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Politische Verantwortung in einer globalisierten Welt Tagung des Fachverbands Philosophie (Bundesverband / Landesverband Hamburg) in Kooperation mit dem Philosophischen Seminar der Universität Hamburg und der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) 21. – 22. September 2012 Arbeitskreis Sokratisches Gespräch und politische Willensbildung StD Dr. Klaus Draken (Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Solingen Seminar Gymnasium/Gesamtschule)

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Politische Verantwortung in einer globalisierten Welt

Tagung des Fachverbands Philosophie (Bundesverband / Landesverband Hamburg)

in Kooperation mit dem Philosophischen Seminar der Universität Hamburg

und der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW)

21. – 22. September 2012

Arbeitskreis

Sokratisches Gespräch und politische Willensbildung

StD Dr. Klaus Draken

(Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Solin gen Seminar Gymnasium/Gesamtschule)

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Zum Inhalt des Readers:

TEIL A: Zur Theorie

K.D.: Der historische Sokrates – kritische Anmerkungen ……..…….

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Trawny: Sokrates oder die Geburt der Politischen Philosophie ….

5

K.D.: Sokratische Gesprächspraxis nach L. Nelson und G. Heck-mann – zwischen Philosophie und Politik ………………………….…

7

K.D.: Der philosophiedidaktische Blick auf das methodische Para-digma ……………………………………………………………………..

10

K.D.: Das Sokratische Gespräch – mögliche Grundlage einer Di-daktik der politischen Bildung? ………...…………………………….

14

Sowi-online Methodenlexikon / Susanne Popp: Das Sokratische Gespräch ………………………………………………………………..

16

K.D.: Gedanken zu einer Sokratischen Haltung …….……………..

17

K.D.: Inwieweit ist die Sokratische Methode auf die Schule über-tragbar? …………………………………………………………………

18

TEIL B: Hinweise zur Gesprächspraxis

Grundlegende Bedingungen für die Durchführung Sokratischer Ge-spräche (Folien) ………………………………………………………...

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Idealtypische Phasen des Gesprächsablaufs ……………………….

23

Sokratisch bearbeitbare Gesprächsthemen ...................................

24

Hinweise zur Formulierung sokratischer Gesprächsthemen ………

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Kriterien für die Beispielauswahl .......................................................

26

Übung zur Erfassung von Beispielen ………………………………..

27

Verschriftlichung des Beispiels ……………………………………….

28

Kategorisierung von Teilnehmerfragen ............................................

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Formulierungsangebote für sokratisch motivierte Frageimpulse ......

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Kriterien für das „öffentliche“ Anschreiben .......................................

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Regelvorschlag für die Gruppendiskussion im Metagespräch …….

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Hinweise zur Materialsuche (Literaturhinweise) ................................

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KLAUS DRAKEN : Der historische Sokrates – Deutungsspielräume und kritische Anmerkungen

[…] Bei seiner beeindruckenden Wirkungsgeschichte darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Sokrates bereits bei seinen Zeitgenossen eine umstrittene Persönlichkeit war – nicht zufällig endete er durch den Schierlingsbecher – und dass kritische Anmerkungen zu seinem Wirken bis heute gemacht wurden und werden. Der „erste vorbildliche Wahrheitskonsument, […] ein einfacher Mensch von der Straße, der sich im globalen Supermarkt der Wahrheiten verirrt hat – und der jetzt versucht, sich dort zurechtzufinden, um zumindest den Wegweiser zum Ausgang zu finden.“ So sieht Boris Groys den Sokra-tes aus der Perspektive seiner Anti-Philosophie. „Und in der Tat bietet Sokrates das uns ohnehin vertraute Bild eines missgünstigen, chronisch unzufriedenen, permanent schlechtgelaunten und streitsüchtigen Konsumenten. Immer, wenn Sokrates den schönen Reden der Sophisten zuhört, zerstört er die gute Stimmung, indem er in diesen Reden irgendwelche logische Defizite und Unzulänglichkeiten findet, die sonst niemanden interessieren oder gar stören. Solche Figuren begegnen uns übrigens auch oft im Alltag – in Geschäften, Hotels und Restaurants. Sie sind immer unzufrieden, beginnen gern Streit mit dem Perso-nal und gehen anderen Konsumenten mächtig auf die Nerven. Unwillkürlich sehnt man sich angesichts solch ärgerlicher und nervender Gestalten nach den guten alten Zeiten zurück, in denen man solche Ges-talten mit Hilfe eines Schierlingsbechers schnell beruhigen konnte.“1 Wurde Sokrates also – wie diese Sichtweise nahe legt – zu Recht hingerichtet? Sicherlich bildet diese Sokrateswahrnehmung eine ungünsti-ge Ausgangslage, um modernen Unterricht mit seiner Art des Philosophierens zu legitimieren. Doch auch ohne den speziellen Blickwinkel einer Anti-Philosophie kann man sein Tun kritisch beschreiben: „Ein Gespräch mit Sokrates ist also eine – bis heute – viel diskutierte und schwierige Angelegenheit. Man hat den Eindruck karikiert, den viele platonische Dialoge auf uns machen: Unter starker Führung eines Leh-renden wird ein ‚Opfer’ dazu gebracht, falsche Lösungen zu produzieren, die dann von Sokrates Stück für Stück destruiert werden. Der Lernende muss erkennen, dass er die Denkaufgaben mit den Bildungsmit-teln, die er zunächst nur mobilisieren kann, nicht zu bewältigen vermag. Die Regie des Lehrenden ist ü-bermächtig, der Lernende verbleibt in der Rolle dessen, der den jeweils erreichten Stand mit ‚Ja’ und ‚A-men’ bestätigen muss.“2 So beginnt Volker Steenblock seine insgesamt sicher positiv würdigende populäre Beschreibung der sokratischen Methodik 2005. Und einen Schritt weiter ging bereits 1988 Gernot Böhme. Er nannte Sokrates Vorgehen sogar „eine gefährliche Pädagogik. Ihre Techniken sind Ironie, Frage, Rol-lentausch, Elenktik. Wenn es gut geht, wird der Betroffene ‚in sich gehen’. Er wird sich seiner selbst be-wusst, wird anfangen zu reflektieren. Er wird den Unterschied zwischen Wissen und Meinen verstehen und erst jetzt anfangen, wirklich wissen zu wollen und Fragen zu stellen. Er wird sich in Zukunft nicht mehr ‚frei’ ausleben, sondern einen Hiat setzen zwischen seine Einfälle und seine Äußerungen, zwischen seine Emotionen und ihren Ausdruck, zwischen seine Antriebe und seine Handlungen und wird erst da-durch wirklich frei werden. Wenn es nicht gut geht, wird er zum Zyniker werden oder wird sich rächen wollen an Sokrates oder wird in gekränkter Raserei den Rest seines Lebens hinbringen. Es gehörte schon viel Tapferkeit im klassischen Sinne dazu, den Schlag des Sokrates auszuhalten und dazubleiben. Und es war schon viel Liebe zur Weisheit bei Sokrates’ Zöglingen vorauszusetzen, damit, was Sokrates ihnen antat, sie darin förderte.“3 Auch für Käte Meyer-Drawe hat Sokrates’ Vorgehen „sehr wenig mit dem ein-fühlsamen Dialog zu tun, nach dem sich Pädagogen sehnen“. Mit Walter Benjamin beschreibt sie die Sok-ratische Frage als „gewaltsam, ja frech, ein bloßes Mittel zur Erzwingung der Rede verstellt sie sich, ironi-siert sie […]. Die sokratische Frage ist nicht zart und so sehr schöpferisch als empfangend, nicht genius-haft. Sie ist gleich der sokratischen Ironie, die in ihr steckt – man gestatte ein furchtbares Bild für eine furchtbare Sache – eine Erektion des Wissens.“4 So sieht sie Sokrates keinesfalls als einen „Partner im non-direktiven Dialog“, sondern sie unterstellt, ihm sei „jedes Mittel recht“ für das Ziel, sein Gegenüber

1 Boris Groys: Einführung in die Anti-Philosophie. München: Hanser, 2009, S. 9. 2 Volker Steenblock: Sokrates & Co. Ein Treffen mit den Denkern der Antike. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,

2005, S. 47. 3 Gernot Böhme: Der Typ Sokrates. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, S. 141. 4 Käte Meyer-Drawe: Höhlenqualen. Bildungstheoretische Provokationen durch Sokrates und Platon. In: Rudolf Rehn/Christina

Schües (Hg.): Bildungsphilosophie. Grundlagen, Methoden, Perspektiven. München: Verlag Karl Alber Freiburg, 2007, S. 47. (Das darin enthaltene Zitat stammt aus: Walter Benjamin: Sokrates. in: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften II. I. Werk-ausgabe Bd. 4. R. Tiedemann/H. Schweppenhäuser (Hg.), Frankfurt a. M., 1980, S. 131.)

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zu wahrer Erkenntnis zu führen. „Der Schmerz ist nach Sokrates jedoch wichtig als Bedingung der Ent-stehung von Neuem. […] Im Grunde ist es ein Abschiedsschmerz, den jede wahre Erkenntnis voraus-setzt.“5 Selbst wenn man auch diese Analyse, die sich mit Nietzsches Worten das Ziel setzt, „dass man das Alte, Altbekannte, von Jedermann Gesehene und Übersehene wie neu sieht“6, nicht als generell negative Kritik verstehen darf, so bleiben doch problematische Aspekte im Hinblick auf eine Übertragung der be-trachteten Methodik auf den heutigen Schulunterricht deutlich erkennbar.

Ganz schlecht weg schließlich kam Sokrates bereits 1984 bei den Untersuchungen des Psychiatrie-Professors Aron Ronald Bodenheimer. In seiner Betrachtung jener berühmten Passage aus dem „Menon“, in der Sokrates den Sklaven zur Demonstration der Wiedererinnerung von mathematischem Wissen be-fragt, konstatiert er: „Der Befragte, ein Sklave, wird also zur Experimentiermaus gemacht und als solche benutzt, um eine These zu belegen.“ Als Fazit des Gesprächs kommt er aber nicht zu Sokrates’ Ergebnis, der Sklave habe „aus sich selbst das Wissen“ gewonnen, sondern schließt seine Analyse: „der Sklave dürfte bei sich wissen, dass es ihm nicht gegeben ist, das Rechenexempel jetzt aus eigenem Wissen und Vermö-gen nochmals anzugehen und zu deduzieren – wie folgsam und erwartungsgetreu er auch jedesmal ‚ja’, bisweilen ‚gewiss doch, mein Sokrates’ gebrummelt haben mag. Jetzt weiß er, was er zuvor nur gespürt, vielleicht dumpf geahnt hat: Wie gut das alles bestellt ist so, wie es ist! Das ihm die Sklavenschaft zu-kommt und dem Frager der Rang eines freien Herrn; […] dieses Gesetz von Herr und Knecht, von Frage und Affirmation – derart nämlich, dass die Charaktere des Dramas nicht a priori dem Herrn die Rolle des Fragenden zugestehen, dem Knecht die Aufgabe des Affirmierenden, sondern so, dass derjenige, welcher fragt, sich zum Herrn macht, und dies auch dann, wenn er nicht von vornherein schon Herr sein sollte, der Befragte folglich aus dem Effekt des Befragtwerdens (und des sich Zugestehens an diese Passivrolle) in die Position des Knechtes gedrängt wird. Das Fragen bringt erst – aus dieser Handlung und vermöge und vermittels ihrer – den Fragenden in die Stellung des Herrn; das Fragen als Akt und Situation. Das Befragtwerden macht aus dem Andern einen Knecht.“7

Thomas Nagel nimmt Sokrates gegen solcherlei Vorwürfe zwar in Schutz, indem er in seinem Buch „Das letzte Wort“8 die Sachebene der Kommunikation als Kerngeschäft des Philosophen – auch in der mündlichen Kommunikation – wieder in den Vordergrund rückt. Sogar den von Bodenheimer so sehr kritisierten Sokratesdialog würdigt er explizit: „Dadurch wirkt Platons Beispiel von dem Knaben im Menon so unwiderstehlich. Wenn Sokrates ihn zu der Einsicht bringt, dass ein Quadrat mit der doppelten Fläche wie ein gegebenes Quadrat gleich dem Quadrat auf der Diagonalen sein muss, so gelingt ihm das durch eine restlos überzeugende Argumentation, und wir anerkennen die Zustimmung des Knaben als Ergebnis der Gültigkeit der Argumentation, die er ebenso versteht wie wir selbst. Es gibt nicht einmal den Schim-mer einer Erklärung, die in die umgekehrte Richtung führte.“9 Dennoch bleibt für den modernen Pädago-gen als Fazit dieser Beispiele – so willkürlich gewählt und so sehr sie aus dem Zusammenhang genommen und verknappend dargestellt sein mögen –, dass man diese Praxis als Schulpädagogik aus verschiedenen Gründen kritisch hinterfragen muss. Ob man nun die Negativität des Sokrates oder einen passiven Opfer-status seiner Gesprächspartner wahrnimmt, die zentrale Bedeutung des Schmerzes in seiner Pädagogik, das Risiko eines Umschlagens des von Sokrates initiierten Erkenntnisprozesses in Zynismus, Rachedenken oder selbstverzweifelte „Raserei“, oder gesprächspsychologisch gesehen die von Sokrates gestiftete Bezie-hungsebene der Kommunikation als wenig symmetrisch oder gar „knechtend“ analysiert – man kann das Wirken des Sokrates durchaus als eine Provokation begreifen. Dies soll im Rahmen meiner Untersuchun-gen nicht verschwiegen werden, sondern gerade zum Anlass des Ernstnehmens der bei Sokrates selbst erkennbaren besseren Intentionen dienen und diese zu einer – nach fast zweieinhalb Jahrtausenden – lerntheoretisch und psychologisch auf heutigem Wissensstand reflektierten pädagogischen Praxis führen helfen. […]

(aus: Klaus Draken, Sokrates als moderner Lehrer, Münster: LIT, 2011, S. 16-20)

5 Ebenda, S. 43. 6 Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Kritische Studienausgabe von G. Colli und M. Montinari. Bd. 2. Mün-

chen: de Gruyter, 1988, S. 465. 7 Aron Ronald Bodenheimer: Warum? Von der Obszönität des Fragens. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1984. S. 27 u. 34-35. 8 Thomas Nagel: Das letzte Wort. Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Schulte; Stuttgart: Philip Reclam jun. GmbH &

Co., 1999. Das nachfolgende Zitat stammt aus Kapitel 4, Logik, S. 85. 9 Ebenda.

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KLAUS DRAKEN: Sokratische Gesprächspraxis nach L. Nelson und G. H eckmann – zwischen Philosophie und Politik

Leonard Nelson (1882-1927) hatte seine Schulzeit in schlechter Erinnerung, da er sie zu großen Teilen als „Mangel an wahrer geistiger (und körperlicher) Beschäftigung und die Ab-speisung mit mechanischem und totem Lehrstoff“10 erlebt hat. […] Als Student erklärte er Freunden […]: „Ich bin gar nicht, wie Du zu denken scheinst, für vieles Lesen. Auf die so genannte ‚allgem. Bild.’ lege ich sehr wenig wert und halte es für sehr viel besser, selbst zu denken, als sich den Kopf mit fremden Gedanken auszufüllen. Ich hasse die ganze moderne Schriftgelehrsamkeit und das Pharisäertum mit seinen Zitaten und Schaubuden schöner Worte. Allerdings kommt unsereiner mit seiner eigenen Weisheit nicht sehr weit, und da muss man sich dann an die großen Meister wenden, nicht um sie als Autorität zu benutzen, sondern um sich von ihnen anregen und leiten zu lassen.“11 Der hier bereits angelegten Grundidee folgend, sich im eigenen Denken anregen zu lassen, entwickelte er später die sokratische Methode, „die er in seinen Universitätsübungen und in den Ausbildungskursen des IJB anwandte. […] In den Ausbildungskursen des IJB wurde die sokratische Methode auch für die politische Schulung eingesetzt.“12 In den Jahren 1923 und 1924 verwirklicht Nel-son dann sein eigenes Schulprojekt, das Landerziehungsheim „Walkemühle“ bei Melsungen. Auch hier wurde „ein hoher Stellenwert für den Unterricht in der Kinderschule als auch in der Erwachsenenabteilung […] der sokratischen Methode eingeräumt. Die Walkemühle bot hier-für ein langfristiges Experimentierfeld. Die Arbeit nach sokratischer Methode war ein langwie-riger Prozess für Lehrer und Schüler.“13 In der Zeitschrift „Die Tat“ vom Februar 1926 formu-liert Nelson zum pädagogischen Prinzip seiner Schule: „Wenn ich – der Aufforderung der Redaktion folgend – von der pädagogischen Eigenart dieser Schule in dem knappen mir zu-gemessenen Raum überhaupt etwas sagen soll, so kann es daher nur das sein: In dieser Schule braucht man nicht zu lügen. Ich höre die Schulreformer fragen: Ist das nicht zu we-nig? Darüber zu reden, wird sich lohnen, wenn erst einmal jenes Wenige erreicht ist. Das Wenige nämlich, dass Menschen heranwachsen, die sich die mutige Überzeugungstreue der Kinder bewahren und als Erwachsene dann die erworbene Stärke und Erfahrung nutzen werden, um mit diesem doppelten Rüstzeug die Überzeugung zu verfechten, dass auch ihre Mitmenschen das Recht haben, als ehrliche Menschen aufzuwachsen und zu leben.“14

10 Nelson schreibt in seinem Brief vom 25.6.1901 weiter: „Man hat mir immer vorgehalten, später als reifer Mensch, und wenn

ich die Schule hinter mir hätte, würde ich ganz anders darüber urteilen. Ich muss aber gestehen, dass ich vorläufig noch immer auf demselben Standpunkt stehe […]. Sollte ich doch einmal dazu kommen, so finde ich, dass das nur für mich ein bedauerliches Zeichen wäre und sehe außerdem durchaus nicht ein, was das beweisen sollte. Denn es kommt doch nicht darauf an, ob verknöcherten Pedanten die übliche Unterrichtsweise behagt, sondern darauf, welchen Einfluss sie auf die Schüler ausübt.“ Hier zitiert nach: Erna Blencke: Leonard Nelsons Leben und Wirken im Spiegel der Briefe an seine Eltern, 1891-1915. Material für einen Biographen. In: Becker, Eichler, Heckmann (Hg.): Erziehung und Politik. Minna Specht zu ih-rem 80. Geburtstag. Frankfurt/M.: Verlag Öffentliches Leben, 1960, S. 14f.

11 Zitiert aus einem Briefentwurf nach Holger Franke: Leonard Nelson, S. 64f. 12 Holger Franke: Leonard Nelson, S. 182f. IJB steht als Abkürzung für „Internationaler Jugendbund“. Dieser wurde 1917 von

Nelson unter dem Eindruck des Krieges gegründet, um „gegen die Volksverhetzung zu arbeiten“ (Holger Franke: Leonard Nelson, S. 202). Ursprünglich war diese Gründung mit der Absicht geschehen, später eine „Partei des Rechts“ aus ihr hervorgehen zu lassen. Später jedoch engagierten sich die Mitglieder des IJB in den bestehenden Parteien, insbesondere in der SPD. Als seine Mitglieder dort aber zunehmend an Einfluss gewannen und eigene Positionen innerhalb dieser Partei vertraten, kam es 1925 zum Ausschluss der IJB-Mitglieder aus der SPD, auch wenn dies in der Partei nicht unumstritten blieb. „Die IJB-Mitglieder hatten sich durch ihr großes politisches Engagement, ihre ausgezeichnete politische Bildung und Verläßlichkeit das Vertrauen der SPD-Genossen erworben.“ (S. 203) So wurde „am 1.1.1926 […] der Internationale Sozia-listische Kampfbund (ISK) offiziell gegründet. Nelson hatte seine Partei des Rechts bzw. der Vernunft verwirklicht.“ (S. 204).

13 Ebenda, S. 194. 14 Zitiert nach: Leonard Nelson. Ein Bild seines Lebens und Wirkens aus seinen Werken zusammengefügt und erläutert von

Willi Eichler und Martin Hart. Paris: Editions Nouvelles Internationales, 1937, S. 406.

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„Größe und Grenze des Nelsonschen Lebenswerkes“, so hat man mit Recht gesagt, „las-sen sich daran ermessen, dass hier nichts Geringeres erstrebt wurde, als die kompromisslo-se Übersetzung eines in sich geschlossenen wissenschaftlichen Werkes in die Praxis. […] Sein Hauptwerk – die drei Bände zur ‚Kritik der praktischen Vernunft’, ‚Ethik und Pädagogik’ und ‚Philosophische Rechtslehre und Politik’ – stellen ein in sich stimmiges Konzept der wis-senschaftlichen Begründung eines Sittengesetzes und deren politischer und pädagogischer Umsetzung dar, das zugleich normative Grundlagen für die Gesamtheit menschlichen Han-delns bieten soll. Nelson hat diese gewaltige theoretische Anstrengung allein um der Praxis willen unternommen. Praxis, die nicht beliebiges Tun und Treiben, sondern zielgerichtetes Handeln ist, bedarf geklärter Prinzipien.“15 […]

Leonard Nelson selbst hat seine Auffassung der sokratischen Methode in einem gleich-

lautenden Vortrag differenzierter ausgeführt, den er am 11. Dezember 1922 in der Pädago-gischen Gesellschaft in Göttingen hielt. Hier sind seine Grundvorstellungen begründet und in das philosophische Gesamtwerk eingebettet. […] Nelson, der neben der o.g. politischen Par-tei und dem Landerziehungsheim Walkemühle auch noch die „Philosophisch-Politische Aka-demie“ gründete, ist neben den philosophisch-methodischen Bezügen gerade in seiner direk-ten Wirkung auf die Menschen seiner Zeit nachhaltig wirksam. „Man konnte zu Nelson nur ‚ja’ oder ‚nein’ sagen – Gleichgültigkeit ihm gegenüber gab es nicht. Darin lag wohl die be-zwingende Wirkung, die von seiner Person ausging“, formuliert Erich Lewinski als einer sei-ner Schüler. „Trat man Nelson gegenüber, sah man seine Kompromißlosigkeit, keineswegs nur anderen, sondern vor allem sich selber gegenüber, dann schämte man sich seiner eige-nen Lauheit, man begriff, daß seine oft hart scheinende Haltung, sein Rigorismus, dem standzuhalten nicht leicht war und vielen nicht gelang, nur die eine Seite seines Wesen dar-stellte, dass die andere Seite in einer großen Zartheit ruhte. Beide Seiten waren geboren aus einer glühenden Liebe zur Gerechtigkeit, die Nelsons Wesen, sein persönliches Wirken und Leben völlig bestimmte. Nichts Abstraktes lag darin, sondern die liebevolle Beziehung zum lebendigen Menschen, die Wertung von dessen Verhalten zum Anderen, zur Umwelt.“16

Auch andere Schüler betonten seine „menschliche Wärme […], weil seine eiserne Konse-quenz ihm leicht den Vorwurf der Härte einbrachte.“17 Dagegen hatte Nelson sich in der aka-demischen Philosophie seiner Zeit auch handfeste Feindschaften eingehandelt. Hier waren es seine politische Unbequemlichkeit und sein oft scharfer und polemischer Stil gegenüber z.T. anerkannten Positionen, die seiner breiten Anerkennung und damit einer gradlinigen Hochschullaufbahn immer wieder im Wege standen. Dies könnte man vielleicht sogar als eine Parallelität zum historischen Sokrates deuten, der trotz öffentlicher Verurteilung und Hinrichtung durch überzeugte Schüler in der Überlieferung wirkungsgeschichtlich nahezu unsterblich gemacht wurde.

Wie sich die sokratische Methode in das Bild dieses streitbaren Denkers einfügt, kann

man eindruckvoll an den Biographien vieler Nelsonschüler ablesen.18 […] „Als Gustav Heck-

15 Thomas Meyer: Die Aktualität Leonard Nelsons. Zum 100. Geburtstag des Philosophen und Sozialisten. In: Detlef

Horster/Dieter Krohn (Hg.): Vernunft, Ethik, Politik. G. Heckmann zum 85.Geburtstag. Hannover: SOAK-Verlag, 1983, S. 36f.

16 Erich Lewinski: Von der Menschenwürde. In: Minna Specht, Willi Eichler (Hg.): Leonard Nelson zum Gedächtnis. Frank-furt/M., Göttingen: Verlag „Öffentliches Leben“, 1953, S. 272.

17 Alexander Dehms: Leonard Nelson und die „Walkemühle“. In: Minna Specht, Willi Eichler (Hg.): Leonard Nelson zum Ge-dächtnis, S. 269.

18 Tatsächlich wurden viele Biographien seiner Schüler und Anhänger später schriftlich festgehalten. So sei beispielhaft ver-wiesen auf die Schriften: Philippe Adant: Widerstand und Wagemut. René Bertholet – eine Biographie. Frankfurt am Main: dipa, 1996; Antje Dertinger: Der treue Partisan. Ein deutscher Lebenslauf: Ludwig Gehm. Bonn: Dietz, 1989; Antje Dertin-ger: Die drei Exile des Erich Lewinski. Gerlingen: Bleicher, 1995; Carsten Grabenhorst: Otto Bennemann. Beitrag zu einer politischen Biographie. Arbeitskreis Andere Geschichte e.V. (Hrsg.). Braunschweig: 1991; Helga Haas-Rietschel, Sabine Hering: Nora Platiel. Sozialistin – Emigrantin – Politikerin. Eine Biographie. Köln: Bund, 1990; Inge Hansen-Schaberg: Min-na Specht – Eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918 bis 1951). Untersuchung zur pädagogischen Bio-graphie einer Reformpädagogin. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang, 1992; Charlotte Heckmann: Begleiten und Vertrauen. Pädagogische Erfahrungen im Exil 1934-1946. Herausgegeben und kommentiert von Inge Hansen-

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mann im Dezember 1922 Nelsons Rede über die sokratische Methode hörte, stand sein Entschluß fest, das Sokratische Gespräch als Aufgabe zu wählen und sich dieser Aufgabe ganz zu widmen“, formuliert der heutige Vorsitzende der „Gesellschaft für Sokratisches Phi-losophieren“, Dieter Krohn. Auch bei Gustav Heckmann erschöpfte sich das Engagement nicht in theoretisch philosophischer Auseinandersetzung. „Der politische Kampf des Nelson-Kreises richtete sich früh schon gegen Adolf Hitler und dessen Anhänger. Als die Gefahr der Nazi-Bedrohung immer stärker wurde, wurde die Erwachsenenabteilung der Walkemühle geschlossen, und die Lehrkräfte gingen nach Berlin, um dort eine Tageszeitung, den ‚Fun-ken’ herauszugeben. […] Die Nelson-Gruppe machte den Versuch, die Linksparteien zu ei-ner Einheitsfront gegen Hitler zusammenzubringen. Sie formulierten einen ‚Dringenden Ap-pell’, der mit Gustav Heckmanns Worten schloss: ‚Sorgen wir dafür, dass nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen!’ Berühmte Persönlich-keiten sollten für die Unterschrift unter diesen ‚Dringenden Appell’ gewonnen werden. Das gelang auch: Über 30 Personen unterschrieben, unter ihnen Albert Einstein, Kurt Hiller, Erich Kästner, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Pietro Nenni, Ernst Toller und Arnold Zweig. Wenn Gustav Heckmann erzählte, lebendig, anschaulich, in seiner schlichten Sprache, wie er Kä-the Kollwitz und Albert Einstein zur Unterstützung bekam, dann ging es ihm dabei nie um eine Betonung seiner eigenen Person. Es klang immer: So war’s; die haben sich richtig ver-halten. Wenn viele sich so verhalten hätten, wäre Hitler uns erspart geblieben.“19 Zu dieser Zeit lebte Nelson, der selbst durchaus so etwas wie ein „Führerprinzip“ vertreten hatte, schon nicht mehr. Seine Schüler sagten sich in der jungen Bundesrepublik – geläutert durch die Erfahrungen mit dem Führerschaftsprinzip des Dritten Reichs – von allen Strukturen dieser Art los. „1933 muss Gustav Heckmann emigrieren. Er geht mit Minna Specht und der Kin-derabteilung der Walkemühle nach Dänemark, später nach Großbritannien. 1940 kommt er in ein Internierungslager nach Kanada, nutzt die Zeit dort für Sokratische Gespräche; geht 1941 zurück nach Großbritannien, baut Nissenhütten im Pionierkorps. Durch die Vermittlung von Max Born, der auch in Großbritannien im Exil ist, kann er wieder wissenschaftlich arbei-ten. In London nimmt er an den Diskussionen der Emigranten teil; und er findet sich im Früh-jahr 1945 unter den Herausgebern einer Schrift mit dem Titel ‚Die neue deutsche Gewerk-schaftsbewegung’, in der Programmvorschläge für eine nach Kriegsende aufzubauende ‚ein-heitliche, von Staat und Parteien unabhängige und nach dem Industrieprinzip gegliederte Gewerkschaftsbewegung’ gemacht werden.“20 Politisch blieb er auch später bis ins hohe Al-ter z.B. in der Friedensbewegung aktiv. Beruflich übernahm er 1946 eine Professur für Philo-sophie und Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hannover, wo er Ende der 60er Jahre begann, Leiterinnen und Leiter für Sokratische Gespräche auszubilden. Aus diesem Kreis wiederum erwuchs die „Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren e.V.“ (im Folgen-den mit „GSP“ abgekürzt), die bis heute an Weiterführung und Weiterentwicklung der Praxis des Sokratischen Gesprächs arbeitet.

(aus: Klaus Draken: Sokrates als moderner Lehrer, Münster 2011, S. 26-32)

Schaberg und Bruno Schonig. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang, 1995; Mary Saran: Never Give Up. Memoirs by Mary Saran. London: Oswald Wolff, 1976; Bernd Sösemann (Hg.): Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk. Stuttgart: Steiner, 2001.

19 Dieter Krohn: Gustav Heckmann – Übereinstimmung von Einsicht und Handeln. In: Philosophisch-Politische Akademie (Hg.): Gustav Heckmann (1898-1996) zum Gedächtnis. Bonn, 1996. S. 11f.

20 Dieter Krohn: Gustav Heckmann, S. 13. Zur Erläuterung: Gustav Heckmann hatte zunächst Mathematik und Physik studiert und promovierte 1924 bei Max Born (siehe mit Bezug auf eine gegenwärtig weit verbreitete Zugriffsweise auch unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Heckmann).

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KLAUS DRAKEN: Der philosophiedidaktische Blick auf das methodische Paradigma des Sokrates 1. „Die Verankerung in der Erfahrung“ bzw. „die dif ferenzierte Beschreibung“ der „eigenen Wahrnehmung“ als phänomenologische Methode […] Die platonischen Dialoge [beginnen] oft mit konkreten Vorfällen oder Problemstellungen, die erst durch Sokrates´ Gesprächsführung zu einem allgemeinen Problem gewendet werden. […] Für das sokrati-sche Gespräch in der Prägung von Leonard Nelson und Gustav Heckmann wird aus der vorangestellten Analyse des antiken platonischen Sokrates vor allem der Aspekt aufgegriffen, dass „der Ausgang Sokrati-schen Philosophierens […] bei der Alltagserfahrung zu nehmen“21 ist. […] Nach Martens’ Systematik befinden wir uns hier im Bereich der phänomenologischen Methode des philosophischen Denkens. […] Als „phänomenologische Reduktion“ betont er, dass in einem ersten Schritt „möglichst vorurteilsfrei oder vor allen theoretischen Deutungen und Erklärungen die reinen Gegebenheiten“ zu „betrachten und be-schreiben“22 seien. […] Der […] Aspekt, dass das betrachtete Phänomen „immer für jemanden ein Prob-lem“23 werden muss, in dem Sinne, „dass ein Phänomen unerklärlich oder erklärungsbedürftig sei […], dass es in die Schemata der Erfahrung als fraglos gegebene Gegenständlichkeit nicht eingeordnet werden kann, dass also eben diese Schemata in Frage zu stellen sind und damit selbst problematisch werden“,24 ist grundlegender Motor und grundlegendes Element des geführten Diskurses […].

2. „Der Marktplatz als Ort des Philosophierens“ bzw . „das eigene Vorverständnis bewusst machen“ als hermeneutische Methode

[…] „Das Sokratische Paradigma […] richtet sich nach außen, an alle Menschen ohne Vorbedingung oder Vorleistung.“25 […] Dieser Aspekt beinhaltet noch eine andere Seite der Öffentlichkeit: „Indem Sok-rates die Öffentlichkeit sucht, setzt er sich ihr auch aus und schirmt sich nicht gegen unangenehme Fragen ab, die vielleicht gestellt werden könnten. Öffentlichkeit wird zum Prüfstein für Wert und Allgemeinheit von Erkenntnissen, für Allgemeinverbindlichkeit.“26 […] Im Sinne von Martens’ Systematik der Methoden des Philosophierens finden wir hier durch die Marktplatzsituation einen Rahmen vor, der eine Berücksich-tigung und Prüfung aller repräsentierten Vorverständnisse notwendig macht. Diese Anforderung kann man vor allem mit der „hermeneutischen Methode“ in einen Bezug setzen. […] Martens spricht bei dieser Denkmethode davon, dass „die eigenen alltäglichen Ansichten und Deutungsmuster“27 heranzuziehen seien. Dabei geht es im tradierten sokratischen Gespräch – beim platonischen Sokrates wie in der Praxis nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann – nicht um eine direkte textbezogene Bezugnahme auf i-deengeschichtliche Positionen. Andererseits können aber nach Martens auch Texte (bzw. Autoren) Ge-sprächspartner werden […]. In diesem Sinne bedarf das Gespräch auf dem Marktplatz […] der Über-schreitung der subjektiven Verstehenshorizonte auf den Anderen hin, dem damit verbundenen Anstreben einer Horizontverschmelzung oder zumindest einer Horizonterweiterung und kann in dieser Weise als paradigmatisch zu bewertendes Merkmal sokratischen Philosophierens aufgefasst werden.

3. „Der Anti-Dogmatismus“ bzw. „ein Dialogangebot w ahrnehmen“ als Grundlage der dialektischen Methode […] Die Grundlage dieser Charakterisierung sieht der bereits mehrfach angesprochene Philosoph Dieter

Birnbacher in der bis heute gültigen Tatsache, dass „Philosophie […] kein geschlossenes Lehrgebäude, son-dern eine Praxis des gemeinsamen Fragens und Suchens“28 sei. […]. Und Nelson ist in seinen Konsequen-zen für diese Zielsetzung sehr rigoros: Für die „Ausschaltung des Dogmatismus im Unterricht“ fordert er „den Verzicht auf jedes belehrende Urteil überhaupt. […] Hier muß man sich ehrlich entscheiden: Entwe-

21 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 45. 22 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 69. 23 Ebenda, S. 71. 24 Alfred Schütz: Das Problem der Relevanz. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1971, S. 113. (zit. nach Martens, S. 71.) 25 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 44. 26 Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 42. 27 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 54. 28 Dieter Birnbacher: Praktische Philosophie – Profil eines neuen Fachs. In: EU 3/01: Praktische Philosophie, S. 3.

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der Dogmatiker oder Sokratiker.“29 […] Die vorgenannten Forderungen können als extreme Anforderung an den Lehrer in der Schule empfunden werden, da dieser – durch sein langes akademisches Fachstudium vorbereitet – gerade jene Form von „Wissen“ auch im Philosophieunterricht an die Schüler herantragen müsste. Andererseits ist es eine große Gefahr des auf Bewertung durch den Lehrer aufbauenden Schulun-terrichts, dass in der Folge strategisch nicht nach der Wahrheit, sondern nach dem, „was der Lehrer hören will“, gesucht wird. […] „Das Hin-und-her-Überlegen, egal ob ‚im Kopf’ als ‚Dialog in der Seele’ oder ob in einem realen Dialog, geht in der Regel von widersprüchlichen Erfahrungen oder Behauptungen aus, die im Laufe der Überlegungen zugespitzt oder deutlicher herausgearbeitet und schließlich gelöst oder als (vorläufig) unlösbar festgestellt werden.“30 Auch in der so konkretisierten Methode der Dialektik ist also das entscheidende Moment die Offenheit bzw. der Anti-Dogmatismus, die einen Dialog erst ermöglichen bzw. sinnvoll machen. […]

4. „Das Selbstvertrauen der Vernunft“ und „die verw endeten zentralen Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen“ als Grundlage der analytischen Methode

[…] So führt Gisela Raupach-Strey aus: „[…] Gerade das Zutrauen zur Urteilsfähigkeit, in welchem Maße auch immer es im gegebenen Moment kontrafaktisch sein mag, ermöglicht die Entwicklung der je eigenen Urteilskompetenz und stärkt das Bewußtsein, zum eigenen, begründeten Urteil in der Lage zu sein.“31 Dass dies kein unkritisches oder überhebliches Unterfangen sein soll, macht sie dabei unmissver-ständlich klar: So „hat Vernunft (der ‚Logos’) die Pflicht der kritischen Prüfung, um Gutgläubigkeit oder Schnellgläubigkeit, fehlerhaftes Denken oder Irrtum zu vermeiden. […] Ein Sokratisches Gespräch würde aber zu Unrecht seinen Namen tragen, wenn es die Anstrengung des Begriffs sowie die Zumutung kriti-scher Urteilsprüfung nicht zuließe und nicht ggf. auch Aporien aushielte. Da der von Nelson gebrauchte Begriff ‚Kampf’ antagonistische Assoziationen weckt, bevorzuge ich die Beschreibung ‚ein gemeinsames Ringen um die Wahrheit, das mit Anstrengung verbunden sein kann, aber gleichwohl lohnt’.“32

In diesem Sinne sehe ich auch im sokratischen Gespräch eine Notwendigkeit für das, was Martens mit der analytischen Methode des philosophischen Denkens umschreibt. Er spricht z.B. davon, dass „häufig begriffliche oder argumentative Unklarheiten“ auftreten. „Was ist mit ‚x’ genauer gemeint? Wie ist eine bestimmte Aussage begründet, und ist die Begründung haltbar? Für die Klärung derartiger Unklarheiten gibt es konkrete Arbeitsmethoden oder Techniken.“33 Und so führt er unter der Überschrift „Argumente und Begriffe klären können“34 vielfältige Techniken der Begriffs- und Argumentationsanalyse an, die in einem sokratischen Gespräch zum Tragen kommen können. […]

5. „Die Maieutik“ oder „Einfälle zulassen und betra chten“ als Element der spekula-tiven Methode

[…] Wir finden bei Gisela Raupach-Strey die Grundidee der Maieutik methodisch dergestalt ausdiffe-renziert, dass nach ihrer Beschreibung in der sokratischen Gesprächspraxis nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann qualitativ unterschiedliche Schritte vollzogen werden.35 Sie unterscheidet dabei zwi-

29 Ebenda. 30 Ebenda, S. 88. 31 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 51. 32 Ebenda, S. 51f. 33 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 83. 34 Ebenda, S. 109-124. 35 Raupach-Strey beschreibt die Entwicklung der Maieutik vom platonischen Sokrates hin zur Nelson/Heckmannschen Ge-

sprächspraxis folgendermaßen: „In der platonischen Selbstdeutung der Sokratischen Methode greifen an dieser Stelle die A-namnesislehre und die Maieutik ineinander: Wenn Erkenntnis als Erinnerung an die vorgeburtlich geschauten Ideen verstan-den wird, dann ergibt sich von selbst, daß die Hilfe der ‚Hebamme’ Hilfeleistung bei der Erinnerungsarbeit ist. Nach Nelson hat die kritische Philosophie die Wiedererinnerungslehre von der ‚Umschlingung durch die platonische Mystik’ (Nelson: Die sokratische Methode, S. 290.) befreit; was bleibt, ist aber der Ermöglichungsgrund für die Sokratische Methode: der Mensch hat gleichsam ein nicht bewußtes Wissen in sich, das es zu erheben und bewußt zu machen gilt: ‚den Nicht-Wissenden da-durch zu belehren, daß man ihn zur Einsicht zwingt, das wirklich zu wissen, von dem er nicht wußte, daß er es weiß’“ (Rau-pach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 53f.) In gewisser Weise benötigen wir hier den Rückgriff auf das von Nelson so genannte „Selbstvertrauen der Vernunft“, welches für jeden Gesprächsteilnehmer unterstellt wird. Zur konkreten Übernahme des sok-ratisch gedachten Hebammendienstes führt sie weiter aus: „Die gedanklichen Produkte, worauf immer sie sich inhaltlich be-ziehen, sollen möglichst frei von Fremdbestimmung inhaltlicher oder kommunikativer Art ans Tageslicht kommen, also mög-lichst frei von Dogmatismus und Herrschaft sich entfalten können. Zur ‚Geburt’ der je eigenen Gedanken, verhilft der- oder diejenige, der/die die Rolle der ‚Hebamme’ übernimmt. Im Allgemeinen und zunächst ist dies der/die Gesprächsleiter/in, es

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schen Maieutik erster, zweiter und dritter Stufe. Zur ersten, als „Verständigungsprüfung“ bezeichneten Stufe erläutert sie: […] „Das Aussprechen-Können von Erfahrungen, aber auch von Unsicherheiten, Zweifeln oder diversen anderen Bewußtseinsinhalten ist ein erster Schritt der Selbstverständigung, zu-nächst der einen ‚Seele mit sich selbst’, wie wir in Anlehnung an die alte Sprechweise sagen könnten. Ob das Ausgesprochene ‚stimmt’, kann auf dieser ersten Stufe nur der Sprechende selbst beurteilen.“36 Die zweite als „Zustimmungsprüfung“ bezeichnete Stufe beinhaltet dann, „Urteile gedanklich wie sprachlich weiter zu ‚klären’: auf ihre Voraussetzungen zu befragen, kritisch zu prüfen und zu begründen, evtl. auch zu widerlegen […], daß über jede Aussage (möglichst restlose) Verständigung in der Gruppe hergestellt wird, bevor man fortschreitet. […]“.37 Als dritte mit „Konsensprüfung“ benannte Stufe bezeichnet sie die „gemeinsame Prüfung der Gesprächsgruppe, ob eine Aussage, die die ersten beiden Stufen durchlaufen hat, hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und hinsichtlich ihrer Gültigkeit untersucht wurde, nun auch die Zustimmung aller Gesprächsteilnehmer/innen findet“.38 […] Bei alledem aber geht es im Sinne der Mai-eutik immer auch darum, dass die „produktiven Einfälle der Gesprächsteilnehmer“39 fruchtbar gemacht werden. […] So scheint mir der Grundgedanke der spekulativen Methode im Sinne Martens, nämlich „Phantasien und Einfälle zulassen und betrachten“,40 auch den Ausgangspunkt und damit einen Bestand-teil der Basis für die sokratische Maieutik zu bilden. […]

6. „Das Begründungskonzept“ bzw. „die verwendeten z entralen Begriffe und Ar-gumente hervorheben und prüfen“ als Grundlage der a nalytischen Methode

[…] Bereits in seiner weitesten Definition stellt Gustav Heckmann das „Erwägen von Gründen“ ins Zentrum sokratischer Arbeit. […] Dabei ist als Begründungsverfahren die von Nelson erkenntnistheore-tisch begründete „regressive Methode der Abstraktion“ zu benennen. Hier geht es letztlich um einen Aufweis der „unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft“ […]. Wir gehen also mit Raupach-Strey davon aus, „Urteile zu beweisen, das heißt zu begründen durch Rückführung auf allgemeinere Sätze, aus denen sie abgeleitet werden.“ […] Dabei können Grenzen der Begründbarkeit durchaus bewusst gemacht und the-matisiert werden. […]. Wenn Martens zunächst von „allgemeiner Begriffsanalyse“ schreibt und dabei die Bedeutung des Grundsatzes betont, „sich über seine Begriffsverwendung möglichst im klaren zu sein“,41 befinden wir uns zunächst im Zentrum auch des Anliegens der Gesprächstradition nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann. […] Prinzipiell aber können die meisten Techniken wie „Das soziale Umfeld verstehen“, „Unterschwellige Ängste berücksichtigen“, „Praktische Konsequenzen einschätzen“, „Folgen für die Sprache abwägen“, „Den Glauben an abstrakte Gegenstände aufgeben“, „Tatsachen und Werte unterscheiden“, „Unbemerkte Implikationen aufdecken“, „Tautologien vermeiden“, „Trennschafe Begrif-fe verwenden“, „Sprachwunder vermeiden“ oder „absolute und relative Begriffe unterscheiden“ […], „Widerspruchsfreiheit prüfen“, „Tautologien vermeiden“, „Syllogismen verwenden“, „Praktische Syllo-gismen prüfen“, „Naturalistischen Fehlschluss erkennen“ und „Argumente inhaltlich prüfen“ […], „Einen pragmatischen Widerspruch aufdecken“, „Den unendlichen Regress vermeiden“, „Begriffliche Zusam-menhänge verstehen“ und „Begriffe integrativ analysieren“ […] immer wieder gefunden, erprobt und geübt [werden] und gehören in diesem Sinne auf die Ebene der paradigmatischen Merkmale sokratischen Philosophierens.

können aber auch die Gesprächsteilnehmer/innen einander gegenseitig ‚Denkhilfe’ leisten. Dies geschieht umso eher, als die Teilnehmer/innen Übung in der Sokratischen Methode besitzen und mit geeigneten, ermutigenden Sprechhandlungen ver-traut sind.“ (Ebenda, S. 54.). Deutlich wird hier, dass die heutige sokratische Praxis durchaus gesprächspsychologisch reflek-tiert sein sollte und dass an die Stelle des Zweier-Dialogs mit einem dominanten Sokrates eine Gruppe tritt, die neben dem zu inhaltlicher Zurückhaltung genötigten Gesprächsleiter vor allem auch in wechselseitiger Gleichberechtigung diesen Dienst versehen kann.

36 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 54. 37 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 55. Vergl.: Jürgen Habermas: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der

kommunikativen Kompetenz. In: Jürgen Habermas / Niklas Luhmann (Hg.): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991, S. 137.

38 Ebenda, S. 56. 39 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 133. 40 Ebenda, S. 56. 41 Ebenda. Dieses und die folgenden Zitate stammen von S. 110-116.

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7. „Das Gesprächsziel des Wahrheitskonsenses“ oder worauf die philosophischen Denkmethoden abzielen

Schüler ruhen sich nicht selten auf der Behauptung aus, dass zu philosophischen Fragen jeder seine ei-gene Meinung habe und wegen der Unmöglichkeit einer objektiven Klärung auch behalten dürfen müsse. Deswegen sei eine weitere gedankliche und diskursive Anstrengung zu solchen Fragen von vornherein überflüssig und – darin kann diese Einstellung gipfeln – als generelle Zumutung zu verstehen. […] Wie Heckmann diese Auffassung relativierte, möchte ich ihn in einem etwas längeren Zitat selber ausführen lassen: „[…] Das sokratische Gespräch […] setzt voraus, daß wir eine Aussage als falsch oder als nicht hinreichend begründet erkennen können. Dann geben wir sie entweder preis oder suchen sie so zu modi-fizieren, daß wir Einwände gegen die modifizierte Aussage nicht mehr sehen. So gewinnen wir Aussagen von der Qualität: bis auf weiteres als begründet anerkannt. Soviel können wir erreichen. […] Mit dem kritischen Gebrauch, ja mit der Vermeidung des Wortes Wahrheit wird jedoch die Idee der Wahrheit, die das abendländische Denken beflügelt und Wissenschaft und kritisches Denken erst hervorgebracht hat, nicht preisgegeben. Im Gegenteil: eben diese Idee veranlaßt die von ihr Motivierten zu kritischem Selbst-verständnis. Im sokratischen Gespräch sind wir von ihr motiviert. Sie veranlaßt uns, die Erfahrung, die wir im sokratischen Gespräch machen, mit Begriffen zu beschreiben, die kritischer Prüfung standhalten.“42

8. „Die Gesprächsgemeinschaft“ und das darin realis ierte „Menschenbild“ oder warum für die schulische Erziehung ein sokratisches Philosophieren in Nel-son/Heckmannscher Tradition so wichtig sein könnte: ein Zwischenfazit […] Wenn Gisela Raupach-Strey in Zusammenhang mit sokratischer Gesprächspraxis von einem entste-henden „Solidaritätsbewusstsein in Wahrheitssuche“ spricht, dann […] bezieht [sie] sich auf etwas, was ich nach meinen ersten persönlichen praktischen Erfahrungen mit sokratischen Gesprächen in der Tradition nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann als ein in der sokratischen Methode erfahrbares „Erlebnis“ be-zeichnet habe, das hohen erzieherischen Wert besitzt. […] Was in einem gelingenden sokratischen Ge-spräch „durch das Selbstbewußtsein seiner eigenen Denkfähigkeit […] in einem mit großer Toleranz und Verständnisbereitschaft geführten Gespräch“ als Eindruck zurückbleibt, „könnte zu einer im Selbstwert-gefühl der eigenen Denkfähigkeit gegründeten Offenheit und Toleranz führen, die die entspannte Fähig-keit und Bereitschaft, die Denkweisen anderer wahrzunehmen, zu verstehen und zu hinterfragen, fördern würde“.43 Raupach-Strey formuliert: „[…] Die Postulate der Aufrichtigkeit und Offenheit enthalten das grundsätzliche Ernst-Meinen und das Ernst-Nehmen jeder Äußerung sowie der äußernden Personen; die angestrebte Symmetrie in der Wahl der Sprechakte enthält die Gleichberechtigung und die wechselseitige Anerkennung der Gesprächspartner/innen; der Logos-Grundsatz, daß nur der ‚eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments’ gelten soll, läßt keine anderen Zwänge irgendwelcher Art gelten; von der Utopie der Herrschaftsfreiheit geleitet ist die praktizierte Zurücknahme von Herrschaft in der Dialogsitua-tion und das Bemühen um die Behebung von Kommunikationsverzerrungen, so weit dies jeweils in der Realität nur irgend möglich ist.“44 Diese Sichtweise gipfelt in einem „Menschenbild“, das den Menschen zugleich als soziales Wesen mit individueller Denkfähigkeit und Würde betrachtet und ihn mit der gemein-schaftlich geübten Hebammenkunst aus der Gefahr eines Solipsismus heraushebt. Im Bewusstsein der Gemeinschaft wird auch klar, dass das sokratische Gespräch in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann weit mehr als nur eine technizistische Methode darstellt, dass sie, wie Raupach-Strey mit Habermas formuliert, „zugleich ‚Vorschein einer Lebensform’ ist“45 und somit die Utopie der idealen

Sprechsituation als regulative Idee in erzieherischer Absicht einsetzt. […] Diesem humanen Grundansatz ordnet sich in der Gesprächstradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann ein darüber hinausgehendes erzieherisches Element zu, das sich im Gesprächshandeln selbst vollzieht und somit nicht nur im Gegens-tand des Methodeneinsatzes, sondern im methodengemäßen Handeln, im aktiven Tun selbst schon das erziehe-

rische Anliegen und den erzieherischen Effekt immer mit transportiert.

(aus: Klaus Draken, Sokrates als moderner Lehrer, Münster: LIT, 2011, S. 53-97)

42 Gustav Heckmann: Das sokratische Gespräch, S. 68f. 43 Klaus Draken: Das Sokratische Gespräch – mögliche Grundlage einer Didaktik der politischen Bildung? – in: Philosophisch-

Politische Akademie e.V. (Hg.): Rundbrief der Sokratiker Nr. 2, Bonn, 1989. S. 10f. 44 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 63. 45 Ebenda.

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KLAUS DRAKEN: Das Sokratische Gespräch – mögliche Grundlage einer Didaktik der politischen Bildung?

“Das Ziel eines Konsensus über eine argumentativ geprüfte Wahrheit ist die die Sokrati-schen Gespräche konstituierende Idee. Das Wesen der Sokratischen Methode geht verloren, wenn diese Ziel-Vorstellung auf-gegeben oder anderen Zielen untergeordnet wird.“

G. Raupach-Strey46

1. Gedanken zur Methode Nach einer Sokratischen Gesprächswoche zum Thema “Worin liegt der Unterschied zwischen Wahrheit und Gewißheit?“ stand an der Tafel folgender Satz: “Wahrheit ist eine lebensnotwendi-ge Annahme des Menschen, die durch die Erfahrung, daß man mit Anderen konsensfähige Gründe findet, gestärkt wird.“47 Welche Konsequenzen hat es für die Methode des Sokratischen Gesprächs, wenn man ihm diesen Wahrheitsbegriff zugrunde legen würde? Für Leonard Nelson gibt es eine “unmittelbare Erkenntnis der Vernunft. […] Um diese unmittelba-re Erkenntnis kann gar kein Streit sein, ihre Gewißheit kann nie in Frage gestellt und des Irrtums verdächtigt werden; denn Irrtum ist nur Abweichung von der unmittelbaren Erkenntnis, falsche Wiederholung der unmittelbaren Erkenntnis, falscher Ausspruch der unmittelbaren Erkenntnis.“48 Für Nelson ergibt sich hieraus ein absoluter Wahrheitsanspruch für im Sokratischen Gespräch gefundene Urteile, und dies nicht im Sinne einer Annahme. “Heute sprechen wir nicht mehr so unbefangen von Wahrheit wie früher“, sagt Heckmann zu die-sem Aspekt. Seine Auffassung ist folgende: “Wenn wir im Sokratischen Gespräch Konsensus über eine Aussage erreicht haben, dann hat dieser den Charakter des Vorläufigen: Bis auf weite-res bestehen keine Zweifel mehr an der erarbeiteten Aussage. [...] Niemals aber wird eine Aus-sage erreicht, die neuer Revisionsbedürftigkeit grundsätzlich entzogen wäre. Das Sokratische Gespräch setzt in der Tat den Begriff ‘irrturnsfreie Wahrheit’ nicht voraus. Es setzt voraus, daß wir eine Aussage als falsch oder als nicht hinreichend begründet erkennen können. Dann geben wir sie entweder preis oder suchen sie so zu modifizieren, daß wir Einwän-de gegen die modifizierte Aussage nicht mehr sehen. So gewinnen wir Aussagen von der Quali-tät: bis auf weiteres als begründet anerkannt. Soviel können wir erreichen.“49 Setzen wir diese Sichtweise nun mit dem Begriff der Wahrheit als bloße ‘Annahme’ des Men-schen in Bezug, so erhalten wir als inhaltlich erreichbares Ziel eine als vorläufig zu bezeichnende Annäherung, die eine Irrtumsmöglichkeit nicht ausschließt, an eine ‘Wahrheit‘, von der wir aus einem psychischen Bedürfnis heraus annehmen, daß es sie gibt. Im Vergleich zu Nelsons ur-sprünglichem Anspruch ist dies eine sehr reduzierte Zielperspektive. 2. Politische Bildung in der Schule und die erziehe rischen Effekte des Sokratischen Ge-sprächs Betrachtet man unser heute geltendes Erziehungsideal, wie es implizit im Grundgesetz festge-schrieben ist und durch unzählige Richtlinien gefordert wird, so ist dieses Ziel von Mündigkeit, d.h. von bewußter Entscheidungsfähigkeit des Bürgers mit sozialem Verantwortungsbewußtsein durchaus in einem sinnvollen Zusammenhang mit der Sokratischen Methode zu denken. Gerade der in seiner Selbstfindung begriffene Jugendliche und Schüler könnte aus dem Sokrati-schen Gespräch durch das Konsenserlebnis in einem vernunftgeprägten Gespräch viel gewin-nen. Wenn wir die Existenz einer Wahrheit als “lebensnotwendige Annahme“ verstehen, die ge-rade durch solche Konsenserlebnisse gestärkt wird, so würde der Schüler sicherlich eine positive 46 Rundbrief der Sokratiker Nr.1, Januar 1989, Seite 6. 47 Sokratisches Gespräch, Willebadessen Oktober 1986. 48 Leonard Nelson: Gesammelte Schriften, Bd.1, Hamburg 1970 49 Gustav Heckmann: Das Sokratische Gespräch. Hannover 1980, S.68f

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Persönlichkeitsstärkung erfahren. Durch das Selbstbewußtsein seiner eigenen Denkfähigkeit, welche er in einem mit großer Toleranz und Verständnisbereitschaft geführten Gespräch erleben konnte, wird er wahrscheinlich an Verantwortungsbereitschaft gewonnen haben – ein wichtiges Ziel der politischen Bildung. Das Gefühl der Gewißheit einer in ernsthaft geführtem Gespräch gemeinsam gefundenen Erkenntnis könnte ihn gerade im Bewußtsein, daß er mit ihr nicht alleine steht, auch den Mut zu selbstverantwortetem Handeln geben – auch diese Handlungsorientie-rung ist von grundlegender Bedeutung für die politische Bildung. Dieses Erlebnis könnte zu einer im Selbstwertgefühl der eigenen Denkfähigkeit gegründeten Offenheit und Toleranz führen, die die entspannte Fähigkeit und Bereitschaft, die Denkweisen anderer wahrzunehmen, zu verstehen und zu hinterfragen, fördern würde – auch dies sind wichtige Ziele der politischen Bildung. Es stellt sich nun die Frage, wie sich diese erwünschten Effekte des Sokratischen Gesprächs als Zielperspektive seines Einsatzes in der politischen Bildung mit seiner “konstituierenden regu-lativen Idee“, der Zielvorstellung einer Wahrheitsfindung, vertragen. Gisela Raupach-Strey schreibt, daß diese Zielvorstellung nicht “aufgegeben oder anderen Zielen untergeordnet“ werden kann, ohne daß das Wesen des Sokratischen Gesprächs verloren ginge. Daß dies nicht er-wünscht sein kann, ergibt sich dadaraus, daß die für die politische Bildung bedeutsamen Effekte gerade durch das Wesen des Sokratischen Gesprächs hervorgerufen werden. Wie sieht es aber aus, wenn man diese Effekte als Zielvorstellung eines Einsatzes des Sokrati-schen Gesprächs in der politischen Bildung seiner “konstituierenden regulativen Idee“ nicht über- sondern zuordnet? Man müßte dann auch in der politischen Bildung in z.B. politisch relevanten ethischen Fragen vorrangig “das Ziel eines Konsensus über eine argumentativ geprüfte Wahr-heit“ anstreben, um die gewünschten Effekte ebenfalls erhoffen zu dürfen. Dies erscheint mir durchaus praktikabel. Aus den so geschilderten Gedanken ergibt sich für mich die Forderung nach mehr Unterricht in der Schule, der sich den Grundsätzen, wie sie das Sokratische Gespräch fordert, verpflichtet weiß. Gerade im Bereich der politischen Bildung, ganz allgemein aber auch im übergreifenden Erziehungsauftrag der Schule könnte Desinteresse, mangelnde Verantwortungsbereitschaft und politische Apathie überwunden werden. Die Probleme in der Schule in Bezug auf die Verwirkli-chung dieser Wunschvorstellung habe ich an anderer Stelle darzulegen versucht.50 Dennoch scheint mir in diesem Bereich gerade für die Didaktik der politischen Bildung ein lohnendes Feld für zukünftige Überlegungen zu liegen. Natürlich kann Schule nicht solche Rahmenbedingungen schaffen, wie sie bei Sokratischen Ge-sprächen der Philosophisch-Politischen-Akademie möglich sind. Natürlich behindert die unfreiwil-lige Teilnahme der Schüler am Unterricht und die leistungs- und notenbezogene Lernerfolgskon-trolle das Aufkommen einer für ernsthafte Sokratische Gespräche notwendige Atmosphäre. Den-noch hatte ich während meines Referendariats das Glück, in einem relativ kleinen Leistungskurs eine Arbeitsatmosphäre mit Schülern erleben zu dürfen, die ein dem Sokratischen Gespräch na-hekommendes Arbeiten ermöglichte. Diese erfreuliche Atmosphäre war allerdings nicht nur eine Schicksalsfügung, sondern sie ließ sich durch den Einsatz bestimmter gruppendynamischer In-strumentarien ansteuern. Das in diesem speziellen Fall eingesetzte Instrumentarium stammte aus dem Bereich der Themenzentrierten Interaktion.51 Ich hoffe, daß systematisches Nachdenken in Bezug auf die Herstellung einer für Sokratische Gespräche notwendigen Arbeitsatmosphäre in der Schule den Unterricht ein Stück weiter in Rich-tung einer wirksamen Erziehung der Schüler zu mündigen Bürgern bringen kann.

50 Klaus Draken: Schulunterricht und das Sokratische Gespräch nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann. ZDP 1/89 (Schroedel-Verlag, Hannover) 51 Neben verschiedenen Feed-Back-Übungen erwiesen sich bestimmte Gesprächsregeln als hilfreich. Siehe dazu: Schwä-bisch/Siems: Anleitung zum sozialen Lernen für Paare, Gruppen u. Erzieher – Kommunikations- und Verhaltenstraining; Rein-bek bei Hamburg 1974

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sowi-online-Methodenlexikon Susanne Popp: Das sokratische Gespräch - Eine Methode der diskurs iven Begriffsklärung

sowi-online Originalbeitrag; © 2001 Susanne Popp, Weingarten; © sowi-online e.V., Bielefeld ( http://www.sowi-online.de/methoden/lexikon/sokratisches_gespraech_popp.htm )

[…] Die Grundgedanken des im 20. Jh. von Leonard Nelson begründeten und insbesondere von Gustav Heckmann und Detlef Horster fortentwickelten Gesprächsverfahrens zur dialogischen Klärung grundlegender philosophisch-moralischer und politischer Begriffe beziehen sich auf die mäeutische Methode der Erkenntnisgewinnung des antiken Philosophen Sokrates, wie sie in den von Platon überlieferten Dialogen tradiert ist. Dabei knüpft man im Wesentlichen an folgende Aspekte an:

• Die Verbindung von Theorie und Praxis […] • Erkenntnisgewinnung im Dialog […] • Die Notwendigkeit selbstständigen kritischen Denkens […] • Die ethisch-moralischen und kommunikativen Kompetenzen eines erkenntnis- und ver-

ständigungsorientierten Dialogs: Hierzu zählen die Anerkennung aller TeilnehmerInnen als gleichberechtigt, die Einhaltung von Normen der Gesprächsgestaltung, die Ver-pflichtung auf begründungs- und verständigungsorientiertes Argumentieren und präzises Formulieren, das Engagement für das Gelingen des Gruppenprozesses und die Bereit-schaft, die eigenen Auffassungen authentisch in den Gruppenprozess einzubringen und für die Kritik zu öffnen. Hier fungiert das Streben nach Konsens als Ausschluss der Mög-lichkeit für eine Mehrheit, die Minderheit zu übergehen.

Für Nelson, Heckmann und Horster bilden die mit dem "Sokratischen Gespräch" verbundenen Tugenden, Einstellungen und Kompetenzen eine wichtige Grundlage politischen Handelns in der Demokratie, die nicht nur für die humane, gewaltfreie Gestaltung menschlichen Zusammenle-bens, sondern auch für eine vernünftige Lebensgestaltung von Individuen von fundamentaler Bedeutung sind. Insbesondere gilt es, den Abbau von Fremdbestimmung, das "Selbstvertrauen in die Vernunft" (Nelson) und die Zuversicht in die Möglichkeit vernünftiger Lösungen zu fördern und zu stärken. Indem die Prinzipien der Gleichheit, Solidarität, Partizipation, der gewaltfreien Konfliktaustragung, der Rationalität und Kritik im Vollzug realisiert werden sollen, versteht sich das Konzept des "Sokratischen Gesprächs" als Beitrag zu politischer Bildung und Demokratie. Es weist Bezüge zu der von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas in den 70er Jahren entwickelten Diskurstheorie auf (vgl. Krohn, Dieter/ Neißer, Barbara/ Walter, Nora (Hg.) (1996): Sokratisches Philosophieren, Bd. III: Diskurstheorie und Sokratisches Gespräch. Frankfurt a. M. ). Als Verfahren der politischen Bildung (in erweitertem Sinne) stellt sich das "Sokratische Ge-spräch" dem grundlegenden, so etwa auch von Kant diskutierten Grundproblem der aufgeklärten Erziehung und Bildung, wie man durch äußere Einflussnahme (Fremdbestimmung) auf die Entfal-tung von "Selbstbestimmung" hinwirken könne. Das neosokratische Gesprächsmodell setzt an die Stelle von Belehrung einen Gruppenprozess, der unter der Führung einer in den Denkprozess nicht eingreifenden Leitung die Funktion einer "Geburtshilfe" (Mäeutik) für den selbstständigen Gebrauch der Vernunft der Einzelnen erfüllen soll. […] Die traditionellen Anwendungsfelder sind die Hochschuldidaktik und die Erwachsenenbildung im Bereich der historisch-politischen Bildung und der Philosophie, auch wenn es manche Traditio-nen in der schulischen Bildung und der außerschulischen Jugendarbeit gibt. Zunehmend werden Varianten der Methode auch in der Organisations- und Unternehmensberatung eingesetzt, dies vor allem in den Niederlanden, England und in Kanada. (Vgl. Krohn, Dieter/ Neißer, Barbara/ Walter, Nora

(Hg.) (1997): Sokratisches Philosophieren, Bd. IV: Neuere Aspekte des Sokratischen Gesprächs. Frankfurt a. M. ). […] Wün-schenswert wäre eine verstärkte Auseinandersetzung mit den potenziellen Anwendungsmöglich-keiten des "Sokratischen Gesprächs" in der historisch-politischen Bildung der Schule (vgl. aber Kuhn, Hans-Werner/ Massing, Peter (Hg.) (2000): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken. Schwal-bach/Ts.) vor allem wegen der konstitutiven Einbeziehung der genuinen Alltagsbegriffe der Schüle-rInnen. Denn mancher Misserfolg der historisch-politischen Bildung hängt damit zusammen, dass die SchülerInnen die schulisch vermittelten Begriffe zwar im schulischen Kontext verwenden, aber nicht in ihr Alltagsverständnis integrieren, so dass dieses weithin unbearbeitet bleibt, gleich-zeitig aber größeren Einfluss auf die Herausbildung von Einstellungen und Handlungsbereitschaf-ten nimmt als das schulisch erworbene Wissen. Man weiß, dass trotz entsprechender historisch-politischer Bildung vielfach politische Entscheidungen "aus dem Bauch heraus" getroffen werden. Ebenso bedeutsam sind freilich die oben beschriebenen traditionellen, auf Selbstbestimmung und soziale Kompetenzen gerichteten Ziele, die die Methode des "Sokratischen Gesprächs" üben und entwickeln will.

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KLAUS DRAKEN : Gedanken zu einer Sokratischen Haltung

Aus: Gisela Raupach-Strey / Klaus Draken: Sokratisc he Didaktik und Elemente Sokratischen Philosophierens im Unterricht. Erschienen in: Bernd Rolf, Klaus Draken, Gabriele Münnix (Hg.):

Orientierung durch Philosphieren. Berlin/Münster: LIT, 2007. Seite 78-84)

[…] Neben „Handwerklichem“ – was bei jeder Form von Unterrichten unverzichtbar ist – steht im Zentrum von Überlegungen zu Sokratischer Didaktik immer auch eine Haltung. Heck-manns „Allgemeinste Definition der sokratischen Methode“52 beinhaltet m.E. die wesentlichen Elemente, welche auf diese – von Lehrer/in wie Schüler/innen – bei der Methode notwendig einzunehmende Haltung verweisen: - Das Ziel, „der Wahrheit in einer Frage näher“ kommen zu wollen, widerspricht einer völ-

lig relativistischen Einstellung. Bei aller Fragwürdigkeit und Vieldeutigkeit dessen, was der Einzelne heute unter dem Begriff „Wahrheit“ versteht, bleibt doch das gemeinsame Streben nach einem Ziel, welches nicht der reinen Beliebigkeit unterliegt. Wo reine Be-liebigkeit nicht akzeptiert wird, kann auch im Umgang mit seinem sozialen Umfeld kein apathisches „Laissez faire“ vertreten werden, denn „Wahrheit“ fordert Verbindlichkeit, und Verbindlichkeit fordert Handlungskonsequenzen.

- Da das „Erwägen von Gründen“ in der Sokratischen Methode zum Ziel verhelfen soll, ist vorurteilhaftes Bestehen auf allgemein Akzeptiertem, Verweisen auf hier oder da vertre-tene Dogmen oder die religiös esoterische Berufung auf nicht kommunizierbare Intuitio-nen ausgeschlossen. Die eingeforderte Vernunftorientierung muss akzeptiert sein, um Sokratisch arbeiten zu können.

- Weil die Gemeinsamkeit der Wahrheitssuche und die Gemeinsamkeit des Abwägens von Gründen in der Methode konstitutiv sind, verbietet sich ein elitäres Bestehen auf der besseren individuellen Erkenntnis eines Einzelnen. Ein sich Einlassen auf die Sicht des Anderen, eine grundlegende Akzeptanz der Vernunft des Anderen, eine Offenheit in Wahrnehmung und Kommunikation mit dem Gegenüber muss praktiziert werden. Aller-dings bleibt es nicht bei interesseloser Pseudotoleranz, sondern die notwendige Offen-heit mündet in eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, in der die Möglichkeiten der individuellen Einsichtsfähigkeiten aller Beteiligten genutzt werden muss, um konsensual der „Wahrheit“ näher zu kommen.

Zusammenfassend würden wir daher als Sokratisch philosophische Haltung eine Einstellung verbinden, in der mit der Methode verbundene - Offenheit anderen Menschen gegenüber, - Vernunftorientierung bei seinen Urteilen und - eine gewisse Konsequenz im Handeln bezogen auf vernunftgemäß gewonnene Einsich-

ten zusammen kommen.

Diese drei Einstellungsaspekte sind notwendig mit dem ernsthaften Einbringen Sokratischer Methodenelemente verbunden. Insofern sind Elemente Sokratischen Philosophierens nie eine Methode neben anderen Methoden, nicht bloße einübbare Technik, sondern immer auch der Versuch, eine Haltung im Umgang mit anderen Menschen sichtbar und wirksam werden zu lassen, die über inhaltliche Ziele oder Ziele des Methodenlernens hinaus in Schu-le im besten Sinne erzieherisch wirken sollte. Besonders gute Chancen hat dies, wenn Men-schen authentisch in gemeinsamer Wahrheitssuche aufeinander treffen und dabei Bezug zu tatsächlich Erlebtem lebendig wird.

52 „Sokratische Methode im weitesten Sinne wird praktiziert, wo und wann immer Menschen durch gemeinsames Erwägen von Gründen der Wahrheit in einer Frage näher zu kommen suchen.“ aus: Gustav Heckmann: Das sokratische Gespräch - Erfahrungen in Hochschulseminaren. Hannover: Hermann Schroedel Verlag KG 1981, Auszüge aus Seite 7 – 11 (Herausgegeben von der Philosophisch-Politischen Akademie. Mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Dieter Krohn. Frankfurt am Main: dipa-Verlag GmbH 1993. Seite 13 - 17)

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KLAUS DRAKEN: Inwieweit ist die sokratische Praxis der Nelson/Hec kmann-Tradition auf Schulunterricht übertragbar? – Positionen und Perspektiven 53

0) Für den Philosophieunterricht ist der antike Sokrates und sein Projekt in moderner Fort-führung zunächsteinmal möglicher Unterrichtsgegenstand, d.h., das Thema einer Reihe könnte heißen: Mit Sokrates zur modernen Diskurstheorie54. Hierdurch ist nicht zwingend sokratische Praxis zu üben, sondern es kann darüber gearbeitet werden. Allerdings kann dies auch den Einstieg zur praktischen Anwendung bilden.

1) Dabei ist festzuhalten, dass ein Einsatz des sokratischen Gesprächs in einwöchigen

Seminaren der Erwachsenenbildung etwas grundlegend anderes ist als ihr Einsatz im Unter-richt. Dabei sind strukturell bedingte Schwierigkeiten einer Übertragung des sokratischen Gesprächs auf Unterrichtskontexte festzustellen, die sich aus der institutionellen Verfasstheit von Schule ergeben. Dass diese mit ihrer Bewertungs- und Selektionsfunktion der idealen Kommunikation eines herrschaftsfreien Diskurses Hindernisse in den Weg stellt, ist offen-sichtlich. Für die Durchführung eines sokratischen Gesprächs können sich so und darüber hinaus folgende Aspekte konkret störend bemerkbar machen: Zwang statt Interesse, große Gruppen statt individuell mitzugestaltender Dialoge, entwicklungsbedingte Umbrüche der Schülerpersönlichkeiten, mangelnde Offenheit als Folge ungeklärter Gruppendynamik, der Gesprächsleiter als Bewerter und Vorgesetzter, tauschwertorientiertes Verhalten, Konkur-renzdruck und Profilierungszwänge, der „heimliche Lehrplan“, zeitliche Zerstückelung von Kommunikation i.d.R. im 45-Minuten-Rhythmus, Unterrichtsausfälle, individuelle Fehlzeiten und die Einforderung vorgegebener Lehrpläne und schulinterner Stoffverteilungspläne. Man-che dieser Problemfelder sind für ein adäquat durchzuführendes sokratisches Gespräch nur schwer überwindbar. Zwar kann der Zwangscharakter der Situation durch Schülermitbe-stimmung bei Themen- und Methodenwahl graduell reduziert werden. Gruppenstärken aber bleiben problematisch, wenn nicht der Glücksfall kleiner Kurse eintritt oder methodische (z.B. durch Innen-/Außenkreis) oder organisatorische (z.B. durch zeitweise Kursteilung) Kunstgrif-fe umsetzbar erscheinen. Bei der Gruppendynamik kann es sich zeigen, dass der Metho-deneinsatz selbst positive Entwicklungen befördert. Allerdings ist es denkbar, dass einzelne Lerngruppen nicht die notwendigen sprachlichen und sozialen Voraussetzungen zum Gelin-gen mitbringen. Auch vom Lehrer wird als Gesprächsleiter viel verlangt, was nicht automa-tisch durch seine Ausbildung gewährleistet erscheint. Offenheit und Lernbereitschaft wären wiederum auf Seite der Schülerinnen und Schüler notwendige Voraussetzungen, um einen begrenzt „herrschaftsarmen“ Diskurs gestalten zu können. Mit dem methodisch eingeforder-ten authentischen Gesprächsverhalten muss dabei sensibel umgegangen werden und ggf. eine zeitweise Aussetzung üblicher Bewertungskriterien vereinbart werden. Zeitliche Zerstü-ckelung kann zwar methodisch durch Mitschriften, Protokolle, Hausaufgaben u.Ä. aufgefan-gen werden, bleibt aber als Problemfeld spürbar. Im Extremfall, z.B. bei dem „Fehlen“ des Beispielgebers bzw. der Beispielgeberin in einer frühen Gesprächsphase, kann die Fortset-zung eines sokratischen Gesprächs unmöglich gemacht werden. Dennoch vertritt eine in der GSP diskutierte Position, dass ein reflektierter Einsatz des sokratischen Gesprächs in geeig-neten Unterrichtssituationen gewinnbringend möglich ist und angestrebt werden sollte.

53 Auszüge aus: Klaus Draken: Sokrates als moderner Lehrer. Münster 2011, S. 42-51. Siehe hierzu auch: Das Sokratische

Gespräch im Unterricht. Klaus Draken über Möglichkeiten und Grenzen. In: Information Philosophie, Hg. von Peter Moser. Lörrach: Verlag & Buchhandel Claudia Moser. Heft 2/03, insbesondere S. 65f.

54 Siehe hierzu: Klaus Draken: Mit Sokrates zur modernen Diskurstheorie. Eine Unterrichtsreihe für die Jg. 11. In: EU 1/2002: Sokrates, S. 32-39.

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Wenn strukturell bedingte Schwierigkeiten, die nicht wegzudiskutieren sind, in ihren stö-renden Auswirkungen gemindert werden können, kann nach meiner Erfahrung der Einsatz des sokratischen Gesprächs als Unterrichtsmethode unter bestimmten, dem Ideal angenä-herten Bedingungen in einer Lerngruppe maximal einzelne Phasen des Unterrichts betreffen, d.h. in begrenztem Umfang (etwa zwei bis sechs Wochen), zu geeigneten Fragen (wenn ein angemessener persönlicher Bezug auf der Beispielebene herstellbar ist) und zu bestimmten Zeiten (z.B. schwerlich vor Klausurphasen) umgesetzt werden. Damit wären auch das Prob-lem der Unplanbarkeit eines genauen inhaltlichen Verlaufs und die mehr in die Tiefe als in die Breite gehende Themenerarbeitung vor dem Hintergrund curricularer Vorgaben kompen-sierbar. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass die Durchführung eines sokratischen Ge-sprächs im Unterrichtskontext immer Annäherung an ein Ideal bleibt, weswegen unter den Praktikern der GSP umstritten ist, ob sie dessen Bezeichnung erhalten sollte. Andererseits kann gerade durch die klare Kenntlichmachung eines solchen Methodeneinsatzes und eine transparente Absetzung von anderem Unterrichtsgeschehen eine Zäsur geschaffen werden, welche ihr Gelingen in einer Lerngruppe befördert. Faktisch liegen Berichte über den erfolg-reichen Einsatz des sokratischen Gesprächs im Philosophieunterricht der gymnasialen O-berstufe55 und des Mathematikunterrichts an einer Hauptschule56 und einem Gymnasium57 vor. Aus ihnen kann die punktuelle Möglichkeit, nicht aber eine generelle Gelingenschance der prinzipiell wünschbaren Übertragung des sokratischen Gesprächs als Gesamtmethode in den Schulunterricht gefolgert werden.

2) Entsprechend gibt es eine zweite Position unter den Praktikern der GSP, die wegen der

vielen Hinderungsgründe, die in der „normalen“ Unterrichtssituation strukturell enthalten sind, das sokratische Gespräch an der Schule eher in außerunterrichtlichen Schulsituationen ein-gesetzt sehen will. Um viele der strukturell angelegten Schwierigkeiten der Unterrichtsorga-nisation in Bezug auf das sokratische Gespräch zu umgehen, andererseits aber die positive Perspektive in Bezug auf kognitive, kommunikative und soziale Lerneffekte nicht auf-zugeben, plädieren sie für einen Einsatz in der Schule außerhalb des „normalen“ Stunden-rasters. Projekttage oder -wochen, Arbeitsgemeinschaften, Blockveranstaltungen, Seminare für bestimmte Gremien und Ähnliches werden hierbei aufgezählt. All diesen Veranstaltungen fehlt der Stoff-, Zeit- und Bewertungsdruck des Schulunterrichts, womit eine erfolgreiche Ge-sprächsdurchführung leichter umsetzbar erscheint. Allerdings bringt dieser Ansatz mit dem expliziten Verzicht auf regulären unterrichtlichen Einsatz den Verzicht auf die Chance mit sich, alle Schülerinnen und Schüler im Fach Philosophie oder Praktische Philosophie zu er-reichen. (Nebenbei sei angemerkt, dass auch das Fach Politik bzw. Sozialwissenschaften die Methode58 für sich reklamiert.) Berichte über den gelungenen Einsatz bei solchen Gele-genheiten gibt es aus dem AG-Bereich einer Grundschule,59 aus dem Bereich der Gremien-

55 Siehe hierzu: Barbara Neißer: Das Sokratische Gespräch im Philosophieunterricht der Sekundarstufe II. In: Krohn, Neißer,

Walter (Hg.): Neuere Aspekte des Sokratischen Gesprächs. [Sokratisches Philosophieren. Bd. IV] Frankfurt/M.: dipa, 1997, S. 88-101; Klaus Draken: Eignet sich das Sokratische Gespräch für die Schule? Überlegungen aus der Sicht des Philoso-phieunterrichts an der gymnasialen Oberstufe. In: Krohn, Neißer, Walter (Hg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 68-89.

56 Mechthild Goldstein: „Wir mussten selber denken.“ Ein „Sokratisches Experiment“ im Mathematikunterricht der Jahrgangs-stufen 8 und 9 einer Hauptschule. In: Krohn, Neißer, Walter (Hg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 48-54.

57 Gerd Arthur Höwekamp: Sokratische Gespräche als Lehr- und Forschungsmethode im Fach Mathematik. Remscheid: Ha-ckenberg, 1999.

58 Siehe hierzu: Detlef Horster: Kompetenzen für politisches Handeln und ihre Vermittlung im Sokratischen Gespräch. In: A-pel/Dernbach/Ködelpeter, Weinbrenner (Hrsg.): Wege zur Zukunftsfähigkeit – ein Methodenbuch (Arbeithilfen für Selbsthil-fe- und Bürgerinitiativen Nr. 19). Bonn: Stiftung Mitarbeit, 1998. Zwar wird die Methode von Detlef Horster etwas anders aufgefasst als in der GSP, dennoch liegt die Anwendung der Methode auf politische Handlungs- und Bildungsfelder in ihrer ursprünglichen Tradition.

59 Siehe hierzu: Ingrid Delgehausen: Erfahrungen mit den Sokratischen Gespräch im Grundschulunterricht. In: Krohn, Neißer, Walter (Hg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 55-60.

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arbeit an einer englischen Secondary School60 sowie bei Projekttagen eines Gymnasiums.61

Zwar stellt sich auch bei diesem Ansatz das Problem, in sokratischer Gesprächsleitung er-fahrene Lehrer/innen zu finden, ansonsten ist dieses Einsatzfeld in der Diskussion aber kaum umstritten.

3) Daneben wird als dritte Position der Einsatz der Methode in der Lehrerausbildung ge-

fordert, da „die eigene Einübung der Lehrerinnen und Lehrer nicht nur in das Organisieren oder Moderieren von Dialogen, sondern vor allem in eigenes dialogisches Denken und Ver-halten (...) zentrale Aufgabe der Lehrerbildung“62 ist. Bei fast allen sokratischen Gesprächen hat sich feststellen lassen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine intensive Erfah-rung mit dem eigenen Gesprächsverhalten, der eigenen Denkfähigkeit, aber auch mit dem genauen Wahrnehmen des Denkens anderer und den Grenzen der eigenen Verständnispro-zesse, wie sie in normalen Gesprächen ablaufen, gemacht haben. Dies trägt enorm zur Kommunikationsfähigkeit bei. Das ist der entscheidende Punkt, warum gerade die „Kommu-nikationsprofis“ Lehrer nicht auf die Erfahrung eines gelungenen sokratischen Gesprächs verzichten sollten. Gerade als Moderatoren der Denk- und Verstehensprozesse von Schü-lern, als Schlichter gruppendynamischer Verwerfungen und nicht zuletzt als Anleiter zum Philosophieren werden Chancen vertan, wenn eine solche Gesprächserfahrung fehlt. Natür-lich kann hier das sokratische Gespräch in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann nicht den alleinigen Anspruch stellen, entsprechende Kompetenzen zu vermitteln, aber es ist nach meiner Erfahrung ein erfolgversprechender Weg, dies spezifisch philoso-phisch begründet und wesentlich vernunftgeprägt zu tun. Berichtsansätze zur Umsetzung mit Studierenden finden sich mehrfach in Dieter Birnbachers Ausführungen über das sokratische Gespräch.63 Dokumentiert ist auch ein Erfahrungsbericht aus Tschechien, in dem ein Teil-nehmer feststellt: „Die gemeinsame Aufgabe ist das, was alle Teilnehmenden gemeinsam haben, was alle zusammenschließt, und was ihre Handlungen und Gedanken bestimmt. Wenn man als TeilnehmerIn in dieser Hinsicht entsprechende Erfahrungen gemacht hat, dann wird deutlich, daß das, was im Sokratischen Gespräch geschieht, die gestellte Aufgabe bei weitem übertrifft.“64 Dass die Einforderung von Gesprächen sokratischer Qualität in Nord-rhein-Westfalen auch Einzug in die Lehrpläne gehalten hat,65 bestärkt diese Forderung nach Einsatz der Methode in der Lehrerbildung. Eine Umsetzung findet sich hier bereits in der Lehrerfortbildung für zukünftige Unterrichtende im Fach Praktische Philosophie, in deren Zertifikatskursen regelmäßig Sitzungen zur Sokratik angeboten werden.66 Auch wenn damit noch nicht geklärt ist, wie durch dieses Ausbildungselement konkret das Lehrerhandeln in Schule und Unterricht bestimmt werden soll, ist sein Einsatz in der Lehrerbildung unter den Praktikern der GSP unbestritten anzustreben und auszuweiten.

60 Siehe hierzu: Rene Saran: Socratic Dialogue in a Secondary School. School Rules and their Application. In: Krohn, Neißer,

Walter (Hg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 61-67. 61 Siehe hierzu: Klaus Blesenkemper: Neosokratisches Denkerlebnis: „Schadenfreude“. In: EU 3/01: Praktische Philosophie, S.

41-44. 62 Gisela Raupach-Strey: Die Bedeutung der Sokratischen Methode für den Ethik-Unterricht. In: Krohn, Neißer, Walter (Hg.):

Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 102. 63 Zuletzt in: Dieter Birnbacher: Schule des Selbstdenkens, S. 215-236. 64 Jaroslav Nowotny: Das Sokratische Gespräch – eine besondere Seminarform (Aus der Sicht eines Teilnehmers). In: Krohn,

Neißer, Walter (Hg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht, S. 159. Der Korrektheit halber sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass „Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen“ an diesem Gespräch teilnahmen, auch wenn es hier als Be-leg für sinnvolle Kommunikationserfahrungen für zukünftige Philosophie- und Ethiklehrer gebraucht wird.

65 Siehe hierzu: Ministerium für Schule und Weiterbildung (Hg.): Kernlehrplan Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen, Prakti-sche Philosophie. Frechen: Ritterbach, 2007, S. 25; Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Lehrplan Philosophie. Frechen: Ritterbach, 1999, S. 32.

66 I.d.R. wurden hierzu Mitglieder der GSP von den Bezirksregierungen Düsseldorf, Köln, Arnsberg, Münster und Detmold als Referenten beauftragt bzw. eingeladen.

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4) Als vierte Position in der Diskussion um den Bezug des sokratischen Gesprächs zu Schule und Unterricht ist die Forderung nach Übernahme von Methodenelementen in den alltäglichen Schulunterricht zu nennen. Nach Fortbildungen werden häufig einzelne Phasen des Ablaufs von den teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrern genannt, die ihnen isoliert oder in teilweisen Verknüpfungen unterrichtlich wünschenswert und realisierbar erscheinen. Für geeignet erachtet werden hierbei z.B.: die Benennung des Themas einer Unterrichtssequenz für die Schülerinnen und Schüler durch Veröffentlichung einer konkret formulierten Fragestel-lung; der Einstieg in ein philosophisches Problem durch das Erfragen selbst erlebter Erfah-rungen zum Thema; der Ausgangspunkt einer philosophischen Untersuchung in einem kon-kreten Erlebnis; die Aufforderung an Schülerinnen und Schüler, selbst Fragen zu formulie-ren, deren Beantwortung ihnen zur Lösung eines anstehenden philosophischen Problems hilfreich erscheint; die Schaffung von Transparenz in der Gesprächsführung durch regelmä-ßige Metakommunikation darüber, welche Frage gerade im Zentrum des geführten Ge-sprächs steht; die Einrichtung eines für alle sichtbaren Ortes, auf dem nicht sofort einer Klä-rung zuzuführende Fragen zum Thema festgehalten werden können; der behutsame Wech-sel vom Konkreten zu allgemeineren Aussagen; das Hilfsmittel der Verschriftlichung zur Un-terstützung der Formulierung klarer Aussagen; die Überprüfung der Konsensfähigkeit von im Unterricht getätigten Aussagen; die Möglichkeit, einen gefundenen Konsens in einer Lern-gruppe als Untersuchungs- und damit Lernergebnis einer Stunde festhalten zu können. Tat-sächlich wird die Übernahme solcher Elemente häufig auch im nachhinein, wenn die erste Begegnung mit der sokratischen Methode in der Praxis nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann schon wieder eine Weile zurückliegt, als positiver Effekt auf den eigenen Unter-richt nach der Teilnahme an einer solchen Fortbildung genannt.

5) Die sokratischen Gesprächsleiterinnen und Gesprächsleiter der GSP, die hauptberuf-

lich in Schule oder Lehrerausbildung arbeiten, wie auch viele mehrfach und intensiver teil-nehmende Lehrerinnen und Lehrer berichten darüber hinaus häufig, dass sich ihr Verhalten im Unterricht und ihr Unterrichtsstil durch die Erfahrung mit dem sokratischen Gespräch grundsätzlicher verändert habe. Das entspricht auch meinem Erleben mit sokratischer Ge-sprächserfahrung und Unterrichtsgestaltung, dass hier grundlegendere Aspekte des sokrati-schen Gesprächs – bewusst oder unbewusst – in Lehrerrolle und Unterrichtstätigkeit einge-flossen sind. Am ehesten lässt sich dies vielleicht bei der Art der Gesprächsführung konkreti-sieren, die bei jedwedem Unterrichtsgespräch des Philosophie- und Ethikunterrichts Spuren einer „sokratischen Infiziertheit“ aufweisen kann.67 Vor allem scheinen mir das wachsende Vertrauen in die Vernunftfähigkeit von Gesprächsgruppen, die Einsicht in die enorme Vielfalt der Möglichkeiten, zu konsensfähigen Aussagen zu gelangen, die Erfahrung des positiven Einflusses einer sich inhaltlich zurücknehmenden Gesprächsleitung auf Gesprächsverläufe und deren Ergebnisse – kurz gesagt, die Erfahrung der Realisierbarkeit einer nahezu idealen Sprechsituation – eine entscheidende Rolle zu spielen. So kann ein stärker schülerorientiert geführter, von mehr Geduld bzw. philosophisch begründeter Offenheit geprägter und dabei streng argumentationsorientierter Unterrichtsstil entstehen. Allerdings werden die Aussagen hierüber in der Regel recht allgemein gehalten und das dahinter stehende philosophisch-methodische Paradigma kann nur schwer benannt werden. Dies genauer zu analysieren und zu bestimmen, ist das zentrale Anliegen der Arbeit „Sokrates als moderner Lehrer“, welche hierzu ein methodische Paradima des Sokrates ausformuliert hat, das als Orientierung bzw. Maßstab für sokratische und damit philosophische Qualität eines Unterrichts in den Fächern Philosophie/Ethik gelten mag.

67 Siehe hierzu auch: Klaus Draken: Das Unterrichtsgespräch – oder „auf dem Weg zu einer philosophisch geprägten Gesprächspraxis“ – in: EU

3/2000: Methoden, S. 17-23, sowie: Klaus Draken: Wie frag’ ich bloß? Von Sokratischer Gesprächsmotivation und Kompetenzorien-tierung im Unterrichtsgespräch – in: EU 4/2011: Gespräche, S. 48-52.

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Grundlegende Bedingungen für die Durchführung Sokra tischer Gespräche:

(als Folien zur Methodeneinführung einsetzbar)

Konstitutive Regeln des Sokratischen Gesprächs

in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann:

1. Jeder vernunftbegabte Mensch (ohne besondere philosophische Vorbildung) kann teil-nehmen

2. Alle Teilnehmer/innen sind gleichberechtigt in ihrem Bemühen um Erkenntnis.

3. Alle Teilnehmer/innen sind zur Begründung ihrer Aussagen verpflichtet.

4. Ausgangspunkt des Gesprächs ist die konkrete eigene Erfahrung (Arbeit am Beispiel).

5. Aus Alltagsurteilen werden die dahinter liegenden Grundsätze gewonnen („regressive Abstraktion“)

6. Alle Teilnehmer/innen streben nach Wahrheit.

7. Der angestrebte Konsens gilt als Indiz für eine „wahre“ Aussage.

Anforderungen an die Teilnehmer/innen am Sokratischen Gespräch in der Tradition von

Leonard Nelson und Gustav Heckmann: 1. nur eigene Überzeugungen äußern („Autoritäten“ gelten nicht als Begründung)

2. aktives Zuhören gegenüber jedem/r Teilnehmer/in (Zustimmungsfähigkeit überprüfen)

3. Wahrhaftigkeit (bei Nicht-Verstehen Rückfragepflicht)

4. Das „bessere Argument“ soll Standpunktveränderungen ermöglichen

5. Keiner soll um des schnellen Konsenses Willen Zweifel oder Gegenargumente zurückhal-ten

6. knappe Beiträge zur Sache (nur einen Aspekt, keine „Vorträge“)

7. Klare und verständliche Formulierung aller Aussagen

8. Ernstnehmen aller Personen und Standpunkte im Gespräch

Sechs pädagogische Maßnahmen : (für den Leiter nach Gustav Heckmann68)

1. Inhaltliche Zurückhaltung des Gesprächsleiters (Gebot der Zurückhaltung)

2. Ausgehen vom Konkreten einfordern (im Konkreten Fuß zu fassen)

3. Volles Ausschöpfen des Gesprächs (Das Gespräch als Hilfsmittel des Denkens)

4. Den „roten Fachen“ sichtbar machen (Festhalten der gerade erörterten Frage)

5. Hinstreben auf Konsens

6. Formale Hilfestellungen im Gesprächsverlauf (Lenkung)

© Klaus Draken 68 Die Überschrift, die Formulierungen in Klammern sowie die Formulierung zu 5. sind wörtliche Übernahmen aus: Gustav Heckmann: Das sokratische Gespräch. Erfahrungen in philosophischen Hochschulseminaren. Hannover: Schroedel, 1981. Seite 66-71, [1. Neuauflage (mit veränderte Seitenzahlen): Frankfurt am Main: dipa, 1993. Seite 84-90. Teilabdruck aus dem Buch in: Dieter Birnbacher / Dieter Krohn (Hrsg.): Das Sokratische Gespräch. Stuttgart: Reclam, 2002. Seite 73-83.] Auf diesen sechs pädagogischen Maßnahmen basiert auch der Artikel: Klaus Draken, Das Unterrichtsgespräch – oder ‚auf dem Weg zu einer philosophisch geprägten Gesprächspraxis’. In: EU, Ethik und Unterricht: Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik / Werte und Normen / LER / Praktische Philosophie; Themenheft „Methoden“. Frankfurt am Main: Diesterweg, 11. Jg., 3/2000. Seite 17 - 23

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Idealtypische Phasen des Gesprächsablaufs 69

1) Themenstellung: • Bekanntgabe des Gesprächsthemas (i.d.R. in Frageform) • Klärung der Rahmenbedingungen (Vorgehen, methodische Anforderungen, ggf. Aufga-

benverteilung (z.B. Protokoll), zeitlicher Ablauf, Metagespräche etc.)

2) Beispielsuche: • Beispielrunde: Teilnehmer berichten selbst erlebte Beispiele zur Themenfrage • Beispielauswahl: Der Leiter wählt (in Absprache mit der Gruppe) ein geeignetes Beispiel

für den Gesprächsbeginn aus. • Beispielerfassung: Der Beispielgeber erzählt nun genauer. (Gelegenheit zu Rückfragen,

schriftliche Fixierung an Tafel, Flipchart oder auf OHP-Folie – Achtung: Noch keine Diskussion oder Interpretation, lediglich möglichst genauer Nachvollzug des Beispiels!)

3) Beispielanalyse: • Teilfragenformulierung: Konkrete Fragen an das Beispiel, bzw. in Bezug auf Beispiel

und Themenfrage werden formuliert (schriftliche Fixierung an Tafel o.ä.). • Durchführung der Beispielanalyse: Eine Teilfrage wird ausgewählt, mit der die inhaltli-

che Arbeit an der Themenfrage, zunächst eng orientiert am Beispiel, aufgenommen wird.

4) Diskursive Suche wahrer Aussagen („regressive Abstraktion“): • Versuch konsensualer Antworten oder Teilantworten auf anstehende Fragen (s.o.). • Konsense werden schriftlich fixiert und nach Rückvergewisserung in der Gruppe als sol-

che gekennzeichnet. • Hierbei wird immer wieder das gewählte Beispiel in den Blick genommen, um am „Kon-

kreten“ die allgemeiner formulierten Sätze zu überprüfen. Allmählich werden in diesem Wechselspiel von Abstraktion und Konkretion allgemeinere Sätze angestrebt.

• Weitere Beispielbezüge: Wenn das zunächst gewählte Beispiel nicht mehr fruchtbar er-scheint, können weitere Beispiele zur Verallgemeinerung der Fragenbeantwortung he-rangezogen werden.

5) Gesprächsabschluss (i.d.R. aus zeitlichen Gründen): • abschließende Würdigung des/der gefundenen Konsens(e) • ggf. offen gebliebene Teilfragen möglichst konkret festhalten. • ggf. können als Abschluss auch Spekulationen über die nun denkbare Antwort der Grup-

pe oder die neu, bzw. differenzierter entstandenen Antworten der einzelnen Teilnehmer auf die Themenfrage in den Blick genommen werden. (z.B. Schreibauftrag als Hausauf-gabe o.ä.)

6) Metagespräch(e): Während des Verlaufs dieses Gesprächsprozesses können – zu dessen Entlastung – klar markierte Gesprächsphasen eingefügt werden, in denen „über das Ge-spräch“ gesprochen wird. Hier können – je nach Bedarf der Gruppe – Fragen zum Vor-gehen, zur Methode, zu Befindlichkeiten oder zur Gruppendynamik ihren Platz und ihre Klärung finden.

© Klaus Draken

69 Die folgende Phaseneinteilung ist eine Weiterentwicklung des von Barbara Neißer 1999 in einem Vortrag vorgestellten vierphasigen Modells. Siehe: Barbara Neißer, Das Sokratische Gespräch im Fach Praktische Philosophie. Möglichkeiten und Probleme in der kon-kreten Unterrichtspraxis. – in: http://www.learn-line.nrw.de/angebote/praktphilo/didaktik/sokra_moegl_unterr.html Soest, 1/ 1999

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Beispiele für Sokratisch bearbeitbare „politische“ Gesprächsthemen Gustav Heckmann formuliert als Rahmenbedingung für die Formulierung eines Sokratischen Ge-sprächsthemas:

„Im Sokratischen Gespräch arbeiten wir nur mit dem Instrument des Reflektierens über Erfahrun-gen, die allen Gesprächsteilnehmern zur Verfügung stehen. Fragen, deren Beantwortung anderer Instrumente bedarf, scheiden also aus. Solche Instrumente sind: 1. Experiment bzw. Beobachtung oder Messung in der Natur oder im La-boratorium. 2. empirische Erhebungen, wie sie in den Sozialwissenschaften üblich sind. 3. histori-sche Studien. 4. die psychoanalytische Methode zur Aufdeckung der individuellen seelischen Prob-lematik eines Menschen. Soviel ich sehe, können alle Fragen, zu deren Beantwortung keines dieser vier Instrumente erfor-derlich ist, im sokratischen Gespräch fruchtbar angegriffen werden. Das sind die Bereiche Mathe-matik und Philosophie – Philosophie im weitesten Sinne, einschließlich Wissenschaftstheorie, ein-schließlich der Grundfragen von Politik und Erziehung, einschließlich Fragen zur Struktur unserer inneren Erfahrung.“70

Hierzu einige – auch historisch interessante – Beispiele aus der Sokratischen Arbeit im Rahmen der Philosophisch-Politischen Akademie, bzw. Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren, die eine politische Perspektive eröffnen71:

- Rechtsstaat und Staatsgewalt (Heckmann 1966) - Untertan oder Staatsbürger – der Kampf um mehr Demokratie (Heckmann 1968) - „… eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Ent-

wicklung aller ist“ (Komm. Manifest) (Heckmann 1969) - Enthält Demokratie notwendig Demagogie? (Kleinknecht 1969) - Wozu werden wir politisch aktiv? (Krohn 1970) - Kriterien für die Ordnung von Gesellschaft und Staat (Cremer/Branton 1972) - Sind Demokratie und Sozialismus miteinander vereinbar? (Kleinknecht 1973) - Recht braucht Macht – Macht korrumpiert – was tun? (Walter/Heckmann 1973) - Was ist Lebensqualität? (Krohn/Walter 1974) - Gleichheit als Gesellschaftsprinzip (Eichhorn 1975) - „Je mehr Gerechtigkeit, desto weniger Freiheit, je mehr Freiheit, desto weniger Gerechtigkeit“

(Horkheimer) (Krohn 1975) - „Die Verantwortung für die Qualität seines Lebens kann niemandem abgenommen werden.

Aber es liegt in der Verantwortung der Politik, positive Bedingungen für die Lebensqualität zu schaffen.“ (Wahlprogramm der SPD, Dortmund 1972) (Krohn 1976)

- Braucht jeder Staat Gewalt? (Müller 1979) - Können wir unser Zusammenleben von Gewalt freihalten? (Rohr 1982) - Nach welchen Kriterien entscheiden wir, ob jemand seine Wirtschaftsmacht mißbraucht?

(Branton 1984) - Wo soll man die Grenze ziehen zwischen gewaltsamer und friedlicher Lösung von sozialen

Konflikten? (Branton 1985) - Grenzen der Toleranz (Hönnecke 1985) - Der selbe Mensch als Individuum und als Massenmensch (Hönnecke 1987) - Ist man verpflichtet, sich für die Rechte einer anderen Person einzusetzen, auch wenn diese

das nicht will? (Krohn 1988) - Gibt es berechtigte Ungleichheiten (v.d. Leeuw 1989) - Ist alles Private politisch? (Brülls 1989) - Macht und Gewalt – zwei Gesichter einer Sache? (Knappe 1989) - Nationalgefühl und Nationalismus – wie bewerten wir das? (Walter 1993) - Freiheit im Osten, Freiheit im Westen, Freiheit wozu? (Hönnecke 1993) - Ist Fraktionszwang bindend? (Delgehausen 1994) - Wodurch verletzen wir die Würde anderer Menschen (Walter 1994)

70 Gustav Heckman, (1981): Seite 8; (1993): Seite 15 71 Gesprächthemen entnommen aus: Eine Auswahl von Themen Sokratischer Wochen der GSP von 1987-1994. aus: Krohn/Walter: Sokratische Gespräche der Philosophisch-Politischen Akademie seit 1966 – eine Dokumentation. In: Knap-pe/Krohn/Walter (Hrsg.): Vernunftbegriff und Menschenbild bei Leonard Nelson. Frankfurt/M: dipa-Verlag, 1996. Seite 135 - 148

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Hinweise zur Formulierung Sokratischer Gesprächsthemen (i.d.R. als Fragen):

Funktion

Fragen zur Überprüfung der Formulierung

Gefahren ungeschickter Formu-lierungen

Information Ist das Thema für alle klar verständlich formu-liert? Ist das Thema eindeutig formuliert, oder lässt es unterschiedliche Verständnismöglichkeiten zu? Wird eine Perspektive möglicher Gesprächs-entwicklungen erkennbar? …

Keiner weiß, worum es gehen soll. Es entstehen Erwartungen an das Gespräch, die später enttäuscht werden. Motivationsverlust durch mangeln-de Orientierung …

Motivation Wirkt die Formulierung Interesse weckend? Enthält sie ggf. eine leichte Provokation? Enthält sie Überraschende, Irritierendes, …? Ist die Formulierung sprachlich einladend? …

Mangelndes Interesse für die Me-thode, besonders im Einstieg. Keine Motivation, ernsthafte Bezü-ge zu eigenen Erlebnissen herzu-stellen. Blockaden z.B. durch zu abstrakte Sprache. …

Interessen-steuerung*

Spricht die Formulierung Mädchen wie Jungen gleichermaßen an? Provoziert die Formulierung nicht zu stark Inte-ressen, die im Sokratischen Gespräch später stö-ren könnten? Wird durch eine sehr nüchterne (assoziative, em-pörende, …) Formulierung zu stark ein spezieller Schülertyp (rein analytisch denkend, eher assozia-tiv und wenig logisch denkend, Querdenker, …) angesprochen? …

Nur eine Teilgruppe fühlt sich an-gesprochen und motiviert. Spezielle Schülertypen dominieren das folgende Gespräch. Andere Schülertypen fühlen sich ausgeschlossen, abgestoßen bzw. gelangweit. …

Vorberei-tungs-grundlage

Entspricht die Formulierung inhaltlich dem Sach- oder Problembereich, in dem ich mich fachlich sicher fühle? Schränkt die Formulierung das mögliche Arbeits-feld genügend ein, um eine fundierte fachliche Vorbereitung zu ermöglichen? Definiert die Formulierung einen ausreichenden Bereich, in dem antizipierbare Spezifizierung gemäß den Schülerinteressen möglich ist? …

Es rücken Aspekte ins Zentrum der Arbeit, von denen ich keine Ahnung habe. Es rücken Aspekte ins Zentrum der Arbeit, auf die ich nicht vorbereitet bin. Der Bereich ist so eng gefasst, dass keine Selbststeuerung der Gruppe mehr möglich ist. …

Arbeits-grundlage für den Einstieg

Ermöglicht die Themenformulierung genügend Anknüpfungen an konkretes Alltagserleben der Schüler/innen, um Beispiele zu finden? Ist die Formulierung „polarisierend“ genug, um unterschiedliche Sichtweisen und damit Begrün-dungs- und Klärungsbedarf zu evozieren? …

Zur Formulierung fällt keinem Schüler ein eigenes konkretes Er-lebnisbeispiel ein. Alle sind sich in der Einschätzung einig – es entsteht kein Begrün-dungsbedarf. …

Arbeitsgrund-lage für den Gesprächs-verlauf

Ermöglicht, provoziert, sichert die Formulierung die Erreichung einer „philosophischen Dimensi-on“ im weiteren Gespräch? …

Es wird nur berichtet, psychologi-siert, o.ä. …

© Klaus Draken * Dieses Kriterium spielt bei frei ausgeschriebenen Gesprächswochen bzw. bei der Anwahl einer Gruppe aus mehreren Angeboten eine große Rolle, zumal manche Themenformulierungen spezielle Interessenlagen an-sprechen können, die wiederum zu einer speziellen Teilnehmerschaft in der dann entstehenden Gruppe füh-ren, die ggf. ein besonderes Problempotential provoziert. In der Schule ginge es darum, alle Schüler/innen anzusprechen bzw. bei ggf. alternativ angebotenen Themen keine bestimmte Auswahl vorzusteuern. K

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Kriterien für die Beispielauswahl:

1) Klarer Themenbezug: - Das Beispiel, das wir suchen, soll ein Beispiel zu unserer Ausgangsfrage sein, soll für die Ausgangsfrage

relevant sein. - Es muss der Zusammenhang des Beispiels zum Gesprächsthema für die Teilnehmer klar erkennbar sein. - Es sollte für den inhaltlich vorbereiteten Gesprächsleiter erkennbar sein, dass das Beispiel auf einen grundle-

genden Problemaspekt des Gesprächsthemas abzielt. - Günstig wäre es, wenn ggf. mehrere sinnvolle und zentrale Aspekte des Themenbereichs anhand des Beispiels

bearbeitet werden können.

2) Eigenes Erleben: - Das Beispiel soll aus unserer eigenen Erfahrung stammen, soll selbst erlebt sein, da sonst die notwendigen

Nachfrage bei der Beispielanalyse nicht beantwortbar wären. - Man soll in der Beispielsituation selbst gehandelt oder zumindest einen Standpunkt bezogen/ein Urteil gefällt

(meist wird es sich dabei um ein intuitives Urteil handeln) haben. Es reicht nicht, in der Beispielsituation nur zugegen gewesen zu sein, etwa ausschließlich als Beobachter.

- Als Beispiel gilt eine eingrenzbare Situation, nicht ein immer wiederkehrendes Gefühl oder ein lange anhal-tender Zustand, sonst treten bei Rückfragen Irritationen in Bezug auf unterschiedliche Situationen mit abwei-chenden Ausführungen auf.

- So wird die Intensität des Gesprächs im Sinne der Betroffenheit durch ein authentisches Beispiel erhöht.

3) Persönlichkeit des Beispielgebers: - In der Schule kennt die/der Lehrer/in ihre Schüler/innen. Von daher sollte darauf geachtet werden, dass un-

glaubwürdige oder aus Profilierungsbedürfnis heraus „fabulierende“ Schüler/innen die Arbeit nicht erschwe-ren.

- Es gilt die Gefahr einer Umdeutung des Beispiels im Verlaufe des Gesprächs im Interesse gedanklicher Konti-nuität möglichst zu vermeiden.

- Auch könnten Schüler/innen mit einer schwachen Stellung in der Gruppe zu ihrem eigenen Schutz von der Beispielgeberrolle verschont werden, wenn die Gefahr gesehen wird, sie könnten als Persönlichkeit bei der Beispielanalyse von der Klasse „demontiert“ werden.

4) Abgeschlossenheit, aber nicht zu ferne Vergangenheit: - Beispiele müssen abgeschlossen sein, sonst beginnt die Gruppe, aktuelle Probleme zu lösen oder über den

Fortgang der Geschichte zu spekulieren. Das ist nicht ihre Aufgabe und nicht Gegenstand einer philosophi-schen Untersuchung.

- Ein nicht abgeschlossenes Beispiel, d.h. ein für den Beispielgeber noch schwelender Konflikt oder ein emotio-nal noch akutes Problem könnten das Gespräch überfordern. (SG ist kein Beratungsgespräch oder Therapie-ersatz.)

- Ein zu weit in der Vergangenheit liegendes Beispiel könnte durch „Vergessen“ oder „Verklärung“ bei Rück-fragen an authentischem Wert verlieren.

5) Erzählbarkeit, d.h. nicht zu große Intimität: - Es muss vollständig zu erzählen sein. Es darf kein Punkt kommen, wo es dem Beispielgeber peinlich wird oder

andere Gründe zum Abbrechen des Berichtes führen. - Wegen der gründlichen Beispielanalyse sollten Beispiele, die stark in intime Persönlichkeitsbereiche hinein-

spielen, vermieden werden. - Erzählbarkeit – auch von Details, die erst auf den zweiten Blick an Bedeutung gewinnen – sollte in Bezug auf

die konkrete Gruppe geprüft werden.

6) Allgemeine Nachvollziehbarkeit: - Man sollte mehrere Beispiele zusammentragen und gemeinsam dasjenige auswählen, das für die anderen

motivierend in Bezug auf Analyse und Vertiefung der Themenfrage ist, das eventuell sogar auf die Lebenssitu-ation der anderen übertragen werden kann.

- Wenn das Beispiel aus einem Spezialbereich kommt, über den nur der Beispielgeber genauer Bescheid weiß, können allgemeine Nachfragen zum Verständnis der Situation die Beispielerfassung erschweren.

- Auch wird die Rolle des Beispielgebers noch stärker in den Vordergrund gehoben.

7) Einfache Struktur: - Das Beispiel soll möglichst einfach sein. Wir brauchen keine großen wichtigen, oder existenziellen Beispiele.

Es kann ganz alltäglich, ganz klein, ganz banal sein. - In der Regel gilt, „Je einfacher das Beispiel, desto besser“, weil im Gesprächsverlauf Differenzierungen so-

wieso zu einer „Verkomplizierung“ des Beispiels führen. - Von vornherein differenziert angelegte Beispiele bergen die Gefahr, dass sie bei genauer Betrachtung zu viele

Aspekte beinhalten, die allein schon die Beispielaufnahme enorm ausdehnen können. - Auch kann eine zu hohe Vielfalt von Aspekten eine konzentrierte Bearbeitung erschweren. © Klaus Draken

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Übung zur Erfassung von Beispielen Wenn man im Unterricht von persönlichen Erfahrungen einzelner Schüler/innen ausgeht – so wie es im Sinne der personalen Perspektive im Fach Praktische Philosophie sicher sinn-voll sein kann – dann stellt sich die Frage nach der Intensität oder Ausführlichkeit, in der die-se Erfahrung im Klassenraum wahrgenommen werden sollte. Im Sokratischen Gespräch wird dieses Element phänomenologischer Gründlichkeit oft stärker betont, als Lehrer/innen es ansonsten gewohnt sind. So habe ich bei Sokratischen Gesprächen in der Leh-rer/innenfortbildung häufig die Rückmeldung erhalten, dass Kolleg/innen von der gründlichen und zeitintensiven Betrachtung einer Individualerfahrung regelrecht irritiert waren und diese Gründlichkeit in der Wahrnehmung und Beschreibung des Konkreten als unphilosophisch empfanden. Dennoch könnte auch Unterricht, der nicht in der Form des Sokratischen Ge-sprächs verläuft, auf dieser Ebene gewinnen, da der gründlichen Phänomenwahrnehmung als Voraussetzung für Analyse, Verallgemeinerung und Abstraktion eine hohe Bedeutung zukommt. Martens formuliert hierzu: „Wir können etwas als etwas nur dann wirklich erken-nen, wenn wir zunächst alle theoretischen Erklärungsmuster ausklammern und stattdessen das Phänomen in seiner vielfältigen Erscheinungsweise möglichst umfassend beschreiben sowie auf unsere lebensweltlichen, leibgebundenen und problemorientierten Zugangswei-sen achten.“72 Insofern ist es m.E. eine lehrreiche Übung für sokratisch unerfahrene Kolleginnen und Kolle-gen, einmal ein konkretes Erfahrungsbeispiel vertiefend zu erfassen:

• Hierzu sollte es zunächst von dem- oder derjenigen, von dem/der die Erfahrung stammt, in als angemessen empfundener Ausführlichkeit geschildert werden.

• Anschließend sollten Verständnis-, Informations- und Sachfragen an den/die Bei-

spielgeber/in gestellt werden, wobei sensibel darauf zu achten ist, dass es beim „Fragen“ bleibt und dass „Unterstellen“, „Deuten“ und „Hinein-Interpretieren“ nicht um sich greift. Dies ist später eine wichtige Aufgabe des Lehrers im Umgang mit seinen Schüler/innen.

• Als dritten Schritt sollte dann jede/r für sich die wesentlichen und für eine weiterge-

hende philosophische Reflexion notwendigen Aspekte des Beispiels schriftlich zu-sammenfassen. Im Vergleich dieser Niederschriften könnte es zu interessanten Dis-kussionen darüber kommen, welche vielfältigen und unterschiedlichen Überlegungen bzw. Alltagstheorien der Schreibenden zu den wahrscheinlich unterschiedlichen Ge-wichtungen in der Beispielerfassung führen. Das, was einige als unwichtigen Neben-aspekt abtun, kann anderen als zentrales Element späterer philosophischer Verall-gemeinerungen erscheinen. In dieser Diskussion sollte deutlich werden, dass unsere individuellen Theorien die Wahrnehmung in ihrer Gewichtung stark steuern und dass uns unwichtig erscheinende Aspekte einem Schüler z.B. mit gutem Grund als ent-scheidend wichtig erscheinen können. Wenn wir uns wirklich auf den induktiven Weg vom Einzelphänomen zur Verallgemeinerung einlassen wollen, müssen wir daher zunächst möglichst viel unvoreingenommen erfassen, um dadurch die Vielfalt sinnvoll möglicher Verallgemeinerungen bzw. Abstraktionen (im Sinne einer philosophischen Arbeit hin zum Allgemeinen) nicht von vornherein zu beschneiden.

© Klaus Draken

72 Ekkehard Martens , Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtech-nik. Hannover: Siebert, 2003. Seite 72

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Verschriftlichung des Beispiels

Zur Verschriftlichung gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen:

a. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin schreibt in einer Gesprächspause allei-ne an Tafel / Flipchart auf. (Problem: Dieses Vorgehen bietet sich an, wenn sowieso eine Pause bzw. Vertagung zur nächsten Unterrichtsstunde ansteht. Vorteil: hohe Authentizität! Nachteil: fehlender Gruppenprozess / Aneignung des Beispiels durch die Gruppe!)

b. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin schreibt in der Gruppe und nach Klä-rung der Verständnisfragen selbst an Tafel / Flipchart an. (Problem: Der Bei-spielgeber / die Beispielgeberin ist in seiner / ihrer Funktion immer schon stark hervorgehoben und z.T. belastet. Hier kommt mit dem Anschreiben eine weite-re Aufgabe auf ihn / sie zu. Vorteil: hohe Authentizität / keine Gefahr der Ver-fälschung durch die Gruppe.)

c. Ein Gruppenmitglied schreibt an, wobei der Beispielgeber / die Beispielgeberin „diktiert“. (Vorteile: hohe Authentizität / Entlastung der Beispielgeberfunktion / ggf. Chance, jemanden mit gut leserlicher Handschrift anschreiben zu lassen)

d. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin lässt sich von der Gruppe Formulie-rungshilfen geben, aus denen sie geeignet erscheinende für die Formulierung an Tafel / Flipchart auswählt. (Vorteil: Entlastung der Beispielgeberfunktion, Hil-festellung, Chance auf gut nachvollziehbare Formulierungen. Ggf. Risiko durch attraktive aber sinnverfälschende Formulierungen bei unsicherem Beispielge-ber / unsicherer Beispielgeberin)

e. Die Gruppe diskutiert sinnvolle Formulierungen des Beispiels, wobei der Bei-spielgeber / die Beispielgeberin eine Kontrollfunktion ausübt, damit es nicht zu Verfälschungen kommt. (Vorteil: Es kommt zu einer gewissen Aneignung des Beispiels durch die Gruppe. Risiko: Wenn der Beispielgeber / die Beispielgebe-rin nicht sebstbewusst und energisch genug sind, können sich Verfälschungen einschleichen.)

f. Die Gruppe formuliert nach Schilderung des Beispiels und Verständnisfragen an den Beispielgeber / die Beispielgeberin das, was sie für relevant für den weiteren Gesprächsverlauf erachtet. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin hält sich in dieser Phase völlig heraus und beaufsichtigt den Prozess nur in Bezug auf sachlich richtige Darstellung. Ggf. darf er / sie am Schluss ihm / ihr unverzichtbar wichtig Erscheinendes ergänzen. (Vorteil: Entlastung des Bei-spielgebers / der Beispielgeberin / Vergemeinschaftung des Beispiels, d.h. es geschieht bereits eine Vorvereinbarung über als wichtig erachtete Aspekte / Zeitökonomie: Dieses Verfahren schafft in relativ kurzer Zeit eine recht gute Basis für die Weiterarbeit.)

Für die Schule, d.h. in der Regel unter begrenzenden zeitlichen Bedingungen, er-scheint Variante F recht vorteilhaft. Dennoch muss man je nach konkreten Umständen entscheiden, was für die individuelle Gruppe am günstigsten erscheint.

Ich-Form / Du-Form: Während es selbstverständlich ist, dass der Beispielgeber / die Beispielgeberin von dem selbsterlebten Vorfall in der „Ich-Form“ berichtet, kann es für die Tafel/Flipchart u.U. sinnvoll sein, Dinge in der dritten Person festzuhalten (aber nur, wenn nicht der Beispielgeber / die Beispielgeberin selbst anschreibt!) Alle Aussa-gen sollten dann aber den Namen der Person (XY hat erlebt “) und ggf. sogar in wörtli-cher Rede (In diesem Moment empfand XY: „ …“) festgehalten werden.

© Klaus Draken

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Kategorisierung von Teilnehmerfragen zur Abschätzun g von Leitungsent-

scheidungen:

Sachfragen : (können i.d.R. schnell durch Antworten des Beispielgebers geklärt werden, aber nur wenn sie sich auf verfügbare Sachverhalte beziehen – wenn nicht: Vorsicht!) - Informationsfragen an den Beispielgeber - Empirische Fragen (nur bei verfügbaren Beobachtungen beantwortbar) - Psychologische Fragen (auf innere Vorgänge des Beispielgebers bezogen – Vorsicht: wenn diese unbewusst sind, suggestive Unterstellungen vermeiden!)

Philosophische Fragen : (stellen sinnvolle Ausgangspunkte für die philosophische Erörterung dar) - auf Prinzipien abzielend - Wert- und Normfragen - Begründungsfragen (Warum meinst Du, dass ...?) - rein durch Reflexion (Nachdenken) entscheidbar

Fragwürdige Fragen : (ggf. zu vermeiden oder in ihrer versteckten Aussagekraft aufzudecken) - Scheinfragen / Fragen mit Aussagecharakter - Scheinfragen / versteckte Behauptungen - Fragen mit impliziten Unterstellungen - Fragen mit Voraussetzungen (die nicht geteilt werden müssen) - Entscheidungsfragen (Ja/Nein-Fragen – sollten in Bezug auf eine Entscheidungsnot-

wendigkeit, bzw. –möglichkeit hin hinterfragt werden.) - rhetorische Fragen (beeinflussend) - sehr intime Fragen - die Person/Persönlickeit des Beispielgebers grundsätzlich in Frage stellende Fragen

Fragen in Bezug auf den Gesprächsprozess : (müssen entschieden, aber nicht „sokratisch“ geklärt werden) - Verständigungsfragen (Was hast Du gemeint, als Du ... gesagt hast?) - Definitionsfragen (Was verstehst Du unter ...? / Auf welche Begriffsverwendung können

wir uns für unser Gespräch einigen, um Missverständnisse zu vermeiden? / ...) - Fragen, die das eigene Verständnis der Aussage eines anderen sicherstellen sollen

(Hast Du das so gemeint, dass ...?) - Strategiefragen, die das weitere Vorgehen der Gruppe klären sollen - Metafragen, die den gemeinsamen Standort oder Probleme im Gesprächsverlauf

transparent machen

Weitere Systematisierungsmöglichkeit von Fragen:

Fragehierarchien: (können Hinweise auf eine sinnvolle Reihenfolge der Bearbeitung geben) - Übergeordnete / untergeordnete Fragen - Allgemeine / spezielle Fragen - Teilfragen zur Themenfrage

© Klaus Draken

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aus: Klaus Draken, Wie frag’ ich bloß? In: EU 4/11: Gespräche. S. 52.

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Gisela Raupach-Strey: Kriterien für das »öffentlich e« Anschreiben 73

a. Es gibt kein >Richtig< oder >Falsch<, sondern eben weil das Aufschreiben nur Hilfsfunktion hat, gibt es lediglich ein >Sinnvoll< bzw. >Nützlich< für den weiteren Gesprächsgang. Über den möglichen Gesprächsgang hat – bewusst oder unbe-wusst – jeder Leitende Vor-Annahmen, die […] auch den Gesprächsverlauf mit-bestimmen. Dennoch lassen sich drei Blickrichtungen für die Auswahl des Aufzu-schreibenden als Maßstab benennen: der Blick auf das sprechende Subjekt, auf die Gruppe oder auf die Sache. b. Subjekt-bezogen kann es nützlich sein, wenn die einzelnen Gesprächsteilneh-mer ihren Gedanken in eine klare und verständliche sprachliche Form bringen, die sich auch aufschreiben lässt. Dies hat rückwirkend für das Subjekt selbst die Funk-tion der Klärung des eigenen Gedankens bzw. dessen, was man eigentlich sagen wollte; es betrifft also die erste Stufe der Maieutik. […] c. Darüber hinaus betrifft dieser Vorgang die zweite Stufe der Maieutik: Durch das Aufschreiben wird der Gedanke auch den anderen Gesprächsteilnehmenden in verbindlicherer Form kundgetan, kann daher nachvollzogen und durch Verständ-nis-Rückfragen nachgeklärt werden; das Aufschreiben dient daher dem Verstehen untereinander. [… / Der] Einzelne […] erfährt zudem eine Bestätigung, dass sein Gedanke für die Gruppe von Bedeutung ist. [… / E]s geht anfangs um die Rück-wirkung auf das Subjekt (vgl. b), aber zugleich auch um einen gruppendynami-schen Aspekt: die Einübung toleranten Zuhörens und interessierten Nachfragens sowie die Etablierung eines Gesprächsklimas wechselseitiger Anerkennung ohne Hierarchie. d. Neben der subjektiven und intersubjektiven Bedeutung wird der Leitende vor al-lem nach der Wichtigkeit eines geäußerten Gedankens für die Sache, das zu un-tersuchende Problem fragen und Äußerungen unter dieser Perspektive aufschrei-ben lassen, und zwar auch dann, wenn ihre sachliche Bedeutung für die Gruppe noch nicht ersichtlich ist. Es gibt Gedanken, die, zunächst beiläufig geäußert, im weiteren Gesprächsverlauf ein erhebliches philosophisches Potenzial entfalten können […], sodass es für einen möglichen späteren Rückverweis gut ist, sie auf-geschrieben zu haben. e. Die potenzielle Bedeutung für das Subjekt, für die Gesprächsgemeinschaft und für den Fortgang in der Sache kommen nicht immer zur Deckung. Der Leitende muss im Einzelfall eine Prioritätenentscheidung fällen, für den gesamten Verlauf des Gesprächs aber darauf achten, dass alle drei Gesichtspunkte ausbalanciert sind. Letztlich liegt die Entscheidung darüber, was angeschrieben wird, genau an der Nahtstelle, an der die Leitungskompetenz in Leitungskunst übergeht.

73 Gisela Raupach-Strey, Die Rolle des Schreibens im Sokratischen Gespräch. In: Ethik und Unterricht. Heft 3/04: Philosophisches Schreiben. Seelze: Erhard Friedrich Verlag, 2004. Seite 11-17. Der folgende Auszug stammt von Seite 17.

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Regelvorschlag für die Gruppendiskussion im Metages präch 74

1. Sei dein eigener Chairman Bestimme selbst, was du sagen willst. Sprich oder schweig, wann du es willst. Versuche, in dieser Stunde das zu geben und zu empfangen, was du selbst geben und erhalten willst. Sei dein eigener Chairman (Vorsitzender) — und richte dich nach deinen Bedürfnissen, im Hinblick auf das Thema und was immer für dich sonst wichtig sein mag. Ich als Gruppenleiter werde es genauso halten. […]

2. Störungen haben Vorrang Unterbrich das Gespräch, wenn du nicht wirklich teilnehmen kannst, zum Beispiel wenn du gelangweilt, ärgerlich oder aus einem anderen Grund unkonzentriert bist. Ein `Abwesender´ verliert nicht nur die Möglichkeit der Selbsterfüllung in der Gruppe, sondern er bedeutet auch einen Verlust für die ganze Gruppe. Wenn eine solche Störung behoben ist, wird das unterbrochene Gespräch entweder wieder aufgenommen werden oder einem momentan wichtigeren Platz machen.

3. Wenn du willst, bitte um ein Blitzlicht Wenn dir die Situation in der Gruppe nicht mehr transparent ist, dann äußere zunächst deine Störung und bitte dann die anderen Gruppenmitglieder, in Form eines Blitzlichts auch kurz ihre Gefühle im Mo-ment zu schildern.

4. Es kann immer nur einer sprechen Es darf nie mehr als einer sprechen. Wenn mehrere Personen auf einmal sprechen wollen, muss eine Lösung für diese Situation gefunden werden. `Seitengespräche´ sind also zu unterlassen, oder der In-halt ist als Störung in die Gruppendiskussion einzubringen.

5. Experimentiere mit dir Frage dich, ob du dich auf deine Art verhältst, weil du es wirklich willst. Oder möchtest du dich eigent-lich anders verhalten — tust es aber nicht, weil dir das Angst macht. Prüfe dich, ob dein Verhalten An-näherungs- oder Vermeidungsverhalten ist. Versuche, öfter neues Verhalten auszuprobieren, und ris-kiere das kleine aufgeregte körperliche Kribbeln dabei. Dieses Kribbeln ist ein guter Anzeiger dafür, dass du für dich ungewohntes und neues Verhalten ausprobierst.

6. Beachte deine Körpersignale Um besser herauszubekommen, was du im Augenblick fühlst und willst, horche in deinen Körper hin-ein. Er kann dir oft mehr über deine Gefühle und Bedürfnisse erzählen als dein Kopf.

7. ‚Ich’ statt ‚Man’ oder ‚Wir’ Sprich nicht per `Man´ oder `Wir´, weil du dich hinter diesen Sätzen zu gut verstecken kannst und die Verantwortung nicht für das zu tragen brauchst, was du sagst. Zeige dich als Person und sprich per `Ich´. Außerdem sprichst du im `Man´- oder `Wir´-Sätzen für andere mit, von denen du gar nicht weißt, ob sie das wünschen.

8. Eigene Meinungen statt Fragen Wenn du eine Frage stellst — sage, warum du sie stellst. Auch Fragen sind oft eine Methode, sich und seine eigene Meinung nicht zu zeigen. Außerdem können Fragen oft inquisitorisch wirken und den an-deren in die Enge treiben. Äußerst du aber deine Meinung, hat der andere es viel leichter, dir zu wider-sprechen oder sich deiner Meinung anzuschließen.

9. Sprich direkt Wenn du jemandem aus der Gruppe etwas mitteilen willst, sprich ihn direkt an und zeige ihm durch Blickkontakt, dass du ihn meinst. Sprich nicht über einen Dritten zu einem anderen und sprich nicht zur Gruppe, wenn du eigentlich einen bestimmten Menschen meinst.

10. Gib Feed-back, wenn du das Bedürfnis hast Löst das Verhalten eines Gruppenmitgliedes angenehme oder unangenehme Gefühle bei dir aus, teile es ihm sofort mit, und nicht später einem Dritten. […] Sprich zunächst einfach von den Gefühlen, die durch das Verhalten des anderen bei dir ausgelöst werden. Danach kannst du versuchen, das Verhalten des anderen so genau und konkret wie möglich zu beschreiben, damit er begreifen kann, welches Verhalten deine Gefühle ausgelöst hat. […]

11. Wenn du Feed-back erhältst, hör ruhig zu Wenn du Feed-back erhältst, versuche nicht gleich, dich zu verteidigen oder die Sache `klarzustellen´. Denk daran, dass dir hier keine objektiven Tatsachen mitgeteilt werden können, sondern subjektive Gefühle und Wahrnehmungen deines Gegenübers. Freu dich zunächst, dass dein Gesprächspartner dir sein Problem erzählt, das er mit dir hat. Diese Haltung wird dir helfen, ruhig zuzuhören und zu prü-fen, ob du auch richtig verstanden hast, was er meint. Versuche zunächst nur zu schweigen und zuzu-hören, dann von deinen Gefühlen zu sprechen, die durch das Feed-back ausgelöst worden sind, und erst dann gehe auf den Inhalt ein.“

74 Lutz Schwäbisch, Martin Siems, Anleitung zum sozialen Lernen für Paare, Gruppen und Erzieher. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1974. Seite 180-182

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KLAUS DRAKEN: Hinweise zur Materialsuche

Kontakt:

- http://www.philosophisch-politische-akademie.de

Grundlagenliteratur zum Sokratischen Gespräch: - Dieter Birnbacher, Dieter Krohn (Hg.): Das Sokratis che Gespräch . Philipp Reclam jun., Stuttgart 2002. 5,60 €

- Heckmann, Gustav: Das Sokratische Gespräch . Erfahrungen in philosophischen Hochschulseminaren. Hrsg. v. d. Philosophisch-Politischen Akademie mit einem Vorwort von Dieter Krohn zur Neuausgabe. dipa-Verlag Frankfurt a.M. 1993, 153 S., 12,00 €

- Nelson, Leonard: Die Sokratische Methode . Vorwort von Gisela Raupach-Strey. Verlag Weber, Zucht & Co, 2. Auflage, Kassel 1996 (zuerst 1992), 48 S., 3,00 €

Weiterführende Literatur zum Sokratischen Gespräch:

- Krohn, Dieter u.a. (Hrsg): Das Sokratische Gespräch . Ein Symposion. Junius, Hamburg 1989

- Loska, Rainer: Lehren ohne Belehrung. Leonard Nelso ns Neosokratische Methode der Gesprächsführung . Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1995, 283 S.

- Siebert, Ute: Das Sokratische Gespräch . Darstellung seiner Geschichte und Entwicklung. Verlag Weber, Zucht & Co, Kassel 1996, 96 S.

Schriftenreihe „Sokratisches Philosophieren“:

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. I – Leonard Nelso n in der Diskussion . Hrsg. v. Reinhard Kleinknecht, Barba-ra Neißer. 184 S., dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1994, 28,00 DM (In diesem Band wird die aktuelle Bedeutung eines großen Philosophen unseres Jahrhunderts diskutiert: seine Theorie der Begründung & Erkenntnistheorie, die unmittelbare Erkenntnis, die regressive Methode der Abstraktion, ethische Aspekte von Technikbewertung u.a.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. II – Vernunftbegr iff und Menschenbild bei Leonard Nelson . Hrsg. v. Silvia Knappe, Dieter Krohn, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1996, 28,00 DM (Kritische Auseinandersetzung mit Nelsons Vernunftbegriff durch phänomenologische Überlegungen einer erweiterten Vernunft; die Spannung zwischen theoreti-scher Vernunft in der Philosophie als Wissenschaft & dem Praktischwerden der Vernunft in Pädagogik & Politik bei Nelson, die Bedeutung praktischer Vernunft in ihrer Beziehung zu Gefühlen, Bedürfnissen, Neigungen; die Spannung zwischen Einsicht & Handeln in der ethischen Motivationsproblematik, Verantwortung bei Nelson & Viktor E. Frankl u.a.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. III – Diskurstheo rie und Sokratisches Gespräch. Hrsg. v. Dieter Krohn, Bar-bara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1996, 175 S. (In diesem Band wird das Verhältnis zwischen Dis-kurstheorie und Sokratischem Gespräch kontrovers diskutiert. Horst Gronke sieht das Sokratische Gespräch als Anwendung der Grundlagen der Diskurstheorie – Gisela Raupach-Strey begründet ein eigenständiges Sokratisches Paradigma. Der Afrikaner Marcel Tshiamalenga Ntumba stellt ein Wir-Apriori vor, das dem Sokratischen Gespräch nähersteht als der Diskurstheorie. Zu-dem enthält der Band eine umfangreiche Bibliographie über die bisher erschienene Sekundärliteratur zu Leonard Nelson, die über 800 Titel umfaßt sowie weitere Informationen zum Sokratischen Gespräch im Jahre 1995.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. IV – Neuere Aspek te des Sokratischen Gesprächs. Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1997, 128 S. (Der vierte Band der Schriftenreihe "sokratisches Philosophieren" befaßt sich mit neueren Entwicklungen in der Praxis des Sokratischen Gesprächs. Jos Kessels und andere nieder-ländische Autoren stellen ihre Erfahrungen und die von ihnen entwickelten Varianten des Sokratischen Gesprächs in der Organsi-sations- und Unternehmensberatung vor. Barbara Neißer und Martin Hüne berichten über exemplarische Einsatzmöglichkeiten des Sokratischen Gesprächs in der Lehrerausbildung und im Philosophieunterricht. Außerdem enthält der Band einen Artikel, der sich mit den Folgen und ethischen Problemen der Informations- und Kommunikationstechnologie auseinandersetzt und einen Bei-trag zur Vorbereitung von Sokratischen Gesprächen sowie eine Betrachtung über Grundregeln des Sokratischen Gesprächs. Dar-über hinaus werden Informationen über Veranstaltungen der Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren und über eine Sokrati-sche Woche in England 1996 gegeben.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. V – Zwischen Kant und Hare – Eine Evalutation der Ethik Leonard Nel-sons. Hrsg. v. Dieter Krohn, Garbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1998 (Der Band ist der Ethik Le-onard Nelsons gewidmet. Alle Autoren des Bandes gehen der Frage nach, warum Nelsons Ethik in der gegenwärtigen philosophi-schen Diskussion kaum eine Rolle spielt, obwohl sie unübersehbare aktuelle Ansätze enthält. Die verschiedenen Autoren machen, dabei von unterschiedlichen philosophischen Standpunkten ausgehend, die philosophiegeschichtliche Stellung der Ethik Nelsons deutlich und zeigen, welche aktuellen Bezüge diese zur gegenwärtigen Diskussion, zur Hares Metaethik, zur Frage der Tierethik, zur Diskursethik, zur Frage der Vergleichbarkeit von ethische Diskursen in unterschiedlichen Kulturen und zur Auseinanderset-zung um die universelle Geltung der Menscherechte hat. Aus dem Inhalt: Dieter Birnbacher: Nelsons Philosophie – Eine Evalu-ation; Volker Peckhaus: Axiomatische Ethik; Jörg Schroth: R.M. Hare und Leonard Nelson; Horst Gronke: Nelsons Vernunft-ethik. Ihr Stellenwert in der moralphilosophischen Diskussion der Gegenwart; Thomas Meyer: Leonard Nelson. Menschenrechte und konkrete Lebensinteressen; Udo Vorholt: Die Aktualität der Nelsonschen Theorie.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. VI Das Sokratische Gespräch – Möglichkeiten in philoso phischer und pä-dagogischer Praxis. Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1999, 202 S. (Der vorliegende Band der Schriftenreihe dokumentiert, daß die Arbeit an Theorie und Praxis des Sokratischen Gesprächs in of-fener und zum Teil kontroverser Form weitergeführt wird. Er enthält alle Vorträge der Loccumer Tagung 1998, die vor dem Ple-num gehalten wurden, und zusätzlich einige Beiträge aus der Arbeit in den insgesamt sechs Sektionen.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. VII Das Sokratis che Gespräch im Unterricht . Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 2000, 160 S. (In den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes wird die Bedeu-tung der Sokratischen Methode für Lehr- und Lernprozesse dargestellt. Jos Kessels setzt einen erfahrungsbezogenen Wissensbeg-

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riff in Beziehung zum sokratischen Lernen, und Ulf Mühlhausen zeigt dessen Stellenwert für überraschungsoffene Unterrichts-konzepte auf. Die besondere methodische Funktion des Sokratischen Gesprächs für den Erkenntnisgewinn im Ethik- und Philoso-phieunterricht beleuchten Gisela Raupach-Strey und Klaus Draken. Lebendige Erfahrungsberichte, die sokratische Unterrichts-phasen in einer englischen Schule, in der Grundschule, im Mathematikunterricht der Hauptschule und im Philosophieunterricht der Gesamtschule beschreiben, konkretisieren die Anwendungsmöglichkeiten des Sokratischen Gespräches in der Schule. Au-ßerdem enthält der Band einen Beitrag von Kay Hermann zum Verhältnis von Transzendentalphilosophie und moderner Physik und einen Bericht von Jörg Schroth über das Fries Symposion in Jena 1997.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. VIII Verständigu ng über Verständigung. Metagespräche über Sokratisc he Gespräche . Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter†. Münster – Hamburg – London: Lit 2004, 231 S. ISBN 3-8258-6300-x. (In den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes wird die Bedeutung des Metagesprächs in der Sokratischen Metho-de reflektiert. So werden Analysegespräch und Strategiegespräch, teilnehmerorientiertes Metagspräch und TZI sowie Gesprächs-haltung als Untersuchungsaspekte unterschieden. Zusätzlich gibt es Berichte über Erfahrungen mit der Methode im Ausland (Ost-europa) und in ungewöhnlichen Kontexten (Justizvollzugsanstalt Tegel), sowie zur Satzung der GSP und der Gesprächsleiteraus-bildung.)

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. X Gisela Raupach -Strey: Sokratische Didaktik – Die didaktische Bedeutung der Sokratischen Methode in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann. Hrsg. v. Dieter Krohen, Barbara Neißer, Nora Walter †. Münster – Hamburg – London: Lit 2002, 652 S. ISBN 3-8258-6322-0

- "Sokratisches Philosophieren" Bd. XIII Klaus Drake n: Sokrates als moderner Lehrer – Eine sokratisch reflektierte Methodik und ein methodisch reflektierter Sokrates für den Philosophie- und Ethikunterricht. Hrsg. v. Dieter Krohen, Barbara Neißer, Nora Walter †. Münster – Berlin: Lit 2011, 287 S. (Der Band versucht das Sokratische Anliegen, wie es insbesondere hin-ter der Gesprächstradtion nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann erkennbar wird, mit der heute pädagogisch sinnvoll ge-wordenen Medien- und Methodenvielfalt im Unterricht zu verbinden. Hierzu stellt er Kriterien vor, die im Anschluss systemy-tisch an Unterrichtsmedien und exemplarisch damit verbundene Arbeitsmethoden angelegt werden.)

ausgewählte Aufsätze aus Fachzeitschriften und Internetseiten (nach Erscheinungsdaten):

Klaus Draken, Wie frag’ ich bloß? Von Sokratischer Gesprächsmotivation und Kompetenzorientierung im Unterrichtsgespräch. In: EU, Ethik und Unterricht: Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik / Werte und Normen / LER / Praktische Philosophie; 4/11: „Gespräche“. Velber: Erhard Friedrich Verlag in Zusammenarbeit mit Klett, Dezember 2011. Seite 48 – 52

Dieter Birnbacher: Schule des Selbstdenkens – Das Sokratische Gespräch. In: Kirsten Meyer (Hg.): Texte zur Didaktik der Philosophie. Stuttgart: Reclam, 2010.

Klaus Draken, Gisela Raupach-Strey, Sokratische Didaktik und Elemente Sokratischen Philosophierens im Unterricht. – in: Klaus Draken, Bernd Rolf, Gabriele Münnix (Hrsg.), Orientierung durch Philosophieren. Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Fachverbands Philosophie e.V. [Ekkehard Martens, Christian Gefert, Volker Steenblock (Hrsg.): Philosophie und Bildung, Band 6 / Mitteilungen des Fachverband Philosophie e.V. Nr. 47 / Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen Nr. 42]. Münster, Berlin: LIT Verlag, 2007. Seite 78-84

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Klaus Draken, Schulunterricht und das Sokratische Gespräch nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann – in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie - Thema: Das zwingende Argument. Hannover: Schroedel, Heft 1/89, 11. Jg., Febr. 1989. S. 46–49

Heckmann, Gustav / Krohn, Dieter Über Sokratisches Gespräch und Sokratische Arbeitswochen. – in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie. Hannover: Schroedel, Heft 1/88, 10. Jg., Februar 1988. S. 38 – 43