.72.

6 BVerfGE 58, 300/338ff.; M. Kloepfer,a.a.O., § 13 Rdnr. 48ff.

7 P.M. Huber, Die Altschuldenhilfe fürWohnungsunternehmen im Konflikt mitVertragsfreiheit und Eigentumsgarantie,WM 1998, 633/643.

8 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Stand1999, Art. 14 Rdnr. 35ff.

9 BVerfGE 58, 300/335; W. Leisner, Eigen-tumswende?, DVBl 1983, 61/62f.

10 Zur Rolle von Rechtsverordnungen imNaturschutzrecht U. di Fabio, Vertrag stattGesetz?, DVBl 1990, 338/346.

11 BVerfGE 83, 201/209 – Vorkaufsrecht imBergrecht.

12 BVerfGE 58, 300/335.13 BVerfGE 36, 281/290.

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Peter M. Huber60

14 BVerfGE 24, 367/389; 31, 229/239; 50,290/339; 53, 257/290; 68, 193/222; 79,292/304; 83, 201/209; O. Depenheuer, in:v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 4. Aufl., 1999, Art. 14 Rdnr. 12ff., 68.

15 Zur Begrenzung dieses funktionalen An-satzes auf öffentlich-rechtliche Rechts-positionen O. Depenheuer, Art. 14 Rd-nr.76f.

16 BVerfGE 77, 84/118; P.M. Huber, Kom-pensationsansprüche bei der Regelung offener Vermögensfragen, in: FS zur Wie-dererrichtung des Oberlandesgerichtes inJena, 1994, S.271/278; einschränkend O. Depenheuer, Art. 14 Rdnr. 138.

17 P.M. Huber, Die Altschuldenhilfe fürWohnungsunternehmen im Konflikt mitVertragsfreiheit und Eigentumsgarantie,WM 1998, 633/641.

18 P.M. Huber, Grundrechtsdogmatische Notizen zum Abfindungsanspruch aus-scheidender LPG-Mitglieder, ZGR 1998,S.118/128.

19 O. Depenheuer, Art. 14 Rdnr. 68; H.-J. Pa-pier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rdnr.8f.

20 BVerfGE 74, 129/148; 78, 232/243; 81,108/122.

21 P.M. Huber, WM 1998, 633/641; ders.,ZGR 1998, S.118/127; ders., Der pla-nungsbedingte Wertzuwachs als Gegen-stand städtebaulicher Verträge, 1995, S.18; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rdnr. 155.

22 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungs-staat, 1998, S.116f.

23 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungs-staat, 1998, S.116f.

24 Allgemein dazu P.M. Huber, Das Men-schenbild im Grundgesetz, Jura 1998,505/507f.

25 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungs-staat, a.a.O.

26 D. Murswiek, Privater Nutzen und Ge-meinwohl im Umweltrecht, DVBl 1994,77/82ff.; Krit. R. Steinberg, Der ökolo-gische Verfassungsstaat, 1998, S.124f.

27 Grundlegend BVerfGE 7, 198/205.28 Zu dessen Bestimmung P.M. Huber, in: v.

Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 4.Aufl., 1999, Art. 19 Abs.2 Rdnr. 132ff.,138ff., insb. 154ff.

29 P.M. Huber, Der planungsbedingte Wert-zuwachs als Gegenstand städtebaulicherVerträge, S.18ff.; ders., WM 1998, 633/643; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rdnr. 11.

30 P.M. Huber, WM 1998, 633/643.31 BVerfGE 58, 300/336.32 P.M. Huber, WM 1998, 633/643.33 J. Wieland, in: Dreier, GG, Bd. I, 1996,

Art. 14 Rdnr. 66.34 BVerfGE 24, 367/389f.35 BVerfGE 58, 300/339ff.; zweifelnd M.

Kloepfer, Umweltrecht, § 13 Rdnr. 50; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Stand1998, Art. 14 Rdnr. 371a.

36 Kleinlein, DVBl 1991, 365/370.37 BVerfGE 21, 23/82; 24, 367/389; 25,

112/117.38 BVerfGE 24, 367/389.39 BVerfGE 58, 300/348; P.M. Huber, Art. 19

Abs. 2 Rdnr. 193 – zur Deckungsgleich-heit beider Topoi.

40 BVerfGE 7, 198/205.41 P.M. Huber, WM 1998, 633/643.42 BVerfGE 52, 214ff.– Zwangsvollstreckung;

89,1ff. – Mieter als Eigentümer.43 R. Gröschner, Wirtschaftsverwaltungs-

und Umweltrecht, in: Huber (Hrsg.),ThürStVerwR, 2000, 7. Teil, Rdnr. 38.

44 In diesem Sinne R. Steinberg, Der öko-logische Verfassungsstaat, a.a.O., S.117.Dabei geht es allerdings weniger um eineVerdoppelung der eigentumsrechtlichenBindungen als um eine verpflichtendeKonkretisierung des Inhalts von Sozial-gebundenheit.

45 Früh schon BGH, DÖV 1957, 669f. – Bu-chendom-Fall.

46 BVerwGE 67, 84/87; 67, 93/95f.47 BVerfGE 83, 20 ff.; ferner BVerfG, NJW

1998, 367/368 – Niederaltaicher Gries.48 BVerwG, DVBl 1993, 1141/1142f.49 BVerfGE 79, 174 / 192; 83, 201/213;

BVerfG, NJW 1998, 367/368.50 H. J. Koch/A. Roßnagel, Neue Energie-

politik und Ausstieg aus der Kernenergie,NVwZ 2000, 1/5.

51 Zum Hintergrund siehe W. Bayer/P.M.Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atom-ausstieg, 2000, demn. in: Schriftenreihedes Hellmuth – Loening – Zentrums fürStaatswissenschaften.

52 Offen gelassen in BVerfGE 84, 212/232; BVerfG, JZ 1998, 352/353; bejahend O. Depenheuer, Art. 14 Rdnr. 136. KeinSchutzgut der Eigentumsgarantie ist alsöffentlich-rechtliche Bewilligung jeden-falls die Anlagengenehmigung nach § 7AtG selbst; P.M. Huber, Kompensations-ansprüche bei der Regelung offener Ver-mögensfragen, S.271/278f.; W. Leisner,in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VI,1989, § 149 Rdnr. 94; F. Ossenbühl, Ver-fassungsrechtliche Fragen eines Ausstiegsaus der friedlichen Nutzung der Kernen-ergie, AöR 124 (1999), 1/8.

53 BVerfGE 58, 81/120f.; 64, 87/104; 71,1/11f.; 75, 78/105; O. Depenheuer, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl. 1999,Art. 14 Rdnr. 233; P.M. Huber, Die Klar-

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Umweltschutz als Ausprägung von Sozialgebundenheit 61

stellungsnovelle zu §12 MHG im Lichtedes Rückwirkungsverbotes, ZMR 1996,175/177.; J. Rozek, Die Unterscheidungvon Eigentumsbindung und Enteignung,1998, S.35ff.

54 F. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fra-gen eines Ausstiegs aus der friedlichenNutzung der Kernenergie, AöR 124(1999), 1/37f.

55 R. Liedtke, Wem gehört die Republik, ‘99,1998, S.455.

56 Geschäftsbericht RWE 1997/98, S.1.57 R. Liedtke, Wem gehört die Republik?,

S.557f.58 R. Liedtke, Wem gehört die Republik?,

S.557f.59 D. Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemei-

nes Verwaltungsrecht, 11.Aufl., 1998, § 2Rdnr. 84; W. Spannowsky, ZHR 160(1996), 560/572; E. Schmidt – Aßmann,Der Grundrechtsschutz gemischt – wirt-schaftlicher Unternehmen nach Art. 19Abs. 3 GG, BB 1990, Beilage Nr. 34,S.1/10ff.; konkret zu den Betreibern vonKernkraftwerken B. Stüer/S. Loges, Aus-stieg aus der Atomenergie zum Nulltarif?, NVwZ 2000, 9/10f., die sich bezeich-nenderweise auf die Behauptung be-schränken, es sei „überzeugender“, dengemischt – wirtschaftlichen Kraftwerks-betreibern die Grundrechtsfähigkeit zu-zusprechen. Ein Argument ist das nicht.

60 BVerfG, NJW 1990, 1783 – HEW; O. De-penheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,GG, 4.Aufl. 1999, Art.14 Rdnr.195; P.M.Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG,4. Aufl. 1999, Art. 19 III, Rdnr.292ff.

61 Zu den Argumenten H. J. Koch/A. Roß-nagel, NVwZ 2000, 1/2f.

62 H.J. Koch/A. Roßnagel, NVwZ 2000, 1/5f.63 W. Bayer/P.M. Huber, Rechtsfragen zum

Atomausstieg, Thesen 4 bis 6, 8; F. Os-senbühl, AöR 124 (1999), 1/28f.

64 So aber B. Stüer/S. Loges, NVwZ 2000,9/13; siehe BVerfGE 83, 201/211; P.M.Huber, WM 1998, 633/644f.; F. Ossen-bühl, AöR 124 (1999), 1/15f.

65 Dazu etwa W. Hoppe, Umsetzungen vonRichtlinien der EU durch normkonkreti-sierende Verwaltungsvorschriften? DieTechnische Anleitung Siedlungsabfall auf dem europarechtlichen Prüfstand, in: J. Ipsen/B. Stüer (Hrsg.), Öffentliche Ver-waltung in Europa, 1999, 5/20ff.; P.M.Huber, Die TA Siedlungsabfall und ihreBindungswirkung, 2000, S.28ff.

66 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.1.

67 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.24; ders., ZumGestaltungsspielraum des Landesgesetz-

gebers im Kreislaufwirtschaftsrecht, Thür-VBl 1999, 97/101f.

68 Grundlegend BVerfGE 61, 82/105 – Sas-bach.

69 BVerwGE 90, 96/101ff.; 97, 143/151; 100,388/391.

70 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.63f.

71 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.65.

72 Mit unterschiedlichen AkzentsetzungenH. Gaßner/W. Siederer, Zulässigkeit undVoraussetzungen von Abweichungen vonden Zuordnungswerten des Anhangs Bder TA Siedlungsabfall, 1997, S.71; H. D.Jarass, Inhalte und Wirkungen der TASiedlungsabfall, 1999, S.71; A. Schink,Rechtsfragen bei der Umsetzung der TASiedlungsabfall, Ms., 1997, S.90; P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall und ihreBindungswirkung, S.57 f.; siehe auchBVerwG, DVBl 1995, 516/517.

73 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.62ff.

74 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.70f.; A. Schink,Umsetzung der TA Siedlungsabfall durchVeränderung der Zulassungsbedingungenfür Deponien, DÖV 1998, 353/362; all-gemein F. Ossenbühl, AöR 124 (1999),1/39.

75 Eine „Enteignung“ kommt hier allerdingsnicht in Betracht. Die Einhaltung der Zu-ordnungswerte beseitigt nicht das Eigen-tum an der Deponie; sie verschärft nurdie Bedingungen, unter denen diese be-trieben werden darf.

76 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.71.

77 BVerfGE 50, 265/274; F. Ossenbühl, AöR124 (1999), 1/6; A. Schmehl, Genehmi-gungen unter Änderungsvorbehalt zwi-schen Stabilität und Flexibilität, 1998, S.101, 107.

78 P.M. Huber, Die TA Siedlungsabfall undihre Bindungswirkung, S.71f.

79 BVerfGE 98, 83/101ff.; 98, 106/121; U. di Fabio, Das Kooperationsprinzip –ein allgemeiner Rechtsgrundsatz desUmweltrechts, NVwZ 1999, 1153; P.M.Huber (Hrsg.), Das Kooperationsprinzipim Umweltrecht, 1999.

80 P. M. Huber, ThürVBl 1999, 97; auf Art.72 Abs. 2 GG stellt J. Lege, Koopera-tionsprinzip contra Müllverbrennung?,Jura 1999, 125/127, ab.

81 BVerfGE 98, 106/118f.82 Dazu BVerfGE 93, 121/138 – Vermögens-

steuerliche Behandlung von Grundver-mögen.

83 U. di Fabio, Das Kooperationsprinzip –

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Peter M. Huber62

ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Um-weltrechts, in: P.M. Huber (Hrsg.), a.a.O.,S.37/47ff., 50f.

84 Dazu U. Kischel, Systembindung des Ge-setzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124(1999), 174ff.; M. Jachmann, Steuerge-setzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, 2000, S. 25; P.Kirchhof, in: IFSt – Schrift Nr. 362, 1998, S.14/27.

85 Zu der Forderung R. Steinberg, Der öko-

logische Verfassungsstaat, S.147f.; H.Sendler, Wer gefährdet wen – Eigentumund Bestandsschutz den Umweltschutz –oder umgekehrt?, UPR 1983, 33/38.

86 R. Gröschner, a.a.O.; D. Murswiek, in:Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., 1999, Art. 20aRdnr. 13.

87 Aus der umfangreichen Literatur siehe etwa M. Jachmann, Verfassungsrecht-liche Grenzen der Besteuerung, 1996, S.24ff.

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1. Einleitung

Die Entstehung des Staates hat in einerlangen Geschichte unterschiedliche Er-klärungen gefunden. Für Heraklit warder Krieg der Vater der Dinge und derEntwicklungen. Von Rousseau stammtdie Theorie des Contrat social und fürHobbes stellt der Staat die einzige Mög-lichkeit dar, den Krieg aller gegen allezu verhindern. Hegel spricht von demErgebnis der Entwicklung einer objek-tiven Idee. Auf Morgan und Engels,welche von einem schützenden Dachfür die Gesamtgesellschaft gesprochenhaben, geht letztlich die marxistischeStaatstheorie zurück, welche besa-gen will, der Staat sei auf einer spätenStufe der ökonomischen Entwicklungentstanden, nämlich als Sippen- undStammeseigentum verschwanden undPrivat- bzw. Individualeigentum auf-kam. Letzteres, in Händen der besit-zenden Klasse, habe durch den Staatgegenüber den Besitzlosen geschütztwerden müssen.

Mit Recht wird u. a. von Uwe Wesel dieAuffassung vertreten, dass die Römerdie ersten waren, die das Eigentum ju-ristisch auf den Begriff gebracht haben.Sie haben das Eigentum definiert alsdie Zuordnung einer Sache einzig und

allein zu einer Person in der Weise,dass ausschließlich diese darüber völligfrei verfügen kann, und zwar unterLebenden und von Todes wegen. DieGarantie des Erbrechts im Verfassungs-recht ist, wenn man so will, die Fort-setzung der Eigentumsgarantie überden Tod hinaus, jedenfalls stehen,rechtsstaatlich gesehen, beide Garan-tien in einem unauflöslichen Zusam-menhang.

Das Eigentum ist zweifellos ein Institutdes Privatrechts, auch und insbeson-dere im Römischen Recht, wenngleichdort im Gegensatz zum geltendenRecht die öffentlichen Sachen als „resextra commercium“ behandelt wur-den. Die öffentlichen Sachen, nichtnur Gegenstände des Finanzvermö-gens, sondern auch solche des Verwal-tungsvermögens und die Sachen imGemeingebrauch sind heute durchausprivatrechtsfähig. Beschränkungen er-geben sich lediglich aus der öffent-lich-rechtlichen Zweckbindung, dieallerdings nach bestimmten Regelnaufgehoben werden kann. Die vonOtto Mayer mit großem Engagementvertretene Theorie eines öffentlichenoder öffentlich-rechtlichen Eigentumseben an öffentlichen Sachen, soweitVerfügungsberechtigung und Eigen-

Eigentum und Verwaltungsrecht

Zur Effizienz des Eigentumsschutzes

Harald Fliegauf

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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Harald Fliegauf64

tümer in der Hand ein und derselbenPerson liegen, hat sich nicht durch-gesetzt. Weder die Wissenschaft nochdie Rechtsprechung sind dem gefolgt.1

Der Eigentumsschutz, dessen Effizienzhier thematisiert wird, umfasst privatesEigentum wie Eigentum der öffentli-chen Hand gleichermaßen, wie bei-spielsweise das Grundvermögen vonKommunen oder des Staates selbst,beispielsweise in Planfeststellungsver-fahren und dergleichen.

2. Das private Eigentum, dieGrundrechtsgarantie und das Verwaltungsrecht

Das privatrechtliche Eigentum, wel-ches durch Art. 14 GG Verfassungsrangbesitzt, erfährt durch das Verwaltungs-recht einerseits eine Differenzierung,und andererseits wird es für dasselbeverfassungsrechtlich determiniert ent-sprechend der Aussage von Fritz Wer-ner, Verwaltungsrecht sei „konkreti-siertes Verfassungsrecht“, womit ebendie determinierende Dominanz desVerfassungsrechts, besonders der Grund-rechte wie Art. 1 und 3 und wieder-um Art. 14 im Besonderen gemeint waren. Damit verbunden ist eng dasrechtsstaatliche Prinzip des Vorrangsdes Gesetzes, der Gesetzmäßigkeit derVerwaltung, was bedeutet, dass Ein-griffe in Freiheit und eben in das Ei-gentum einer gesetzlichen Grundlagebedürfen. Entsprechend den Vorgabenin Art. 14 bestimmen dem Verwal-tungsrecht zuzuordnende Gesetze be-sonders Inhalt und Schranken desEigentums, konkretisieren, was mitdem Satz „Eigentum verpflichtet“ ge-meint ist wie auch dessen Gebrauch,der zugleich dem Wohl der Allgemein-heit dienen soll. Gesetze, welche Ent-

eignungen vornehmen oder zulassensowie Art und Ausmaß der Entschädi-gung regeln, gehören naturgemäß zumVerwaltungsrecht. Angemerkt sei, dassArt. 14 GG dem Art. 153 WeimarerReichsverfassung nachgebildet und in-haltlich mit diesem weitgehend iden-tisch ist.

Dem Verwaltungsrecht zuzuordnendeGesetze mit Relevanz für das Eigentumsind Legion. Darüber hinaus hat dieRechtsprechung in einer Vielzahl vonEntscheidungen Konturen für die So-zialpflichtigkeit des Eigentums ge-zeichnet.

Grundrechte mögen, wie der frühereBundesverfassungsrichter Böhmer zusagen pflegte, unbequem sein, unbe-quem insbesondere für die Verwal-tung, die auf einen Ausgleich zwischendem Individualrecht und den Gemein-wohlinteressen bedacht sein muss.Problematisch, nicht nur unbequemist die vielfach zu beobachtende ex-zessive Inanspruchnahme von Grund-rechten, nicht nur des Asylgrund-rechts, der Demonstrationsfreiheit undder Meinungs- und Kunstfreiheit, son-dern eben auch des Eigentumsrechtsnach Art. 14 GG. Man fühlt sich mit-unter an Max Stirner (Johann KasparSchmidt), „der Einzige und sein Eigen-tum“ erinnert, der einen hemmungs-losen und auf das Eigentum gegründe-ten Egoismus verbunden mit einerkategorischen Ablehnung von Staatund Gesellschaft propagiert hat.

Eine exzessive Inanspruchnahme desEigentumsgrundrechts in einem ver-waltungsrechtlichen Planfeststellungs-verfahren musste ich beispielsweisefeststellen, als vor etlichen Jahrenselbsternannte Naturschützer ein in

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Eigentum und Verwaltungsrecht 65

der Schnellbahntrasse Stuttgart-Mann-heim gelegenes „Sperrgrundstück“kauften, um eben auf Grundlage desEigentums die Planfeststellung zu be-kämpfen. Diesen Eigentümern ging esüberhaupt nicht um das Eigentum andem Grundstück, sondern sie wollten,wie der Bayerische Verwaltungsge-richtshof in einem parallel gelagertenFall richtig festgestellt hatte, ein Klage-recht erwerben. Dieses Verfahren en-dete erst nach Jahren mit einer Ent-scheidung des Bundesverwaltungs-gerichts, die aber nicht das Verhaltender selbsternannten Naturschützer alsmissbräuchlich qualifiziert, sonderndie Revision erst nach Sachprüfungzurückgewiesen hat. Zum Kernprob-lem hatte das Bundesverwaltungs-gericht leitsatzmäßig gesagt: „EineInteressengemeinschaft kann den ver-fassungsrechtlichen Eigentumsschutzauch dann im Klagewege geltend ma-chen, wenn sie nur vorübergehend einSperrgrundstück erworben hat.“ DieseAussage des Bundesverwaltungsge-richts habe ich, was beifällig aufge-nommen wurde, in einem Artikel inNVWZ 1991, S. 748 deutlich kritisiert.Man kann aus dieser bundesverwal-tungsgerichtlichen Entscheidung aller-dings auch folgern, dass der Eigen-tumsschutz extrem effizient ist.

3. Zum Umfang der Eigentums-garantie

Geschützt durch Art. 14 GG ist nichtnur das Sacheigentum, insbesonderedas Eigentum an Grund und Boden,sondern darüber hinaus beinhaltet derEigentumsbegriff fast alle vermögens-werten Rechte. Die verfassungsrecht-lichen Eigentumsgarantien umfassenseit langem unbestrittenermaßen ne-

ben dem Sacheigentum des BGB auch alle dinglichen Rechte, wieDienstbarkeiten, Reallasten, Hypo-theken, Grund- und Rentenschulden,Pfandrechte, das Wohnungseigentumund Wohnrechte, sowie alle Urheber-und Patentrechte (geistiges Eigentum)ferner alle vermögenswerten Mitglied-schaftsrechte wie Aktien, GmbH- undGenossenschaftsanteile und das Rechtam eingerichteten Gewerbebetrieb.

Bei öffentlich-rechtlichen Rechtspo-sitionen wird differenziert, auch wardie Rechtsprechung von BGH einer-seits und Bundesverfassungsgericht an-dererseits nicht einheitlich. Die herr-schende Meinung geht dahin, dassöffentlich-rechtliche Rechtspositionendann den Schutz des Art. 14 GG ge-nießen müssen, wenn sie mit einemerheblichen Aufwand an privater Ar-beit oder privatem Kapital erworbenworden sind. Danach können unterArt. 14 GG auch gewerbe- und wasser-rechtliche Konzessionen fallen, nichtaber beispielsweise Ansprüche aus derSozialhilfe.

4. Eigentumsrelevante Regelungen des besonderenVerwaltungsrechts

Maßnahmen aufgrund gesetzlicher Re-gelungen, die dem besonderen Verwal-tungsrecht zuzurechnen sind, könnenvielfach mit dem Eigentumsschutz kol-lidieren und stellen Eingriffe in dasEigentum oder eigentumsrechtlich ge-schützte Positionen dar, womit über dieZulässigkeit oder gar eine Entschädi-gungspflicht nichts ausgesagt sein soll.

Solche gesetzlichen Regelungen findensich insbesondere im Baurecht, und

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Harald Fliegauf66

zwar im Bauplanungsrecht ebenso wiein den bauordnungsrechtlichen Lan-desbauordnungen, vor allem hinsicht-lich des Nachbarrechts, hinsichtlichder Grenzabstände usw., im Verkehrs-recht, im Recht des landwirtschaft-lichen Grundstücksverkehrs, im Na-turschutzrecht wie etwa im Recht desImmissionsschutzes und des Wasser-rechtes, in Vorschriften, die im In-teresse der Landesverteidigung erlassenworden sind, beispielsweise im Bundes-leistungsgesetz, und vor allem auch inGesetzen, die Planfeststellungen fürVerkehrswege und dergleichen vorse-hen, wie das Fernstraßengesetz desBundes, aber auch die diversen Lan-desstraßengesetze. Eigentumsrelevantsind auch Umlegungen nach dem Bau-gesetzbuch und dem Flurbereinigungs-gesetz und in ganz erheblichem Maßedie in entsprechenden Gesetzen vor-gesehenen zweckbestimmten Enteig-nungen.

5. Inhalt und Schranken desEigentums – Sozialbindung

Auszugehen ist davon, dass nach herr-schender Auffassung in Literatur undRechtsprechung die Eigentumsgarantieein elementares Grundrecht darstellt,eine Wertentscheidung von besonde-rer Bedeutung ist, die dem Grund-rechtsträger einen Freiheitsraum imvermögensrechtlichen Bereich sichernund ihm damit eine eigenverantwort-liche Gestaltung des Lebens ermögli-chen soll. Sie steht mithin in engemZusammenhang mit der persönlichenFreiheit, was auch für die wirtschaftli-che Betätigungsfreiheit gilt. Unmittel-bar geltende Pflichten für den Eigen-tümer enthält die Regelung nicht,sondern sie sieht nur einen Auftrag an

den Gesetzgeber vor, dem Eigentümerdie im Interesse Dritter und der All-gemeinheit gebotenen Schranken zusetzen.

Damit ist die Ausgangssituation ge-kennzeichnet, auf deren Grundlagedas Bundesverfassungsgericht heraus-gestellt hat, dass Art. 14 zwei unter-schiedliche Garantiebereiche umfasse,nämlich die Inhalts- und Schranken-bestimmung, die sog. Eigentumsbin-dung durch den Gesetzgeber einerseitsund die sonstigen Eigentumsbeein-trächtigungen ohne Enteignungscha-rakter andererseits. Die Eigentumsbin-dung besteht in der generellen undabstrakten Festlegung von Rechtenund Pflichten durch den Gesetzgeberhinsichtlich solcher Rechtsgüter, dieals Eigentum zu qualifizieren sind. Esgeht dabei um die Normierung objek-tivrechtlicher Vorschriften, welche denInhalt des Eigentums ab Inkrafttretendes jeweiligen Gesetzes für die Zukunftin allgemeiner Form bestimmen.2

Eigentumsbindend sind alle mög-lichen Rechtsvorschriften, beispiels-weise Bebauungspläne oder Natur- und Landschaftsschutzregelungen. DieGrenze der Zulässigkeit einer Eigen-tumsbindung ist dort zu suchen, wodie Bindung in eine Enteignung um-schlägt. Erforderlich ist eine Rechts-norm, die dem Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit Rechnung zu tragen hat.Die Bindung darf den Eigentümernicht mehr beeinträchtigen, als es dergesetzgeberische Zweck erfordert. Esdarf keine mildere Alternative gegebensein. Der Gesetzgeber hat dabei eineAbwägung zu treffen, wobei insbeson-dere Intensität, Schwere und Tragweiteder Eigentumsbeeinträchtigung eineRolle spielen, ferner bei Beeinträch-tigungen von Grundeigentum – meis-

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Eigentum und Verwaltungsrecht 67

tens geht es ja darum – auch die Situa-tionsgebundenheit. Entsprechend derherrschenden Auffassung in Literaturund Rechtsprechung reicht die Befug-nis des Gesetzgebers zur Inhalts- undSchrankenbestimmung umso weiter, jemehr das Eigentumsobjekt in einemsozialen Bezug und in einer sozialenFunktion steht.3 Dies bedeutet etwa,dass das Gebot einer am Gemeinwohlorientierten Eigentumsnutzung Pflich-ten zur Rücksichtnahme auf Nichtei-gentümer, beispielsweise Mieter, bein-haltet. Ein abwägungsrelevanterGesichtspunkt ist auch das Prinzip desVertrauensschutzes.

Gewisse Schwierigkeiten bereitet dieFeststellung und Analyse der vom Bun-desverfassungsgericht herausgestelltenEigentumsbeeinträchtigungen ohneEnteignungscharakter. Es geht dabeium faktische und mittelbare Einwir-kungen auf das Eigentum, beispiels-weise um den Schutz gegen indirekteBeeinträchtigungen, wie sie etwa dieErteilung einer Genehmigung an einenDritten darstellen kann, welche fürden Drittbetroffenen nachteilige Wir-kungen hat.

Was die Sozialbindung des Eigentums(Art. 14 Abs. 2 GG „Eigentum ver-pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleichdem Wohl der Allgemeinheit die-nen.“) anbelangt, wird zu Recht auf dieunscharfe Fassung dieser Rege-lung hingewiesen (Roman Herzog). ZuRecht wird auch bemängelt, dass da-nach der Umfang der Sozialbindungschwierig zu ermitteln ist. Ein Kernbe-reich der Regelung wird darin gesehen,dass eine Eigentumsausübung, die ein-zig und allein auf die Schädigung desAllgemeinwohls oder eines Einzelnenabzielt, von Art. 14 nicht geschützt

wird. Hinzuweisen ist in diesem Zu-sammenhang darauf, dass Art. 18 GGvorsieht, dass das Eigentum aberkanntwerden kann, wenn es zum Kampfgegen die freiheitlich-demokratischeGrundordnung missbraucht wird.Außerhalb eines solchen sehr engenKernbereichs kann die Sozialbindungnicht unmittelbar aus dem Verfas-sungstext abgeleitet werden, sondernbedarf der Konkretisierung durch dasGesetz. Zu Recht sagt Roman Herzog,es handle sich hier um die Bestim-mung von Inhalt und Schranken desEigentums, wie sie in Art. 14 Abs. 1Satz 2 GG dem Gesetzgeber als Aufga-be übertragen ist, wonach zu folgernist, dass die Grenze zwischen der Be-stimmung von Inhalt und Schrankendurch Gesetze und einer Sozialbin-dung fließend ist, was wiederum be-deutet, dass eine exakte Zuordnungzum einen oder anderen Bereich oft-mals schwer möglich ist. Forsthoffhatte bereits die Auffassung vertreten,„die Sozialgebundenheit ist eine dermit dem Grundgesetz aufgerichtetenRechtsordnung immanenten Schran-ken des Eigentums,“ ferner, „die Gren-ze der Sozialgebundenheit hat sich mitder allgemeinen Staatsstruktur ver-ändert.“ Abgrenzungen sind mehroder weniger nur im Einzelfall mög-lich. Dementsprechend hat sich einekasuistische Rechtsprechung ent-wickelt. Fälle bzw. Tatbestände vonverfassungskonformen Beeinträchti-gungen ohne Entschädigung, – auf dieim weiteren hier nicht eingegangenwerden soll, – sind beispielsweise auch:

● Beschränkungen der Außen-werbung,

● Baugebote,● die rechtswidrige Versagung einer

Baugenehmigung,

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Harald Fliegauf68

● Nutzungsbeschränkungen nachUmweltrecht,

● die Einrichtung von Fußgänger-zonen,

● die Erschwerung der Grundstücks-zufahrt durch die Verlegung einerStraße,

● ein Anschluss- und Benutzungs-zwang, auch wenn er zur Aufgabeeines bestehenden Betriebes zwingt,

● Regelungen zur Sperrzeit,● das Verbot der Zweckentfremdung

von Wohnraum u. dgl.

Als unzulässig werden dagegen angese-hen: Abgaben, die erdrosselnd bzw.konfiskatorisch wirken, also Abgaben,die den Pflichtigen übermäßig belas-ten und seine Vermögensverhältnissegrundlegend beeinträchtigen.4

5.1 Der Eigentumsbegriff des BGBund dessen Schranken

Eine liberalistische Eigentumsauffas-sung, die noch im 19. Jahrhundert ver-treten wurde, sah im Eigentum einRecht auf Gebrauch, Genuss und sogarMissbrauch. Das BGB wurde in diesem19. Jahrhundert konzipiert, so dassnicht überraschen kann, dass nachdessen § 903 der Eigentümer einerSache mit dieser nach Belieben verfah-ren und andere von jeder Einwirkungausschließen kann. Eingeschränkt istdiese Befugnis allerdings, „soweit nichtdas Gesetz oder Rechte Dritter entge-genstehen.“ Eine Einschränkung be-deutet auch die Notstandsregelung des§ 904, wonach der Sacheigentümernicht berechtigt ist, die Einwirkungeines anderen auf seine Sache zu ver-bieten, wenn die Einwirkung zur Ab-wendung einer gegenwärtigen Gefahrnotwendig und der drohende Schaden

gegenüber dem aus der Einwirkungdem Eigentümer entstehenden Scha-den unverhältnismäßig groß ist. Inentsprechenden Fällen ist der Eigen-tümer allerdings schadensersatzbe-rechtigt. Einschränkend ist auch dieRegelung des § 905, wo zwar geregeltist, dass das Recht des Eigentümers ei-nes Grundstücks sich auf den Raumüber der Oberfläche und auf den Erd-körper unter der Oberfläche erstreckt,der Eigentümer jedoch Einwirkungennicht verbieten kann, die in solcherHöhe oder Tiefe vorgenommen wer-den, dass er an der Ausschließung„kein Interesse hat.“ Von den nachfol-genden in erster Linie nachbarrechtli-chen Regelungen seien erwähnt § 912betreffend die Pflicht zur Duldung ei-nes schuldlos oder nur leicht fahrlässiggetätigten Überbaus, das Notwege-recht in §§ 917 und 918 und die Ver-pflichtungen hinsichtlich notwendigerGrenzabmarkungen in §§ 919 und920.

5.2 Inhaltsbestimmungen und Eigentumsschranken in Verwaltungsgesetzen

Das „Belieben“ erfährt durch besonde-res Verwaltungsrecht viele wichtigeund einschneidende Einschränkungen.Betrachtet man beispielsweise die Bau-freiheit als Ausfluss des Eigentums, soist diese Nutzung eben nur gewähr-leistet, wenn das Grundstück nachöffentlichem Recht bebaubar ist: Esmüssen die Voraussetzungen des Bau-gesetzbuchs (beplantes Gebiet, also Be-legenheit innerhalb eines Bebauungs-plans, oder Baulücke innerhalb einesbaulichen Zusammenhangs) der je-weiligen Landesbauordnung und örtli-cher Vorschriften erfüllt sein. Sonstige

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Grundstücksnutzungen incl. gewisserbaulicher Veranstaltungen können bei-spielsweise durch natur- und/oderlandschaftsschutzrechtliche Rechts-normen ausgeschlossen sein. Nutzun-gen, die rechtmäßig bereits verwirk-licht wurden, genießen insoweit al-lerdings Bestandsschutz. So kann bei-spielsweise die landwirtschaftlicheNutzung eines Grundstücks im Natur-schutz- oder Landschaftsschutzgebietaufrecht erhalten werden. Auf eigen-tumsrelevante Regelungen des Flur-bereinigungsrechts wie der diversenPlanfeststellungsgesetze wurde bereitshingewiesen.

Exemplarisch für verwaltungsrecht-liche Beschränkungen des Eigentums-rechts ist vor allem das Städtebaurechtdes Baugesetzbuchs. Als Grundsatz istin § 1 BauGB festgelegt, dass Aufgabeder Bauleitplanung ist, die baulicheund sonstige Nutzung der Grund-stücke in der Gemeinde nach Maßgabedieses Gesetzbuchs vorzubereiten undzu leiten, was nichts anderes bedeutet,als dass es sich hier eben um ein Ge-setz handelt, welches Inhalt undSchranken des Eigentums bestimmt(Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). So regelt derfür das gesamte Gemeindegebiet auf-zustellende Flächennutzungsplan, wel-che Flächen für eine Bebauung vor-gesehen sind, welche dem Verkehrdienen sollen, welche Flächen alsGrünflächen, Wasserflächen oder fürLandwirtschaft und Wald vorgehaltenwerden. Der in den §§ 8 – 10 BauGBgeregelte Bebauungsplan als verbind-licher Bauleitplan kann enthalten undenthält in aller Regel Festsetzungenüber die Art und das Maß der bauli-chen Nutzung, die Bauweise, überbau-bare und nicht überbaubare Grund-stücksflächen, die Stellung baulicher

Anlagen, über die Größe, Breite undTiefe der Baugrundstücke und Min-destmaße sowie Flächen für Nebenan-lagen, womit die wichtigsten Ein-schränkungen des „Beliebens“ genanntseien. Es kann keinem vernünftigenZweifel unterliegen, dass mit derarti-gen Festsetzungen in das Eigentumund mithin die Verfügungsbefugnisdes Grundstückseigentümers eingegrif-fen wird, jedoch geschieht dies ebenauf Grund von gesetzlichen Bestim-mungen. Der Zweite Teil des Bauge-setzbuchs mit den §§ 14 – 28 trägt dieÜberschrift „Sicherung der Bauleitpla-nung“. Zwecks dieser Sicherung istzulässig die Anordnung einer Verände-rungssperre für das Plangebiet durchSatzung (§ 14 und § 16), die Einführungder Genehmigungspflicht für Teilun-gen von Grundstücken im Geltungs-bereich eines Bebauungsplans eben-falls durch Satzung (§ 19), und wie-derum durch Satzung kann die Ge-meinde für sich selbst Vorkaufsrechtean unbebauten Grundstücken imGeltungsbereich eines Bebauungsplansund sogar in Gebieten, „in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Be-tracht zieht“, begründen (§§ 24, 25).

Dass es sich hierbei um mehr oderweniger gravierende Eingriffe in dasEigentumsrecht handelt, ist klar. ImFall der Veränderungssperre wird diesdadurch besonders deutlich, dass nach§ 18 BauGB den Betroffenen für durchdie Sperre entstandene Vermögens-nachteile eine angemessene Entschädi-gung in Geld zu leisten ist, sofern dieVeränderungssperre länger als 4 Jahreandauert. Zur Entschädigung ist diebetreffende Gemeinde verpflichtet.Kommt eine Einigung über die Ent-schädigung nicht zustande, entschei-det die höhere Verwaltungsbehörde.

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Vermögensnachteile liegen insbeson-dere dann vor, wenn eine Wertminde-rung eingetreten ist. Der Bundesge-richtshof hat schon früh (DVBl 60, 27)eine Veränderungssperre von 3 Jahrenbereits als entschädigungspflichtigenEingriff angesehen. In der Literatur(Schlez, BauGB, Rdnr. 6 zu § 19) wirddie Meinung vertreten, dass die Rege-lung in § 18 mit Art. 14 GG jedenfallsnicht zweifelsfrei vereinbar sei.

Die Versagung einer Teilungsgenehmi-gung beeinträchtigt sicherlich auchdas Eigentumsrecht. Eine Entschädi-gung insoweit ist jedoch nicht vorge-sehen.

Durch die Ausübung der dargestelltengemeindlichen Vorkaufsrechte ent-steht dem Verkäufer praktisch keinVermögensnachteil, jedoch könneneinem Käufer, für den vor der Begrün-dung des gemeindlichen Vorkaufs-rechtes ein Vorkaufsrecht eingetragenwar, Vermögensnachteile entstehen.Insoweit ist die Gemeinde nach § 28Abs. 6 BauGB entschädigungspflichtig.

Der Eingriffscharakter städtebaulicherRegelungen des Baugesetzbuches wirdbesonders deutlich, wenn es zu der imallgemeinen notwendigen Umlegungzwecks Durchführung eines Bebau-ungsplans auf Grund der §§ 45 ff.BauGB kommt. Nach § 45 Abs. 1BauGB können im Geltungsbereicheines Bebauungsplans ebenso wie imZusammenhang bebauter Ortsteile„zur Erschließung oder Neugestaltungbestimmter Gebiete bebaute und un-bebaute Grundstücke durch Umlegungin der Weise neu geordnet werden,dass nach Lage, Form und Größe fürdie bauliche oder sonstige Nutzungzweckmäßig gestaltete Grundstücke

entstehen“. Umlegung bedeutet (§ 55BauGB), dass die im Umlegungsgebietgelegenen Grundstücke nach ihrerFläche rechnerisch zu einer sog. Um-legungsmasse vereinigt werden, ausder vorweg Flächen auszuscheidensind, die der Gemeinde zwecks Anlageörtlicher Verkehrsflächen wie Straßen,Wege sowie Fuß- und Wohnwege undPlätze für Sammelstraßen Flächen fürParkplätze, Grünanlagen, Kinderspiel-plätze etc. auszuscheiden sind unddass erst die danach verbleibende Mas-se die Verteilungsmasse ist, an der die beteiligten Grundstückseigentümerwieder zu berücksichtigen sind, d.h.eine Zuteilung erhalten. Dass es sichhierbei um die Entziehung von Eigen-tum, Grundeigentum, handelt, kannnicht bezweifelt werden und daran än-dert auch der vorgesehene Ausgleichnichts. Literatur (so schon Forsthoff, S. 283) und Rechtsprechung habendafür den Begriff „Umformung desGrundeigentums“ gefunden. Dies än-dert nichts daran, dass es sich faktischhier aus der Sicht des einzelnenGrundstückseigentümers vielfach umeinen Zwangstausch handelt in derRegel verbunden mit einem Flächen-abzug.

Grundlage dieser „Umformung“ ist deraus einer Umlegungskarte und demUmlegungsverzeichnis entstehendeUmlegungsplan (§ 66). Er ist den Be-teiligten zuzustellen (§ 70), außerdemöffentlich bekannt zu machen (§ 69),und mit der Bekanntmachung tritt derneue Rechtszustand ein (§ 72), was be-deutet, dass das Eigentum auf die neu-en Eigentümer jeweils übergeht. Eineweitere Wirkung der Bekanntmachungist, dass die neuen Eigentümer auch inden Besitz der zugeteilten Grundstückeeingewiesen werden, was die Gemein-

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de erforderlichenfalls mit den Mittelndes Verwaltungszwangs durchzusetzenhat.

Selbstverständlich können Verwal-tungsakte, die in einem Umlegungs-verfahren ergehen, gemäß § 217 Abs. 1BauGB gerichtlich angefochten wer-den. Das zulässige Rechtsmittel ist derAntrag auf gerichtliche Entscheidung,der beim Landgericht (Kammer fürBaulandsachen) einzulegen ist, das inder Besetzung von 2 Richtern desLandgerichts und einem hauptamtli-chen Verwaltungsrichter entscheidet.Zuvor, denn der Bebauungsplan istGrundlage einer Umlegung, könnenauch die das Grundeigentum be-schränkenden Festsetzungen eines Be-bauungsplanes gerichtlich angefoch-ten werden. Das zulässige Rechtsmittelist der Normenkontrollantrag gemäß §47 VwGO zum Oberverwaltungsge-richt (Verwaltungsgerichtshof). Hieraufwird zurückzukommen sein.

Zum Flurbereinigungsrecht

Exemplarisch kann auch auf die Maß-nahmen in der Flurbereinigung aufGrund des Flurbereinigungsgesetzesverwiesen werden. Aufgabe der Flurbe-reinigung ist nach § 37 FlurBG, das be-treffende Gebiet unter Beachtung derjeweiligen Landschaftsstruktur neu zugestalten, und zwar so, wie es den ge-geneinander abzuwägenden Interessender Beteiligten sowie den Interessender allgemeinen Landeskultur undLandesentwicklung entspricht und wiees das Wohl der Allgemeinheit erfor-dert. Dabei ist die Feldmark neu einzu-teilen und zersplitterter oder unwirt-schaftlich geformter Grundbesitz nachneuzeitlichen betriebswirtschaftlichen

Gesichtspunkten zusammenzulegenund nach Lage, Form und Größezweckmäßig zu gestalten. Auch hiersind Wege, Straßen und Gewässer ein-zubeziehen, und auch hier haben dieBeteiligten, dies sind in erster Linie dieGrundstückseigentümer (§ 10 Ziff. 1)ihre Grundstücke einzuwerfen underhalten dann nach Abzug einesFlächenbeitrags für gemeinschaftlicheund öffentliche Anlagen für ihreGrundstücke eine Abfindung in Landvon gleichem Wert. Der schließlich zu erlassende Flurbereinigungsplan hat konstitutive Wirkung (§ 58, nach Abs. 4, die Wirkung einer Gemeinde-satzung) und ist nach Unanfechtbar-keit Grundlage für Ausführungsanord-nungen (§ 61). Auch Verwaltungsakte,die in der Flurbereinigung ergehen,sind gerichtlich anfechtbar und zwarbei den Flurbereinigungsgerichten, dieals besonderer Senat für Flurbereini-gung bei dem obersten Verwaltungs-gericht (OVG oder VGH) eines jedenLandes eingerichtet sind (§ 138). DieZusammensetzung der Flurbereini-gungssenate ist in § 139 Flurbereini-gungsgesetz geregelt.

Einen Sonderfall der Flurbereinigungstellt die sog. Unternehmensflurberei-nigung nach § 87 des Gesetzes dar. Istaus besonderem Anlass eine Enteig-nung zulässig, von der eine Vielzahlvon Grundstücken betroffen werdensollen, so kann auf Antrag der Enteig-nungsbehörde ein Flurbereinigungs-verfahren eingeleitet werden, zumalwenn der den Betroffenen entstehendeLandverlust auf einen größeren Kreisvon Eigentümern verteilt wird. Einmarkantes und bekannt gewordenesBeispiel für eine Unternehmensflur-bereinigung ist das Verfahren zwecksAnsiedlung einer Teststrecke der Firma

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Mercedes-Benz im Raume Boxberg.Diese Unternehmensflurbereinigungwar zunächst vom VGH Baden-Würt-temberg und vom Bundesverwaltungs-gericht bestätigt worden. Erst aufVerfassungsbeschwerde des sog. Bund-schuh (Vereinigung einer Minderheitvon Eigentümern und auch selbster-nannten Naturschützern) hat das Bun-desverfassungsgericht im sog. Boxberg-Urteil vom 24.03.1987 (NJW 1987,1251) diese Unternehmensflurbereini-gung aufgehoben. Entscheidend fürdas Bundesverfassungsgericht war, dasshier eine Enteignung im Interesseeines privaten Unternehmens hättestattfinden sollen, während nach Art.14 Abs. 3 Enteignungen grundsätzlich„nur zum Wohle der Allgemeinheitzulässig“ sind.

Denkmalschutz nach Landesrecht

Beschränkungen seines Eigentumsmuss auch derjenige hinnehmen, derEigentümer eines denkmalgeschütztenObjektes ist. Entschädigungen werdengrundsätzlich nicht gewährt, wenn essich um Maßnahmen handelt, die ent-sprechend gesetzlichen Vorgaben In-halt und Schranken des Eigentumsfestlegen.

Bei Eigentumsbeschränkungen erheb-licher Art hatten es das Bundesver-waltungsgericht und der Bundes-gerichtshof für zureichend erachtet,wenn Ausgleichsregelungen getroffenworden waren. Damit hat das Bundes-verfassungsgericht in einer Entschei-dung vom 02.03.1999 – AZ: 1 BvL 7/91– gebrochen. Es hat eine Vorschrift desrheinland-pfälzischen Denkmalschutz-und Denkmalpflegegesetzes (Art. 13Abs. 1 Satz 2), wonach Denkmäler nur

bei übergeordnetem öffentlichem In-teresse abgebrochen werden dürfen,ohne Rücksicht auf die Interessen desDenkmaleigentümers für unvereinbarmit der Eigentumsgarantie des Grund-gesetzes bezeichnet. Es müsse insbe-sondere bei einer Neuregelung, welchedas Bundesverfassungsgericht demLandesgesetzgeber bis Ende des Jahres2001 aufgegeben hat, berücksichtigtwerden, ob dem Eigentümer zugemu-tet werden könne, das Denkmal aufseinem Grundstück zu behalten. Vor-gelegt hatte den konkreten Fall dasOberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, welches gar die Auffassung ver-treten hatte, die Versagung der Ab-bruchsgenehmigung stelle eine Enteig-nung dar, wogegen das Bundesverfas-sungsgericht meint, es handle sich umeine Beschränkung des Eigentums.

Auch daraus erhellt, dass die Grenzenzwischen Sozialbindung, gesetzlicherInhaltsbegrenzung und Schranken hierund der Enteignung dort fließend sind.

Planfeststellungen

Planfeststellungen erfolgen

● nach den Straßengesetzen der Län-der,

● nach dem Bundeswasserstraßenge-setz,

● nach dem allgemeinen Eisenbahn-gesetz und

● nach dem Bundesfernstraßengesetz,

um wichtige Gesetzeswerke beispiel-haft zu nennen. Gemeinsam ist diesenVorschriften, dass die jeweilige Plan-feststellung konstitutive und das Pri-vateigentum beeinträchtigende Wir-kungen entfaltet. Exemplarisch soll das

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Bundesfernstraßengesetz kurz beleuch-tet werden, nach welchem Bundes-fernstraßen nur gebaut oder geändertwerden dürfen, wenn der Plan vorherfestgestellt worden ist (§ 17). DiesePlanfeststellung, mit welcher zunächsteinmal über Privateigentum verfügtwird, ist denn auch die Grundlagedafür, dass erforderlichenfalls bei Wei-gerung von Eigentümern oder Besit-zern die zuständige Enteignungsbe-hörde den Träger der Straßenbaulast inden Besitz benötigter Grundstücke ein-weisen kann. Das Enteignungsrechtsteht den Trägern der Straßenbaulastder Bundesfernstraßen zu. Eine Enteig-nung ist zulässig, soweit sie zur Aus-führung eines nach § 17 festgestelltenoder genehmigten Bauvorhabens not-wendig ist (§ 19). Die Entschädigungund insbesondere das Entschädigungs-verfahren sind im § 19 a geregelt.

Eigentumsbeschränkend sind die Re-gelungen im § 9 Fernstraßengesetz,wonach Hochbauten jeder Art in einerEntfernung bis zu 40 m bei Bundes-autobahnen und bis zu 20 m bei Bun-desstraßen außerhalb geschlossenerOrtschaften nicht errichtet werdendürfen. Eigentumsbeschränkend sindauch die nach § 9 a möglichen Verän-derungssperren für den Bereich vonPlanungen und das in Abs. 6 geregeltegesetzliche Vorkaufsrecht. Auch hiermüssen, sofern die Veränderungssperrelänger als 4 Jahre andauert, betroffe-nen Eigentümern Entschädigungen inGeld geleistet werden (§ 9 a).

6. Enteignung

Nach einer gängigen Definition ver-steht man unter Enteignung jede überdie allgemeinen gesetzlichen Schran-

ken hinausgehende Entziehung oderBeschränkung des Eigentums oder son-stiger privater Vermögensrechte durchdie öffentliche Gewalt, durch die dem Einzelnen ein besonderes Opferzugunsten der Gemeinschaft abver-langt wird. Erinnern wir uns, dass dasGrundgesetz eine Enteignung nur aufgesetzlicher Grundlage und nur gegenEntschädigung zulässt.

Das Recht der Enteignung, oder besserder Enteignungen, ist nicht einheit-lich, sondern weist je nach Objekt,Zweck und Umständen Unterschied-lichkeiten auf und ist auch insofernzersplittert, als nicht nur in den Spezialgesetzen, deren DurchsetzungEnteignungen erforderlich machenkönnen, unterschiedliche Regelungengetroffen werden. Es gibt danebennämlich auch landesrechtliche Rege-lungen, sog. Enteignungsgesetze, aufdie teilweise in den Spezialgesetzenwieder verwiesen wird. Über die diver-sen Enteignungen entscheiden Verwal-tungsbehörden, desgl. über fällig wer-dende Entschädigungen. Des weiterengreift dann eine zweispurige Regelung,nämlich insofern, als über die Enteig-nung als solche im Wege des gerichtli-chen Rechtsschutzes die Verwaltungs-gerichte zu befinden haben, währendüber die Höhe der Entschädigung, wiedies im Grundgesetz (Art. 14 Abs. 3Satz 4) unmittelbar geregelt ist, dieordentlichen Gerichte zu befindenhaben.

Bestimmungen über die Enteignung,deren Voraussetzungen, das Verfahren,Art und Umfang der Entschädigungund sonstige Detailfragen enthaltenbeispielsweise das Bundesfernstraßen-gesetz, das Baugesetzbuch, das Luftver-kehrsgesetz und das Reichssiedlungs-

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gesetz aus dem Jahre 1919. Danebengibt es landesrechtliche Regelungen,wie beispielsweise die Landesstraßen-gesetze, in denen Enteignungen zuge-lassen werden und geregelt sind.

Exemplarisch sei kurz auf die Enteig-nungs- und Entschädigungsbestim-mungen des Baugesetzbuchs eingegan-gen.

6.1 Enteignungsbestimmungen imBauGB

Die Grundsatzregelung enthält § 85,wonach „nur“ enteignet werden kann,um entsprechend den Festsetzungendes Bebauungsplans ein Grundstück zunutzen oder eine solche Nutzung vor-zubereiten, unbebaute Grundstückezur Schließung von Lücken in An-spruch zu nehmen und auch Grund-stücke für die Entschädigung in Landzu beschaffen und im Zusammenhangdamit durch Enteignung entzogeneRechte durch neue Rechte zu ersetzen.Dies sind jedenfalls die wesentlichenVoraussetzungen.

Gegenstand der Enteignung (§ 86) istin erster Linie das Eigentum an Grund-stücken, aber auch dessen Belastung,der Entzug anderer Rechte an Grund-stücken, wozu neuerdings auch zäh-len: die Rückübertragungsansprüchenach dem Vermögensgesetz in denneuen Bundesländern.

Zulässig ist die Enteignung (§ 87) nur,wenn das Wohl der Allgemeinheit sieerfordert und der Enteignungszwecknicht auf andere zumutbare Weise (et-wa freihändiger Erwerb) nicht erreichtwerden kann. Letzteres wird in einemzweiten Absatz ausdrücklich gesagt.

Interessant ist die Regelung in § 90,wonach Grundstücke enteignet wer-den können, um anderen enteignetenGrundstückseigentümern eine Ent-schädigung in Land (Ersatzland) ge-währen zu können. Diese Regelungsteht in Zusammenhang mit § 100,wonach auf Antrag des EigentümersEntschädigung in geeignetem Ersatz-land festzusetzen ist, wenn dieser zurSicherung seiner Berufs- oder Erwerb-stätigkeit auf Ersatzland angewiesenist. Dies wird vor allen Dingen zu-treffen, was auch die bisherige Praxisbelegt, wenn Landwirte bzw. derenGrundstücke in größerem Umfang füreine Landbeschaffung in Anspruch ge-nommen worden sind.

Die Enteignung ist aber stets ultimaratio.

6.2 Entschädigungsgrundsätze –Entschädigung nach BauGB

Wenn, wie in der Literatur ausgeführtwird, die Enteignung eine Umwand-lung der Eigentumsgarantie in eine Ei-gentumswertgarantie darstellt, kommtder Entschädigung zentrale Bedeutungzu. So regelt denn auch das Grundge-setz, dass eine Enteigung nur gegenEntschädigung zulässig ist. Sie darf nurdurch Gesetz oder auf Grund eines Ge-setzes erfolgen, das Art und Ausmaßder Entschädigung regelt (sog. Junk-timsklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2GG). Ein Enteignungsgesetz bzw. dieErmächtigung dazu ohne Junktims-klausel wäre eindeutig verfassungs-widrig.

Nachzutragen wäre, dass auch ein sog.Enteignungsvertrag nach Eröffnungdes Enteignungsverfahrens für zulässig

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erachtet wird, in dem neben dem Ei-gentumsverzicht des Grundstücks-eigentümers auch Art und Umfang derEntschädigung geregelt werden.

Die für das Baugesetzbuch gelten-den Entschädigungsgrundsätze enthält§ 93. Danach wird die Entschädigunggewährt für den durch die Enteignungeintretenden Rechtsverlust sowie fürandere durch die Enteignung eintre-tende Vermögensnachteile. Zu beach-ten ist hier wie stets, dass nach Art. 14Abs. 3 Satz 3 die Entschädigung untergerechter Abwägung der Interessen derAllgemeinheit und der Beteiligten zubestimmen ist. Konkret sagt § 93 Abs.4 BauGB, dass für die Bemessung derEntschädigung der Zustand des Grund-stücks in dem Zeitpunkt maßgebendist, in dem die Enteignungsbehördeüber den Enteignungsantrag entschei-det. Entschädigungsberechtigt ist derBetroffene, zur Leistung der Entschädi-gung ist der Enteignungsbegünstigteverpflichtet (§ 94 Abs. 2). Eine weitereKonkretisierung der Höhe der Ent-schädigung beinhaltet § 95, wonachfür die Bemessung der Verkehrswertdes Grundstücks bzw. des Enteignungs-gegenstandes maßgeblich ist. Der Ver-kehrswert wird durch den Preis be-stimmt, der in dem Zeitpunkt, auf densich die Ermittlung bezieht, im ge-wöhnlichen Geschäftsverkehr nachden rechtlichen Gegebenheiten undtatsächlichen Eigenschaften etc., nachder Lage des Grundstücks beispiels-weise und ohne Rücksicht auf unge-wöhnliche oder persönliche Verhält-nisse zu erzielen wäre (§ 194).

Regelmäßig wird die Enteignungsent-schädigung in Geld gewährt. Es wurdejedoch schon darauf hingewiesen, dassin besonderen Fällen auch auf Antrag

die Entschädigung in Form von Ersatz-land gewährt werden muss.

7. Eigentums-Rechtsschutz

Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht demjeni-gen, der durch die öffentliche Gewaltin seinen Rechten verletzt wird, derRechtsweg offen. Er hat danach An-spruch auf gerichtlichen Rechtsschutz.Hilfsweise ist der ordentliche Rechts-weg eröffnet, der laut präziser Rege-lung des Art. 19 Abs. 3 Satz 4 GG aus-drücklich und generell für Streitig-keiten um die Höhe der Entschädigunggegeben ist.

Nachdem in der BundesrepublikDeutschland längst eine umfänglicheVerwaltungsgerichtsbarkeit mit mehre-ren Instanzen etabliert ist, haben dieVerwaltungsgerichte über die Recht-mäßigkeit von Enteignungen und ei-gentumsbeschränkenden Maßnahmenzu entscheiden; insoweit ist ein beson-derer Rechtsweg eröffnet. Auf diese„Zweispurigkeit“ wurde bereits hinge-wiesen.

Der Grundrechtscharakter der Eigen-tumsgarantie bedingt bzw. bewirkt,dass gemäß § 93 Abs. 1 Ziff. 4 a GG inVerbindung mit § 13 Ziff. 8 a BVerfGGnach Erschöpfung des Rechtswegsauch noch das Bundesverfassungsge-richt im Wege der Verfassungsbe-schwerde mit der Behauptung einerGrundrechtsverletzung angerufen wer-den kann.

Auf die Sonderregelungen hinsichtlicheiner Anfechtung von Maßnahmen imUmlegungsbereich nach dem Bundes-baugesetz sowie nach dem Flurbereini-gungsgesetz wurde bereits hingewiesen.

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Enteignungsverfügungen der dafür zuständigen Behörden sind mit dersog. Anfechtungsklage bei den Verwal-tungsgerichten (1. Instanz) gerichtlichangreifbar, wobei eine Rechtsverlet-zung zu behaupten ist (§§ 40, 42 und45 VwGO). Vorauszugehen hat derKlageerhebung in aller Regel ein Wi-derspruchsverfahren (Vorverfahren)nach §§ 68 ff. VwGO, das durch einen zurückweisenden Bescheid ab-geschlossen wurde.

Gegen Urteile der Verwaltungsgerichteist das Rechtsmittel der Berufung statt-haft, ein Berufungsverfahren wird in-dessen nur durchgeführt, wenn dasOVG (VGH) auf Antrag die Berufungzugelassen hat (§§ 124, 124 a VwGO).Die Zulassungsgründe (grundsätzlicheBedeutung, Divergenz etc.) beinhaltenstrenge Anforderungen, und die Zu-lassungspraxis der Oberverwaltungs-gerichte ist seit dem Inkrafttreten dersog. 6. Novelle zur VwGO, welche dieZulassungsberufung und auch die Zu-lassungsbeschwerde eingeführt hat,eher restriktiv.

Gegen ein zweitinstanzliches Urteil, al-so eine Entscheidung des OVG (VGH),so es dazu kommt (wenn die Berufungerst einmal zugelassen worden war), istdas Rechtsmittel der Revision zumBundesverwaltungsgericht statthaft.Sie findet statt, wenn sie vom OVGselbst oder auf Beschwerde vom Bun-desverwaltungsgericht zugelassen wur-de (§§ 132, 133, 137 VwGO) und wenndie Verletzung von Bundesrecht gel-tend gemacht wird.

Außerdem kann eine Revision auf diesog. absoluten Revisionsgründe des § 138 VwGO (gravierende Verfahrens-fehler) gestützt werden.

Danach wäre der Rechtsweg definitiverschöpft. Dies ist aber auch der Fall,wenn die Zulassung der Berufung versagt worden ist. Danach kann, wie bereits ausgeführt, eine Verfassungs-beschwerde erhoben werden.

Für Klagen gegen Planfeststellungs-beschlüsse, beispielsweise auf Grunddes Bundesfernstraßengesetzes, desLuftverkehrsgesetzes oder des Bundes-wasserstraßengesetzes, entscheidet dasOberverwaltungsgericht (VGH) in ers-ter Instanz, so dass nach den vor-genannten Kriterien als Rechtsmittellediglich noch eine Revision zumBundesverwaltungsgericht in Betrachtkommt. Gleiches gilt für Rechtsstrei-tigkeiten um Atomanlagen, Errichtungund Betrieb sowie Änderung vonGroßkraftwerken, Freileitungen undMüllverbrennungsanlagen sowie eini-ger weiterer sog. lästiger Anlagen (§ 48VwGO). Auch diese Regelung bezwecktwie die zitierte 6. Novelle zur Verwal-tungsgerichtsordnung eine Straffungder gerichtlichen Verfahren, spezielleine kürzere Verfahrensdauer, undbedeutet andererseits, was vielfachbeklagt wurde, eine Verkürzung desgerichtlichen Rechtsschutzes, der aller-dings ursprünglich etwas hypertrophgestaltet war und oftmals exzessiv inAnspruch genommen wurde.

Gegen Bebauungspläne und Verände-rungssperren nach dem Baugesetz-buch, die als Satzung Rechtsnormcha-rakter haben, wie auch beispielsweiseNaturschutz- und Landschaftsschutz-verordnungen mit Eingriffscharakter,ist Rechtsschutz in Form des sog. Nor-menkontrollantrages nach § 47 VwGOgewährleistet. Nach dieser Bestim-mung kann jedermann – neuerdings,d.h. seit der 6. Novelle – nur wenn er

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durch eine Satzung oder sonstige un-tergesetzliche Norm in einem subjekti-ven Recht (und dies wäre mit Sicher-heit auch das Eigentum) verletzt wird,beim Oberverwaltungsgericht (VGH)den Antrag stellen, die ihn zu Unrechtbeeinträchtigende Norm für nichtig zuerklären. Auch gegen die Entscheidungim Normenkontrollverfahren, sei esdurch Urteil oder Beschluss des Ober-verwaltungsgerichts, ist die Revisionzum Bundesverwaltungsgericht statt-haft.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass,wenn Eile geboten ist, Rechtsschutz

gewährleistet wird auch durch Her-stellung bzw. Wiederherstellung deraufschiebenden Wirkung von Rechts-mitteln (§§ 80 ff. VwGO) bzw. durchden Erlass einer einstweiligen An-ordnung nach § 123 VwGO. ErstereRegelung gilt im Verhältnis zu An-fechtungsklagen, letztere, wenn es sich um Verpflichtungsbegehren han-delt.

Als Fazit kann gezogen werden, dassauch und gerade, wenn es um denSchutz des Eigentums geht, ein lücken-loser und perfektionierter Rechtsschutzgewährleistet wird.

Anmerkungen1 Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl.,

S.508.2 Bundesverfassungsgericht E 72, 66, 76.

3 BVErfG E 70, 191.4 Nachweise bei Jarras/Pieroth, GG, Rdnr.

44ff. zu Art. 14.

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1. Art. 14 GG als verfassungs-rechtliche Vorgabe für dieSteuergesetzgebung

Hinterfragt man die Besteuerung desEigentums aus der Perspektive des Ver-fassungsrechts, so ist zunächst die Rolle von Art. 14 GG im Rahmen derSteuerrechtfertigung bzw. der verfas-sungsrechtlichen Belastungsgrenzen zuklären. Hieraus ergibt sich der verfas-sungsrechtliche Maßstab für eigen-tumsrelevante steuergesetzliche Ge-staltungen.

1.1 Die Besteuerung nach der wirt-schaftlichen Leistungsfähigkeitals gleichheitsrechtliches Gebotim Steuerstaat

Ihre primäre verfassungsrechtliche Le-gitimation erfährt die Steuererhebungaus der grundgesetzlichen Entschei-dung für die Steuerstaatlichkeit1. ImSteuerstaat ist die Steuererhebung –gleichheitsrechtlich – im Hinblick aufdie Verteilung der Steuerlast auf dieMitglieder der staatlichen Gemein-schaft zu rechtfertigen. Steuerstaat-lichkeit und Besteuerungsgleichheitbedingen sich gegenseitig. Steuernwerden voraussetzungslos2 zur Finan-zierung der staatlichen Aufgabener-füllung im Interesse der Allgemeinheiterhoben. Dementsprechend ist auch

das Steueraufkommen von der All-gemeinheit zu finanzieren. Die Allge-meinheit der Steuer verlangt eine re-lative Belastungsgleichheit im Verhält-nis der einzelnen Steuerpflichtigen un-tereinander.3 Maßstab hierfür ist dasLeistungsfähigkeitsprinzip.4 Dies be-deutet eine Bemessung der Steuer nachMaßgabe der Fähigkeit, Steuern, d.h.Geldzahlungen, zu erbringen.5 Als pro-portionale Gleichheit bedarf die Be-steuerungsgleichheit der Wertekon-kretisierung durch den Gesetzgeber.6

Maßgebliche Direktive hierfür ist ins-besondere das Sozialstaatsprinzip (Art.20 I GG).7 Im Sozialstaat korrespon-diert der höheren Leistungsfähigkeiteine größere soziale Verantwortung.8

Ausdruck dieser Leistungsfähigkeit istdas sog. disponible Einkommen.9

Die so umrissene allgemeine Steuer-rechtfertigung ist gleichheitsrechtli-cher Natur. Sie basiert originär nichtauf Freiheitsgrundrechten, insbeson-dere nicht auf dem Eigentumsgrund-recht. Freiheitsgrundrechte sind imRahmen der gleichmäßigen Besteue-rung nach der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit lediglich insoweit re-levant, als ihrer wertsetzenden Be-deutung im Rahmen des Art. 3 I GGRechnung zu tragen ist.10 Anders frei-lich die verbreitete These, eine unglei-che Last sei – bezogen auf die Erzielung

Zur Besteuerung des Eigentums

Monika Jachmann

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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eines bestimmten Steueraufkommens– stets eine unverhältnismäßige Last.11

Diese These vermengt jedoch die Un-verhältnismäßigkeit eines Freiheitsein-griffs mit seiner Gleichheitswidrig-keit.12 Aus den Freiheitsgrundrechten,insbesondere aus Art. 14 GG kann –jenseits der Besteuerungsgleichheit –eine Deckelung der steuerlichen Indi-vidualbelastung erwachsen. Dabei gehtes um die Abwehr unverhältnismäßi-ger Steuereingriffe. Betroffen ist – je-denfalls primär – nicht die Relation derSteuerpflichtigen zueinander, sonderndas Verhältnis des einzelnen Steuer-pflichtigen zum Staat. Diese freiheits-grundrechtlich vorgegebene steuer-liche Belastungsgrenze kann über-schritten sein, auch wenn die Anfor-derungen der Besteuerungsgleichheitnach Maßgabe der wirtschaftlichenLeistungsfähigkeit gewahrt sind.

1.2 Der freiheitsgrundrechtliche Eigentumsschutz als Grenze für steuerliche Belastungs-wirkungen

Zu fragen ist, welche Rolle Art. 14 GGim Rahmen einer freiheitsgrundrecht-lichen Deckelung der individuellenSteuerbelastung spielt. Diese Proble-matik ist primär bei der Belastungswir-kung der Steuer angesiedelt. Diese Be-lastungswirkung erwächst aus demFiskalzweck der Steuer. Nicht einge-gangen wird im folgenden auf steuer-liche Lenkungswirkungen.

Die steuerliche Belastungswirkungals Grundrechtseingriff

Das Bundesverfassungsgericht hat imbekannten Vermögensteuer-Beschluss

angenommen, die Vermögensteuergreife „in die in der Verfügungsgewaltund Nutzungsbefugnis über ein Ver-mögen angelegte allgemeine Hand-lungsfreiheit (Art. 2 I GG) gerade in deren Ausprägung als persönliche Ent-faltung im vermögensrechtlichen Be-reich ein (Art. 14 GG).“13

Der Eigentumsschutz durch Art. 14 GGorientiert sich jedoch am einzelnensubjektiven Vermögensrecht. Das Ga-rantie- und Schrankensystem des Art.14 GG basiert auf einer Bestandsgaran-tie, die nur unter engen Voraussetzun-gen hin zu einer Wertgarantie relati-viert werden kann.14 Als Basis hierfürist das Vermögen als solches im Sinneder materiellen Grundlage der wirt-schaftlichen Bewegungsfreiheit desEinzelnen nicht geeignet.15

Als Steuereingriff kommt nun – primafacie – die Begründung einer Zah-lungsverpflichtung im Sinne einer ab-strakten Geldschuld in Betracht. Folgtman dem, so fehlt es jedoch für einenEigentumseingriff an der Beeinträch-tigung eines hinreichend konkretenEigentumsobjekts.16 Freilich wird derSteuerzugriff vielfach17 als Eingriff indiejenigen vermögenswerten Rechts-positionen verstanden, die der Steuer-schuldner zur Erfüllung seiner Steuer-schuld aufgibt.18 Nach diesem Ansatzzwingt die Steuer hinsichtlich des Obder zu erbringenden Leistung mit glei-cher Intensität wie ein beliebiger an-derweitiger staatlicher Eingriff. Es wirddarauf abgestellt, dass die Steuer hoheitlich auf die Gesamtheit der ein-zeln unter Eigentumsschutz stehendenVermögensbestandteile eines Steuer-pflichtigen zugreift. Man zieht einenVergleich zum Polizeirecht, wo die Ein-räumung eines Austauschmittels dem

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polizeilichen Gebot nicht den Eingriffs-charakter nimmt. Ebensowenig soll die Wahlfreiheit des Eigentümers, mitwelchen Mitteln er den staatlichen Anspruch auf einen Anteil an seinemVermögen befriedigen will, den ent-sprechenden Grundrechtseingriff aus-schließen. Damit wird die Begründungeiner abstrakten Geldschuld mit demZugriff auf eine konkrete Eigentums-position gleichgestellt. Dies dient ei-nem der freiheitlichen rechtsstaat-lichen Verfassungsordnung und indiesem Rahmen Art. 14 GG immanen-ten Ziel: der Wahrung eines individu-ellen vermögensrechtlichen Freiraumszur Ermöglichung einer eigenverant-wortlichen Lebensgestaltung.19 Zwei-fellos bedarf es eines effektiven frei-heitsgrundrechtlichen Schutzes vor derInstrumentalisierung des Steuerstaatsdurch den sich hemmungslos bedien-enden Sozialstaat. Dieses Ziel ist gleich-wohl auf dem aufgezeigten Weg nichtzu erreichen. Der Steuereingriff soll inder Verpflichtung zur Disposition überein Eigentumsobjekt nach Wahl lie-gen. Gerade damit wird aber der qua-litative Unterschied zwischen demZugriff auf eine konkrete Eigentums-position (Art. 14 I GG) und der Beein-trächtigung der allgemeinen wirt-schaftlichen Handlungsfreiheit be-schrieben. Geht man z.B. davon aus,dass der Steuerpflichtige bei Entstehender Steuerschuld die besteuerten Er-träge bereits verbraucht hat und er die Steuerschuld durch ein Darlehen finanzieren muss, dann disponiert erdurch die Darlehensaufnahme nichtüber ein Eigentumsobjekt. Bildet manden Fall so, dass der Steuerpflichtigealternativ zur Darlehensaufnahmenoch sein Einfamilienhaus beleihenoder sein Segelboot veräußern könnte,so würden sich diese drei Alternativen

– beurteilt als Grundrechtseingriffe –wie folgt darstellen:

● die Darlehensaufnahme als Be-schränkung der allgemeinen wirt-schaftlichen Handlungsfreiheit,

● die Beleihung des Einfamilienhau-ses als Zugriff auf die Ertragsfähig-keit des individuellen Gebrauchs-vermögens, und

● die Veräußerung des Segelbootes alskonfiskatorischer Zugriff auf einEigentumsobjekt.

Als Eigentumseingriff wären die beidenletztgenannten Alternativen – was zuzeigen sein wird – verfassungswidrig.Als Wahlmöglichkeiten des Steuer-pflichtigen zur Begleichung seinerSteuerschuld könnte sich ihre Verfas-sungsmäßigkeit gleichwohl aus derDispositionsfreiheit des Steuerpflichti-gen ergeben. Schon damit erweist sichder strukturelle Unterschied zwischendem Zugriff des Staates auf die Freiheitdes Eigentümers hinsichtlich eineskonkreten Eigentumsgegenstands undder Begründung einer abstrakten Geld-schuld.

Die Qualifikation des steuerlichen Frei-heitseingriffs als Begründung einerGeldschuld verfehlt darüber hinausaber v. a. den sozialen Sinn des Steuer-eingriffs. Der Steuereingriff erfährtseine konkrete Gestalt im Steuertatbe-stand. Die Steuerwürdigkeitsentschei-dung des Gesetzgebers orientiert sichnicht allein an der abstrakten Höhedes einem Steuerpflichtigen zufließen-den oder in seinem Bestand vorhande-nen Vermögens. Sie stellt maßgeblichauch auf die Grundlage dieses Zuflus-ses oder Bestandes ab. Hieran ist derfreiheitsgrundrechtliche Schutz vordem Steuerzugriff auszurichten. Zu fra-

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gen ist, inwieweit eine Steuererhebungauf der Grundlage eines konkretenSteuertatbestands als Eigentumsein-griff20 qualifiziert werden kann.21 Einsolcher steuerlicher Eigentumseingriffkommt in zwei Varianten in Betracht:

● als Zugriff auf einen bestimmtenEigentumsbestand sowie

● als Entzug von Erträgen der Eigen-tumsnutzung22.

Abzustellen ist dabei darauf, inwieweiteine durch Art. 14 GG geschützte Artder Freiheitsbetätigung Steuergegen-stand ist und so durch die Besteuerungbeschränkt wird.23

Die Besteuerung der Erträge, die einSteuerpflichtiger durch den Einsatz sei-nes Eigentums erzielt, greift in dasRecht zur Eigentumsnutzung ein.24 DieFreiheit, ein Eigentumsobjekt zu nut-zen, umfasst auch die Freiheit zur er-tragbringenden Anlage.25 Objekt desSteuerzugriffs ist die Nutzung vorhan-denen Eigentums nach der Entschei-dung des Eigentümers und zu seinemNutzen.26 Dies führt erst in der Konse-quenz zum Schutz des zu erwerbendenVermögens. Das individuell erworbe-ne, einem Einzelnen bereits zugeord-nete Privateigentum wird gerade alsErgebnis der ertragsorientierten Frei-heitsausübung besteuert. Zielobjekt desSteuerzugriffs ist die privatnützige Er-tragserzielung.

Die Abgrenzung des Eigentumsschutzeszu Art. 12 I GG erfolgt dabei nach all-gemeinen Grundsätzen.27 Hat sich dieberufliche Tätigkeit in einem (Gewer-be-)Betrieb als „wirtschaftlich zusam-mengehörige Funktionseinheit“28 bzw.„organische Betriebseinheit“29 verselb-ständigt, so bedeutet dessen Einsatz zur

Ertragserzielung Eigentumsnutzung.30

Art. 12 I GG bleibt relevant für die per-sönliche berufliche Betätigung des Un-ternehmers. Parallel zur Ausrichtungder Nutzungsgarantie des Art. 14 I GG,gerade auf eine ertragbringende Nut-zung, lassen sich auch im Rahmen vonArt. 12 I GG berufliche Tätigkeit undErwerb nicht trennen.31 Zur Freiheitder Berufsausübung gehört die Erwerbs-chance.32 Der Steuergesetzgeber, der indas wirtschaftliche Ergebnis der beruf-lichen Tätigkeit eingreift, beeinträchtigtdie Freiheit zur Berufsausübung.33 DasBundesverfassungsgericht hat in seinerbisherigen Rechtsprechung zwar ausge-führt, Steuergesetze seien nur dann anArt. 12 I GG zu messen, wenn sie „in-folge ihrer Gestaltung in einem engenZusammenhang mit der Ausübung ei-nes Berufs stehen und – objektiv – eineberufsregelnde Tendenz deutlich er-kennen lassen.“34 Hieran soll es – vor-behaltlich der Fälle einer Erdrosselung– bei allgemeinen Steuergesetzen, ins-besondere auch des Einkommensteuer-rechts35 „in aller Regel“ fehlen. Be-gründet wird dies damit, dass diese„Normen mit einem unspezifischenAdressatenkreis ohne unmittelbare Be-ziehung zu einem Beruf an generelleMerkmale wie Gewinn, Ertrag, Umsatzoder Vermögen“ anknüpfen.36 Dem istnicht zu folgen. Zum einen ist schon –abstrakt – die Eingriffsvoraussetzung ei-ner berufsregelnden Tendenz abzuleh-nen. Soll damit doch für einen Eingriffin Art. 12 I GG – abweichend von denallgemeinen grundrechtsdogmatischenGrundsätzen – mehr als eine Beein-trächtigung der beruflichen Betätigungverlangt werden.37 Im übrigen weist der Steuerzugriff auf die Einnahme-erzielung via Berufsausübung durchauseine objektiv berufsregelnde Tendenzauf.38

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Zusammenfassend ist zum freiheits-grundrechtlich relevanten Steuerein-griff folgendes festzuhalten: Maßgeb-lich ist der einzelne tatbestandlicheSteuerzugriff auf eine ertragsorientierteEigentumsnutzung bzw. Arbeitsleis-tung, nicht erst die Begründung ei-ner abstrakten Geldschuld. Damit istfreilich noch keine Aussage darübergetroffen, inwieweit für die Ermitt-lung freiheitsgrundrechtlicher Besteue-rungsgrenzen ggf. mehrere steuer-gesetzliche Grundrechtseingriffe zuaddieren sind. Hierauf wird zurückzu-kommen sein.

Art. 14 GG als Verbot einer erdrosselnden oderkonfiskatorischen Steuer

Ist eine steuerliche Belastungswirkungim dargelegten Sinn als Eigentumsein-griff fassbar, so ist nach dessen Ver-hältnismäßigkeit zu fragen. Dies ist pri-ma facie deshalb problematisch, weilein konkreter Zweck jenseits der Geld-mittelbeschaffung für den Staat fehlt.Eignung und Erforderlichkeit derSteuererhebung für die staatliche Ein-nahmeerzielung können grundsätzlichbejaht werden. Dies entbindet jedochnicht von einer auf den einzelnenSteuerzugriff bezogenen Angemessen-heitsprüfung. Diese Angemessenheits-prüfung ist an der Eingriffsintensitätder Steuer auszurichten. Die Steuer-höhe ist im Zusammenhang mit derjeweils beschränkten grundrechtlichenFreiheit zu betrachten. Die Unange-messenheit eines Steuereingriffs kannsich allein aus dessen Art bzw. Inten-sität in Relation zum konstanten Ein-nahmeerzielungszweck ergeben. Proto-typ für einen in diesem Sinne un-angemessenen Steuereingriff ist die

erdrosselnde Fiskalzwecknorm.Art.12 Iund 14 I GG schützen die wirtschaftli-che Betätigungsfreiheit gerade auchhinsichtlich ihrer Entgeltlichkeit. ImHinblick darauf ist die Abschöpfungvon Erträgen aus einer solchen Frei-heitsbetätigung jedenfalls dann unan-gemessen, wenn durch sie die Frei-heitsbetätigung wirtschaftlich sinnloswird, d.h. die Steuer eine erdrosselndeWirkung hat.

Einer solchen erdrosselnden Steuersteht in ihrer freiheitsvernichtendenWirkung die konfiskatorische39 Steu-er nahe. Eine konfiskatorische Steuerknüpft an einen Eigentumsbestand anund kann nicht aus den Erträgen hier-aus finanziertwerden. Ihre Verfassungs-widrigkeit ergibt sich aus Art. 14 II 2GG. Gem. Art. 14 II 2 GG soll der Ge-brauch des Eigentums zugleich demWohle der Allgemeinheit dienen. DerEigentumseingriff durch Besteuerungstellt eine Inhalts- und Schrankenbe-stimmung dar. Nach Art. 14 II 2 GGsoll der „Gebrauch“ des Eigentumsdem Allgemeinwohl dienen. Dies be-deutet zum einen, dass die Freiheit zurNutzung des Eigentums, die sog. Nut-zungsgarantie, für Zwecke des All-gemeinwohls in verhältnismäßigerWeise beschränkt werden kann. Dazusogleich. Zum anderen rechtfertigt Art.14 II 2 GG den Eingriff in den Eigen-tumsbestand gerade nicht. Ein solcherist grundsätzlich nur in Gestalt derEnteignung gegen Entschädigung vor-gesehen, nicht aber auch für den Be-reich der Inhalts- und Schranken-bestimmung.40

Vom unzulässigen konfiskatorischenSteuerzugriff41 ist der Steuerzugriff aufdie Nutzungsgarantie des Art. 14 I, IIGG abzugrenzen.42 Ein steuerlicher

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Eingriff in die Nutzungsgarantie desEigentums kommt grundsätzlich inzwei Varianten in Betracht: Zunächstist daran zu denken, dass an dieertragsorientierte Eigentumsnutzungeine steuerliche Pflicht geknüpft wird,die im Entzug eines Ertragsteils be-steht. Die Nutzungsgarantie umfasstdarüber hinaus aber auch das Rechtdes Eigentümers, einen Eigentums-gegenstand ungenutzt zu lassen.43 Da-nach kann auch die Besteuerung desbloßen Haltens eines ungenutzten Ei-gentumsgegenstands, der tatsächlichkeine Erträge bringt, als Eingriff in dieNutzungsgarantie zu begreifen sein. In einen Eingriff in den Eigentums-bestand und damit in eine konfiska-torische Steuer schlägt die Besteuerungreal nicht erzielter Erträge aber dannum, wenn sie nicht an eine realeMöglichkeit zur Ertragserzielung an-knüpft.44 Aus verfassungsrechtlicherSicht kann es damit nur eine Soll-ertragsteuer, nicht aber eine Substanz-steuer geben.45

Damit ist – neben dem Erdrosselungs-verbot – eine speziell eigentumsgrund-rechtliche Besteuerungsgrenze zu defi-nieren: Verfassungsrechtlich zulässigerBesteuerungsgegenstand ist nur die Er-tragsfähigkeit des Eigentums. Diesezeigt sich zunächst im tatsächlich er-zielten Ertrag.46 So weit es an einemsolchen fehlt, könnte die Besteuerungauf den typischerweise zu erzielendenErtrag zugreifen. Tatsächlich erwirt-schaftete Erträge wären dabei anzu-rechnen.47 Eine Bodenwertzuwachs-steuer aber beispielsweise, die typi-scherweise nicht aus den Erträgen desGrund und Bodens erwirtschaftet wer-den könnte, sondern nicht realisierte48

Wertsteigerungen abschöpfte, wäre ei-ne unzulässige konfiskatorische Steu-

er.49 Denn sie zwänge den Eigentümerfaktisch zum Verkauf.

Art. 14 GG als Grenze der indivi-duellen Steuerbelastung jenseitsvon Erdrosselung und Konfiskation

● Der Grundansatz

Erdrosselung und Konfiskation be-schreiben nur äußerste Besteuerungs-grenzen. Die Frage nach einer frei-heitsgrundrechtlichen Deckelung derindividuellen Steuerlast innerhalb desso umgrenzten Bereichs führt wiederzu Art. 14 II 2 GG. Dieser Regelung istzunächst freilich nur zu entnehmen,dass der Gebrauch des Eigentums „zu-gleich“ dem Wohle der Allgemeinheitdienen soll. Das Bundesverfassungsge-richt interpretiert dieses „zugleich“ als„grundsätzlich zu gleichen Teilen“.50

Eindeutig kann dem Wort „zugleich“aber nur ein Nebeneinander entnom-men werden. Art. 14 II 2 GG be-schreibt ein Kollisionsverhältnis zwi-schen Eigentumsgebrauch und All-gemeinwohl. Diese sind in angemesse-nen Ausgleich zu bringen. Einen Maß-stab für die Wertigkeit von Eigentums-gebrauch und Allgemeinwohl imRahmen der gebotenen Abwägung lie-fert Art. 14 II 2 GG zunächst nicht. In-soweit erlangt das Subsidiaritätsprinzipzugunsten eines Primats der indi-viduellen Selbstverantwortung bzw.Privatinitiative entscheidende Bedeu-tung.51 Es führt zu einem abstrak-ten Vorrang der Privatnützigkeit desEigentums vor einer Verwendung zurFinanzierung staatlichen Handelns.Damit wird eine Obergrenze der So-zialpflichtigkeit des Eigentums52 be-schrieben. Sie ist Ausdruck einesgrundsätzlichen Vorrangs der Privat-

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nützigkeit privatwirtschaftlichen Han-delns. Dieser Vorrang der Privatnützig-keit privatwirtschaftlichen Handelnsgilt aber nicht nur für die ertragsorien-tierte Eigentumsnutzung. Er erfasst ingleicher Weise die erwerbende Be-rufsausübung.53 Ist Leistungseigentumprimär privatnützig, dann notwendigauch seine Erzielung.54

Aus dem Vorrang der Privatnützigkeitprivatwirtschaftlichen Handelns resul-tiert in dreifacher Hinsicht eine Be-grenzung steuerlicher Belastungswir-kungen.

Zunächst kann von Privatnützigkeit je-denfalls dann nicht mehr die Redesein, wenn von dem für die eigeneLebensführung Erwirtschafteten derexistenznotwendige Bedarf weggesteu-ert wird.55 Dabei ist – aus freiheits-grundrechtlicher Sicht – der steuerlichzu belassende Individualbedarf deut-lich höher anzusetzen als die Bedarfs-grenze, von der an Sozialhilfe gewährtwird.56 Die in der Besteuerung dereigenen Arbeitsleistung sowie derNutzung einzelner Eigentumsobjekteliegenden Grundrechtseingriffe sindinsoweit zu addieren. Dies ist im Hin-blick auf die parallele Ausrichtung dergrundrechtlichen Freiheiten aus Art.12 und 14 GG auf eine primär privat-nützige Ertragserzielung möglich undauch geboten.

Weiter darf das der individuellen Le-bensgestaltung dienende Eigentumkeiner Sollertragsbesteuerung unter-worfen werden.57 Hier ist die indivi-duelle Freiheitssphäre zentral tan-giert58. Entsprechend sind auch dieAnforderungen des Vorrangs der pri-vaten Eigentumsnutzung besondershoch. Das geschützte Gebrauchsver-

mögen muss typisierend bemessenwerden.59 Das Bundesverfassungsge-richt nennt als Anhaltspunkt dafür, biszu welchem Vermögenswert die steu-erliche Freistellung geboten ist, u. a.den Wert durchschnittlicher Einfamili-enhäuser.60 Hier wären Schwankungenim Preisniveau von Immobilien zuberücksichtigen.61 Allgemein pauscha-liert werden können demgegenüberdie Wohnungsausstattung oder der Familien-Pkw. Insgesamt ist bei der Bemessung des persönlichen Ge-brauchsvermögens auch Art. 6 I GGRechnung zu tragen.

Auch so weit es nicht um die persön-liche Lebensführung geht, zwingt derabstrakte Vorrang der privaten Eigen-tumsnutzung zu einer Deckelung derindividuellen Steuerbelastung: Jeden-falls die Hälfte der privatwirtschaftlichdurch Einsatz von Arbeitskraft oder Ei-gentum erzielten Erträge darf nichtdurch Steuern abgeschöpft werden.62

Wenn der Bürger mehr als die Hälftedes Erworbenen an den Staat als Steu-er abliefern muss, dann arbeitet erprimär fremd- und nicht mehr primäreigennützig.63 Dabei muss die hälftigeTeilung im Hinblick auf das dargeleg-te Subsidiaritätsprinzip grundsätzlichzugunsten der Privatnützigkeit über-schritten werden.64

Aus diesem sog. Halbteilungsgrundsatzsind nun aber keine globalen Schlüs-se zu ziehen. Insbesondere besagt ernicht, die Gesamtbelastung des einzel-nen dürfe – unter Einbeziehung sämt-licher Einzelsteuern wie auch nicht-steuerlicher Abgaben – 50% des ins-gesamt privat Erwirtschafteten nichtübersteigen.65 Gegenstand der Vorrang-regel ist zunächst der durch die Er-tragsbesteuerung bewirkte einzelne

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Eingriff in Art. 12 I bzw. 14 I GG. Diesführt erst im Ergebnis auch zu einemVorrang der Privatnützigkeit des ge-samten von einem SteuerpflichtigenErwirtschafteten. Ausgehend hiervongilt es im Einzelnen zu klären, welcheSteuerarten und welche Vermögensbe-standteile nach Maßgabe des Primatsder Privatnützigkeit des Erwirtschafte-ten die Angemessenheit der steuerli-chen Belastung beeinflussen. Sodannist weiter zu fragen, ob und inwieweitausnahmsweise ein Steuerzugriff aufmehr als die Hälfte des privat Er-wirtschafteten in Betracht kommenkann.66

● Die maßgeblichenAusgangsgrößen

Fragt man nach den maßgeblichenAusgangsgrößen der Belastungsober-grenze einer annähernd hälftigenErtragsteilung, so ist ihr primäres An-wendungsfeld die Ertragsbesteuerung.Einzubeziehen ist insbesondere auchdie Gewerbesteuer.67 Sie greift auf die-selbe Schöpfung von Leistungsfähig-keit durch privatwirtschaftliche Er-tragserzielung zu wie die Einkommens-teuer.68 Dies gilt jedenfalls für die nachAbschaffung der Gewerbekapitalsteu-er verbliebene Gewerbeertragsteuer69.

Die Besteuerung der Vermögensver-wendung ist in die Bemessung dersteuerlichen Gesamtbelastung der Er-tragserzielung grundsätzlich nur inso-weit einzubeziehen, als Erträge aus derVeräußerung von Eigentumsobjektenabgeschöpft werden sollen.

Auf die Relevanz von Steuern auf dieVermögensverwendung wird nochzurückzukommen sein.

Was den Steuersatz angeht, so be-stimmt sich die für die Vorrangregel re-levante Belastung nicht nach demGrenz- bzw. Spitzensteuersatz, sondernnach dem Durchschnittssteuersatz.70

Der Spitzensteuersatz kann nicht einereinzelnen Erwerbshandlung zugeord-net werden. Ein Steuertarif, der imDurchschnitt 50% überschreitet,71

wäre danach grundsätzlich verfassung-widrig. Hiervon ist jedoch nur vorbe-haltlich etwaiger Relativierungen imBereich der Bemessungsgrundlage aus-zugehen.72

Blickt man auf die Bemessungsgrund-lage, so mindern insbesondere die fürdie Ertragserzielung typischerweisenotwendigen Aufwendungen die realeErtragskraft des Eigentums.73 Maßgeb-lich für die gebotene Anrechnung vonAufwendungen ist die tatsächlichebzw. typische Notwendigkeit des Ver-mögenseinsatzes zur ertragbringen-den Arbeitsleistung bzw. Eigentums-nutzung. Betriebsteuern beispielsweisesind notwendiger Aufwand.74

● Ausnahmemöglichkeiten

Insgesamt kann die Steuerfreiheit vonjedenfalls 50% der Erträge bzw. Soller-träge nicht als strikte Regel angewandtwerden. Das Primat der privatnützigenEigentumsnutzung bzw. Arbeitslei-stung zielt als verfassungskräftigesPrinzip auf eine möglichst optimaleVerwirklichung. Seine Besonderheitbeim Ausgleich mit kollidierenden Ver-fassungsprinzipien besteht darin, dasser eine abstrakte Vorrangentscheidungimpliziert. Dem ist im Rahmen der An-gemessenheitsprüfung der individuel-len Steuerbelastung Rechnung zu tra-gen. Der Privatnützigkeit kommt bei

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der Abwägung mit der Staatsfinanzie-rung besonderes Gewicht zu, sobalddie Steuerbelastung die Hälfte des pri-vatwirtschaftlich erzielten Ertrags über-steigt. Dies bedeutet einen besonderenBegründungsbedarf jedes steuerlichenZugriffs auf privat erwirtschaftete Er-träge, die schon zu 50% weggesteuertwurden. Eine solche Begründung mussaber die Hürde des Haushaltsgrundsat-zes der Non-Affektation nehmen. Da-nach kann i.d.R. keine unmittelbareDeckungsbeziehung zwischen einemdie 50%-Grenze übersteigenden Steu-erzugriff und einem speziellen staatli-chen Bedarfsposten hergestellt werden.

Insgesamt ergibt sich aus Art. 14 GG,ergänzt durch Art. 12 GG, eine klar be-stimmbare Obergrenze für die steuer-liche Abschöpfung privatwirtschaftlicherzielter Erträge. Die Problematik derpraktischen Handhabung dieser Ober-grenze besteht v.a. in der Bestimmungder Basis des sog. Halbteilungsgrund-satzes. Insoweit sollen im folgendeneinige Aspekte kurz angesprochenwerden. Eine eingehende Behandlungmuss der Erörterung an anderer Stellevorbehalten werden.

2. Einzelfragen zur Reichweitedes Eigentumsschutzes vorübermäßiger Besteuerung,insbesondere zur Basis dessog. Halbteilungsgrundsatzes

2.1 Zinsbesteuerung

Permanenter Ansatz der Kritik am gel-tenden Ertragsteuerrecht ist etwa dieZinsbesteuerung. Das Bundesverfas-sungsgericht75 hat sie auch inso-weit zugelassen, als die Zinseinkünftedie Geldentwertungsrate des Kapitals

nicht übersteigen, da die Entwertungdes Vermögens nicht Gegenstand derBesteuerung sei. Dies ist zu korrigie-ren.76 So weit die Steuer deshalb, weilder Zinssatz in der Inflationsrate auf-geht, notwendig aus dem Kapitalbe-stand zu entrichten ist, handelt es sichum eine unzulässige Substanzsteuer.77

Jedenfalls wird die reale Ertragskraftdes besteuerten Kapitals durch dieGeldentwertung typischerweise ge-senkt.78

2.2 Erbschaft- und Schenkungsteuer

Das Verdikt einer unzulässigen Sub-stanzbesteuerung scheint prima facieauch Erbschaft- und Schenkungsteuerzu drohen. Die Garantie des Erbrechtsumfasst aber nicht das unbedingteRecht, den Eigentumsbestand unge-mindert auf einen Dritten zu übertra-gen.79 Erbschaft- und Schenkungsteuerschöpfen nicht privatwirtschaftlicherzielte Erträge ab, sondern belasteneinen Vermögenstransfer ohne Lei-stung des Empfängers.80 Erbschaft undErbschaftsbesteuerung sind insoweitnicht in die Prüfung des Halbteilungs-grundsatzes beim Erben einzubezie-hen.

Andererseits ist die Freiheit des Erb-lassers, zu vererben, Ausfluss der Nut-zungsgarantie des Eigentums.81 Art. 14II GG ist danach grundsätzlich auchauf das Erbrecht anzuwenden.82 DieSteuerbelastung darf das Vererben vomStandpunkt eines wirtschaftlich den-kenden Eigentümers aus nicht als öko-nomisch sinnlos erscheinen lassen.83

Insoweit dürfen gerade auch bestehen-de Betriebe als Funktionseinheit nichtdurch die Erbschaftsbesteuerung inihrer Existenz gefährdet werden.84 Dar-

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über hinaus gilt das Primat der pri-vaten Eigentumsnutzung grundsätz-lich auch für die Übertragung85 desEigentums im Wege der Erbfolge bzw.Schenkung. Dabei wäre jedoch ggf.dem Umstand Rechnung zu tragen,dass der private Nutzen nach der Ent-scheidung des ursprünglichen Ei-gentümers nicht ihm selbst, sonderndem Bedachten zugute kommt.

2.3 Körperschaftsteuer

Weitgehend unbestellt ist der Bodenfür die Anwendung des sog. Halb-teilungsgrundsatzes im Bereich derKörperschaftsteuer. Problematisch ist v.a. die Anwendung des Halbteilungs-grundsatzes auf die Körperschaft. Hier-gegen scheint prima facie insbesonde-re die Relevanz der Körperschaftsteuerauf ausgeschüttete Gewinne für die Be-steuerung des Anteilseigners zu spre-chen. Andererseits ist jedoch belastetesSteuersubjekt die Körperschaft.86 Je-denfalls die Körperschaftsteuer auf the-saurierte Gewinne knüpft an die pri-vatnützige Ertragserzielung durch dieKörperschaft (Art. 12 I, 19 III GG) an.Hier werden grundlegende Frageneiner verfassungsgemäßen Unterneh-mensbesteuerung zu klären sein.

2.4 Verbrauch- und Verkehrsteuern

Im Zentrum der Diskussion gerade umdie Tragfähigkeit des sog. Halbtei-lungsgrundsatzes steht im Übrigennach wie vor die Relevanz der Umsatz-steuer.87 In Bezug auf die Gesamt-steuerlast des Endverbrauchers wirdargumentiert,88 es könne nur aus-schlaggebend sein, welche Güter erdurch Verwendung seines Nettoein-

kommens erwerben könne. Auf welcheSteuerarten die Gesamtsteuerlast, diediese Verwendungsmöglichkeiten ein-schränke, im Einzelnen verteilt sei,könne nicht relevant sein. Währendaber Gegenstand des Eingriffs in Art.14 I und 12 I GG via Ertragsbesteue-rung das wirtschaftende Vermögenbzw. die Arbeitsleistung sind, greift dieUmsatzsteuer beim Endverbraucherauf die Nutzung der Früchte diesesWirtschaftens zu. Angesichts der un-terschiedlichen Ausrichtung beiderSteuereingriffe kommt insoweit eineAddition der Belastungswirkungenkaum in Betracht.

In der aktuellen Diskussion wird auchdie Grunderwerbsteuer auf durch-schnittliche Eigenheime für verfas-sungswidrig erachtet.89 Anknüpfungs-punkt der Grunderwerbsteuer ist derentgeltliche Transfer eines Eigentums-objekts. Die Grunderwerbsteuer wirktsich als Erhöhung des Preises für eineImmobilie aus. Insoweit ist sie auch fürden Wert des von einer Sollertragsbe-steuerung freizustellenden Gebrauchs-vermögens maßgeblich. Aus der Per-spektive des Erwerbers beschneidetaber die Grunderwerbsteuer nicht diePrivatnützigkeit eines konkreten Ei-gentumsobjekts, sondern seine allge-meine Kaufkraft (Art. 2 I GG). Was denVeräußerer betrifft, so dürfte freilichder gegenständliche Austausch desindividuellen Gebrauchsvermögensnicht zu dessen Verminderung führen.

Wer also sein selbstgenutztes durch-schnittliches Einfamilienhaus ver-äußert, wäre von der Grunderwerb-steuer zu befreien. Die gängige no-tarielle Vertragspraxis hat allerdings zueiner faktischen Abwälzung auf dieErwerber geführt.

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2.5 Nichtsteuerliche Sonderlasten

Jenseits der dargelegten Detailfragengipfelt der Streit um den Halbteilungs-grundsatz – nicht ohne ideologischenHintergrund – in der Frage der Berück-sichtigung nichtsteuerlicher Abgaben.Zu denken ist dabei neben Sonderab-gaben v.a. an die Sozialversicherungs-beiträge, die der Arbeitgeber zu ent-richten hat. Der entscheidende An-satzpunkt für die Bestimmung derRelevanz solcher nichtsteuerlicher Ab-gaben im Rahmen des Halbteilungs-grundsatzes ist die verfassungsrechtli-che Rechtfertigung dieser Abgaben alsSonderlasten neben der Steuer. So sindSonderabgaben letztlich durch ihreGruppennützigkeit oder eine Vorteils-abschöpfung gerechtfertigt.90 Auch dieBelastung des Arbeitgebers durch So-zialversicherungsbeiträge vollzieht sichim Rechtfertigungsmodell der Sozial-versicherung nicht innerhalb der All-gemeinheit der Steuerzahler. Die Bela-stungsgrenze einer maximal hälftigenErtragsteilung fungiert demgegenüberals allgemeines Lastenverteilungsprin-zip. Sie stellt auf die bloße Mitglied-schaft in der steuer- und sozialstaat-lichen Gemeinschaft ab.91 Sonder-zuständigkeiten bzw. spezielle Verant-wortlichkeiten können damit wederbegründet noch abgewehrt werden.Der Weg aus einer Überbelastungdurch – zur Steuer hinzutretende –Sonderlasten führt über eine strengeHandhabung von deren speziellerRechtfertigung im Hinblick auf die Be-lastungsgleichheit. Eine etwaige hier-aus erwachsende Verfassungswidrigkeitkann nicht durch die Anwendung derfreiheitsgrundrechtlichen Grenzen fürsteuerliche Belastungswirkungen kom-pensiert werden.92 Werden etwa überdie Sozialversicherung die staatliche

Allgemeinheit betreffende Aufgaben fi-nanziert, so bedeutet dies eine (partiel-le) Verfassungswidrigkeit der Beitrags-pflicht.93 Dem kann nicht durch eineEinbeziehung des Arbeitgeberanteils indie steuerliche Belastungsgrenze dermaximal hälftigen Ertragsabschöpfungbegegnet werden, wenngleich das, waszu Unrecht über die Sozialversicherungfinanziert wird,94 aus Steuermitteln ab-zudecken wäre.95 Diese Grundsätze zurBehandlung von Sonderlasten müssenim Übrigen auch gelten, so weit derSteuergesetzgeber neben der eigentli-chen Steuererhebung auf das Hand-lungspotential des Steuerpflichtigenzugreift, um auf dessen Kosten eineeffektive Abgabenerhebung sicherzu-stellen.

3. Fazit

Das Eigentumsgrundrecht hat sich –ergänzt durch die Berufsausübungs-freiheit – als durchaus tragfähigeGrundlage eines effektiven Schutzesgegen eine übermäßige individuel-le Steuerbelastung erwiesen. DiesenSchutz gilt es dogmatisch wie praktischzu entfalten. Dogmatische Basis hierfürist der einzelne Steuereingriff in eineprivatautonome Ertragserzielung. Da-bei sind gleichgerichtete Steuereingrif-fe in ihrer Belastungswirkung zu ad-dieren. Das Verbot von Erdrosselungund steuerlicher Konfiskation wie auchdas Primat der Privatnützigkeit privat-wirtschaftlicher Ertragserzielung zeigenGrenzen der Verhältnismäßigkeit dersteuerlichen Ertragsabschöpfung auf.Der sog. Halbteilungsgrundsatz sta-tuiert jedoch keine globale Freiheitvon über 50% des privat Erwirtschaf-teten vor jeglicher staatlichen Inan-spruchnahme bzw. Belastung.

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Zur Besteuerung des Eigentums 89

Anmerkungen1 Vgl. statt vieler: Vogel, in: HdbStR I, § 27

Rz. 51ff., 69ff.; Köck, JZ 1991, 692(693ff.); Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rz. 167; Friauf, StbJb 1977/78,39ff.; Isensee, in: FS für Ipsen, S.409ff.

2 Vgl. nur Isensee, in: FS für Ipsen, S.409(416).

3 Vgl. zur Bedeutung der Steuergleichheitfür die Steuerrechtfertigung auch Birk,StuW 1989, 212 (213); Wendt, DÖV1988, 710 (712); Isensee, in: FS für Ipsen,S.409 (418); Söhn, FinArch 46 (1988), 154(167); allgemein zum Prinzip der Lasten-gleichheit als Maßstab für die Verteilungvon Grundpflichten, Hofmann, in: Hdb-StR V, § 114 Rz. 37.

4 Bei der Prüfung am Maßstab des Art. 3 IGG ist zwischen der „vertikalen“ und der„horizontalen“ Steuergerechtigkeit zu un-terscheiden (vgl. BVerfGE 82, 60 (89f.) imAnschluss an Birk, Das Leistungsfähig-keitsprinzip als Maßstab der Steuernor-men, 1983, S.165, 170ff.). In vertikalerRichtung muss die Besteuerung höhererEinkommen im Vergleich mit der Steuer-belastung niedriger Einkommen dem Ge-rechtigkeitsgebot genügen. In horizonta-ler Richtung müssen Steuerpflichtige beigleicher Leistungsfähigkeit auch gleichhoch besteuert werden. Vgl. dazu, dassdie Bindung des Gesetzgebers im hori-zontalen Differenzierungsbereich strikterist wie im vertikalen, Birk, a.a.O., S.178.

5 Kruse, StuW 1990, 322 (326); Arndt/Schumacher, AöR 118 (1993), 513 (518f.).Konzeptionell kann man auf die wirt-schaftliche Dispositionsfähigkeit oder aufden Umfang der Befriedigung privater Be-dürfnisse abstellen (vgl. Bach, StuW 1991,116 (117)). Adäquater Maßstab für dieBesteuerung ist beide Male die Fähigkeitzur Steuerzahlung. Vgl. auch Art. 123 IBV; Art. 134 WRV bestimmte: „Alle Bür-ger ohne Unterschied tragen im Verhält-nis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Las-ten nach Maßgabe der Gesetze bei.“

6 Birk, SteuerR, Rz. 33; vgl. demgegenüberdie Kritik am Leistungsfähigkeitsgrund-satz wegen dessen fehlender SchärfeArndt, in: FS für Mühl, S.17 (34ff.); Walz,Steuergerechtigkeit und Rechtsanwen-dung, 1980, S.109f.

7 BVerfGE 32, 333 (339); 61, 319 (343f.);68, 143 (152); Tipke, SteuerRO I, 1993, S.409; Benda, in: HdbVerfR, § 17 Rz. 170;Birk, StuW 1983, 293 (295); ders., DasLeistungsfähigkeitsprinzip als Maßstabder Steuernormen, S.161ff.; vgl. auchMartens, KritV 1987, 39 (55ff.); Kirchhof,

in: HdbStR IV, §88 Rz. 127. S. allg. zur Kombination von Art.3 GG und Sozial-staatsprinzip Stern, StaatsR I, 1984, S.929.

8 Vgl. Birk, StuW 1983, 293 (295, 298).9 S. statt aller BVerfGE 82, 60 (87f.); Birk,

StuW 1989, 212 (217); Tipke/Lang, Steu-erR16, § 4 Rz. 127; eingehend Tipke, Steu-erRO I, 1993, S.410 m.w.N. in Fn.486, S.428 m.w.N. in Fn. 20, S.498; speziell zurSteuerfreiheit des Existenzminimums derSteuerpflichtigen und seiner Familie: Jach-mann, in: Kirchhof/Söhn, EStG, §31 Rz.A 45ff. m.w.N.

10 BVerfGE 4, 7 (17); 74, 129 (148); 78, 232(243); BVerwGE 87, 324 (330); BFHE 163,162 (174); Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rz. 42, 160 m.w.N.; ders., in: Hdb-VerfR, § 18 Rz. 99; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rz. 23; Schmidt-Bleib-treu/Klein, GG, Art. 14 Rz. 3a; Bull, NJW1996, 281 (283); a.A. Kimminich, in: BK-GG, Art. 14 Rz. 62; ders., JuS 1978, 217(218 f.); ders., Der Staat 14 (1975), 397ff.,411; Leisner, NJW 1995, 2591 (2594).

11 Wendt, DÖV 1988, 710 (713); v. Arnim,VVDStRL 39 (1981), 286 (318f.).

12 Anders Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 236; Vogel,BayVBl. 1980, 523 (527): „Zur Gewähr-leistung eines Grundrechts gehört immerauch die Verbürgung, dass verfassungs-rechtlich zugelassene Eingriffe in dasGrundrecht gleichmäßig vorgenommenwerden; (…) Art. 14 Abs. 3 GG bringtzum Ausdruck, dass auch dort, wo das öf-fentliche Interesse die Entziehung be-stimmter unter Eigentumsschutz stehen-der Sachgüter verlangt, dieses Interesseder Allgemeinheit es doch noch keines-wegs rechtfertigen würde, dem Betroffe-nen auch die dadurch sich ergebende Ver-mögenseinbuße aufzuerlegen; insoweitgewährleistet Art. 14 Abs. 3 finanzielleLastengleichheit im Angesicht eines kon-kreten öffentlichen Bedarfs (…).“ DieserSichtweise ist in zweifacher Hinsicht ent-gegenzutreten. Zum einen unterscheidensich Gleichheit und Verhältnismäßigkeitin der Freiheitsbegrenzung grundlegendin dem Bezugsrahmen der Maßstabsfin-dung: Erstere fordert den Vergleich zwei-er Sachverhalte und misst ihre rechtlicheBehandlung in ihrer Ähnlichkeit oderVerschiedenheit an dem gemeinsamenRechtfertigungsgrund der Rechtsfolge.Das Übermaßverbot wägt demgegenüberzwischen dem durch die Maßnahme be-wirkten Vorteil und dem dafür erbrach-ten Opfer ab (vgl. nur Kirchhof, in: Hdb-

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Monika Jachmann90

StR V, § 124 Rz. 163). Zum anderen istArt. 14 III GG nicht als Anwendungsfalldes Prinzips der staatsbürgerlichen Lasten-und Pflichtengleichheit zu begreifen, son-dern als Kompensation einer im Einzel-fall gleichheitswidrigen Grundpflicht (vgl.zu dieser Unterscheidung Bethge, JA1985, 249 (255)). Die in Art. 14 III GGstatuierte Duldungspflicht trifft zwar inabstracto alle Eigentümer gleich. Diebesondere Aussage des Art. 14 III GG istjedoch, dass sich diese abstrakte Dul-dungspflicht im konkreten Enteignungs-fall zu einer gleichheitswidrigen Dul-dungspflicht verdichtet, die durch dieEnteignungsentschädigung kompensiertwird. Insoweit enthält Art. 14 III GG jen-seits des Prinzips der staatsbürgerlichenLastengleichheit eine spezielle Rege-lungsaussage. Es ist danach zwar richtig,dass der Aspekt der Lastengleichheit in-soweit eng mit dem grundrechtlichen Ei-gentumsschutz verwandt ist, als derRechtsstaat dem Einzelnen nicht zumu-tet, dass er für das Wohl der Allgemein-heit Sonderopfer bringt, ohne Entschädi-gung zu erhalten (Isensee, in: FS für Ipsen,S.409 (430)). Speziell in Art. 14 III GGanzusiedeln ist aber nicht das originäreLastengleichheitsprinzip, sondern dieMöglichkeit einer Enteignung gegen Ent-schädigung als Ausnahme hierzu. Wiehier auch Loritz, NJW 1986, 1 (9): „ImSteuerrecht entsteht Verfassungswidrig-keit meist aus Ungleichheit und für die-se scheint Art. 3 GG als die zutreffendeNorm.“ Für eine Verortung des Leis-tungsfähigkeitsprinzips beim Gleichbe-handlungsgrundsatz vgl. auch Papier, in:HdbVerfR, § 18 Rz. 109; Schemmel, StuW1995, 39ff., 51ff.; Schuppert, in: FS fürZeidler Bd. 1, S.691 (715): „Steuerliche Be-lastungswirkungen (…) müssen zunächsteinmal gerecht verteilt werden. (…) Prü-fungsmaßstab ist insoweit vor allem Art.3 Abs. 1 GG.“ Vgl. auch Kirchhof/Leisner,Bodengewinnbesteuerung, 1985, S.70ff.m.w.N.

13 BVerfG, BStBl. II 1995, 655 (661); vgl.demgegenüber zur a.A. etwa BVerfGE 30,250 (271f.); 45, 272 (296); 65, 196 (209);74, 129 (148); 95, 267 (300); w.N. bei De-penheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,GG I, Art. 14 Rz. 165, sowie Tipke, Steu-erRO I, 1993, S.444ff.; zum Streitstandvgl. Depenheuer, a.a.O., Art.14 Rz.169ff.

14 Vgl. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 86; Papier, in:Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rz. 42.

15 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rz. 164, 173; Papier,

in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rz. 42. Zueinem Überblick über den Streitstand s.Schuppert, in: FS für Zeidler Bd. 1, S.691ff.;Söhn, FinArch 46 (1988), 154 (163f.);Lehner, Einkommensteuerrecht und So-zialhilferecht, S.365ff., jeweils m.w.N.

16 Vgl. Sondervotum, BVerfG, BStBl. II 1995,667; Selmer, Steuerinterventionismus undVerfassungsrecht, S.303f., 313f.; i. Erg.auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art.14 Rz. 169; a.A. v. Arnim (VVDStRL 39(1981), 286 (301, 358): Gleichstellung derEntziehung einer Gläubigerstellung undAuferlegung einer Schuldnerstellung bzw.der Entziehung des Geldes und der Auf-erlegung von Geldschulden; Herzog,StBJb 1985/86, 27 (31); ders., in: FS RFH-BFH, S.105 (111); Arndt/Schumacher,NJW 1995, 2603 (2604): „Eine Entwer-tung der Eigentumsgarantie kann nurdurch Einbeziehung der das Vermögenbelastenden Geldleistungspflichten inihren Schutzbereich verhindert werden.“;Leisner, NJW 1995, 2591 (2594): „Been-det ist damit die unendliche Geschichteum den Schutz des Vermögens durch Art.14 I GG. Dieses wird nun verfassungs-rechtlich geschützt, als Eigentum, undzwar wirkungsvoll.“ Für eine Erweiterungdes Eigentumsschutzes auf einen Schutzder Substanz bzw. einen Kern des Ver-mögens als einer Globalposition, der abernur im Abgabenbereich zum Tragenkommen soll, vgl. auch ders., in: HdbStRVI, § 149 Rz. 127 m.w.N. zum Streitstandin Fn. 249.

17 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 89, 173; Friauf,DStJG 12 (1989), 3 (23); ders., DÖV 1980,480 (488); ders., StbJb 1971/72, 425 (433);Sendler, DÖV 1971, 16 (22); Meessen, BB1971, 928 (930); Martens, VVDStRL 30(1972), 7ff.

18 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 89, 173; Wendt,Eigentum und Gesetzgebung, 1985,S.38ff.; ders., in: Sachs, GG, Art. 14 Rz. 38.

19 Vgl. dazu v. Arnim, VVDStRL 39 (1981),286 (299ff.); Kirchhof, JZ 1982, 305(307f.); Friauf, DÖV 1980, 488; Wendt,Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S.316ff.

20 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14Rz. 170 m.w.N.

21 Vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rz. 169; ders., Der Staat 11 (1972),483 (492ff.); Bodenheim, Der Zweck derSteuer, S.272ff.; anders Wendt, Eigentumund Gesetzgebung, S.316ff.

22 BVerfGE 79, 292 (304).23 Vgl. auch Kirchhof, in: HdbStR IV, § 88

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Zur Besteuerung des Eigentums 91

Rz. 88 (Die „Frage (…), ob die Gesamtheitaller Vermögensrechte als Rechtsinstitutüberhaupt zu fassen sei, (…) berührt denSteuerzugriff nicht, weil die Steuer nichtauf das Gesamtvermögen zugreift, son-dern die Teilhabe am Ertrag oder an derSubstanz konkreter Vermögensgüterregelt.“); Söhn, FinArch 46 (1988), 154(165).

24 Papier, in: HdbVerfR, § 18 Rz. 101; s. auchVogel, Finanzverfassung und politischesErmessen, 1972, S.36ff.; ders., BayVBl.1980, 523 (525); Kirchhof, in: HdbStR IV,§ 88 Rz. 90.

25 Vogel, in: HdbStR IV, § 87 Rz. 84; vgl.auch Kirchhof, in: HdbStR IV, § 88 Rz. 99.

26 Vgl. auch Wittmann, StuW 1993, 35 (41).27 BVerfGE 30, 292 (335); 84, 133 (157); 88,

366 (377); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rz. 99 m.w.N.;Klein, BayVBl. 1980, 527 (528).

28 So die Terminologie des BVerfG im sog.Erbschaftsteuer-Beschluss (BVerfG, BStBl.II 1995, 671 (674)).

29 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,GG I, Art. 14 Rz. 135.

30 Zur Eigentumsqualität des (Gewerbe-)Be-triebs als wirtschaftliche Funktionseinheitbzw. Sach- und Rechtsgesamtheit etwaBVerfGE 45, 142 (173); BVerwGE 62, 224(226); offenlassend BVerfGE 68, 193(222f.) m.w.N.; bejahend Depenheuer, in:v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 14Rz. 135; Klein, BayVBl. 1980, 527 (529);Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5.Aufl.1998, S.136ff.; Papier, in: Maunz/Dürig,GG, Art. 14 Rz. 95, 98 m.w.N. Wenn dasBVerfG darauf hinweist, dieser Schutz sol-le jedenfalls nicht weitergehen als derSchutz, den die wirtschaftliche Grundla-ge des Betriebs genieße (BVerfGE 58, 300(353)), so ist dies dahin zu verstehen, dass– wie auch sonst – durch Art.14 GG nurein konkreter Bestand von Rechten undGütern geschützt ist, nicht aber bloßeChancen (BVerfGE 81, 208 (227f.)) undtatsächliche Gegebenheiten (BVerfGE 68,193 (223); 77, 84 (118)): Kein Schutz vonbestehenden Geschäftsverbindungen, deserworbenen Kundenstamms oder derMarktstellung; Schoch, Jura 1989, 113(118): Die mit dem Gewerbebetrieb alsSchutzgut der Eigentumsgarantie ver-bundene spezifische Problematik betrifftdie Abgrenzung konkreter subjektiverRechtspositionen von künftigen Chan-cen; weitergehend Leisner, in: HdbStR VI,§ 149 Rz. 110; Papier, in: Maunz/Dürig,GG, Art. 14 Rz. 95 m.w.N. insbes. auf dieRspr. des BGH. Vgl. im Einzelnen auch Ja-rass, in: Jarass/Pieroth4, GG, Art. 14 Rz.

19; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art.14 Rz. 19ff., jeweils m.w.N.; Engel, AöR118 (1993), 169ff.

31 Zur Eigennützigkeit der Berufsfreiheit im Sinne einer Erwerbsfreiheit s. auchBVerfGE 7, 377 (397); 21, 261 (266); 22,380 (383); 30, 292 (335); 31, 8 (32); 38,61 (102); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 12 Rz. 21; Wittig, FS für Müller, 1970,S.575 (590); Isensee, in: HdbStR V, § 115Rz. 245; Löwer, StVj 1991, 97 (102); Vo-gel, Finanzverfassung und politisches Er-messen, 1972, S.40.

32 Isensee, ZRP 1982, 137 (141).33 Vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG,

Art.14 Rz.169; Weber/Crezelius, in: GS fürKlein, 1977, S.542ff.; Bodenheim, DerZweck der Steuer, S.284f.; s. weiter Friauf,DStJG 12 (1989), 3 (26); Sondervotum Si-mon, BVerfGE 47, 34 (38f.); Kirchhof,Gutachten für den 57. DJT 1988, S. F 16;Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rz.415; Papier, ebenda, Art.14 Rz.160; ders.,Der Staat 11 (1972), 483 (492ff.); Mer-ten/Frey, Umverteilung ohne Wirt-schaftswachstum?, S.67; vgl. auch Her-zog, StbJb 1985/86, 27 (30); a.A. v. Arnim,VVDStRL 39 (1981), 286 (309f.).

34 BVerfGE 13, 181 (186); 16, 147 (162); 42,374 (384); 47, 1 (21); 55, 274 (297ff.); 81,108 (121); 95, 267 (302).

35 BVerfGE 47, 1 (21).36 BVerfGE 47, 1 (21f.).37 Stv. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/

Starck, GG I, Art. 12 Rz. 71ff.; Breuer, in:HdbStR VI, § 148 Rz. 29ff.; Ipsen, Staats-recht II, 1997, Rz. 619.

38 Vgl. zum EStG Scholz, in: Maunz/Dürig,GG, Art. 12 Rz. 415; Sondervotum Simon,BVerfGE 47, 34 (37ff.).

39 Vgl. zur Bezeichnung der entschädi-gungslosen Enteignung als KonfiskationSchmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 14 Rz.27.

40 Vgl. i.Erg. auch Kirchhof, in: HdbStR IV,§88 Rz.102: „Im übrigen rechtfertigt eineEigentumspflichtigkeit keinen Eigen-tumsentzug.“

41 I. Erg. ebenso Arndt/Schumacher, NJW1995, 2603; Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rz. 172.

42 Vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG,Art. 14 Rz. 172.

43 Vgl. zu dieser negativen grundrechtlichenFreiheit nur Bethge, JA 1985, 249 (253)m.w.N.; Pieroth/Schlink, StaatsR II14, Rz.914.

44 Vgl. auch Leisner, Wertzuwachsbesteue-rung und Eigentum, 1978, S.149; ders.,NJW 1995, 2591 (2593f.); weitergehendwohl Kirchhof, in: HdbStR IV, §88 Rz. 75:

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Unterstellung eines ertragbringendenMindestgebrauchs.

45 A.A. Flume, DB 1995, 1779.46 Vgl. zur primären Relevanz des realisier-

ten Vermögenszuwachses Wittmann,StuW 1993, 35 (45f.).

47 Vgl. auch Kirchhof, in: HdbStR IV, § 88Rz. 75 a.E.: Es liegt „im Rahmen einerSollertragsbesteuerung, bei tatsächlicherwirtschafteten Erträgen die Sollertrag-steuer in der Ertragsteuer aufgehen zu las-sen. Deshalb liegt es nahe, die Ver-mögens-, Grund- und Gewerbekapital-steuer auf die Einkommen- und Körper-schaftsteuer anzurechnen“.

48 Weitergehend Leisner, Wertzuwachsbe-steuerung und Eigentum, S.148ff.

49 Loritz, BB 1993, 225 (229); Kimminich,in: BK-GG, Art. 14 Rz. 64; Klein, DÖV1973, 433 (438f.).

50 BVerfG, BStBl. II 1995, 655 (661); so auchKirchhof, StbJb 1994/1995, 5 (8f.); zu-stimmend Leisner, NJW 1995, 2591(2594); ders., in: HdbStR VI, § 149 Rz.151; vgl. aber auch Friauf (DStJG 12(1989), 3 (8)), der „zugleich“ (Art.14 IIGG) i.S.v. unter prinzipieller Aufrecht-erhaltung der primären Privatnützigkeitdes Eigentums/Einkommens versteht.

51 Vgl. auch Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (30).52 Vgl. auch Depenheuer, in: v. Mangoldt/

Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 223.53 Vgl. allgemein zur parallelen Bewertung

der Beschränkbarkeit der Rechte aus Art.12 und 14 GG BVerfGE 22, 380 (386f.);50, 290 (334f.); BVerfG, DVBl. 1998, 397;Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,GG I, Art. 14 Rz. 99.

54 Zur Parallele der Verhältnismäßigkeits-prüfung von Eingriffen in die Freiheit derBerufsausübung (Art. 12 I GG) und der Eigentumsnutzung (Art. 14 I GG) vgl.auch Gaßner/Dürschke, SGb 1998, 621(626).

55 Vgl. auch Martens, KritV 1987, 39 (57);Wendt, DÖV 1988, 710 (720); Kirchhof,in: HdbStR IV, § 88 Rz. 99; Söhn, FinArch46 (1988), 154 (166).

56 Vgl. auch Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (31f.);Wendt, DÖV 1988, 710 (720); Kirchhof,Gutachten F für den 57. DJT 1988, S. F51; ders., JZ 1982, 305 (309); Isensee, in:FS für Broermann, S.365 (389). DasBVerfG geht in BVerfGE 87, 153 (171) ausfreiheitsrechtlicher Sicht davon aus, dassder Steuergesetzgeber dem Einkommens-bezieher von seinen Erwerbsbezügen „zu-mindest“ das belassen müsse, was er demBedürftigen zur Befriedigung seines exis-tenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichenMitteln zur Verfügung stelle.

57 So auch das BVerfG, freilich bezugneh-mend auf das Vermögen (BStBl. II 1995,655 (662f.); ablehnend Flume, DB 1995,1779).

58 Vgl. statt vieler BVerfGE 50, 290 (340f.);58, 81 (112); 79, 283 (289); BVerwG,NVwZ 1989, 1157 (1160); Katz, StaatsR,Rz. 821; Hesse, Grundzüge des Verfas-sungsrechts, Rz. 448.

59 Vgl. auch Schaumburg, GmbHR 1995,613 (615).

60 Kirchhof selbst kommentiert dies im Sin-ne von „einem üblichen Familienhaus(nicht nur Einfamilienhaus)“; vgl. FAZ v.20.9.1995 Nr.219, S.17.

61 A.A. Felix, KÖSDI 1995, Heft 11, sub [6].62 Vgl. auch Friauf, DStJG 12 (1989), S.3

(8f.); Kirchhof, Gutachten F für den 57.DJT 1988, S. F 19f.; Loritz, BB 1993, 225(229f.); einschränkend Kirchhof, VVD-StRL 39 (1981), 272; a.A. Mußgnug, JZ1991, 993 (994); Rüfner, DVBl. 1970, 881(882); Arndt/Schumacher, AöR 118(1993), 513 (583).

63 Vgl. Loritz, BB 1993, 225 (229); ders.,DStR 1995, Beihefter, 1 (6).

64 Vgl. auch Kirchhof, Gutachten F für den57. DJT 1988, S. F 82; Friauf, DStJG 12(1989), 3 (9); a.A. FG Münster, EFG 1998,1656ff.

65 Vgl. demgegenüber List (BB 1999, 981(984f.)), der die Vorschriften des EStGüber die Bemessungsgrundlage für ver-fassungswidrig hält, weil sie keine Rege-lung über die Gesamtsteuerbelastung ent-halten.

66 Vgl. insgesamt zur Problemstellung dieumfassenden Nachweise bei Rose, StuW1999, 12 Fn. 2.

67 Vgl. Kirchhof, in: HdbStR IV, § 88 Rz. 147.68 Zur gewandelten Rechtsnatur und Recht-

fertigung der Gewerbesteuer nach Ab-schaffung der GewerbekapitalsteuerGosch, DStZ 1998, 327 (328f.); vgl. auchders., DStR 1999, 753.

69 Für eine Einbeziehung zumindest der Ge-werbeertragsteuer als Bezugsteuer für denHalbteilungsgrundsatz etwa Wosnitza, BB1996, 1465 (1467); Wagner/Hör, DB 1996,585 (586); Felix, NJW 1996, 703; Tipke,GmbHR 1996, 8(13); Arndt, BB-Beilage 7,1996, S.3ff., 6f.

70 A.A. Fleischmann, DB 1998, 1484 (1486).71 Vgl. auch Loritz, BB 1993, 225 (229f.).72 Vgl. auch Kirchhof, Gutachten F für den

57. DJT 1988, S. F 20: „Die Belastungs-obergrenze einer annähernd hälftigen Tei-lung (…) ist gegenwärtig eine Aussagezum Steuertarif, der eine bestimmte Ge-staltung der Bemessungsgrundlage vor-aussetzt.“

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Zur Besteuerung des Eigentums 93

73 In diesem Sinne ist die str. Frage zu be-antworten, ob der maßgebliche „Soller-trag“ als Brutto- oder Nettobetrag zu ver-stehen ist. S. dazu Arndt, BB-Beilage Nr.7/1996, S.3f. m.w.N.; für die Einordnungals Netto-Größe etwa Rose, in: Mayer, Un-ternehmensbesteuerung in Theorie undPraxis, 1997, S.89ff.; Tipke, GmbHR 1996,8(13); Arndt, a.a.O., S.5.

74 Vgl. dazu Tipke, GmbHR 1996, 8(13);Gosch, DStZ 1998, 327 (330). Dass dieGewerbesteuerlast auf den Abnehmerüberwälzt zu werden pflegt (Tipke, a.a.O.;Gosch, a.a.O.), hängt jedoch von dentatsächlichen Bedingungen des jeweili-gen Marktes ab und kann anders als beider indirekten Umsatzsteuer nicht typi-sierend allgemein unterstellt werden. Vgl. auch Kirchhof, Gutachten F für den57. DJT 1988, S. F 86.

75 BVerfGE 50, 57 (106f.); zustimmend Pa-pier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rz.191. Die Annahme, dass sich die Infla-tion als Eigentumseingriff darstellt undals solcher mit der Abgabenbelastung ku-mulieren kann, setzte zumindest voraus,dass die Inflation nicht auf der interna-tionalen marktwirtschaftlichen Verflech-tung, sondern auf einer staatlichen Infla-tionspolitik beruhte, deren Folgen iminternationalen Vergleich eindeutig eineSondersituation begründeten (Leisner, in:HdbStR VI, § 149 Rz. 131). Die Inflationmüsste sich nicht mehr als Markteffekt,sondern als unmittelbare Folge staatli-chen Handelns darstellen. Hiervon kannnur in Ausnahmefällen ausgegangen wer-den.

76 Vgl. etwa auch Leisner, Die verfassungs-rechtliche Belastungsgrenze der Unter-nehmen, 1996, S.74.

77 Vgl. dazu v. Arnim, ZRP 1980, 201 (203,209); Kröger, NJW 1974, 2305 (2307f.);Kirchhof, Besteuerung und Grundgesetz,1973, S.32f.; Spanner, DStR 1975, 475(482); Friauf, StbJb 1971/72, 425 (446ff.);ders., StuW 1975, 260f.; Papier, AöR 98(1073) 528 (564); Zur Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips für die Zins-besteuerung s. Arndt/Schumacher, AöR118 (1993), 513 (542ff.).

78 Vgl. auch Leisner, NJW 1995, 2591(2594).

79 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,GG I, Art. 14 Rz. 530.

80 Vgl. Kirchhof, der Schenkungseinnahmenund Erbschaften nicht zu den gesteigertsozialpflichtigen, da marktabhängigen,Erwerbseinnahmen zählt (etwa StbKon-greßRep 1988, 29 (40); Gutachten F fürden 57. DJT 1988, S. F 24); s. weiter Tip-

ke, SteuerRO II, 1993, S.767.81 Vgl. auch Depenheuer, in: v. Mangoldt/

Klein/Starck, GG I, Art. 14 Rz. 519, 522;Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rz.291.

82 So auch Kimminich, in: BK-GG, Art. 14Rz. 125; a.A. v. Mangoldt/Klein, Das Bon-ner Grundgesetz, 2. Aufl. 1966, S.431.

83 BVerfGE 93, 165 (172).84 BVerfGE 93, 165 (175f.).85 Anders im Ansatz Tipke (SteuerRO II,

1993, S.767), der die Mitschuldnerschaftdes Schenkers ablehnt.

86 Vgl. Gosch (DStZ 1998, 327 (330)), derauf die Unzulässigkeit eines Durchgriffsauf die dahinterstehenden Anteilseignerabstellt. Anders im Ansatz Rose (StuW1999, 12(18)), der nach Maßgabe einerlängerfristigen Betrachtung nur die sog.Definitiv-Körperschaftsteuer (entstehendaus Einkommensteilen der Kapitalgesell-schaft, die nicht echten Ertrag darstellen,sondern auf steuerrechtlichen Artefaktenwie nicht abzugsfähigen Aufwendungenberuhen) als relevante endgültige Min-derung des Ertrags der Kapitalgesellschaftansieht. Anders auch BFH, DStRE 1998,309 (312).

87 Als für die Belastungsberechnung we-sentliche indirekte Steuern werden z.T.außer der Umsatzsteuer, der Grunder-werbsteuer und der Versicherungssteueretwa die Mineralöl- und die Tabaksteuerngenannt (vgl. Krüger/Kalbfleisch/Köhler,DStR 1995, 1452 (1454); Tipke, GmbHR1996, 8 (13); Rose, DB 1995, 2387 (2388)).Diesen Überlegungen wird teilweise mitdem Hinweis darauf widersprochen, dasssich der Vermögensteuerabschluss ganzeindeutig (nur) auf das von Ertragsteu-ern und Soll-Ertragsteuern gebildete Be-lastungsmaximum beziehe, es sich beiden zuletzt genannten Steuern aber umsolche der Einkommensverwendung handele (Wagner/Hör, DB 1996, 585(586f.); Arndt, BB Beilage 7, 1996, 6).

88 Vgl. insbes. Arndt/Schumacher, NJW1995, 2603 (2605); Tipke, SteuerRO II,1993, S.530.

89 FG Nds., EFG 1999, 37ff.; dazu restriktivBVerfG (3. Kammer des Ersten Senats),BStBl. II 1999, 152; a.A. FG Brandenburg,EFG 1998, 1088f.

90 Vgl. im Einzelnen Jachmann, StuW 1997,299 (306ff.) m.w.N.

91 AndersLeisner (NJW 1996, 1511 (1514f.)),der auf den „durchaus vergleichbaren“Eingriffscharakter und Eingriffseffekt bei-der Abgabearten abstellt.

92 Vgl. demgegenüber Fleischmann, DB1998, 1484 (1485).

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Monika Jachmann94

93 Vgl. zur Verfassungswidrigkeit der Verwen-dung des Beitragsaufkommens für Fremd-lasten der Sozialversicherung Leisner, Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenzeder Unternehmen, 1996, insbes. S.114ff.

94 Vgl. zur Problemstellung Leisner, Die ver-fassungsrechtliche Belastungsgrenze derUnternehmen, 1996, S.78ff.; Isensee, Um-verteilung durch Sozialversicherungs-beiträge, 1973, S.70.

95 A.A. Gaßner/Dürschke (SGb 1998, 621

(624, 626)), die zwischen einer versiche-rungsrechtlichen und einer steuerähnli-chen Komponente des Sozialversiche-rungsbeitrags differenzieren. Insoweit istjedoch zu bedenken, dass auch die demSolidarprinzip entspringende Lastenver-teilung innerhalb der sozialversiche-rungsrechtlichen Solidargemeinschaft ge-rechtfertigt und von den die staatlicheAllgemeinheit (der Steuerzahler) betref-fenden Aufgaben abzugrenzen ist.

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1. VerfassungsrechtlicherAnspruch

Nach der Rechtsprechung des BVerfGentfaltet Art. 2 Abs. 2 GG nicht nur ei-ne Schutzwirkung als subjektives Ab-wehrrecht gegen staatliche Eingriffe inIndividualrechte. Aus seinem objektiv-rechtlichem Gehalt folgt vielmehrauch die Pflicht staatlicher Organe,sich schützend und fördernd vor dieseRechtsgüter zu stellen und sie insbe-sondere vor rechtswidrigen Eingriffenanderer zu bewahren (BVerfGE 39,1/41). Dies gilt gleichermaßen für alleGrundrechte – auch Art. 14 Abs. 1 GG– die einen subjektiven Abwehran-spruch des Bürgers gewährleisten.

Art. 99 Satz 2 BV stellt fest, dass derSchutz der Einwohner Bayerns „durchdie Gesetze, die Rechtspflege und diePolizei“ zu gewährleisten ist, wobei un-ter Polizei die Gesamtheit aller Behör-den und Einrichtungen zu verstehenist, denen der Schutz der öffentlichenSicherheit oder Ordnung obliegt. Da-

mit weist Art. 99 Satz 2 BV dem Staatund dessen Einrichtungen implizit die materielle Aufgabe des innerenSchutzes zu. Die allgemeine polizei-liche Aufgabe ist auf die Abwehr vonGefahren für die öffentliche Sicherheitoder Ordnung beschränkt. Der Bayeri-sche Verfassungsgerichtshof hat denBegriff der öffentlichen Sicherheit inseiner Entscheidung vom 13.10.1951(BayVerfGH 4, 194/204) wie folgt um-schrieben: Unter öffentlicher Sicher-heit versteht man die Unversehrtheitvon Gesundheit, Freiheit, Ehre undVermögen sowie der Rechtsordnungund der grundlegenden Einrichtungendes Staates. In VerfGE 69, 315/352 und in BayVerfGH (BayVBl 1990, 685/689) findet sich für die elementarenRechtsgüter, die polizeilich zu schüt-zen sind, die Formel: Leben, Gesund-heit, Freiheit, Ehre und Eigentum desEinzelnen sowie die Unversehrtheitder Rechtsordnung und der staatlichenEinrichtungen. Dies spiegelt sich inArt. 6 LStVG und in Art. 2 Abs. 1 PAGwider.

Eigentumsschutz als Aufgabe

der inneren Sicherheit Bekämpfung der

Einbruchskriminalität in einer Millionenstadt

Eberhard Roese

POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

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Eberhard Roese96

2. Eigentumsschutz als Aufgabeder Gefahrenabwehr in Bayern

2.1 Sicherheitsbehörden und sonstige Fachbehörden

Der Eigentumsschutz und die vorbeu-gende Bekämpfung von Straftaten sindin Bayern Aufgabe der Sicherheits-behörden im Sinne des Art. 6 LStVG,einer Vielzahl von Fach- und Sonder-ordnungsbehörden und nicht alleinAufgabe der Polizei. Zu denken ist indiesem Zusammenhang insbesonderean mögliche direkte oder flankierendeMaßnahmen des Eigentumsschutzes:

● bauliche Gestaltung kriminogenerBereiche,

● Videoüberwachung in kommunalenEinrichtungen,

● Grünanlagenaufsicht,● Frauenparkplätze in kommunalen

Parkhäusern,● Einrichtungen von runden Tischen

(Sicherheitsbeiräte),● konsequente Beendigung desAufent-

halts von ausländischen Straftätern/Verhinderung derWiedereinreise usw..

2.2 Polizei

Mit der zunehmenden „Entpolizeili-chung“ der hoheitlichen Gefahrenab-wehr durch die Schaffung von ver-schiedenen Ordnungsbehörden sinddem polizeilichen Vollzugsdienst nurwenige originäre Aufgaben geblieben,wie z.B. nach § 44 Abs. 2 StVO, § 4VereinsG, § 50 WaffG, §§ 12ff. Ver-sammlG. Trotz dieser wenigen ori-ginären Zuständigkeiten liegt dasSchwergewicht polizeilicher Tätigkei-ten in Bereichen, in denen andere Be-hörden zuständig sind, aber tatsäch-

lich und rechtlich nicht in der Lagesind, akuten Rechtsgefahren zu begeg-nen. Daraus hat sich letztlich eine Not-fallzuständigkeit der Polizei entwickelt,die in allen Polizeigesetzen der Länderverankert ist (in Bayern Art. 3 PAG).

3. Eigentumsschutz als polizeiliche Aufgabe

Alle strategischen Planungen der Poli-zei sollten am Grundsatzauftrag derPolizei, Straftaten zu verhüten, zu un-terbinden und konsequent zu verfol-gen, ausgerichtet sein. Insbesonderesollten – auch wenn dies heute nichtmehr sonderlich populär ist – general-präventive Aspekte berücksichtigt wer-den. Alle Initiativen zur Entpönalisie-rung und Verharmlosung bestimmterErscheinungsformen (z.B. Ladendieb-stahl, indirekte Beschaffungskrimina-lität) tragen dazu bei, dass das Un-rechts- und Risikobewusstsein bei derbetroffenen „Klientel“ weiter sinkt undAnreize zur Wiederholung der Straf-taten geschaffen werden.

3.1 Kriminalitätssituation in derMillionenstadt München1

Die polizeiliche Kriminalstatistik fürdas Polizeipräsidium München war1998 positiv geprägt (Rückgang von4,4%). Ebenfalls konnten Rückgängein den Deliktsbereichen

● der Gewaltkriminalität um 9%,● der Straßenkriminalität um 14%,● der Wohnungseinbrüche um 7,4% 2

und● der Kfz-Diebstähle um 11,3%

registriert werden.

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Eigentumsschutz als Aufgabe der inneren Sicherheit 97

Für München wurde bei einer Auf-klärungsquote von 58,4% eine Krimi-nalitätshäufigkeitszahl von 9.216 er-rechnet. Dies bedeutet Rang 51 unterden deutschen Großstädten.

Die Tendenz für das erste Halbjahr1999 stellt sich im Vergleich zum Be-zugszeitraum 1998 wie folgt dar:

● Schwerer Diebstahl insgesamt:14,3%, darunter– in/aus Banken: 30,8%– in/aus Dienst./Büros/Werkst.:

21,4%– in/aus Gastst./Hotels/Kantinen:

27,4%– in/aus Kiosk: 52,5 %– in/aus Geschäften: 36,4 %– in/aus Schaufenstern/Vitrinen:

21,4 %– in/aus Wohnräumen: 23,4 %– in/aus Kellern/Speichern: 6,4 %– in/aus Baustellen/Rohbauten:

45,5%– in/aus Kirchen: 38,1 % ect..

3.2 Polizeiliche Maßnahmen zurBekämpfung einschlägigerStraftaten der Eigentumskrimi-nalität/Einbruchskriminalität

Das „A“ und „O“ zur Planung aller tak-tischen Maßnahmen ist das Wissenum Kriminalitätsbrennpunkte, an de-nen polizeiliche Schwerpunktmaßnah-men gesetzt werden müssen. Denn nurdurch einen effektiven Kräfteeinsatzkann das Aufkommen von Krimina-lität positiv beeinflusst werden. Wirhaben seit 1999 mit „GLADIS“ ein geo-graphisches Lage-, Analyse-, Darstel-lungs- und Informationssystem zurVerfügung, das es erlaubt, rund um dieUhr die aktuelle Kriminalitätslage von

allen Dienststellen aus abzufragen undRecherchen im Bestand durchzufüh-ren. Über verschiedene graphischeDarstellungsmöglichkeiten können dieaktuelle Situation, Kurz- und Langzeit-vergleiche beurteilt werden. Des Wei-teren können Auswertungen zum Tat-/Tat- und Tat- /Täterabgleich durchge-führt werden.

Maßnahmen der Gefahrenabwehr

● Präsenz im öffentlichen Raum

Wir legen großen Wert darauf, sowohlmit zivilen als auch uniformierten Po-lizeikräften verstärkt im öffentlichenRaum präsent zu sein und lageorien-tiert tätig zu werden. Beispielsweisekonnten wir die Fußstreifenfrequenzum rund 12 % erhöhen und erreichtendamit möglicherweise den genanntenRückgang bei der Straßenkriminalität.Äußerst erfolgreich arbeiten die zivi-len Einsatzgruppen (ZEG) der Polizei-inspektionen, die rund um die Uhrschwerpunktmäßig die Straßenkrimi-nalität im jeweiligen Dienstbereichbekämpfen.

● Einsatz der Jugendbeamten

Bei allen Polizeiinspektionen habenwir Jugendbeamte installiert, derenHauptaufgabe es ist, sich – in Zusam-menarbeit mit den Streetworkern derLandeshauptstadt München – mit auf-fälligen Jugendlichen und deren Grup-pierungen auseinanderzusetzen und sodas Entstehen jugendtypischer Krimi-nalität frühzeitig zu verhindern. DieseBeamtinnen und Beamten halten engeKontakte zu den Münchner Schulen,sind in Freizeiteinrichtungen für Ju-gendliche ständig präsent und veran-

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Eberhard Roese98

stalten für gefährdete Jugendliche di-verse Freizeitaktivitäten. Bei den Ju-gendlichen genießen sie im Übrigenein hohes Ansehen.

● Fahndungs- undKontrollmaßnahmen

Ergänzende Maßnahmen werden mitunseren geschlossenen Einheiten (dasPP München verfügt über zwei Ein-satzhundertschaften und eine USK –Hundertschaft) durchgeführt, die, ko-ordiniert durch das Präsidium, an re-gionalen Deliktsbrennpunkten zu denentsprechen Maßnahmen sowohl uni-formiert als auch in ziviler Kleidungeingesetzt werden.

● Vorbeugung und Beratung

Zwei Kommissariate des Polizeipräsi-diums München (K 313 und K 314)sind sowohl in der technischen alsauch in der Opferberatung (verhaltens-orientierter Bereich) eingesetzt. Ergänztwerden diese Maßnahmen durch dieKontaktbereichsbeamten der Polizeiin-spektionen, die ebenfalls Opfer vonStraftaten im Rahmen ihrer täglichenStreifengänge ansprechen und dieKontakte zu den genannten Kommis-sariaten vermitteln.

Als weitere Maßnahmen sind stichwortartig zu nennen:● Einsatz technischer Hilfsmittel (z.B.

Videoüberwachung im öffentlichenRaum),

● Präsenz in den Medien (Warnhin-weise u.a.),

● Sicherheitstraining für die Bürger,● Bürgersprechstunden bei den Poli-

zeiinspektionen,● Nachtspaziergänge zusammen mit

den Bürgern, damit die Bürger mit

der Polizei Sicherheitsmängel fest-stellen und Abhilfemöglichkeitenerörtern können,

● ständige Untersuchung des Sicher-heitsgefühls der Bevölkerung Mün-chens.3

Konsequente Strafverfolgung im Verbund der Schutz- und Kriminalpolizei

Wesentlich ist in diesem Zusammen-hang, dass die Möglichkeiten der Kri-minalistik und der Kriminaltechnik ef-fektiv genutzt und die uns zur Ver-fügung stehenden Fahndungshilfsmit-tel (SIS-SF, INPOL-SF, erkennende Sach-fahndung, Kunstdatei usw.) zeitnah ab-gefragt werden. So gibt es zum Beispielbeim Polizeipräsidium München einKommissariat, das nur im Bereich dererkennenden Sachfahndung tätig istund täglich Pfandleiher, Leihhäuser,Gebrauchtwaren- und Antiquitäten-händler überprüft. Damit konnte – ori-entiert an der Datei „erkennende Sach-fahndung“ (eine Münchner Anwen-dung) – in vielen Fällen Diebesgut er-kannt und die Spur zum Veräußerer/Täter geöffnet werden. Flankierend da-zu setzt unsere „Gewinnabschöpfungs-gruppe“ auch im Bereich der Eigen-tumskriminalität erfolgreich an; Si-cherungsmaßnahmen wie z.B. Sicher-stellung und Beschlagnahme sowie dieHerbeiführung dinglicher Arreste tref-fen die Szene empfindlich. Erste Urtei-le (mit Einziehung, Verfall, erweiter-tem Verfall) bestätigen unsere Haltung.

4. Schlussbemerkungen

Auch an der Schwelle zum neuen Jahr-tausend wird es für die Polizei genü-

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Eigentumsschutz als Aufgabe der inneren Sicherheit 99

gend zu tun geben; denn Eigentums-kriminalität ist Massenkriminalität.Unsere Gesellschaft wird auch wei-terhin bedroht durch Intensiv- oder Serientäter, durch Wirtschafts- und Computerstraftaten und durch die or-ganisierte Kriminalität, die sich überalldort einnistet, wo große Gewinne an-fallen. Obwohl schon viel erreicht wur-de, kann weder eine rein präventivenoch eine rein repressive Ausrichtungden Erfordernissen effektiver Polizei-

arbeit genügen. Anzustreben ist die Ba-lance zwischen beiden. Forciert werdenmuss aber in jedem Fall eine neue Po-lizeiphilosophie, die einen Weg zurBürgerorientierung aufzeigt. Die Inhal-te lauten auf einen kurzen Nenner ge-bracht: „Wir arbeiten erfolgreich, sindfür den Bürger präsent und gewährlei-sten so einen hohen Sicherheitsstan-dard und ein gutes Sicherheitsgefühl.“Noch kürzer lässt es sich wie folgt aus-drücken: „Wir sind für die Bürger da!“

Anmerkungen1 Durch das PP München wird der Sicher-

heitszustand nicht nur separat und iso-liert betrachtet, sondern stets im Kontextmit dem restlichen Bayern und im Ver-gleich mit anderen deutschen Großstäd-ten gesehen.

2 Da die Ausführungshandlung im öffent-lichen Raum beginnt, werden auch dieseDelikte der Straßenkriminalität zuge-rechnet.

3 Mit seiner Konzeption zur Steigerung desSicherheitsempfindens der MünchnerBürger aus dem April 1998 hat das Präsi-dium Vorschläge für eine bürgernahe Po-lizei erarbeitet und bereits umgesetzt. Teilssind sie bereits im obigen Text verarbei-tet. Bestandteil dieser Konzeption sindauch fortlaufende Bürgerbefragungen. DieWerte der damaligen Befragung stelltender Polizei ein gutes Zeugnis aus.

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POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 1/2000, 51. Jahrgang, April 2000

Der völkerrechtliche Schutz des Privat-eigentums ist seit Jahren in der Bun-desrepublik Deutschland ein anhal-tendes Thema. Die Problematik wirdmeist im Zusammenhang mit dem Of-fenhalten der Vermögensfrage in denBeziehungen zwischen Deutschlandund seinen östlichen Nachbarn dis-kutiert.1 Die Frage stellt sich aber auchin Verbindung mit den Folgen desZweiten Weltkriegs unter dem Ge-sichtspunkt der Reparations-Enteig-nung2 und taucht – im Kontext mitdem sogenannten liechtensteinischenBilderstreit – in der jüngsten Recht-sprechung des Bundesverfassungsge-richts auf.3 Die einschlägige Zivil- undVerfassungsrechtsprechung, aber auchdie sogenannte Schlusserklärung derBundesregierung vom 8. März 1999 er-wecken Zweifel, ob der völkerrechtlichstatthafte und verfassungsrechtlich ge-botene Schutz des Eigentums der deut-schen Heimatvertriebenen noch mög-lich ist.4

1. Die offene Vermögensfrage

1.1 Die völkerrechtliche Lage

Aus der Sicht des Völkerrechts er-scheint das von den deutschen Hei-

matvertriebenen zurückgelassene undbeschlagnahmte Eigentum nach wievor ungeregelt.

● Die Vermögenskonfiskationenwaren völkerrechtswidrig.

– Die entschädigungslose Enteignunglässt sich nicht durch das soge-nannte„Territorialitätsprinzip“ recht-fertigen, wonach Enteignungen alsausländische Hoheitsakte („Act ofState“) grundsätzlich hinzunehmenwären, wenn sie im Rahmen der Ge-bietshoheit der örtlichen Macht-haber durchgeführt werden. Kriegs-und Friedensvölkerrecht setzen derkonfiszierenden Staatsgewalt maß-gebliche Schranken.

– Das Kriegsvölkerrecht schützt grund-sätzlich das Privateigentum im be-setzten Gebiet; es darf nicht ent-schädigungslos eingezogen werden.

– Das Friedensvölkerrecht sieht fürden möglichen Eigentumsentzugeine gerechte, unverzügliche undeffektive Entschädigung vor. Auchwenn das wirtschaftliche Selbst-bestimmungsrecht der Staaten zurErreichung bestimmter sozialpoli-tischer Ziele ausnahmsweise die ent-schädigungslose Verstaatlichung be-stimmter Vermögenswerte gestatten

Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums

Dieter Blumenwitz

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Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums 101

sollte, darf diese niemals diskrimi-nierend gegen eine missliebigeBevölkerungsgruppe durchgeführtwerden.

– Wird mit der Vermögenskonfiska-tion die Zerstörung der Existenz-grundlage einer Bevölkerungsgrup-pe in ihrem angestammten Sied-lungsgebiet beabsichtigt, ist der sub-jektive und objektive Tatbestand desVölkermords erfüllt. Völkermordverstößt gegen zwingende Normendes Völkerrechts („ius cogens“) undwirkt „erga omnes“; er kann vonder Staatengemeinschaft nicht sank-tionsfrei gestellt, hingenommenoder gar anerkannt werden.

Die mit der Flucht oder Vertreibungder deutschen Bevölkerung zusam-menhängenden Vermögenskonfiska-tionen haben grundsätzlich den An-spruch auf Naturalrestitution odervolle Entschädigung zur Folge.

● Spezielle bi- oder multilateraleRegelungen der Vermögensfragefehlen.

– Das Potsdamer Abkommen derhauptverantwortlichen Siegermäch-te, auf das sich die Vertreiberstaatenbezüglich aller Flucht und Vertrei-bung berührenden Rechtsfragen be-rufen, ist der Form nach kein dasDeutsche Reich, die BundesrepublikDeutschland oder das wieder verei-nigte Deutschland bindender völ-kerrechtlicher Vertrag.Seine Ziffer XIII enthält weder ei-ne konkrete Umsiedlungsregelung,noch ermächtigt er zur Vermögens-konfiskation oder genehmigt dieseMaßnahmen. „Humaner Bevölke-rungstransfer“ und die völlige Ent-rechtung einer diskriminierten Be-

völkerungsgruppe durch die Vertrei-berstaaten schließen sich aus.

– Der Vertrag über die abschließendeRegelung in Bezug auf Deutschlandvom 12. September 19905 (2+4-Vertrag) regelt die „Grundlagen fürden Aufbau einer gerechten unddauerhaften Friedensordnung inEuropa“ (Präambel, Satz 3). „We-sentlicher Bestandteil der Friedens-ordnung in Europa“ ist die „Bestä-tigung des endgültigen Charak-ters der Grenzen des vereintenDeutschlands“, nicht aber die Rege-lung der offenen staatsangehörig-keits- und vermögensrechtlichenFragen.

– Die Briefwechsel zum deutsch-pol-nischen und zum deutsch-tsche-choslowakischen Nachbarschafts-vertrag6 lassen die Vermögensfrageweiterhin offen. Die deutsch-tsche-chische Erklärung vom 21. Januar19977, ursprünglich als Schluss-strich auch unter die offenen ver-mögensrechtlichen Fragen konzi-piert, geht in Ziff. 4 davon aus, dassbeide Seiten „ihre Beziehungennicht mit aus der Vergangenheitherrührenden politischen undrechtlichen Fragen belasten wer-den“; beide Seiten akzeptieren, dasssie bezüglich der Vermögensfragenunterschiedlicher Rechtsauffassungsind, und respektieren, dass sich die jeweiligen Rechtsordnungendiesbezüglich „fundamental“ un-terscheiden. Die Bundesregierung verfestigt da-mit zwar den status quo durch ein – wenn auch nur politisch wirk-sames – pactum de non petendo;ein Verzicht auf vermögensrecht-liche Ansprüche wird allerdings expressis verbis nicht ausgespro-chen.8

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1.2 Die Sicht Polens und Tsche-chiens und deren „Europareife“

● Zur „raison d‘ être“ der nach demZusammenbruch des Sozialismusneukonstituierten ost-mitteleuro-päischen Demokratien zählt die Un-umkehrbarkeit und Folgenlosigkeitder Vertreibung. Man wäscht dieHände in Unschuld und verweistauf angebliche Regelungen derhauptverantwortlichen Siegermäch-te in Potsdam9; allenfalls Exzesseseien zu bedauern; die Konfiskationdes gesamten Vertriebenenvermö-gens sei allerdings kein Vertrei-bungsexzess. Alle Enteignungsde-krete und -gesetze sind demgemäßauch Bestandteil der neuen rechts-staatlichen Ordnung.10 Die Betrof-fenen werden auf die Lastenaus-gleichsgesetzgebung ihres Aufnah-mestaates und auf die Einsicht ingeschichtliche Realitäten verwiesen.

● Andererseits wollen Polen undTschechien der Europäischen Unionbeitreten.11 Beide Staaten müssensich demgemäß in der europäischenMenschenrechtsgemeinschaft, demEuropa der EMRK und des Europäi-schen Menschenrechtsgerichtshofs,bewähren.12 Im Anschluss an dieRegierungskonferenz, die Ende Juni1997 zu Ende gegangen war, legtedie in das Aufnahmeverfahren ein-geschaltete Kommission ihre Stel-lungnahme vor. Nach der Gesamt-einschätzung der Kommissionweisen sowohl Polen als auchTschechien die Merkmale einer De-mokratie auf und verfügen über stabile Institutionen zur Gewähr-leistung von Rechtsstaatlichkeit,Menschenrechten und Minderhei-tenschutz13; sie sind insoweit un-

eingeschränkt „europareif“.– Die Stellungnahme der Kommission

misst der mangelnden Bereitschaftder Beitrittskandidaten, ihre aus derVergangenheit herrührenden Men-schenrechtsprobleme aufzuarbeiten,keine Bedeutung bei. Die Berichterücken die künftige Institutionalitätin den Vordergrund; nur der Kennerder Materie weiß, dass sowohl dieinnerstaatliche Rechtsordnung derBeitrittsländer als auch deren Ver-pflichtungen gegenüber der euro-päischen Menschenrechtsgemein-schaft (EMRK einschließlich ihrerZusatzprotokolle) alle Rechtsver-stöße aus der Vergangenheit aus-blenden.

– Demgemäß wird der tschechischeVerfassungsgerichtshof – trotz desSkandalurteils in der Sache Dreitha-ler – ausdrücklich gelobt.14 SeineRolle wird als „wichtig und aktiv“beschrieben: „Seine Entscheidungenin Sachen Staatsangehörigkeit undEigentumsrecht zeugen von seinerRolle bei der Wahrung des Rechts-staates“.

– Trotz der bekannten Schwierigkei-ten im Grundbuch- und Kataster-wesen wird die Verbürgung des Ei-gentums uneingeschränkt gelobt.„Enteignung“ nur zum Wohle derAllgemeinheit und nach einer ange-messenen Entschädigung ist zuläs-sig. Kommentarlos und letztlichauch billigend erfährt der Leser ineinem Nebensatz, dass die Rückgabenur bei enteigneten Gütern möglichist, „die nach dem 25. Feb. 1948konfisziert wurden, dass sie nur zu-gunsten tschechischer Bürger er-folgen kann“ (Stellungnahme zuTschechien, S. 17) und dass „die Fra-ge der Entschädigung der von denNationalsozialisten oder den Kom-

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munisten enteigneten Personen im-mer noch nicht ganz geregelt“ ist(Stellungnahme zu Polen, S. 18).Dass es in Mitteleuropa MillionenHeimatvertriebene gibt, verschweigtdie Stellungnahme der Kommission.

– Im postkommunistischen Europahat der Minderheitenschutz wiedereinen besonderen Stellenwert er-langt. Wer sich im Kommissions-bericht über die besondere Lage derin den Vertreiberstaaten verbliebe-nen deutschen oder volksdeutschenRestbevölkerung informieren will,sucht vergebens. In der Stellung-nahme zu Tschechien finden nurSlowaken sowie Sintis und RomaErwähnung, wobei nur letztere diskutiert werden.15 Die Stellung-nahme zu Polen reduziert die deut-sche Minderheit auf 400.000 undgreift keines ihrer spezifischen Prob-leme auf.16

– Immerhin gibt es auch einen Licht-blick: Das Europäische Parlamentund der österreichische Nationalrathaben sich in einer förmlichen Ent-schließung für die Aufhebung derBenesch-Dekrete ausgesprochen.17

Dies ist ein erster Schritt. Allerdingshilft nur eine Nichtigerklärung extunc den Betroffenen weiter.

1.3 Die Sicht der BundesrepublikDeutschland

In der Eingliederung der MillionenHeimatvertriebener sahen die Sieger-mächte des Zweiten Weltkriegs einenPrüfstein der Friedensliebe der sich neukonstituierenden Bundesrepublik.

● Im Gegensatz zur 1990 untergegan-genen DDR, die „die durchgeführteUmsiedlung der Deutschen“ aus-

drücklich als „unabänderlich, ge-recht und endgültig gelöst“ aner-kannt hat18, sah die Bundesregie-rung bis in die jüngste Zeit hineinin der Vertreibung der Deutscheneinen schweren Verstoß gegen dieVölkerrechtsordnung. Sie hat aufdie aus Flucht und Vertreibung re-sultierenden Ansprüche nie ver-zichtet, insbesondere die Vermö-gensverluste der Vertriebenen nieanerkannt oder mit deren An-sprüchen aufgerechnet.

– Demgemäß vollzog sich die Lasten-ausgleichsgesetzregelung, die vonden Vertreiberstaaten als eine nach-trägliche Rechtfertigung der Konfis-kation des Vertriebenenvermögensangesehen wird, ausschließlich un-ter dem Gesichtspunkt der „not-wendigen Hilfe zur Eingliederungder Geschädigten“; die gesetzgeben-den Körperschaften stellten aus-drücklich fest, dass „die Gewährungund Annahme von Leistungen kei-nen Verzicht auf die Geltendma-chung von Ansprüchen auf Rück-gabe des von den Vertriebenenzurückgelassenen Vermögens be-deutet“.19

– Die Entspannungs-, Normalisie-rungs-, Anerkennungs-, Nachbar-schafts- und letztlich auch Eu-ropapolitik der BundesrepublikDeutschland sollen die offenen Vermögensfragen der Vertriebenennicht präjudizieren. In ihren Er-klärungen geht die Bundesregierungnoch immer von der „Rückgabeoder Entschädigung enteigneterVermögenswerte“ der Heimatver-triebenen aus – allein die Zeit für„konkrete Verhandlungen“ sei nochnicht gekommen.20 Die Bundes-regierung geht davon aus, dass dieAnerkennung der territorialen Sou-

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veränität der östlichen Nachbarstaa-ten zumindest die privatrechtlichenVermögensansprüche unberührtließ und verweist auf die Briefwech-sel zu den Nachbarschaftsverträgen,die inländische wie auch auslän-dische Vermögensansprüche offenhalten.

– Im Zusammenhang mit Ziffer 4 derdeutsch-tschechischen Erklärungvom 21. Jan. 1997 und der dort ge-troffenen De facto-Verständigungüber ein „pactum de non petendo“sind erstmals aus berufenem MundeZweifel daran geäußert worden, obdas regierungsamtliche Offenhal-ten der Vermögensfrage überhauptnoch Ansprüche der Vertriebenengegen die Vertreiberstaaten schüt-zen soll und nicht eher dazu be-stimmt ist, die Bundesregierung vormöglichen Klagen der Enteignetenzu sichern.21 Die große Zurückhal-tung der Bundesregierung, die Ver-mögensproblematik im Zusammen-hang mit der Begutachtung der„Europareife“ von Polen und Tsche-chien zu thematisieren oder den imRahmen von Ziffer 4 der deutsch-tschechischen Erklärung verbliebe-nen Handlungsspielraum auszulo-ten22, unterstreicht die Bedeutungder Fragestellung und verweist aufdie Rolle deutscher Gerichte in ei-nem möglichen Rechtsstreit.

● Nach der Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts liegt in derzunächst faktischen, später De-iure-Bestätigung der zwischen Deutsch-land und seinen östlichen Nach-barn bestehenden Grenzen keine„hoheitliche Verfügung über priva-tes Eigentum“. Mit der Grenzbe-stätigung ist keine Anerkennung dervorangegangenen Enteignungsmaß-

nahmen seitens der BundesrepublikDeutschland verbunden. Die ge-bietsbezogenen Regelungen enthal-ten auch keinen stillschweigendenVerzicht auf Eigentumsrechte oderAnsprüche deutscher Privatperso-nen. Die Verträge enthalten keineAufrechnung mit möglichen Repa-rationsforderungen.23

– Das Bundesverfassungsgericht hatallerdings in seiner jüngsten Recht-sprechung klare Aussagen zum Ei-gentum und Erbrecht Vertriebenerbzgl. ihres in der alten Heimatzurückgelassenen Vermögens ver-mieden. In den Ostvertragsbe-schlüssen von 197524 verweist dasGericht noch auf den deutschenordre public zur Abwehr der rechts-widrigen polnischen Konfiskatio-nen. Die Verfassungsbeschwerden,die Heimatvertriebene gegen dievermögensrechtlichen Folgen vonGrenz- und Nachbarschaftsvertragerhoben haben, wurden nicht mehrzur Entscheidung angenommen.

In dem bis heute maßgeblichenKammerbeschluss vom 5. Juni 1992gehen die Richter auf die Eigen-tumsfrage nicht näher ein und be-gnügen sich mit der Feststellung,dass den Beschwerdeführern „all dasgeblieben ist, was sie zuvor hatten“.Was den Vertriebenen verbliebenist, wird eher skeptisch und äußerstdistanziert beurteilt: „Ihrer Ansichtnach bestehende, von polnischerSeite aber nicht anerkannte und da-her praktisch nicht durchsetzbareRechtspositionen und die Hoffnungauf Rückgängigmachung oder zu-mindest Entschädigung für vor lan-ger Zeit erlittene und ihrer Auf-fassung nach zu Unrecht zugefüg-te Verluste“.25

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Das bisherige Ausbleiben der Ent-schädigungsregelung und die man-gelnde Durchsetzung der Ansprücheder Opfer hat die Bundesregierungzumindest mitzuverantworten; die-se Umstände vermögen jedenfallsden Anspruch der Betroffenen aufGrundrechtsschutz nicht zu min-dern. Ein wirksamer Auslandsschutzscheint angezeigt.

– Auslands- oder diplomatischerSchutz ist die Protektion, die der Heimatstaat seinen Staatsangehöri-gen gegenüber völkerrechtswidrigenHandlungen anderer Staaten ge-währt. Die Schutzausübung ist keineunzulässige Einmischung in die in-neren Angelegenheiten anderer Staa-ten. In der Verfassungsordnung des Grundgesetzes wird der indi-viduelle Anspruch auf Auslands-schutz aus dem objektiven Wert-gehalt der betroffenen Grundrechts-normen und der korrespondieren-den Schutzpflicht des Staates her-geleitet.26 Den im außenpolitischenBereich Handelnden räumt dasBVerfG allerdings einen breitenRaum politischen Ermessens ein. Esträgt damit dem Umstand Rech-nung, dass die Gestaltung der aus-wärtigen Beziehungen, Verhältnisseund Geschehensabläufe nicht alleinvom Willen der Bundesregierung abhängig ist. Die Bundesregierungmuss vielmehr ihre jeweiligen politi-schen Ziele durchsetzen, und nur siekann im Rahmen der Gewaltentei-lung außenpolitisch erhebliche Sach-verhalte und die Zweckmäßigkeitmöglichen Verhaltens einschätzen.Aus der Rechtsprechung ergibt sichim Einzelnen Folgendes:

* Ein subjektiv-öffentlicher Anspruchauf völkervertragliche Absicherung

individueller Ansprüche bestehtnicht27; den außenpolitisch Han-delnden ist allerdings versagt, ander Zerstörung vermögenswerterRechte der Bürger – z.B. durch Ver-zicht oder Aufrechnung – mitzuwir-ken (Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs.3 GG).

* Die Einhaltung der Ermessensaus-übung bleibt zwar auch im auswär-tigen Bereich grundsätzlich nach-prüfbar28, die Entscheidung überdas „Ob“ und mehr noch über das„Wie“ der Schutzgewährung wird inder Gerichtspraxis aber regelmäßigder Einschätzungsprärogative derExekutive überantwortet.

* Die für die gerichtliche Kontrolledes Auswärtigen Amtes in Bonn ört-lich zuständigen VG Köln und OVGMünster haben alle Schutzbegehrender Heimatvertriebenen nach derDemokratisierung der Vertreiber-staaten zurückgewiesen und die Re-vision zum Bundesverwaltungsge-richt nicht zugelassen. Begründung:Die Entscheidung über die Schutz-gewährung dürfe auch „pauschal“getroffen werden, d.h. ohne dieBerücksichtigung der grundrechts-relevanten Besonderheiten des Ein-zelfalls; schon bei gemutmaßterAussichtslosigkeit der gefordertenProtektion (Einschätzungsspielraumder außenpolitisch Handelnden!)kann der Schutz unterbleiben.29

* Räumen die außenpolitisch Han-delnden ermessensfehlerfrei anderenVerfassungsgütern (z.B. der Völker-verständigung)dauerhaft Vorrang ge-genüber den grundrechtlich ge-schützten Interessen des Bürgers ein,erbringt dieser ein entschädigungs-pflichtiges Sonderopfer zugunstender Allgemeinheit – diese Erkenntnisder Rechtswissenschaft30 wurde bis-

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lang von der Rechtsprechung wederbestätigt noch widerlegt.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dassdie entschädigungslos enteignetenHeimatvertriebenen auch nach derKonstituierung rechtsstaatlich-demo-kratischer Regierungen in den ehe-maligen Vertreiberstaaten de factoschutzlos geblieben sind und dass dieeuphorische Umschreibung der Lagemit „Offenhalten der Vermögensfrage“außenpolitisch keine Früchte mehr tra-gen wird. Innenpolitisch eignet sie sicheher dazu, den Ausgleich des Sonder-opfers, das die Vertriebenen mit ihremHab und Gut erbracht haben, so langeauf- und in Grauzonen abzuschieben,bis dieser Verlust aus dem politischenGedächtnis der Zeit restlos verdrängtwurde.31 In der Tat, die Äußerungender Bundesregierung zur „offenen Ver-mögensfrage“ sind schon seit gerau-mer Zeit zu substanzlosen Ritualen ver-flacht, die den Opfern mehr schadenals nützen. Mit Interesse und Anteil-nahme haben deshalb die deutschenHeimatvertriebenen und ihre Verbän-de den vor deutschen Gerichten ent-brannten liechtensteinisch-tschechi-schen Bilderstreit verfolgt, der dieangeblich offene Vermögensfrage inein neues Licht rückt.

2. Zur Problematik der Repara-tionskonfiskation

2.1 Der liechtensteinisch-tschechi-sche Bilderstreit

Das Landgericht und das Oberlandes-gericht Köln32 räumten der Tschecho-slowakei die Kompetenz ein – hieraufdarf sich auch die gegenwärtige Tsche-chische Republik berufen –, mit

Wirkung für die Rechtsordnung derBundesrepublik Deutschland liech-tensteinisches Vermögen gem. den Benesch-Dekreten zum Zwecke der Reparation zu konfiszieren; für dieEnteignungen gelten demgemäß derEinwendungsverzicht und die Kla-gesperre von Teil VI Überleitungsver-trag.33 Der BGH nahm die Revision,das BVerfG die Verfassungsbeschwerdenicht zur Entscheidung an.34 Damitsteht für Deutschland nicht nur ver-bindlich fest, dass alle Reparationsent-eignungen sakrosankt sind, sonderndass dem beschlagnahmenden Staatauch das uneingeschränkte Recht zu-steht, selbst zu bestimmen, was eineReparationsenteignung ist. Wenn dieTschechoslowakei neutrales liechten-steinisches Eigentum als volksdeut-sches Feindvermögen konfisziere, istdas gem. einer „zweckorientierten“Auslegung des Art. 3 Abs. 1/3 VI.TeilÜV für deutsche Gerichte bindend undkeineswegs willkürlich.35 Wenn schondie Konfiskation liechtensteinischenEigentums für Deutschland verbind-lich ist, dann gilt dies erst recht – somuss argumentiert werden – für dasenteignete volksdeutsche Vermögen.

2.2 Zum Hintergrund desVerfahrens

● Trotz aller Deklamation des tsche-chischen Nebenintervenienten imKölner Zivilprozess36 ist das Für-stentum Liechtenstein ein Staat imSinne des Völkerrechts. Die frühe-ren Grafschaften und Lehen desHeiligen Römischen Reichs Schel-lenberg und Vaduz kamen 1699bzw. 1712 in den Besitz des HausesLiechtenstein und wurden 1719durch Kaiser Karl VI. als Fürstentum

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Liechtenstein konstituiert. Mit derAuflösung des Heiligen RömischenReichs Deutscher Nation im Jahre1806 wurde Liechtenstein unab-hängig. Es war 1806 – 1813 Mitglieddes Rheinbundes, 1815 – 1866 Staatim deutschen Bund. 1919 wurde dieSchweiz mit der Wahrnehmung derauswärtigen Beziehungen betraut.Liechtenstein behielt sich jedochdas Recht vor, den Vertretungsauf-trag jederzeit zu widerrufen und ei-gene diplomatische Beziehungen zuanderen Staaten und internationa-len Organisationen zu errichten.37

Das Fürstentum ist seit 1950 Mit-glied des Statuts des IGH und ver-teidigte dort im viel zitierten Notte-bohm-Fall seine Staatsangehörigkeitgegen Übergriffe der Siegermächtedes Zweiten Weltkriegs.38 Es ist Mit-glied der europäischen Menschen-rechtsgemeinschaft (Europarat) unddes Europäischen WirtschaftsraumsEWR, seit 1991 ebenso Mitglied derVereinten Nationen.

● Obgleich Liechtenstein im Erstenund Zweiten Weltkrieg neutral war,bestanden zur Tschechoslowakei – abgesehen von wenigen Monatenim Jahre 1938 – nie normale zwi-schenstaatliche Beziehungen. Steindes Anstoßes waren die umfangrei-chen liechtensteinischen Besitzun-gen in dem durch Art. 53 ff. desFriedensvertrags von St. Germainvom 16. Sept. 1919 neu konstituier-ten tschechoslowakischen Staat (eshandelt sich um eine Landflächevon ca. 1.600 Quadratkilometer – 2,5% der Gesamtfläche der Tsche-chischen Republik und mehr als dasZehnfache der Fläche Liechten-steins). Der neu entstandene tsche-choslowakische Staat erklärte Liech-

tenstein zum historischen Staats-feind, verfügte die Enteignungliechtensteinischer Bürger, die aller-dings in den 20- und 30er-Jahrennie vollzogen wurde. Als sich imSommer 1938 die bedrohte Tsche-choslowakei von allen Bündnispart-nern verlassen sah, kam es – durchVermittlung der Schweiz – zur Auf-nahme diplomatischer Beziehungenzu Liechtenstein und wohl auch zurBestätigung des in Böhmen undMähren gelegenen liechtensteini-schen Vermögens. In einem Schrei-ben vom 10. Sept. 1938 an seineDurchlaucht Fürst Franz Josef IIüberbrachte Edvard Benesch Grüßevon Staatsoberhaupt zu Staatsober-haupt. Liechtenstein zählt zu denganz wenigen Staaten, die die Zer-schlagung der Tschechoslowakei nieanerkannt haben.

● Der 1945 wiedererstandene tsche-choslowakische Staat hat es demFürstentum ebenso wenig gedanktwie die folgende Tschechische Re-publik. Prag nahm nach dem Zwei-ten Weltkrieg seine völkerrechts-widrige Nichtanerkennungspolitikwieder auf39 und enteignete alleliechtensteinischen Staatsangehöri-gen – einschließlich ihres fürstli-chen Staatsoberhaupts – so wie das„sudetendeutsche Gesindel“.40 Ausdem fürstlich-liechtensteinischenSchloss Valtice in Südmähren ge-langte so das Gemälde Pieter vanLaers (1582 – 1642) mit dem Titel„Szenen um einen römischen Kalk-ofen“ – Versicherungswert 500000DM – in die Brünner Denkmalan-stalt, von dort 1991 in die Ausstel-lung „Niederländische Malerrebel-len im Rom des Barocks“ des Köl-ner Wallraf-Richartz-Museums und

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– durch den Fürsten Hans Adam se-questriert – in die Mühlen der deut-schen Justiz. Das nunmehr vor-liegende Ergebnis zivil- und ver-fassungsgerichtlicher Rechtsfindungist so grotesk, dass es nur in Um-rissen geschildert werden kann, vonden Heimatvertriebenen und ihrenVerbänden jedoch hinsichtlich sei-ner Konsequenz sorgfältig geprüftwerden sollte.41

2.3 Kritik an der Entscheidung desBundesverfassungsgerichts

Der deutsche Bürger erfährt aus demMunde des Bundesverfassungsgerichts,dass auch das wieder vereinigteDeutschland unter westalliiertem Be-satzungsregime steht. Angeblich hatArt. 7 des 2+4-Vertrags nur das Vier-mächterecht, nicht aber das Dreimäch-terecht (das seine Existenz aus demViermächterecht ableitet!) aufgehoben.Demgemäß wären Deutschlandvertragund Überleitungsvertrag noch rechts-kräftig, wären sie nicht durch einenNotenwechsel zwischen den Botschaf-tern der drei Westmächte und demStaatssekretär im Auswärtigen Amtvom 27./28. Sept. 199042 – teilweise –aufgehoben worden.

● Diesem Notenwechsel kommt nachder Auffassung des Gerichts keine„konstitutive“ Bedeutung zu; er be-durfte deshalb auch nicht der Zu-stimmung der gesetzgebenden Kör-perschaften. Das Gericht übersiehtdabei, dass sich die Nachbefolgungdes westalliierten Besatzungsrechtsim wieder vereinigten Deutschlandin zwei Punkten maßgeblich ändert:

– Der zeitlich begrenzte Geltungsrah-men aller in Teil VI Überleitungs-

vertrag geregelten Reparationsbe-stimmungen (bis zu einer friedens-vertraglichen oder anderweitigenRegelung) entfällt; alle Bestimmun-gen gelten künftig ohne einen zeit-lichen Geltungsvorbehalt.43

– Der räumlich auf die alte Bundes-republik beschränkte Überleitungs-vertrag soll sich in seiner Nachbe-folgung auch auf die neuen Ländererstrecken, obwohl der vom Bun-destag und Bundesrat mit 2/3-Mehr-heit beschlossene Einigungsvertragdies ausdrücklich ausschließt.44

● Gegenstand des nachzubefolgendenBesatzungsrechts sind nicht irgend-welche Belanglosigkeiten vergan-gener Tage, sondern zentrale Fragenstaatlicher Souveränität wie diedeutsche Gerichtsbarkeit. Sie betref-fen z.B. jeden Heimatvertriebenen,der in einem deutschen Antiquitä-tenladen sein altes Familiensilberwieder entdeckt. Das Bundesverfas-sungsgericht legt den antiquiertenÜberleitungsvertrag schrankenlosweit aus. Es verstößt damit gegenalle völkerrechtlichen Auslegungs-regeln, aber auch gegen von ihmselbst gesetzte verfassungsrechtlicheSchranken.

– Gem. den allgemein verbindlichenAuslegungsregeln, die in Art. 31WVRK kodifiziert sind, gilt zunächstdie strikt anzuwendende gramma-tikalische Interpretation.45 Wort-lautgemäß ist „Reparation“ i. S.v.Art. 3 Abs. 1 VI. Teil ÜV die demSieger vom Besiegten geschuldeteWiedergutmachung. Auch wenn dievon Deutschland nach dem Zwei-ten Weltkrieg geschuldeten Repa-rationen Deutschland gegenübernicht weiter bestimmt wurden, er-gibt sich doch aus den interalliier-

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ten Absprachen und Verfahren (Pa-riser Reparationsabkommen) eineklare Abgrenzung zwischen der Re-parationsenteignung des Überlei-tungsvertrags und anderen Formender Vermögenskonfiskation (z.B.Bodenreform, Bestrafung missliebi-ger Bevölkerungsgruppen, Entzugder Existenzgrundlage im Zuge derVertreibung).Gem. Art. 3 Abs. 3 VI. Teil ÜV giltder Klagestopp nur gegenüber derenteignenden Siegermacht, die sichgleichzeitig verpflichtet, den zumZweck der Reparation enteignetenGegenstand nicht mehr in dendeutschen Rechtskreis zu verbrin-gen; gegen den ausdrücklichenWortlaut der Vorschrift behandelndeutsche Gerichte die Klage des Für-sten als Einwendung gegen diedeutscherseits zu respektierende Be-schlagnahme.

– Die grammatikalische Auslegungkann durch teleologische Gesichts-punkte ergänzt werden46; aber auchdiese sprechen gegen die Behand-lung neutralen Vermögens als Re-parationsgut i. S. des Überleitungs-vertrags.

* Der Überleitungsvertrag wurde 1955als ein vierseitiges Abkommen zwi-schen der Bundesrepublik und dendrei westlichen Siegermächten ab-geschlossen; es darf nicht unterstelltwerden, dass z.B. die USA – mittenim Kalten Krieg – reparationsrecht-liche Regelungen als einen schran-kenlosen Vertrag zugunsten derTschechoslowakei konzipieren woll-ten.47

* Der Überleitungsvertrag ist ein zwi-schen Kriegsgegnern über typischeKriegsfolgen geschlossener Vertrag.Schon dieser besondere Charakter

schließt aus, dass auch neutralesVermögen in seine Regelung miteinbezogen werden sollte.48

– Trotz dieser klaren Zielsetzungendes Vertragswerks gewinnt dasBVerfG aus Art. 3 VI. Teil ÜV durcheine „zweckorientierte“ Auslegungdie (versteckte) Verweisung auf dieAuffassung des konfiszierendenStaates.49 Deutschland kapituliertvor jedem Unrecht – auch vor Un-recht, das nicht Deutschland, son-dern dritten Staaten angetan wird.Zwingende und allseitig bindendeStrukturprinzipien der Völkerrechts-ordnung werden damit verletzt.50

Das BVerfG überprüft schließlichnicht die durch zweckorientierteAuslegung gewonnene Kollisions-norm an den von ihm früher ent-wickelten verfassungsrechtlichenMaßstäben.51 Erschwerend tritt hin-zu, dass sich nicht die tschechischeSeite auf die Reparations-Konfiska-tion des liechtensteinischen Bildesberief; die Rechtsverweigerung deut-scher Gerichte reklamierte die Stadt Köln, eine Körperschaft desdeutschen öffentlichen Rechts. Die Beklagte berief sich dem Verneh-men nach auf die Reparationsent-eignung, um zu verhindern, dass ineiner schwierigen Phase derdeutsch-tschechischenSchlussstrich-verhandlungen die Völkerrechts-widrigkeit der Benesch-Dekrete vordeutschen Gerichten thematisiertwerden konnte.

3. Bewertung

In ihrem musterknabenhaften Be-mühen um PC (political correctness)

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und Rücksichtnahme gegenüber denneuen ostmitteleuropäischen Demo-kratien hat sich die BundesrepublikDeutschland in neues Unrecht ma-növrieren lassen. Opfer ist diesmal das Staatsoberhaupt eines kleinen, aber souveränen Staates, der sich zuwehren weiß und dem – im Gegen-satz zu den deutschen Heimatver-triebenen – alle Türen des interna-

tionalen Rechtsschutzes offen ste-hen.52 Für die vertriebenen Sudeten-deutschen ist der Bilderstreit nicht nur ein liechtensteinischer Fall, son-dern auch der ihre. Die Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1998 ist – ungewollt – daswichtigste Ereignis in der unendlichenGeschichte der Offenheit der Ver-mögensfrage.

Anmerkungen1 Vgl. z.B. D. Blumenwitz, Das Offenhalten

der Vermögensfrage in den deutsch-pol-nischen Beziehungen, in: Forschungser-gebnisse der Studiengruppe für Politikund Völkerrecht Bd. 13 (1992).

2 H. Rumpf, Die Regelung der deutschenReparationen nach dem Zweiten Welt-krieg, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 23(1985), S.74–102.

3 Zweiter Senat, 3. Kammer, Nichtannah-mebeschluss v. 28.1.1998 – Az 2 BvR1981/97.

4 Vgl. W. Schäuble, Bundeskanzler Schröderverrät deutsche Interessen gegenüber derTschechischen Republik, Pressedienst derCDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bun-destag, 9. März 1999; MinisterpräsidentEdmund Stoiber, Äußerungen des Bun-deskanzlers erweisen dem deutsch-tsche-chischen Aussöhnungsprozess schlechtenDienst, Nr. 636, 9. März 1999.Bereits auf dem deutsch-tschechischenForum in Dresden Anfang Dezember1998 entdeckte Staatsminister Verheugeneine neue Qualität im Umgang zwi-schen den Sozialisten in Prag und Bonnund konstatierte „erstmals problem-freie deutsch-tschechische Verhältnisse“,DLF/05.12.98/12.18/cj.

5 BGBl. 1990 II, S.1318.6 Vertrag zwischen der Bundesrepublik

Deutschland und der Republik Polen übergute Nachbarschaft und freundschaftlicheZusammenarbeit v. 17. Juni 1991 (BG-Bl.II, S.1315); beide Seiten erklären über-einstimmend: „Dieser Vertrag befasst sichnicht (…) mit Vermögensfragen“, Ziff.5des Briefwechsels v. 17. Juni 1991. Vertragzwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Tschechischen und Slowa-kischen Föderativen Republik über guteNachbarschaft und freundschaftliche Zu-sammenarbeit v. 27. Feb. 1992 (BGBl. II,

S.463); beide Seiten erklären überein-stimmend: „Dieser Vertrag befasst sichnicht mit Vermögensfragen“, Ziff. 2 Brief-wechsel v. 27. Feb. 1992.

7 Vgl. Bulletin der Bundesregierung Nr.7 v.24.1.1997, S.61ff. S.a. Botschafter Steiner(außenpolitischer Berater des Bundes-kanzlers) vor der Presse am 9. März 1999:Schröder habe lediglich gesagt, „was so-wieso klar war“; es seien lediglich „dieoperativen Schlussfolgerungen aus derdeutsch-tschechischen Erklärung“ gezo-gen worden; der Bundeskanzler habe„keinen Rechtsverzicht geleistet“, „kei-nesfalls auf individuelle Rechtsansprüchevon Sudetendeutschen verzichtet“; esbleibe jedem Sudetendeutschen unbe-nommen, vor einem tschechischen Ge-richt zu klagen. Andererseits sei „ein Befreiungsschlag“ im deutsch-tschechi-schen Verhältnis gelungen; der Verzichtauf Vermögensansprüche sei eher psy-chologisch von Belang als völkerrechtlich.Zitate nach Frankfurter Allgemeine, Stutt-garter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, je-weils vom 10. März 1999.

8 Vgl. D. Blumenwitz, Die deutsch-tsche-chische Erklärung v. 21. Jan. 1997, Archivdes Völkerrechts, Bd. 36 (1998), S.367ff.

9 Vgl. oben I.1.b (1).10 Vgl. Dekret des Polnischen Komitees der

Nationalen Befreiung v. 6. Sept. 1944über die Durchführung der Bodenreform,deutsche Übersetzung in: Dokumentati-on der Vertreibung der Deutschen ausOst-Mitteleuropa, Bd. 1/3, S.26ff.; Gesetzv. 6. Mai 1945 über das verlassene undaufgegebene Vermögen, a.a.O., S.65ff.,Gesetz v. 3. Jan. 1946 betreffend die Über-nahme der Grundzweige der nationalenWirtschaft in das Eigentum des Staates,a.a.O., S.97ff.; Dekret v. 8. März 1946über das verlassene und ehemals deutsche

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Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums 111

Vermögen, a.a.O., S.126ff. Kraft dieser„Rechtsgrundlage“ sind das Vertriebenen-vermögen Bestandteil des „polnischenStaatsschatzes“ und „die Eigentumsfragenauf seinem heutigen Territorium endgül-tig geregelt worden“, so die jüngste Stel-lungnahme der Botschaft der RepublikPolen in der Bundesrepublik Deutschland(Schreiben vom 12. Jan. 1998) gegenübereinem Betroffenen.Zur Konfiskation des volksdeutschen Ver-mögens in der Tschechoslowakei vgl. D.Blumenwitz, Benesch-Dekrete, in: Forumfür Kultur und Politik, Heft 6 (1993), S.5ff. Der Verfassungsgerichtshof der Tsche-chischen Republik geht weiter davon aus,dass die völlige Entrechtung und Vertrei-bung der volksdeutschen Bevölkerungs-gruppe in Böhmen und Mähren (darun-ter z.B. Angehörige des im Ersten undZweiten Weltkrieg neutralen Liechten-steins) eine „adäquate verfassungsrecht-lich und wertmäßig begründete Reak-tion“ ist und im Lichte der „von denzivilisierten Völkern anerkannten Rechts-grundsätzen Bestand hat“, vgl. die soge-nannte Dreithaler-Entscheidung v. 8.März 1995 – Az Pl. US 14/94 – auszugs-weise deutsche Übersetzung in: BayVBl.1996, S.14ff. Die Tschechische Republikentnimmt der deutsch-tschechischen Er-klärung vom 21. Jan. 1997 das deutscheAnerkenntnis, „dass die Tschechische Re-publik u.a. an die Dekrete des Präsiden-ten der Republik (Benesch) und an dieEntscheidung des Verfassungsgerichts v.8. März 1995 gebunden ist“, vgl. die Er-läuterung der Ziffer 4 der Erklärung durchden tschechischen Ministerpräsidentenvor dem Prager Abgeordnetenhaus am 11. Feb. 1997.

11 Polen stellte seinen Antrag auf Beitritt zurEU am 5. April 1994; der Ministerrat be-schloss am 18. April 1995 die Einleitungdes Verfahrens gem. Art.0 EUV. Tsche-chien stellte am 17. Jan. 1996 den Antrag,und der Ministerrat beschloss am 29. Jan.1996 die Einleitung des Aufnahmever-fahrens.

12 Auf seiner Tagung im Juni 1993 in Ko-penhagen kam der Europäische Rat zudem Schluss, „dass die assoziierten mit-tel- und osteuropäischen Länder, die dieswünschen, Mitglieder der EuropäischenUnion werden können“. Als Vorausset-zung für die Mitgliedschaft muss der Bei-trittskandidat „eine institutionelle Sta-bilität als Garantie für demokratische undrechtsstaatliche Ordnung, für die Wah-rung der Menschenrechte sowie die Ach-tung und den Schutz von Minderheiten

verwirklicht haben“.13 Vgl. dazu die Stellungnahmen der Kom-

mission, Polen Com (97) 2002 vom15.7.1997, Tschechische Republik Com(97) 2009 vom 15.7.1997; S.20 (Polen)bzw. S.19 (Tschechische Republik).

14 Stellungnahme (Tschechische Republik),a.a.O. (oben FN 13), S.15.

15 Stellungnahme (Tschechische Republik),a.a.O. (oben FN 13), S.18 f.

16 Stellungnahme (Polen), a.a.O. (oben FN13), S.19.

17 Vgl. Entschließung E 179-NR/XX.GP desNationalrates vom 19. Mai 1999 betref-fend die Aufhebung der „Benesch-Dekre-te“ und der „AVNOJ-Bestimmungen“. DieBundesregierung wird ersucht, ihreBemühungen fortzusetzen, mit dem Er-weiterungsprozess der Europäischen Uni-on den europäischen Rechtsraum zurSicherung von Frieden, Stabilität, Demo-kratie und Rechtsstaatlichkeit schrittwei-se auszudehnen. Die Bundesregierungwird ersucht, den Ausbau der Rechts-grundlagen und die aktive Implementie-rung des Minderheitenschutzes in alleneuropäischen Staaten zu fördern. Die Bundesregierung wird ersucht, wei-terhin im Verbund mit den anderen Mit-gliedstaaten und den Institutionen dereuropäischen Union auf die Aufhebungvon fortbestehenden Gesetzen und De-kreten aus den Jahren 1945 und 1946, diesich auf die Vertreibung von einzelnenVolksgruppen in der ehemaligen Tsche-choslowakei und im ehemaligen Jugosla-wien beziehen, hinzuwirken.

18 Vgl. z.B. deutsch-tschechoslowakische Er-klärung v. 23. Juni 1950, Dokumente zursudetendeutschen Frage 1916–1967(1967), S.335f.

19 Präambel zum Lastenausgleichsgesetz(BGBl. 1952 I, S.447).

20 So der Bundesminister des Auswärtigen,Karlsruher Rede vom 4. Sept. 1993, Pres-semitteilung Nr. 1105/93, S.10.

21 Vgl. die Erläuterung der künftigen Ziff. 4der deutsch-tschechischen Erklärung inder Stellungnahme von Hans-DietrichGenscher gegenüber der SüddeutschenZeitung v. 29. Mai 1996: In der Frage derEntschädigung der Heimatvertriebenensei eine Formulierung gefunden worden,„die die Bundesregierung vor eventuellenKlagen schützt“.

22 Vgl. die Antwort des Staatsministers Dr.Werner Hoyer v. 7. Jan. 1998 auf die An-frage des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner(CDU/CSU): Die Zurückhaltung des Ei-gentums der in Tschechien lebendentschechischen Staatsangehörigen deut-

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Dieter Blumenwitz112

scher Volkszugehörigkeit widersprechenicht der von der EU-Kommission fest-gestellten Europareife der TschechischenRepublik; Begründung: „Ziffer IV derDeutsch-tschechischen Erklärung“ (BT-Drs. 13/9674).

23 Vgl. z.B. BVerfGE 40, 141 (166ff.) zumWarschauer Vertrag v. 7.12.1970 und derKammerbeschluss BVerfG NJW 1992,S.3223 unter Hinweis auf den 1. und 4.Abs. der Präambel und Art.1 des deutsch-polnischen Grenzvertrags v. 14.11.1990.

24 BVerfGE 40, 141 (157 ff.).25 BVerfG NJW 1992, S.3223; die Querver-

bindung zur Bodenverkehrsentscheidungdes Ersten Senats (BVerfGE 84, 90) wirddeutlich.

26 Vgl. BVerfGE 55, 349 (364) und E 62, 11(14).

27 Vgl. BVerfGE 40, 141 (166); 41, 126 (157f.); 43, 203 (209) und die Kammerent-scheidung (Nichtannahme-Beschluss)BVerfG NJW 1992, 3222 (3223).

28 § 40 i.V.m. § 1 Abs.1 Nr.1 VwVfG; § 114VwGO; es gilt auch hier das Rechts-staatsprinzip (Art. 20 GG) und das Will-kürverbot (Art. 3 Abs.1 GG).

29 OVG Münster, Urteil v. 12. Jan. 1996 (21A 2162/95; 8 K 2890/93 Köln) zu den pol-nischen Konfiskationen und Urteil v. 26.Sept. 1996 (21 A 2162/95; 8 K 2890/93Köln) zu den tschechoslowakischen Ent-eignungen. Der Entscheidungsspielraumerfasst demnach auch die Möglichkeit, ineiner bestimmten Situation – angesichtsdes Standes der außenpolitischen Bezie-hungen zu einem Staat – Schritte zumZwecke des Eigentumsschutzes ihrer Bür-ger ganz zu unterlassen. Kann Eigen-tumsschutz gänzlich unterbleiben, sobraucht die Behörde insoweit auch nichtauf die Besonderheiten des Einzelfalls ein-zugehen. Die „außenpolitische Situation“,die die Bundesregierung ermächtigt, aufdie Schutzgewährung gänzlich zu ver-zichten, lässt sich gerichtlich nicht ob-jektivieren; es kommt allein darauf an,wie sich der Bundesregierung die Situa-tion bei der Verhandlungsführung dar-stellt, vgl. BVerfGE 84, 90 (117, 128), E DtZ1993, S.275; BVerwG DtZ 1993, S.352.

30 Nachweise bei D. Blumenwitz, Das Of-fenhalten der Vermögensfrage, a.a.O., S.99ff.

31 Vgl. Urteil des LG Köln v. 10. Okt. 1995– 50 182/92; Urteil des OLG Köln v. 9. Juli 1996 – 22 U 215/95.

32 Vgl. Urteil des LG Köln v. 10. Okt. 1995– 50 182/92; Urteil des OLG Köln v. 9. Juli 1996 – 22 U 215/95.

33 Vertrag zur Regelung aus Krieg und Be-

satzung entstandener Fragen in dergemäß Liste IV zu dem am 23. Okt. 1954in Paris unterzeichneten Protokoll überdie Beendigung des Besatzungsregimes inder Bundesrepublik Deutschland geän-derten Fassung (BGBl. 1955 II S.405).

34 Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs v.25. Sept. 1997 – II 2 R 213/96 213/96 –und Beschluss des Bundesverfassungs-gerichts – 3. Kammer des Zweiten Senats– vom 28. Jan. 1998 – 2 BvR 1981/97.

35 BVerfG, Beschluss, a.a.O., S.4.36 Die Äußerungen der tschechischen Seite

wurden in der deutschen Presse wie folgtzitiert: „Damals wie heute ist es allgemeinbekannt, dass Liechtenstein in besagtemSinne deutscher Nationalität ist“ (FAZ v.8.8.1995) und (der Prozessbevollmäch-tigte der Brünner Denkmalanstalt, Vladi-mir Pospisil, laut SZ v. 13.7.1995): „Wennder Liechtenstein (gemeint ist seineDurchlaucht Fürst Hans Adam II von undzu Liechtenstein!) nicht Deutscher ist,dann möchte ich wissen, was er ist. Liech-tensteiner ist er mit Sicherheit nicht.Dann bin ich ‘Pospisil – Nationalität Po-spisil‘“. Das postkommunistische Tsche-chien hat im europäischen Konzert nocheine Menge zu lernen!

37 Vgl. M. Seiler, Die besonderen Beziehun-gen der Schweiz mit dem FürstentumLiechtenstein, in: Liechtensteinische Ju-ristenzeitung 1991, S.101–111.

38 Vgl. Nottebohm, Preliminary Objections,Judgement ICJ Reports (1953) 111–125;Second Phase, Judgement ICJ Reports(1955) 4–65; ICJ Pleadings, Nottebohm,Vols I-III.

39 In ihren jüngsten Stellungnahmen machtallerdings die Tschechische Republik dasFürstentum Liechtenstein für die Nicht-anerkennung verantwortlich: „The Czech Republic, desirous of main-taining standard relations with the Prin-cipality of Liechtenstein, solicited reco-gnition by Liechtenstein (as well as by allother countries) in late 1992 in connec-tion with its succession into the obliga-tions of the former Czechoslovakia, aswell as the establishment of diplomaticrelations between the two countries as of1st January 1993. Although there existcontacts between the two States withininternational organizations and in the bi-lateral sphere, Liechtenstein has not todate de jure recognized the Czech Repu-blic. We recall in this context that the re-cognition of a State and the establish-ment of diplomatic relations should notbe conditioned by any private law claimswhatsoever.“ Vgl. Written Reply of the

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Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums 113

Chech Republic to the Statement of thePrincipality of Liechtenstein, May 25,1999 (Doc. EF.DEL/57/99 vom 26. Mai1999.

40 Benesch-Dekret Nr. 12 v. 21.6.1945 führtin § 1 Abs. 1 lit. a die Konfiskation deslandwirtschaftlichen Vermögens „allerPersonen der deutschen und ungarischenNationalität“ ohne Berücksichtigung ih-rer Staatsangehörigkeit an. Die Konfiska-tion neutralen Vermögens wurde späterdurch zwei Willkürentscheidungen kom-munistischer Gerichte bestätigt: Als FürstFranz Josef die Unterstellung der Ent-scheidung der 1. Instanz, er habe sich inden 30er-Jahren in die deutsche Volks-liste eingetragen, widerlegen konnte, ent-schied das Berufungsgericht, es kämehierauf gar nicht an, da die deutscheVolkszugehörigkeit der Fürstenfamilie of-fenkundig sei. Vgl. D. Blumenwitz, Dietschechisch-liechtensteinischen Bezie-hungen. Ein anhaltender Konflikt in Mitteleuropa, in: K.G. Kick, St. Weingarz,U. Bartosch (Hrsg.), Festschrift für JensHacker (1998), S.347ff.

41 Der tschechischen Seite dient das Urteildes Bundesverfassungsgerichts als Be-stätigung ihres Standpunktes in den Be-ziehungen zu Liechtenstein:Liechtenstein hatte vor dem OSZE-Wirt-schaftsforum mehrfach die Einhaltungüber die wirtschaftliche Zusammenarbeitunter den Teilnehmerstaaten angemahntund die Restituierung des von der Tsche-choslowakei beschlagnahmten liechten-steinischen Besitzes gefordert (die OSZE-Prinzipien gewähren einerseits die volleAnerkennung und den vollen Schutz al-ler Formen von Eigentum, einschließlichdes Privateigentums, und des Rechts desBürgers, Eigentum zu besitzen und zunutzen. Andererseits anerkennen die Prin-zipien das Recht auf unverzügliche Zah-lung einer gerechten und wirksamen Ent-schädigung bei Überführung privatenEigentums in öffentliche Nutzung), vgl.Doc. EF DEL/17/99 vom 25. Mai 1999.Die Erwiderung der Tschechischen Repu-blik vom 26. Mai 1999 (Doc. EF DEL57/99) lautet: „The concrete propertyclaims of the Liechtenstein family weredealt with in the part by Czech and Ger-man courts, the proceedings of which,however, resulted in verdicts rejecting theclaims raised by the Liechtenstein party“.S.a. die Stellungnahme des tschechischenMinisterpräsidenten Zeman vor der Par-lamentarier-Versammlung des Europa-rates am 26. April 1999, Council of Eu-rope AS (1999) CR 9. In seiner Stellung-

nahme verbindet Zeman ausdrücklich dieliechtensteinische Vermögensfrage mitder deutschen: Ces problèmes ne sont pasisolés et d‘autres, similaires, qui se sontpóses avec l‘Allemagne, ont trouvés unesolution. M. Zeman serait heureux de serendre à Vaduz s‘il y était invité et il sedit certain que les négociations bilatéra-les qui s‘engageraient alors se conclurai-ent heureusement. Si des problèmes de-vaient subsister, il serait possible d‘avoirrecours à l‘aide du Conseil de l‘Europe.

42 BGBl. 1990 II, S.1386.43 Art. 1 VI. Teil Überleitungsvertrag wird

durch die Ziffer 2/3 des Briefwechsels auf-gehoben.

44 Vgl. Ziff. 4a des Briefwechsels.45 „Ein Vertrag (…) ist in Übereinstimmung

mit der gewöhnlichen, seinen Bestim-mungen in ihrem Zusammenhang zu-kommenden Bedeutung (…) auszu-legen“.

46 Gem. Art. 31 WVRK ist ein Vertrag „imLichte seines Zieles und Zweckes auszu-legen“.

47 Vgl. Art. 36 WVRK.48 Ein Vertrag zu Lasten des neutralen Liech-

tensteins wäre ohnehin nichtig (Art. 34WVRK).

49 Das Bundesverfassungsgericht greift un-kritisch auf die Rechtsprechung des BGHzurück, die dieser noch unter der genui-nen Herrschaft des Besatzungsregimes zurKontrollratsgesetzgebung entwickelte.

50 Art. 53 WVRK; Art. 25 GG.51 Vgl. Spanier-Entscheidung, BVerfGE 31,

58, wonach die Kollisionsnorm selbst unddas Ergebnis der Anwendung fremdenRechts im Einklang mit den Grundrech-ten des GG stehen müssen. Art. 14 GGschied als Prüfungsmaßstab aus, da dieKammer das Staatsoberhaupt eines neu-tralen Staats durch den Verweis auf BVerf-GE 41, 126 (168) für den „Staatsbankrottdes Deutschen Reichs“ verantwortlichmachte.

52 Es bieten sich mehrere Verfahrensmög-lichkeiten:1. Dem Fürsten steht als Privatmann dieIndividualbeschwerde nach der EMRKwegen Verletzung von Konventionsrech-ten durch die Bundesrepublik Deutsch-land zu, vgl. z.B.• Art.6 Abs.I. EMRK Rechtsverweigerung;

wenn Art. 3 Abs. 3 ÜV tatsächlich eineaktuelle Klagesperre enthält, hätte dieBundesregierung einen möglichen Vor-behalt unter ausdrücklichem Hinweisauf die Rechtsnorm notifizieren müssen.

• Art.6 Abs. I. EMRK Verletzung des recht-lichen Gehörs in Bezug auf die Rechts

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Dieter Blumenwitz114

• grundlage der Nachbefolgung des west-alliierten Besatzungsrechts über den 3. Okt. 1990 hinaus („Vorteil, nichtganz souverän zu sein“).

• Art.1 Zusatzprotokoll. Nichtachtung desaus Eigentum/Erbrecht abzuleitendenBesitzrechts des Fürsten.

• Art.14 EMRK i.V.m. Art.1 Zusatzproto-koll und Art.5 VI.Teil ÜV Diskriminie-rung des Fürsten bei der Entschädi-gungsregelung.

• Anknüpfungspunkt der Beschwerde istnicht die Konfiskation gem. Benesch-Dekret, sondern die Verweigerung derHerausgabe des Bildes durch den Köl-ner Obergerichtsvollzieher – veranlasstdurch deutsche Gerichte in einem Ver-fahren gegen eine deutsche Körper-

schaft des öffentlichen Rechts. Vgl.European Court of Human rights Be-schwerde Nr. 42527/98, deren Zulässig-keit von der Vierten Kammer am 29. Ju-ni 1999 überprüft und die gem. Art. 54Abs. 3 (b) der Verfahrensordnung derBundesrepublik Deutschland vom Ge-richtshof zugestellt wurde.2. Hieraus und aus der Verletzung liech-tensteinischer Neutralität ergibt sich auchdie völkerrechtliche Deliktshaftung derBundesrepublik Deutschland, die das Für-stentum auf der Grundlage des Europäi-schen Übereinkommens zur friedlichenBeilegung von Streitigkeiten v. 29. April1957 (BGBl. 1961 II S.82) klageweise vordem Internationalen Gerichtshof durch-setzen kann.

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Dieter Blumenwitz, Prof., Dr., Lehrstuhl für Völkerrecht, allg. Staats-lehre, dt. und bayer. Staatsrecht undpolit. Wissenschaften, UniversitätWürzburg

Otto Depenheuer, Prof., Dr.,Lehrstuhl für Staatsphilosophie undRechtsphilosophie, Universität Bonn

Harald Fliegauf, Prof., Dr.,Ltd.Oberstaatsanwalt beim VGH Mann-heim a.D.

André Habisch, Prof., Dr.,Lehrstuhl für christliche Gesellschafts-lehre, Katholische Universität Eichstätt

Peter M. Huber, Prof., Dr.,Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungs-

recht, Europarecht, Öffentliches undUmweltrecht, Jena

Monika Jachmann, Prof., Dr.,Lehrstuhl für Öffentliches und Steuer-recht, Universität Jena

Bernd Rill, Referent für Recht, Staat, EuropäischeIntegration der Akademie für Politikund Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stif-tung, München

Eberhard Roese,Polizeivizepräsident der Landeshaupt-stadt München

Manfred Weiß, Dr., MdL,Bayerischer Staatsminister der Justiz,München

Autorenverzeichnis