Protokoll der Kuba-Exkursion 2000 15.3.2000 ... · Santiago de Cuba war 1992 der Bau eines...

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121 Protokoll der Kuba-Exkursion 2000 15.3.2000 Streckenführung: Santiago de Cuba (Stadtgebiet) – El Cobre Bearbeiter: Annelie Szameitat, Björn Mildahn und Volker Meyer Themenschwerpunkte: Planungsprobleme in zentralverwalteten Systemen, Umweltprobleme, Umgang mit Migrationsproblemen Santiago de Cuba und Umland Quelle: Gravette, A. 1999 Quelle: Gravette, A. 1999 Innenstadt Santiago de Cubas

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Protokoll der Kuba-Exkursion 2000

15.3.2000

Streckenführung: Santiago de Cuba (Stadtgebiet) – El Cobre

Bearbeiter: Annelie Szameitat, Björn Mildahn und Volker Meyer

Themenschwerpunkte: Planungsprobleme in zentralverwalteten

Systemen, Umweltprobleme, Umgang mit Migrationsproblemen

Santiago de Cuba und Umland

Quelle: Gravette, A. 1999

Quelle: Gravette, A. 1999

Innenstadt Santiago de Cubas

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Die Geschichte von Santiago de Cuba

Auf der Fahrt vom Hotel an der Küste zum ersten Termin bei der Planificacíon Fisica

wurde von der protokollierenden Gruppe ein kurzer Abriss der Geschichte von Santiago

de Cuba geliefert, der hier noch einmal zusammengefasst werden soll.

Santiago wurde 1514 gegründet. Ausschlaggebend hierfür war die strategisch günstige

Lage am Naturhafen. 1524 verlegte der erste Gouverneur Kubas, Diego Velasquez,

seinen Sitz von Baracoa nach Santiago. Bis 1549 blieb Santiago Hauptstadt, bevor es

diesen Titel an das neue Handelszentrum Havanna abgeben musste.

Durch die Entdeckung der Kupferminen von El Cobre behielt Santiago jedoch

wirtschaftliche Bedeutung. Wegen des Bedarfs an Minenarbeitern wurde die Stadt zu

einem der Zentren des Sklavenhandels im mittelamerikanischen Raum. Noch heute ist

ein deutlich höherer schwarzer Bevölkerungsanteil in Santiago gegenüber anderen

Landesteilen auszumachen.

Neben der – erzwungenen – afrikanischen Migration kam es in den folgenden

Jahrhunderten zu weiteren Einwanderungswellen, die die Stadt prägten und expandieren

ließen:

Zum einen wurde Santiago Fluchtpunkt spanischer Siedler aus Jamaika, das 1655 von

den Engländern eingenommen wurde. Auch die Errichtung der Festung El Morro am

Eingang der Bucht konnte nicht verhindern, dass auch Santiago 1662 kurzzeitig von

englischen Freibeutern eingenommen wurde.

Eine zweite Einwanderungswelle erfolgte durch ca. 30.000 französische Kaffeepflanzer

Mitte des 18. Jahrhunderts, die vor Sklavenaufständen in Haiti geflohen waren.

Durch deren Know-how bezüglich Kaffee- und Zuckeranbau sowie den Wegfall der

haitianischen Konkurrenz erlebte Santiago eine Blüteperiode, geprägt durch

französische Lebensweise.

Neben seinem Ruf als Hauptstadt der Musik gilt Santiago auch als die Hauptstadt der

Revolution. Gedanken der französischen Revolution führten schon im 19. Jahrhundert

zu Unabhängigkeitsbestrebungen. 1863 wurden lokale Wahlen abgehalten und im Jahr

1872 führte Carlos Manuel de Cespédes einen erfolglosen Aufstand in Santiago an.

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Auch beim Unabhängigkeitskrieg 1898 kam Santiago eine entscheidende Rolle zu. Hier

griffen amerikanische Truppen in den nahezu gewonnenen Kampf ein, indem sie die

spanische Flotte im Hafen von Santiago blockierten und teilweise versenkten.

Die Amerikaner festigten somit ihren Einfluss in Kuba, der bis 1959 andauerte und sich

u.a. in militärischen Eingriffen in Santiago zur Wahrung amerikanischer Interessen in

der Zuckerindustrie und im Kupferabbau äußerte. Durch amerikanische Investitionen

expandierte die Stadt zudem, Krankenhäuser, Schulen und neue Industrien wurden

errichtet.

Auch die sozialistische Revolution hatte ihren Ausgangspunkt in Santiago. Zwar musste

Castro 1953 nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf die Moncada-Kaserne zunächst

das Land verlassen. Ab 1956 bildete die nahegelegene Sierra Maestra jedoch den

Ausgangspunkt des Revolutionskampfes. 1959 verkündete Castro schließlich den Sieg

der Revolution vom Rathaus in Santiago.

Nach der Revolution kam es zu einem weiteren Ausbau der Industrie und des Hafens

von Santiago. Zudem wurden neue Wohnviertel wie die Großwohnsiedlung José Marti

errichtet, um bestehende Slumviertel zu ersetzen. Im anschließenden Gespräch mit den

Planern der Planificacíon Fisica wurden jedoch die Mängel solcher Anlagen erwähnt

und ergänzt, dass nach wie vor noch „ungesunde“ Wohnviertel in Santiago existieren.

Planificación Fisica

Die PLANIFICATION FISICA ist die regionale Planungsbehörde in der Provinz

Santiago de Cuba. Sie ist das Zentrum für Informationen und Kontrolle der Region. Ihre

Hauptaufgabe besteht seit der Revolution in der Planung der Landnutzung. Die

Mitarbeiter gehören unterschiedlichen Fachrichtungen aus dem planerischen Bereichen

(Architekten, Ingenieure, Soziologen, Geographen) an, so dass interdisziplinär

gearbeitet werden kann.

Provinz Santiago de Cuba

Santiago de Cuba ist nach Guantánamo die östlichste Provinz Kubas. Raumordnerisch

ist die Provinz in drei Planungsebenen unterteilt. Die oberste Ebene ist die Provinz-

Ebene (6000 km², 1,22 Mio. Einwohner), die mittlere Ebene ist die Gemeinde-Ebene

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und die unterste Planungsebene bilden die städtischen Räume. In der Provinz existieren

25 städtische und 180 ländliche Siedlungen. Der Verstädterungsgrad der Provinz

Santiago de Cuba beträgt 70 %. Provinzhauptstadt ist mit 450.000 Einwohnern die Stadt

Santiago de Cuba.

Naturräumliche Einordnung

66 % der Provinzfläche wird vom Bergland eingenommen. Die größten Gebirgszüge

befinden sich entlang der Küste. Westlich von der Stadt Santiago de Cuba erstreckt sich

die Sierra Maestra, mit dem höchsten Gebirgszug Kubas. Nördlich der Sierra Maestra

schließt sich eine große Ebene an.

Östlich der Stadt befindet sich der

Gebirgszug Gran Piedra.

Die Umgebung der Stadt Santiago de

Cuba wird als die Tierra Caliente

(heißes Land) bezeichnet. Die

Jahresmitteltemperatur ist in

Santiago de Cuba um ca. 3° C höher

als in Havanna. Die

durchschnittliche Niederschlags-

menge in der Provinz beträgt 1170 mm/J, schwankt jedoch reliefbedingt stark. In den

Bergregionen können die Jahresniederschläge über 2000 mm betragen, während in

einigen Küstenregionen weniger als 800 mm Niederschlag pro Jahr fallen. Durch diese

Niederschlagsunterschiede wird auch die natürliche Vegetation in der Provinz

bestimmt. In den Ebenen befinden sich Kakteen (Savannenlandschaft), während in den

Bergregionen Feuchtwälder die Landschaft prägen.

Die Region Santiago de Cuba ist ein durch Erdbeben gefährdetes Gebiet. Fast täglich

kommt es in der Provinz zu Erdstößen, die jedoch so gering sind, um sie bewusst

wahrzunehmen. Das letzte größere Erdbeben in Santiago de Cuba ereignete sich 1942,

aber auch 1999 gab es Beben mit der Stärke 6 auf der Richterskala.

Planer (links) und Exkursionsleiter (rechts)

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Landwirtschaft

In der Provinz ist die Bodenqualität nur mittel oder sogar schlecht für die

landwirtschaftliche Nutzung. Dies ist zusammen mit der Relief-Ungunst ein Grund

weshalb die Provinz landwirtschaftlich nicht sehr bedeutend ist. 29 % der Fläche

werden landwirtschaftlich genutzt, die sich folgendermaßen untergliedert: In den

Ebenen im Zentrum der Provinz wird vor allem Zucker, in den Bergregionen

hauptsächlich Kaffee, aber auch in kleinen Mengen Obst und Gemüse angebaut.

Außerdem wird extensive Weidewirtschaft betrieben. Die Zuckererträge pro Hektar und

die Milchleistung der Kühe sind aufgrund der schlechten Böden und der Trockenheit in

den Ebenen im Vergleich zu anderen Provinzen Kubas unterdurchschnittlich. Weitere

Probleme bei der landwirtschaftlichen Nutzung sind in den Bergregionen auftretende

Erosions- und in den Ebenen Versalzungsprozesse.

Forstwirtschaftlich wird nur ein Teil des Waldbestandes genutzt, der 48 % der Provinz-

Fläche umfasst. Insgesamt gibt es 15 ausgewiesene Waldschutzgebiete, für die

abgestufte Nutzungsformen festgelegt wurden. In einigen sind keinerlei Aktivitäten

erlaubt, andere sind durch Wanderwege erschlossen und dienen zur Naherholung.

Industrie

In der Gemeinde Santiago de Cuba ist die Industrie der wichtigste Sektor. Noch in der

amerikanischen Phase (1902-58) entstanden ein Zementwerk, eine Erdöl-Raffinerie und

ein Elektrizitätswerk. Außerdem war Santiago de Cuba bekannt für seine

Rumproduktion. In dem ehemaligen Bacardi-Werk (Barcardi hat heute sein Sitz in

Costa Rica) wird heute noch immer Rum produziert.

Nach 1959 wurden eine weitere Raffinerie und eine Textilfabrik gebaut und neue

Industriegebiete erschlossen.

Wirtschaftliche Situation

Seit Beginn der 90er Jahre mussten durch den Zusammenbruch des RGW zahlreiche

Industrieanlagen stillgelegt werden. Viele Anlagen befanden sich auf einem

technologisch veraltetem Stand und die notwendigen Rohstoffimporte blieben aus.

Auch die Textilfabrik, die für enorme Kapazitäten ausgelegt war und früher Tausende

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von Arbeitskräften beschäftigte, musste schließen. Heute befinden sich auf dem

Gelände ein paar kleine Fabriken mit nur wenigen Arbeitnehmern. Es werden z.T.

immer noch Textilprodukte hergestellt, inzwischen jedoch auch andere Produkte

hergestellt (Plastikschuhe, Jointventure mit China). Die entlassenden Arbeitskräfte

bekommen, bis sie wieder vermittelt werden, 50 % ihres letzten Gehaltes.

Migrationsprobleme

In der Gemeinde Santiago de Cuba gab es zunächst nicht genug verfügbare

Arbeitskräfte für die Industrie, deshalb kam es zu Wanderungsbewegungen aus der

Provinz in die Gemeinde. Der Verstädterungsgrad ist von 1960 bis 1999 von 60 % auf

70 % gestiegen. Doch nach dem Zusammenbruch der Industrie herrscht kein Mangel

mehr, sondern ein Überangebot an Arbeitskräften in der Gemeinde. Die Arbeitslosigkeit

in Santiago de Cuba wird inzwischen offiziell mit 10 % (real vermutlich 14 %)

angegeben, während auf dem Land Arbeitskräftemangel herrscht. Trotzdem wandern

weiterhin ca. 2.000 Menschen pro Jahr von der Provinz in die Gemeinde Santiago. Der

Prozess der Migration läuft folgendermaßen ab: Erst wandern die Menschen aus der

Provinz in kleinere Städte z.B. nach Palena und Maestra, danach wandern sie weiter

nach Santiago, und schließlich nach Westkuba (Provinz Havanna). Ein Grund für diese

Wanderungsbewegungen aus der Provinz in die Stadt sind die trotz der wirtschaftlich

desolaten Lage besseren Verdienstmöglichkeiten in der Stadt. In der Stadt besteht die

Möglichkeit, mit ausländischen Touristen in Kontakt zu kommen und durch sie an

Dollar zu gelangen. Außerdem können viele, die zum Studieren nach Santiago

gekommen sind, sich nicht vorstellen, nach ihrem Studium wieder in der Provinz harter

körperlicher landwirtschaftlicher Tätigkeit nachzugehen. Die Abwanderungsströme von

Santiago nach Havanna lassen sich durch unterschiedliche Lohnniveaus erklären, denn

die Löhne in der Provinz Santiago gehören zu den niedrigsten in ganz Kuba. Die

Provinz hat die höchste Abwanderungsrate des Landes (minus 2.000 Pers./a).

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Tourismus

Bis 1990 gab es in Santiago de Cuba wie in ganz Kuba nur inländischen Tourismus, den

ausländischen Touristen war die Einreise nach Kuba bis zu diesem Zeitpunkt nicht

gestattet. Seit 1990 entwickelte sich Santiago de Cuba zu einem bedeutenden

Anziehungspunkt für ausländische Touristen. Ein bedeutsames Tourismusprojekt in

Santiago de Cuba war 1992 der Bau eines 5-Sterne-Hotels auf dem Gelände einer

Zuckerfabrik. Nach anfänglich geringer Nachfrage besteht seit 1999 ein

Managementvertrag mit der spanischen Sol-Melilla Gruppe, wodurch sich die

Auslastung erhöht hat. Auch an der Küste sind neue Hotelanlagen entstanden, die durch

Joint-ventures mit kanadischen und deutschen Firmen (LTI) realisiert wurden.

Außerdem werden die bestehenden Ferienanlagen, die früher von Kubanern genutzt

wurden, heute fast ausschließlich für ausländische Touristen betrieben. Im östlich der

Stadt gelegenen Gebirge Gran Piedra sollen zukünftig Projekte im Bereich des

ländlichen und ökologischen Tourismus gefördert werden.

Infrastrukturproblem

Ein großes Problem für Santiago de Cuba besteht in der überalterten oder mangelnden

Infrastrukturausstattung. Die Wasserrohre in der Altstadt stammen noch aus der

spanischen Kolonialzeit und sind in einem desolaten Zustand. 20-30 % des Wassers

gehen beim Transport verloren. Dadurch verschärft sich das vorhandene Problem der

Grundwasserknappheit in der Provinz weiter. Manchmal gibt es in der Altstadt bis zu

zehn Tage kein fließendes Wasser. Aufgrund der Wasserknappheit haben sich viele

Einwohner Zisternen auf den Dächern aufgestellt. Für die Reparatur des

Wasserrohrsystems mangelt es an Ersatzteilen (z.B. Reparatur der aus der ehemaligen

UdSSR stammenden Pumpen). Auch ein Abwassersystem existiert nur in den neu

errichteten Siedlungen. Kläranlagen wurden wegen mangelnder finanzieller Mittel nach

1990 nicht fertiggestellt, so dass die Abwässer weiterhin ungeklärt ins Meer geleitet

werden.

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Umweltproblem

Durch fehlende oder nicht funktionierende Kläranlagen wurden viele Abwässer der

Industrieanlagen ungeklärt in die Bucht von Santiago de Cuba eingeleitet. 1986 wurde

das erste Umweltschutzgesetz in Kuba erlassen und seit 1998 sind für alle Maßnahmen

Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgesehen. Diese Vorschriften werden jedoch bis

heute kaum oder gar nicht eingehalten. Seit 1990 hat sich die Umweltsituation deutlich

verbessert, weil sich durch den Zusammenbruch der Industrie auch die

Abwasserbelastung deutlich verringert hat. Inzwischen ist die Bucht von Santiago de

Cuba wieder sauberer Der Prozess wird als passive Sanierung der Umwelt bezeichnet.

Viele Kläranlagen wurde durch die Wirtschaftskrise nicht zu Ende gebaut. Die

getätigten Investition sind inzwischen durch den Verfall der Anlagen wertlos

geworden.

Planungsproblem

Ein Problem für die Regionalplanung in Santiago de Cuba ist die zentralistische

Planung von Havanna aus. Alle Entscheidungen werden in Havanna getroffen. Die

Provinz hat kaum einen Einfluss. Auch die Einnahmen der Provinz müssen nach

Havanna abgeführt werden. Es besteht ein Konflikt zwischen den Planern in der Region

und den politischen Entscheidungsträgern in Havanna. Die Planer kennen die Probleme

sehr genau, haben jedoch durch die zentralistische Organisation der Planung keine

Spielräume, adäquat darauf zu reagieren. Die Entscheider beachten nicht die Planungen

der Experten. Unser Gesprächspartner spricht von dilettantischen Zuständen.

Ein Beispiel aus Santiago ist der Industrieausbau in der Stadt. Wo die Arbeiter für die

Industrie wohnen sollen, wurde nicht berücksichtigt. Weit entfernt von den

Industrieanlagen wurden riesige Plattenbausiedlungen („Schuhkartonsiedlungen“)

errichtet, in denen bis zu 40.000 Einwohner leben. Ein ÖPNV-System zur

Sicherstellung der Mobilität der Menschen wurde jedoch nicht mitgeplant.

Auch die soziale Mischung in diesen Plattenbausiedlungen wurde durch

Wohnungszuweisungen durch den Staat geplant. Trotzdem fühlen sich die Leute nicht

wohl in den Siedlungen.

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Inzwischen herrscht Wohnungsmangel in der Stadt und es sind mit der Zeit 32

sogenannter „barrios insaludable“ (Ungesunde Stadtviertel) entstanden, die weder über

Strom und Wasser noch über einen Anschluss an die Kanalisation verfügen. In ihnen

sind ca. 10.000 Einwohner beheimatet. Auch in diesen „Slums“ sind Menschen aller

sozialen Schichten ansässig. Bevor Personen nach ihrem Studium zurück aufs Land

gehen, bleiben sie in der Stadt und wohnen in den „Slums“.

El Cobre

Kupfermine

Die im Landesinneren nicht weit

von Santiago gelegene Kupfermine

wird bereits seit 1514 betrieben

und ist damit die älteste ganz

Lateinamerikas. Dem ersten

Besitzer, dem Deutschen Hans

Tetzel, der die Grube im Auftrag

der Spanier betrieb, folgten viele

andere Deutsche, aber auch

Engländer, die ebenfalls im

Auftrag der spanischen Krone

arbeiteten.

150 Jahre lang war diese Mine ein Staat im Staate, dessen Arbeiterschaft sich aus

afrikanischen Sklaven und Indianern zusammensetzte. Die schnelle Vermischung der

Kulturen und die gemeinsame Organisation des Überlebens hatte zur Folge, dass die

Minenbesitzer zunehmend immer weniger Kontrolle über ihre Sklaven ausüben

konnten. Einige der Sklaven konnten sich von ihren Kolonialherren unabhängiger

machen, betrieben Handel und wurden z.T. später in die Freiheit entlassen. Die ganze

Region um El Cobre galt als äußerst wohlhabend. Außerdem war Kuba zu dieser Zeit

Abraumhalden in El Cobre

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ausgesprochen innovativ, so war es das 6. Land auf der Welt, das die Eisenbahn

einführte.

Bis in die 50er Jahre dieses Jahrhunderts wurde das Kupfer unter Tage gefördert.

Heutzutage wird der Abbau im Tagebau betrieben. Der Kupferanteil wird bereits seit 40

Jahren nicht mehr bekannt gegeben und als Staatsgeheimnis behandelt. Kein

Staatsgeheimnis ist jedoch, dass das Bergwerk im Jahre 2001 geschlossen wird, weil

das Kupfervorkommen erschöpft ist.

Ein aktuelles Problem ist die Toxizität des Schwermetalls Kupfer. Die durch Wasser

ausgespülten Ionen bilden Schwefelsäure und sind nicht nur gesundheitsschädlich und

verseuchen in der benachbarten Plattenbausiedlung Jose Marti das Trinkwasser, sondern

sie schaden auch in der Nähe gelegenen Industrieanlagen.

Über eine Nachnutzung nach Einstellung des Abbaus ist man sich noch keineswegs

einig.

Wallfahrtsort

Die auf einem Hügel in der Nähe gelegene Kirche von El Cobre ist der Virgen de la

Caridad ( Der heiligen Jungfrau der Barmherzigkeit)

geweiht. Der Sage nach erschien die Jungfrau im

Jahre 1606 drei ertrinkenden Fischer im Meer und

reichte ihnen eine Holzplanke. Später baute man ihr

dann am Ort der heutigen Kirche eine kleine Kapelle.

Die Virgen de la Caridad wurde später zur

Schutzherrin der in den Kupferminen arbeitenden

Sklaven, allerdings nicht nur in ihrer Eigenschaft als

katholische Heilige. Denn in Form der Virgen de la

Caridad wird gleichzeitig die Göttin Ochun, die

afrokubanische Göttin für Liebe, Koketterie und

Fruchtbarkeit verehrt. Die Projektion dieser Göttin

auf die Heilige Jungfrau hat ihren Ursprung in der

Zeit, als es den Yoruba–Sklaven aus Westafrika

verboten war, ihre eigene Religion auszuüben. Die Santeria „Der Weg der Heiligen“

Kirche von El Cobre

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entstand, eine Synthese aus der katholischen Kirche und westafrikanischen Göttern.

Rund 15 afrokubanische Heilige treten regelmäßig in Form von katholischen Heiligen

auf. Noch heute im kommunistischen Regime Kubas hat diese neue Glaubensrichtung

Bestand.

Die Virgen de la Caridad, mit der in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts erbauten

Kirche ist heute der bedeutendste Wallfahrtsort Kubas, der auch von berühmten

Persönlichkeiten wie Fidel Castros Mutter und Hemingway besucht wurde.

Innenstadt

Die anschließende Mittagspause

fand am Plaza Dolores in der

Innenstadt statt.

Von dort aus begann eine kurze

Stadtführung durch die Innenstadt

Santiago de Cubas.

Entlang der Avenida Saco ging es

westwärts in Richtung Parque

Céspedes.

Die Avenida Saco ist die traditionelle Einkaufs- und

Flaniermeile Santiagos, also quasi der CBD, auch

wenn das Warenangebot heute nicht unbedingt

höchsten Zentralitätsansprüchen genügt.

Der Parque Céspedes ist das funktionale Zentrum Santiagos.

Wie für lateinamerikanische/kubanische Zentralplätze üblich,

entsteht der rechteckige Platz durch einen „ausgelassenen“

Häuserblock im schachbrettartigen Straßengrundriss. Auch in

Santiago wird der Platz auf allen Seiten von wichtigen

Gebäuden flankiert:

Avenida Saco

Kathedrale von Santiago

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An der Südseite erhebt sich die

mächtige Kathedrale. In der jetzigen

Form 1922 fertiggestellt, bestand

hier schon seit 1516 eine Kirche, die

jedoch häufig durch Erdbeben und

Brände zerstört und verändert und

vergrößert wieder errichtet wurde.

Gegenüber auf der Nordseite des

Platzes liegt das Rathaus, von dessen

Balkon Fidel Castro am 1.1.1959 die

Revolution verkündete. Es handelt sich bei dem Bau um eine aus den 40er Jahren

datierende Rekonstruktion des

früheren, wiederum von einem

Erdbeben zerstörten Rathhauses.

Auf der Westseite des Platzes

befindet sich das älteste Haus

Kubas, die Casa Diego Velázques.

In dem 1516 errichteten Wohnhaus

des ersten Gouverneurs Velázques

ist heute ein Museum für koloniale Kunst

untergebracht.

Das Casa Grande, ein prachtvolles Hotel aus der

Gründerzeit, befindet sich an der Ostseite des Platzes.

Der Platz selbst ist nach Carlos Manuel de Céspedes

benannt, dem Führer des erfolglosen Aufstandes

gegen die Kolonialmacht von 1872.

Der Rundgang führte wiederum ostwärts entlang der

Calle Herida. Diese gilt als kulturelles Zentrum

Santiagos, nicht zuletzt aufgrund der Casa de la

Rathaus

Casa Diego Velasquez

Hotel Casa Grande

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Trova, dem berühmtesten Musiklokals Kubas. Das Haus ist seit Jahrzehnten Treffpunkt

der kubanischen Musikszene. Santiago wird daher als Musik-Haupstadt Kubas

angesehen und gilt als Geburtsort des Son.

Bevor vom Plaza Dolores die Busfahrt wieder aufgenommen wurde, stand noch ein

Besuch beim Rummuseum zwei Querstraßen südlich der Calle Heridia auf dem

Programm. Hier wurde noch einmal der Produktionsprozess des Rum erläutert und die

Gruppe anschließend mit selbigem verköstigt.

Das Stadtumland Santiagos, die Bucht mit anliegender Industrie und

Squattersiedlungen

Auf der Fahrt von der Innenstadt an die Bucht Santiagos wurde das Problem der

„ungesunden Wohnviertel“, der Slumviertel in Santiago, von denen es insgesamt 32

gibt, deutlich. Es waren viele ärmliche gemauerte Häuser mit Wellblechdach zu sehen,

die oft nicht mit fließendem Wasser, Kanalisation und häufig auch Elektrizität

ausgestattet sind.

An der Ostseite der Bucht befindet sich eine Zementfabrik, in deren Nähe Mergel und

Kalkabbau stattfindet. Das nur zu rund 70 % ausgelastete Werk verursacht enorme

Emissionen. Heute bestehen auf den Böden in der Nähe ca. 1 m Ablagerungen durch die

Stofffracht, das entspricht eine

Ablagerung von 2 cm

Schwebstoffen pro Jahr.

Das ebenfalls an der Bucht gelegene

Elektrizitätswerk wurde mit

tschechischer Hilfe errichtet. Einer

seiner Schornsteine wurde in den

60er Jahren von Skoda erbaut. Der

andere, in den 90er Jahren erbaute

Schornstein ist japanischenElektizitätswerk

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Ursprungs. In den 70er und 80er Jahren wurde die Raffinerie mit sowjetischem Kapital

und Maschinen erweitert. Die

Auslastung dieser Anlage liegt bei

fast 100 %.

Die Erdölraffinerie enthält zwei aus

amerikanischer Zeit stammende

Einheiten, das Werk wurde jedoch

noch nach der Revolution

aufgerüstet. Die Auslastung der

Raffinerie liegt ebenfalls fast bei

100 %. Problematisch ist allerdings

auch bei dieser Anlage die stark verursachte Luftverschmutzung.

An der Westseite der Bucht befindet sich ein Hochofen für Stahl mit einer

angeschlossenen Werft für Schiffe. Diese haben heute ein Durchschnittsgewicht von

5.000-6.000 Bruttoregistertonnen und sind somit deutlich kleiner als noch vor 10

Jahren.

Nicht weit befindet sich der neue Hafen, der im Gegensatz zum alten kleineren

Stückguthafen auch Container umschlagen kann.

In der Mitte der Bucht ist ein relativ gehobenes Wohnviertel mit kleinem Yachthafen

auf einer kleinen Insel gelegen und in Richtung Süden befindet sich der Ausgang der

Taschenbucht.

Festung „El Morro“

Die Besichtigung der Festung El Morro, der letzten Etappe der Besichtigung der

Sehenswürdigkeiten Santiago de Cubas, wurde aus Zeitgründen auf den Abend des

16.3. verschoben.

El Morro, mit vollständigem Namen Castillo San Pedro de la Roca, ist eine imposante

Verteidigungsanlage, am östlichen Eingang oberhalb der Bucht von Santiago gelegen.

Erbaut 1640 vom Architekten Antonelli, der auch schon das gleichnahmige Pendant in

Havanna entworfen hatte, sollte die Festung Santiago vor den zahlreichen Attacken

karibischer Piraten und Freibeuter schützen.

Erdölraffinerie

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Nichtsdestotrotz gelang es dem britischen Freibeuter Henry Morgan 1662, Santiago

über den Landweg zu erobern und damit auch das Castillo einzunehmen.

El Morro, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erkoren, wurde erst kürzlich

restauriert und beherbergt heute ein Piratenmuseum.

Diskussion

Während der Nachbesprechung wurden folgende Themenbereiche diskutiert:

• Das Problem der Planungsmöglichkeiten regionaler Planer in der zentralen

Planwirtschaft.

• Umwelt als Produktionsfaktor im Sozialismus: Warum kam/kommt es trotz

zentraler Kontrolle nicht zu einer nachhaltigeren Nutzung der Ressourcen?

• Problem der Migration in sozialistischen Systemen: Warum kommt es trotz

staatlicher Kontrolle zu relevanten Bevölkerungsbewegungen, bzw. bedeutet das

schwächer werdende System eine Zunahme der Landflucht mit den einhergehenden

negativen Folgen (Slumbildung, Entvölkerung)?

LiterarturverzeichnisLangenbrink, U. 1998: Cuba. Dumont Richtig ReisenLonely Planet 1997: CubaNestler, U. 1999: Kuba. Marco Polo Reiseführer, Mairs Geographischer VerlagKarten:Gravette, A. 1999: Cuba, Edicíon Espanola, Könemann Verlagsgesellschaft. Kartenteil:

Globetrotter Travel Maps (1996)