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Prof. Dr. Marcel Hunecke 29. DGVTH-Kongress für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratung „Chancen in Krisen: Ressourcenorientierung in Psychotherapie und Gesellschaft“ Freie Universität Berlin , 27. Februar 2016 Psychologie und Nachhaltigkeit Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaften

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Prof. Dr. Marcel Hunecke

29. DGVTH-Kongress für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratung

„Chancen in Krisen: Ressourcenorientierung in Psychotherapie und Gesellschaft“

Freie Universität Berlin , 27. Februar 2016

Psychologie und Nachhaltigkeit Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaften

Sozial-ökologische Ausgangslage

1. Ein stetig steigendes Wachstum des materiellen Wohlstandes

ist mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung dauerhaft

nicht zu vereinbaren.

2. Das subjektive Wohlbefinden lässt sich in früh industrialisierten

Ländern über Steigerungen des materiellen Wohlstandes kaum

noch erhöhen.

3. Der Übergang zu nachhaltigen Lebensstilen erfordert einen

kulturellen Wandel. Kurzfristige Anpassungen durch technologi-

sche Innovationen werden hierzu nicht ausreichen.

Ziel des Ansatzes

1. Identifizierung von psychischen Voraussetzungen für nach-

haltige Lebensstile

2. die weitgehend unabhängig von moralischen Appellen und

materiellen Anreizen wirken,

3. und daher auf eine Steigerung des subjektiven Wohlbefindens

ausgerichtet sind.

4. Es sollten ausreichend konkrete Strategien zur systematischen

Aktivierung bzw. Förderung vorhanden sein,

5. die freiwillige und nicht manipulatorisch erzielte Verhaltens-

änderungen erreichen,

6. die in gesellschaftlichen Handlungsfeldern mit möglichst vielen

TeilnehmerInnen eingesetzt werden können.

Aufbau der Argumentation

1. Integration von Erkenntnissen aus Sozialer Ökologie, Umwelt-

psychologie, Positiver Psychologie, ressourcenorientierter

Beratung

2. Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens

3. Sechs psychische Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung

4. Anwendungsfelder der psychischen Ressourcen zur Förderung

nachhaltiger Lebensstile

Soziale Ökologie

Ökologische Krisen resultieren aus Wechselwirkungen von Natur,

Gesellschaft und Individuum.

Systematik von Interventionsstrategien zur Verhaltensänderung

Quelle: Mosler & Tobias (2007)

Umweltpsychologie

Stadienmodell zur Verhaltensänderung (Bamberg et al., 2011)

Umweltpsychologie

Positive Psychologie

Zusammenhang Geld und Lebenszufriedenheit:

- ab einem Einkommensniveau gibt es kaum noch Steigerungen im

subjektiven Wohlbefinden bzw. der Lebenszufriedenheit (Easterlin, 1974)

- erfordert einen differenzierten Blick: „…that it is generally good for your

happiness to have money, but toxic to your happiness to want money too

much“ (Diener & Biswas-Diener, 2008, S. 111)

- hängt maßgeblich von der Art des Umgangs mit Geld ab (vgl. die fünf

Regeln nach Dunn & Norton, 2013)

Toxische Wirkungen von Materialismus (Kasser, 2002)

- soziale Vergleichsprozesse

- Vernachlässigung von sozialen Beziehungen

Optimum statt Maximum (Diener & Biswas-Diener, 2008)

Einseitige Steigerungen des subjektiven Wohlbefindens sind nicht

sinnvoll („Zwang zum Glück“, „kreative Krisen“; )

Formen von Ressourcen (Herriger, 2006)

1. Personenressourcen

- physisch (z.B. Gesundheit, Ausdauer)

- psychisch - kulturell und symbolisch (z.B. Erfahrung der Solidarität)

- relational (z.B. Empathie, Konfliktfähigkeit)

2. Umweltressourcen - sozial (z.B. soziale Netzwerke)

- ökonomisch (z.B. Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit)

- ökologisch (z.B. Wohnumfeldqualität)

Ressourcenorientierte Beratung

Ressourcen fördern die Befriedigung von Grundbedürfnissen,

die Bewältigung von belastenden Alltagsanforderungen und

das Persönlichkeitswachstum.

Integration von Erkenntnissen aus der Sozialen Ökologie,

Umweltpsychologie, Positiver Psychologie und

ressourcenorientierter Beratung

Sozial-ökologische Forschung

+ Fokus auf Wechselwirkungen zwischen Natur, Gesellschaft und Individuum

- Individuum wird nicht hinreichend berücksichtigt

Umweltpsychologie

+ Handlungstheorien und daraus abgeleitete Interventionen zur Verhaltensänderung

- Kognitiv/situativ orientierten Interventionen erreicht nicht die Emotionen der Menschen

Positive Psychologie

+ Fokus auf positive Emotionen und deren Förderung

- kein expliziter Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik

Ressourcenorientierte Beratung

+ Konkrete Methoden und Strategien zur Förderung psychischer Ressourcen

- bleibt im einzelnen Individuum verhaftet und kann keinen kulturellen Wandel initiieren

Zwischenfazit

Strategien der guten

Lebensführung

Hedonismus

Zielerreichung

Sinn

Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens

Empirische Befunde:

Subjektives Wohlbefinden korreliert mit allen

drei Strategien der guten Lebensführung

positiv (Peterson, Park & Seligman, 2005;

Schueller & Seligman, 2010)

Strategien der guten

Lebensführung

Positive Emotionen Psychische Ressourcen

mit Nachhaltigkeitsbezug

Hedonismus Sinnliche Genüsse

Ästhetisch-intellektuelle

Genüsse

Genussfähigkeit

Zielerreichung Zufriedenheit

Stolz

Flow

Selbstakzeptanz

Selbstwirksamkeit

Sinn Gelassenheit

Sicherheit

Zugehörigkeit

Vertrauen

Achtsamkeit

Sinnkonstruktion

Solidarität

Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens

Wechselseitige Zusammenhänge zwischen den sechs

psychischen Ressourcen zur Förderung nachhaltiger Lebensstile

Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens

Genussfähigkeit

Fähigkeit Sinneserfahrungen positiv zu erleben und

damit das subjektive Wohlbefinden zu steigern.

Psychische Ressourcen

steigert die Erlebnisintensität von positiven, sinnlichen

Erfahrungen

kann das Bedürfnis nach einer hohen Quantität an positiven

Erfahrungen ohne Verlustempfindungen kompensieren

sind ohne großen materiellen Aufwand kurzfristig wirksam

die Ausrichtung auf entmaterialisierte geistig-ästhetische

Genüsse ist kulturell nur sehr schwer vermittelbar

Strategien zur Steigerung der Genussfähigkeit

Psychische Ressourcen

Genusstraining

Acht Genussregeln

1. Genuss braucht Zeit

2. Genuss und Genießen muss erlaubt sein

3. Genuss erfordert Bewusstheit

4. Genieße lieber wenig, dafür aber richtig

5. Suche Deine eigenen Genusspräferenzen

6. Genuss erfordert Lernerfahrungen

7. Genieße die kleinen Dinge des Alltages

8. Planen schafft Vorfreude

(in Anlehnung an Koppenhöfer, 2007 & Kaluza, 2011)

Selbstakzeptanz

Die Annahme der eigenen Person mit all ihren

positiven und negativen Eigenschaften.

Psychische Ressourcen

stärkt die individuelle Widerstandskraft gegen kompensatori-

sche und statusexpressive Formen des Konsums

Strategien zur Steigerung der Selbstakzeptanz

1. Vom globalen zum spezifischen Selbstkonzept

2. Achtsamkeit steigern

3a. Wohlwollenden Begleiter wählen

3b. Identifizierung und Mäßigung des inneren Kritikers

3c. Rehabilitation des Faulpelz

4. Eigene Werte und Normen finden

(in Anlehnung an Potreck-Rose, 2007)

Psychische Ressourcen

Selbstwirksamkeit

Subjektive Gewissheit, Anforderungssituationen

aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu

können.

Psychische Ressourcen

das zentrale psychologische Konstrukt zur Bewältigung von

(Lebens)aufgaben

steigert das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und

und damit in die Gestaltbarkeit des eigenen Lebens

Strategien zur Steigerung der Selbstwirksamkeit

1. Wohl dosierte Erfolgserlebnisse vermitteln

- Nahziele setzen

- Differenzierte Rückmeldungen geben

- Ergebnisse optimistisch interpretieren

2. Soziale Modelle vorstellen

- passend

- glaubwürdig

3. durch Argumente überzeugen

- „Du wirst das schaffen, weil ……“

(nach Bandura, 1997)

Psychische Ressourcen

Achtsamkeit

Mentale Strategie zur Einnahme einer absichtsvollen,

nicht wertenden Haltung auf den aktuellen Augenblick. (Kabat-Zinn, 2003, S.145)

Psychische Ressourcen

verhindert den Autopilotenmodus und reduziert Stress

macht den Blick frei für die Bedürfnisse und Lebensziele, die

dem Einzelnen jeweils wirklich wichtig sind

Strategien zur Steigerung der Achtsamkeit

Achtsamkeitspraxis

1. Formelle/formale Übungen

- Body-Scan

- Sitz- und Atemmeditation

- Gehmeditation

- achtsames Yoga

2. Informelle Übungen

Anwendung des Achtsamkeitsprinzips bei der Ausführung von Alltags-

oder Routinehandlungen, wie z.B. Essen, Waschen, Duschen,

Zähneputzen oder Treppensteigen.

Wirksamkeit empirisch gut nachgewiesen für:

- Mindful based stress reduction (MBSR)-Training zur Stressbewältigung

- Mindful based cognitive therapy (MBCT) zur Behandlung von

Depressionen mit mehr als 2 Episoden

Psychische Ressourcen

Sinnkonstruktion

Aktive, ergebnisoffene Suche nach umfassenden

Erklärungen, die der eigenen Existenz eine

überindividuelle Bedeutung verleihen.

Psychische Ressourcen

erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Orientierung an transzen-

denten oder sozial ausgerichteten Werten und stellt damit

einen individualistischen Materialismus in Frage

Strategien zur Förderung der Sinnkonstruktion

1. Sinnerfahrungen durch dialogische Reflexionen

bewusster machen

2. Narrative Rekonstruktionen der eigenen

Biographie

3. Werte in Institutionen und Organisationen reflektieren

4. Stressbelastungen verringern

Psychische Ressourcen

Solidarität

Orientierung des eigenen Handelns an der Idee

einer sozialen Gerechtigkeit und die Überzeugung

diese Idee auch im gemeinsamen Handeln um-

setzen zu können

Psychische Ressourcen

fördert die positiven Emotionen der Zugehörigkeit, Sicherheit

und des Vertrauens

liefert die Grundlage für ein Vertrauen in die Einflussmöglich-

keiten gemeinschaftlichen Handelns

Strategien zur Förderung der Solidarität

1. lässt sich nur in Interaktion mit anderen

Personen entwickeln

2. Kollektive Selbstwirksamkeit von Gruppen

fördern

3. Aufbau von Vertrauen als „soziales Kapital“

4. Gefahr von In- und Outgroup-Konflikten:

Notwendigkeit von Moderationen und Mediationen

zwischen unterschiedlichen jeweils solidarisch

empowerten Gruppen

Psychische Ressourcen

Anwendungsperspektiven der psychischen Ressourcen zur

Förderung nachhaltiger Lebensstile

Anwendungsfeld Psychische Ressourcen Gesundheitsförderung Genussfähigkeit

Selbstakzeptanz

Achtsamkeit

Coaching Sinnkonstruktion

Selbstwirksamkeit

Achtsamkeit

Genussfähigkeit

Schulen & Hochschulen Selbstwirksamkeit

Sinnkonstruktion

Solidarität

Unternehmen & Non-Profit-

Organisationen

Selbstwirksamkeit

Sinnkonstruktion

Solidarität

Gemeinwesen Selbstwirksamkeit

Solidarität

Fazit in einem Satz…..

Menschen,

die genießen können,

die sich selbst annehmen,

die davon überzeugt sind, selber etwas bewirken zu können,

die eine achtsame Haltung einnehmen,

die Sinngebungsprozesse durchlaufen,

die ihr Handeln solidarisch ausrichten,

unterstützen einen Wandel in Richtung nachhaltiger

Lebensstile.

Wichtig !

Die Förderung der psychischen Ressourcen ist keine

Privatangelegenheit, sondern muss durch strukturelle

gesellschaftlich-politische Rahmenbedingungen unterstützt

werden.

Prof. Dr. Marcel Hunecke

29. DGVTH-Kongress für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratung

„Chancen in Krisen: Ressourcenorientierung in Psychotherapie und Gesellschaft“

Freie Universität Berlin , 27. Februar 2016

Psychologie und Nachhaltigkeit Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaften

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