Procycling 05/12 – Hausbesuch bei SIMPLON
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118 Procycling Mai 2012
Bild unten Hier wird an einem neuen
Rennradmodell gearbeitet, das noch in dieser
Saison von der Pro Continental Mannschaft
„Team NetApp“ zum Einsatz gebracht werden
soll. Der Marktstart ist für die kommenden
Herbstmessen geplant.
Bild rechts Diese unscheinbaren Barcode
Zettel halten das Raum- und Zeitgefüge
im Simplon Universum zusammen. Alle
Antworten zur Wer-was-wann-wo-Frage sind
hier vereint.
Procycling Mai 2012 119
Der Name Simplon ist uns irgendwie allen geläufig. Kein Wunder, existiert diese Marke doch schon seit mehr als einem halben Jahr-hundert. Dennoch ist Simplon alles andere als ange staubt. Ein junges Entwicklungsteam bringt regelmäßig innovative Produkte auf Augenhöhe mit den internationalen Top-Her-stellern auf den Markt. Ein altbewährtes und ausgeklügeltes Individualsystem für Custom-bikes sorgt für ein andauernd hohes Quali-täts- und Kundenzufriedenheitsniveau. Beim Besuch des Simplon-Firmen sitzes in der Nähe von Bregenz, auf der österreichischen Seite des Bodensees, wird schnell klar: Das Einzig-artige liegt im Verborgenen, also ausgerech-net hinter den Kulissen der durchaus sehr attraktiven Produkte.
Das Erstaunliche an der über 50 Jahre alten Mar-ke Simplon ist, dass man entgegen aller Erwar-tungen keinen gigantischen Konzern vorfindet. Ebenso wenig ist die Firma in den Händen einer großen Markengruppe. Simplon ist ein in dritter Generation Familien geführtes Unternehmen mit etwas mehr als 50 Mitarbeitern. Die von Josef Hämmerle im Jahr 1961 gegründete Firma ver-dankt ihren Namen dem damaligen Geschäfts-modell, Qualitätsfahrradrahmen aus der Schweiz nach Österreich zum Firmensitz nach Hard bei Bregenz zu importieren und diese komplett mon-tiert in Österreich zu verkaufen. Der Name des Schweizer Alpenpasses Simplon sollte das Quali-tätsbewusstsein der Firma verkörpern. Denn schweizer Fahrradrahmen waren zu der Zeit das Maß der Dinge. Im Laufe der Jahrzehnte hat Sim-plon viele Trends kommen und gehen sehen, teils nur als Beobachter, teils aber auch als aktiver Mit-
bei SIMPLON
Traditionsmarke mit Anti-Aging-Gen
Text & Fotografie Hoshi Yoshida
gestalter. Ein Merkmal der Firma hat sich indes über die Jahrzehnte als sogenanntes Unique Sel-ling Proposition, also als Alleinstellungsmerkmal herauskristallisiert: das Individual System. Ein Baukasten-System ermöglicht den Kunden, jedes Fahrrad, ganz gleich ob Rennrad, MTB oder City-Bike, mit den Komponenten seiner Wünsche auf-bauen zu lassen. Simplon gehört zu den Pionie-ren der Custom-Bike-Anbieter. Und auch bei diesem Vertriebsmodell hat Simplon viele Mitbe-werber kommen und gehen sehen.
Warum ist Simplon so erfolgreich?Das Geheimnis befindet sich wie bereits erwähnt hinter den Kulissen. Zum einen ist es eine Viel-zahl extrem hoher Messlatten, die Simplon sich selbst anlegt. Zum Beispiel eine an Pedantismus grenzende Akribie bei der Montage und gleichzei-tig eine extrem kurze Lieferzeit von im Durch-schnitt unter einer Woche für alle Custom Or-dern. Bei diesen zwei Versprechen haben so mach andere Firmen schon mal den Mund zu voll ge-nommen und sind daran erstickt. Es ist fast rät-selhaft, wie Simplon es schafft, die Bikes nicht am Fließband, sondern an Einzelmontageplätzen zu komplettieren, und dennoch so eine hohe Schlag-zahl mit extrem niedriger Fehlerquote hinzule-gen. Vielleicht liegt es am hohen „Skill-Level“ (Fertigkeitsniveau) der Monteure, vielleicht aber auch an der perfekt organisierten Produktion.Ein über Jahrzehnte ausgeklügeltes System der Warenwirtschaft und der Logistik ermöglicht konstante und kurzfristige Verfügbarkeit der Komponenten und damit letztendlich die zuver-lässige Lieferfähigkeit der Simplon Fahrräder. Bei einem stark von Saison- und Konjunkturschwan-kungen beeinflussten Markt ist das Jonglieren
HAUS-BESUCH
120 Procycling Mai 2012
kleine Bilder Das junge Entwicklungsteam aus
Ingenieuren und Designern, angeführt von Andreas
Hämmerle, dem Enkel des Gründers. Hier beginnt man
auch mal mit Handzeichnungen ehe man sich an den
3D Arbeitsplatz setzt. Das Team besteht aus Rennrad-
und MTB-Begeisterten, die sich auch hin- und wieder
gegenseitig mit netten Sprüchen necken.
Bild unten Der eigene Prüfstand ist unverzichtbar, wenn
man auf Nummer sicher gehen möchte.
Bild rechte Seite links oben Zum 50-jährigen Jubiläum
brachte Simplon die Sonderedition des Serum heraus.
Bild rechte Seite links unten In diesen Teilen steckt ein
Großteil des Simplon Know-Hows. Simplon hat bereits
eine langjährige Partnerschaft mit einem taiwanesischen
Carbon-Hersteller, den sie kontinuierlich technologisch mit
aufgebaut haben.
Bild rechte Seite rechts oben Dieser Sticker sorgt für
Motivationsschübe in der gesamten Firma. Zum ersten Mal
in der Firmengeschichte wird ein Team auf Simplon Bikes
beim Giro d’Italia am Start stehen.
Bild rechte Seite unten Das Trikot des Teams
NetApp. Sie sind das Ohr am Puls des Profi-Rennradsports.
SIMPLON 1951 - 2012
Procycling Mai 2012 121
hausbesuch siMPlon
mit den Produktionszyklen der Zulieferer eines der Kunststücke, die Simplon in Perfektion beherrscht.
Aber auch vor den Kulissen gibt es starke Indizien für den Erfolg. Ein junges Team aus Ingenieuren und Designern arbeitet an State-of-the-art Pro-dukten, die sich mit Spitzenprodukten großer Konzernmarken messen können. Als einer der ersten Firmen, die dezidiert auf Carbon als High-tech-Material gesetzt haben, kann Simplon heute Produkte vorweisen, die in der Formel 1 des Rad-rennsports, beispielsweise beim Giro d’Italia zum Einsatz kommen. Mitten im Innovationsteam sit-zen die beiden Enkel des Firmengründers. Das Geschäftsführergespann Andreas und Christian Hämmerle leitet die technische Entwicklungsab-teilung und das Marketing. Die Bodenständigkeit des Familienunternehmens ist ebenfalls ein Eck-feiler des Erfolgs. Mit einem jährlichen Output von etwa 14.000 Fahrrädern im Jahr ist die Marke alles andere als expansionistisch ausgelegt. Simp-lon bleibt bis auf Weiteres im deutschsprachigem Raum, wo das Individualsystem perfekt funktio-niert. Aber auch ohne an der Stückzahlschraube zu drehen erreicht Simplon gesunde Wachstums-raten, etwa durch die Verstärkung des Absatzes im High-End-Segment und durch die Erhöhung der Effizienz, wobei Letztere nicht durch Produk-tivitätssteigerung wie etwa durch Akkordarbeit erzielt wird, sondern durch gezielte Investition in nachhaltige Qualität, die sich in dauerhafter Mini-mierung der Reklamationsquote niederschlägt.
Nun ist soeben das Öko-Trendwort „nachhaltig“ gefallen. Bezogen auf die Entwicklungsgeschichte der Marke Simplon entdeckt man eine weitere Facette der Nachhaltigkeit. Im ursprünglichen
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Bild links Der Geschäftsführer Christian
Hämmerle überprüft jedes Gewicht der Produkte
höchstpersönlich, um die Datenbank des
Konfigurators mit korrekten Werten zu füttern.
Bild unten Ordnung ist das halbe Leben. Im Fall von
Simplon ist sie sogar das ganze Geheimnis hinter
dem erfolgreichen Individual System. Man merkt
diesem Lagerfoto nicht an, dass sich hier zeitweise
die Kartons auch mal bis zur Decke türmen können.
Kurze Zeit später werden die meisten Kartons dann
wieder im Warenausgang sein.
Bild rechts Am liebsten testen die Ingenieure ihre
Prototypen selbst. Der Firmensitz ist unweit des
Bodensees und bietet wunderschöne Trainings- und
Teststrecken.
kleine Bilder rechte Seite unten Vom nackten
Rahmen bis hin zu Laufrädern werden alle
Arbeitsschritte im Hause durchgeführt. Es gibt keine
Fließband oder Akkordarbeit. Jeder muss sich die
Zeit nehmen, um ein Spitzenprodukt zu fertigen.
SIMPLON 1951 - 2012
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Sinne eines regenerativen Systems, das auf Lang-lebigkeit ausgelegt ist, spielt bei einer Marke wie Simplon die Balance zwischen Traditionsbe-wusstsein und Innovationsfähigkeit eine wichtige Rolle. Eine konservative Haltung an der richtigen Stelle bewahrt einen vor manchen modischen Irrläufern. Aber ein Sensor für Zukunftsvisionen sichert - wie der frühe Einstieg in die Carbon-Produktion gezeigt hat - auch für eine verhältnis-mäßig kleine Firma wie Simplon den Zugang zu Spitzentechnologie. Expansion im überschauba-ren Rahmen gab es in der Geschichte immer wieder mal. Aber nur unter der Prämisse, dass man seinen eigenen Prinzipien, wie etwa das Einhalten des Qualitäts- und Lieferzeitverspre-chens, nicht untreu wurde. Einen großen Satz machte Simplon zum Beispiel nach der Öffnung der Zollschranken im EU-Raum Anfang der 90-er Jahre, als ihnen der ungleich größere deutsche Markt zu Füßen lag. Parallel dazu schwappte der MTB-Boom nach Europa über. Der etwas lang-wierigere und kostenintensivere Weg, das Indivi-dual-System und die Servicestruktur in Perfekti-on aufzubauen, zahlt sich heute aus. Während der ein oder andere Mitbewerber von damals nicht Schritt halten konnte, hat Simplon sich ei-nen anerkannten Namen im Segment der High-End-Custom-Räder erarbeitet. Und mit dem Zu-sammenwachsen der EU eilt der Ruf der Marke bereits seit einiger Zeit über die deutschsprachi-gen Grenzen hinaus, sodass bei Simplon auch über eine Erweiterung der Märkte nachgedacht wird. Beim Nachdenken lassen sie sich gerne Zeit, in der Umsetzung werden sie dann wieder alle mit ihrer Flinkheit überraschen. Dieses Muster scheint ebenfalls eines der Geheimnisse des niemals alternden Familienunternehmens zu sein.