PSYCHOLOGIE - SDBB...Psychologie | PERSPEKTIVENFachgebiet 7 Mitmenschen basieren. Solche...

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PERSPEKTIVEN STUDIENRICHTUNGEN UND TÄTIGKEITSFELDER PSYCHOLOGIE

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  • PERSPEKTIVEN STUDIENRICHTUNGEN UND TÄTIGKEITSFELDER

    PSYCHOLOGIE

  • Meine individuelle Lösung,berufsbegleitend zu studieren.

    Die einzige FernUni der Schweiz

    Bachelor & Master in Psychology

    Ein Psychologiestudium bietet Ihnen die Kompetenzen, um Fachperson im Bereich des menschlichen Verhaltens zu werden, etwas das in allen Gebieten der Gesellschaft zum Tragen kommt (Bildung, Gesundheit, Soziales, Arbeit oder Berufsleben, Organisationen, etc.). Es bezieht sich nicht nur auf den klinischen und den therapeutischen Bereich. Durch die grosse Bandbreite, welche eine hohe soziale Komponente erfordert, erreichen Sie verschiedene Ziele: Ihr Tätigkeitsfeld in Ihrem angestammten Beruf erweitern oder eine berufliche Neuorientierung in der Unternehmensberatung, als Schulpsychologe, Arbeits und Organisationspsychologe, Gesundheitspsychologe oder in einem anderen spannenden Berufsfeld anzustreben.

    Die FernUni Schweiz bietet einen Bachelor und einen Master in Psychologie an.

    INFOS & EINSCHREIBUNG www.fernuni.ch/psychologie

    Claudia PazAbsolventin Bachelor Psychologie Wissenschaftliche Mitarbeiterin

    «Die FernUni Schweiz hat mir ermöglicht, in meinem Leben und in meinem Alter noch einmal einen anderen Weg zu gehen. Dass ich mit Familie und Arbeit noch ein Studium machen durfte, war für mich der wesentliche Vorteil des Fernstudiums. Dies hat mein Selbstwertgefühl enorm gesteigert, mich aber auch pflichtbewusster werden lassen. Ich gehe nun gestärkt in die Zukunft und weiss, dass ich meine Ziele erreichen kann.»

    Patrizia, 32

    Sportlerin &

    Studentin

  • Psychologie | PERSPEKTIVEN

    3Editorial 3

    LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

    Interessieren Sie sich für Menschen, deren Denken, Fühlen und Handeln und für die eine oder andere der folgenden Fragen?

    – Was war zuerst – Kognition oder Emotion? Welcher der beiden Aspekte beeinflusst meine Entscheidung stärker?

    – Wie funktioniert der Mensch in der Arbeit? Weshalb fühlen sich einige schneller gestresst als andere?

    – Welche Wirkung haben Medien und Videospiele auf die Gefühle und das Verhalten? Wie sehen benutzerfreundliche Websites aus?

    – Augen, Ohren und Gehirn – wie nehmen wir unsere Umgebung wahr? Was passiert bei Verarbeitungs- und Abrufprozessen im Gehirn?

    – Wie entstehen Vorurteile?– Gibt es Zusammenhänge zwischen Paarbeziehungen und den

    Persönlichkeitsaspekten der Partner?– Mit welcher Therapiemethode sind bei welcher psychischen

    Erkrankung die besten Erfolge zu verzeichnen? Was überhaupt heisst Erfolg?

    – Wie lernen Kinder? Wann sind wir motiviert? – Wie entwickeln wir unsere Identität? Welche Entwicklungs-

    aufgaben gibt es in der Kindheit oder im Alter?

    Sollten Sie solche Fragen spannend finden, erhalten Sie im vorlie-genden Heft einen vertieften Einblick in das breite Fachgebiet der Psychologie und in die vielfältigen Berufsfelder. Studierende berich-ten über persönliche Eindrücke und Erfahrungen aus dem Studium, Berufsleute vom Berufseinstieg und aus dem Arbeitsalltag. Und natürlich erfahren Sie, wie und wo in der Schweiz Psychologie studiert werden kann.

    Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und eine gute Studienwahl!

    Diana Abegglen und Nora Kehlstadt

    Dieses Heft enthält sowohl von der Fachredaktion selbst erstellte Texte als auch Fremdtexte aus Fachzeitschriften, Informationsmedien, dem Internet und weiteren Quellen. Wir danken allen Personen und Organisationen, die sich für Porträts und Interviews zur Verfügung gestellt oder die Verwendung bestehender Beiträge ermöglicht haben.

    Diana Abegglen und Nora KehlstadtStudienberatung BaselVerantwortlich für diese «Perspektiven»-Ausgabe

    Titelbild Mit einem Tangram-Puzzle können Kinder dabei unterstützt werden, räumliche Zusammenhänge zu erkennen und ihre Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln.

    Meine individuelle Lösung,berufsbegleitend zu studieren.

    Die einzige FernUni der Schweiz

    Bachelor & Master in Psychology

    Ein Psychologiestudium bietet Ihnen die Kompetenzen, um Fachperson im Bereich des menschlichen Verhaltens zu werden, etwas das in allen Gebieten der Gesellschaft zum Tragen kommt (Bildung, Gesundheit, Soziales, Arbeit oder Berufsleben, Organisationen, etc.). Es bezieht sich nicht nur auf den klinischen und den therapeutischen Bereich. Durch die grosse Bandbreite, welche eine hohe soziale Komponente erfordert, erreichen Sie verschiedene Ziele: Ihr Tätigkeitsfeld in Ihrem angestammten Beruf erweitern oder eine berufliche Neuorientierung in der Unternehmensberatung, als Schulpsychologe, Arbeits und Organisationspsychologe, Gesundheitspsychologe oder in einem anderen spannenden Berufsfeld anzustreben.

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    Claudia PazAbsolventin Bachelor Psychologie Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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    Patrizia, 32

    Sportlerin &

    Studentin

  • 4 Überschrift4

    ALLE INFORMATIONEN IN ZWEI HEFTREIHEN

    Die Heftreihe «Perspektiven: Studien-richtungen und Tätigkeitsfelder» infor-miert umfassend über alle Studiengänge, die an Schweizer Hochschulen (Univer- sitäten, ETH, Fachhochschulen und Päda-gogischen Hochschulen) studiert werden können. Die Reihe existiert seit 2012 und besteht aus insgesamt 48 Titeln, welche im Vier-Jahres-Rhythmus aktualisiert werden.Wenn Sie sich für ein Hochschulstudium interessieren, finden Sie also Informatio-nen zu jeder Studienrichtung in einem Perspektivenheft. > Editionsprogramm Seiten 74/75

    In einer zweiten Heftreihe, «Chancen: Wei terbildung und Laufbahn», werden Angebote der höheren Berufsbildung vor-gestellt. Hier finden sich Informationen über Kurse, Lehrgänge, Berufsprüfungen, Höhere Fachprüfungen und Höhere Fach-schulen, die in der Regel nach einer beruf-lichen Grundbildung und anschliessender Berufspraxis in Angriff genommen wer-den können. Auch die Angebote der Fach-hochschulen werden kurz vorgestellt. Diese bereits seit vielen Jahren bestehen-de Heftreihe wird ebenfalls im Vier-Jahres-Rhythmus aktualisiert.

    Alle diese Medien liegen in den Berufs- informationszentren BIZ der Kantone auf und können in der Regel ausgeliehen wer-den. Ebenfalls sind sie unter www.shop.sdbb.ch erhältlich.

    Weitere Informationen zu den Heftreihen finden sich auf: www.chancen.sdbb.ch www.perspektiven.sdbb.ch

    23Studium: Das Studium der Psychologie ist in-haltlich sehr vielfältig und abwechslungsreich. Ohne Englisch und Statistik geht es jedoch nicht, und ebenso wenig handelt es sich um eine Therapieausbildung. Es braucht Offenheit, Neugier und die Fähigkeit zur Reflexion.

    Inhalt

    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    INHALT PSYCHOLOGIE

    6FACHGEBIET

    7 Der Mensch im Fokus11 «Ein niedriges Selbstwertgefühl

    trägt zu Depressionen bei»13 Why are statistics neces-

    sary in psychology?14 Einmal Lob hier, bitte!16 Führen Vorurteile immer zu

    Diskriminierungen?18 Forschungsbeispiele aus ver-

    schiedenen Teilgebieten

    22STUDIUM

    23 Psychologie studieren27 Studienmöglichkeiten in Psychologie32 Verwandte Studienfächer und

    Alternativen zur Hochschule33 Kleines ABC des Studierens

    37 Porträts von Studierenden:37 Marion Inhelder, Entwicklungs-

    und Persönlichkeitspsychologie39 Julia Schäfer, Psycholo-

    gie und Soziologie41 Milena Niklaus, Arbeits-, Organisa-

    tions- und Personalpsychologie42 Jacob Riedel, Psychologie

    11Selbstwertgefühl: Das Selbstwertgefühl ist definiert als die ganz persönliche, subjektive Einschätzung des eigenen Werts. Es ist ein Teil des Selbstkonzepts jedes Menschen. Ulrich Orth, Professor für Entwicklungspsychologie, berichtet über seine Forschung zu diesem Thema.

  • 5Überschrift

    37Studierendenporträts: Für Marion Inhelder ist der Bezug zur Praxis sehr wichtig. Diverse Berufseinblicke haben ihr erlaubt, auszupro-bieren und ihren Weg zu finden. Nach dem Ba-chelorstudium in Bern mit zwei Nebenfächern hat sie sich für das Basler Masterstudium in Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie entschieden.

    64Berufsporträts: Im Psychologiestudium hatte Javier Bargas-Avila das Thema Mensch–Maschine für sich entdeckt. Heute arbeitet er als User Experience Research Manager bei Google und leitet dort ein internationales For-schungsteam, das für die Produktentwicklung Nutzerbedürfnisse analysiert.

    ERGÄNZENDE INFOS AUF WWW.BERUFSBERATUNG.CH

    Dieses Heft wurde in enger Zusammen-arbeit mit der Online-Redaktion des SDBB erstellt; auf dem Berufsberatungsportal www.berufsberatung.ch sind zahlreiche ergänzende und stets aktuell gehaltene Informationen abrufbar.

    Zu allen Studienfächern finden Sie im Internet speziell aufbereitete Kurzfassun-gen, die Sie mit Links zu weiteren Infor- mationen über die Hochschulen, zu all-gemeinen Informationen zur Studienwahl und zu Zusatzinformationen über Studien-fächer und Studienkombinationen führen. berufsberatung.ch/psychologie

    WeiterbildungDie grösste Schweizer Aus- und Wei ter bil-dungs daten bank enthält über 30 000 re dak-tionell betreute Wei ter bil dungs an ge bote.

    LaufbahnfragenWelches ist die geeignete Weiterbildung für mich? Wie bereite ich mich darauf vor? Kann ich sie finanzieren? Wie suche ich effizient eine Stelle? Tipps zu Bewerbung und Vorstellungsgespräch, Arbeiten im Ausland, Um- und Quereinstieg u. v. m.

    Adressen und AnlaufstellenLinks zu Berufs-, Studien- und Laufbahn-beratungsstellen, Stipendienstellen, zu Instituten, Ausbildungsstätten, Weiterbil-dungsinstitutionen, Schulen und Hoch-schulen.

    5Inhalt

    44WEITERBILDUNG

    48BERUF

    49 Berufsfelder und Arbeits markt

    52 Berufsporträts:53 Tina In-Albon, Professorin für

    Klinische Psychologie und Psycho-therapie des Kindes- und Jugendal-ters, Universität Koblenz-Landau

    55 Birgit Gross, HR-Manager, ABB UAE57 May Beyli-Helmy, Forensische

    Psychologin und Psychotherapeutin, Klinik für Forensische Psychiatrie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich

    60 Rolf Nyfeler, Psychotherapeut, Supervisor und Organisations-entwickler, Lernpraxis Zürich

    62 Carmela Kiss, Kinder- und Jugend - psychologin, Schul psychologischer Dienst Basel-Stadt

    64 Javier Bargas-Avila, User Experience Research Manager, Google Schweiz

    66 Kurzporträts

    68

    SERVICE

    68 Adressen, Tipps und weitere Informationen

    69 Links zum Fachgebiet74 Editionsprogramm75 Impressum, Bestellinformationen

    Psychologie | PERSPEKTIVEN

  • KAPTELTITEL

    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    FACHGEBIET7 DER MENSCH IM FOKUS10 TEXTE UND THEMEN ZUM FACHGEBIET

    6

  • Psychologie | PERSPEKTIVEN

    7Fachgebiet

    Mitmenschen basieren. Solche alltagspsychologischen Vorstel-lungen und Überzeugungen werden jedoch nur wenig reflektiert und sind deshalb oft Anlass von Miss- und Unver-ständnis. Alltagspsychologie beruht auf unserem subjektiven Selbsterleben; das daraus erworbene Wissen («der gesunde Menschenverstand») dient der Orientierung in sozialen Situa-tionen und hat in der alltäglichen Lebensbewältigung vor al-lem praktische Zwecke. Darüber hinaus vermag die Alltags-psychologie keine generalisierten Aussagen zu machen. Sie darf deshalb nicht mit Psychologie als exakter Wissenschaft gleichgesetzt werden.

    FALSCHE VORSTELLUNGEN ODER WAS PSYCHOLOGIE NICHT ISTPsychologie als Wissenschaft setzt sich zwar mit menschli-chem Denken, Fühlen und Handeln auseinander, aber sie ist nicht die Lehre der «Menschenkenntnis». Psychologie als Wis-senschaft hat nichts mit Intuition zu tun, und das Studium lehrt einen nicht, den Menschen zu lesen. Und entgegen der ebenfalls noch immer geläufigen Vorstellung, Psychologie be-schäftige sich hauptsächlich mit pathologischen, gestörten Verhaltensweisen und psychischen Problemen, ist dies nur für ein Teilgebiet der Psychologie zutreffend, nämlich für die Kli-nische Psychologie bzw. die Psychopathologie. Nicht jede Psy-chologin und jeder Psychologe ist automatisch auch Therapeu-tin oder Therapeut. Psychologie umfasst weit mehr und beschäftigt sich gleichermassen mit dem Erleben und Verhal-ten des «gesunden» Menschen (z.B. Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Entwicklungspsychologie).Psychologinnen und Psychologen kommen überall dort zum Einsatz, wo Menschen auf Menschen treffen – sei es in Unter-nehmen, in der Schule, im Krankenhaus oder im Privaten. Darüber hinaus ist Psychologie als Wissenschaft schon lange keine rein geisteswissenschaftliche Disziplin mehr. Es geht nicht wie etwa in der Philosophie in erster Linie darum, über das Menschsein, den Sinn des Lebens oder die Seele nachzu-denken. Vielmehr ist die moderne Psychologie eine Sozialwis-senschaft mit methodischen Bezügen zu den Naturwissenschaf-ten, weil empirische Forschung und Methodik im Vordergrund stehen. Das zeigt sich auch darin, dass das Psychologiestudium an den Schweizer Hochschulen zu einem Bachelor- bzw. Mas-terabschluss «of Science» und nicht «of Arts» führt.

    DER MENSCH IM FOKUS

    Warum sind wir Menschen so, wie wir sind? Warum verhalten wir uns in einer bestimmten Situation anders als andere? Die Psychologie als empirische Wissen-schaft beschreibt und erklärt menschliches Denken, Verhalten und Erleben. Sie gilt als interdisziplinäre Wissenschaft, denn sie verknüpft Anteile aus den Natur-, Sozial- und den Geisteswissenschaften.

    Psychologie setzt sich aus den altgriechischen Worten psyché (Hauch, Seele, Gemüt) und logos (die Lehre) zusammen und gilt sehr weit gefasst als Wissenschaft vom Erleben und Ver-halten des Menschen. Hierbei ist menschliches Verhalten im Grunde alles, was wir tun, und das Erleben umfasst unser gesamtes Innenleben: wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir fühlen und denken, was uns dazu bewegt, auf diese oder jene Weise zu handeln. Es wird nach inneren (biologischen wie neuronalen und genetischen sowie psychischen) und äus-seren (umweltbedingten, sozialen) Faktoren gesucht, die das Verhalten und Erleben des Einzelnen mitbestimmen und die unsere Entwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg beeinflussen.Unsere Handlungen sind von aussen beobachtbar, unser See-lenleben dagegen nicht. Und genau darin liegt der Fokus der Psychologie. Als empirische Wissenschaft prüft sie Theorien und daraus abgeleitete Modelle und Hypothesen für die Be-antwortung konkreter Fragestellungen. Mittels quantitativer und qualitativer Methoden (Experiment, Beobachtung, Frage-bogen) wird sichtbares Verhalten untersucht. Aufgrund der erhobenen Daten werden Rückschlüsse auf nicht sichtbare Phänomene – wie z.B. das individuelle Erleben von Angst in einer bestimmten Situation – gezogen. Die Psychologie ver-sucht also, etwas sichtbar und greifbar zu machen, das im Innern vor sich geht und erst durch äussere Faktoren, die mit dem «unsichtbaren» Erleben einhergehen, gemessen werden kann. Die mathematische und deskriptive Statistik ist dabei eines der wichtigsten Werkzeuge der Psychologie.

    ALLTAGSPSYCHOLOGIEDie an Hochschulen gelehrte wissenschaftliche Psychologie hat wenig mit der so genannten Alltagspsychologie zu tun. So werden wir in unserem Alltag durch allgemein verbreitete, kaum je hinterfragte Vorstellungen und Überzeugungen ge-leitet. Wir treffen tagtäglich auf Menschen und kommen dabei fast immer in Situationen, in denen wir versuchen, Verhalten und Erleben (also «innere Vorgänge») unserer Mitmenschen und von uns selber zu erklären, zu verstehen oder vorherzu-sagen. Dazu greifen wir automatisch zu umgangssprachlichen Begrif-fen und Erklärungsversuchen, die auf eigenen, gelegentlichen Beobachtungen innerhalb der Familie oder von Freunden und

  • PERSPEKTIVEN | Psychologie

    8 Fachgebiet8

    PSYCHOLOGISCHE ERKENNTNISSE IN UNSEREM ALLTAGDie wissenschaftliche Psychologie spielt in unserem Alltag eine wichtige Rolle – und dies mehr oder weniger sichtbar. So werden wir beispielsweise beim Einkau-fen – ohne dass wir es bemerken – von raffinierten, psychologisch durchdach-ten Werbekampagnen beeinflusst. Pro-dukte werden gezielt platziert, um unse-re Aufmerksamkeit zu erregen. Andere Waren werden speziell beleuchtet oder gestapelt, um unsere ästhetischen Sinne anzusprechen und uns zum Kauf anzu-regen (Werbe- und Konsumentenpsycho-logie).Ein anderer Bereich, der uns im Alltag ständig umgibt, ist der Verkehr, der nach psychologischen Erkenntnissen geregelt wird. Wahrnehmung, Verhalten und wahrscheinliche Reaktionen müs-sen stets mit einbezogen werden, um den Verkehr flüssig und die Strassen für alle Verkehrsteilnehmenden so sicher wie möglich zu gestalten (Verkehrspsy-chologie).Die Personalauswahl grosser Firmen wird durch psychologisch fundierte Aus-wahlverfahren unterstützt (Arbeits- und Organisationspsychologie). Kampa-gnen zur Prävention von Jugendgewalt werden nach neuen psychologischen Erkenntnissen gestaltet (Gesundheits-psychologie, Entwicklungspsychologie). Und es werden neue Behandlungsme-thoden für Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankun-gen angewendet (Klinische Psychologie und Psychotherapie).

    GRUNDLAGENFÄCHERDie Allgemeine Psychologie, auch Kogni-tive Psychologie, untersucht allgemein gültige Gesetzmässigkeiten grundlegen-der psychischer Funktionen wie Kogniti-on, Wahrnehmung, Lernen und Gedächt-nis, Denken, logisches Schlussfolgern, Problemlösen und Entscheiden, Sprache sowie Motivation und Emotion. Sie ist damit eine wichtige Grundlage für eine ganze Reihe von psychologischen und anderen sozialwissenschaftlichen Gebie-ten.Die Differentielle und Persönlichkeits-psychologie beschäftigt sich im Gegen-satz dazu mit individuellen Unterschie-den zwischen Menschen, zum Beispiel in

    Persönlichkeitsmerkmalen oder der In-telligenz. Neben der reinen Beschrei-bung solcher Unterschiede versucht sie, Modelle und Theorien abzuleiten. Damit ist sie wiederum Grundlage für die psy-chologische Diagnostik.Die Biologische Psychologie untersucht die biologischen Grundlagen und die Frage, in welchem Ausmass sie sich auf Verhalten und Erleben auswirken (z.B. Genetik und Evolution, physiologische, hormonelle und neuronale Prozesse, Ge-hirnfunktionen). Sie umfasst z.B. Psy-chophysiologie, Psychobiologie, Psycho-pharmakologie, Neuropsychologie oder Psychoneuroendokrinologie.Die Entwicklungspsychologie untersucht die Veränderungen des Menschen über die Lebensspanne hinweg, von der Ge-burt bis zum Tod. Wichtige entwick-lungspsychologische Themen sind z.B. Einflussfaktoren auf die verschiedenen Entwicklungsstufen sowie Entwicklung und Veränderung in Sprache, Persön-lichkeit, Wahrnehmung, Kognition, Ge-dächtnis und Lernprozessen.Die Sozialpsychologie erforscht das Ver-halten der Menschen in Gruppen und damit die Auswirkungen sozialer Inter-aktionen auf Verhalten, Gedanken und Gefühle der Menschen. Beispiele sind soziale Aspekte der Wahrnehmung (z.B. Vorurteile, Stereotypen) und der Emoti-on (z.B. Aggression), prosoziales Verhal-ten, zwischenmenschliche Anziehung,

    Einstellungen, Kommunikation oder Grup penprozesse (z.B. Entscheidungs-prozesse in Gruppen, Gehorsam, Grup-penleistung, Minoritäteneinfluss).

    ANWENDUNGSFÄCHERDie Klinische Psychologie beschäftigt sich einerseits mit der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störun-gen (soziale und biologische Grundla-gen, Symptome und Erscheinungsbilder) oder den psychischen Aspekten trauma-tischer Erlebnisse, andererseits mit de-ren Diagnose, Therapie und Rehabilita-tion. Klinische Psychologinnen und Psy chologen verfügen über die Kompe-tenzen, psychische Störungen zu diag-nostizieren, nicht aber sie zu therapie-ren. Dazu ist eine Weiterbildung in Psychotherapie notwendig (siehe Kapitel «Weiterbildung» und «Beruf»).Die Neuropsychologie befasst sich mit physiologischen Prozessen und kogniti-ven Funktionen (Wahrnehmen, Konzen-tration und Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Exekutivfunktionen, Sprache) und deren Auswirkungen auf Verhalten und Affekt.Die Gesundheitspsychologie beschreibt und erklärt auf Grundlage des bio-psy-cho-sozialen Modells gesundheitsrele-vante Verhaltens- und Erlebensweisen. Im Gegensatz zur Klinischen Psycholo-gie, wo es um die Wiederherstellung von (psychischer) Gesundheit geht, geht es

    TEILGEBIETE DER PSYCHOLOGIEVielfach wird in der Psychologie zwischen Grundlagen-, Anwendungs- und Methodenfächern unterschieden.

    GRUNDLAGENFÄCHER

    − Allgemeine Psychologie/Kognitive Psychologie

    − Biologische Grundlagen− Differentielle und Persönlichkeits-

    psychologie

    − Entwicklungspsychologie− Sozialpsychologie

    ANWENDUNGSFÄCHER (BEISPIELE)

    − Klinische Psychologie− Neuropsychologie− Gesundheitspsychologie− Gerontopsychologie− Sportpsychologie− Pädagogische Psychologie/Schulpsychologie

    − Arbeits- und Organisationspsychologie− Wirtschaftspsychologie− Medienpsychologie− Rechtspsychologie− Verkehrspsychologie− Umweltpsychologie

    METHODENFÄCHER

    − Psychologische Methodenlehre und Statistik

    − Psychologische Diagnostik

    Überblick: Die Teilgebiete der Psychologie

  • Fachgebiet 9

    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    hier um deren Erhaltung und um die Entwicklung gesundheitsfördernder Massnahmen. Wichtige Themen sind z.B. Prävention von gesundheitsschädli-chem Verhalten oder der Zusammen-hang von Stress und Gesundheit.Die Pädagogische Psychologie beschäf-tigt sich mit der Beschreibung und Er-klärung der psychologischen Komponen-ten von Erziehungs-, Unterrichts- und Sozialisationsprozessen. Erkenntnisse gehen in die Optimierung von Erzie-hung und Förderung, Unterricht und Lehre in Vorschule, Schule, Hochschule, in der Erwachsenenbildung sowie im Elternhaus ein. Voraussetzung dafür ist u.a. die Kenntnis der pädagogisch-psy-chologischen Diagnostik, der Lernpsy-chologie, der entwicklungspsychologi-schen Gegebenheiten beim Kind, der sozialpsychologischen Einflüsse in den jeweiligen Kontexten der verschiedenen Institutionen sowie der spezifischen Ge-gebenheiten bei Erziehenden, Lehrper-sonen und Eltern. Die Schulpsychologie befasst sich mit schulrelevanten psychologischen Frage-stellungen von Kindern und Jugendli-chen, beispielsweise mit Teilleistungs-schwächen, Schulbereitschaft oder

    Verhaltensauffälligkeiten. Zur Arbeit gehören die Diagnose beim Kind, die Beratung von und mit Eltern, Lehrper-sonen und einem weiteren Umfeld sowie die Erarbeitung und Durchführung von Massnahmen und Interventionen.Die Gerontopsychologie ist ein relativ junges Gebiet der Entwicklungspsycho-logie und befasst sich speziell mit den Veränderungen des Erlebens und Ver-haltens im hohen Alter. Neben dem nor-malen und pathologischen Alterungs-prozess untersucht sie auch Ressourcen und Potenziale im Alter. Die Arbeits- und Organisationspsycholo-gie beschäftigt sich mit der Wechselwir-kung von Individuen und Organisatio-nen. Dazu gehören Beschreibung und Veränderung von Erleben, Verhalten und Einstellungen von Menschen in Or-ganisationen sowie von Bedingungen, die diese Zustände und Veränderungen beeinflussen. Es geht um Themen wie Personalauswahl, Personalentwicklung, Berufswahl und Laufbahn, Arbeitsleis-tung, Arbeitsgestaltung, Arbeitsmotiva-tion, Arbeitszufriedenheit, Kommunika-tion, Konfliktmanagement, Führung und Teamentwicklung, Diversität, Ge-sundheit am Arbeitsplatz, Mensch-Ma-

    schine-Interaktion oder Organisations-entwicklung.Die Wirtschaftspsychologie beschäftigt sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten im ökonomischen Kontext und überträgt psychologische Erkenntnisse auf wirtschaftliche Fragestellungen. For-schungsfelder sind z.B. Führungspsycho-logie, Markt- und Werbepsychologie oder Finanzpsychologie.Weitere Anwendungsgebiete der Psycho-logie sind beispielsweise Sportpsycholo-gie, Medienpsychologie, Rechtspsycholo-gie, Verkehrspsychologie oder auch Um- welt psychologie.

    METHODENFÄCHERDie Psychologische Methodenlehre be-fasst sich mit der gesamten Bandbreite des Instrumentariums psychologischer Forschung, also dem «Handwerkszeug» von Psychologinnen und Psychologen. Sie stellt die Forschungsmethoden für die Psychologie zur Verfügung und ist gleichzeitig eigenständiges Forschungs-gebiet, um diese Methoden zu ver- bes sern und zu ergänzen. Neben Forschungsdesign, Experiment, Beob-achtung, Interview sowie der statisti-schen und mathematischen Datenana-

    Gerontopsychologie ist ein noch junges Gebiet der Entwicklungspsychologie, das jedoch eine stetig steigende Bedeutung erhalten dürfte: Eine Gruppe von demenzkranken Betagten baut im Pflegeheim einen Turm aus bunten Bausteinen.

  • PERSPEKTIVEN | Psychologie

    10 Fachgebiet

    QuelleAutorin: Dorothee Adrian; dieser Text erschien ursprünglich bei srf.ch/kultur

    TEXTE UND THEMEN ZUM FACHGEBIET

    Die folgenden Seiten geben beispielhaft einen Einblick in die Themen der Psychologie. Die Originaltexte wurden teilweise leicht überarbeitet.

    «Ein niedriges Selbstwertgefühl trägt zu Depressionen bei»: Interview mit Ulrich Orth, ausser-ordentlicher Professor für Entwick-lungspsychologie der Universität Bern. (S. 11)

    «Why Are Statistics Necessary in Psychology?» Statistik, Metho-den sowie die englische Sprache sind wichtige Eckpfeiler im Psychologie-studium. (S. 13)

    «Einmal Lob hier, bitte!» Nicola Jacobs hagen erforscht «Wertschät-zung» als wichtige Ressource bei der Arbeit. (S. 14)

    «Führen Vorurteile immer zu Diskriminierungen?» Wie wird untersucht, ob Vorurteile bewusst oder unbewusst sind? (S. 16)

    Forschungsbeispiele aus verschiedenen Teilgebieten: Eine Auswahl von Projekten an verschiedenen Hochschulen. (S. 18)

    QuellenBroschüre «Soll ich Psychologie studieren?» (Uni Zürich)FSP - Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (www.psychologie.ch)www.psychologie-studieren.de Wikipedia

    lyse und -interpretation zählt auch die Psychologische Diagnostik (z.B. Testthe-orie, -konstruktion und -analyse) dazu. Die Diagnostik ist die Grundlage jeder psychologischen Intervention und somit für alle Bereiche der Psychologie rele-vant.

    ABGRENZUNG ZWISCHEN PSYCHOLOGIE UND PSYCHIATRIEDer Humanmedizin und Psychologie ge-meinsam ist der Fokus auf den Men-schen. Ebenso wie die Klinische Psycho-logie ein Teilgebiet der Psychologie ist, ist Psychiatrie ein spezialisiertes Fach-gebiet innerhalb der Humanmedizin. Es gibt somit ärztliche als auch psychologi-sche Psychotherapeuten und -therapeu-tinnen. Beide beschäftigen sich mit der Heilung bzw. Behandlung psychischer Krankheiten. Der Unterschied liegt im Ausbildungsweg und darin, dass Psych-iater/innen Medikamente verschreiben dürfen.

    ABGRENZUNG ZU WEITEREN FACHGEBIETENDie Abgrenzung der Psychologie zu an-deren Studienfächern kann mitunter schwer fallen, denn psychologische The-men und Theorien spielen auch inner-halb anderer Fachgebiete eine mehr oder weniger grosse Rolle. Trotz der Überschneidungen und einer gewissen Interdisziplinarität unterscheiden sich andere Fachgebiete jedoch in der Denk-weise und im inhaltlichen Fokus.

    Während bei der Psychologie der einzel-ne Mensch im Vordergrund steht, be-schäftigt sich Soziologie mit der Gesell-schaft als Ganzes oder Teilbereichen davon: Es geht um das menschliche Zu-sammenleben, das Zusammenspiel meh-rerer Individuen in einer Gruppe (z.B. Gewaltproblematik in sozialen Rand-gruppen oder Armut). Gruppenphänome-ne werden aber auch in der Sozialpsycho-logie thematisiert (z.B. Beeinflussbarkeit von Individuen in der Gruppe oder Ent-stehen von Vorurteilen).Heilpädagogik als Teilgebiet der Päda-gogik beschäftigt sich mit Menschen, die unter Verhaltensstörungen, körperli-chen, geistigen oder sprachlichen Beein-trächtigungen leiden. Aufgabe der Heil-pädagogik ist es, Menschen mit den genannten Beeinträchtigungen durch pädagogische und therapeutische Be-treuung zu unterstützen und ihnen in der Bewältigung des alltäglichen Le-bens zu helfen. Pädagogik/Erziehungs-wissenschaft beinhaltet psychologische Themen wie Entwicklung und Kogniti-on. Ebenso umfassen Logopädie oder Allgemeine Linguistik entwicklungspsy-chologische und kognitive Theorien zum Spracherwerb.Innerhalb der Medien- und Kommunika-tionswissenschaften sind sozial- und ko-gnitionspsychologische Aspekte enthal-ten (Wahrnehmung und Speicherung sprachlicher Inhalte, Beeinflussbarkeit bestimmter Personengruppen durch Medien). Im Fokus liegt jedoch nicht der Mensch an sich, sondern das Medium.Mit den Wirtschaftswissenschaften hat die Psychologie Themen wie Kognition, Entscheidung, Arbeitsorganisation, Per-sonal oder Marketing gemeinsam. Psy-chologische Themen erscheinen inner-halb einer Vielzahl weiterer Fachgebiete wie z.B. Biologie (Humanbiologie), Neu-rowissenschaften, Kulturanthropologie oder Soziale Arbeit.

    Testverfahren und Diagnostik sind wichtiges «Handwerkszeug» von Psychologen und Psy-chologinnen.

  • Psychologie | PERSPEKTIVEN

    11Fachgebiet

    «EIN NIEDRIGES SELBSTWERTGEFÜHL TRÄGT ZU DEPRESSIONEN BEI»

    Ulrich Orth, ausserordentlicher Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern, erforscht das menschliche Selbstwertgefühl und die Frage, welche Einflüsse dieses verändern können.

    Ulrich Orth, Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Erforschung des menschlichen Selbstwertgefühls – wie erforscht man etwas derart Subjektives?Das Selbstwertgefühl ist definiert als die ganz persönliche, subjektive Ein-schätzung des eigenen Werts. Es ist ein Teil des Selbstkonzepts jedes Men-schen. Menschen unterscheiden sich darin, ob sie sich als Person grundsätz-lich akzeptieren, mit allen vorhande-nen Stärken und Schwächen, oder ob sie dazu neigen, sich nutzlos und wert-los zu fühlen. Dieses Grundgefühl von

    Selbstakzeptanz lässt sich zuverlässig durch Befragung mit standardisierten psychologischen Skalen erfassen. Bei der am häufigsten verwendeten Skala (Rosenberg-Skala) werden Personen beispielsweise gebeten anzugeben, wie sehr aus ihrer persönlichen Sicht Aus-sagen wie «Ich besitze eine Reihe guter Eigenschaften» auf sie zutreffen. Auch Menschen, die eine Person gut kennen wie Partner oder enge Freunde, kön-nen das Selbstwertgefühl dieser Per-son in der Regel recht gut einschätzen.

    Kann sich das Selbstwertgefühl eines Menschen aufgrund äusserer Einflüsse mit der Zeit verändern? Oder ist es ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal?Beides ist richtig, wobei präziser von «relativ stabil» gesprochen werden soll-te. Langzeitstudien zeigen deutlich,

    dass das Selbstwertgefühl eine recht stabile Eigenschaft von Menschen ist. Konkret: Eine Person, die mit 20 Jah-ren im Vergleich zu ihren Altersgenos-sen ein hohes Selbstwertgefühl hat, wird aller Voraussicht nach auch mit 40 Jahren zu den selbstsicheren Perso-nen ihrer Altersgruppe gehören. Und genauso gilt, dass eine Person, die in einer Lebensphase viele Selbstzweifel erlebt, vermutlich auch ein, zwei Jahr-zehnte später häufiger mit sich hadert. Trotz der Beständigkeit dieser Unter-schiede zwischen Menschen gibt es aber systematische alterskorrelierte Veränderungen, die sich in Längs-schnittstudien immer wieder zeigen – beispielsweise, dass das Selbstwertge-fühl von der Jugend bis zum mittleren Erwachsenenalter typischerweise an-steigt und im hohen Alter sinkt. Eine aktuelle Studie aus meiner Arbeits-gruppe legt nahe, dass der positive Entwicklungstrend im jungen Er-wachsenenalter unter anderem auf Erfahrungen im Lebensbereich Bezie-hungen zurückzuführen ist; insbeson-dere auf das Eingehen einer gut funk-tionierenden, langfristig angelegten Partnerschaft. Allgemeiner ausge-drückt: Auch wenn äussere Einflüsse das Selbstwertgefühl eines Menschen in der Regel nicht radikal verändern, nehmen Ereignisse und Lebenstransi-tionen doch Einfluss auf die längerfris-tige Entwicklung.

    Wie beeinflusst unser Selbstwertgefühl unseren Alltag, etwa in Beziehungen oder im beruflichen Umfeld?Die Konsequenzen des Selbstwertge-fühls einer Person sollten zwar nicht überschätzt werden, aber die For-schung legt nahe, dass es – anders als lange angenommen – nicht nur eine passive Begleiterscheinung der Le-bensumstände ist, sondern durchaus beeinflusst, was im Leben der Person passiert. Um ein Beispiel zu nennen: Menschen mit hohem Selbstwertge-fühl gehen konstruktiver mit Be zie-hungskonflikten um, während Men-schen mit niedrigem Selbstwertgefühl in Konfliktsituationen dazu neigen, das Verhalten des Partners bzw. der Partnerin negativer zu bewerten, als

    Ein niedriges Selbstwertgefühl und Depressionen hängen zusammen. Mit der gezielten Verbesse-rung des Selbstwertgefühls kann ein wichtiger Beitrag zur Senkung des Depressionsrisikos geleistet werden, folgert Professor Ulrich Orth aus seinen Studien.

  • 12

    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    Fachgebiet

    QuelleUniversität Bern/Online-Magazin, «uniaktuell», 2016, gekürztwww.unibe.ch/aktuell/uniaktuell Interview: Martin Zimmermann

    Ulrich Orth ist ausserordentlicher Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern.

    es tatsächlich ist und sich vom ande-ren zurückzuziehen. Auf die Dauer beeinflussen solche Verhaltensweisen, ob eine Partnerschaft gelingt oder ob ein Paar sich trennt. Natürlich beein-flussen viele Faktoren den Erfolg und das Wohlergehen in wichtigen Lebens-bereichen, aber eine wachsende Zahl an Längsschnittstudien legt nahe, dass das Selbstwertgefühl einer dieser Faktoren ist.

    Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist der Zusammenhang zwischen Depressionen und niedrigem Selbstwertgefühl. Zu welchen Resultaten sind Sie hier gekommen?Die Frage, ob Depressionen durch nied riges Selbstwertgefühl mitverur-sacht werden oder ob eine negative Selbstbewertung lediglich ein Symp-tom von Depressionen ist, ist eine span nende wissenschaftliche Kontro-verse, die seit Jahrzehnten geführt wird. Aus meiner Sicht fehlten jedoch Längsschnittstudien, in denen wichti-ge potenzielle Fehlerquellen kontrol-liert worden sind. In meiner Arbeits-gruppe haben wir in den letzten Jah ren deshalb viele solcher Studien durchgeführt, die jeweils darauf hin-wiesen, dass ein niedriges Selbstwert-gefühl zur Entwicklung von Depressi-onen beiträgt.Zudem haben wir zahlreiche Alterna-tiverklärungen getestet, die jedoch in den Studien nicht bestätigt wurden. So ist ein niedriges Selbstwertgefühl bei-spielsweise grundsätzlich ein Prädik-tor für spätere Depressionen und nicht nur dann, wenn gleichzeitig negative Lebensereignisse auftreten wie Tren-nung, Arbeitslosigkeit, Mobbing oder chronischer Stress. Da wie erwähnt das Selbstwertgefühl eine recht stabile Eigenschaft ist, legt dies Folgendes nahe: Wird das Selbst-wertgefühl gezielt verbessert, insbe-sondere in vulnerablen Lebensphasen wie der Adoleszenz und im hohen Al-ter, kann dies einen wichtigen Beitrag zur Senkung des Depressionsrisikos leisten.

    Inwiefern ist das Selbstwertgefühl aus evolutionärer Perspekti

    ve wichtig für uns Menschen? Warum hat der Mensch überhaupt ein derartiges «Gefühl» entwickelt?Theoretische Überlegungen gehen in der Tat davon aus, dass sich das Selbstwertgefühl im Verlauf der mensch lichen Evolution als Teil der Psyche entwickelt hat, weil es Indivi-duen einen Selektionsvorteil brachte. Menschen haben ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit, weil Individuen mit so-zialen Beziehungen – etwa was Schutz, Wissensaustausch und Arbeitsteilung betrifft – im Vorteil sind gegenüber Individuen, die alleine sind. Kurz ge-sagt lautet die Hypothese, dass das Selbstwertgefühl Teil dieses Bedürf-nissystems ist und dem Individuum auf affektive Weise anzeigt, ob das Bedürfnis nach Zugehörigkeit gesi-chert oder bedroht ist. Allerdings kann das System bei manchen Personen «falsch eingestellt» sein, sodass sie vor-schnell Ablehnung wahrnehmen oder nicht die richtigen Gegenmassnahmen ergreifen, um ihre soziale Einbindung wieder zu erhöhen.

    Wie kamen Sie dazu, sich mit dem Selbstwertgefühl zu beschäftigen? Was war Ihre ganz persönliche Motivation?Die Themen Selbst und Identität und damit Fragen zu Selbstwissen, Selbst-wahrnehmung und Selbstwertgefühl haben mich schon immer interessiert,

    unter anderem aufgrund der Tatsache, dass das Selbstkonzept trotz seiner Subjektivität das alltägliche Erleben und Handeln von Menschen stark beeinflussen kann. Ich habe dann Se-minare zur Psychologie des Selbst un-terrichtet, was meine Faszination für das Themengebiet weiter verstärkt hat. Bei der Vorbereitung der Semina-re ist gleichzeitig auch deutlich gewor-den, dass viele Aspekte noch unzurei-chend verstanden sind.

    Woran arbeiten Sie gerade?In meiner Arbeitsgruppe arbeiten wir in mehreren Forschungsprojekten da-ran, die Entwicklung des Selbstwert-gefühls über die Lebensspanne besser zu verstehen. So untersuche ich zum Beispiel in einem aktuellen Projekt mit Längsschnittdaten, ob und wie sehr Erfahrungen in der frühen Kind-heit das Selbstwertgefühl von Men-schen auch in späteren Lebensphasen wie Jugend und junges Erwachsenen-alter beeinflussen.

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    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    Fachgebiet

    WHY ARE STATISTICS NECESSARY IN PSYCHOLOGY?

    Der folgende Artikel von Kendra Cherry erschien auf der Gesundheitsplattform www.verywellmind.com und wurde von der Redaktion gekürzt. Die Autorin stellt fest, dass viele an einem Psychologiestudium Interessierte überrascht sind, dass Statistik ein wichtiger Bestandteil ist und betont, dass Statistikkurse nicht nur absolviert werden sollten, sondern Statistik auch verstanden werden muss.

    Why are statistics important in psy-chology? First, let's think about the importance of statistics in general. Statistics allows us to make sense of and interpret a great deal of informa-tion. Consider the sheer volume of data you encounter in a given day. How many hours did you sleep? How many students in your class ate breakfast this morning? How many people live within a one-mile radius of your home? By using statistics, we can organize and interpret all of this information in a meaningful way. In psychology, we are also confronted with enormous amounts of data. How do changes in one variable impact other variables? Is there a way we can measure that relationship? What is the overall strength of that relationship and what does that mean? Statistics allow us to answer these kinds of ques-tions.

    Statistics allow psychologists to: – Organize Data: When dealing with

    an enormous amount of information, it is all too easy to become overwhelm-ed. Statistics allow psychologists to present data in ways that are easier to comprehend. Visual displays such as graphs, pie charts, frequency dis-tributions, and scatterplots make it possible for researchers to get a bet-ter overview of the data and to look for patterns that they might other-wise miss.

    – Describe Data: Think about what happens when researchers collect a great deal of information about a group of people. Using statistics, we can accurately describe the informa-tion that has been gathered in a way that is easy to understand. Descrip-tive statistics provide a way to sum-marize what already exists in a giv-en population.

    – Make Inferences Based Upon Data: By using what's known as inferenti-al statistics, researchers can infer things about a given sample or popu-lation. Psychologists use the data

    Um die intensive Beschäftigung mit statistischen Verfahren kommt niemand herum, der oder die Psychologie studieren möchte.

    they have collected to test a hypoth-esis or a guess about what they pre-dict will happen. Using this type of statistical analysis, researchers can determine the likelihood that a hy-pothesis should be either accepted or rejected.

    Even if you don't consider yourself «good at math», you can still succeed in your behavioral stats classes. Sure, you might have to put in some extra effort, but there are plenty of tools and resources out there that can help. Start by discussing your concerns with your instructor. He or she might be able to recommend books, online tools, and on-campus resources that can be helpful. Consider joining or forming your own study group with your class-mates.

    Quellewww.verywellmind.com/why-are- statistics-necessary-in-psychology-2795146(gekürzt); Autorin: Kendra Cherry

    Die statistischen Auswertungen müssen in an-schauliche Diagramme umgewandelt werden.

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    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    Fachgebiet

    Wertschätzung am Arbeitsplatz zu zeigen, bedeutet mehr Zufriedenheit und weniger Stress. Sie gilt als wichtige Ressource im Arbeitsleben und sollte konsequent gefördert werden.

    Der US-amerikanische Philosoph und Psychologe William James sagte ein-mal: «Das Verlangen nach Anerken-nung ist zutiefst im menschlichen We-sen verwurzelt.» Wertschätzung res- pektive Anerkennung ist definiert als eine Evaluation durch andere Perso-nen. Die Fragestellung, der dieser Ar-tikel nachgeht, ist, inwiefern die psy-chologische Forschung dieser Annah- me Rechnung getragen hat.In neueren Stressmodellen spielt Wert-schätzung eine Rolle. Zum Beispiel

    wird im Konzept «Stress-as-Offense-to-Self» des Arbeitspsychologen Nor-bert Semmer davon ausgegangen, dass bereits der Mangel an Wertschätzung zu Stresssituationen führen kann. Und im Modell der Gratifikationskrise des Schweizer Medizinsoziologen Jo-hannes Siegrist ist sie eine der wich-tigsten Belohnungen.

    WERTSCHÄTZUNG ALS FORSCHUNGSPROJEKTNachdem wir die Fachliteratur danach durchforstet hatten, inwieweit Wert-schätzung in der Psychologie unter-sucht worden ist (Ergebnisse siehe Infobox auf der nächsten Seite), plan-ten wir eine systematische Untersu-chung des Themas. Wir begannen mit Interviewstudien, gefolgt von einer

    Skalenbildung zur Erhebung von Wertschätzung bei Fragebogenunter-suchungen. Weiter führten wir Quer-schnittstudien durch (etwa mit dem schweizerischen Militär, schwedischen Ärztinnen und Ärzten, Schweizer Leh-rerinnen und Lehrern). Dazu kamen Längsschnittuntersuchungen (bei-spielsweise mit Mitarbeitenden von vier kantonalen Ämtern und mit Mit-arbeitenden von zwei Schwei zer Gross-konzernen) sowie Tagebuchstudien. Spannende Resultate gab es bei den langjährigen Forschungsvorhaben, die zum grossen Teil vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wur-den. So zeigte sich zum Beispiel, dass Kundinnen und Kunden die zweit-wichtigste Quelle von Wertschätzung für Mitarbeitende sind (die wichtigste

    EINMAL LOB HIER, BITTE!WERTSCHÄTZUNG IM ARBEITSLEBEN ALS RESSOURCE

    Neben den Vorgesetzten sind Kunden und Kundinnen die wichtigste Quelle von Wertschätzung für Mitarbeitende. Die Interaktionen mit ihnen sollten deshalb möglichst nicht verkürzt werden.

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    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    Fachgebiet

    QuellePsychoscope – Zeitschrift der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen. Psychoscope 6/2018, «Gesund bei der Arbeit»;Autorin: Nicola Jacobshagen

    sind Vorgesetzte). In der Stressfor-schung gelten Kunden eher als Stress-faktoren, vor allem, wenn sie unzufrie-den sind. Doch die Resultate zeigten, dass sie auch eine Ressource sein kön-nen. Die häufigsten Formen der Wertschät-zung sind Lob und Dank, gefolgt von einmaligen Belohnungen und von ver-besserten Arbeitsbedingungen. Lob scheint eine einfache Form der Wert-schätzung zu sein, aber sie kostet Füh-rungskräfte etwas: Zeit. Es scheint sich jedoch zu lohnen, wenn Vorgesetz-te sich die Zeit dafür nehmen: Mitar-beitende, die Wertschätzung erleben, berichten über höhere Arbeitszufrie-denheit und geringere Stressreaktio-nen wie beispielsweise negative Gefüh-le und Irritation.Interessant ist, dass meist Zusatzar-beit der Grund für Wertschätzung ist. Mitarbeitende werden weniger für ihre eigentliche Arbeit gelobt, sondern im-mer erst dann, wenn sie beispielsweise während der Krankheitsabsenz eines Teammitglieds ausgeholfen oder neue Aufgaben übernommen und diese zur Zufriedenheit des Vorgesetzten erfüllt haben. Statistische Analysen zeigen zudem auf, dass Wertschätzung über die beiden bekanntesten Ressourcen am Arbeitsplatz, nämlich Handlungs-spielräume und soziale Unterstützung, zusätzliche Zusammenhänge bezüg-lich Arbeitszufriedenheit und Befinden erklärt. Wertschätzung ist also ein wichtiges Merkmal bei der Erhebung von Zufriedenheit und Befinden am Arbeitsplatz. Es muss auch berichtet werden, dass 8,5 Prozent der Befragten bei einer Studie über fünf Arbeitstage von kei-ner einzigen Wertschätzungssituation berichten konnten. Das stimmt trau-rig, weil sich Wertschätzung als eine wichtige Ressource etabliert hat. Auch wenn Wertschätzung am Arbeitsplatz heute in vielen Ländern untersucht wird, zum Beispiel in der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden, Gross britannien und den USA, zeigt sich doch, dass wir weitere Forschung benötigen. Momentan bereitet die Uni-versität Bern eine Meta-Analyse zum Thema vor, um weitere Erkenntnisse zu erlangen.

    VIER IDEEN FÜR MEHR WERTSCHÄTZUNG Wichtig ist natürlich auch die Umset-zung in der Praxis. Wie kann man ein Unternehmen überzeugen, Wertschät-zung, beispielsweise im Rahmen einer Massnahme des betrieblichen Gesund-heitsmanagements, in den Vorder-grund zu rücken? Manche Führungs-kräfte sind der Meinung, dass Wert- schätzung nur bei Wertschöpfung ver-mittelt werden sollte. Wie wäre es, wenn stattdessen Wertschätzung ge-nutzt würde, um ein besseres Arbeits-umfeld zu schaffen? Es gibt viele Möglichkeiten, diese Er-kenntnisse in der Praxis umzusetzen. Erstens sollte die inzwischen etablier-te Skala zu Wertschätzung in den jährlichen Befragungen zur Mitarbei-terzufriedenheit und den Mitarbeiter-gesprächen aufgenommen werden. Die Skala umfasst 15 Items und misst Wertschätzung durch Vorgesetzte, Ar-beitskolleginnen und -kollegen und ist in sieben Sprachen verfügbar. Zwei-tens sollten Kundeninteraktionen nicht zu stark verkürzt werden, um

    WICHTIGE RESSOURCE BEI DER ARBEIT

    Wertschätzung ist eine wichtige Ressource im Arbeitsleben und wird beispielsweise in diesen Gebieten diskutiert:SOZIALE BEZIEHUNGEN: Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung motiviert uns. SELBSTWERT: Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung basiert auf dem Streben nach einem hohen Selbstwert.MOTIVATION: Wertschätzung ist wichtig, damit wir uns für eine Aufgabe motivieren können. FAIRNESS: Eine gerechte Behandlung signalisiert uns soziale Akzeptanz.FEEDBACK: Wenn die vorgesetzte Person Rückmeldungen gibt, betont sie die Wichtigkeit, sich Zeit für die Mitarbeitenden zu nehmen, ihnen zuzuhören und sie bei Problemen zu unterstützen.FÜHRUNGSSTIL: Der sogenannte mitarbeiter-orientierte Führungsstil hebt Wertschätzung hervor.

    Zeit zu sparen. Denn dies kann dazu führen, dass Kundinnen und Kunden als Wertschätzungsquelle wegfallen (die Wertschätzung wird meist erst am Ende des Gesprächs vermittelt). Drit-tens ist es besonders wichtig, Füh-rungskräfte zu schulen. Ziel dabei ist, dass sie dazu übergehen, die Mitarbei-tenden tatsächlich zu wertschätzen – für ihre tägliche Arbeit und nicht nur für Zusatzarbeit. Herausfordernd ist, wenn man in einer «Nicht geschimpft ist gelobt»-Füh-rungsstruktur arbeitet: Man hört nur von der vorgesetzten Person, wenn et-was schiefgelaufen ist. Die grosse Fra-ge ist, wie man eine solche Struktur verändern kann. Und viertens: Die Führungskräfte selbst dürfen nicht vergessen gehen. Denn auch für sie ist Wertschätzung eine wichtige Ressource: Vorgesetzte werden zufriedener und es geht ihnen emotional und körperlich besser. Die Frage ist, wie man es schafft, dass Vorgesetzte sich nicht nur gegenseitig Wertschätzung entgegenbringen, son-dern auch Wertschätzung von ihren Mitarbeitenden erhalten. Unsere Er-kenntnisse weisen darauf hin, dass auch eine Kultur der Wertschätzung der Vorgesetzten aufgebaut werden sollte. Denn eine geschätzte Füh-rungskraft ist zufriedener und gibt ihren Mitarbeitenden eventuell auch Wertschätzung zurück.

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    PERSPEKTIVEN | Psychologie

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    FÜHREN VORURTEILE IMMER ZU DISKRIMINIERUNGEN?

    Alle sind unbewusst voreingenommen gegenüber Geschlechtern oder gewissen Ethnien. Doch wir verhalten uns deshalb nicht automatisch sexistisch und rassistisch, wie Studien zeigen.

    Philadelphia, April 2018: Zwei Perso-nen warten in einem Starbucks auf einen Bekannten. Der Betreiber des Cafés ruft die Polizei mit der Begrün-dung, dass bei ihm zwingend etwas konsumiert werden müsse. Ein viral gegangenes Video zeigt, wie die Polizei die Unschuldigen in Handschellen ab-führt – beide sind Afroamerikaner. Der Vorfall löst eine Demonstration aus. Ergebnis: Der Direktor der Kette entschuldigt sich und kündigt an, dass seine 8 000 Mitarbeitenden eine Schu-lung zu impliziten Vorurteilen besu-chen werden.

    Implizite Vorurteile existieren. Unser Gehirn assoziiert automatisch gewisse Eigenschaften mit gewissen Gruppen von Menschen. Mit Tests ist dies mess-bar. Am bekanntesten ist der implizite Assoziationstest, der 1998 von einer Psychologin der Harvard University ent wickelt wurde. Er misst die Reak-tionszeit, in der eine Person gewisse Assoziationen macht, in Millisekun-den. Eine Mehrheit der Testpersonen braucht länger, um «gut» mit «schwarz» zu assoziieren als mit «weiss»; oder «Wissenschaft» mit «Frau» als mit «Mann». Dies soll ein Vorurteil aufzei-gen – bewusst oder unbewusst. Der Test ist besonders durch Studien zu Diskriminierungen aufgrund von Eth-nie, Geschlecht oder Alter bekannt geworden.In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich dieser Test trotz einer gewissen

    Kritik als aussagekräftiges wissen-schaftliches Werkzeug etabliert. Zahl-reiche Forschungsarbeiten wiesen nach, dass kognitive Verzerrungen (Bias) existieren. Eine wesentliche Fra ge bleibt: Hat das Vorhandensein eines impliziten Bias bei einer Person wirklich Auswirkungen auf ihr Ver-halten?

    BEWUSST WIRKT MEHR ALS UNBEWUSSTZwei aktuelle Studien zeigen interes-sante Zusammenhänge zwischen im-pliziten Bias und realem Verhalten. Die erste wurde im Sommer 2019 pub-liziert. Getestet wurde ein Gremium von 40 Expertinnen und Experten während ihrer Evaluation der Bewer-bungen auf leitende Posten in der For-schung im französischen Centre nati-onal de la recherche scientifique

    Eine Mehrheit von Testpersonen brauchte beim Assoziationstest länger, um «Wissenschaft» mit «Frau» als mit «Mann» zu assoziieren. Das dürfte auch bei den Begriffen «Kampfflugzeug» und «Frau» bzw. «Mann» nicht viel anders sein. Die erste Kampfpilotin der Schweizer Luftwaffe, Fanny Chollet, posiert vor einer F/A 18.

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    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    Fachgebiet

    (CNRS). Analysiert wurde, ob die Eva-luation weibliche Bewerbungen diskri-miniert. «Unser Ansatz ist ganz neu», erklärt Isabelle Régner, Professorin am Labor für Kognitionspsychologie der Universität Aix-Marseille. «Wir ha-ben damit reale Evaluationsgremien in allen wissenschaftlichen Disziplinen unter die Lupe genommen, von Mathe-matik bis Soziologie.»Für die Studie absolvierten die Mit-glieder des Evaluationsgremiums ei-nen impliziten Assoziationstest. Die-ser ergab: Über 70 Prozent der Mit - glieder haben ein Bias, indem sie Wis-senschaft mit Männern assoziieren. Die Expertinnen und Experten füllten ausserdem einen Fragebogen aus, in dem sie gefragt wurden, worin ihres Erachtens der Grund liege, dass Frau-en weniger häufig in Führungspositi-onen berufen werden. Sind es innere Faktoren wie Kompetenzen oder Moti-vation oder externe Hürden wie Vorur-teile bei der Bewerbung und andere Barrieren bei der Beförderung? Dieser zweite Test prüfte somit das explizite Bias.Die Studie wurde in zwei Phasen durchgeführt. Im ersten Jahr infor-mierte die Generaldirektion das Eva-luationsgremium über die laufende Forschungsarbeit. Die Mitglieder tra-fen ziemlich ausgeglichene Entschei-dungen – ohne Zusammenhang mit ihrem unbewussten oder bewussten Vorurteil.

    EXPLIZITE UND IMPLIZITE BIASIm zweiten Jahr wurde das Evaluati-onsgremium nicht über die Fortset-zung der Studie informiert. Es zeigte sich, dass die Mitglieder, die zu ihrem unbewussten auch ein bewusstes Vor-urteil hatten, weniger Frauen ernann-ten als die Mitglieder, die nur ein un-bewusstes, aber kein bewusstes Vor- urteil hatten. «Ein implizites Bias al-lein vermag somit die Diskriminie-rung nicht zu erklären», fasst die Au-torin die Studie zusammen. «Erst in Kombination mit einem expliziten Bi-as gab es einen Einfluss auf die Ent-scheidungen der Gremien.» Die Studie zeigt auch, dass es einen Effekt hat, wenn die Leute wissen, dass sie beob-achtet werden.

    QuelleHorizonte Nr. 123, Dezember 2019; Autorin: Geneviève Ruiz

    RASSISTISCHES BIAS BEI MANAGERINNENEine Studie des Institut européen d’administration des affaires bei Paris zeigte 2017 subtile Effekte von unbe-wussten rassistischen Vorurteilen bei Managerinnen einer Supermarktkette gegenüber ihren Mitarbeiterinnen (tat sächlich wenig Männer). Analy-siert wurde die Situation von Kassie-rerinnen mit Temporärverträgen. Das Human-Resources-System weist die Mitarbeiterinnen jeden Tag zufällig einer Managerin zu. Ein impliziter As-soziationstest ergab ein rassistisches Bias bei 80 Prozent der Managerin-nen.Die Studie untersuchte den Einfluss der Herkunft der Mitarbeiterinnen: Kas siererinnen aus Minderheiten (Nord afrika oder Subsahara) waren häufiger abwesend und begingen mehr Fehler, wenn sie unter einer Manage-rin arbeiteten, die Vorurteile hatte, als

    «Es handelt sich eher um eine selbsterfüllende Prophe-zeiung: Die Managerinnen haben Vorurteile gegenüber Minderheiten, was die Produktivität der Mitarbeite-rinnen vermindert, was die Managerinnen wiederum in ihrer Meinung bestärkt.»

    unter einer anderen. «Interessant ist der Grund für den Leistungsrück-gang», betont der Studienleiter und Ökonom Dylan Glover. «Während un-serer Befragung erwähnte keine Mit-arbeiterin, dass diese Managerinnen sich unangenehm oder offen rassis-tisch verhielten. Im Gegenteil, sie be-merkten von deren Seite weniger In-teraktionen und erhielten sogar we - niger undankbare Aufgaben wie Rei-nigungsarbeiten zugewiesen.» Offen-bar führte die durch das Vorurteil ausgelöste verminderte Interaktion dazu, dass die Leistung schlechter ausfiel. «Unsere Studie weist darauf hin, dass implizite Bias nicht unbedingt die Wirkung auf das Verhalten haben, die wir vielleicht erwarten würden», fährt

    Glover fort. «Es handelt sich eher um eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Managerinnen haben Vorurteile gegenüber Minderheiten, was die Pro-duktivität der Mitarbeiterinnen ver-mindert, was die Managerinnen wie-derum in ihrer Meinung bestärkt.»

    SCHULUNGEN NÜTZEN VIELLEICHT NICHTSollten Supermärkte also Schulungen durchführen, damit die Verantwortli-chen an ihren unbewussten Vorurtei-len arbeiten? «Nein», sagt der Ökonom Glover. Es seien weitere Studien not-wendig, um den Nutzen solcher Mass-nahmen zu belegen.Die Untersuchung beim Evaluations-gremium des CNRS kam zum Schluss, dass vor allem auf das Vorhandensein unbewusster Vorurteile, diskriminie-render Verhaltensweisen gegenüber Frauen und externer Hürden aufmerk-sam gemacht werden müsste. «Doch das Thema muss noch mit weiteren Studien vertieft werden, bevor syste-matische Strategien erarbeitet wer-den. Daran sind wir derzeit», sagt die Psychologin Isabelle Régner.Insgesamt zeichnet die Forschung der-zeit ein uneinheitliches Bild. Zu die-sem Schluss kommt eine Metaanalyse über 492 Studien zur Änderung sol-cher Vorurteile. «Die Fachliteratur kann bisher weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit von Schulun-gen zur Änderung impliziter Bias be-legen», erklärt der Autor Patrick For-scher, Postdoktorand an der Univer- sität Grenoble Alpes. Sie zeigt auch nicht, ob die bewirkten Änderungen tatsächlich eine Wirkung auf konkrete diskriminierende Verhaltensweisen haben. «Mit dem heutigen Kenntnis-stand wissen wir das nicht.» Dies dürfte die vielen Unternehmen und Einrichtungen, die Schulungen über im plizite Bias für ihre Mitarbei-tenden bezahlen, nachdenklich stim-men.

  • PERSPEKTIVEN | Psychologie

    18 Fachgebiet

    FORSCHUNGSBEISPIELE AUS VERSCHIEDENEN TEILGEBIETEN

    Die folgenden Forschungsbeispiele dienen dazu, die Breite der psychologischen Forschung aufzuzeigen. Inhaltlich sind die Erkenntnisse nicht immer klar einem einzelnen psychologischen Teilgebiet zuzuordnen; häufig sind Studien gar interdisziplinär ausgerichtet, in Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten wie beispielsweise Biologie oder Medizin.

    SELBER SCHULD?! WIE MENSCHEN DIE AUSGRENZUNG ANDERER BEURTEILENMenschen sehen soziale Ausgrenzung bei anderen unterschiedlich – je nach-dem, wie sehr ihrer Meinung nach die ausgeschlossene Person selbst schuld daran ist. Dies wiederum wird stark da-von beeinflusst, wie ähnlich die Grup-penmitglieder untereinander sind. Menschen empfinden es eher als unge-recht, wenn jemand ausgeschlossen wird, der sich von anderen sichtbar unterscheidet. Sie nehmen nämlich an, dass diese Person nur ausgegrenzt wird, weil sie anders ist. Unterscheidet sich dagegen die ausgeschlossene Per-son äusserlich nicht von der Gruppe, wird eher vermutet, dass sie sich den Ausschluss durch irgendein Fehlver-halten «selbst eingebrockt» hat. Konkret zeigten die Forschenden den Probanden unterschiedliche Ausgren-zungssituationen, so etwa in einer fik-tiven Chat-Diskussion, bei der drei Studierende eine Präsentation bespra-chen. Die etwas eigensinnigen Ideen und Vorschläge einer der Studierenden wurden dabei von den anderen beiden regelmässig ignoriert. Wenn nun die ausgegrenzte Person «anders» war als die beiden Ausgrenzenden – zum Bei-spiel punkto Hautfarbe oder Heimat-land –, bewerteten Beobachtende die-sen Ausschluss von aussen als ungerecht. Waren sich die Gruppen-mitglieder jedoch einigermassen ähn-lich – indem beispielweise alle aus

    demselben Land stammten –, änderte sich das Urteil der Aussenstehenden: In diesem Fall bewerteten diese die ausgegrenzte Person als negativ, schrie ben ihr die Schuld am Aus-schluss zu und wollten nichts mit ihr zu tun haben. Weiter fand das Forschungsteam, dass die Ähnlichkeit das soziale Urteil auch dann beeinflusst, wenn diese nur ober-flächlich besteht, etwa weil die ausge-grenzte Person eine andere Frisur hat. Dies spricht dafür, dass Menschen die Ähnlichkeit der beobachteten Gruppe eher unbewusst in ihr moralisches Ur-teil mit einfliessen lassen.Quelle: Website Universität Basel, 2018.

    doi: 10.1037/pspa0000122, bearbeitet

    FRAUEN SIND WENIGER LEISTUNGSFÄHIG ALS MÄNNER: EIN ZÄHES VORURTEIL Frauen werden bei gleicher Leistung immer noch als weniger kompetent als Männer eingestuft, insbesondere in typischen Männerdomänen. Die Uni-versität Freiburg hat sich an einer eu-ropäischen Studie beteiligt, die diesen

    Umstand belegt. Untersucht wurde, wie Zaubertricks beurteilt werden. In der Magierwelt sind Frauen immer noch untervertreten.Das Forschungsteam präsentierte den Testpersonen ein Video mit verschie-denen Zaubertricks. In den Filmsze-nen waren jeweils nur die Hände sicht-bar, sodass man nicht sehen konnte, wer die Zaubertricks ausführte. Der ersten Hälfte der Testpersonen wurde mitgeteilt, die Tricks würden von Na-thalie ausgeführt. Der anderen Hälfte dagegen sagte man, sie würden von Nicolas ausgeführt. Die Ergebnisse der Studie belegen klar, dass die an-geblich von Nathalie ausgeführten Tricks als weniger gut und beeindru-ckend eingestuft wurden als die ver-meintlich von Nicolas ausgeführten.Im ersten Versuch der Studie wurden 64 Personen, davon 33 Frauen, getes-tet. Die Zaubertricks von Nathalie wurden also von ihrer Testgruppe we-niger gut beurteilt als die Zaubertricks von Nicolas von dessen Testgruppe. Im zweiten Versuch mussten die Testper-sonen ihre Antworten rechtfertigen

    Alle gegen eine: Wie Aussenstehende soziale Ausgrenzung sehen, hängt davon ab, wie ähnlich die Mitglieder einer Gruppe untereinander sind. Sie nehmen an, dass diese Person nur ausgegrenzt wird, weil sie anders ist.

  • Psychologie | PERSPEKTIVEN

    19Fachgebiet

    und erklären, wie die Zaubertricks ausgeführt wurden. Erstaunlicherwei-se fiel der Bewertungsunterschied hier weg und sämtliche Tricks wurden bes-ser als im ersten Versuch eingestuft. Gemäss den Autoren der Studie ist es effektiv schwieriger, einen Trick nega-tiv zu bewerten, wenn wir ihn nicht erklären können.1968 belegte eine von Philip Goldberg in den USA durchgeführte Studie ei-nen ähnlichen Effekt. Damals waren 40 Frauen aufgefordert worden, vor-geblich von John T. Mc Kay bezie-hungsweise Joan T. Mc Kay verfasste Zeitungsartikel zu bewerten. Die Re-sultate der jüngsten Studie führen uns vor Augen, dass ein bereits in den 1960er-Jahren untersuchter diskrimi-nierender Mechanismus 2019 nichts von seiner Brisanz verloren hat.Quelle: veröffentlich in Social Psycho-

    logical Bulletin, abrufbar unter

    www.unifr.ch/news/de/22329

    INTERNETBASIERTE INTERVENTIONENPsychische Störungen wie Depressio-nen und Angststörungen sind weit verbreitet und erzeugen einen hohen Leidensdruck bei Betroffenen und An-gehörigen. Obwohl die psychologische und medikamentöse Therapie viele Fortschritte gemacht hat und viele psychische Störungen erfolgreich be-handelt werden können, konnte die Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung bisher nicht redu-ziert werden. Das liegt u.a. daran, dass viele Betroffene keine professionelle Hilfe suchen oder finden. Die Forschenden dieser Studie glau-ben, dass es neben den bestehenden Versorgungsmöglichkeiten (z.B. Psy-chotherapie) eine Vielfalt an psychoso-zialen Angebo ten braucht, um die Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft zu reduzieren. Zu den vielversprechendsten ergänzenden Versorgungsansätzen gehören seit ei-nigen Jahren internetvermittelte In-terventionen. Diese können leicht ver-breitet, von überall und relativ anonym genutzt werden, und sie haben sich in vielen Studien bereits als wirksam er-wiesen.Folgende Fragen werden untersucht: Welche Formen internetbasierter In-

    terventionen sind wirksam? Wer kann von (welchen) internetbasierten Inter-ventionen profitieren? Wie wirken in-ternetbasierte Interventionen? Wie können internetbasierte Interventio-nen mit traditionellen Ansätzen kom-biniert werden? Wie und unter wel-chen Bedingungen sollen und können internetbasierte Ansätze in die Regel-versorgung implementiert werden?Quelle: Abteilung Klinische Psychologie

    und Psychotherapie der Universität Bern;

    www.kpp.psy.unibe.ch/forschung/projekte,

    Text bearbeitet und gekürzt

    HILFE FÜR JUNGE ERWACHSENE BEIM ÜBERTRITT IN DAS BERUFSLEBENSupported Education (SEd) bezeichnet die Begleitung von jungen Erwachse-nen mit Beeinträchtigungen während der Lehre im ersten Arbeitsmarkt. Die Begleitung wird durch einen Job Coach durchgeführt. SEd soll den jungen Er-wachsenen die nötige Unterstützung zum erfolgreichen Abschluss der Leh-re bieten und dadurch eine langfristi-ge Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Institutionen, die SEd an-bieten. Lange war jedoch unklar, wie viele junge Erwachsene dieses Angebot in Anspruch nehmen und nach welchem Beratungsverständnis und welchen Konzepten gearbeitet wird. In einem Projekt der ZHAW wurden SEd-Anbie-ter deshalb online befragt. Der Frage-

    bogen enthielt Fragen zur Anzahl jun-ger Erwachsener mit psychischer Erkrankung, zur Gestaltung der Be-treuung und einige Fragen zu Konzep-ten und zum Beratungsverständnis. In der zweiten Phase wurde anhand von qualitativen Interviews die Le-benswelt der jungen Erwachsenen im SEd untersucht. Es wurde nicht nur ihre Perspektive berücksichtigt, son-dern auch die der Job Coachs und der Arbeitgeber. In der dritten Phase wur-den schliesslich die bisherigen Ergeb-nisse verdichtet und zur fundierten Abstützung in einer Expertengruppe reflektiert. Die Ergebnisse zeigen: – SEd ist in der Schweiz ein sehr

    heterogenes Angebot. – Es bestehen gegenüber psychisch

    Kranken noch immer Vorurteile.– Die jungen Erwachsenen im SEd

    leiden häufig unter Selbststig-matisierung. Sie setzten sich kaum mit diesem Teil ihrer Biografie auseinander.

    – Transparente Kommunikation gegenüber dem Arbeitgeber ist massgebend, ansonsten wird dies als Vertrauensbruch erlebt.

    – Erfolgsfaktoren sind vor allem an das Individuum gebunden (Moti-vation, Beziehung usw.).

    Quelle: Sabatella, F. & von Wyl,

    A. (2017), doi: 10.21256/zhaw-1315,

    bearbeitet

    Supported Education SEd: Junge Erwachsene mit Beeinträchtigungen – physischer oder psychi-scher Art – benötigen meist professionelle Unterstützung zum erfolgreichen Abschluss einer Lehre.

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    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    Fachgebiet

    VERTRAUEN ENTSCHEIDET ALLESMaschinen und künstliche Intelligen-zen wecken Emotionen, manchmal gar Vertrauen – ob wir wollen oder nicht. Das kann von Vorteil sein, führt aber auch zu Missverständnissen und macht uns manipulierbar.Beschimpfen Sie Ihren Computer, wenn er nicht so funktioniert, wie er soll? Amüsieren Sie sich, wenn die Sprachassistenz-Software auf Ihrem Handy absurde Antworten gibt? Wün-schen Sie gar Ihrem Rasenmäh-Robo-ter gute Nacht, wenn er sich an der Ladestation «schlafen legt»? Dann sind Sie damit nicht allein: «Der Mensch hat eine natürliche Neigung dazu, Ma-schinen wie menschliche Wesen zu behandeln», sagt Martina Mara, Pro-fessorin für Roboterpsychologie an der Universität Linz. Das liegt daran, dass das menschliche Gehirn auf soziale In-teraktionen gepolt ist und unwillkür-lich auf entsprechende Schlüsselreize reagiert, zum Beispiel Bewegung: Fährt der Rasenmäh-Roboter zufällig auf uns zu, will er vermeintlich Kon-takt mit uns aufnehmen. «Es braucht sehr wenig, damit wir den Eindruck bekommen, Maschinen hätten Absich-ten und Gefühle», sagt Mara. Und nicht nur das: Maschinen lösen auch Emotionen in uns aus, wenn uns völlig bewusst ist, dass es sich nicht um Lebewesen handelt. Das bestätigt die Psychologin Elisa Mekler, die den Forschungsschwerpunkt Mensch –Ma-schine –Interaktion an der Universität Basel leitet. Sie erforscht unter ande-rem, welche Beziehung Probanden zu Figuren in Computerspielen aufbauen: «Die Gefühle, die sie beschreiben, sind zum Teil erstaunlich intensiv.» Es sind die gleichen, die man gegenüber Men-schen haben kann. Sie reichen von Sympathie und Stolz bis hin zu Angst und Schuldgefühlen, wenn der Spielfi-gur etwas Schlimmes zustösst.Zudem sagt Merkler: «Systeme, die menschenähnlich interagieren, kön-nen uns leicht sehr persönliche Infor-mationen entlocken.» Das wirft bisher ungelöste Fragen bezüglich Persön-lichkeits- und Datenschutz auf. Das Gleiche gilt für Technologien, die Ge-fühle automatisch erkennen: Wie sicher sind die Daten, die das emotionssensi-

    tive Auto oder die Stimmanalyse-Soft-ware über mich sammelt? Wer hat Zugriff darauf? Eine Studie der Univer-sität Siegen zeigt: Potenzielle Nutzer und Nutzerinnen erwarten, dass ihre Daten sicher gespeichert und nicht an Dritte weitergegeben werden. Nur unter dieser Bedingung wären sie bereit, emo-tionssensitive Technologien zu nutzen. Quelle: Horizonte Nr. 120, gekürzt, Clau -

    dia Hoffmann, Wissenschaftsjournalistin

    NACHDENKEN NUR AUS SPASS?Einfach dasitzen und an etwas Ange-nehmes denken? Für 30 amerikani-sche Probanden einer Studie aus dem Jahr 2014 war das nichts. Ziehen Men-schen also generell das Tun dem Nach-denken vor? Um das herauszufinden, schlossen sich 30 Forscher und For-scherinnen zusammen und wiederhol-ten die Studie in elf verschiedenen Ländern – von Belgien über Japan bis in die Vereinigten Arabischen Emira-te. Diesmal waren es 2557 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Sie sollten sich für zehn bis 15 Minuten entweder in eigene erfreuliche Gedanken zurück-ziehen oder allein einer angenehmen Aktivität wie dem Lesen nachgehen. Tatsächlich bereitete es der Mehrheit der Befragten mehr Freude, einer Ak-tivität nachzugehen. Vermutlich liegt das daran, weil das bewusste Nach-denken aus Vergnügen etwas anstren-gend sei, denn man müsse sich überle-gen, welche Gedanken vergnüglich

    sind und störende Gedanken fernhal-ten. Individuelle Unterschiede gab es jedoch: Teilnehmer und Teilnehmerin-nen, die ein grundsätzliches Bedürfnis zeigten nachzudenken (need for cogni-tion), die offen waren für neue Erfah-rungen, die ihre Smartphones nicht so oft nutzten und in guter Stimmung waren, fanden Denken aus Spass an-genehmer als andere. Quelle: Psychologie heute 07/2019,

    bearbeitet, doi: 10.1037/pspp0000198

    MENSCHEN, DIE SICH REALISTISCHE ZIELE SETZEN, ZEIGEN MEHR WOHLBEFINDENÜber Geld verfügen, gesund sein, einer nützlichen Arbeit nachgehen: Welche Lebensziele sich ein Mensch setzt, hängt mit seiner Persönlichkeit zu-sammen, denn Ziele bestimmen das Verhalten und die Einstellung gegen-über dem Leben. Werden die Ziele er-reicht, trägt dies signifikant zum Wohlbefinden bei. Umgekehrt entsteht eine grosse Unzufriedenheit, wenn sie zu ehrgeizig sind und nicht umgesetzt werden können. In einer Studie mit 973 in der Deutsch-schweiz lebenden Teilnehmenden konnte die Universität Basel bestäti-gen, dass Menschen, die sich realisti-sche Ziele setzen, mehr Wohlbefinden zeigen. Der Schlüssel zur Zufrieden-heit ist laut dieser Studie zu wissen, ob die Lebensziele als erreichbar wahrge-nommen werden und was sie für die

    Der Mensch hat eine natürliche Neigung dazu, Maschinen wie menschliche Wesen zu behandeln. Bewegt sich ein Roboter auf uns zu, will er vermeintlich Kontakt zu uns aufnehmen.

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    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    Fachgebiet

    jeweilige Person bedeuten. Die Teil-nehmenden wurden nach dem Stellen-wert ihrer verschiedenen Lebensziele gefragt und wie realistisch sie sind. Dabei stellte sich heraus: Wenn die Ziele als realisierbar wahrgenommen werden, ist dies ein Indikator für kog-nitives und später auch affektives Wohlbefinden. Die Menschen sind zu-friedener, wenn sie das Gefühl der Zielkontrolle und -erreichbarkeit ha-ben. Ebenfalls konnte nachgewiesen wer-den, dass in den Lebenszielen eine Art Vorhersagekraft liegt: Diejenigen, die sich Beziehungs- oder Gesundheitszie-le setzten, waren später tatsächlich zufriedener mit ihren Freundschaften und mit ihrer Gesundheit. Der Stellen-wert, der den unterschiedlichen Le-benszielen beigemessen wird, verän-dert sich zwar mit dem Lebensalter erheblich, jedoch zeigten sich bei der erlebten Zufriedenheit nach der Zieler-reichung nur sehr schwache Abwei-chungen. Quelle: Psychoscope 03/2019, bearbeitet,

    doi: 10.1002/per.2194

    LEARNING NOT TO FEARMindfulness meditation training al-ters how we process fearful memories, study says. Participating in an eight-week mindfulness meditation program appears to alter how the brain pro-cesses fear memories. Mindfulness

    meditation appears to help extinguish fearful associations.A common way to treat anxiety dis-orders is to expose patients to the an-xiety-provoking stimulus in a safe en-vironment until it no longer elicits fear, a process known as exposure therapy. This exposure provides an opportunity to learn that these stimuli are not threatening and thereby facilitate adap tive regulation of emotional res-ponses. To be successful, first a new memory must be created between the stimulus and a feeling of safety, then the «safety» memory, rather than the original fearful memory, must be re-called when the stimulus is presented again in a new environment. Mindfulness meditation has been pro-posed to provide an optimal condition for exposure therapy because it in-volves experiencing the present mo-ment with an open, curious, and non-reactive mindset. Numerous studies have documented that mindfulness meditation programs are useful for re-ducing anxiety, however, the mecha-nisms were unknown. The current study investigated en-hanced learning of the «safety» signal as one mechanism through which mind fulness can help individuals learn to have a less reactive and more adaptive response to anxiety-pro-voking stimuli.The researchers used MRI brain scans

    WEITERE FACH UND FORSCHUNGSARTIKEL UNTER

    – Websites der psychologischen Institute/Fakultäten

    – Fachmagazin «Psychoscope» www.psychologie.ch/psychoscope

    – Zeitschrift «Psychologie heute» www.psychologie-heute.de

    – Fachmagazin «Panorama» www.panorama.ch

    – Zeitschrift «Psychologie&Erziehung P&E» www.skjp.ch/de/zeitschrift-pe

    Quellen werden teilweise mit «doi:…» versehen: Das ist ein dauerhafter digi- taler Identifikator, vor allem für Online- artikel wissenschaftlicher Fachzeit-schriften. Jede Quelle ist darüber im Netz direkt aufrufbar.

    and a fear-conditioning task to exa-mine changes in neural networks as-sociated with attention and memory following mindfulness meditation trai-ning. In the study, 42 participants completed an eight-week, mindful-ness-based stress-reduction program (MBSR) in which they learned formal meditation and yoga practices. Ano-ther 25 participants were randomized to an eight-week, exercise-based stress-management control group, in which they were taught about the im-pact of stress and performed light aerobic exercise. The researchers found that changes in the hippo-campus after mindfulness training were associated with enhanced ability to recall the safety memory, and thus respond in a more adaptive way.Quelle: https://news.harvard.edu/gazette/

    story/2019/10/mindfulness-meditation-

    study-shows-changes-in-neural-

    responses-to-pain-and-fear, gekürzt

    Meditation und Yogaübungen können helfen, Ängste und Stress zu reduzieren. Wie das funktio-niert, war bisher unbekannt und wurde nun in einer Studie untersucht.

  • PERSPEKTIVEN | Psychologie

    22

    STUDIUM

    23 PSYCHOLOGIE STUDIEREN27 STUDIENMÖGLICHKEITEN IN PSYCHOLOGIE32 VERWANDTE STUDIENFÄCHER UND ALTERNATIVEN ZUR HOCHSCHULE33 KLEINES ABC DES STUDIERENS37 PORTRÄTS VON STUDIERENDEN

  • Psychologie | PERSPEKTIVEN

    23Studium 2323

    In der ersten Phase des Bachelorstudiums (Grundstudium oder auch Assessmentstufe) stellen die grundlegenden Themen und Teilgebiete sowie die psychologische Methodik obligatori-sche Inhalte dar. Am Ende des ersten Studienjahres werden diese an den Universitäten mit einer grossen Prüfung, dem Propädeutikum, abgeschlossen. Diese Prüfungen sind obliga-torisch und Voraussetzung für den Übertritt ins zweite Stu-dienjahr. In der Regel muss jede Einzelprüfung bestanden sein. Es gibt eine zweite Chance; ist diese jedoch vertan, folgt der schweizweite Ausschluss vom Studium der Psychologie, sowohl an Universitäten wie auch an Fachhochschulen.Nach dem Grundstudium folgt das zweijährige Aufbaustudi-um, welches mehr Wahlfreiheiten zulässt. Das Studium bleibt aber breit, da an den Universitäten erst auf Masterstufe ein-zelne Vertiefungsrichtungen im Zentrum stehen. Wissen-schaftstheoretische Grundlagen, insbesondere die Methoden der Versuchsplanung, Datenerhebung und Datenanalyse (Sta-tistik) sowie Diagnostik und Evaluation, bleiben obligatori-scher Teil des Studiums.Das Psychologiestudium setzt sich aus unterschiedlichen Un-terrichtsformen zusammen:– Vorlesungen, die einen Überblick über die Teilgebiete geben.– Übungen, vor allem in methodischen Fächern, in denen

    Studierende die Inhalte wiederholen, einüben und auf ver-schiedene Fragestellungen übertragen.

    – Seminare, in denen Studierende Originaluntersuchungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften lesen, als Referat vortragen und kritisch diskutieren oder in Form einer Se-minararbeit reflektieren.

    – Empirische Praktika, in denen Studierende selbst kleine wissenschaftliche Experimente oder Studien durchführen und dabei praktisches und methodisches Wissen erwer-ben.

    PSYCHOLOGIE STUDIEREN

    Das Studium der Psychologie ist inhaltlich sehr vielfältig und abwechslungsreich. Ohne Englisch und Statistik geht es jedoch nicht, und ebenso wenig handelt es sich um eine Therapieausbildung. Es braucht wissenschaftliches Interesse, systemati-sches Denken und Urteilsvermögen, aber auch Offenheit, Neugier und die Fähig-keit zur Reflexion.

    Psychologie ist ein Fachgebiet, das sich in viele verschiedene Teilgebiete auffächert, die sich mit ganz verschiedenartigen Inhalten und Fragestellungen befassen (siehe Kapitel «Fach-gebiet»). Ausserdem ist sie eine Wissenschaft mit sowohl natur- als auch sozial- und geisteswissenschaftlicher Denk- und Ar-beitsweise. «Praktische Menschenkenntnis» steht nicht im Studienplan. Vielmehr geht es um die Vermittlung experimen-teller und methodischer Grundlagen. Es wird versucht, durch systematische Beobachtung, die Durchführung von Experi-menten, die Konstruktion von Fragebogen und die anschlies-sende Anwendung von statistischen Methoden und mathema-tischen Modellen gesicherte Erkenntnisse über das «psychische Funktionieren» des Menschen im Zusammenspiel mit dem Umfeld zu gewinnen. Ziel ist es, mehrheitlich «unsichtbare» Konstrukte wie Überzeugungen oder Emotionen mess- und sichtbar zu machen. Psychologie ist interdisziplinär ausgerich-tet und untrennbar verbunden mit naturwissenschaftlichen Fächern wie Biologie oder Medizin.Die Interdisziplinarität zeigt sich auch darin, dass Psychologie an den verschiedenen Hochschulen unterschiedlichen Fachbe-reichen bzw. Fakultäten zugeordnet ist (Naturwissenschaftli-che, Sozialwissenschaftliche oder Philosophische Fakultät). Diese organisatorische Zuordnung sagt aber nicht automatisch etwas über die inhaltliche Ausrichtung des Faches aus, son-dern ist in der Regel historisch und/oder verwaltungstechnisch begründet.Psychologie kann sowohl an den Universitäten als auch an einzelnen Fachhochschulen studiert werden, wo man von An-gewandter Psychologie spricht. Auf Unterschiede und Gemein-samkeiten im Psychologiestudium an Universität und Fach-hochschule wird weiter hinten genauer eingegangen.

    STRUKTUR UND STUDIENPLAN AN UNIVERSITÄTENDie verschiedenen universitären Hochschulen haben unter-schiedliche Schwerpunkte in Lehre und Forschung. Obwohl sich das Bachelorstudium, insbesondere das Grundstudium, überall gleicht, bestehen teilweise grosse Unterschiede in den später möglichen Vertiefungsrichtungen. Und bieten zwei Uni-versitäten dieselbe Vertiefungsrichtung an, so kann sich diese in ihren inhaltlichen Forschungsfragen dennoch unterschei-den. Daher empfiehlt sich für die Studienwahl ein Vergleich der Hochschulen.

    KLEINES ABC DES STUDIERENS

    Was sind ECTS-Punkte? Wie sind die Studiengänge an den Hochschulen strukturiert? Was muss ich bezüglich Zulassung und Anmeldung beachten? Was kostet ein Studium?Im Kapitel «Kleines ABC des Studierens», ab Seite 33, haben wir die wichtigsten Grundinformationen zu einem Studium zusammengestellt.

  • PERSPEKTIVEN | Psychologie

    24 Studium24

    Schriftliche Prüfungen werden in Form von Tests (unbenotet) oder Klausuren (benotet) durchgeführt. Auch mündli-che Prüfungen, insbesondere zum Stu-dienabschluss, können Teil des Studi-ums sein.Schliesslich gilt es, am Ende vom Bache-lor- bzw. Masterstudium die Bachelor- bzw. die Masterarbeit zu schreiben. Die Bachelorarbeit kann theoretischer Art sein, die Masterarbeit umfasst eine ei-gene empirische Untersuchung mit eige-ner Datenerhebung und statistischer Auswertung.

    BerufspraktikaAn einigen Hochschulen sind mehrwö-chige Berufspraktika Pflicht. In diesen lernen die Studierenden die praktische Arbeit in einem psychologischen Beruf kennen und sammeln erste eigene Er-fahrungen. Solche Praktika sind aber auch dann unbedingt zu empfehlen, wenn der Studienplan sie nicht vor-schreibt. Sie sind eine wichtige Möglich-keit, verschiedene psychologische Tätig-keitsfelder kennenzulernen, sich aus - zu probieren und erste Kontakte zu knüpfen. Sie können bei der Entschei-dung der Masterwahl helfen, zum per-sönlichen Profil beitragen und den Be-rufseinstieg erleichtern. Da die Nachfrage nach Praktika gross ist und die Wartefristen teilweise lang sind, gilt es, rechtzeitig mit der Organi-sation zu beginnen. Kontakte zu Fach-schaften sowie zu Studierenden höherer Semester können für den Erfahrungs-austausch und den Erhalt von Adressen interessanter Institutionen hilfreich sein. Auf der Plattform www.psypra.ch sind offene Praktikumsstellen ausge-schrieben.

    Fächerkombination an Universitäten Auf Bachelorstufe ist Psychologie an ei-nigen Universitäten ein Monofach, an anderen kann es im Rahmen einer Fä-cherkombination studiert werden. Ein Vergleich der Hochschulen lohnt sich, um das gewünschte Studienmodell zu finden. Auf Masterstufe wird Psycholo-gie überall als Monofach studiert.An einzelnen Universitäten kann Psy-chologie auch als Nebenfach zu einem anderen Hauptfach gewählt werden, wo-bei unbedingt zu beachten ist, dass dies

    nicht zu einer klassisch psychologischen Laufbahn und dem geschützten Titel «Psychologin/Psychologe» führt. Wer ei-nen psychologischen Beruf ergreifen möchte, muss Psychologie zwingend im Hauptfach studieren.

    StudienortPsychologie gehört seit vielen Jahren zu den Studienfächern mit der grössten Nachfrage. Die Vielseitigkeit des Studi-ums und die vielen Tätigkeitsfelder und Berufsmöglichkeiten sind sicherlich Grund für das breite Interesse. Die ver-schiedenen Studienorte unterscheiden sich jedoch stark in der Anzahl ihrer Psychologiestudierenden: Bei den einen sind es sehr grosse Jahrgänge (z.B. Uni-versität Zürich), bei anderen ist die An-

    zahl Studierender eher überschaubar und die Atmosphäre dadurch familiärer (z.B. Universität Freiburg). An den Fach hochschulen wird im Klassenver-band mit beschränkter Anzahl Studien-plätze studiert.

    UNIVERSITÄT VERSUS FACHHOCHSCHULEAn der Universität ist das Studium wis-senschaftlich ausgerichtet und es wird Grundlagenforschung betrieben. An den Fachhochschulen, wo Psychologie immer als Monofach studiert wird, steht nebst der Wissenschaft auch die Anwendung stark im Zentrum, weshalb das Studium bereits auf Bachelorstufe auf eine be-stimmte Spezialisierung ausgerichtet ist.Die beiden Hochschultypen unterschei-den sich auch in der Zulassung. An den Universitäten steht der direkte Zugang zum Studium mit einer gymnasialen Maturität oder einer Passerellen-Ergän-zungsprüfung, aber auch mit einem Fachhochschul- oder Pädagogischem Hoch schulabschluss offen. An den Fach-hochschulen wird entweder eine Berufs-maturität, eine Fachmaturität oder eine gymnasiale Maturität vorausgesetzt. Ebenso kommt ein HF-Diplom in Frage. Zusätzlich verlangen die Fachhochschu-len den Nachweis einer mindestens ein-jährigen Erfahrung in der Arbeitswelt

    GRUNDSTUDIUM (PROPÄDEUTIKUM) IN PSYCHOLOGIE

    BEISPIEL UNIVERSITÄT BASEL ECTS

    1. Semester Forschungsmethoden & Statistik I 6

    Kognitionspsychologie I 4

    Biologische Grundlagen I 4

    Sozialpsychologie I 4

    Entwicklungspsychologie I 4

    Klinische Psychologie I 4

    2. Semester Forschungsmethoden & Statistik II 6

    Kognitionspsychologie II 4

    Biologische Grundlagen II 4

    Entwicklungspsychologie II 4

    Klinische Psychologie II 4

    Sozialpsychologie II 4

    Total: 52

    Hinzu kommen die obligatorischen Vorlesungen «Geschichte der Psychologie» und «Lernen».

    TITEL «PSYCHOLOGIN/PSYCHOLOGE»

    Nur wer an einer schweizerischen Hochschule (Universität/Fachhoch- schule) ein Studium in Psychologie auf Masterstufe erfolgreich abgeschlossen hat, darf gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Psycholo- gieberufe (PsyG), welches am 1. April 2013 in Kraft getreten ist, den Titel «Psychologin/Psychologe» tragen. Der Bachelorabschluss alleine ist noch keine Qualifikation zur selbstständigen Berufsausübung.

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    Psychologie | PERSPEKTIVEN

    Studium

    (innerhalb oder ausserhalb des Tätig-keitsfeldes der Angewandten Psycholo-gie). Ausserdem führen die Fachhoch-schulen für alle Studieninteressierten Eignungsabklärungen durch. Ausführ-lichere Informationen zu den Gemein-samkeiten und Unterschieden zwischen Universität und Fachhochschule finden Sie im Kapitel «Kleines ABC des Studie-rens» (ab Seite 33).

    PERSÖNLICHE VORAUSSETZUNGEN UND ANFORDERUNGENWer ein Psychologiestudium erfolgreich absolvieren will, sollte sich für folgende Inhalte und Tätigkeiten begeistern kön-nen:– für die Erfassung des Menschen als

    Ganzes– für psychologische Theorien und

    Fragestellungen (Ursachen und Beweggründe menschlichen Erlebens und Verhaltens)

    – für das wissenschaftliche Erfor-schen dieser Theorien und Frage-stellungen

    – für das Berücksichtigen von aktuellen Forschungsergebnissen und die Auseinandersetzung mit

    (meist englischsprachiger) Fach-literatur

    – für sozialwissenschaftliche (z.B. Soziologie) sowie naturwissen-schaftliche (z.B. Biologie) Fach-gebiete sowie für Methodenlehre, Statistik und Testtheorie

    Zudem gibt es persönliche Vorausset-zungen und Fähigkeiten, die für ein Psy-chologiestudium entscheidend sind:– die Bereitschaft, sich eingehend

    mit Statistik und Testtheorie sowie Methodenlehre auseinanderzu-setzen

    – Computerkenntnisse und die Bereitschaft, Statistikprogramme und spezifische forschungs-orientierte Software zu erlernen

    – Englischkenntnisse (Maturitäts-niveau)

    – sehr gutes mündliches und schrift-liches Ausdrucksvermögen

    – exaktes, sach- und fakten-orientiertes Arbeiten

    – logisch-analytisches Denken– Offenheit, Neugier, Einfühlungs-

    vermögen, die Fähigkeit, gut zuhören zu können

    – Fähigkeit zur Selbstreflexion

    Folgende Tätigkeiten sollten sowohl im Studium als später auch im Beruf gerne ausgeübt werden:– Dinge hinterfragen, die selbstver-

    ständlich erscheinen– Sachverhalte aus unterschiedlichen

    Perspektiven betrachten und reflektieren, Zusammenhänge herstellen, verschiedene Ebenen miteinander verknüpfen, um aus Beobachtungen reflektierte Schlussfolgerungen zu ziehen

    – psychologische Theorien eigenstän-dig auf die Praxis anzuwenden versuchen

    – Hypothesen bilden und prüfen– selbstständig arbeiten und sich

    stetig weiterbilden– sprachlich betonten Tätigkeiten

    nachgehen– am Computer arbeiten– im Team zusammenarbeiten

    FALSCHE MOTIVE UND VORSTELLUNGENDie Psychologie beschäftigt sich mit Phänomenen, die jede und jeder aus dem Alltag kennt. Das führt dazu, dass viele falsche Vorstellungen und Irrtümer

    Psychologie kann in der Schweiz sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen studiert werden. Bei letzteren wird Psychologie als Monofach studiert und praxisorientierte Projekte stehen im Zentrum.

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    PERSPEKTIVEN | Psychologie

    Das Self-Assessment Psychologie – ein Kooperationsprojekt der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW und der Universität Zürich – bietet eine Möglichkeit, sich mit den persönlichen Interessen, Erwartungen, Fähigkeiten und Kompetenzen auseinanderzu setzen und die Anforderungen eines Psycholo-giestudiums sowie die beruf- lichen Tätigkeitsfelder zu erkunden: www.psychologie-self-assessment.ch

    Auch lassen sich hier weitere Entschei-dungshilfen finden:www.psychologie.uzh.ch/de/studium/interesse/hilfen

    Das Online-Assessment der Universität Bern bietet allgemeine Informationen zum Studienfach sowie standortspezi-fische Informationen zum Studium in Bern. Zudem kann überprüft werden, ob bisherige Erwartungen mit der Realität des Psychologiestudiums übereinstim-men und wo genau die Interessen im Bachelor liegen könnten:www.philhum.unibe.ch/studium/studienprogramme/bachelor_psychologie

    Die Ergebnisse von Online-Assessments fokussieren oft das Studien gebiet der eigenen Hochschule. Eine Auswertung sowie Themen wie Studienort und Fächerkombination können mit einer neutralen Fachperson einer kantonalen Beratungsstelle besprochen werden.

    Studium

    QuellenStudium in Sicht (SDBB