Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan - klinikum-nuernberg.de
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„Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan war der
prominenteste jüdische Arzt in Nürnberg. Sein
Lebensweg ist in vielen Publikationen über
das Schicksal Nürnberger Juden erwähnt und
steht für den gnadenlosen Ausschluss
jüdischer Bürger unabhängig von ihren
Verdiensten.“
Bernd Höffken [1]
Ernst Nathan wurde am 23.5.1889 in Darmstadt geboren,
seine Eltern waren der Kaufmann Siegfried Nathan und
Mathilde Nathan, geb. Katz. Er besuchte in Darmstadt das
humanistische „Neue Gymnasium“. Anschließend studierte er
in Gießen, München und Berlin.
Mitarbeiter von Paul Ehrlich und Karl Herxheimer
Nach dem Staatsexamen 1912 und der Promotion wurde er
1913/14 Assistent an der experimentell-biologischen
Abteilung des Instituts für experimentelle Therapie in
Frankfurt am Main unter der Leitung von Paul Ehrlich (1854-
1915), der 1910 das Salvarsan und 1912 das Neosalvarsan
entwickelt und damit die erste gezielte Therapie der Syphilis
eingeführt hatte.
Anschließend absolvierte Nathan die klinische Ausbildung als
Assistent und Oberarzt an der ab 1914 universitären
Hautklinik in Frankfurt-Sachsenhausen als Schüler von Karl
Herxheimer (1861-1942), der die Klinik bereits seit 1894
leitete und 1907 aufgrund seiner herausragenden fachlichen
Verdienste zum Professor ernannt worden war [2,3].
Während des Krieges wurde Nathan als Assistent am
Reserve-Lazarett in Frankfurt eingesetzt.
Wissenschaftliche und publikatorische Produktivität
Nathan wurde 1918 in Frankfurt habilitiert und 1922 zum
außerordentlichen Professor ernannt. Bevor er 1923 die
Leitung der Nürnberger Klinik übernahm, hatte er an die 50
Publikationen verfasst, etliche gemeinsam mit Herxheimer,
die sich vor allem mit Nachweisverfahren der Syphilis wie der
Wassermannschen Reaktion, anderen Komplement-
phänomenen, Nebenwirkungen und Weiterentwicklungen des
Salvarsan sowie dermatophysiologischen und dermato-
therapeutischen Themen beschäftigten.
Chefarzt der Nürnberger Hautklinik
Zum 1.9.1923 wurde Nathan als neuer Chefarzt der Abteilung
für Haut- und Geschlechtskrankheiten berufen.
Außer der Klinikleitung übernahm Nathan von seinem
Vorgänger Dr. Ernst Epstein (1860 – 1922) auch die Tätigkeit
in der Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten der
Landesversicherungsanstalt Mittelfranken und wurde
zugleich Leiter der neu geschaffenen Poliklinik für
Geschlechtskranke. Zusätzlich war Nathan auch für die
Untersuchung der Prostituierten zuständig, nachdem diese
Aufgabe 1923, nach der Verstaatlichung der Polizei und dem
Wegfall der gesundheitspolizeilichen Überwachung der
Prostituierten, dem städtischen Gesundheitsamt übertragen
worden war [4].
Klinischer Schwerpunkt Venerologie
Die Zahl der Beratungen und Behandlungen nahm stetig zu,
sodass die Zusatzfunktionen von Nathan nicht mehr
nebenamtlich zu leisten waren. Daher stellte die Stadt
Nürnberg 1929 einen hauptamtlichen Geschlechts-
krankenfürsorgearzt ein, Dr. Anton Munk. Dieser war auch für
die Untersuchung der Prostituierten und die Anordnung von
Zwangsmaßnahmen zuständig und kooperierte eng mit
Nathan und dem Städtischen Krankenhaus. Auch die
stationäre Belegung mit Geschlechtskranken nahm weiter zu,
sodass 1929 die venerologische Abteilung von 100 auf 142
Betten ausgebaut wurde.
„Auch hier profilierte er sich mit zahlreichen Arbeiten auf den
Gebieten der experimentellen Biologie, Serodiagnostik,
Syphilis, Pathologie und Therapie von Hauterkrankungen,
besonders unter immunbiologischen und chemisch-
biochemischen Aspekten. Neben seinen Pflichten im
Städtischen Krankenhaus nahm er auch einen Lehrauftrag an
der Universität Erlangen wahr.“ Gerhard Jochem [5]
1929 wurde Nathan zum Stadtobermedizinalrat ernannt.
Sozialmedizinisches Engagement
Auf Antrag von Nathan wurde im gleichen Jahr eine eigene
Krankenhausfürsorgerin für die weiblichen Geschlechts-
kranken eingestellt, zu deren Aufgaben die wirtschaftliche
und gesundheitliche Fürsorge, Fragen der Berufs-
umschulung, der Wohnung nach der Entlassung und die
Beschäftigung der Kranken während des Kranken-
hausaufenthaltes zählten. „In den Stunden der Bettruhe am
Vormittage liest die Schwester den Mädchen aus guten
Volksschriften vor. An den Samstagnachmittagen werden
Singstunden veranstaltet“ [6]. 1932/33 wurden 121
Prostituierte zur stationären Behandlung von Munk in die
städtische Hautklinik eingewiesen [4].
„Als Klinikleiter gelang es ihm, Grundlagenforschung,
klinische Versorgung und soziale Fürsorge in vorbildlicher
Weise miteinander zu verbinden.“[1]
In einem späteren Schreiben vom 1.7.1974 äußert Nathan
sich über die Jahre, „in denen die Hautklinik wuchs und zu
einem weithin wissenschaftlich bekannten Institut wurde.
Ungefähr 70 klinische und wissenschaftliche Arbeiten wurden
[…] in diesen 10 Jahren veröffentlicht.“[1]
Im Juni 1964 erinnert er sich, „dass die Jahre unvergessen
sind, während derer ich im Krankenhaus als Vorstand der
Hautklinik ärztlich und wissenschaftlich gearbeitet habe, und
die zu den glücklichsten Jahren meines Lebens gehört
haben, bis alles, was ich dort klinisch und wissenschaftlich
aufgebaut hatte, jäh unterbrochen und zerstört wurde.“[1]
„Fegt alle hinweg“[7]
Bereits im Oktober 1923 hatte der spätere Gauleiter der
NSDAP für Mittelfranken Julius Streicher in seinem „Stürmer“
[8] gedroht, die „schandbare Verknoblauchung“ und
„Verjudung des Krankenhauses“ zu beseitigen: „Einen Trost
haben wir noch: Die Herren Dr. Veithe und Dr. Nathane
werden an dem Tag aus ihrem neuen Amtsbereich
herausgeholt, an welchem die Hakenkreuzfahne auf dem
Luppe-Rathaus weht“.
Streicher sollte Recht behalten, denn Ende März 1933 wurde
Nathan als Chefarzt der Hautklinik, ungeachtet seines
menschlichen und fachlichen Renommees, wie alle jüdischen
Deutschen in städtischen oder staatlichen Positionen,
suspendiert und kraft „Gesetzes zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums“ im September 1933 ohne Ruhegehalt
entlassen. Der damalige Krankenhausdirektor Prof. Dr. Erwin
Kreuter schrieb an den Stadtrat: „Herr Prof. Nathan ist bereit,
sofort seinen Urlaub anzutreten. Ich erlaube mir, darauf
aufmerksam zu machen, dass im Augenblick kein Vertreter
vorhanden ist, der die Verantwortung für die Klinik
übernehmen kann“ [9].
Praxis in eigener Wohnung
Zunächst konnte Nathan in seiner Wohnung im Wetzendorfer
Weg 1 (heutige Rückertstraße, Ecke Friedrich-Ebert-Platz)
weiter praktizieren. Hier lebte er mit seiner Frau Lotte (geb.
Berlin), welche er am 5.3.1926 in Fürth geheiratet hatte, und
dem gemeinsamen Sohn Robert, geb. am 26.8.1928.
Emigration nach New York
Nach dem Approbationsentzug jüdischer Ärzte durch die
Nationalsozialisten vom 30.9.1938 war jedoch auch dies nicht
mehr möglich. Nathan konnte am 29.3.1939 nach New York
emigrieren.
Nach Bestehen des amerikanischen Staatsexamens Ende
1940 konnte Nathan wieder als Dermatologe arbeiten, u.a.
am Mount Sinai Hospital und am Stuyvesant Square
Hospital, dem früheren New York Skin and Cancer Hospital,
er hatte eine Lehrtätigkeit an der New York University Post-
Graduate Medical School (unter der Leitung von Marion
Baldur Sulzberger, u.a. gemeinsam mit Max Jessner) und
hielt darüber hinaus Fachvorträge. Am 31.1.1945 erwarb er
die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Ankündigung eines Vortrags von
Prof. Nathan v. 31.10.1947 im
AUFBAU (New York)
Weitere Schicksalsschläge
Erst nach Kriegsende erfuhr Nathan vom Tod seiner Mutter
Mathilde, geb. Katz, im KZ Theresienstadt im Jahre 1943. Am
19.8.1946 starb Nathans Sohn Robert im Alter von nur 17
Jahren durch einen Unfall. Am 21.8.1948 starb seine Frau
Lotte „nach 4 ½ Jahren schwerstem Leiden“.[10]
Todesanzeigen
der Familie
im AUFBAU
Dr. Ernst Nathan Funds
Ernst Nathan starb nach jahrzehntelanger ärztlicher Tätigkeit
in New York am 1.11.1981. [11]. Seine Witwe Betty Nathan,
welche er am 14.9.1949 geheiratet hatte, richtete den „Dr.
Ernst Nathan Fund of Dermatological Research“ und den „Dr.
Ernst Nathan Fund of Biomedical Research“ ein. Sie starb
am 18.1.1983 ebenfalls in New York. [12]
Gedenken in Nürnberg
Am 23.5.1995 wurde auf Initiative des damaligen Gesund-
heitsreferenten Klaus-Peter Murawski eine Gedenktafel für
Nathan im Innenhof der Hautklinik aufgestellt, die sich
mittlerweile vor dem neuen Eingang der Hautklinik vor Haus
16 befindet.
Am 30.9.1998, zum 60-jährigen Gedenken des
Approbationsentzugs, wurde auf Initiative der Nürnberger
Regionalgruppe der IPPNW ein Teilabschnitt der Flurstraße,
und somit die Adresse des Klinikum Nord, in Prof.-Ernst-
Nathan-Straße umbenannt. Die Straßenbezeichnung erinnert
seitdem an den Approbationsentzug jüdischer Ärzte und
stellvertretend an alle Opfer des unmenschlichen NS-
Regimes. [12]
http://bioinformatics.oxfordjournals.org/content/14/8/656.full.pdf
Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan (23.5.1889 -1.11.1981)
Dirk Debus, Nürnberg¹
Literatur:
[1] Höffken B. Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933. Berlin: Metropol-Verlag 2013; [2] Riecke E. Deutscher Dermatologenkalender. Leipzig: Barth, 1929; [3] Löser C, Plewig G. Pantheon der Dermatologie. Herausragende historische Persönlichkeiten. Heidelberg: Springer, 2008; [4] Windsheimer B. 100
Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im späten 19. und 20. Jahrhundert. Nürnberg: Tümmels, 1997; [5] Gerhard Jochem, Susanne Rieger http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_nathan.pdf; [6] Rothmann HL. Geschlechtskrankheiten und Prostitution in Nürn-
berg 1870–1930. Eine medizinhistorische Quellenstudie [Dissertation]. Erlangen: Universität Erlangen, 1952; [7] „Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen!“ Zitat von Dr. Gerhard Wagner, dem Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, im März 1933; [8] Streicher J.
Verjudung des Krankenhauses. Der Stürmer, Nürnberger Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit. Oktober 1923, Nr. 16: 3; [9] Vasold M. Das Städtische Krankenhaus Nürnberg während des Dritten Reiches. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 1998; 61: 763-826; [10] Todesanzeigen im AUFBAU vom 16.
November 1945, 30. August 1946 und 27. August 1948; [11] Landes E. Charakterköpfe der Frankfurter Medizinischen Fakultät. Ein Beitrag zur Dermatologie in Frankfurt am Main. Hessisches Ärzteblatt 1991; 10: 516; [12] Debus D. Abteilung Haut und Liebe – Die Geschichte der Hautklinik am Klinikum Nürnberg. Akt
Dermatol 2010;36: 268-277
Abb. Kopfzeile v. li nach re: Publikationen Herxheimer und Nathan; Porträt Ernst Nathan Stadtarchiv Nürnberg; Jahresausgaben der New York University; College of Medicine 1950 – 54; Brief v. Lotte Nathan an die ehemalige Haushälterin in Nürnberg 06.12.1947
Gedenktafel vor der Hautklinik
des Klinikums Nürnberg
¹Hautklinik, Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1, 90419 Nürnberg, Tel. 0911-398-2044, [email protected]