Politisches Interesse, Informationsverhalten und politisches Wissen Johannes Gutenberg-Universität...

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Politisches Interesse, Informationsverhalten und politisches Wissen Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Politikwissenschaft Seminar im Hauptstudium: Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland Prof. Dr. Jürgen W. Falter WS 05/06 Referentin: Stefanie Helsper Datum: 29.11.2005

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Politisches Interesse, Informationsverhalten und politisches Wissen

Johannes Gutenberg-Universität MainzInstitut für Politikwissenschaft

Seminar im Hauptstudium: Politische Kultur in Ost- und WestdeutschlandProf. Dr. Jürgen W. Falter

WS 05/06Referentin: Stefanie Helsper

Datum: 29.11.2005

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Politisches Interesse, Informationsverhalten und politisches Wissen

1. Einleitung

2. Theoretische Einbettung

3. Empirie 3.1. Informationsverhalten 3.2. Politisches Interesse 3.3. Subjektives Kompetenzgefühl 3.4. Politisches Wissen

4. Determinanten der politischen Involvierungsorientierungen 4.1. Politisches Interesse 4.2. Subjektives Kompetenzgefühl 4.3. Politisches Wissen 5. Fazit

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1. Einleitung

Welche Rolle spielen politisches Interesse und politische Kenntnisse für die politische Kultur eines Landes?

Wie hoch ist das politische Interesse und Wissen in Ost und West?

Wie hat es sich seit der Wiedervereinigung entwickelt?

Wie gelangen Bürger an Informationen über das politische System?

Wovon sind politisches Interesse und Wissen abhängig?

Wie beeinflussen Interesse und Wissen sich gegenseitig?

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2. Theoretische Einbettung

Eigene Darstellung nach Kaase, Max, Hans-Dieter Klingemann: Wahlen und politisches System. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1980.Westdeutscher Verlag: Opladen 1983, S.152

Art der Orientierung

System allgemein

Input-Strukturen

Output-Strukturen

Selbstbild

KognitionenGefühleBewertungen

Objekte der Orientierung

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2. Theoretische Einbettung

“Unter politischen Informationen sind [...] Bedeutungsgehalte zu verstehen, welche es dem Individuum ermöglichen, sich in der politischen Welt zu orientieren. Politische Informationen sind der Rohstoff politischer Entscheidungen.”(Schmitt-Beck 2005)

“[...] das Wissen über und das Interesse an Politik sind [...] wesentlich daran beteiligt, wie die Aufnahme, Verarbeitung und Bewertung von politischen Informationen erfolgt.”(Maier 2005)

“Ein gewisses Interesse der Bürger an Politik gilt gemeinhin als eine notwendige Voraussetzung der Funktionsfähigkeit demokratischer politischer Systeme: Ohne politisches Interesse ist eine politische Beteiligung schlecht vorstellbar, und ohne politische Beteiligung gibt es keine demokratische Mitbestimmung der Bürger im politischen Prozess.”(Niedermayer 2001)

demokratiestabilisierende Wirkung der Staatsbürgerkultur, die sich durch gemäßigtes politisches Interesse, Wissen und Kompetenzgefühl auszeichnet(Almond/Verba)

in zahlreichen Demokratietheorien wird die Informiertheit der Bürger als essentiell für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie angesehen

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2. Theoretische Einbettung

Politisches Interesse

Politische Involvierung

Politisches Wissen

Kompetenzgefühle

= mentale Auseinandersetzung mit Politik

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3. Empirie3.1. Informationsverhalten

“Da die ‚Informiertheit‘ einer Person ein Produkt einer langfristigen Akkumulation von Informationen ist, kennzeichnet die politische Involvierung gleichzeitig auch die typische Rezeptionsintensität politischer Informationen.”(Schmitt-Beck 2000)

Informiertheit <=> Informierung

“Der Begriff der politischen Informationen bezeichnet [...] ‚Daten‘ über laufende politische Entwicklungen und die daran beteiligten Akteure, welche die Bürger in die Lage versetzen, Erwartungen im Hinblick auf die Konsequenzen ihrer politischen Entscheidungen zu entwickeln.”(Schmitt-Beck 2000)

Quellen politischer Information:

1) interpersonale Kommunikation

2) Massenmedien (Boulevard- und Qualitätsmedien - gänzlich andere politische Medienrealität wird vermittelt)

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3.1. Informationsverhalten

Fernsehkonsum öffentlich-rechtliche Fernsehnachrichten in Ost und West am häufigsten genutzte Quelle politischer Information (Durchschnitt: an fünf Tagen/Woche) bei Ostdeutschen besteht jedoch stärker Zuspruch zu privaten Sendeangeboten

Printmedien regionale/lokale Tageszeitungen Hauptquelle für politische Information 66 Prozent der Ostdeutschen, 71 Prozent der Westdeutschen lesen regelmäßig in ABL liest fast ein Drittel gelegentlich überregionale Tageszeitungen, im Osten nur 18 Prozent gelegentliche Leser Tageszeitungslektüre in Ostdeutschland seit 1990 überproportional zurückge- gangen Ostdeutsche lesen weniger politische Leitartikel

(Quellen: Institut für Demoskopie Allensbach: Die Entwicklung der Medien - und speziell der Zeitschriftennutzung in den neuen Ländern;Brettschneider 2000)

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3.1. Informationsverhalten

Politisches Interesse nach Zahl der genutzten Medienangebote (2001)

2,53,1

4,75,3

5,9

1,41,9

3,44,1

4,7

1,2 1,2 1,3 1,2 1,2

0

1

2

3

4

5

6

7

Politmagazinegesamt

öff.-rechtliche

private

Quelle: Eigene Darstellung nach: Wiedemann, Joachim: DeutschlandTrend2001. 11. September, politisches Interesse und Mediennutzung

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3.2. Politisches Interesse

“degree to which politics arouses a citizen’s curiosity”

(Messung: direkte Frage nach dem Grad des politischen Interesses)

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3.2. Politisches Interesse

Politisches Interesse 1994

05

1015202530354045

sehr stark ziemlichstark

mittelmäßig wenigerstark

überhauptnicht

ABL

NBL

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3.2. Politisches Interesse

Politisches Interesse 1998

0

10

20

30

40

50

sehr stark ziemlichstark

mittelmäßig wenigerstark

überhauptnicht

ABL

NBL

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3.2. Politisches Interesse

Politisches Interesse 2002

0

10

20

30

40

50

sehr stark ziemlichstark

mittelmäßig wenigerstark

überhauptnicht

ABL

NBL

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3.2. Politisches Interesse

Entwicklung des Politischen Interesses NBL

0

20

40

60

80

100

1994 1998 2002

überhaupt nicht

weniger stark

mittelmäßig

ziemlich stark

sehr stark

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3.2. Politisches Interesse

politisches Interesse ist sehr ähnlich verteilt

hat im Westen deutlich zugenommen, im Osten abgenommen

ein Großteil der Befragten weist im Beobachtungszeitraum eine Veränderung um höchstens einen Skalenpunkt auf (Panelanalyse): 88 % ABL

85 % NBL, bei einem Drittel Anstieg des Interesses, bei einem Fünftel Rückgang

tatsächliche Veränderung größer als im Aggregat zu erkennen

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3.3. Subjektives Kompetenzgefühl

“Beim [...] Kompetenzgefühl handelt es sich um das Gefühl der Bürger, aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten am politischen Leben teilnehmen und eigene Anliegen in den politischen Prozess einbringen zu können.”(Maier 2005)

=> “Political Efficacy“

Messung: drei Indikatoren zur Selbstbeurteilung der eigenen politischen Fähigkeiten

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3.3. Subjektives Kompetenzgefühl

1990 in Ostdeutschland höheres Kompetenzgefühl als im Westen

1994 haben sich die Werte in Ost und West aneinander angeglichen

bis 1998 leichter Anstieg in ABL, in den NBL geht es zurück

2002 sind die Werte in den NBL niedriger

geringe Stabiltät: lediglich bei zehn bis 15 Prozent stabiles Kompetenz- gefühl politisches Kompetenzgefühl instabiler als das politische Interesse

Subjektives Kompetenzgefühl 2002

05

101520253035404550

NBL ABL

sehr gering

eher gering

mittelmäßig

eher stark

sehr stark

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3.4. Politisches Wissen

Subjektives politisches Wissen: Individuum glaubt etwas zu wissen

Objektives politisches Wissen: tatsächliche vorhandenes Faktenwissen

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3.4. Politisches Wissen

Messung:

- Kenntnis des Wahlsystems - Frage nach der Zahl der Bundesländer

- Einordnung der Parteien auf Rechts-Links-Kontinuum - Wissen über die Standpunkte der Parteien zu aktuellen Sachfragen (pol. Akteure)

pol. Strukturen

pol. Akteure

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3.4. Politisches Wissen

Beispiel: Wissen über politische Strukturen

2002 subjektiv objektiv subjektiv objektivErst-/Zweitstimme 85 45 93 49Bundesländer 79 54 77 52

Ostdeutschland Westdeutschland

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3.4. Politisches Wissen

Beispiel: Rechts-Links-Kontinuum

subjektiv: zwischen 80 und 90 Prozent können Parteien ideologisch verorten Ostdeutsche 1998 höheres Maß an subjektiven Kenntnissen, 2002 Westdeutsche höhere Kenntnisse

objektiv: korrekte Antworten im Westen zwischen 46 und 65 Prozent im Osten zwischen 47 und 75 Prozent => bessere objektive Kenntnisse

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3.4. Politisches Wissen

Diskrepanz zwischen vermeintlichem (80 Prozent) und tatsächlichem Wissen (50 Prozent) über Politik

subjektives politisches Wissen: zunehmende Kluft zwischen Ost- und Westdeutschen; ging in Ostdeutschland 1998 bis 2002 signifikant zurück

objektives Wissen: in Ost und West annähernd stabil

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4.Determinanten der politischen Involvierungsorientierungen4.1. Politisches Interesse

In beiden Landesteilen:

- subjektives politisches Kompetenzgefühl stärkste Einflussvariable

- Nutzung Qualitätsmedien und politisches Wissen Einfluss auf Höhe des

Interesses

- Frauen signifikant geringeres politisches Interesse

- mit Alter steigt Interesse

- je mehr Bildung, desto größer das politische Interesse

Unterschied:

- Effekt der Parteimitgliedschaft im Westen

- stärkerer Einfluss von Alter, Parteiidentifikation im Osten

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4.1. Politisches Interesse

Veränderungen des politischen Interesses

Gründe für die Veränderungen sind in Ost und West sehr ähnlich

- Anwachsen des Kompetenzgefühls > häufigere Nutzung von Qualitätsmedien

- Neu entstandene Bindungen an eine politische Partei

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4.2. Subjektives politisches Kompetenzgefühl

In beiden Landesteilen: dieselben Faktoren verantwortlich - pol. Interesse - Wissen über Politik - Nutzung von Qualitätsmedien

- Frauen geringeres Kompetenzgefühl als Männer

Unterschied: - Mitgliedschaft in Bürgerinitiative

Veränderung des subjektiven politischen Kompetenzgefühls

In Ost und West:

- Wichtigster Erklärungsfaktor für veränderte Kompetenzgefühle ist die Veränderung des politischen Interesses- Zuwachs der objektiven Kenntnisse- Hinwendung zu Qualitätsmedien- negative Effekte: Alter

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4.3. Politisches Wissen

Subjektives Wissen

- am stärksten am stärksten beeinflusst vom subjektiven politischen Kompetenzgefühl - Parteiidentifikation - zunehmendes politisches Interesse - keine Erklärungsbeitrag: Bildung - negativer Einfluss: Geschlecht

Unterschied:

- Einfluss der Mediennutzung

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4.3. Politisches Wissen

Objektives Wissen

In beiden Landesteilen: beinahe dieselben Ursachen

- mit zunehmendem formalen Bildungsniveau wächst Wissen - subjektives Kompetenzgefühl - politisches Interesse - postmaterialistische Wertorientierungen - Geschlecht (negativer Effekt)

Unterschied:

- Wirkung einer Parteienidentifikation in Ostdeutschland stärker- häufige Nutzung von Qualitätsmedien führt nur im Westen zu höherem politischen Wissen

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Kausalmodell

pol. Interesse

Medienkonsum

subjektives pol. Wissen

objektives pol. Wissen

Sozialstruktur, Parteienidentifikation, Einbindung in Politik

und Gesellschaft

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5. Fazit

- die Deutschen sind politisch involvierte Bürger

- subjektives und objektives Wissen, politisches Interesse und politisches Kompetenzgefühl sind im Osten schwächer ausgeprägt als im Westen

- während des Beobachtungszeitraumes blieb das Niveau der politischen Involvierung nahezu stabil (Wissen, Kompetenzgefühl) bzw. nahm zu (Interesse)

=> Wissen, Interesse und Kompetenzgefühl hängen stark zusammen

=> in erster Linie steuert das politische Kompetenzgefühl den Grad des Politikinteresses und die Verankerung von politischem Wissen

Kausalkette: Kompetenzgefühl > Interesse > Wissen