PUNKT Stadt/Land

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Die intelligente Stadt Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen Städte smarter werden. Das gute Leben im Dorf Wie das Städtlein Lichtensteig der Abwärtsspirale entfliehen konnte. Bata – mehr als ein Schuh Sonja Bata ist bereits 86-Jährig. Alt ist sie deswegen noch lange nicht. MAGAZIN # 01 | 2013 JAHRGANG 08 KOSTEN CHF 9,50 PUNKTMAGAZIN.CH WIRTSCHAFT IST MEHR. 9 771661 806003 42 DOSSIER AUTOMOBIL +

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Die simple Aufteilung in Stadt, Land (und Agglo) gibt es so nicht mehr: Heute spricht man von Agglomerationsräumen – in der Schweiz sind es fünf an der Zahl. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht immer noch spezifisch ländliche oder städtische Problemfelder gäbe. In dieser Ausgabe werden beide beleuchtet.

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Page 1: PUNKT Stadt/Land

Die intelligente StadtUm für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen Städte smarter werden.

Das gute Leben im DorfWie das Städtlein Lichtensteig der Abwärtsspirale entfliehen konnte.

Bata – mehr als ein SchuhSonja Bata ist bereits 86-Jährig. Alt ist sie deswegen noch lange nicht.

MAGAZIN # 01 | 2013

JAHRGANG 08

KOSTEN CHF 9,50

PUNKTMAGAZIN.CH

WIRTSCHAFTIST MEHR.

9771661

806003

42

DOSSIER

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B I L+

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Page 3: PUNKT Stadt/Land

EDITORIALMagazin # 01 | 2013Ausgabe «Stadt | Land»

COVER # 01 | 2013Fotografie & Postproduktion

Fabian Widmer

Die Zeiten, als Familien aus der Innenstadt ins Grüne flüchteten, sind vorbei. Heute strömen die Menschen wieder in die Städte. Die Urbani-sierung, eine der zentralen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, ist in vollem Gange. Um die

damit einhergehenden Herausforderungen wie Platz-mangel, Verkehrsüberlastungen und Energieineffizien-zen zu stemmen, muss «Die intelligente Stadt» (S. 16) her. Umdenken ist angesagt. Umdenken musste auch Schuhfabrikant Tomáš Bata, als die Zölle nach dem Ersten Weltkrieg in die Höhe schossen. Der Export wurde zu teuer, seinem Ge-schäft drohte das Aus. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, exportierte er das Konzept der Bata Cities in die Welt hinaus: Produktionsstätten, in denen die An-gestellten nicht nur eine Arbeitsstelle fanden, sondern ein würdiges Leben verbringen konnten. Noch heute ist Bata der grösste Schuhproduzent weltweit, noch heute lenkt die Familie die Geschicke des Unternehmens mit. So auch die 86-jährige Schweizerin Sonja Bata : «Bata – ein Konzern mit viel Schweiz» (S. 36). Apropos Schweiz. Die stösst langsam aber sicher an ihre räumlichen Grenzen. Neun oder sogar zehn Millionen Einwohner seien zu viel, sagen einige Poli-tiker. Anders sieht dies Dr. Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse. Seiner Ansicht nach sollte man «Die Schweiz als Stadtlandschaft» (S. 42) denken. Er fordert eine integrale Sichtweise, denn Stadt und Land bieten Ergänzungsräume und sind voneinander abhängig. Zuletzt noch etwas in eigener Sache: Wir haben den Umfang des Magazins erhöht und liefern Ihnen ab dieser Ausgabe noch mehr «Lebensart» nach Hause. Den Auftakt macht das Dossier «Automobil» (S. 47). Doch wir präsentieren nicht einfach Produkte und schon gar keine bezahlten Inhalte, sondern machen uns auf die Suche nach dem Automobil der Zukunft.

3PUNKTmagazin STADT | LAND

Page 4: PUNKT Stadt/Land

INHALT I Magazin # 01 | 2013Ausgabe «Stadt | Land»

Wirtschaft

10 Kurz & Bündig Wirtschaft

16 DIE INTELLIGENTE STADTUm die ökologischen und ökonomischen He rausforderungen der Zukunft meistern zu können, müssen Städte haushälterischer mit den Mitteln umgehen. Sie müssen smart werden.

24 Gelber Riese im WandelDie Rolle der schweizerischen Post zwischen einem alternden Brief- und Paketmarkt und neuen digitalen Herausforderungen.

27 «L'Entrepreneur»Adrian Bührer, skim.com

28 Bauer am BildschirmÜber drei Millionen Mal wurde der Landwirt-schafts-Simulator des Zürcher Spielentwicklers Giants Software verkauft. Wie ist dieser Erfolg zu erklären? Sind das alles Bauernromantiker?

30 Das gute Leben im DorfNoch vor sechs Jahren herrschte in Lichtensteig Endzeitstimmung. Heute blickt das Städtchen in eine strahlende Zukunft. Ein Lehrstück darüber, wie man ein Dorf wiederbelebt.

35 Kolumne «Querdenker»

36 Bata – ein Unternehmen mit viel Schweiz

Seit über sechs Jahrzehnten lenkt Sonja Bata die Geschicke des Schuhkonzerns in Familienbesitz mit. Im Gespräch zeigt sich die mittlerweile 86-jährige vif, schlagfertig und humorvoll.

42 DIE SCHWEIZ ALS STADT - LANDSCHAFT DENKEN

Dr. Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse im Gespräch über Zuwanderung, Zersiedelung und falsch gesetzte Anreize in der Verkehrspolitik.

47 Dossier «Automobil»Das Auto der Zukunft, Concept Cars eines Schweizer Tüftlers und mehr.

Bata ist mehr als der erste Massen-produzent von Schuhen. Bata ist Schweizer Wirtschaftsgeschichte.

Dr. Daniel Müller-Jentsch: «Das Wachstum muss irgendwie kanalisiert werden.»

Wegen der Verstädterung und Urbanisierung wird die Rolle der Metropolen immer wichti-ger. Die intelligente Stadt ist gefordert.

Unter anderem

03 Editorial08 Infografik 89 Abonnement90 Vorschau90 Impressum

Kleine Parks und Grünanlagen, sogenannte Pocket Parks, erhöhen die Lebensqualität in Städten.

Der Landwirtschafts-Simulator brachte dem Entwickler Giants Software eine gute Ernte ein.

4 INHALTSVERZEICHNIS

16

28

10

42

36

Page 5: PUNKT Stadt/Land

Szenario 4: Asien und weitere Schwellenländer

entwickeln sich weiterhin rasant. Treibende

Kraft ist die aufstrebende Mittelschicht in den

Schwellenländern. Vom wirtschaftlichen Aufstieg

des «Goldenen Ostens» pro� tiert auch der

Rest der Welt.

Szenario 5: Dank tiefgreifenden Reformen

entsteht wieder Wachstum und Staatsschulden

sinken. Wirtschaftliche Ungleichgewichte in

der Eurozone bauen sich ab. Die «Stetige Bewältigung» ist ein beschwerlicher, aber

erfolgversprechender Weg.

Szenario 3: Die überschuldeten Länder schnallen

den Gürtel rigoros enger. Einschneidende

Sparmassnahmen gehen einher mit massiven

Lohneinbussen. Diese «Schmerzhafte Anpassung» treibt Europa in eine Rezession.

1

3

Szenario 2: Die Schuldenkrise eskaliert. Immer

mehr Staaten zieht es unkontrolliert in den

«Roten Abgrund» und der Euro bricht

auseinander. Die wirtschaftliche Lage gerät

dabei ausser Kontrolle.

Szenario 1: Die industrialisierte Welt bleibt

überschuldet und wachstumsschwach. Das «Aussitzen und Wursteln» setzt sich fort.

Die Probleme werden weiterhin durch billiges

Geld und ständig neue Verschuldung in die

Zukunft verschoben.

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2

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Page 6: PUNKT Stadt/Land

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April

Mai

Juni

Juli/August

September

Oktober

November

Dezember/Januar

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72

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69

INHALTSVERZEICHNIS

INHALT IIMagazin # 01 | 2013Ausgabe «Stadt | Land»

Invest

58 URBANISIERUNG UND IHRE FOLGEN

Dass ohne gute Infrastruktur nichts mehr geht, lernen die USA vermehrt auf die harte Tour. China will denselben Fehler vermeiden und investiert darum kräftig in den Ausbau.

64 Kurz & Bündig Invest

67 Kolumne «Mirjam Staub-Bisang»

69 Alternativanlage Wald Investieren in reale Werte

70 Eigenheim oder Luftschloss?Dr. Ronny Haase von Wüest & Partner über die wichtigsten Aspekte beim Kauf von Immobilien.

Lebensart

72 I GHÖRE DERZUEDie Schweiz ist ein Vereinsland – schon immer gewesen. Dass das Vereinswesen nicht nur in ländlichen Gebieten eine Rolle spielt, zeigt ein Besuch bei zwei städtischen Vereinen.

78 Mediale LandlustDas Landleben hat ein neues Image: bieder war früher. Erfolgreich in Szene gesetzt wird das neue Bewusstsein von den Medien.

80 Kurz & Bündig Lebensart

83 Kolumne «René Allemann»

84 Produkte, die man haben muss

Inserenten

Die Urbanisierung hat mehrere Folgen. Eine davon sind erhöhte Investition in die Infrastruktur. Die Unternehmen freuts.

Anlagen in die Forstwirtschaft versprechen hohe Renditen und Schutz vor Teuerung. Aber hält Holz tatsächlich, was es verspricht?

Es gibt derart viele Formen von Urbang Gardening, dass ein Über-blick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht Schaden kann.

Die neue Landlust hat die Medien-branche erreicht. Ob TV, Print oder Internet: Landmedien boomen und sorgen für saftige Einnahmen.

02 BMW05 Notenstein06 Schweizer Monat13 Beyer15 Blickfang23 Marketing-Tag33 Club 25+

41 SKO57 Giardina65 Swisscanto68 ETF-Praxisbuch76 Die Perspektive91 Personal Swiss92 Aston Martin

7PUNKTmagazin STADT | LAND

70

Page 8: PUNKT Stadt/Land

Bevölkerung

* mit Agglomerationen �un, Fribourg, Biel sowie den Einzelstädten Lyss und Burgdorf

* verfügbares medianes Äquivalenzeinkommen

METROPOLRAUMZÜRICH

METROPOLRAUMGENF-LAUSANNE

METROPOLRAUMBASEL

METROPOLRAUMBERN*

LÄNDLICHERRAUM

ARBEITSPLÄTZE

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

Der Wohnraumbedarf in der Stadt ist nur geringfügig grösser als auf dem Land. Zu erklären ist das mit der grösseren Anzahl Singlehaushalte in Städten.

Innerhalb von sieben Jahren sind die Mieten in den Zentren um 1,1% gestiegen, in den ländlichen Gemeinden waren es 0,9%.

Arbeitsplätze Wohnfläche

72%

5%

Arbeitsplätze Schweiz Ø Wohnfläche pro Person 2005

Entwicklung nach Regionen 1995 – 2005

Entwicklung Ø Wohnfläche SchweizMiete pro m2 2003

Ø Anzahl Personen pro Haushalt

Entwicklung Schweizer Wohngebiete

Freizeit Wohnort

Arbeits-/Ausbildungsort Wohnort

Ø Tagesdistanz

Einkommen & MieteDistanzen 2005

BEVÖLKERUNG

m21

KERNSTADT

m242

1990

m23815,4

1980

1990

m2321970

m227

2,4

UMLANDGEMEINDEN

m244

Einkommen in Franken* 2009

2001

m242

Lediglich 5% aller Wege stammen von arbeits-bedingtem Pendeln vom Land in die Stadt.

%25LÄNDLICHER

RAUM

%75STÄDTISCHERRAUM

%5

6% aller Wege stammen von Städtern, die ihre Freizeit auf dem Land verbringen.

%6

CHF

2010 %37LÄNDLICH

%63STÄDTISCH

2005

%27LÄNDLICHER

RAUM

%73STÄDTISCHERRAUM

2000

%31LÄNDLICHER

RAUM

%69STÄDTISCHERRAUM

1990

%39LÄNDLICHER

RAUM

%61STÄDTISCHERRAUM

1980

5%

VOM LÄNDLICHEN IN DEN STÄDTISCHEN RAUM

Arbeits-/Ausbildungsort Wohnort

VOM STÄDTISCHEN IN DEN LÄNDLICHEN RAUM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

18%

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

68%

5%

6%

VOM LÄNDLICHEN IN DEN STÄDTISCHEN RAUM

PERS.

VOM STÄDTISCHEN IN DEN LÄNDLICHEN RAUM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

20%

1 37 36STD. MIN. KM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

1 39 42STD. MIN. KM

+8,8%

-4 -2 0 2 4 6 8 10

+3,2%

+8,6%+6,8%

+1,9%-2,7%

+3,4%+2,8%

+3,9%-1,7%

DICHTBESIEDELTES GEBIET

MITTELDICHT-BESIEDELTES GEBIET

GERINGBESIEDELTESGEBIET

GROSSZENTREN

m21

11,6 CHF

LÄNDLICHE GEMEINDEN

49 700.–

2000

2,3PERS.

1980

2,6PERS.

1970

3,0PERS.

1960

3,4PERS.

47 700.–

43 000.–

STADT? LAND? AGGLO!

Früher war es klar: In der Agglo wohnt man nicht.Zumindest nicht freiwillig. Heute ist die Lage etwas komplizierter, denn in dieser Form gibt es die Agglome-ration nicht mehr. Sie ist überall.

Typischer Dialog der Neunzigerjahre: «Wo bist Du aufgewachsen? Stadt oder Land?» – «Weder noch, Agglo.» – «Autsch.» Diese etwas gar simple Dreiteilung ist Vergangenheit. Die Agglomeration als cha-rakterloses Niemands land zwischen Stadt und Land gibt es in dieser Form nicht mehr, die Grenzen sind fliessend. Heute spricht man von Agglomerationsräumen. Gemeint sind damit – so definiert es jedenfalls die Uno – Kernstädte mitsamt ihrem suburba-nen Umland. In der Schweiz ist häufig die Rede von den Metropolräumen, fünf sind es an der Zahl. Der grösste ist klar der Met-ropolraum Zürich, er erstreckt sich von Zug bis Schaffhausen. Auf den über 2100 Qua-dratkilometern finden etwa 1,6 Millionen Menschen Platz. Im letzten Jahrzehnt waren es vor al-lem die urbanen Gebiete, die für Wachstum besorgt waren, man könnte schon fast ei-ner kleinen Landflucht sprechen. Das war nicht immer so: Noch in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren waren die Wachstums raten in städtischen Räumen tiefer als in ländlichen Gebieten. Der Wech-sel kam mit dem neuen Jahrtausend. Einen besonders grossen Wachstums-schub erlebten die beiden Metropolräume Zürich und Genf-Lausanne: Sowohl beim Bevölkerungswachstum wie auch bei der Anzahl der Arbeitsplätze konnten sie am meisten zulegen. Die grössten Einbussen hatte der Metropolraum Basel zu verzeich-nen: Fast drei Prozent der Arbeitsplätze gin-gen zwischen 1995 und 2005 verloren.

Quellen BundesamtfürStatistik,BundesamtfürRaument-

wicklung,MikrozensusMobilität2010

DarstellungPUNKTmagazin

8 WIRTSCHAFT

«Stadt | Land» in Zahlen

Page 9: PUNKT Stadt/Land

Bevölkerung

* mit Agglomerationen �un, Fribourg, Biel sowie den Einzelstädten Lyss und Burgdorf

* verfügbares medianes Äquivalenzeinkommen

METROPOLRAUMZÜRICH

METROPOLRAUMGENF-LAUSANNE

METROPOLRAUMBASEL

METROPOLRAUMBERN*

LÄNDLICHERRAUM

ARBEITSPLÄTZE

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

Der Wohnraumbedarf in der Stadt ist nur geringfügig grösser als auf dem Land. Zu erklären ist das mit der grösseren Anzahl Singlehaushalte in Städten.

Innerhalb von sieben Jahren sind die Mieten in den Zentren um 1,1% gestiegen, in den ländlichen Gemeinden waren es 0,9%.

Arbeitsplätze Wohnfläche

72%

5%

Arbeitsplätze Schweiz Ø Wohnfläche pro Person 2005

Entwicklung nach Regionen 1995 – 2005

Entwicklung Ø Wohnfläche SchweizMiete pro m2 2003

Ø Anzahl Personen pro Haushalt

Entwicklung Schweizer Wohngebiete

Freizeit Wohnort

Arbeits-/Ausbildungsort Wohnort

Ø Tagesdistanz

Einkommen & MieteDistanzen 2005

BEVÖLKERUNG

m21

KERNSTADT

m242

1990

m23815,4

1980

1990

m2321970

m227

2,4

UMLANDGEMEINDEN

m244

Einkommen in Franken* 2009

2001

m242

Lediglich 5% aller Wege stammen von arbeits-bedingtem Pendeln vom Land in die Stadt.

%25LÄNDLICHER

RAUM

%75STÄDTISCHERRAUM

%5

6% aller Wege stammen von Städtern, die ihre Freizeit auf dem Land verbringen.

%6

CHF

2010 %37LÄNDLICH

%63STÄDTISCH

2005

%27LÄNDLICHER

RAUM

%73STÄDTISCHERRAUM

2000

%31LÄNDLICHER

RAUM

%69STÄDTISCHERRAUM

1990

%39LÄNDLICHER

RAUM

%61STÄDTISCHERRAUM

1980

5%

VOM LÄNDLICHEN IN DEN STÄDTISCHEN RAUM

Arbeits-/Ausbildungsort Wohnort

VOM STÄDTISCHEN IN DEN LÄNDLICHEN RAUM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

18%

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

68%

5%

6%

VOM LÄNDLICHEN IN DEN STÄDTISCHEN RAUM

PERS.

VOM STÄDTISCHEN IN DEN LÄNDLICHEN RAUM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

INNERHALB DES STÄDTISCHEN RAUMS

20%

1 37 36STD. MIN. KM

INNERHALB DES LÄNDLICHEN RAUMS

1 39 42STD. MIN. KM

+8,8%

-4 -2 0 2 4 6 8 10

+3,2%

+8,6%+6,8%

+1,9%-2,7%

+3,4%+2,8%

+3,9%-1,7%

DICHTBESIEDELTES GEBIET

MITTELDICHT-BESIEDELTES GEBIET

GERINGBESIEDELTESGEBIET

GROSSZENTREN

m21

11,6 CHF

LÄNDLICHE GEMEINDEN

49 700.–

2000

2,3PERS.

1980

2,6PERS.

1970

3,0PERS.

1960

3,4PERS.

47 700.–

43 000.–

9WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 10: PUNKT Stadt/Land

dest legen Untersuchungen nahe, die der amerikani-sche Verein «Active Living Research» durchgeführt hat. In einer Metastudie konnte nachgewiesen werden, dass der Wert von Immobilien signifikant höher ist, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe eines Parks oder einer Grünanlage befinden. Wie stark der Effekt tatsächlich ist, hänge vor allem von der Grösse, der Beschaffenheit und der geografischen Nähe des Parks ab. Vor allem der letzte Faktor sollte nicht unterschätzt werden: Mehr als ein paar hundert Meter Entfernung sind nämlich bereits zu viel, damit der Park wirklich in den Alltag der Quartierbewohner integriert wird. Der springen-de Punkt ist somit für einmal nicht die Lage, sondern die Mikrolage. In dieser Logik sind viele kleine Parks, die den Wert von vielen Immobilien in der nahen Um-gebung erhöhen, sinnvoller als ein paar wenige grosse Grünflächen, die jedoch zu weit weg sind, um einen messbaren Effekt zu erzielen. Von den höheren Häuser-bewertungen profitiert nicht zuletzt auch der Fiskus in Form von mehr Steuereinnahmen. Nun ist jedoch der Raum, vor allem in stark besie-delten urbanen Gebieten, äusserst begrenzt. Neue Frei-flächen lassen sich nicht so ohne weiteres realisieren. Es ist sicher kein Zufall, dass die grossen und bekann-ten Stadtparks wie etwa der Central Park in New York oder der Englische Garten in München bereits ein bis zwei Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Doch wie die Studie betont, gibt es ja auch bei kleinen Parks messbare Effekte – es schlägt die Stunde der sogenannten Pocket Parks, im Deutschen Mini-Parks oder Westentaschen-parks genannt. Das sind urbane Freiflächen, die ohne viel Aufwand zu Arealen mit Erholungscharakter um-gestaltet werden können. Bereits eine ungenutzte Par-zelle zwischen zwei Häusern bietet dafür genug Raum. Die Detailgestaltung kann dabei den Bedürfnissen der Quartierbewohner angepasst werden: in kinderreichen Stadtteilen kann dies ein kleiner Spielplatz sein, falls

der Park vor allem von Rentnern benutzt wird, bietet sich ein Schachspiel an.

Jeder ein Stadtgestalter In den USA wird das Konzept der Pocket Parks bereits seit den Sechzigerjahren umgesetzt. Meist be-steht das Ziel darin, eingeschlafene Quar-tiere wieder zum Leben zu erwecken. Da-mit die kleinen Parks aber auch tatsächlich besucht werden, müssen sie von der Stra-sse her sichtbar sein und allen offenstehen.

Grenzen kennt die Idee von Pocket Parks nicht. Selbst eine improvisierte Parkbank an einem toten Winkel kann für eine kleine Abwechslung im hektischen Alltag sorgen. Jeder ein Stadtgestalter, wenn er will. Den Nutzen der Mini-Parks erkennen auch die Stadtverwaltungen vermehrt – und sie werden aktiv. Vor diesem Hintergrund ist das Pocket-Park- Programm zu verstehen, das die Stadt London vergangenes Jahr lan-cierte. Interessierte Bürger können sich melden und fi-nanzielle Mittel für Parkverschönerungen beantragen. Das ehrgeizige Ziel besteht in hundert neuen Flächen, die bis März 2015 erstellt werden sollen.

MINI-PARKS MIT MAXI-NUTZENTextDAVID FEHR

Parks und Grünflächen erhöhen die Lebensqualität und Standortattraktivität von Quartieren. Wenn es an Mitteln und Platz mangelt, tun es auch kleinere und improvisierte Parks.

Grünanlagen und Stadtparks erlauben es ge-stressten Stadtbewohnern, das Tempo für einen Mo-ment zu drosseln und abzuschalten, ohne eine lange Anreise in Kauf nehmen zu müssen. Dass Parks und freie Flächen die Lebensqualität erhöhen und somit eine Wertsteigerung für Quartiere bedeuten, wi ssen auch die Stadtverwaltungen: Grün ist zum Standort- und Marketingfaktor geworden. Nur schon bei «Grün Stadt Zürich» sind rund 430 Mitarbeitende damit beschäftigt, die verschiedenen Grünanlagen, Wälder, Spielplätze, Friedhöfe, Alleen und Fami-liengärten in Stand zu halten. Dabei sind öffentlich zugängliche Anlagen eigentlich ja ein (willkomme-ner) Anachronismus, gehören sie doch zu den wenigen urbanen Orten, wo heute noch immaterielle und nicht-konsum-orientierte Bedürfnisse gestillt werden können. Wenn sich alles rundherum im-mer mehr zu einer einzigen Umsatz-generierungszone entwickelt: Parks hal-ten erfolgreich dagegen – und das seit Jahrhunderten. Gerade für «Menschen ausserhalb des wirtschaft-lichen Produktionsprozesses oder Menschen mit schwächeren sozialen Netzwerken stellen öffentliche Freiräume wichtige Orte der gesellschaftlichen Teil-habe dar», formuliert es die Studie «Nachhaltige Sied-lungs- und Infrastrukturentwicklung» des Nationalen Forschungsprogramms 54. Ökonomischer Nutzen von Grünanlagen Der Nutzen von Grünanlagen ist nicht nur immateriell, sondern auch ökonomisch nachweisbar. Das zumin-

10 WIRTSCHAFT

Wirtschaft

Page 11: PUNKT Stadt/Land

STADT- UND KLEINE STAATEN Stadtstaaten und Kleinstaaten sind in der Regel wirtschaftlich erfolgreich. Zu erfolgreich sollten sie aber doch nicht sein, sonst kann es passieren, dass der grosse Nachbar seine Muskeln spielen lässt.

Kleinstaaten sind oft Erfolgsmodelle und finden sich in Statistiken zu Einkommen,

Wettbewerbsfähigkeit, Handelsoffenheit und Lebensqualität meist in den vorderen

Rängen wieder. Da sie aufgrund der knappen Ressourcen und Flächen auf regen Han-

del mit dem Ausland angewiesen sind, werden sie praktisch zu wirtschaftlicher Of-

fenheit gezwungen. Ebenfalls zugute kommt ihnen der hohe Stellenwert der Bildung,

der – gepaart mit einer gezielten Einwanderungspolitik – für ein hohes Bildungsni-

veau sorgt, was sich in den Löhnen niederschlägt. Nicht zuletzt sind kleine Gebilde

schlicht einfacher zu kontrollieren als weitläufige Staaten. Machiavelli riet den klei-

nen Staaten darum, nur so gross zu werden, dass sie ihr Territorium jederzeit vertei-

digen können. Erst wenn das Bestehende gesichert sei, solle eine Vergrösserung des

Gebietes ins Auge gefasst werden, so der Rat des gerissenen Machtpolitikers. Zu-

dem müssten sie stets darauf achten, dass sie von ihren Nachbarn nicht als zu mäch-

tig und bedrohlich angesehen wurden, da ansonsten Krieg und Vernichtung drohten.

Was vor fast 500 Jahren galt, ist auch heute nicht unbedingt falsch. Zwar ist die Zeit

der Territorialkriege in unseren Breitengraden vorbei, aber auch heute müssen klei-

ne Staaten darauf achten, dass sie ihren grossen Nachbarn nicht zu fest ins Hand-

werk pfuschen. Denn je schlechter die allgemeine wirtschaftliche Lage, desto stär-

ker setzen auch Grossmächte ihre eigenen Interessen durch. Ein Beispiel dafür sind

die unversteuerten Gelder, die früher von aller Seite in die Schweiz flossen. Obwohl

dies während Jahrzehnten bekannt war, wurden sie erst zum Thema, als die Mittel

in den USA und Deutschland klamm wurden. Gerade die Beziehung zu den europäi-

schen Nachbarn ist äusserst fragil. «Klar ist, dass ein Stadtstaat Schweiz in Europa

nicht überleben kann, wenn es die EU nicht will», schreibt der Think Tank Avenir Sui-

sse. Die Schweiz müsse gar um die Gunst der grossen EU werben, da sie, wie eingangs

erwähnt, wegen ihrer Kleinstaatlichkeit zu wirtschaftlicher Offenheit gezwungen

sei. Wie das Armdrücken zwischen den ungleichen Kontrahenten ausgeht, werden

die nächsten Jahre zeigen. Dass sich die Kleinen ihre Felle nicht einfach wegnehmen

lassen, liegt auf der Hand. Da sie zudem meist nicht über unzählige Standbeine verfü-

gen, werden die bestehenden umso stärker verteidigt. SJ

11WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 12: PUNKT Stadt/Land

SCHAFSWIRTSCHAFTWirtschaftspolitisch ist die Schweiz in den meisten Fächern ein Musterschüler. Im Fach Landwirtschaft trifft das leider nicht immer und in allen Bereichen zu.

Die Schweiz gehört zu den Ländern, die ihre Landwirtschaft am stärks-

ten subventionieren. Zehn Millionen Franken sind es – pro Tag. Zwischen

2009 und 2011 machten die staatlichen Unterstützungsleistungen insge-

samt 56 Prozent der Bruttoeinkünfte der Schweizer Bauern aus. Nur bei

den norwegischen Bauern war der Staatsanteil noch grösser. Doch eigent-

lich will die Schweizer Bevölkerung ja eine marktgerechte und ökologisch

produzierende Landwirtschaft. Gehemmt wird der Wandel durch den Mil-

liardenregen – und die teils hirnrissige Subventionspolitik verhindert den

längst fälligen Strukturwandel. Ein gutes Beispiel liefern die Schafzüch-

ter, die vom Bund jährlich mit vierzig Millionen Franken unterstützt wer-

den. Für Sömmerung, Futter oder Zaunmaterial hat Bern ein zusätzliches

Kässeli. Auch wenn mal ein Schaf vom Wolf gerissen wird – in der Natur

passiert solcherlei von Zeit zu Zeit –, öffnet der Bund seine Schatulle und

spricht Geld: 200 Franken für ein Lamm, 2000 Franken für ein Zucht-Milch-

schaf. Um Verluste zu vermeiden, kauft sich der vorausschauende Bauer

folglich einen Schutzhund, der seine Herde bewacht. Auch dafür gibts

von Bundesrat Schneider-Ammann Geld: 500 Franken für den Kauf, 1000

Franken für den jährlichen Unterhalt. Jetzt beginnt das Rechnen: Da der

Schlachthof nämlich weniger bezahlt als der Bund, fährt der Bauer ökono-

misch besser, wenn er auf den Hund verzichtet und die Schafe dem Wolf

«opfert». Mit diesen Anreizen wird das Hobby Schafzucht natürlich attrak-

tiv. Hobby deshalb, weil sich der Schafbestand in den letzten 25 Jahren

mehr als verdoppelt hat, obwohl der Absatzmarkt für Schweizer Schaf-

wolle praktisch inexistent ist und Schaffleisch selten bis nie auf dem hie-

sigen Speisezettel landet. Dass die Eidgenossenschaft eine nachhaltige

und auf den Markt ausgerichtete Landwirtschaft braucht, steht ausser

Frage. Die Frage ist viel mehr, ob und wie lange sich die Schweiz eine der-

art teure Landwirtschaft – einem Beitrag an das Bruttoinlandprodukt

(BIP) von weniger als einem Prozent steht eine Gesamtsubventionierung

von über einem Prozent des BIP gegenüber – leisten kann und will. RB

VIEL ERVOLGDer Detailhandel kämpft seit Jahren mit Widrigkeiten. Den ländlichen Grossver-teiler Volg kümmert das wenig.

Der «Verband ostschweizerischer landwirt-

schaftlicher Genossenschaften», kurz Volg,

war der erste landwirtschaftliche Genossen-

schaftsverband der Schweiz, gegründet 1886

in Winterthur. In den Anfangsjahren wuchs der

Verbund mit hohem Tempo, kurz nach der Jahr-

hundertwende waren schon knapp 150 örtli-

che Genossenschaften angeschlossen. Bereits

im letzten Kriegsjahr 1945 betrug der Umsatz

über 100 Millionen Franken. Inzwischen gehört

Volg zur Fenaco-Gruppe. Volg ist da, wo die an-

deren oft nicht sind: in den kleinen Dörfern.

Dort konnte man in den vergangenen Jahren

teilweise die Frischbrotversorgung der vieler-

orts eingegangen Bäckereien übernehmen. Wie

die grosse Konkurrenz verfügen auch Volg-Filia-

len über eigene Backstationen. Darüber hinaus

werden im Rahmen des Projekts Ymago ver-

mehrt Aufgaben von geschlossenen Poststel-

len übernommen, bereits sind über 120 Filialen

angeschlossen. Der Erfolg von Volg zeigt sich in

der Entwicklung der Kennzahlen seit 2007: Der

Umsatz konnte von 646 auf über 779 Millionen

Franken gesteigert werden, der Gewinn von 84

auf über 96 Millionen Franken. Was bei den Gro-

ssen Cumulus und Superkarte, heisst bei Volg

ganz altbacken Markenbüchlein. 656 000 von

diesen wurden im Jahr 2011 gefüllt und abge-

geben. Bei Umsatz und Gewinn hinkt Volg den

Branchenleadern Migros und Coop hinterher.

Bei der Anzahl Filialen ist der Abstand kleiner:

Migros betreibt deren 623, Volg 553. Zählt man

sämtliche belieferte Verkaufsstellen wie die

TopShop-Tankstellen dazu, kommt Volg auf ins-

gesamt 916 Standorte. Im Vergleich zu Lidl und

Aldi eine andere Liga: Diese erreichten zusam-

men Ende 2012 zwar erstmals die 250-Filialen-

Grenze, doch der Markt scheint gesättigt: Die

Discounter mit deutschen Wurzeln mussten

das Expansionstempo drosseln und froh sein,

ihren Marktanteil von insgesamt fünf Prozent

halten zu können. SJ

12 WIRTSCHAFT

Page 13: PUNKT Stadt/Land

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«Wir führen nur Marken, die Geschichte geschrieben haben.

So wie wir auch.»

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KLEINE STÄDTCHENDie Definition, was eine Stadt ausmacht, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass es Dutzende von Ausnahmen gibt.

Eine Stadt, so lernt man es im Geografieunter-

richt, wird definiert durch ihre Einwohnerzahl:

Mindestens 10 000 müssen es sein. Doch einige

von ihnen wollen die Bezeichnung Stadt gar

nicht tragen. Gewisse Hauptorte von kleinen

Kantonen, so zum Beispiel Altdorf oder Gla-

rus, weisen das Attribut explizit als zu anonym

von sich. Lieber will man den dörflichen Cha-

rakter erhalten, wenigstens in der Namensge-

bung. Auch gegenteilige Ausnahmen existieren:

Ortschaften, die weitaus weniger als 10 000 Ein-

wohner aufweisen, aber trotzdem als Stadt gel-

ten. Geschuldet ist dies zwei Relikten aus dem

Mittelalter: dem Stadt- oder Marktrecht. Diese

verliehen Orten mit ehemals wichtigen Han-

delsplätzen mehr Rechte, als ihnen aufgrund

ihrer Grösse zugestanden hätten. Das kleins-

te der rund hundert Schweizer Mini- Städtchen

ist Werdenberg im Toggenburg, das gerade mal

über neunzig Einwohner verfügt. Das Stadt-

recht ist nicht Werdenbergs einziges Überbleib-

sel vergangener Tage. Das Städtchen verfügt –

da man sich während Jahrhunderten geschickt

aus Auseinandersetzungen fernhalten konn-

te und keine Verwüstungen, Brände oder Über-

schwemmungen erleiden musste – gemäss

Eigenaussage über die die «einzige noch weit-

gehend erhaltene mittelalterliche Holzsied-

lung mit städtischem Charakter.» Das hat auch

die Macher des Swiss Miniature im Tessin über-

zeugt, wo der historische Dorfkern Werden-

bergs im Massstab 1:25 nachgebildet ist. DF

ERWÜNSCHT: MITTELMASSGross oder klein? Wenn es um die Fallkosten in Spitälern geht, liegt das Optimum – wie so oft – irgendwo in der Mitte.

Die Schweiz ist ein Spitalland. 300

Krankenhäuser, mit einem jähr-

lichen Umsatz von 20 Milliarden

Franken, versorgen die gut acht Mil-

lionen Einwohner der Schweiz. Seit

den Achtzigerjahren steigen zwar

die Fallzahlen, doch die Zahl der

Krankenhäuser, der Betten und die

durchschnittliche Aufenthaltsdauer

gehen seither zurück. Alles steht im

Zeichen der Effizienz. Heute stehen

für die 1,3 Millionen jährlichen Fälle

38 400 Betten zur Verfügung. Erwäh-

nenswert ist die Bandbreite der Spi-

talgrössen: So verfügt das Ospeda-

le Casa di Cura im Bergell lediglich

über 42 Betten, die Universitätskli-

nik in Genf dagegen über 2000. Wer

nun aber denkt, dass grosse Spitä-

ler per se effizienter sind, sprich tie-

fere Fallkosten aufweisen, irrt. Am

rentabelsten sind Spitäler mit 2000

bis 10 000 Fällen pro Jahr. Abwei-

chungen nach oben oder unten be-

deuten eine tiefere Rentabilität.

Auch bei den Kosten pro Fall wirken

die Skaleneffekte nur bedingt. Am

kostengünstigsten sind sie Kliniken

mit 100 bis 300 Betten. SJ

PUNKTmagazin STADT | LAND

Page 14: PUNKT Stadt/Land

THE WINNER TAKES IT ALL TextDAVID FEHR

Vergünstigter Wohnraum ist eine tolle Sache – für diejenigen, die ihn erhalten. Alle anderen gehen leer aus, auch wenn sie theoretisch berechtigt wären. Könnte ein Systemwechsel Abhilfe schaffen?

Wie begehrt die zu Selbstkosten vermieteten Zürcher Stadtwohnungen sind, erschliesst sich jedem, der schon einmal an der Besichtigung einer solchen Wohnung war. Oft drängen sich die Interessenten bis auf die Strasse hinaus und die Besichtigung erfolgt ge-staffelt in kleinen Gruppen. Der Grund liegt auf der Hand: Stadtwohnungen sind bezüglich Preis-Leis-tungs-Verhältnis schlicht unschlagbar. Während die Mieten in den begehrten Wohnquartieren seit Jah-ren stark steigen, verbleiben sie bei Stadtwohnungen auf angenehm niedrigem Niveau. Um sich in Zürich für eine der rund 9000 Wohnungen zu qualifizieren, müssen Einkommen und Vermögen in einem ange-messen Verhältnis zur Miete stehen. Etwas weniger als ein Drittel der Wohnungen wird zusätzlich aktiv sub-ventioniert und ist Niedriglohnbezügern vorbehalten. Das Problem dabei: Es gibt weit mehr als 9000 Mieter, die sich die hohen Mieten in der Stadt nicht leisten können – und somit eigentlich die Kriterien für eine Stadtwohnung erfüllen würden. Da deren An-zahl jedoch beschränkt ist, gilt das Prinzip «The Win-ner takes it all». Wer eine der Wohnungen bekommt, erhält die ganze Unterstützung, die anderen nichts. Dazu kommt, dass sich das Einkommen der Mieter im Laufe des Mietverhältnisses oft erhöht – und doch können sie meist bleiben. Das ist insofern verständ-lich, da Familien, die in einem Quartier gut integriert sind, nicht einfach weggewiesen werden sollen. Es be-deutet aber auch, dass die Subventionen Menschen zukommen, die nicht (mehr) auf sie angewiesen sind. Auch bei Genossenschaften, die in Städten zwi-schen dreissig und vierzig Prozent der Wohnungen besitzen, ist die Situation suboptimal. Denn die güns-tigen Mieten sind ja nur möglich, weil Genossen-schaften von der Stadt Bauland praktisch geschenkt bekommen. Auch hier: Wer es irgendwie schafft, Mit-glied zu werden, profitiert häufig ein Leben lang von

der tiefen Miete, alle anderen gehen erneut leer aus. Dazu kommt, dass die Aufnahmeprozedere keineswegs transparent sind. Wartelisten führen viele Genossen-schaften schon länger nicht mehr. Geschuldet sind diese Probleme der Art der Mit-telverteilung: Sie geschieht über das Objekt (die Woh-nung), statt über das Subjekt (den Mieter). Könnte allenfalls ein Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinan-zierung die Situation verbessern?  Bei einer Subjektfinanzierung würden sämtliche untersützungsberechtigen Mieter ihre Subvention di-rekt und in Form von Mietgutscheinen erhalten. Vor-aussetzung dafür wäre ein fairer Wohnungsmarkt mit gesetzlichen Maximalrenditen und Vorschriften, was die Durchmischung der verschiedenen Mietniveaus anbelangt. Eine Subjektfinanzierung käme der Allge-meinheit stärker zugute als das aktuelle System: Die Verteilung wäre fairer, die Anzahl der Profitierenden grösser. Kostengünstiger wäre das System jedoch kaum. Dass Subjektfinanzierung funktionieren kann, zeigen Erfahrungen aus dem Krippenwesen, wo die anfänglichen Vorbehalte schon bald abgebaut werden konnten. Mittlerweile gilt das System mit den Betreu-ungsgutscheinen, das die Stadt Luzern als erstes ein-führte, als Modellfall und wird schweizweit kopiert.

14 WIRTSCHAFT

Page 15: PUNKT Stadt/Land

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Page 16: PUNKT Stadt/Land
Page 17: PUNKT Stadt/Land

intelligenteSta dt

intelligenteSta dt

Damit Städte für die Herausforderungen der Zukunft gewapp-net sind, müssen sie haushälteri-scher mit ih-ren Mitteln

umgehen. Die Stadt der Zukunft ist nachhaltig, vernetzt und intel-ligent. Sie ist eine Smart City.

17WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

WIRTS

CHAF

T

Illustration

BORIS

GASSMANN

Text

DAVID

FEHR

Page 18: PUNKT Stadt/Land

Die Verstädterung als Trend zu bezeichnen, wä-re eine Untertreibung. Schliesslich leben ge-mäss Uno-Statistiken bereits seit etwa fünf Jahren mehr Menschen in urbaner Umge-bung als auf dem Land. Noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts war es lediglich ein Drittel. Der Prozess ist keineswegs zu Ende,

bis 2030 soll der städtische Anteil auf sechzig Prozent steigen, zwanzig Jahre später auf siebzig. In der Schweiz und den meisten Ländern Europas ist dieser Urbanisie-rungsgrad bereits heute erreicht. In den USA beträgt er sogar mehr als achtzig Prozent. Diese zunehmende Konzentration macht Städte zu wichtigen Akteuren, wenn es darum geht, die ökologischen und öko-nomischen Herausforderungen der Zu-kunft zu meistern. Zwar unterscheiden sich die spezifischen Ausgangslagen auf-grund unterschiedlicher regionaler Gege-benheiten, doch im Kern ist das Ziel über-all dasselbe: Städte müssen auf begrenztem Raum immer mehr Menschen unterbrin-gen und deren Bedürfnisse befriedigen. Bedürfnisse, die immer grösser werden. So hat sich die Personenverkehrsleistung in der Schweiz seit 1970 mehr als verdoppelt. Gestiegen ist auch der durchschnittliche Wohnflächenbedarf: Betrug er 1980 etwa 34 Quadratmeter pro Person, sind es heute etwa 45. In zwanzig Jahren sollen es gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung 55 sein. Nebst den generell steigenden Ansprüchen gibt es dafür auch sozio-demografische Gründe: Immer mehr Rentner, die nach dem Tod des Partners länger selbständig wohnen, und die Tendenz zu mehr Singlehaushalten.

Die Quadratur des urbanen Kreises Als ob die stei-genden Ansprüche nicht Herausforderung genug wä-ren, sollten Städte ihren Beitrag zur Energiewende leisten. Denn noch sind wir von der angestrebten

2000-Watt-Gesellschaft weit entfernt. Gemäss ETH-Forschern sind es heute 6500 Watt, die ein Schweizer durchschnittlich verbraucht. Gerade Städte sind häu-fig Energieverschwender. Das Bewusstsein, dass sie be-züglich Energieverbrauch grosses Optimierungspo-tenzial bieten, ist zwar vermehrt vorhanden, wird aber nicht immer konsequent in Handlungen übersetzt. Am theoretischen Wissen über Energieeffizienz mangelt es nicht, doch in der Realität muss mit dem gearbei-tet werden, was da ist – aus heutiger Sicht oft ziemliche Fehlplanungen. Weil obendrein die Ressourcen wie fi-nanzielle Mittel, Platz, Zeit, Energie begrenzt sind, liegt

der Fokus darauf, die ak-tuelle Situation mit mög-lichst geringem Aufwand zu optimieren: Mehr Er-trag bei weniger Aufwand – die Quadratur des urba-nen Kreises. Damit diese gelin-gen kann, müssen Städte haushälterischer mit ih-ren Ressourcen umgehen und Ineffizienzen abbau-en. Sie müssen nachhal-tig, intelligent und – um das in diesem Zusammen-hang immer häufiger ver-wendete Adjektiv zu be-nutzen – smart werden.

«Die Smart City ist eine informierte, vernetzte, mobile, sichere und nachhaltige Stadt», formuliert es das Zent-rum für Smart Cities, eine Forschungsgruppe des Fraun-hofer Instituts, die sich mit urbaner Zukunft befasst. Smart kann die Stadt aber nur werden, wenn sie über möglichst viele Informationen verfügt, was sich in ihr abspielt. Erst mit dem Wissen, wo die Ineffizienzen auf-treten, können sie angegangen werden. Um diese Infor-mationen zu erhalten, werden in der Smart City sämt-liche Aktivitäten mithilfe moderner Informations- und

Da die Ressourcen

begrenzt sind, muss die

aktuelle Situation mit

möglichst geringem Auf-

wand optimiert werden.

Mehr Ertrag bei weniger

Aufwand – die Quadra-

tur des urbanes Kreises.

Wie das «intelligente Strom-

netz der Zukunft» in der Pra-

xis aussehen könnte, erprobt

Siemens in Zusammenarbeit

mit Hochschulen und dem

Allgäuer Stromversorger

AÜW in Wildpoldsried,

Deutschland. Dort sorgen

Smart Grids dafür, dass der

Energiefluss in beide Rich-

tungen gewährleistet ist und

der Verbrauch an die Verfüg-

barkeit gekoppelt wird. Das

Geschäft mit den intelligen-

ten Stromnetzen ist lukrativ:

Siemens rechnet für die kom-

menden fünf Geschäftsjahre

mit Aufträgen im Wert von

sechs Milliarden Euro.

18 WIRTSCHAFT

Wirtschaft

Page 19: PUNKT Stadt/Land

Abholstationen, flexible Rückgabemöglichkeiten, un-komplizierte Abrechnungssysteme und faire Preise. Die Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr (ÖV), wo immer möglich, verspricht Linderung, aber keine Lösung. Denn zu Stosszeiten ist dieser ja selber stark überlastet, und ein unendlicher Ausbau ist weder mach- noch finanzierbar. Die Smart City versucht da-rum, die Auslastung der bestehenden Kapazitäten zu er-höhen. Dazu werden die Mobilitätsströme mit Senso-ren gemessen und ausgewertet, im Bedarfsfall werden die Kompositionen verlängert und der Fahrtakt erhöht. Die dynamischen Informationen über Abfahrts- und Ankunftszeiten werden den Benutzern an den Halte-stellen oder per Smartphone mitgeteilt. Die Smart City maximiert die Effizienz der Bewegungen und schafft so mehr Mobilität bei gleich viel Verkehr.

Mobility Pricing und Langsamverkehr Doch selbst Effizienzsteigerungen können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der stetig wachsende Mobilitäts-anspruch auf Dauer nicht zu befriedigen ist. Zu Stoss-zeiten ist der ÖV häufig überlastet, eine Drosselung der Nachfrage ist langfristig unvermeidbar. Umsetzbar ist das mit mehr Kostenwahrheit, sprich Mobility Pricing. Variable Preise, welche die Nachfrageströme lenken – und zwar beim ÖV und dem Strassenverkehr. Dass Road Pricing für Autos funktionieren und das Aufkommen senken kann, ist bekannt. Aber auch beim ÖV ist Mobi-lity Pricing möglich: höhere Preise zu Stosszeiten sor-gen dafür, dass sich die Nachfrage besser auf den Tag verteilt. Wer kann und Geld sparen will – die grösser werdende Anzahl der Rentner ist sicher eine der Ziel-gruppen –, wird ausweichen. Ebenfalls für Linderung sorgen könnten Trends wie vermehrte Heimarbeit und flexible Arbeitszeiten – die 24-Stunden-Gesellschaft generell. Dass «8 to 5» unwichtiger wird, kann für die Rushhour-Problematik der Smart City von Vorteil sein. Mobility Pricing im ÖV bedingt jedoch, dass die Fahrten der einzelnen Kunden bekannt sind. Senso-ren, Mikrochips und Abrechnungssysteme, um das

Kommunikationstechnologien (IKT) gemessen. Die IKT stellen das zentrale Nervensystem der Smart City dar, machen sie überhaupt erst möglich.

Angebots- statt nachfrageorientierte Mobilität Ei-nes der zentralen Themen städtischen Lebens ist seit je-her die Verkehrsplanung. Hier blieb kein Stein auf dem anderen. Noch bis in die Siebzigerjahre war Verkehrs-politik nachfrageorientiert. Die Aufgabe der Behör-den bestand darin, die künftigen Mobilitätsbedürfnis-se zu prognostizieren und die nötigen Infrastrukturen bereitzustellen. Worin diese Nachfrage bestand, davon zeugen die heutigen Stadtbilder: nach Strassen. Die «autogerechte Stadt» der Sechziger- und Siebzigerjahre zeichnete sich dadurch aus, dass sie dem ungehinderten Verkehrsfluss der Autos sämtliche anderen Planungs-massnahmen unterordnete. Es war die Zeit, als man Auto bahnen baute, die mitten ins Stadtzentrum führten und heute noch ganze Stadtteile voneinander abtrennen. Tempi passati. Mit der Reurbanisierung der Städ-te veränderten sich auch die Gewichtungen der Inter-essen, heutige Verkehrspolitik ist angebotsorientiert. Nicht die Bedürfnisse der Automobilisten stehen an oberster Stelle, sondern die «Berücksichtigung der Per-sonenbeförderungskapazität», wie es beispielsweise in der Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich heisst. «Das öf-fentliche Verkehrsnetz stellt zentrale Lebensadern ei-ner Smart City dar», formulieren es die Fraunhofer-For-scher. Im Klartext: Die öffentlichen Verkehrsmittel und der langsame Nahverkehr erhalten wo immer möglich den Vorzug. Vermehrt werden sogar autofreie Siedlun-gen gebaut, bei denen die Mieterschaft per Vertrag auf ein eigenes Fahrzeug verzichtet. Die Zukunft des Au-tos in der Stadt liebt bei Carpooling oder -sharing. Die Effizienzgewinne sind beträchtlich: Ein geteiltes Fahr-zeug kann bis zu zehn private ersetzen und ist erst noch günstiger. Da aber Veränderungen im Mobilitätsverhal-ten meist nicht wegen ökologischer Gründe passieren, müssen die Angebote besser werden. Das bedeutet: gut erreichbare und ins Gesamtverkehrsnetz integrierte

Um die Auslastung des motori-

sierten Individualverkehrs zu

erhöhen, schalteten die USA

während dem Zweiten Welt-

krieg Propagandaplakate.

Heute versucht man mit öko-

nomischen und ökologischen

Argumenten, die Menschen zu

Carsharing zu bewegen.

Autohersteller sehen

sich vermehrt als Mobilitäts-

dienstleister. So auch BMW i,

eine Submarke von BMW, die

mit Mini und Sixt das Carsha-

ring-Konzept DriveNow ins

Leben gerufen haben. Das

Praktische dabei: Abhol- und

Rückgabestation müssen

nicht identisch sein.

19WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

:

Page 20: PUNKT Stadt/Land

SATELLITEN-STADT «GREAT CITY» IN CHENGDU, CHINA

DassausgerechnetinChinadieglobaleModellstadtent-

stehensoll,magaufdenerstenBlicküberraschen.Aufden

zweitennichtunbedingt:NirgendssinddieFolgeprobleme

derUrbanisierunggrösseralsimReichderMitte.Nirgends

sindneueLösungendringendergefragt.DenWegindie

ZukunftebnensolldasProjekt«GreatCity»desamerika-

nischenBürosAdrianSmith+GordonGillArchitecture.Im

neugeschaffenenStadtteilwerdenaufeinerFlächevon1,3

Quadratkilometerndereinst80000Menschenwohnen.In

derGreatCitysollendieBewohnerabernichteinfachnur

wohnhaftsein,sondernleben.DarumsindnebstWohnun-

genauchBüros,Einkaufspassagen,kleineManufakturen

undein«MedicalCampus»geplant–alleszuFusserreichbar

inmaximal15Minuten.EineoptimaleErschliessunganden

öffentlichenVerkehrmachtdenBesitzeineseigenenAutos

überflüssig.DieRaumaufteilungistzukunfsweisend:60%

werdenparzelliert,25%gehenanInfrastruktur,Strassen

undFussgängerstreifen,15%sindParksundderNaturvor-

behalten.KeinBewohnersolllängeralszweiMinutenlaufen

müssen,biserzumnächstenParkgelangt.

Great-City-BewohnersollenimEinklangmitderNatur

leben,nichtgegensiearbeiten.Sowerdenauchbezüglich

Ressourcen-undEnergieeffizienzneueMassstäbegesetzt:

DieGreatCitysoll48%wenigerEnergieund58%weniger

Wasserbenötigen,dabeiaber89%wenigerAbfallprodu-

zierenalseineStadtvergleichbarerGrösse.ArchitektGor-

donGillistbegeistert:«GreatCitysolleinleuchtendesBei-

spieldafürsein,wiedasurbaneLebenderZukunftaussehen

könnteundsollte–inChinaundüberallaufderWelt.»

Page 21: PUNKT Stadt/Land

Konzept in die Praxis umzusetzen, gibt es bereits. Die Frage wird viel eher sein, ob das nicht zu viel des glä-sernen Bürgers ist. Generell ist der Schutz von allenfalls sensiblen Daten eines der Kernthemen für das Funkti-onieren einer Smart City. Das Filetstück künftiger städtischer Mobilität aber ist eindeutig der langsame Nahverkehr, sprich Fussgänger und Fahrradfahrer. Schon länger wird er, wo immer möglich, gefördert und priorisiert. Dass die Häufigkeit des Gebrauchs durchaus auch von der Qua-lität des angebotenen Netzes abhängt, zeigen die fahr-radfreundlichen Städte im Norden Europas. Vorausset-zung, damit der langsame Nahverkehr eine wichtige Rolle spielen kann, ist eine integrierte Stadtplanung, die Arbeit, Freizeit und Wohnen auf engem Raum zu-lässt. Die Smart City ist eine «Stadt der kurzen Wege», so das Mobilitätskonzept der Stadt Zürich. Senioren aktiv unterstützen Auf kurze Wege ange-wiesen ist vor allem eine bestimmte Gruppe, die auch in den Städten immer grösser wird, die Senioren. Um sich ihren Bedürfnissen anzupassen, müssen Städte «altersgerecht» werden. Das bedeutet zum Beispiel, die Fusswege im öffentlichen Raum müssen so beschaffen sein, dass sie einfach zu meistern sind – auch mit einem Rollator. Gefahrenherde wie Schwellen oder Strassen-kreuzungen gilt es zu entschärfen, die Rotphasen der Lichtsignale der geringeren Geschwindigkeit anzupa-ssen. Lauter Kleinigkeiten, die junge Stadtbewohner gar nicht wahrnehmen. Zudem müssen sämtliche Dienst-leistungen wie öffentlicher Verkehr, Einkaufsmöglich-keiten, kulturelle Angebote und Medizinalleistungen einfach und mit «kurzen Wegen» erreichbar sein. Ein weiterer Punkt ist die Infrastruktur der Woh-nungen. «Altersgerechtes Wohnen» steht in engem Zu-sammenhang mit gerontologischer Architektur. Bei dieser fliesst das Wissen um die körperlichen Alterungs-prozesse in den Wohnungsbau mit ein. Allfällige Sturz-gefahren werden eliminiert oder beleuchtet, die Tür-griffe und Steckdosen leicht greifbar gemacht. Kleine Anpassungen mit grosser Wirkung, wie eine Studie der Universität Oxford zeigen konnte. Da durch diese Mass-nahmen eine Vielzahl der Unfälle im Haushalt verhin-dert werden können, sinken die Pflegekosten und der Heimeintritt wird hinauszögert. Das ist auch im Interes-se der Allgemeinheit, schliesslich sind Alters- und Pfle-geheime teuer und entsprechen immer weniger dem Zeitgeist. Künftige urbane Rentner wollen so lange wie möglich selbständig leben – die Smart City ermöglicht es ihnen durch aktive Unterstützung auf allen Ebenen. Dazu gehören auch die Aktivitäten der Verwal-tung. Damit die älteren Stadtbewohner möglichst lan-ge am öffentlichen Leben teilhaben können, sind sie bedarfsgerecht zu informieren. Die altersfreundliche Stadt nimmt aktiv Einfluss auf das Leben der Senioren und sorgt dafür, dass die verschiedenen Angebote leicht zugänglich sind und untereinander vernetzt werden. Eine Vorreiterrolle nimmt die Stadt Bern ein, Initian-tin des «Schweizer Netzwerks altersfreundlicher Städ-te». Die noch junge Plattform – die Gründung erfolgte

im November 2012 – will den interstädtischen Dialog unter Fachleuten forcieren, die auf irgendeine Art vom Thema «Wohnen im Alter» betroffen sind. Ein Beispiel für ein solches aktives Vorgehen ist das Projekt «Paten-grosseltern – Begegnungen zwischen Generationen» der Stadt Bern. Das vor kurzem ins Leben gerufene Pro-gramm führt aktive Senioren mit Kindern, die keine ei-genen Grosseltern haben, zusammen. Wenn Städte in Zukunft nicht einfach zu einer Ansammlung von alten und sozial isolierten Men-schen verkommen wollen, müssen sie deren Lebens-qualität erhöhen und sie aktiv ins Sozialleben einbin-den. In der Smart City werden alte Mitbürger nicht als Last wahr genommen, sondern als Ressource. Sie bleiben immer länger fit – und vor allem verfügen sie über die Ressource, die überall sonst knapp ist: Zeit.

Grüne Energie, effizient genutzt Eine andere Re-ssource, die in der intelligenten Stadt effizienter ge-nutzt werden muss, ist Energie. Da nirgends so viel von ihr verbraucht (und eben auch verschwendet) wird wie in Städten, ist grosses Optimierungspotenzial vor-handen. Wie gross dieses ist, zeigt das «Weissbuch der 2000-Watt-Gesellschaft» der ETH Zürich. Gemäss den Forschern könnte die Energieeffizienz um den Faktor fünf gesteigert werden, wenn im Gebäudebereich und in der Mobilität die jeweils besten Technologien eingesetzt würden. Doch dazu müssten die politischen und ökono-mischen Rahmenbedingungen optimiert werden. Was sie unter anderem meinen, ist der Gebäudebestand der Schweiz, der zu drei Viertel älter ist als dreissig Jahre – dementsprechend ungenügend ist die Energiebilanz der Bauten. Hier können gezielte Sanierungen Abhilfe schaffen, bei Neubauten sorgen verdichtetes Bauen und der Minergie-Standard für einen tieferen Verbrauch. Die Zukunft sind Null-Energie-Siedlungen, die ihren Bedarf komplett aus Sonnenenergie speisen.

21WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

44

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Page 22: PUNKT Stadt/Land

Aber nicht nur bei Gebäuden muss die Effizienz erhöht werden. Denn egal, welche Stelle der Energiever-sorgungskette betrachtet wird: überall bestehen Mög-lichkeiten, die Ausbeute zu erhöhen. Dabei helfen in-telligente Stromnetze, sogenannte Smart Grids, die nicht nur Energie transportieren und speichern, son-dern auch Informationen über den Verbrauch sowie die Kosten liefern und eine optimale Ressourcenallokation vornehmen. «In Smart Cities tauschen Haushalte und Energieversorger für den Verbraucher transparent Da-ten und fördern so einen bewussten Stromverbrauch. Intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter, wer-den bereits heute eingesetzt und ermöglichen es dem Verbraucher, in Echtzeit seinen Stromverbrauch je nach Tarifhöhe flexibel zu gestalten», schreiben die Forscher des Fraunhofer Instituts. Je grösser der Anteil der er-neuerbaren Energien wird, desto grösser werden die Schwankungen in der Produktion – und somit auch die Preisunterschiede. Mehr Kostenwahrheit beim Ener-gieverbrauch fördert einen bewussten Umgang mit der Ressource und verbessert die CO2-Bilanz. Die Smart City lässt zudem keine mögliche Energiequelle unge-nutzt: Recycling, Photovoltaik, Abwärme, allenfalls so-gar Energie aus Trottoirs und Strassen. Doch eben: Städte werden nicht am Reissbrett ent-worfen, sondern sind so, wie sie über die Jahrzehnte ge-macht wurden. Dazu kommt, dass die geforderten Um-bauten und Anpassungen längst nicht alle finanzierbar sind. Oft stellt sich obendrein die Frage, welche der vor-geschlagenen Massnahmen unter Berücksichtigung von Investitionskosten, grauer Energie und Lebens-dauer die beste ist. So oder so: Der Weg zur angestrebten 2000-Watt-Gesellschaft ist lang, 4500 Watt lang.

Vernetzte und öffentliche Informationssysteme Un-terstützt wird der smartere Umgang mit Energie durch das zeitnahe Informationsnetz, das sämtliche Bewegun-gen aufzeichnet und auswertet. «Im Zentrum steht nicht mehr die einfache Verbindung zwischen zwei Personen oder Endgeräten, sondern die Vernetzung unzähliger Nutzer, Geräte und Systeme untereinander über das mo-bile Internet», so das Fraunhofer Institut. Dazu zählen In-formationen über Personen- und Fahrzeugbewegungen genauso wie jene über Strassen, Gebäude, Waren, Abfall-systeme oder Haushaltsgeräte. Alles, was sich irgendwie bewegt, ist von Belang. Die Aufgabe der Smart City ist es, die ausgewerteten Daten in energiesparende und effizi-enzsteigernde Massnahmen umzuwandeln. Die gesammelten Daten sollen aber nicht nur der Verwaltung helfen, die Effizienz des städtischen Lebens erhöhen, sondern den Bürgern zugänglich ge-macht werden. Dazu werden Plattformen eingerich-tet, auf denen die Datensätze heruntergeladen werden können. Diese Angebote, die unter dem Begriff «Open Government» laufen, werden in Zukunft einen Teil der Standortattraktivität einer Stadt ausmachen. Dass dar-in durchaus Potenzial steckt, zeigt «Open Data Berlin», das 2011 gestartete Pilotprojekt der Stadt Berlin in Zu-sammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut. Aktuell ste-hen auf dem Portal 91 Datensätze aus 19 verschiedenen

Kategorien – unter anderem Wohnen und Arbeiten, Verkehr, Lärm- und Feinstaubbelastung, Mietniveau oder das Verhalten politischer Entscheidungsträger – bereit. Bürger können mit diesen Daten herumspie-len und Applikationen für Smartphones entwickeln. So entstanden im Berliner Pilotprojekt bereits mehre-re Anwendungen. Etwa eine Karte, die die Ozon- oder Fluglärmbelastung nach Stadtteilen aufzeigt, eine Ber-linwahlkarte und eine Wheelmap, die eine Übersicht über rollstuhlgerechte Orte in der Stadt bietet.

Zukunft ist Jetzt! Auch Schweizer Städte sind bereits aktiv im Bereich Open Government Data. Zürcher ha-ben die Auswahl aus mittlerweile fast hundert Datensät-zen. Daraus entstanden ist «Entsorgung Zürich», eine App für Android, welche die Termine der verschiede-nen Entsorgungsdienste aufbereitet. «Die Bereitstel-lung solcher Daten sind unverzichtbar, um neue inter-netbasierte Dienste anbieten zu können. Die verstärkte Transparenz soll die Bürgerbeteiligung in urbanen Räu-men erhöhen», heisst in der Richtlinie «Re-Use of Pu-blic Sector Information» der EU. Für Mitglieder sind solche offenen Datennetzwerke darum nicht freiwil-lig, sondern Pflicht. Dasselbe Ziel verfolgt opendata.ch, die Schweizer Sektion der «Open Knowledge Foundati-on». Die Aktivisten fordern, der Öffentlichkeit sämtli-che Daten zugänglich zu machen. «Transparenz ist ein Mindeststandard. Nur zwingende Gründe wie der Per-sönlichkeitsschutz berechtigen zu Ausnahmen», steht in ihrem Manifest. Der mögliche Nutzen ist schlicht zu gross, «die Informationsgesellschaft kann es sich nicht leisten, Innovationspotenzial schlummern zu lassen.» Der Prozess des Open Government hat erst begonnen. Wie die Integration in den Alltag der Bürger im De-tail aussehen wird und ob damit die Bürgerbeteiligung wirklich erhöht werden kann, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass die Smart City nur effizient funktio-nieren kann, wenn sie eine Unmenge an Daten zur Ver-fügung hat. Daten, die je nach Situation ziemlich viel über das Verhalten und die Lebensweise der Bürger aussagen – und somit Missbrauchspotenzial bieten. Ein Konflikt, der mit geeigneten Massnahmen entschärft, aber nicht gelöst werden kann. Die technischen Voraus-setzungen für Smart Cities sind gegeben. Das Aufglei-sen der zur Umsetzung nötigen Massnahmen, ist nun die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger. Denn – wie das Zentrum für Smart Cities richtig bemerkt – «Zukunft ist Jetzt!» Wann sonst.

22 WIRTSCHAFT

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Page 23: PUNKT Stadt/Land

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Page 24: PUNKT Stadt/Land

24 WIRTSCHAFT

Page 25: PUNKT Stadt/Land

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Ein Unternehmen hält die Schweiz zusammen und spannt sein gigantisches Netz über das ganze Land: Die Rolle der schweizerischen Post zwischen dem alternden Briefmarkt und den neuen digitalen Herausforderungen.

Die Post, der gelbe Riese, gehört zu den mächtigsten Unterneh-men der Schweiz. Auf der Rangliste der Firmen mit dem grössten Umsatz belegt sie immerhin Rang 22, nach Anzahl Mitarbeitenden gemessen findet sich die Post sogar in den Top-10. Wer sich bewegt, arbeitet oder Geld anlegen will, kommt an der Schweizerischen Post kaum vorbei. Eigentümerin ist die Schweizer Eidgenossenschaft, die dem Unternehmen genau vorschreibt, welche Leistungen erbracht und welche Ziele erreicht werden müssen. Grob gesagt will die Post Menschen, Güter, Geld und Informationen bewegen. Die Post soll «qualitativ hochstehende, marktfähige und innovative Produkte und Dienstleistungen» anbieten, «damit ein rentables Wachstum gene-riert und durch Effizienzsteigerungen die Ertragskraft des Unterneh-mens» gestärkt werden kann. Als oberstes Ziel der Firma gilt die pos-talische Grundversorgung der Schweiz. Die Politik ist sich bis heute weitgehend einig, dass diese nur dann von der Post selber finanziert werden kann, wenn der Markt geschützt wird. Das Monopol, das sie auf Briefe unter fünfzig Gramm Gewicht hat, entspricht einem Anteil von 89 Prozent aller Briefsendungen. Ebenfalls zum Hauptauftrag gehört eine gute Erreichbarkeit der Poststellen. Gesetzlich festgehal-ten ist, dass neunzig Prozent der Bevölkerung innert zwanzig Minu-ten eine der 3607 Poststellen oder -Agenturen zu Fuss oder mit dem Öffentlichen Verkehr erreichen können müssen. Die Post ist nicht nur für die Kunden wichtig. In internen Pa-pieren ist genau geregelt, wie sie wirtschaften soll und wie sie zu ih-ren knapp 45 000 Mitarbeitenden mit einem Durchschnittslohn von gut 81 000 Franken steht. Um die Randregionen zu stärken, arbeiten in Gemeinden wie Zofingen, Ostermundigen, Kriens, Sitten oder Gos-sau über 18 000 Personen für die Post. Obwohl diese weiss, dass es bei einem Fünftel dieser Stellen ökonomisch keinen Sinn macht und in-effizient ist, wenn sie in der Peripherie angeboten werden. Doch die Post will bewusst zwischen Stadt und Land, zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen ausgleichen, um so die föderalen Strukturen der Schweiz zu stärken.

Online-Shopping stützt Paketmarkt Der Markt mit Gütern und In-formationen kann zurzeit noch zusammengefasst werden. In Zei-ten der Digitalisierung und Globalisierung dürfte das aber nicht

25WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

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immer so bleiben. Briefe transportieren In-formationen, Pakete sind für die Güter zustän-dig. Die jüngsten Zahlen deuten darauf hin, dass der physische Transport von Informati-onen ein Auslaufmodell sein könnte: Wurden im Jahr 2005 noch 2831 Millionen Briefe ver-schickt, waren es im Jahr 2011 nur noch 1969 Millionen. Das sind pro Tag zwar immer noch knapp 5,4 Millionen Briefe, doch die Anzahl schrumpfte in nur sechs Jahren um über drei-ssig Prozent. Bei den Paketen ist ebenfalls ein Rückgang auszumachen, allerdings weit we-niger dramatisch als bei den Briefen. Im glei-chen Zeitraum ging die Anzahl der versand-ten Pakete von 105 auf 97 Millionen zurück – ein Minus von knapp acht Prozent. In den letzten beiden Jahren konnte dieser Rückgang gebremst werden. Zurzeit geht der Brief- und Paketversand jährlich um ein Prozent zurück, wodurch sich der Einnahmeüberschuss um zehn Millionen Franken reduziert. Das boomende Online-Shopping könn-te in den kommenden Jahren dazu führen, dass wieder vermehrt Pakete verschickt wer-den. Der Verband des Schweizerischen Ver-sandhandels geht von einer Zunahme von ungefähr vier Prozent pro Jahr aus. Nicht ver-gessen werden darf die Liberalisierung des Paketmarktes im Jahr 2004: Obwohl sich die Marktstrukturen seither nicht signifikant ver-

ändert haben, erzielen die Mitbewerber wie DHL und DPD, die für ihre Arbeit eine Kon-zession benötigen, zusammen einen Markt-anteil von 17 Prozent. Niemand will die personalisierte Zeitung Rentabel sind alternative Formen des Versan-des: Werbung und Zeitungen. Mit «Promo-Post» können Werbekunden ihre Zielgrup-pen sehr genau nach soziodemografischen Merkmalen über das Internet auswählen

und die Briefkästen mit ihren Flyern füllen. Parteien nutzen das Angebot in Zeiten des Wahlkampfes flächendeckend für die ganze Schweiz. Auch Pizzakuriere füllen die Brief-kästen, vorzugsweise von jungen Männern in ihrem Quartier, um an neue Kunden zu ge-langen. Mit dem Versand von Zeitungen ver-dient die Post ebenfalls und setzt gleichzeitig die gesetzlich verankerte indirekte Presse-förderung um. Trotz sinkender Gesamtaufla-ge der Schweizer Zeitungen konnte die Post im Jahr 2011 1342 Millionen Zeitungen auslie-fern – gegenüber 1201 im Jahr 2005. Die Post versuchte im Zeitungsmarkt sogar innovativ zu sein – und scheiterte kläglich. Der Pilotver-such «MyNewspaper» wurde nach nur einem Jahr wieder eingestellt. Zeitungsleser konn-ten aus verschiedenen Blättern die bevorzug-ten Inhalte (Bunde) wählen und so ihre per-sönliche Zeitung zusammenstellen. Da jedoch

nicht alle grossen Verlage bei diesem Test mit-machten, konnte die Nachfrage nie auf das ge-wünschte Niveau gehoben werden. Sehr erfolgreich ist die Post hingegen bei den Finanzen. Die PostFinance wird noch in diesem Jahr in eine AG umgewandelt, und wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllt, er-hält sie kurz danach die Bankenbewilligung. Für diese Schritte ist schon alles vorberei-tet. Der Verwaltungsrat ist bereits gewählt und klar ist auch, dass PostFinance als AG im

Besitz der Post und damit im Besitz der Eid-genossenschaft bleibt. Die Bank in Spe ist derart erfolgreich, dass sie nur eine rückläu-fige Zahl ausweisen muss: Die Anzahl der angenommen Einzahlungen an den Post-schaltern gingen zwischen 2005 und 2011 von 230 auf 189 Millionen zurück. Alle an-deren Zahlen belegen den Aufstieg des Fin-anzunternehmens. Im Krisenjahr 2008 be-trug der Gewinn 235 Millionen Franken, drei Jahre später waren es schon 591 Milli-onen. Der Personalbestand wächst stark, das Kundenvermögen hat sich in den letzten sechs Jahren mehr als verdoppelt und die Zahl der Kundenkonten stieg von 1980 bis heute von knapp unter einer Million auf fast 4,5 Millionen an.

Beinahe bereit für die Gegenwart Trotz der guten Verfassung der schweizerischen Post kann sich die Unternehmensführung um Verwaltungsratspräsident Peter Hasler nicht zurücklehnen. Die Preise werden beispiels-weise von der neuen Regulierungsbehörde PostCom überwacht. Die Post muss sich mit eigenen Kräften finanzieren, darf die Prei-se aber nicht höher als kostendeckend fest-legen. Sollte die Grundversorgung trotz den Gewinnen der PostFinance die Ressourcen übersteigen, kann ausnahmsweise ein Kos-tenausgleich eingerichtet werden. Bisher be-stand dazu jedoch kein Bedarf. Neben dem Kostendruck droht der Post eine weitere Li-beralisierung ihres Marktes. Obwohl sie wei-terhin faktisch eine Monopolstellung inne hat, neue Wettbewerber Mühe haben und der Markteintritt einer Studie zufolge sehr begrenzt ist, drängen Akteure wie Econo-miesuisse vehement auf eine vollständige Liberalisierung des Postmarktes. Chancen dürften die Wirtschaftsvertreter in naher Zukunft keine haben. Für Mitstreiter ist es bei dieser Marktsituation schlicht zu teuer und zu umständlich, eine mit der Post ver-gleichbare Stellung zu erreichen. Interessanter wird die Frage, wie in-novativ die Post auf die Herausforderungen der Digitalisierung und der Globalisierung reagieren wird. Die ersten Versuche sind noch in den Kinderschuhen und hinterla-ssen keinen sehr kräftigen Eindruck. Die SuisseID beispielsweise soll «die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für den elektronischen Geschäftsverkehr» schaf-fen. Bisher hat der Dienst aber weder grosse Aufmerksamkeit, noch einen grossen Kun-denstamm erreicht. Doch wenn die Ange-bote ausgebaut, vereinheitlicht und einfach nutzbar sind, ist die Post für die Gegenwart gewappnet.

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PUNKTMAGAZIN War die Gründung eine Bieridee oder von langer Hand geplant?ADRIAN BÜHRER_ Die Idee für Skim kam mir schon während der Zeit bei students.ch. Dort ha-be ich festgestellt, dass es unter den Mitgliedern ein grosses Bedürfnis gab, einander kennenzu-lernen. Allerdings ist dies im Netz nicht immer einfach. Sinnstiftend war auch das uralte Ra-vensburger Brettspiel «Sympathie», das uns sehr gefallen hat. Spielerisch, spannend, zu Gesprä-chen anregend, aber nie plump oder indiskret.

Ihre Vision? Es wäre schön, wenn wir unse-re Präsenz zusammen mit einem Investor welt-weit ausbauen könnten. Unser Ziel sind rund ei-ne Million Spieler weltweit. Wir sind auf gutem Weg, derzeit melden sich jeden Tag rund 150 bis 300 neue Personen an.

Wie viele Seiten umfasst Ihr Businessplan? Spielt er im Alltag eine Rolle? Unser Busi-nessplan ist vor allem ein Budget in Form einer Exceldatei. Im Alltag spielt sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

War es einfach, an Kapital zu kommen? Die erste Startfinanzierung konnte ich sehr schnell schliessen. Nun führen wir Gespräche mit Inves-toren, welche die Internationalisierung und das schnelle Wachstum finanzieren.

Was war rückblickend die grösste Herausfor-derung? Skim ist zum Glück nicht mein erstes Start-up. Aber es ist jedes Mal wieder ein Aben-teuer. Viele Annahmen muss man schweren Her-zens wieder über den Haufen werfen. Und alles dauert länger als geplant und ist obendrein meist komplizierter.

Wie gehen Sie mit Herausforderungen um? Ich packe sie an und versuche, sie zu lösen.

Was war der grösste Misserfolg? Zum Unter-nehmertum gehören Misserfolge dazu. Nur wer in Kauf nimmt, auch mal einen Misserfolg zu haben, kann Erfolg haben. Oder wie es der Eishockeyspie-ler Wayne Gretzky einmal so schön formuliert hat: «You miss 100 per cent of the shots you don’t take.»

Das Ärgerlichste, das Sie bisher erlebt haben? Ich bin ein sehr positiver Mensch und är-gere mich über Menschen, die immerzu kritisieren und destruktiv sind. Wer selber einmal eine Fir-ma gegründet und Verantwortung für Mitarbei-ter übernommen hat, weiss: Konstruktiv zu sein, etwas zu erschaffen und Lösungen anzubieten ist viel schwieriger, als alles kaputtzureden.

Was sind die Erfolgserlebnisse? Unterneh-mertum birgt viele schöne Erlebnisse: die erste Gründung auf dem Notariat, der erste Mitarbei-

ter, ein zufriedener Kunde oder der erste Inves-tor. Mittlerweile durfte ich auch schon zwei Fir-men verkaufen – auch das macht enorm Freude und spornt an.

Was würden Sie tun, wenn Ihr Unterneh-men morgen Pleite ginge? Halt, so schnell geht das in der Regel nicht. Da müsste in der Buchhaltung zuerst etwas extrem schief gegan-gen sein. Im Ernst: Mir selber ist das zum Glück nie passiert, aber ich finde, man muss auch scheitern dürfen. Ich bewundere Menschen, die gefallen sind und sich danach wieder aufge-rappelt haben.

Wie lautet Ihre Devise als Unternehmer? Montieren geht über Studieren. Oder anders ausgedrückt: Einfach mal machen statt lange grübeln.

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche? Ich zähle die Stunden nicht und ich kann auch nicht immer genau unterscheiden, was Arbeit ist und was Vergnügen. Angenehmerweise ver-schmilzt das oft.

Und zum Schluss: Wer sind Sie eigentlich? Ich bin Unternehmer, manchmal auch Inves-tor oder Berater. 35 Jahre alt, begeisterter Surfer und glücklich liiert.

BÜHRERADRIAN

SKIM.COM2011

ONLINESPIELAdrian Bührer ist Online-Unternehmer mit Herz und Seele. Seit er mit drei Kollegen vor über zehn Jahren die nach wie vor beliebte Webseite students.ch gründete, hatte er bei über zehn Firmen die Finger im Spiel – sei es als Gründer, Investor oder Berater. Aktuell treibt er skim.com voran, ein witziges Spiel, um auf einfache Art neue Leute – egal ob vom Land oder aus der Stadt – kennenzulernen.

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BAUER AM BILDSCHIRMTextSTINE WETZELBildFARMING SIMULATOR

Der Zürcher Spielentwickler Giants Software setzt auf Ackerbau und erntet gute Zahlen: Bereits über drei Millionen Mal wurde ihr Landwirtschafts- Simulator verkauft, die Fangemeinschaft wächst laufend. Sind das alles Bauernromantiker?

Der Hahn kräht dem Sonnenaufgang entgegen. 6 Uhr 30 – Zeit, die Kartoffeln zu ernten. Ein muskulöser Typ in Latzhose steigt in die Kabine des Tectron 415, dem Kartoffelvollernter. So oder so ähn-lich startet der Tag auf dem virtuellen Bauernhof der Firma Giants Software. Die offizielle Facebook-Seite des Spiels hat eine 126 500 Kopf starke Community. Mit jeder Woche, in der die vierte Version des Simulationsspiels die Game-Charts anführt, wird die Communi-ty grösser. Hinzu kommen zahlreiche inoffizielle Fan-Pages, auf de-nen Spieler posten, wie sie mit Strohballen auf dem Anhänger dem Sonnenuntergang entgegen fahren und was sie für einen Fuhrpark vor der Scheune haben. Ist das die Sehnsucht nach Landidylle als Gegenentwurf zur urbanisierten Gesellschaft? Folgt nach der Pixel-Annexion der Städte (der Klassiker «Sim City 2000» von 1994 hat es sogar als eines der ersten 14 Videospiele ins MoMA geschafft und ist damit Zeugnis für die Anerkennung des Games als Kunstform) nun das Land? Das Simulationsspiel hat sich allein im Handel welt-weit schon drei Millionen Mal verkauft, der Grossteil davon auf dem europäischen Markt. Warum? Das ist ein kleines Rätsel. In zweiten Stock eines Industrieblocks in Schlieren sitzen die vier Inhaber von Giants Software vor ihren Monitoren: Renzo Thö-nen, Christian Ammann, Stefan Geiger und Thomas Frey, alle um die dreissig herum. Derzeit beschäftigen sie neun Mitarbeiter – und ei-ne ganze Reihe Freelancer in Osteuropa und Asien, die die hundert lizensierten Landmaschinen von Horsch und Co. fürs Videospiel modellieren. «Fliessbandarbeit», meint Thomas Frey, 31, Streifenpul-lover, kurze Jungenfrisur, leuchtende Augen. Für die 2009er-Versi-on hat er die Traktoren noch selbst modelliert, jetzt hat er keine Zeit mehr dafür, schliesslich ist aus dem Nerd-Projekt ein Unternehmen geworden, das geführt werden muss.

Faszination Traktorfahren «Mit dem Erfolg haben wir nicht ge-rechnet», sagt Thomas Frey. Ist das Pose? Wenn er erzählt, wie aus ein paar Studenten – er schloss 2008 an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) den Bachelor in Game Design ab – ein erfolgreiches Start-up-Quartett wurde, klingt es, als wäre alles «einfach so» pas-siert: 2007 hat ein Freund die Idee zum Simulator, der in der Wohn-gemeinschaft programmiert wird, den Prototypen stellen sie ins

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Netz. Der deutsche Publisher Astragon, der schon ein breites PC-Simulatoren-Portfolio vertreibt, wird auf die Schweizer aufmerksam. Heute ist der Landwirtschafts-Simulator Spit-zenreiter unter den Astragon-Simulatoren, die sich sonst im mittleren fünfstelligen Be-reich verkaufen. 2011 erhielt Giants Software sogar den Deutschen Entwicklerpreis für die beste Simulation. Im letzten Jahr war die Soft-warefirma für den Jungunternehmerpreis des Swiss Economic Forums nominiert – nicht zuletzt für die eigene Technologie «Giants Engine». Auf den Traktor aufgesprungen ist die bayrische Firma UIG GmbH 2011 mit ei-nem ganz ähnlichen «Agrar-Simulator». Ver-kauft hat er sich allerdings nur 200 000 Mal. Der Argwohn gegenüber dem Trittbrettfah-rer ist einem müden Lächeln gewichen: «UIG versucht uns mit gut klingenden Features ei-ne Nase voraus zu sein. Die sind dann aber so schlecht umgesetzt, dass wir uns keine Sorgen machen», so Thomas Frey. Den Rang scheint ihnen niemand so schnell abzulaufen. Wie hoch ihr Umsatz derweil ist, will Thomas Frey aber nicht verraten. Überhaupt hält sich die Spielindustrie, was Zahlen anbelangt, bedeckt. Auch konkrete Nutzerdaten fehlen bis-lang. Thomas Frey schätzt, dass die Hälfte der Spieler Kinder und Jugendliche sind – weil El-tern das Traktoren-Spiel mit der Altersfreigabe ab null Jahren für unbedenklich und garantiert gewaltfrei halten. Kulturell ist das Spiel der lo-gische Anschluss an die Modelleisenbahn und die Fortführung der kindlichen Faszination für grosse Maschinen. Die andere Hälfte sind Ga-mer 30+, die sich im Multiplayer-Modus bewe-gen und die Foren füllen. Etwa Sascha Hufna-gel, 34, IT-Fachinformatiker und in der Freizeit «Mods-Bastler»: Der Landwirtschafts-Simula-tor ist nämlich kein Status-Quo-Spiel, es kann mit sogenanntem «Modding» verändert wer-den. Tüftelfreunde wie Sascha Hufnagel kön-nen Elemente der Spielwelt selbst nachbauen und ins Spiel einbinden. So wird aus dem Spie-ler ein «Prosumer» – Produzent und Konsu-ment in einem. «Für mich ist es ein Highlight, wenn eine von mir gebaute Karte an den Start geht und ich positives Feedback von den ande-ren Spielern bekomme», meint Hufnagel. Auch René Bauer, Dozent für Game Design an der ZHdK, Indie-Pop-Frisur und Brille, sieht hier-in einen Erfolgsfaktor: «Modding ist ein ausge-zeichnetes Mittel fürs Community-Building. Es bindet die Kunden ans Produkt.»

Neuland Der Dozent sitzt im GameLab – ei-nem Jungenspielzimmer. Die Wände voller Poster und Skizzen, regalhoch stapeln sich die Spiele. René Bauer kann sich nur wundern über die Verkaufsschlagkraft des Simulati-

onsspiels: «Hätte man aufgrund Marktana-lysen einen Simulator entwickeln wollen, wäre dabei nicht der Landwirtschafts-Si-mulator herausgekommen», meint er. Ob-gleich man in diesen Räumen Zugsimula-tor und Abschlepp-Simulator im Vergleich zu ausgeklügelten Fantasy-Welten belächelt, hat der Dozent eine Theorie, warum sie den-noch ihr Publikum haben: «Landwirtschaft ist wie viele andere Bereiche in unserer Ge-sellschaft nicht mehr jedem zugänglich, fast schon eine fiktionale Welt. Die einzige Mög-lichkeit, Erfahrung auf dieser Terra incogni-ta zu machen, ist die Simulation.» Ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen, ver-steht sich. Das erklärt jedoch nicht, warum auch Landwirte den Landwirtschafts-Simu-lator spielen, wie bei einer Umfrage heraus-kam. «Das Spiel funktioniert wahrschein-lich so gut, weil verschiedene Nutzungen möglich sind», vermutet Bauer. Was er damit meint, ist die Unterscheidung von «Game» und «Play». Während die einen ziellos mal ein bisschen Mais dreschen oder durchs Dorf tuckern (Play), gehen andere strate-gisch vor, verkaufen den Ertrag, erwerben neue Landmaschinen (Game). Damit wer-den gleich zwei Nutzergruppen abgeholt. Dass das auf dem PC bei einer fast flächendeckenden Gerätedichte zieht, hat sich gezeigt. Der Spieleentwickler bliebe jedoch auf den Lorbeeren sitzen, würde er nicht langsam andere Game-Trends bedie-nen (und digitale Distributionswege ge-hen). Spielkonzepte für mobile Geräte et-wa. Auch dieses Wachstumsfeld beackert Giants Software erfolgreich: mit einer App für Apple iOS seit letztem August und neu-erdings auch für Android. Erst mal auf Eis gelegt ist der bereits entwickelte Prototyp für Facebook, weil das Interesse an Free-to-Play-Spielen zu schwinden scheint. Als sta-bil hingegen gilt der Konsolenmarkt; des-halb hat der Entwickler die erste Version für Xbox 360 und PlayStation3 in der Pipeline. «Wir wissen nicht, ob wir damit Erfolg ha-ben werden. Es ist wieder ein Experiment», meint Thomas Frey. Ein Blindflug? Wohl kaum. Eher Wachstumsstrategie. Die Fra-ge ist, ob die Adaption gelingt. Denn jedes Medium verbindet sich mit einer anderen Nutzerkultur – eine simple Feststellung, die umzusetzen aber die einen oder anderen Bauchschmerzen bereiten dürfte. «Es wird spannend», meint auch René Bauer, «ich bin mir nicht sicher, ob der Landwirtschafts- Simulator genug für den Konsolenspieler hergibt». Der Konsolen-Release im April wird zeigen, ob die Ernte verhagelt wurde oder einen erneuten Superertrag bringt.

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DAS GUTE LEBENIM DORFTextFLORIAN SCHAFFNER BildBORIS GASSMANN

Es ist keine sechs Jahre her, da herrschte im kleinen Städtchen Lichtensteig Untergangsstimmung: Das Gewerbe verabschiedete sich und die Bevölkerung verlor den Bezug zu ihrer Heimat. Eine Geschichte über die Wiederbelebung eines Städtchens.

Dass der Wahlkampf um den Posten des Lichtensteiger Stadt-präsidenten im Herbst 2012 derart hart geführt werden würde, hatte niemand erwartet. Die CVP entschied sich gegen ihren eigenen Kan-didaten und ihr Präsident verschickte gar Rundbriefe, in denen er die Qualifikation des parteiinternen Kandidaten anzweifelte. Der ab-tretende Stadtpräsident Roger Hochreutener beklagte sich, die Sach-politik sei links liegen gelassen worden. Das «Toggenburger Tagblatt» sprach vom spannendsten Wahlkampf in der Region. Nicht dass der Ausgang der Wahl knapp gewesen wäre – der parteilose Mathias Müller schlug seinen CVP-Gegenkandidaten Ste-fan Rosenblum mit 517 zu 292 Stimmen. Aber dass sich der Wahl-kampf in einem 2000-Seelen-Ort über neun Monate hinzieht, wäh-rend auf Bundesebene alle schon nach der Hälfte dieser Zeit genug zu haben scheinen, ist aussergewöhnlich. Zumal noch zu Roger Hochreuteners Amtsantritt anfangs 2006 wohl viele erleichtert wa-ren, dass sich jemand zur Verfügung stellte, um Lichtensteig aus sei-nem Schlamassel zu befreien. Kaum einer konnte erwarten, dass sich der Ort innerhalb von sechs Jahren so stark wandeln und derselbe Posten so hart umkämpft sein wird.

Land für Städter Lichtensteig zählt 1928 Einwohner und liegt im Toggenburg, zwischen Wattwil und Bütschwil. Stolze Einwohner re-den von der «Stadt» Lichtensteig, etwas bescheidenere vom «Städtli». Wer aus Zürich anreist, dem kommt beides überrissen vor – selbst das viermal grössere Wattwil nebenan gesteht auf seiner Website ein, bloss für Ländler eine Stadt, für Städter aber Land zu sein. Die 10 000 Einwohner, um in der Schweiz statistisch als Stadt zu gelten, erreichen beide nicht. Lichtensteig fällt zwischen Stuhl und Bank – zu klein, um in nationalen Raumplanungsdiskussionen erwähnt zu werden, zu gross, um es in die Kategorie «Akut vom Aussterben be-drohte Dörfer» zu schaffen. Es liegt in der Kategorie jener ländlichen Regionen, deren Bevölkerung seit drei Jahrzehnten schrumpft, wäh-rend die urbanen Regionen des Landes stetig wachsen. «Periphere

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Wirtschaft

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Gebiete stehen unter Druck, kleinere Ge-meinden müssen ihre Position neu bestim-men», sagt Daniel Müller-Jentsch, Projekt-leiter bei Avenir Suisse. Über sechzig Prozent der Wirtschaftsleistung werden inzwischen in den fünf Metropolitanregionen Genf/Lau-sanne, Bern, Basel, Zürich und Tessin erwirt-schaftet, die nur zehn Prozent der Landesflä-che ausmachen. Wer die Schweiz mitgestalten will, orientiert sich an diesen fünf Drehschei-ben; der Rest sind Abstellgleise. Diesen Druck bekam Lichtensteig zu spüren. «Unser Städtli erfüllte früher wichti-ge Zentrumsfunktionen im Toggenburg», sagt Mathias Müller (Bild oben), frischgebackener Stadtpräsident. Das ist eine ganze Weile her; zu dieser Zeit war der heute 30-Jährige noch nicht einmal geboren. «Über die letzten dreissig Jahre kam es aber zu einem Wechsel, vor al-lem im Detailhandel. Migros, Coop, und Jum-bo haben alle in Wattwil gebaut, auch weil in

Lichtensteigs Altstadt der Platz nicht vorhan-den war und sich das Gewerbe gegen die Gro-ssen gewehrt hat. In der Industrie gab es ähnli-che Verschiebungen. Der Fokus hat sich nach Wattwil verschoben, Lichtensteig geriet in ei-nen Abwärtsstrudel.» Läden wurden geschlos-sen, Immobilienpreise sanken, Sanierungen wurden aufgeschoben. Zwei Drittel der Res-taurants schlossen ihre Küchen, die Steuerein-nahmen brachen ein. Einzig das Loch in den

Gemeindefinanzen wuchs. «Der Gemeinderat und die Gewerbler nahmen verschiedene Ini-tiativen in die Hand, organisierten Abendver-käufe und Märkte», sagt Müller, «aber irgend-wann machte sich Resignation breit.»

Ground Zero Mit einem Jahresdefizit von einer halben Million Franken erreichte Lich-tensteig 2006 den Tiefpunkt. Dann kam Ro-ger Hochreutener (Bild oben), der «Ungedul-dige», der «Sanierer». Jener, der das Städtlein aus der Vergessenheit und bis in die Schlag-zeilen des Schweizer Fernsehens hob. 2008 holte sich Hochreutener das «Netzwerk Alt-stadt» als externen Berater hinzu, liess sich und dem Gemeinderat die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen und trat vor seine Gemeinde. «Natürlich gab es Skeptiker», sagt Hochreuteners Nachfolger und damaliger Gemeindeschreiber Müller. «Man hatte an diesem Punkt schon so viel versucht.» Den-

noch liess sich die Mehrheit überzeugen. Ei-gentümer von Liegenschaften schlossen sich zu Gassenclubs zusammen und erarbeiteten Vorschläge zur Verbesserung des öffentlichen Raumes in ihrer Gasse. Wohnzonen wurden neu definiert, grössere Plätze für Veranstal-tungen freigegeben. Jeder mit einem Haus in Lichtensteig konnte sich vom «Netzwerk Alt-stadt» und speziell ausgebildeten Architek-ten seine Liegenschaft analysieren und sich

Vorschläge für Sanierung und Umnutzung präsentieren lassen; Gemeinde und Kanton beteiligten sich zu zwei Dritteln an den Kos-ten zur Erarbeitung der Analyse. «Wir ha-ben rund 15 bis 20 Häuser analysiert, und die Eigentümer haben für das Konzept ge-rade mal 1500 bis 2000 Franken hingeblät-tert», sagt Müller. Wer sein Haus lieber ver-kaufen statt sanieren wollte, fand Käufer – nicht selten auch in den Regionen Rap-perswil, Winterthur oder St. Gallen. Wäh-rend vor wenigen Jahren noch fast die Hälf-te der Liegenschaften zum Verkauf stand, sind Verkaufsinserate heute rar. Auf Gewerbeseite ist der Trend je-doch schwieriger umzukehren. «Die Lä-den von früher funktionieren nicht mehr», sagt Müller, «wir müssen uns auf Spezialitä-ten fokussieren.» Ein international renom-mierter Käser blieb, zwei Bäcker und zwei Metzger und eine Handvoll weitere kleinere Läden überlebten. Auch die Kägifret-Fabrik ausserhalb der Stadtmauern gibt es noch. Ein Bioladen kam dazu, ein Florist erfand sich neu, eine Couture-Designerin zog von St. Gallen an die Lichtensteiger Hauptgas-se. In einer Seitengasse sei gar ein Rotlicht-milieu geplant gewesen. «Das konnten wir zum Glück aber verhindern», meint Müller. Nun soll das Markt- und Kulturangebot in Angriff genommen werden. «Egal ob Mün-

chen, Berlin oder Kopenhagen: überall sieht man Spezialitätenmärkte aufkommen», so Müller. «Das wollen wir auch, wenn auch im kleineren Rahmen.» Der Weihnachts-markt soll grösser werden. Ein Kürbisfest gibt es bereits, ein Weinfest auch, ebenso einen Fotoflohmarkt, «der grösste von Eu-ropa.» Auch vier Museen und ein Klein-theater sind entstanden, kürzlich kamen zudem drei kleine Galerien hinzu. «Damit

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können wir Leute herholen. Touristen aus dem Obertoggenburg oder Gruppen, die mit dem Car von St.Gallen nach Rapperswil reisen. Wenn diese hier Halt machen, kön-nen wir profitieren», ist Müller überzeugt.

Vorbild Lichtensteig Bereits 2011 konn-te Hochreutener in der Jahresrechnung ei-nen Überschuss präsentieren, der Steuer-fuss wurde von 143 auf 140 Prozent gesenkt. Lichtensteig gilt inzwischen als Vorbild. Das Beispiel soll anderen Gemeinden aufzeigen, dass sie nicht die einzigen sind in dieser Si-tuation, und dass Lösungsansätze existie-ren. Wer fünf oder zehn Jahre vorspult in ein Lichtensteig, in dem die Märkte organisiert und die Verkehrsbaustellen verschwunden sein werden, sieht das Städtlein schon auf der Shortlist für den Wakkerpreis, der Aus-zeichnung des Schweizer Heimatschutzes für Orte, «die sich weiterentwickeln, ohne ihre Identität zu verlieren», so Monique Keller, Projektleiterin des Wakkerpreises. Der Preis wurde inzwischen über vierzig Mal und quer über das ganze Spektrum der Gemeindetypen vergeben – Städte wie Genf und Winterthur erhielten ihn, aber auch 500-Seelen-Dörfer wie das Bündner Fläsch gehören zu den Gewinnern. In den letzten Jahren kamen vor allem auch Gemeinden in der Agglomeration zum Zug. Nicht zuletzt, weil die Agglomeration von vergleichsweise niedrigem Niveau startet: «Die Agglomerati-on war jahrzehntelang im toten Winkel der Gesellschaft. Sie ist zwar extrem gewachsen, eine Planung gab es aber nicht», sagt Keller. Das macht es einfacher, heute etwas zu ver-bessern. Agglomerationen wie Lausanne West oder Köniz bei Bern (Bilder unten) un-terzogen sich über die letzten Jahre einer

Generalüberholung, und wurden dafür vom Heimatschutz ausgezeichnet; Köniz erhielt den Preis 2012, Lausanne West wurde dieselbe Medaille ein Jahr zuvor umgehängt. Der Fokus auf die Agglomeration ist nicht gewollt. Doch es wird grundsätzlich schwieriger, kleinere Gemeinden für ihre Um-gestaltungen auszuzeichnen. Die Umstruktu-rierung bedeutet je länger je mehr auch der

Tod der Eigenständigkeit des einzelnen Dor-fes. So gibt es das Dorf Vrin (Bild oben), Wak-kerpreisträger von 1998, heute in dieser Form nicht mehr. Es wurde Anfang Jahr mit zehn umliegenden Gemeinden fusioniert. «In den letzten Jahren sahen wir jährlich rund fünf-zig Gemeindefusionen», so Müller-Jentsch. «Der Trend zeigt eine klare Richtung auf: Die durchschnittliche Gemeindegrösse wächst. In der Agglomeration geschieht dies aufgrund des starken Wachstums, in den peripheren Gebieten eher durch Fusionen als Reaktion auf das fehlende Wachstum.» Bisher hätten die Gemeinden damit gute Erfahrungen ge-macht. Viele kooperieren bereits heute, wenn es darum geht, medizinische Versorgung, Feu-erwehr oder Schulbildung sicherzustellen. Ge-meindefusionen sind konsequenterweise der nächste Schritt. Im Kanton Graubünden ha-ben ganze Talschaften fusioniert; der Kan-ton Glarus hat die Zahl der Gemeinden letztes Jahr von 27 auf 3 heruntergekürzt. Auch in Lichtensteig ist die Bevölkerung bisher nicht gewachsen. Um mehr Wohnraum in der Altstadt zu schaffen, müssten die Ein-wohner näher zusammenrücken. Im letzten halben Jahrhundert zeigte sich aber genau das Gegenteil: Der Einzelne beansprucht mehr Wohnraum für sich. Behält Lichtensteig sei-ne jetzige Grösse, gehört es selbst im ländli-cheren Kanton St. Gallen bereits heute zu ei-ner Minderheit. Laut Avenir Suisse leben nur gerade fünf Prozent der St. Galler Bevölkerung in Gemeinden mit ähnlicher Grösse wie Lich-tensteig. Die Mehrheit bevorzugt Orte mit mindestens 5000 Einwohnern. Bisher kam es in der Region zu vergleichsweise wenigen Fusionen. Mathias Müller hat die Unterlagen aber bereits auf dem Tisch. «Das Fusionsthe-ma wird voraussichtlich in dieser Amtsperio-de angegangen», sagt der Stadtpräsident.

PUNKTmagazin STADT | LAND

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Wer im Kanton Zürich je eine Steuer-prüfung über sich ergehen liess, hat sicherlich einiges zu berichten. Steuerprüfer sprechen in diesem Zusammenhang von der Vered-

lung von Steuersubjekten und nennen die-se Vorgehensweise verachtender Weise «Kopi Luwak Style». Bei dieser Methode mutiert der Steuerzahler zur teuersten Kaffeebohne der Welt. Es ist unglaublich, was im Verdau-ungstrakt der kantonalen Steuerbehörde un-ter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert. Im Magen erfolgt das Aufrechnen gewöhnlicher Aufwendungen zur Erhöhung der Steuerbe-messungsgrundlage. Im Dünndarm gesel-len sich verhandlungstaktische Massnahmen der Steuerrevisoren, um den maximalen Ver-handlungsspielraum des Steuerkommis-sars sicherzustellen. Im Blinddarm wird dem Steuerschuldner zu guter Letzt nahegelegt, den neuen Einschätzungsbescheid vor dem Hintergrund eines erhöhten Klagerisikos zu akzeptieren. Im Dickdarm wird klar, dass die Steuernachzahlung unmittelbar fällig wird. Wem kann man es verübeln, wenn der lapi-dare Vorgang des Ausgeschiedenwerdens ein Gefühl von Ohnmacht hervorruft. Nimmt man eine Darmspiegelung vor, so ist der Be-fund eindeutig: Egal wie hoch der zukünfti-ge Steuersatz sein wird, die definitive Steuer-rechnung sieht anders aus. Nach dieser Erfahrung wünscht man sich, dass – statt Felix Baumgartner – Peer Steinbrück und Gérard Depardieu samt Wodka flasche in der Hand vom Red-Bull-Donnerbalken nacheinander ungebremst in den Sihlsee im Kanton Schwyz stürzen sollen.

Am besten in Form einer Arschbombe, um die maximale Wirkung zu entfalten. Warum? Der Sihldamm würde diesem Doppelschlag nicht standhalten und das Wasser würde mit voller Wucht durch das Sihltal walzen, den Zürichsee fluten und die als Schuhschachteln getarnten Wohnklos links und rechts des Zü-richseeufers wegschwemmen. Dieses Ereignis würde in Echtzeit von 316 Blitzkästen rund um den Zürichsee aufgenommen, bevor sie selbst im Lichtermeer versänken. Wer würde nicht ein Gefühl der Er-leichterung in sich tragen, denn die Stadt Zü-rich ähnelt einem offenen Strafvollzug, in dem man an jeder Ecke überwacht wird und sich alle dreissig Minuten bei den Parkuh-ren beziehungsweise sogenannten blecher-nen Bewährungshelferinnen melden muss, um nicht gebüsst zu werden. Das Fluten der Stadt Zürich und im übertragenen Sinne der Prime Tower als versunkener Kirchturm des Reschensees würde den Neuanfang voller De-mut in eine menschlichere Zukunft bedeuten. So gesehen ist die gallische Botschaft in der Flaschenpost, die derzeit auch auf der Limmat treibt, eindeutig. Zwar ist das Risiko, in Russland wiedergekäut zu werden, erheb-lich. Es ist aber ein klares Signal, den Steuer-bogen nicht zu überspannen, denn es wird immer einen Staat geben, der Nationalitä-ten im Schnelldurchgang zum Schutze miss-brauchter Steuerbürger ausgibt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Google den Kanton verlassen wird. Da hilft auch keine Rückhol-aktion der Stadt Zürich, indem man den zu-künftigen Steuersatz als Lockvogelpreis redu-zieren will. In diesem Sinne, Zürich adé.

Flaschenpost

Der Querdenker hat sich die etwas andere Informationsvermittlung auf seine Fahne geschrieben. Diese ist

stets gehisst, auch dann, wenn der Wind eisig bläst.

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kolumne

der querdenker

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BATA – EIN KONZERN MIT VIEL SCHWEIZTextNINA VUTKBildBATA

Mit eigenen Kleinstädten, den Bata Cities, leistete der Schuhproduzent Bata seinen Beitrag zu einem verantwortungsvollen Kapitalismus. Seit über 60 Jahren eine tragende Rolle gebührt der mittlerweile 86-jährigen Sonja Bata.

Das Schuhunternehmen Bata ist eine der internationalen Mar-ken, die das geschafft haben, was alle Marken wollen: einen fixen Platz im Leben vieler Konsumenten. Auch wenn man seine Schuhe nicht bei Bata kauft, kennen tun die Marke viele. Die wenigsten wis-sen jedoch, dass Bata – als erster Massenproduzent überhaupt – be-reits in den krisengeschüttelten 1930-er Jahren modische, qualitativ hochstehende, vor allem aber preiswerte Schuhe herstellte. In den Markenolymp gehört Bata aber auch, weil das Unternehmen stets mehr war als einfach nur ein Schuhverkäufer. Bata war und ist Teil der Schweizer Wirtschaftshistorie. Wenn Unternehmen heute von Expansionen nach Indien und Afrika sprechen, dürfte das bei Sonja Bata nur gerade ein müdes Lä-cheln hervorrufen. Dasselbe hat sie mit ihrem Mann Thomas J. Bata, Sohn von Unternehmensgründer Tomáš Bata, bereits Ende der 1940-er Jahre getan. Bis heute floriert das Schuhgeschäft dank der wirksa-men «Bata-Mischung» aus verantwortungsvollem Kapitalismus, dem Firmenslogan «Diene der Gesellschaft und die Wirtschaft wird pro-fitieren» und der strikten Einhaltung einer auf Leistungswillen auf-gebauten Unternehmenspolitik. Sonja Bata, die seit sechs Jahrzehn-ten über die Geschicke des Konzerns mitbestimmt, lebt seit 1946 in Kanada. Bei einem ihrer raren Schweizbesuche gewährte die «Grand Dame des Schuhgeschäfts» PUNKTmagazin im Hotel Eden au Lac in Zürich einen Einblick in die 119-jährige Unternehmensgeschichte. Ein Gespräch mit Seltenheitswert: Eine präzisere und unterhaltsa-mere Führung durch die Geschichte einer Familie – immer eng an die Weltgeschehnisse geknüpft –, die seit vier Generationen unter-nehmerische Pionierarbeit leistet, kann man sich nicht wünschen.

Vom Luxus- zum Alltagsgut Seinen Anfang nahm die Geschich-te von Bata 1894 in der kleinen mährischen Stadt Zlin im heutigen Tschechien. Das von den Geschwistern Tomáš, Anna und Anton Bata während der Habsburger Monarchie gegründete Unternehmen, die «T. & A. Baťa», sollte noch vor den Wirren der beiden Weltkriege die

37WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

Wirtschaft

:

Page 38: PUNKT Stadt/Land

«DAS UNTERNEHMEN GEHÖRT ALLEN»

Die Möglichkeit, mit der Unternehmerin Sonja Bata ein Gespräch zu führen, ergibt sich nicht alle Tage. Die gebürtige Schweizerin über ihre Rolle im familiengeführten Unternehmen.

PUNKTMAGAZIN Frau Bata, welche Schuhmarke tragen

Sie?

SONJA BATA_ Ich weiss es gar nicht. (Sie zieht ihren rech-

ten Schuh aus, kurze Pause.) Ja, es sind Schuhe von Bata.

Wie aktiv sind Sie noch im Konzern? Sehr aktiv. Ich bin

Mitglied des Verwaltungsrates, zudem präsidiere ich un-

sere Stiftung. Mein Sohn hat letztes Jahr den CEO-Posten

abgegeben und konzentriert sich auf das Präsidium des

Verwaltungsrates.

Der CEO von Bata ist kein Familienmitglied. Eine be-

wusste Entscheidung? Mein Sohn und meine Töchter

sitzen alle im Verwaltungsrat. Zwei meiner Enkelsöhne

sind im Konzern tätig, aber noch zu jung für dieses wich-

tige Amt. Für den Verwaltungsrat war von Beginn an klar,

dass wir keinen unternehmensexternen CEO nominieren

werden, sondern jemand von intern.

Wie findet man in einem Konzern mit 40 000 Mitarbei-

tern den geeigneten CEO? Die Frage lautet immer, wem

man vertrauen kann und wer den nötigen Leistungswillen

und die Teamfähigkeit hat. Ob das dann schliesslich ein

Familienmitglied ist oder nicht, spielt keine Rolle. Ein gu-

ter CEO schafft es, die besten Leute an Bord zu holen, auch

wenn diese vielleicht sogar besser sind als er. Mit Jack

Clemons haben wir dafür die Idealbesetzung gefunden.

Was ist das Rezept für ein erfolgreiches Unterneh-

men? Ein Unternehmen muss eine echte und vom Füh-

rungsteam vorgelebte Kultur aufweisen und über einen

ausgeprägten Charakter verfügen. Die Leute sollen nicht

nur für ihren Lohn arbeiten, ihr Herz soll bei der Sache

sein. Gewisse Leute arbeiten ja nur, um reich zu werden.

Doch wohin führt das? Deswegen ist für mich der verant-

wortungsvolle Kapitalismus wichtig.

Was ist damit genau gemeint? Egal welche Industrie, al-

le Unternehmen sollten – über die Gewinnmaximierung

hinaus – zur Gesellschaft etwas beitragen. Wenn ich

nach Malawi oder Sambia fliege und dort Menschen tref-

fe, die zwanzig Jahre für Bata gearbeitet haben und mir

voller Stolz erzählen, dass ihr Sohn an der Universität

studieren kann und später Arzt werden will, macht mir

das sehr viel Freude.

Es geht also um Werte. Das Einhalten von Prinzipien und

Werte- Treue rentieren sich unter dem Strich für jede Firma.

Sie besuchen regelmässig das World Economic Forum in

Davos. Warum? Ich vertrete jeweils den Konzern Bata und

führe spannende Gespräche mit Unternehmern, die eben-

so multinationale Firmen führen. Bei Bata stellen sich im-

mer wieder Fragen, bei denen es hilft, sich mit anderen Ma-

nagern auszutauschen.

Was für Fragen zum Beispiel? Ach, da gibt es viele (lacht).

Wir haben in den Industrieländern über die Jahrzehnte vie-

le Fabriken geschlossen, weil wir dort nicht mehr konkur-

renzfähig waren. Aber jetzt stellt sich die Frage, ob und wie

sich die Industrie in diesen Ländern wieder neu aufstellt.

Was heisst das? Kehrt die Produktion vor Ort über neue

Produktionsmethoden zurück? Stichworte sind Fabrica-

tion Labratories (offene, demokratische High-Tech-Werk-

stätten; die Red.) oder 3D-Printer. Das sind aber nur zwei

von vielen Beispielen. Als Unternehmer muss man über ei-

nen gewissen Weitblick verfügen.

Fühlen Sie sich eigentlich mehr als Schweizerin oder

Kanadierin? (lacht) Die Herkunft ist im Blut, somit verliert

man nie die Nationalität, mit der man geboren ist. Aber ich

habe 1946 geheiratet und wohne seit diesem Zeitpunkt in

Kanada, deswegen fühle ich mich schon auch als Kanadie-

rin. Aber die Traditionen der Schweiz haben bei mir nie an

Bedeutung verloren.

Was ist der grösste Unterschied zwischen der Schweiz

und Kanada? Die Schweizer holen immer mehrere Mei-

nungen ein und suchen Kompromisse. In Kanada, genau-

so wie in den USA, lebt man eher nach dem Motto «If you

are not with it, you are against it». Aus meiner Sicht ist das

keine gute Sichtweise.

NachgefragtNINA VUTK BildCHRISTINE BÄRLOCHER

38 WIRTSCHAFT

Page 39: PUNKT Stadt/Land

Schuhproduktion revolutionieren. Schon rasch nach der Gründung übernahm Tomáš Bata die alleinige Verantwortung über das Un-ternehmen – in einer Zeit, als Schuhe ein, oft sogar gemeinsam genutztes, Luxusgut waren. Sie von Hand zu produzieren, war schlicht zu aufwändig, als dass man sie kostengünstig hätte anbieten können. Als Tomáš Bata, Schus-tersohn in achter Generation, zu Ohren kam, dass ein gewisser Henry Ford in seinen Fabri-ken in Detroit Autos mit einer nie dagewese-nen Effizienz produziert, stattete er ihm einen Besuch ab. Nach seiner Rückkehr adaptiere er die modernen Produktionsmethoden auf die Herstellung von Schuhen und baute die erste Schuhfabrik überhaupt. «Mein Schwiegervater wollte Schuhe produzieren für all die Menschen, die sich zuvor keine Schuhe leisten konnten. Es sollen qualitativ gute Schuhe sein, die sich jeder leis-ten kann. Dieser Geist wirkt heute noch bei Bata», erklärt Sonja Bata. Doch nur «leistbare Schuhe für alle» herzustellen war dem Unter-nehmer nicht genug. «Die mir gestellte Auf-gabe war nicht, einen Betrieb aufzubauen», lautet das viel zitierte Credo des Gründers, «sondern die Menschen zu formen.» Mit der globalen Expansion des Unternehmens setz-te er diese Vision in den Bata Cities um.

Erstmals in die Praxis umgesetzt wur-de Batas Vision in Zlin, dem Gründungsort des Unternehmens. Dessen Bewohner soll-ten bei der Arbeit Höchstleistungen erbrin-gen können, ohne sich grosse Sorgen um die kleinen Alltäglichkeiten machen zu müssen. Bata siedelte darum Wohnstätten, grüne Park-anlagen, Schulen, Sportanlagen und man-cherorts sogar ein Spital in unmittelbarer Umgebung der Fabrik an – er schuf das Arbei-terdorf. Auch wenn er sich abseits der Arbeits-stätte um die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter

kümmerte, pflegte der Patron strenge Regeln. Er erzog die Mitarbeiter regelrecht, Diszip-lin und Leistung waren dabei wichtige Attri-bute. «Alle Direktoren mussten immer ein kleines Büchlein auf sich tragen. Darin war ihre persönliche ‹To Do List›, die vierzig bis fünfzig Punkte enthielt. Jeder Direktor muss-te täglich fünf bis sechs dieser Punkte abar-beiten, mein Mann machte sogar Stichpro-ben. Hatte jemand die Liste nicht aktualisiert oder die Punkte nicht abgearbeitet, konnte es schon mal passieren, dass Tomáš das jeweilige Büchlein in die Luft warf und laut schimpfte», erzählt Sonja Bata.

Stiefelmussolini Mit diesen Büchlein sorg-te Tomáš Bata dafür, dass alle leitenden Mit-arbeiter einen Plan hatten und klare Ziele verfolgten. «Es war fast schon ein Identitäts-zeichen. Andere Unternehmer lachten da-rüber und jeder in der Gegend wusste, dass dieser oder jener von Bata kommen müsse, schliesslich habe er ja sein Büchlein im Sak-ko», erinnert sich Sonja Bata lachend zurück. Hinter vorgehaltener Hand wurde der Patron hier und da als «Stiefelmussolini» bezeichnet. Denn letztlich war nicht Fürsorge oder Gross-zügigkeit die Ursache für sein Handeln, son-dern Kontrolle. Sogar Sparkonten und Ausbildungs-akademien wurden für die Batalianer, wie Bata-Mitarbeiter damals genannt wurden, eingerichtet. Wer sich mit dem System an-freundete, erhielt die Chance, innerhalb des Weltkonzerns aufzusteigen. Auch dort ver-folgte der Unternehmer Bata ein klares Sys-tem. So hing der Erfolg einer Abteilung von jedem einzelnen Mitarbeiter ab, die Löhne wurden erfolgsorientiert gestaffelt. Mit die-ser Strategie erhöhte Bata den Konkurrenz-druck, spornte die verschiedenen Abteilun-

gen zu Höchstleistungen an – und machte sich selber zum Vorreiter in Sachen leistungs-abhängige Lohnsysteme. Bata wollte mündige und selber denkende Angestellte, keine des-interessierten Lohnempfänger. «Das ist heute noch so», so Sonja Bata. «Die Mitarbeiter sind das wertvollste Gut eines Unternehmens.»

Weltwirtschaftskrise – Zeit für Bata Cities Batas Geschäfte liefen auch während dem Ers-ten Weltkrieg – der dem Unternehmen Gross-aufträge bescherte – gut. Das änderte sich mit der Weltwirtschaftskrise, in deren Folge die Zölle stark erhöht wurden. Doch Tomáš Bata wusste sich zu helfen. Wenn der Export der Produkte zu teuer ist, dann stellen wir die Pro-dukte halt vor Ort her, dachte sich Bata, und exportierte das Konzept der Bata City in die strategisch wichtigen Märkte. So entstanden in den frühen 1930-er Jahren in Frankreich, England, Deutschland, dem ehemaligen Ju-goslawien, Polen, Holland, den USA und In-dien solche Arbeiterstädte. Zur Blütezeit gab es weltweit achtzig verschiedene Bata Cities. Auch in der Schweiz errichtete der Schuhher-steller ein Arbeiterdorf: den Bata Park im aar-gauischen Möhlin. 1932 der Schicksalsschlag: Ausgerechnet auf dem Weg zur Eröffnung des Bata Parks in Möhlin verunglückte Firmen-gründer Tomáš Bata mit dem Flugzeug töd-lich. Da sein Sohn Thomas J. mit seinen da-mals 18 Jahren zu jung war, um den Konzern zu leiten, trat Thomas’ Halbbruder Jan die Nachfolge an der Konzernspitze an. Der Fabrikstandort in Möhlin war nicht der einzige Bezug, den Firmengründer Tomáš Bata zur Schweiz hatte. Bereits ab 1929 pfleg-te der visionäre Unternehmer engen Kon-takt mit dem renommierten Anwalt Ge-org Wettstein, Gründer von Rotary Schweiz. Wettstein war es, der die verschiedenen

39WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

44

:

Page 40: PUNKT Stadt/Land

Länder gesellschaften in die Holdingstruk-tur der Leader AG verpackte und die Grün-dung der Bata Schuh Stiftung im Jahr 1940 er-möglichte. Beide haben ihren Sitz noch heute in St. Moritz im Kanton Graubünden. «St. Mo-ritz war damals so wie der Kanton Zug heute», schmunzelt Sonja Bata. Auch dank der soli-den Unternehmensstruktur konnte das Fir-menvermögen durch die Turbulenzen des Ersten Weltkriegs gesichert werden

Eine Million Kunden täglich Wettstein sorgte nicht nur für das Firmenkonstrukt, sondern unterstützte aktiv die Internatio-nalisierung des Unternehmens. Bereits 1939 umfasste der Konzern 63 Länderfilialen und produzierte sechzig Millionen Schuhe. Heu-te bedient Bata mit seinen über 40 000 Mitar-beitern in 50 Ländern eine Million Kunden pro Tag. Hergestellt werden die Produkte in einer der vierzig Produktionsstätten, die über 26 Länder verteilt sind. Georg Wettstein war aber nicht nur langjähriger Anwalt der Batas, sondern auch Mentor von Thomas J., dem Sohn des Firmen-gründers. Dieser Umstand führte dazu, dass der Bata Park in Möhlin mehr war als nur ei-ne der Fabrikstätten: er wurde zum regelmä-ssigen Treffpunkt der Konzernspitze. Dies passte zu Batas Grundsatz, dass sich das Le-ben der Unternehmerfamilie nicht abgeho-ben vom Produktionsalltag abspielen sollte, sondern mittendrin in den Bata Cities – so auch in Möhlin. Mit den Jahren wurde Georg Wettstein zu einer immer wichtigeren Figur bei Bata, das als Unternehmen zunehmend zum Spielball der Politik zu werden droh-te. 1939 wurde die Urmutter aller Bata-Cities in Zlin dem Protektorat Böhmen und Mäh-ren einverleibt und avancierte zum gröss-ten Schuhproduzenten des Nazi-Regimes.

Thomas J. Bata zog die Konsequenz und emig-rierte zusammen mit rund hundert Familien von Zlin nach Toronto, wo er erneut eine (Ba-ta-)Stadt gründete, Batawa. Aus dem Traum je-doch, nach Ende des NS-Regimes zurückkeh-ren zu können, wurde nichts. 1949 wurde Zlin zu Gottwaldow und die Bata-Werke vom kom-munistischen Regime einverleibt und auf Svit umbenannt. Thomas J. Bata seinerseits wur-de zur «Persona non grata» erklärt. Geändert hat sich das erst fünfzig Jahre später, als der eiserne Vorhang fiel. «Die Familie Bata hatte Glück, dass eine grosse Gruppe von tschechi-schen Mitarbeitern ihr nach Kanada folgte, um das Unternehmen Bata noch besser und grösser aufzubauen als jenes, das der Familie vom damals kommunistischen Staat gestoh-len wurde», erklärt Sonja Bata.

Die Bata-Liebesgeschichte Die Geschich-te von Bata ist nicht nur eine Unternehmens-geschichte in den Wirren des politischen Geschehens, sondern auch eine Liebesge-schichte. Die Liebesgeschichte von Sonja und Thomas J. Kurz nach dem Tod Georg Wett-steins im Jahr 1945 trifft Thomas J. Bata die Tochter seines Mentors, Sonja. Bereits zwei Jahre später heiraten die beiden, leiten von Toronto aus gemeinsam den Konzern und wachsen zu einem kongenialen Geschäfts-paar zusammen. «Mein ganzes Leben – unab-hängig davon, welchen Job ich gerade ausübte – war ich mit Projekten innerhalb des Unter-nehmens beschäftigt», erläutert Sonja Bata ihre Rolle im Konzern.Die Batas erkannten – wie so häufig ihrer Zeit voraus – die Zeichen der Zeit und konzentrierten sich früh auf die-jenigen Märkte, in denen das System Bata den Standort wirtschaftspolitisch befruchten konnte – stets unter den Prämissen des «Res-ponsible Capitalism». Bis zum Tod von Thomas J. im Jahr 2008 arbeitete das Ehepaar Bata, Seite an Sei-te, an der Weiterentwicklung ihres innova-tiven Konzerns. Der bis heute anhaltende Erfolg ist sicher auch der Grundidee des ver-antwortungsvollen Kapitalismus zu verdan-ken. «Langfristiges Business muss ein Ser-vice für alle Interessensvertreter sein. Nicht nur für den Aktionär, sondern auch für die Mitarbeiter, die Kunden und das ganze Land. Unternehmen, die einen Beitrag leisten, etwa durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und einer Unternehmenskultur, profitieren da-von», bringt Sonja Bata die Geschäftsphiloso-phie auf den Punkt. Von diesem Wechselspiel profitiert Bata bis heute. Die Firma mit Schweizer Holding-struktur ist nach wie vor der grösste Schuh-hersteller der Welt.

Das «Bata Shoe Museum» in

Toronto ist mit über 13 000

Artefakten aus über 4500

Jahren Schuhgeschichte das

grösste Museum weltweit,

das sich ganz der Kultur

und Tradition von Schuhen

verschrieben hat.

40 WIRTSCHAFT

44

Page 41: PUNKT Stadt/Land

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Page 42: PUNKT Stadt/Land

«Die Schweiz wächst pro Jahr

um 70 000 Menschen .

Dieses Wachs-tum muss kana-lisiert werden.»

42 WIRTSCHAFT

Page 43: PUNKT Stadt/Land

DIE SCHWEIZ ALS STADT-LANDSCHAFTNachgefragtRINO BORINIBilderPATRIZIA HUMAN

Die Zersiedelung der Schweiz schreitet voran. Alle zwei Stunden wird die Fläche eines Fussballfelds verbaut. Soll die Schweiz in diesem Stil «weiterdörfeln» – wie Max Frisch schon vor sechzig Jahren warnte – oder ist es an der Zeit, Gegensteuer zu geben?

Seit gut drei Jahrzehnten muss die Schweiz jährlich Platz fin-den für 50 000 neue Einwohner. Doch wohin mit den Menschen-massen? Da der Platz im Mittelland und in den Metropolen jetzt schon knapp ist, werden laufend neue Flächen bebaut. Doch die Zer-siedelung, das unstrukturierte Bauen in der Landschaft, ist mit er-heblichen ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nachteilen verbunden. Zersiedelung ist aber nicht nur dem Bevöl-kerungswachstum geschuldet, sondern auch einem veränderten Le-bensstil mit höheren Ansprüchen an Wohnraum und Mobilität. Die Thematik, wo gebaut werden soll und wo nicht, ist nicht neu. Schon 1955 hatte ein kleines rotes Buch mit dem Titel «Ach-tung: Die Schweiz» vor einer weiteren Verdörfelung gewarnt. Die drei Autoren – Soziologe Lucius Bruckhardt, Historiker Markus Kutter sowie Architekt und Schriftsteller Max Frisch – schlugen darin vor, im Mittelland eine neue Stadt zu bauen, anstatt das Geld für die Ex-po 64 auszugeben Es sollte eine Stadt nach den damals modernsten städtebaulichen Normen und Prinzipien werden – eine Metropole mit Modellcharakter. Die Politik hatte kein Ohr für die futuristi-schen Ideen des Trios, die Modellstadt wurde nie gebaut. Heute steht die Schweiz an einem Wendepunkt. Ohne griffi-ge Gegenmassnahmen wird die Zersiedlung weiter zunehmen – und mit ihr die negativen Auswüchse. Eine intelligente und vorausschau-ende Raumplanung ist nicht nur eine Herausforderung für Ingeni-eure und Architekten, sondern vor allem für die Politik, sagt Daniel Müller-Jentsch. Der Volkswirt ist beim Think Tank Avenir Suisse zuständig für die Bereiche räumliche Entwicklung, Migration und Standortwettbewerb.

PUNKTMAGAZIN Herr Müller-Jentsch, was würden Sie nehmen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Halbtax oder einem General-abonnement der SBB hätten?DANIEL MÜLLER-JENTSCH_ Als Konsument das GA, als Ökonom das Halbtax. Doch verkehrspolitisch ist das GA ein Auslaufmodell.

Dr. Daniel Müller-Jentschistseit

2007ProjektleiterundMitglied

desKadersbeimliberalenThink

TankAvenirSuisse.Diethemati-

schenSchwerpunkteseinerArbeit

sindMigration,Standortwettbe-

werb,räumlicheEntwicklungund

derStrukturwandelindenBergge-

bieten.Müller-Jentschabsolvier-

tedasGymnasiuminDeutschland,

studierteVolkswirtschaftander

LondonSchoolofEconomicsund

derYaleUniversityundarbeitete

anschliessendsiebenJahrealsÖko-

nomimBrüsselerBüroderWelt-

bank.

43WIRTSCHAFTPUNKTmagazin STADT | LAND

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Daniel Müller-Jentsch

Page 44: PUNKT Stadt/Land

Warum? Es ist viel zu billig, die Grenzkosten zusätzlicher Mobilität sind gleich null.

Ich frage deswegen, weil die günstige Mo-bilität oft als Sündenbock für die Zersiede-lung herhalten muss. Zu Recht? Es gibt in der Schweiz zwei Haupttreiber der Zersiedelung: die wachsende Bevölkerung und der steigende Flä-chenverbrauch pro Person. Diese sind das Re-sultat des steigenden Wohlstands, der kleineren Haushalte aber auch einer Agglomerationsbil-dung dank verbesserter Verkehrsinfrastruktur.

Und was für Auswir-kungen hat dies auf das Pendlertum? Der An-teil der Pendler an der Er-werbsbevölkerung hat sich seit 1970 verdoppelt, wir werden immer mobiler. Der Grund sind auch poli-tische Weichenstellungen, die in der Vergangenheit falsch gesetzt wurden.

Worauf spielen Sie an? Die hohe Subventionie-rung der Mobilität ist ein Problem. Nehmen wir den öffentlichen Verkehr: Wir haben hier einen Kostendeckungsgrad, un-ter Berücksichtigung der Investitionen, von gera-de mal vierzig Prozent. Das heisst, die Mobilität wird künstlich billig gehalten. Und wie jedes Pro-dukt, dessen Preis man künstlich tief hält, wird sie im Übermass konsumiert.

Was sind die Folgen? In einem Zustand mit feh-lender Kostenwahrheit wird die Wahl des Wohn-orts anders getroffen, als wenn jeder die Kosten seiner Entscheidung selber tragen müsste. Das be-deutet, die Menschen pendeln mehr und über län-gere Distanzen. Alleine zwischen 2005 und 2010 nahm die Zahl der mit dem Zug gefahrenen Kilo-meter in der Schweiz um ein Viertel zu.

Also setzt der Staat die falschen Anreize? Ge-nau. Aber auf Dauer ist dieser Zustand schicht nicht finanzierbar. Alleine für das Nationalstra-ssennetz wird bis 2030 ein Erweiterungsbedarf von 45 Milliarden Franken veranschlagt. Aus die-ser Spirale zwischen wachsender Mobilität und staatlich finanzierter Angebotsausweitung müs-sen wir ausbrechen.

Wie zeigen sich die Fehlanreize konkret? Wer für seine Bestellung nicht bezahlen muss, fordert stets das Maximum. Derzeit wird die Fi-nanzierung aus einer Blackbox generiert, konkret aus dem Steuersäckel. Das ist der Grund, warum

Haben wir überhaupt Platz für so viele Men-schen? Objektiv betrachtet gibt es weder eine optimale noch eine maximal mögliche Bevölke-rungsdichte. London hat auf einer Fläche, die klei-ner ist als die des Kantons Zürich, acht Millionen Einwohner. Und London zählt weltweit nicht ein-mal zu den dichteren Städten. Auch in den inne-ren Bezirken von Tokyo leben so viele Menschen, wie in der Schweiz, aber auf einer Fläche des Kan-tons Glarus. Manhattan mit seinen zwei Millio-nen Einwohnern würde ins Limmattal passen. Die Diskussion um Grenzwerte ist daher müssig, entscheidend ist, welche Dichte für die Schweizer Bevölkerung akzeptabel ist.

Sollte man künftig dichter bauen? Verdich-tung ist durchaus sinnvoll und wird fast schon wie ein Mantra allseits beschworen. Je dichter man baut, desto wichtiger sind eine qualitativ hochwertige Stadtplanung und Architektur. Das grösste Verdichtungspotenzial gibt es nicht in den Kernstädten, sondern im ersten Agglomerations-gürtel der Grossstädte. Hier geht es um grosse Gebiete mit geringer Dichte und guter Verkehrs-anbindung. Dazu zählen beispielsweise das zür-cherische Glatttal oder die Villenquartiere um die Stadt Genf herum.

Gibt es gut umgesetzte Beispiele? Die Stadt Zürich hat in den vergangenen zehn Jahren rund 10 000 neue Wohneinheiten geschaffen, und dies häufig auf alten Industriearealen. Auch dem Kan-ton Zürich, der raumplanerisch eine Vorbildfunk-tion übernimmt, ist es über die letzten 15 bis 20 Jahren gelungen, erfolgreich nachzuverdichten.

Die jüngsten Zahlen des Bundes zeigen, dass noch genügend Bauzonen vorhanden sind. Der Drang zum Verdichten ist somit nicht allzu gross, oder? Gemäss aktueller Bauzonen-statistik gibt es landesweit 30 000 bis 40 000 Hektaren unbebautes Bauland – genügend Platz für ein bis zwei Millionen zusätzliche Einwohner und das ohne Nachverdichtung.

Aber?Diese gigantischen Reserven liegen jedoch vorwie-gend in ländlichen, infrastrukturell schlecht er-schlossenen Gebieten. Die fehlplazierten Bauzo-nenreserven sind die grösste Altlast der Schweizer Raumplanung. Sie sind das Resultat einer schlecht koordinierten Einzonungspolitik.

Was sind die konkreten Folgen dieser Fehl-planung? Sie lenkt die Nachfrage nicht in die Verdichtung sondern auf die grüne Wiese, wo das Bauland billig ist. Wenn man die fehlplazierten Bauzonen einfach dort volllaufen lässt, wo sie der-zeit liegen, bringt dies aber infrastrukturelle Fol-gekosten in Milliardenhöhe mit sich. Und da

Politiker und Konsumenten immer mehr verlan-gen. Damit verstösst die Verkehrspolitik gegen zwei ansonsten allgemein anerkannte Prinzipien: die Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip.

Die Preise für Billette oder Benzin sollten demzufolge erhöht werden? Ja. Aber es geht nicht darum, den Menschen das Geld aus der Ta-sche zu ziehen und auch nicht darum, für den Staat Mehreinnahmen zu generieren.

Sondern? Es geht um ei-ne Umschichtung der Fi-nanzierung. Wenn der Staat den nutzerfinanzier-ten Anteil ausbaut, kann er die Subventionen zu-rückfahren und an an-derer Stelle Steuern sen-ken. Dadurch könnte man in der Mobilitätsnachfra-ge die richtigen Anreize setzen und den Bedarf an teurer Infrastruktur ver-ringern. Unter dem Strich sänken die Kosten für das Verkehrssystem sogar.

Das starke Bevölke-rungswachstum ist ein weiterer Treiber der Zersiedelung. Doch dieses Wachstum gibt es schon seit Jahrzehnten, nicht erst seit den letzten zehn Jahren. Das ist richtig. Seit den Fünfzigerjahren hat die Eidgenossenschaft die-selbe prozentuale Bevölkerungszunahme erlebt wie Deutschland mit der Wiedervereinigung. Die Schweiz hat, relativ betrachtet, die gesamte DDR integriert, aber ohne Ausdehnung des Territori-ums. In den letzten dreissig Jahren nahm die Be-völkerung um 1,5 Millionen zu, das entspricht etwa 50 000 Personen pro Jahr.

Geht es weiter in diesem Tempo? Seit der Ein-führung der Personenfreizügigkeit vor zehn Jah-ren ist das Wachstum sogar auf 70 000 pro Jahr angestiegen. Jedes Jahr muss also eine Stadt von der Grössenordnung St. Gallens über das Land verteilt neu gebaut werden. Dieses Wachstum muss irgendwie kanalisiert werden.

Müssen wir irgendwann mit der Neun- oder gar Zehn-Millionen-Schweiz rechnen? Die erwähnten 50 000 neue Einwohner pro Jahr sind ein stabiler Langfristtrend. Auf dieser Basis ist die Neun-Millionen-Marke bis zum Jahr 2030 er-reicht. Hält das Wachstum weiter an, sind auch 10 Millionen möglich, doch solche Langfristprogno-sen sind schwierig. Bleiben wir bei der Neun-Mil-lionen-Marke bis zum Jahr 2030, das ist ein rea-listisches Szenario.

«Die Verkehrspolitik

verstösst gegen zwei

anerkannte Prinzipien:

Kostenwahrheit und Ver-

ursacherprinzip. Wer für

seine Bestellung nicht

bezahlen muss, wird

immer das Maximum

fordern.»

44 WIRTSCHAFT

44

:

Page 45: PUNKT Stadt/Land

Whatsapp oder SMS?

Stadt oder Land? Stadt-

landschaft.

Bratwurst oder Currwurst?

Olympia 2022 in Graubün-

den, Ja (Aber, nur wenn es

der nachhaltigen Entwick-

lung dient) Nein?

Papierzeitung oder

Tabletzeitung?

Samsung oder Apple?

Aldi oder Lidl?

HÜST & HOTT

Page 46: PUNKT Stadt/Land

sind wir wieder bei den Verkehrssubventionen: Die Zeche zahlt am Ende der Steuerzahler.

Was kann dagegen unternommen werden? Die fehlplazierten und überdimensionierten Bau-zonenreserven muss man angehen, wenn man die Nachfrage und das Wachstum in zentrale Lagen lenken will. Dort ist dichtes Bauen möglich und die Infrastrukturerschliessung ist gut.

Hat die Politik in der Vergangenheit ge-schlafen? Es gibt schon seit 1980 klare Regeln zur Siedlungssteuerung auf Bundesebene, veran-kert im Raumplanungsgesetz. Es gibt Kantone, die gute Arbeit geleistet haben, andere haben ih-re Hände in den Schoss gelegt. Avenir Suisse hat schon 2010 in einem Kantonsvergleich auf ent-sprechende Vollzugsdefizite hingewiesen.

Aber auch unabhängig von der Zersiedelung liegt das Bevölkerungswachstum dem Volk auf dem Magen. Es ist nachvollziehbar, dass ein gewisser Unmut herrscht. Doch man muss unterscheiden zwischen der emotionalen Seite und den objektiven Kosten des Wachstums. Bli-cken wir zurück: Nach der Einführung der Per-sonenfreizügigkeit überwogen die Vorteile, ganz klar. Aber aufgrund der kumulativen Effekte und des hohen Tempos der Bevölkerungszunah-me hat sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis ver-schoben. Die Kosten der Zuwanderung und des Wachstums rücken zusehends ins Blickfeld. Da-rum werden sie auch auf dem politischen Parkett vermehrt thematisiert.

Sollte man den Hebel bei der Personenfrei-zügigkeit ansetzen? Die Abkehr von einer Kon-tingentierungspolitik hin zu Personenfreizügig-keit war eine gute Entscheidung und einer der Hauptgründe, dass die Schweiz eine Boomdekade

hinter sich hat und so gut durch die Krise gekom-men ist. Aber der Erfolg hat auch seinen Preis.

Wo liegt das Problem? Das Problem mit der Zuwanderung ist unter anderem das Tempo. Be-stimmte Systeme wie der Wohnungsmarkt oder die Verkehrsinfrastruktur sind träge und brau-chen mehr Zeit zur Anpassung. Eine Drosselung des Zuwanderungstempos wäre wünschenswert.

Und wie könnte man die Zuwanderung dros-seln? Stellschrauben sind etwa eine Erschwerung des Familienzuzugs, eine restriktivere Asylpoli-tik aber auch eine gewisse Zurückhaltung bei be-stimmten Formen des Standortmarketings.

Die Zuwanderung findet insbesondere in den fünf grossen Regionen statt. Sind dort auch die Problembereiche? Es ist in der Tat so, dass in den fünf Metropolitanregionen auf 10 Pro-zent der Landesfläche 50 Prozent der Bevölkerung lebt, und 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts generiert werden. Das sind die Wachstumsmoto-ren der Schweiz, aber auch die Hotspots, in denen die Probleme besonders zu Tage treten. Denn hier, wo Raum und Wohnungen bereits heute knapp sind, konzentriert sich die Zuwanderung.

Werden die Metropolitanregionen deswe-gen immer Grösser? Genau, die Nachfrage weicht von den Kernstädten in die Agglomerati-on aus. Zuerst gab es den ersten Agglomerations-gürtel, dann den zweiten und inzwischen sind wir beim dritten angekommen. Die Agglomera-tion Zürich reicht heute von Schaffhausen bis in die Zentralschweiz hin-ein. Diese Agglomeratio-nen sind raumplanerische Problemzonen, da sich hier ehemals ländliche Gebiete ohne entwickelte Planungskultur in stadt-ähnliche Strukturen ver-wandeln. Dies erleben wir in weiten Teilen des Mit-tellandes.

Sollte man die Schweiz vermehrt als Gesamt-bild betrachten? Avenir Suisse hat bereits im Jahr 2007 ein Buch herausgege-ben mit dem Titel «Stadt-land Schweiz». Schon damals wurde gezeigt, dass die Schweiz räumlich, funktional und wirtschaft-lich im Prinzip eine grosse Metropolitanregion darstellt.

Dies bedingt aber eine Überwindung des «Kantönligeists». Ja, denn geplant wird die

räumliche Entwicklung dieses Gebildes noch von 2500 Gemeinden und 26 Kantonen. Deren Gren-zen stammen teilweise aus dem Mittelalter und entsprechen den heutigen wirtschaftlichen und so-zialen Verhältnissen häufig nicht mehr. Um die-se zusammenhängende Stadtlandschaft sinnvoll zu entwickeln, braucht es gemeinde- und kan-tonsübergreifende Steuerungsinstrumente. Die Schweiz und ihre räumliche Zukunft muss städte-baulich gedacht werden – eben als Stadtland-schaft Schweiz.

Was wären die Folgen einer solchen Steue-rung? Es betrifft die Siedlungsstruktur, die In-frastrukturentwicklung und den Schutz der Land-schafts- und Naherholungsräume. Letztendlich werden die Freiflächen zwischen den Agglome-rationen immer knapper, darum sollten diese künftig als städtische Parklandschaften betrach-tet und behandelt werden. Und das sind Heraus-forderungen, die in Fachkreisen schon länger an-erkannt sind, aber ihren Weg erst langsam in die Politik finden.

Gibt es nicht bereits Ansätze für ein Umsteu-ern? Doch, die gibt es. Ein Beispiel sind die Ag-glomerationsprogramme des Bundes. Ein ande-res ist das Raumkonzept Schweiz, das von Bund, Kantonen, Gemeinden und Städten 2012 beschlo-ssen wurde. Es ist eine gemeinsame Vision für die räumliche Entwicklung der schweizerischen Stadt-Landschaft. Aber noch fehlt das Instrumen-tarium, um die Raumentwicklung auch tatsäch-lich zu beeinflussen.

Abschliessend: An wel-chen drei Stellschrau-ben würden Sie dre-hen, damit die Schweiz nicht komplett zersie-delt wird und die land-schaftlichen Stand-ortqualität erhalten bleibt? Erstens mü ssen die Instrumentarien für die Steuerung der Sied-lungsentwicklung auf Bundes- und Kantonsebe-ne griffiger werden, insbe-sondere im Hinblick auf die fehlplatzierten Bau-zonenreserven. Zweitens: Die Schweiz muss in ihrer

räumlichen Entwicklung als Stadtlandschaft ver-standen werden. Das bedingt eine stärkere Koope-ration über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hin-weg, insbesondere in den Agglomerationen. Und drittens: In der Verkehrspolitik, die letztendlich die räumliche Entwicklung stark mitlenkt, bedarf es einer grösseren Kostenwahrheit.

«Nach Einführung der

Personenfreizügigkeit

überwogen die Vorteile.

Doch aufgrund kumu-

lativer Effekte und des

hohen Tempos hat sich

das Kosten-Nutzen-

Verhältnis verschoben.»

46 WIRTSCHAFT

44

Page 47: PUNKT Stadt/Land

Auto mit KonzeptFrank M. Rinderknecht und sein Team entwickeln die Autos von morgen.

Vernetzt und klug In Zukunft wird das Auto Bestandteil der vernetzten Welt sein.

Wer hats erfunden?Ohne Alfred Büchi würde Gas geben nur halb so viel Spass machen.

DOSSIERA U T O M O B I L

PUNKTMAGAZIN

DOSSIER # 01 | 2013

«AUTOMOBIL»

PUNKTMAGAZIN.CH

WIRTSCHAFTIST MEHR.

Page 48: PUNKT Stadt/Land

AUTO MOBIL

%

Die europäische Automobilbranche ist der grösste Autobauer der Welt (26% Weltweit), 12 Millionen Familien hängen von der Branche ab (2 Mio. direkte Jobs und 10 Mio. indirekte Jobs).

VW ist nicht nur in der Schweiz erfolgreich. Europaweit weist VW einen Marktanteil von 12,8% aus.

%26

15,7

5,1 %

INDIEN

9,4 % NAFTA*

*USA, KANADA, MEXIKO

7 % S. KOREA

EU

11,9 % JAPAN

16,2 %

ANDERE

24,2 %

CHINA

NICHTMOTORISIERT

52 %

MOTORISIERT

Autoproduktion Weltweit 2011

Motorisierungsraten 2011

2011

MIO.AUTOS

48

Autoverkäufe Schweiz Top 5 2012

VOLKSWAGEN

AUDI

SKODA

BMW

FORD

+9,0%

+19,4%

+9,5%

+8,1%

-1,2%

44 300

22 100

19 100

19 000

17 200

VERÄNDERUNGZU 2011

ANZAHL REGISTRIERUNGEN

MARKE

EU

EU

%NICHTMOTORISIERT

97 %

MOTORISIERT

3CHINA

– D O S S I E R –

KAMPFZONE PARKPLATZJeder Autofahrer kennt das

Problem der Parkplatzsuche.

Gerade in Grossstädten gibt es

oft mehr Autos als vorhandene

Parkplätze. Die Konsequenz

ist eine unermüdliche und ner-

venaufreibende Suche nach ei-

ner freien Abstellmöglichkeit.

Gleich drei Anbieter wollen die-

sem Problem Abhilfe schaf-

fen – mit einer App. Sie wollen

Parkplatzbesitzer dazu brin-

gen, ihre ungenutzten Abstell-

plätze zu vermieten. Wer mit

dem Auto zur Arbeit fährt und

darum tagsüber keine Verwen-

dung für den eigenen Stellplatz

hat, ist gefragt. Eintragen kann

er den Platz auf der Website

von Park-it, Parku oder Park-

spatz. Findet sich ein Nach-

frager, kann dieser den Platz

online zu einem fixen Stunden-

tarif mieten. Autofahrer auf

der Suche nach Parkmöglich-

keiten können sich via App ei-

nen Überblick über die ange-

botenen Plätze verschaffen

– und bei Bedarf buchen. Be-

zahlt wird per Kreditkarte. Al-

les in allem eine runde Sache:

Entspannung für den Autofah-

rer und Taschengeld für den

Parkplatzbesitzer. Den Kampf

um Parkplätze fechten nun

die drei Anbieter aus: Wer die

Parkplatzbesitzer mit den bes-

ten Plätzen für sich gewinnen

kann, wird auch die meisten

Suchenden anziehen.

SPINNE NR. 918Ohne den Schweizer Alfred Büchi würde Gas geben nur halb so viel Spass machen.

Wir schreiben das Jahr 1974. Während sich Freun-

de des kompakten Automobils über den ersten

VW Golf freuen, bekommen PS-Liebhaber auf dem

Pariser Autosalon feuchte Hände. Denn der neue

Porsche 911 präsentiert sich mit 260 Pferdestär-

ken und einer Leistung von über 250 km/h – ein

Wahnsinn für die damalige Zeit. «Schuld» an die-

ser Euphorie war der Schweizer Alfred Büchi und

sein Patent mit der Nummer 204630. Bereits 1905

hatte sich der in Winterthur geborene Ingenieur

die Rechte an der «Verbrennungskraftmaschinen-

anlage mit Kompressor, einem Kolbenmotor

und einer dahinter geschalteten Turbine» eintra-

gen lassen und seitdem konstant an der Weiter-

entwicklung geforscht. Zunächst experimentier-

te er mit angezogener Handbremse, da vor mehr

als hundert Jahren die notwendigen Werk- und

Brennstoffe fehlten, um sein heute als Turbolader

bekanntes Patent serienreif umzusetzen. Doch

schon zu Lebzeiten Büchis und auch nach seinem

Tod 1959 forschten Ingenieure unterschiedlichs-

ter Branchen auf Basis seiner Erfindung weiter.

Heute ist der «Turbo» weder aus der Automobil-,

noch aus der Schiffs- oder Flugzeugbranche weg-

zudenken. Denn Büchis Erfindung steigert die Po-

tenz von Kolbenmotoren, indem die dem Motor

zugefügte Energie optimaler genutzt wird. Fa-

zit: Mehr Luft im Zylinder, mehr Leistung bei glei-

chem Hubraum. Auch 2013 sorgt Büchi indirekt

wieder für Freude bei den PS-Fans. Im Herbst wird

der Porsche 918 Spyder mit gleich vier Turbola-

dern ausgeliefert. Dieser schafft es – Alfred Büchi

sei Dank – von 0 auf 100 in drei Sekunden.

Quelle:ACEA,Auto-Schweiz

48 DOSSIER AUTOMOBIL

Page 49: PUNKT Stadt/Land

AUTO MITKONZEPTTextWILMA BÖGEL BildRINSPEED

«If you can dream it, you can do it.» Die Concept Cars des Schweizer Tüftlers Frank M. Rinderknecht sind alles Mögliche – aber ganz bestimmt nicht langweilig.

Ein Ingenieur, ein Designer, ein Elekt-rotechniker und ein Autovisionär. Dazu ei-ne Kristallkugel, die nicht immer ganz zu-verlässig orakelt. Zum Schluss vertrauen die vier Beteiligten somit vorzugsweise auf ih-ren Bauch. Spontanes Fazit für einen Au-ssenstehenden: Das kann nur schief gehen.

Doch genau dieses kleine Team baute – un-terstützt von weiteren fünfzig Personen und Partnern – in sechs Monaten einen der Höhe-punkte des diesjährigen Genfer Autosalons: den microMAX, ein Fahrzeug für Grossstadt-bewohner, die nicht zwingend über ein eige-nes Auto verfügen, aber offen für Carsharing sind. Und mit dieser Entwicklung trifft Rin-speed wieder einmal den Nerv von morgen. Seit der in Zürich geborene Frank M. Rinderknecht im Jahr 1979 seinen ersten Concept Car – einen VW Golf Turbo – auf dem Genfer Autosalon präsentierte, über-rascht er jeweils im Zwölfmonatsrhythmus mit einem neuen Projekt. Offensichtlich ist dabei, dass sich die Ansprüche an die Kon-zeptwagen über die Zeit verändert haben. Setzte Rinspeed bis zur Jahrhundertwende hauptsächlich auf Schnelligkeit, stehen

49PUNKTmagazin STADT | LAND DOSSIER AUTOMOBIL

Automobil

:

Page 50: PUNKT Stadt/Land

50 DOSSIER AUTOMOBIL

Page 51: PUNKT Stadt/Land

heute Themen wie visionäre Mobilitäts-konzepte und innovative Antriebe im Fo-kus. Dies ist auch in der grundsätzlichen Ausrichtung des Unternehmens erkennbar. So gehörte der Autoveredler aus dem zür-cherischen Zumikon lange zu den führen-den Schweizer Veredelungs-Garagen, kon-zentriert sich aber nun ausnahmslos auf die Beratung der Automobilindustrie im Hin-blick auf zukünftige Mobilität.

Auf den Strassen wird es eng Eine wich-tige Rolle bei den Entwicklungen spielen die knapper werdenden Ressourcen bei Platz und Brennstoff. «Mehr Menschen mit An-spruch auf grenzenlose Mobilität heisst automatisch mehr Verkehr. Allein in der Schweiz dürfte die Bevölkerung in diesem Jahrzehnt um dreissig Prozent wachsen», sagt Rinderknecht. «Mit gleichbleibenden Infrastrukturen heisst das automatisch, dass der Infarkt näher kommen muss.» Auf glo-baler Ebene wird damit gerechnet, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf gut 9,3 Milliar-den Menschen anwachsen wird. Schon heute lebt mehr als die Hälfte von ihnen in Städten. Die primäre Herausforderung wird es daher sein, mehr Menschen effizient zu transpor-tieren und den begrenzen Platz in der Stadt optimal zu nutzen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf setzt sich das Team zusammen und blickt realistisch in die Zukunft.

Wie kommt ein Mann, der seine Kar-riere mit dem Verkauf von amerikanischen Sonnendächern und dem Bau von behin-dertengerechten Fahrzeugen begann, ganz konkret auf die Ideen seiner Entwicklun-gen? «Wir schauen tief in unsere Kristall-kugel. Leider ist sie derweil nicht ganz so treffsicher, so dass wir auch unseren Bauch zur Hilfe nehmen», erklärt der Autovisio-när den anfangs beschriebenen Einschub und vor allem die ersten Schritte hin zu ei-nem neuen Concept Car. Beginn jeder Stu-die sind zahlreiche Brainstormings. Wich-tige Kriterien sind dabei eine technisch und finanziell machbare Umsetzung. Nur weil die Partner-Unternehmen nicht nur mit technischem Know-how unterstützend wirken, sondern auch die Geldmittel lie-

fern, müssen ja keine utopischen Luftschlö-sser gebaut werden. «Der Etat liegt dennoch heute schon im siebenstelligen Bereich», sagt Rinderknecht, dem neben der realistischen Machbarkeit zudem eine proprietäre Idee wichtig ist. Wo Rinspeed draufsteht, soll auch Rin(derknecht) Speed drinstecken. Sobald das finale Konzept steht, wird es am Bildschirm konstruiert und anschlie-ssend zum grössten Teil in Handarbeit um-gesetzt. Entstanden ist so unter anderem der umweltfreundliche Senso, laut Rinderknecht das sinnlichste Auto der Welt. Dessen Grund-gedanke war, dass der Fahrer und nicht die Technik im Mittelpunkt steht – ein entspann-ter Fahrer ist nachweislich eben auch ein si-cherer Fahrer. Zusammen mit der Bayer-Kon-zerntochter Bayer Material Science wurde so zunächst einmal ein Concept Car geschaffen, das die biometrischen Werte des Fahrers ana-lysiert und mit Farben, Düften, Musik und Mustern für positive Stimmung sorgt.

Wenn die Kombination stimmt Im Rück-blick fand einer der bedeutendsten Wende-punkte für die Automobilbranche im Jahr 2000 statt. Das Thema Umwelt rückte in den Fokus und die Industrie lernte das Um-, Mit- und Weiterdenken. Dies war auch der Zeit-punkt, an dem das sonst eher PS-affine Rin-speed-Team sich nicht mehr nur auf den Bau eines innovativen und möglichst schnellen Automobils konzentrierte, sondern begann, umfassende, serienreife Mobilitätskonzep-te zu entwickeln. Entstanden ist dabei bei-spielsweise eine an den Fiat 500 erinnernde Knutschkugel mit Namen UC. Das Urban-Computer-Pendlerfahrzeug verbindet auf einmalige Art und Weise den Individual- mit dem öffentlichen Verkehr. Das mit Elektroan-trieb fahrende Mobil lässt sich in nur wenigen

Sekunden platzsparend in Bahnwaggons verladen und macht so auch die Reise über lange Strecken möglich. Der neue micro-MAX fokussiert sich nun in erster Linie auf den schon genannten zunehmenden Platz-mangel. «Das microMAX-Konzept will die Menschen dazu bewegen, nicht alleine in ihrem Auto zur Arbeit zu fahren, sondern das Auto zu teilen», erklärt Rinderknecht. «Dazu braucht es Anreize wie Privatsphäre, Platz und Bequemlichkeit.» Auf 3,6 Metern haben Fahrer, drei Mitfahrer sowie ein Kin-der- oder Einkaufswagen Platz, dazu eine Kaffeemaschine und ein Kühlschrank für das Feierabendbier.

Feierabend steht nach der Messe in Genf auch bei Rinspeed auf dem Programm. Zumindest für kurze Zeit. Dann setzt sich Rinderknecht in seinen vollelektrischen Mini. Bei der Jungfernfahrt der Concept Cars überlässt er das Steuer übrigens stets dem verantwortlichen Ingenieur. Für den Zürcher ist final nicht das Auto sein wich-tigster Fokus, sondern die damit einherge-hende Teamarbeit. Denn nur wer das grosse Ganze und seine Umwelt im Blick behält, hat gute Zukunftsprognosen.

51PUNKTmagazin STADT | LAND DOSSIER AUTOMOBIL

44

Page 52: PUNKT Stadt/Land

52 DOSSIER AUTOMOBIL

Page 53: PUNKT Stadt/Land

VERNETZT UND KLUGTextWILMA BÖGEL BildFABIAN WIDMER

In der Zukunft sind unsere Autos komplett vernetzt; unter der Haube und mit ihrer Umwelt. Für den Lenker bedeutet dies, dass er Verantwortung an die Maschine abgeben muss. Doch sind die Menschen dafür überhaupt schon bereit?

Wer sich für das Automobil von Morgen interessiert, muss zunächst eine neue Sprache lernen. Diesen Eindruck bekommt zu-mindest, wer den Spezialisten der Forschungsabteilungen in Auto-mobil- und IT-Unternehmen zuhört. Dort ist von AutoLinQ, @your-COMAND und Throttle- und Shift-by-Wire-Systemen die Rede. Benennt dann einmal jemand, in diesem Falle BMW, sein neues Mo-dul Aufmerksamkeits-Assistent, huscht einem ein Lächeln über das Gesicht – darunter kann man sich zumindest etwas vorstellen, auch wenn man kein Fachchinesisch spricht. Doch schauen wir in die Zukunft und lassen das Thema E-Mobility für einmal aussen vor. Gehen wir stattdessen davon aus, dass sämtliche Abkürzungen und Anglizismen bereits in unsere Au-tos integriert wurden. Für den Fahrer spielen zu diesem Zeitpunkt die Namen der Systeme keine Rolle mehr, schliesslich harmonieren sie perfekt miteinander. Er muss nicht einmal mehr lenken. Der Grund dafür (wir bleiben in der Fachsprache): Die «Car-IT» ist so «advanced» und «connected», dass wir dank gut funktionierendem «Cloud Com-puting» sicher und in kürzester Zeit jedes Ziel erreichen können.

ConnectedDrive Die Zukunft ist bereits näher als wir denken. Im Grunde hat sie schon gestern begonnen, die Vernetzung der Systeme in unseren Fahrzeugen ist weit fortgeschritten. Nicht zuletzt, weil die Hersteller ihre Forschungsarbeiten konstant ausweiten. Seit Jahren steigen die Kosten hier stetig an. So investierte Volkswagen laut Ge-schäftsbericht im Jahr 2011 rund 6 Milliarden Dollar, Daimler im-merhin 4,6 Milliarden und BWM 4,1 Milliarden. Spitzenreiter aber sind klar die Asiaten; bei Toyota, dem weltweit grössten Autobau-er, wurden für die Zukunft rund 8,5 Milliarden Dollar ausgegeben. Um die steigenden Ausgaben langfristig zu decken, arbeiten immer mehr Hersteller – wenn sie nicht in direkter Konkurrenz zueinander stehen – im Bereich Innovationen zusammen. Parallel werden die Unternehmen von internationalen IT-Konzernen unterstützt. Der Chiphersteller Intel eröffnete jüngst in Karlsruhe das neue Automotive Innovation & Product Development Center und auch das Intel Lab in Braunschweig forscht an Rechne-rarchitekturen für den Automobilbereich. «Derzeit verstecken sich in einem Auto je nach Preisklasse bis zu hundert verschiedene

:

53PUNKTmagazin STADT | LAND DOSSIER AUTOMOBIL

:

Automobil

Page 54: PUNKT Stadt/Land

Microcontroller und Steuergeräte», erklärt Sebastian Steibl, Forschungsleiter bei Intel Deutschland und Di-rektor des Labors. «Unsere Vision ist es, möglichst vie-le dieser Funktionen in einem zentralen Rechner zu konsolidieren. Das ermöglicht einen einfacheren Aus-tausch von Informationen von Fahrzeugsystemen un-tereinander.» Dies gilt zunächst für die Inf-rastruktur der Karosserie, soll aber künftig auch dezentral ausserhalb des Autos ge-schehen. Der grosse Vorteil ist, dass alle Da-ten, die während der Nutzung durch die einzelnen Autokomponenten gespeichert werden, miteinander vernetzbar wären. In der Folge lassen sich neue Extras konzi-pieren wie beispielsweise entlastende Fah-rerassistenzsysteme, die mittels der einge-bauten Sensorik weniger Aufmerksamkeit von der lenkenden Person beanspruchen.

IntelligenceDrive Anfang des Jahres de-monstrierte der deutsche Hersteller Au-di auf der Unterhaltungselektronik-Messe CES in Las Vegas sein neues Piloted Par-king-System. Die Weiterentwicklung des selbst einparkenden Moduls erfolgt bereits gänzlich ohne Passagier. Der Fahrer aktiviert den Service nach dem Aussteigen via App und das Auto macht sich allei-ne auf den Weg in die Tiefgarage, parkt ein und stellt den Motor ab. Auf wiederholten Knopfdruck springt das Auto wieder an und kehrt artig zum Ausgangs-punkt zurück. Notwendig dafür ist jedoch nicht nur die angesprochene Cloud im Wagen selber, sondern auch

die Interaktion mit Laser-Messgeräten in der jeweili-gen Parkumgebung. Messgeräte machen übrigens heu-te schon eine dynamische Verkehrsführung möglich, die vorwiegend auf besonders staugefährdeten Stre-cken zum Einsatz kommt. Dafür übermitteln Sensoren

in Autobahnnähe das Verkehrsaufkommen. Stellen die-se einen Stau fest, werden die einige Kilometer davor fest installierten, digitalen Anzeigetafeln angeschaltet. Auf der angezeigten Geschwindigkeitsbegrenzung ba-sierend würde sich theoretisch der Verkehrsfluss zwar verlangsamen, aber fliessend aufrechterhalten bleiben.

Der bremsende Faktor ist derzeit noch der Mensch. Für den ist beispielsweise eine plötz-lich sichtbare 80 «rei-ne Schikane» und die Ge-schwindigkeit zu drosseln, erscheint vielen beim An-blick der doch freien Stra-sse als sinnlos. «Die emp-fundene Entmündigung durch die Maschine ist vielen heute noch sus-pekt», erklärt IT-Exper-te Steibl. Auch die Angst, zum gläsernen Fahrer zu werden, ist allgegenwärtig. Ende Januar führte in die-

sem Zusammenhang die Diskussion um das neue E-Call-System, das nach einem Unfall automatisch einen Notruf und relevante Daten sendet, zu der Frage: Wie kann der Datenschutz trotz der fortschreitenden Vernetzung gesi-chert werden? Fakt ist, dass Daten in unserem Alltag zu-nehmend zu einem wertvollen Gut werden. Das gilt umso mehr, je besser sie ausgewertet werden können. Und die automotiven Datenwolken nützen nicht ausschliesslich dem Fahrer, sondern liefern wertvolle Meta-Informa-tionen über das Fahr- und Mobilitätsverhalten. Gerade in Zeiten wachsender Bevölkerung – bei beschränktem Platzangebot – stellen diese Daten eine wichtige Grund-lage für zukünftige Verkehrskonzepte dar. Gleichzeitig entstehen komplett neue Geschäftszweige, insbesonde-re für die IT-, aber auch Telekommunikations-Industrie. Eine Anpassung der Wertschöpfungskette in der Auto-mobilbranche ist somit unabdingbar.

InformationDrive Dass die Frage nach dem Daten-schutz gerechtfertigt ist, zeigte sich auch am 51. Deut-schen Verkehrsgerichtstag im deutschen Goslar. Hartmut Röhl, Präsident des Gesamtverbandes Autotei-le-Handel (GVA), warnte eindringlich, dass sich durch Telematik «das Riskio von terroristischen Eingriffen» erhöhe. Schliesslich könnten diese über eine dezentrale Cloud auf Bremsen und Beschleunigung einwirken. Das ist sicherlich möglich – doch wie realistisch es ist, bleibt dahingestellt. Zudem werden aus unseren Autos schon jetzt mehr Daten an die Umwelt übermittelt, als wir an-nehmen. «Google Maps ist schon heute in der Lage, prä-zise und aktuelle Staumeldungen herauszugeben», er-klärt Steibl. Vermutet wird, dass sie dafür unzählige GPS- und Mobilfunk-Daten von Handys auswerten und diese mit dem Strassennetz abgleichen. Konzentrieren sich diese an einem bestimmten Punkt, ist dies ein un-trügliches Zeichen für einen stockenden Verkehrsfluss.

«Der bremsende Faktor

ist derzeit noch der

Mensch. Die empfunde-

ne Entmündigung durch

die Maschine ist vielen

heute noch suspekt. Auch

die Angst, zum gläsernen

Fahrer zu werden, ist all-

gegenwärtig.»

Wie das Auto der Zukunft

aussehen könnte, zeigt der

japanische Hersteller mit sei-

nem Concept Car «Toyota

Fun Vehicle interactive in-

ternet», kurz Fun-Vii .Das auf

der Tokyo Motor Show 2011

vorgestellte Modell setzt

neue Massstäbe für künftige

Mobilität und Kommunika-

tion. Das Armaturenbrett ist

variabel, das Interieur bilden

Touch Screens, die mit Hand-

bewegungen abgerufen oder

verschoben werden kön-

nen. Sämtliche Funktionen

sind zudem per Smartphone

ausführbar. Automatische

Updates aus dem Internet

sorgen dafür, dass die Tech-

nologie stets auf dem neus-

ten Stand bleibt.

Der Fun-Vii steht zu-

dem in ständiger Kommuni-

kation mit anderen Fahrzeu-

gen und seiner Umgebung,

vor Hindernissen wird auto-

matisch gewarnt. Doch nicht

nur im Innern ist der Con-

cept Car bemerkenswert,

auch die Optik ist es. So ist

der Übergang von Karosse-

rie zu Windschutzscheibe

nicht erkennbar. Und soll-

te dem Fahrer die schwar-

ze Farbe eines Tages nicht

mehr gefallen, kann er die

Aussenhaut in frei wählba-

ren Farben und Designs sel-

ber gestalten.

54 DOSSIER AUTOMOBIL

44

Page 55: PUNKT Stadt/Land

Road Train Systemvon Volvo

Das Steuerfahrzeug

wird von einem Berufs-

chauffeur gelenkt. Die

Kommunikation mit den

maximal 6-8 Folgefahr-

zeugen erfolgt per

Wireless.

Nach Erreichen des Ziels

übernimmt der Fahrer

wieder die Kontrolle über

sein Fahrzeug. Die Lücke

dahinter wird geschlossen.

Das Fahrzeug reiht sich am Ende

der Kolonne ein, das System

übernimmt die Kontrolle.

Der Fahrer kann

entspannen oder

einen Film schauen.

Via On-Board-

Navigationssystem

wird der nächste

passende Road Train

geortet.

abschliessend nur noch die zentralste aller Fragen of-fen: Werden Automobile irgendwann ganz ohne Fahrer auskommen? Die Antwort lautet: Ja, sie tun es bereits. Volvo beispielsweise hat die sogenannten Road Trains erfunden. Hier verbinden sich die einzelnen Systeme verschiedener Autos virtuell zu einem einzigen Fahr-zeug und nur der Fahrer des ersten Wagens muss steu-ern und lenken. Da Computersensoren die Fahrt jedes einzelnen Fahrzeugs koordinieren und auf die Befehle aus dem LKW-Führerhaus reagieren, können sich die Fahrer der angehängten Wagen anderen Dingen wid-men. Die Hand am Steuer wäre somit nicht mehr län-ger zwingend nötig.

Möglich ist in der Automobilbranche von Mor-gen also alles, es braucht nur seine Zeit. Zeit, in der wir Menschen nicht nur die neuen Namen der Systeme kennenlernen können, sondern vor allem eine Akzep-tanz für diese entwickeln.

Beim vernetzten Auto von Morgen lautet die Frage daher nicht, was zukünftig technisch möglich sein wird, sondern viel mehr: Was sind die Menschen bereit, zu ak-zeptieren? Und wie gross ist ihre Zahlungsbereitschaft dafür? Die Unternehmensberatung Progenium unter-suchte Ende 2012, welche Hersteller schon jetzt Telema-tik-Pakete anbieten, und stellte fest, dass sich auch grosse Konzerne wie Volkswagen basierend auf der fehlenden Nachfrage wegen zu hoher Kosten zurückhalten. Immer-hin fallen Systeme, welche bessere Leistungen bei der Navigation, beim Infotainment und bei der Sicherheit ermöglichen, mit 3500 und 5500 Franken ins Gewicht. «Unser Ziel als unabhängiger Zulieferer ist es daher, ei-nen Mehrwert ohne Mehrkosten zu schaffen», erklärt Se-bastian Steibl die Forschungsgebiete bei Intel. «Bündeln wir die Rechenkapazität zentral an einem Punkt, lassen sich diese auch mittels einfacher Software-Aktualisie-rung updaten und eine kostenintensive Nachrüstung entfällt.» Indem global geltende Standards geschaffen werden, ist ausserdem der Einbau in alle verschiedenen Modelle jedes Herstellertyps gewährleistet. «Zukünftig könnte es sogar technisch möglich sein, Updates zu lea-sen», sagt Steibl. «Für einen begrenzten Zeitraum könn-te ein Feature dann auf das System aufgespielt werden, ganz so, wie es in unserem Computerzeitalter bereits All-tag ist.» Man kann sich sogar Geschäftsmodelle vorstel-len, die sich diese Funktionen zu Nutze machen.

HumanDrive? Das Auto von Morgen wird somit zu einem Alleskönner mit eigenem Gehirn. Damit bleibt

55PUNKTmagazin STADT | LAND DOSSIER AUTOMOBIL

Page 56: PUNKT Stadt/Land

DIE MARKE RECHNET SICHDas Auto forum «Meilenwerk Zürichsee» bekommt einen eigenen Tresor.

Wenn der Wirtschaftsingenieur Martin Halder

auf die zehnjährige Geschichte der Meilenwerk

zurückblickt, haben Zweifel keinen Platz: Mit der

Zielgruppe der Oldtimer-Liebhaber hat er auf die

richtigen Pferdestärken gesetzt. In den alten In-

dustriehallen der Firma Grob Textile in Horgen

baut er derzeit ein viertes Forum für Fahrkultur

und beweist, dass Immobilien ganz ins Zeichen

des Autos gestellt werden können. Auch die Idee,

erstmals in der Geschichte der Meilenwerke ei-

nen Automobiltresor in das Gebäude zu integrie-

ren, hat sich bewährt – schon vor der Eröffnung.

Von den 45 Stellplätzen auf total 700 Quadratme-

ter Fläche konnten bereits über 70 Prozent ver-

mietet werden. Bei der Umsetzung hält er sich

konkret an die von ihm entwickelte Konzept-

marke Meilenwerk. «Ich bin der festen Überzeu-

gung, dass man ein solches Immobilienprojekt

als Marke führen und inszenieren muss. Oldti-

merliebhaber sind eine klar zu identifizieren-

de Zielgruppe mit konkreten Bedürfnissen. Die-

se braucht man für ein solches Geschäftsmodell.

Erst der Bedarf an Dienstleistungen und Gütern

löst konkrete Nachfrage aus, die in ein rentables

Geschäftsmodell überführt werden können.» Zu-

dem denkt Halder stets langfristig: Bei einem In-

vestment von rund 35 Millionen Franken muss

ein Meilenwerk zwanzig bis dreissig Jahre funkti-

onieren. Auch hier erweist sich die gewählte Ziel-

gruppe als optimal. «Die Freude an Oldtimern ist

kein Modethema, sondern – nüchtern betrach-

tet – ein sich immer weiter entwickelnder Wirt-

schaftszweig», erklärt Halder. «Meilenwerke

sind somit also nachhaltig im ursprünglichen Sin-

ne.» Die Eröffnung des Schweizer Meilenwerks

ist für die zweite Jahreshälfte 2014 geplant. Dann

erwarten die Gäste von der Schweizer Architek-

tin Sara Spiro designte, sich über fünf Ebenen er-

streckende 26 000 Quadratmeter – und einen der

wohl sichersten Keller der Schweiz.

DUFTE SACHEWährend ihn die einen lieben,

betiteln in andere als Stinke -

Baum. Für Julius Sämann, Che-

miker mit Schweizer Wurzeln,

war er Mittel zum Zweck. Doch

sein aus Karton gefertigter

Lufterfrischer, auch bekannt

unter dem Begriff Little Tree,

erreichte Kultstatus und be-

schert seinen Nachkommen

eine nicht versiegende Einnah-

mequelle. Denn heute sind die

bei uns Wunder-Baum genann-

ten Autoaccessoires weltbe-

kannt und werden von der

Medien- und Werbeindustrie

regelmässig als Haupt- und

Nebendarsteller eingesetzt.

Sämann erfand den Baum be-

reits 1952 in Kanada, als er da-

mit experimentierte, Tannen-

nadeln ihre ätherischen Öle zu

entziehen. Darauf basierend

erhielt der Wunder-Baum sei-

ne typische Form, die heute

ein international eingetrage-

nes Markenzeichen ist. Bei

Rechtsfragen versteht die im

Kanton Zug ansässige Julius

Sämann Ltd. keinen Spass.

Jüngst verklagte sie die Bild-

agentur Getty Images, die

über ihr Portfolio Bilder ver-

trieb, die das Bäumchen zeig-

ten. Womit wir wieder beim

Anfang sind: Die einen finden

ihn dufte, andere hätten lieber

auf ihn verzichtet.

SPITZNAMEN: EINER WIE KEINEREinst erhielten Autos ihre Spitznamen von den Kunden automatisch. Heute wird von den Herstellern immer öfters künstlich nachgeholfen.

Jahrelang wehrte sich Volkswagen, dass ihr un-

ter dem offiziellen Namen KdF-Wagen (Kraft

durch Freude) vorgestelltes Modell von der

Kundschaft zum Käfer umbenannt wurde. Viel-

leicht lag es daran, dass der Vorschlag im Jahr

1938 von der New Yorker Times kam, die das run-

de Gefährt aus Germany liebevoll «Beetle» tauf-

te. Firmenintern wurde der Name jedoch erst

nach dem 1968 erschienenen Film «Herbie – ein

toller Käfer» akzeptiert. Heute sind Kosenamen

für Autos aus der Mode gekommen. Gemäss

Namensexperten ist der Grund in der Verwech-

selbarkeit zwischen den verschiedenen Model-

len zu suchen. Es fehlen Ecken und Kanten, die

einen Spitznamen rechtfertigen. So bleibt nur

Nostalgie: Mit Freude erinnern wir uns zurück

an Knutschkugel (BMW Isetta), Topolino (Fiat

500), Witwenmacher (Bugatti Typ 54) und Erd-

beerkörbchen (Golf Cabrio). Vor allem auch an

den Gangster Citroën (Citroën Traction Avant),

der sich gemäss Legende mit dem damals als At-

traktion geltenden Vorderrandantrieb optimal

als Fluchtauto eignete. Die Kosenamen sorg-

ten nachweislich und ganz automatisch für stei-

gende Absatzzahlen. Heute müssen die Autoher-

steller dies durch Branding, Markenimage und

Corporate Identity ersetzen – oder auf alte Ko-

senamen zurückgreifen, wie Volkswagen es 1997

mit dem New Beetle getan hat.

56 DOSSIER AUTOMOBIL

Page 57: PUNKT Stadt/Land

13. bis 17. März 2013Messe Zürich

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Page 58: PUNKT Stadt/Land
Page 59: PUNKT Stadt/Land

TextBARBARA KALHAMMER |BILDBORIS GASSMANN

Wir befinden uns im Jahrhundert der Städte. Bereits jetzt lebt mehr als

die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Räumen, in dreissig Jahren

werden es drei Viertel sein. Der damit einhergehende Infrastrukturbedarf

eröffnet auch Schweizer Unternehmen enormes Potenzial.

59INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 60: PUNKT Stadt/Land

Städte gelten seit jeher als Zentren von Kunst und Kultur, von Wissenschaft und Techno-logie. Als Schnittpunkte des globalen Han-dels sind sie sowieso unverzichtbar. Diese Vorteile wissen immer mehr Menschen zu schätzen. In der Schweiz beispielsweise le-ben bereits zwei Drittel der Bevölkerung in

Städten. Insgesamt wohnen sie in einem der fünf gro-ssen Agglomerationsräume (Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne). Grosse Einzelstädte dagegen sind sel-ten: Lediglich 10 Schweizer Städte verfügen über mehr als 50 000 Einwohner. Der Trend zur Urbanisierung zeigt sich weltweit. Bereits im Jahr 2008 wohn-te die Hälfte der Menschen in Städten, noch vor 200 Jahren waren es nur gerade drei Prozent. Die Entwicklung beschleu-nigt sich zusehends: Im Jahr 2050 wer-den gemäss Prognosen der UNO knapp 70 Prozent in urbanen Räumen leben, al-so etwa 6,25 Milliarden Menschen. Das 21. Jahrhundert wird somit durch das rapi-de Wachstum der Städte geprägt sein, lau-fend entstehen neue Megacities mit min-destens zehn Millionen Einwohnern. Gab es noch 1975 weltweit nur fünf solche Städ-te, wird sich ihre Anzahl bis 2015 auf 27 er-höhen, wie aus Schätzungen der Vereinten Nationen hervorgeht. Der Grossteil davon entsteht in den Entwicklungsländern, wo die Bevöl-kerung fast ausschliesslich in den städtischen Gebie-ten der weniger entwickelten Regionen wächst. Da-zu kommt die sich fortsetzende stetige Abwanderung aus den ländlichen Regionen. Und nicht selten wer-den ganze Gegenden, die früher ländlich geprägt wa-ren, von Städten geschluckt.

Infrastruktur-Defizite bremsen Wachstum Die-ser gesellschaftliche Wandel bleibt nicht ohne Fol-gen. «Schnelle Urbanisierung bedeutet auch bessere

wirtschaftliche Leistung», sagte Hania Zlotnik, Direk-torin des UN-Bevölkerungsprogramms, kürzlich an einer Präsentation. Städte sind die Motoren des zu-künftigen Wachstums. Bereits heute erzielen die zehn wirtschaftsstärksten Metropolen zwanzig Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Um sich stets wirtschaftlich weiterzuentwickeln und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, ist der Ausbau beziehungsweise die Sanie-rung der Infrastrukturen nötig. Was für uns selbst-verständlich ist, nämlich die Bereitstellung einer rei-bungslos funktionierenden Infrastruktur, gehört im

globalen Kontext zu den grossen Herausforde-rungen der kommen-den Jahrzehnte. Kon-kret gemeint sind effiziente Energie- und Telekommunikations-netze, Verkehrswege, Wasserversorgungs- und -entsorgungssysteme so-wie soziale Einrichtun-gen. Diejenigen Staaten, die es in der Vergangen-heit verabsäumt haben, rechtzeitig Gelder für diese Ausgaben bereitzu-stellen, bekommen das heute zu spüren. Das gilt

für weite Teile Lateinamerikas, wo man heute die In-vestitionslücke der Neunzigerjahre spürt. Die Welt-bank geht davon aus, dass dadurch bis zu drei Prozent des Wirtschaftswachstums verloren gingen. Mit gro-ssen Investitionen wird nun versucht, die Versäumnis-se auszubügeln. Brasilien beispielsweise hat 2011 ei-nen Dreijahresplan verabschiedet, der Ausgaben von 190 Milliarden Dollar in den Bereichen Elektrizität, Telekommunikation, Verkehr, Wasser und Abwasser vorsieht. Das sind immerhin 54 Prozent mehr als zwi-schen 2006 und 2009.

Die Bereitstellung einer

funktionierenden Infra-

struktur ist für uns selbst-

verständlich. Im globalen

Kontext jedoch gehört

dies zu den grossen

Herausforderungen der

kommenden Jahrzehnte.

Mit dem «Global Holcim

Award» zeichnet der Schwei-

zer Baustoffhersteller

Holcim innovative und zu-

kunftsorientierte Bauprojek-

te aus, die nachhaltige Ant-

worten auf technologische,

ökologische, sozioökonomi-

sche und kulturelle Fragen

auf lokaler, regionaler und

globaler Ebene geben. 2012

erhielt das Infrastrukturpro-

jekt «Urban remediation

and civic infrastructure

hub» in São Paulo, Brasilien,

den Silver Award. Das Pro-

jekt hatte zum Ziel, eine ero-

dierte Fläche inmitten einer

Favela in eine produktive

und dynamische Zone zu ver-

wandeln. Dank den beiden

Architekten Alfredo Brillem-

bourg und Hubert Klumpner,

die in Brasilien den «Urban-

Think Tank» betreiben und

sich an der ETH Zürich ei-

ne Professur für Architektur

und Städtebau teilen, ist

dies gelungen: Paraisópolis

und seine 100 000 Einwoh-

ner haben ihr Zentrum erhal-

ten. Das Projekt umfasst ein

Reihenhaus mit Flächen für

städtische Landwirtschaft,

ein Wasser-Management-

System, ein Amphitheater,

eine Musikschule, einen klei-

nen Konzertsaal, Sportanla-

gen sowie öffentliche Räume

und Verkehrsinfrastruktur.

60 INVEST

Invest

Page 61: PUNKT Stadt/Land

wendungen der Mitgliedsstaaten und der grossen Nichtmitglieder, China, Indien und Brasilien, bis zum Jahr 2030 auf jährlich etwa 2,5 Prozent des Bruttoin-landprodukts belaufen. Auf das Wachstum 2011 bezo-gen wären das 1,75 Billionen Dollar. Werden zudem die Stromerzeugung sowie andere energiebezoge-ne Infrastrukturausgaben für Öl, Gas und Kohle mit-einbezogen, steigt der Anteil auf jährlich 3,5 Prozent. Auch die Unternehmensberatung McKinsey stellt in ihrer Studie «Infrastructure Productivity» grossen Nachholbedarf fest. Die Schätzungen, die ebenfalls auf den historischen Ausgaben für Infrastruktur ge-messen am BIP beruhen, gehen von einem Mindest-bedarf zwischen 2013 und 2030 von 57 Billionen Dol-lar aus. Der Löwenanteil werde für Strassen, Energie und Wasser benötigt. Der grösste Investor in Infrastruktur war in den vergangenen zwanzig Jahren China. Gemäss dem Be-ratungsunternehmen McKinsey wurden dort zwischen 1992 und 2011 über 50o Milliarden Dollar ausgege-ben, in der EU waren es 403 Milliarden, in den Verei-nigten Staaten 374 Milliarden Dollar. Diese Entwick-lung wird sich weiter fortsetzen. Das Beratungshaus erwartet, dass 2030 über eine Milliarde Menschen in chinesischen Städten leben werden. Angetrieben wird diese Entwicklung einerseits durch das Bevölkerungs-wachstum und andererseits dadurch, dass 400 Millio-nen Chinesen in urbane Gegenden ziehen werden. So wächst die Zahl der Städte mit mehr als einer Milli-on Einwohnern in den nächsten knapp 15 Jahren auf über 200. Im Vergleich dazu: In Europa gibt es der-zeit etwa 35 Millionenstädte. In den kommenden 20 Jahren werden in China 40 Milliarden Quadratmeter Nutzfläche geschaffen, auf denen 5 Millionen Gebäu-de Platz finden sollen. Dazu braucht es nicht nur Au-tobahnen, Bahntrassen und Wasserstrassen sondern auch Klär- und Elektrizitätsanlagen. In China hat das ganze immer auch eine volkswirtschaftliche Dimen-sion: Das Land will seine Wachstumsrate hoch halten, da leisten verschiedene Infrastrukturprojekte einen

Infrastrukturen hinken dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum oft hinterher. Ein Beispiel da-für ist der Flughafen im indischen Bangalore. Als die Planung im Jahr 2000 aufgenommen wurde, rechne-te man mit rund 4 Millionen Passagieren pro Jahr. Auf-grund des rasanten Wachstums der Region wurde die-se Schätzung noch während der Bauphase angepasst – zum Glück. Bereits im ersten Betriebsjahr 2008 wur-den 8 Millionen Passagiere gezählt. Aktuell sind es jährlich sogar etwa 13 Millionen.

Billionen fehlen Nicht nur in Entwicklungsländern wurden Infrastrukturprojekte auf die lange Bank ge-schoben, viele Industriestaaten begingen denselben Fehler. Auch bei ihnen ist der Nachholbedarf enorm. Gemäss Schätzungen der OECD werden sich die Auf-

AUSGABEN INFRASTRUKTURAUSGABEN INFRASTRUKTURØ Prozentsatz des BIP / 1992 – 2011

Strassen Eisenbahn Häfen Flughäfen

Elektrizität Wasser Telekommunikation

China Japan Indien EU USA Süd- amerika

9 %

8 %

7 %

6 %

5 %

4 %

3 %

2 %

1 %

0 %

8,5 %

5 % 4,7 %

2,6 % 2,6 %

1,8 %

Quelle:IHSGlobalInsight,u.a.

61INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

:

Page 62: PUNKT Stadt/Land

willkommenen Beitrag. Die 7,8 Prozent Wirtschafts-wachstum, die im vergangenen Jahr erzielt wurden, mögen vielleicht für europäische Verhältnisse viel sein, doch für den roten Riesen war es das tiefste Wachstum seit 13 Jahren. Das ist mit ein Grund für die wirtschafts-politischen Massnahmen, welche die chinesische Re-gierung ergriffen hat. In deren Rahmen sollen rund 160 Milliarden Dollar in die Umsetzung von sechzig Infrastruktur- Projekten fliessen.

Marode US-Infrastruktur Während Chi-na mit dem stetigen Ausbau und Neubau seiner Infrastruktur beschäftigt ist, befin-det sich Amerika in einen Kampf gegen den Zerfall. Die Vernachlässigung wird den USA immer häufiger zum Verhäng-nis. Der Wirbelsturm Sandy im vergange-nen Jahr zeigte eindrücklich, wie komplett veraltet die US-Infrastruktur ist. Kaputte Stromleitungen und einsturzgefährende-te Dämme gehören zum Alltag. Da es im-mer noch Energiefirmen gibt, die ohne Echtzeitinformationen arbeiten, konnte lange nicht mal festgestellt werden, welche Haushalte überhaupt vom Stromausfall betroffen waren. Zudem befinden sich zahlreiche Stromleitungen oberirdisch an Holzmasten, was die Energieversorgung besonders anfällig macht. Gemäss dem Verband der amerikani-schen Bauingenieure wären für die Behebung dieser

Mängel jährlich elf Milliarden Dollar nötig. Sollten die Defizite nicht bald ausgeglichen werden, würden den Unternehmen aufgrund der schlechten Stromversor-gung bis 2020 Verluste in Höhe von mehr als 120 Mil-liarden Dollar entstehen. Zudem stünden eine halbe Million Jobs auf dem Spiel. Die Leitungen sind nicht

die einzigen Baustellen: Flug- und Schiffshäfen müssten in den nächsten Jahren mit 130 Milliarden Dollar modernisiert wer-den, schreibt der Verband. Zudem seien bereits vie-le der über 600 000 Brü-cken des Landes struktu-rell geschädigt und auch das Trink- und Abwasser-system sei weder zeitge-mäss noch reichten seine Kapazitäten. Das Land der un-begrenzten Möglichkei-ten galt bezüglich Inf-rastruktur lange Zeit als

Vorreiter. Da aber in den vergangenen Jahrzehnten die Investitionen in Strom- und Telekomnetze sträflich vernachlässigt wurden, verlieren die USA im interna-tionalen Vergleich zusehends an Terrain. Und eben, das alles geschieht nicht in einem Entwicklungsland, sondern in einer der weltweit führenden Industrie-

Der Wirbelsturm Sandy

zeigte deutlich, wie kom-

plett veraltet die US-

Infrastruktur ist. Kaputte

Stromleitungen und ein-

sturzgefährdete Dämme

gehören zum Alltag.

62 INVEST

44

Page 63: PUNKT Stadt/Land

nationen. Den Niedergang zeigt auch die Studie des Weltwirtschaftsforums «The Global Competitiveness Report» zur Qualität der In frastruktur. Darin rangiert Amerika nur noch auf Platz 25 von insgesamt 69 Staa-ten. Den USA bereits dicht auf den Fersen ist China mit Rang 27. Die Spitzenplätze belegen Singapur, Finn-land, Hong Kong, Frankreich – ganz zuoberst in der Rangliste steht die Schweiz.

Schweizer mischen international mit Von den Bau-projekten in aller Welt profitieren in erster Linie regi-onale Unternehmen, doch häufig sind auch Schweizer Konzerne beteiligt. Da viele Betriebe über Niederlas-sungen vor Ort verfügen, können sie sich ein Stück des Kuchens sichern. Vertreten sind sie vor allem in den Bereichen Bau, Energietechnik und Wasser. Einer der grossen Player ist der Elektrotechnikkonzern ABB, der unter anderem Niederlassungen in China, Indi-en, Brasilien, Singapur und den USA betreibt. «ABB ist einer der grössten Ausrüster für Energieinfra-struktur», sagt Christian Gattiker, Chefstratege bei der Bank Julius Bär, über den Konzern. Zum Jahresende 2012 hat das Unternehmen einen 100-Millionen-Dol-lar-Auftrag für die Lieferung von Stromrichtertrans-formatoren und Komponenten für eine Gleichstrom-übertragungsleitung in der chinesischen Metropole Zhengzhou erhalten. Über diese Leitungen sollen gro-sse Strommengen mit minimalen Energieverlusten über weite Entfernungen übertragen werden. Die Transformatoren und Komponenten von ABB sind dabei die Schlüsselelemente der 2210 Kilometer lan-gen Stromautobahn, die mit einer Nenn-Übertra-gungskapazität von 8000 Megawatt einen neuen Re-kord aufstellen soll. In die Kategorie Bau fallen der Zementherstel-ler Holcim, das Baudienstleistungsunternehmen Im-plenia und der Spezialchemiekonzern Sika. Letzterer

fokussiert sich auf Dichten, Kleben, Dämpfen, Ver-stärken und Schützen. Benötigt werden solche Dich-tungen beispielsweise für Flachdächer, Tunnelbauten, Fassaden oder Wasserreservoirs. Damit überschnei-det sich das Tätigkeitsfeld mit dem Bereich Wasser. Das gilt auch für Geberit, die einerseits Sanitärsyste-me liefern, aber auch Rohrleitungssysteme fördern. Ein weiterer Nutzniesser des wachsenden Marktes für Wasserinfrastruktur ist Georg Fischer. Durch einige Akquisitionen ist das Unternehmen, das seine Kern-kompetenz im Rohrleitungsbau hat, bereits in Ame-rika und Asien präsent. Aber auch der Kabelhersteller Huber+Suhner oder der Lift- und Rolltreppenprodu-zent Schindler gehören zu den Firmen, die von den globalen Infrastruktur-Projekten profitieren. Ebenso in die Riege der Global Players darf sich der 1862 ge-gründete Anbieter für Sicherheits- und Schliesstech-nik, Kaba, stellen. Heute gehört der aus der Schweiz operierende Konzern zu den Weltmarktführern für elektronische Zutrittssysteme, Schliessanlagen und Si-cherheits- und Automatiktüren. Schon in den Neun-zigerjahren habe das Unternehmen die U-Bahn in Hongkong mit automatischen Bahnsteigtüren und -abschlüssen ausgerüstet, sagt Gattiker. In der Regel hätten die Unternehmen eine Vertretung im Ausland, wodurch sie sich einfacher an Infrastrukturprojekten beteiligen können, fährt der Aktienstratege fort. Zu-dem seien Nationen wie China bei solchen Mammut-projekten auf die Unterstützung von ausländischen Konzernen angewiesen. Anleger, die das Thema Urbanisierung und In-frastruktur in ihr Portfolio aufnehmen wollen, mü-ssen somit nicht zwingend zu weniger bekannten ausländischen Titeln greifen. Durch das Engagement der Schweizer Unternehmen in Asien, Amerika und Afrika eröffnen sich auch mit hiesigen Titeln gute Wachstums chancen.

Dank Grossaufträgen wie

dem 100-Millionen-Fran-

ken-Kontrakt mit der

chinesischen Metropo-

le Zhengzhou gehört der

Elektrotechnikkonzern

ABB (links unten) zu den

Weltmarktführern auf

seinem Gebiet.

Ob der Zutritt ver-

weigert wird oder nicht,

entscheiden immer häu-

figer die vom Schweizer

Unternehmen Kaba (links

Mitte) entwickelten

Zutrittssysteme.

Der Liftproduzent

Schindler (rechts oben)

gehört im Infrastrukturge-

schäft zu den alten Hasen.

Bereits seit 1892 sammelt

der in Ebikon beheimatete

Konzern Erfahrungen mit

elektrisch betriebenen

Aufzügen.

63INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 64: PUNKT Stadt/Land

ZWEI UNGLEICHE PARTNER TextRINO BORINI

Um die Kluft zwischen wachsenden An-sprüchen an öffentliche Leistungen und deren Finanzierbarkeit zu verkleinern, werden im Ausland vermehrt PPP einge-gangen. Auch ein Modell für die Schweiz?

Bei Public Private Partnerships (PPP) überneh-men Private, wofür sonst der Staat zuständig ist: Bau und Unterhalt grosser Infrastrukturen wie Flughä-fen, Strassen oder Tunnels. Dafür werden sie entwe-der pauschal bezahlt oder – noch besser – sie erhalten die Erlaubnis, von den Nutzern Gebühren zu verlan-gen. Der Vorteil dabei ist, dass nur bezahlt, wer die In-frastruktur benützt – es ist verursachergerecht. Letzt-endlich geht es bei PPP darum, privates Kapital und Fachwissen zur Erfüllung staatlicher Aufgaben zu mo-bilisieren. Staat und Private können ihre jeweiligen Stärken gemeinsam zur Erreichung eines Zieles ein-bringen. Ein grundlegendes Problem bei grossen In-frastrukturvorhaben liegt darin, dass Politiker keine echten Anreize haben, diese effizient und korrekt vor-anzutreiben. Die privaten Bauunternehmen ihrerseits wissen, dass die Politik solche Grossprojekte niemals mitten im Bau aufgeben wird – wenn das Geld ausgeht, wird der Steuerzahler schon nachschiessen. Bei PPP hat der Staat weiterhin die Verfügungs-gewalt über die Infrastrukturen. Er gibt jedoch die operativen Aufgaben während dem gesamten Le-benszyklus an einen privaten Partner ab. Dieser muss die langfristigen Leistungserbringungen sicherstel-len. Profitieren können beide Seiten: Der Staat kann in Zeiten knapper Kassen auf privates Kapital zurück-greifen und die Effizienzvorteile privatwirtschaft-licher Planung, Errichtung und Betreibung nutzen; dem Privatsektor eröffnet sich die Möglichkeit, be-stehende Geschäftsfelder auszubauen. Nicht zuletzt bieten sich dem Kapitalmarkt zusätzliche langfristige und ertragsreiche Anlagemöglichkeiten. Dies ist bei-spielsweise für Vorsorgesysteme wichtig. Mit Inf-

rastruktur die Rente sichern sozusagen. Studien zei-gen, dass die Leistung bei PPP oft effizienter erbracht werden kann, als wenn der Staat im Alleingang agiert. Kurt Lanz, Geschäftsleitungsmitglied vom Wirtschafs-verband Economiesuisse, präzisiert: «Dies hat mitun-ter damit zu tun, dass der private Partner ein starkes Ei-geninteresse an einer effizienten Projektrealisierung hat, da er die Projektrisiken über die gesamte Lebens-dauer der Infrastruktur trägt.» Zwar kommt die öffent-liche Hand günstiger zu Kapital, doch die Effizienz bei PPP-Projekten gelangt erst durch den Lebenszyklus-ansatz zum Vorschein. In der Schweiz bekundet PPP Mühe, Fuss zu fas-sen. Lanz sieht die Gründe dafür unter anderem in der, im Vergleich zum Ausland, stabilen Finanzlage der Schweiz und dem mangelnden politischen Willen. «Es fehlt eine vertiefte politische und sachliche Auseinan-dersetzung.» Doch letztlich führten weder Sparpoli-tik noch ein überbordender Ausbau der Infrastruktu-ren zum Ziel. Damit die Schweiz den Anschluss nicht verliert und die Standortvorteile wahren kann, seien solche Finanzierungsmodelle bei grösseren Vorhaben immer zu prüfen. Noch ist der «Leidensdruck» in der Schweiz verhältnismässig klein. Wirtschaft und Inves-toren sind bereit, der Ball liegt bei der Politik.

Die Kosten der NEAT

(oben) sind im Laufe der

Jahre markant angestie-

gen. Bis Projektende wer-

den es voraussichtlich 24

Milliarden Franken sein.

Zu Projektbeginn lautete

die Schätzung auf 8 Milli-

arden Franken.

Ein regelrechtes

Debakel ist der Bau des

Berliner Flughafens Bran-

denburg (unten). Vieles

deutet darauf hin, dass

der Fehler in der Pla-

nungsphase und damit bei

der Politik liegt.

64 INVEST

Invest

Page 65: PUNKT Stadt/Land

Geld macht glücklich, wenn man es in umwelt- bewusste Firmen in ves tiert. Gerne informiert Sie der Kundenberater Ihrer Kanto-nalbank über unsere mehr-fach ausgezeich neten Nach-

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BAUERN AN DER BÖRSEDie Preise für viele Agrargüter sind derzeit hoch. Gute Aussichten für Landwirte, aber auch Anleger können profitieren.

«Gegessen wird immer», heisst es. Zutreffender wäre jedoch: «Gegessen wird

immer mehr». So lagen die Erzeugerpreise im Ackerbau 2012 in nahezu allen

Bereichen über denjenigen des Vorjahres. Der Kartoffelpreis beispielsweise

stieg um rund sechzig Prozent, wie aus einem Bericht der Deutschen Land-

wirtschaftskammern hervorgeht. Grund für die Preissteigerungen ist eine zu-

nehmende Nachfrage nach Nahrungsmitteln, aber ebenso nach Tierfutter

und Energiepflanzen für Biogas und -treibstoffe. Mit der wachsenden Bevöl-

kerung, besonders in den Schwellenländern, steigt der Bedarf kontinuierlich

weiter. Gute Aussichten für die Bauern. Doch das ganze ist kein Selbstläufer,

die Landwirte sind gefordert: Sie müssen sich mit neuer Technik ausrüsten

und ihre Anbauflächen erweitern. Doch fruchtbares Land ist rar und teu-

er. Bauern müssen also investieren – und das tun sie auch. Für die nächsten

sechs Monate liegt das geplante Investitionsvolumen der deutschen Land-

wirtschaft gemäss dem Deutschen Bauernverband bei 6,7 Milliarden Euro.

Meist greifen sie dafür auf Kredite zurück, doch es gibt einige wenige Unter-

nehmen, die einen anderen Weg eingeschlagen haben. So hat sich beispiels-

weise die KTG Agrar AG bereits 2008 aufs Börsenparkett gewagt. Das Unter-

nehmen bewirtschaftet mehr als 38 000 Hektar Ackerland in Deutschland und

Litauen, um Marktfrüchte wie Getreide und Mais anzubauen. Zwei Jahre spä-

ter folgte Tonkens Agrar. Neben der Milchproduktion widmet sich das Unter-

nehmen dem Anbau, der Lagerung und der Vermarktung von Getreide, Kar-

toffeln, Mais und Zwiebeln. Auch wenn die Titel an der Börse nicht gerade zu

den Überfliegern zählen, so erfreuen sie sich bei Anlegern grosser Beliebt-

heit. Sowohl bei Anleihen als auch bei Kapitalerhöhungen war die Nachfra-

ge dementsprechend hoch. Ebenfalls auf den deutschen Kapitalmarkt wagte

sich im vergangenen Jahr die Ekosem Agrar, der drittgrösste Milchproduzent

Russlands. Die deutsche Holding eines russischen Grosslandwirts verschaff-

te sich über zwei Anleihen neues Kapital. Oft investieren die Firmen mit die-

sen Geldern in neue Geschäftsfelder. Dazu zählt vor allem die Produktion von

Biogas, die sich zunehmend zu einer wichtigen Einnahmequelle für Landwir-

te entwickelt. Im Mai 2012 ging die Tochtergesellschaft KTG Energie an die

Börse. Ebenfalls in diesem Bereich tätig sind die Deutsche Biogas, Envitec

und Biogas Nord. Für Anleger stehen also zahlreiche Unternehmen zur Aus-

wahl, um indirekt von den steigenden Rohstoffpreisen zu profitieren. Über

die nächsten Jahre dürfte die Zahl weiter zunehmen. BK

PUNKTmagazin STADT | LAND

Page 66: PUNKT Stadt/Land

RETAILBANKING RELOADEDEine Bank, die es nur virtuell gibt und bei der die Kunden selber entscheiden, was sie für den Service bezahlen? Was sich anhört wie ein modernes Märchen, ist Realität.

Mit «Pay What You Want» hatte die britische Rockband Radiohead bereits

2007 gute Erfahrungen gemacht. Fans konnten ihr neues Album «In Rain-

bows» im Internet herunterladen und selber entscheiden, wie viel sie da-

für bezahlen wollten. Zwar war der durchschnittlich bezahlte Preis eher

bescheiden, aber die grosse Masse der Downloads führte zum Schluss

doch zu einem guten Gewinn. Von diesem Modell lässt sich nun auch der

amerikanische Finanzdienstleister Green Dot inspirieren. Der führende

US-Debitcard-Anbieter lancierte Mitte Januar die GoBank. Eine Bank oh-

ne Filialnetz, die nur online, sei es über PC oder Smartphone, erreichbar

ist. Dennoch können die Kunden Alltägliches wie den elektronischen Zah-

lungsverkehr abwickeln und Checks ausstellen sowie über die Smartpho-

ne-Kamera einlesen (Checks gehören in den USA noch immer zum Alltag).

Auch Geld abheben, Transfers an Dritte – sogar via Facebook, SMS oder

Email – und Kreditkartengeschäfte können getätigt werden. Und wer kurz

vor einem Konsumentscheid steht, kontrolliert online kurz seinen Konto-

stand – natürlich in Echtzeit. Fixe Kontogebühren oder einen Mindestum-

satz kennt die GoBank nicht. Die Mitglieder bestimmen selber, wie hoch

die monatliche Gebühr sein soll. Die Spanne liegt zwischen 0 und 9 Dollar

pro Monat. Weitere Kosten entstehen nur für die Nutzung von Bankauto-

maten, die nicht zum Netzwerk gehören, oder das Personalisieren der Kre-

ditkarte mit eigenem Foto. Selbstverständlich steht die Bank unter Auf-

sicht der staatlichen Bankenbehörde. Transparent, einfach, schnell und

keine unnötigen Gebühren – wird so das Retailbanking des 21. Jahrhun-

derts? Bis anhin stellten Social Media und die Generation der Digital Na-

tives Banken vor ein Dilemma. Der Kunde von Morgen verlangt volle Ver-

fügbarkeit, toleriert keine Intransparenz und ist schnell weg, wenn die

Leistung nicht stimmt. Die künftigen Konkurrenten der Banken heissen

vielleicht Apple, Google oder Microsoft. Allein schon durch ihren riesigen

Datenbestand wissen diese Unternehmen viel mehr über die Bedürfnisse

ihrer Kunden, als Banken jemals erfahren werden. RB

GLOBALE LANDEIERSchweizer KUM verfügen oft über Pro-dukte, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. Das eröffnet gute Chancen, um von der wirtschaftlichen Erholung zu profitieren.

Oftmals in kleinen Gemeinden zu Hause, er-

obern sie mit ihren Produkten die grosse wei-

te Welt: Schweizer Klein- und Mittelunter-

nehmen. Nicht selten gehören sie in ihrer

spezifischen Nische sogar zu den Weltmarkt-

führern. Ein Beispiel dafür ist die in Winter-

thur beheimatete Burckhardt Compression,

einer der globalen Marktführer im Bereich Kol-

benkompressor-Technologie, -Komponenten

und -Service. Auch an der Börse hat sich das

Unternehmen mit einem Plus von vierzig Pro-

zent innert Jahresfrist äusserst gut geschla-

gen. Burckhardt ist aber nur eine von meh-

reren KMU-Perlen, welche die Performance

des SPI im vergangenen Jahr stützen. So sorg-

ten die 77 SPI-Mitglieder, die den Index über-

trafen, für ein Plus von satten 18 Prozent. Zu

den Überfliegern gehören auch Kardex, OC

Oerlikon, Austriamicrosystems und Newron

Pharma. Nebst den grossen Renditechancen

verfügen Small- und Mid-Caps über weitere

Pluspunkte: Innovation, Flexibilität und finan-

zielle Schlagkraft. Sie zeichnen sich zudem aus

durch solide Bilanzen, Profitabilität und gerin-

ge Verschuldung. Zugute kommt den kleine-

ren Firmen ausserdem, dass sie in wirtschaft-

lichen Erholungsphasen überdurchschnittlich

stark profitieren. Damit stehen die Ampeln für

die Zukunft auf Grün, Anleger können gezielt

Einzeltitel auswählen. Eine Möglichkeit, um

breit diversifiziert in den gesamten Markt zu

investieren, bieten ETF auf den SPI. BK

66 INVEST

Page 67: PUNKT Stadt/Land

Damoklesschwert

In China ziehen jedes Jahr Millionen von Menschen vom Land in die Städte. Lebten vor rund dreissig Jahren noch über acht-zig Prozent aller Chinesen in ländlichen Regionen, sind es heute weniger als die

Hälfte. Neue Städte entstehen: Bis zum Jahr 2025 soll das Land 221 Grossstädte mit mehr als einer Million Einwohnern zählen. Dazu acht Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Die schnelle Urbanisierung gilt als wichtiger Faktor des chinesischen Wirt-schaftsbooms. Ähnlich verläuft die Entwick-lung in der Schweiz: Ländliche Gebiete und Bergregionen verwaisen, Menschen verlas-sen ihren angestammten Lebensraum, in der Hoffnung auf bessere Erwerbsmöglichkeiten und eine bessere Zukunft in den Städten. Die-se Gesetzmässigkeit gilt weltweit. Städtische Einzugsgebiete wachsen, wenn sie Zugezoge-nen Perspektiven bieten. Hier kommt der Investor ins Spiel. Ich erinnere mich an ein kürzlich geführtes Ge-spräch mit dem Vermögensverwalter einer gemeinnützigen Stiftung, deren Stiftungsver-mögen überwiegend in Staatsanleihen ange-legt sind. Da der Anlagehorizont der Stiftung als langfristig definiert worden war, stellte ich ihm die ketzerische Frage, wie er denn inves-tieren würde, wenn er seine Anlagen frühes-tens in zehn Jahren verkaufen könnte. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: In Aktien von soliden Industrie- und Kon-sumgüterunternehmen mit tiefer Verschul-dung – und natürlich in Immobilien an guter Lage. Von Staatsanleihen keine Spur, notabe-ne, da auf die langfristige Bonität von Indus-triestaaten nicht vertraut werden könne.

Was der Vermögensverwalter weiss, gilt bei Immobilieninvestitionen seit jeher: Lage, Lage, Lage. Mit einer durchschnittlichen «Le-bensdauer» von fünfzig bis achtzig Jahren in unseren Regionen lohnt es sich, demographi-sche Trends in die Analyse von Makrolagen einzubeziehen. Zuwanderung und wachsende Nachfrage nach Single-Haushalten, aber auch Überalterung der Bevölkerung führen zu ei-nem steigenden Bedarf nach Wohneinheiten und damit zu einem wachsenden Flächenbe-darf. Dies wiederum führt zu steigenden oder zumindest stabilen Immobilienpreisen. Die Zuwanderungsrate ist am stärksten in wirt-schaftlichen Ballungszentren. Das sind Städ-te mit guter Infrastruktur, wo Verkehrswege, Schulen und medizinische Versorgung lau-fend ausgebaut werden, sowie das regulatori-sche und steuerliche Umfeld Unternehmen einen attraktiven Nährboden für Wachstum und Prosperität liefert. Die Mikroebene be-rücksichtigt den Anschluss an den öffent-lichen Verkehr, aber auch die Nähe zu Ein-kaufsmöglichkeiten und Schulen. Ein Caveat zum Schluss: Wie bei allen In-vestitionen ist auch bei Immobilien der Ein-stiegszeitpunkt für den Anlageerfolg entschei-dend, das Damoklesschwert steigender Zinsen hängt über dem Anlageentscheid. Für eine Fort-setzung des gegenwärtig positiven Investitions-klimas im Schweizer Markt ist neben der an-haltend robusten Zuwanderung entscheidend, dass das Niedrigzinsumfeld bestehen bleibt. Eine Zinssteigerung würde unweigerlich zu ei-ner für die Gesamtwirtschaft schmerzhaften Preiskorrektur im Immobilienmarkt führen – die Neunzigerjahre lassen grüssen.

Dr. Mirjam Staub-Bisang ist Gründungspartnerin sowie Verwaltungsratsdelegierte der Independent Capital

Management AG. Die Rechtsanwältin und Buchautorin hält zudem einen MBA-Abschluss der INSEAD.

mirjam staub-bisang

67INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

kolumne

Page 68: PUNKT Stadt/Land

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Page 69: PUNKT Stadt/Land

Inves titionen in die Forstwirtschaft locken mit hohen Renditen und Schutz vor Teuerung – und werden immer beliebter. Was es dabei zu beachten gilt.

Durch die Urbanisierung sinkt die nutz-bare Fläche kontinuierlich, was den Wald zu einem knapperen Gut werden lässt. Der stei-gende Bedarf für Nutz- und Wertholz in Kom-bination mit den sinkenden Ressourcen der natürlichen Waldbestände spricht für steigen-de Holzpreise. Holz-Investments locken mit hohen Renditen von zehn Prozent und mehr. Ein Beispiel für die Preisentwicklung ist der NCREIF Timberland Property Index, der die Preise von Millionen von Hektar Forstflächen von US-Investmentgesellschaften berücksich-tigt. In den USA investieren Pensionskassen und Universitätsstiftungen schon seit Jahr-zehnten in Wälder. Zwischen 1987 und 2007 wies der Index einen Wertzuwachs von jähr-lich 15 Prozent auf. Seither schwächelt er. Da es schwierig ist, die zu erwartenden Renditen zu prognostizieren, ist es ratsam, sich selbst über die Lage des Waldes und die Wachstum-sprognosen zu informieren. Jährlich beträgt das weltweite Holz-Handelsvolumen etwa 160 Milliarden Franken. Rund sechzig Prozent da-von entfallen auf Harthölzer, vor allem Tro-penhölzer. Die Preise unterscheiden sich je nach Baumart, Qualität des Holzes und Ent-wicklung der regionalen Märkte. Das entscheidende Kriterium jedoch ist der Zeitraum. Bei neuen Forstprojekten ist

die erste wesentliche Ernte erst nach frühes-tens fünf bis zehn Jahren möglich. Der Anla-gehorizont sollte sich daher nach den Wachs-tumszeiten richten. Weiters sollte Anbietern der Vorrang gegeben werden, die bereits Aus-schüttungen vorgenommen haben. Jürgen Raeke, Geschäftsführer der Berenberg Private Capital, betont diesen Aspekt in einer Studie der Bank ebenfalls: «Bäume wachsen bei In-flation und Deflation. Geschlagen wird dann, wenn die Preise attraktiv sind. Der grösste Teil des Ertrags fliesst am Ende, wenn die Flächen verkauft werden.» Zudem gewinnt der Bo-den, auf dem die Bäume wachsen, mit der Zeit an Wert und erhöht die Renditechancen. Ge-schmälert werden kann der Gewinn wiede-rum durch Naturgewalten, Schädlingsbefall oder staatliche Eingriffe. Zahlreiche Unter-nehmen bieten bereits Waldinvestments an, darunter ForestFinance Panama, Miller Fo-rest, Life Foresty und Sharewood Switzerland. Zumeist sind die Standorte in Mittel- und Süd-amerika. Zu den Hölzern zählen Teak-, Basal- sowie verschiedene Laub- und Nadelbäume. Die angebotenen Anlageformen sind vielfältig: Nebst Geschenkbäumen und Spar-möglichkeiten sind auch verschiedene Eigen-tumsverhältnisse möglich – für jede Geldbör-se ist etwas dabei. Mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages werden oft auch die Auf-forstung, die Pflege und mehrere Ernten gere-gelt. Dafür müssen jedoch hohe Summen von über 20 000 Euro aufgewendet werden. Bei ge-ringeren Beträgen kann die Fläche gepachtet werden. Aus Sicherheitsgründen legen viele Anleger Wert darauf, dass die Gesellschaft die Waldgebiete kauft und nicht nur pachtet.

WALDGELD, DAS AUF BÄUMEN WÄCHST

ÄLTESTER BAUM

Alter: 9550 Jahre

Standort: Schweden

Art: Fichte

ÄLTESTER BAUM

SCHWEIZ

Alter: 1500 Jahre

Standort: Obergesteln (VS)

Art: Lärche

Umfang: 7,4 Meter

HÖCHSTER BAUM

Höhe: 115 Meter

Standort: Kalifornien

(Redwood Nationalpark)

Art: Küstenmammutbaum

DICKSTER BAUM

Stammumfang: 45 Meter

Standort: Mexiko

Art: Sumpfzypresse

Gewicht: ca. 636 Tonnen

TEUERSTES HOLZ

Art: Schlangenholz

Preis: 200.– CHF / Kg

GRÖSSTER WALD

Grösse: 1,1 Mia ha

(25% des globalen Waldes)

Ort: Südamerika, Amazonas

69INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 70: PUNKT Stadt/Land

EIGENHEIM ODER LUFTSCHLOSS?NachgefragtBARBARA KALHAMMER

Die Immobilienpreise in der Schweiz befinden sich weiterhin im Höhenflug. Dennoch führt für viele kein Weg am eigenen Heim vorbei. Ronny Haase von Wüest & Partner weiss, worauf es ankommt: Steuern, Aussicht, Infrastruktur – und natürlich die Finanzen.

PUNKTMAGAZIN Die Nachfrage nach Wohneigentum in der Schweiz ist anhaltend hoch. Wird der Boom primär durch die tie-fen Zinsen getragen?RONNY HAASE_ Der Nachfrageschub und die damit verbundene Preis-zunahme der letzten Jahre hat mehrere Gründe. Zwar wird vielerorts das tiefe Zinsniveau für die Preisanstiege verantwortlich gemacht, aber dies stellt letztendlich nur einen der Einflussfaktoren dar. Tiefe Zinsen alleine hätten kaum zu den Preissteigerungen der vergangenen Jahre geführt.

Welche anderen Einflussfaktoren meinen Sie? Dazu zählen das Be-völkerungswachstum, gestiegene Einkommen, ein stabiler Arbeitsmarkt, ein erhöhter Flächenbedarf pro Person sowie fehlende Anlagealternativen auf dem Kapitalmarkt. Die markant gewachsene Zusatznachfrage erklärt sich durch das Zusammenfallen verschiedener Ereignisse.

Droht ein Überangebot? Das denke ich nicht. Zwar sind ein breiteres Angebot und eine weiterhin hohe Neubautätigkeit festzustellen, die Nach-frage ist jedoch nach wie vor rege. Dies zeigt sich beispielsweise in der un-veränderten Insertionsdauer beider Segmente, die zwischen sechzig und achtzig Tagen liegt.

Erwarten Sie bei Wohneigentum weiterhin steigende Preise? Für Eigentumswohnungen erwarten wir in diesem Jahr einen Preisanstieg von über zwei Prozent. Für Einfamilienhäuser liegt unsere Prognose bei 2,8 Prozent. In beiden Fällen bedeutet dies zwar eine Abschwächung der Preis-anstiege, aber noch keine Trendwende.

Oftmals stellt sich die Frage: Haus oder Wohnung? Welche Denk-anstösse können Sie uns liefern? Hier stehen die persönlichen Bedürf-nisse im Vordergrund. Personen über fünfzig bevorzugen beispielsweise Ei-gentumswohnungen statt Einfamilienhäuser. Daneben sind ökonomische Aspekte zu berücksichtigen. Die relativen Preise sprechen eher für Eigen-tumswohnungen statt Einfamilienhaus. Darüber hinaus ist das Angebot

«Zwar sind ein breites

Angebot und eine wei-

terhin hohe Neubau-

tätigkeit festzustellen,

die Nachfrage ist jedoch

nach wie vor rege.»

70 INVEST

Invest

Page 71: PUNKT Stadt/Land

Blicken wir nach vorne: Welche Regionen werden sich in den nächsten Jahren, auch bevölkerungstechnisch, am stärksten ent-wickeln? Das grösste Bevölkerungswachstum erwarten wir im freiburgischen Greyerzerland mit dem Regionalzentrum Bulle. Eine anhal-tende Bevölkerungszunahme wird in den kom-menden Dekaden auch in ausgewählten Städten erwartet. Hervorzuheben ist Zürich, die Stadt dürfte bis 2030 stark wachsen. Dagegen sollte die Einwohnerzahl in Bern etwa gleich bleiben.

Wie werden sich diese Entwicklungen auf das Preisniveau auswirken? Das Angebot an Wohnraum hinkt in boomenden Regionen im-mer der Nachfrage hinterher. Daher drückt sich die Attraktivität der Städte sicherlich auch mit überdurchschnittlichen Preissteigerungen aus.

Ein wichtiges Thema ist die Wohnzufrie-denheit. Wie kann diese auf einer allge-meinen Ebene beurteilt werden? Umfragen zeigen, dass Aspekte wie Licht und Sonne, Sym-pathie zum Quartier sowie der Zugang zu öf-fentlichen Verkehrsmitteln relevant sind. Zum Schluss bestimmt sich die Wohnzufriedenheit aber durch die Eigenschaften der Wohnung und des Umfelds und insbesondere durch de-ren Übereinstimmung mit den persönlichen Bedürfnissen.

Welche Infrastruktureinrichtungen wer-den von den Eigentümern bevorzugt? Je-ne, die einen unmittelbaren Nutzen generieren, werden in der Tendenz unkritischer angesehen. Am höchsten ist die Akzeptanz gegenüber Ei-senbahnen. Auch Autobahnen und Flughäfen schneiden im direkten Vergleich relativ gut ab.

Dr. Ronny Haase ist Partner bei Wüest & Partner sowie Leiter Markt und Research.

theken durch Banken an strengere Vorgaben bin-den. Die erste betrifft die Eigenkapitalstruktur der Hypothekarschuldner. Der Anteil von Eigen-kapital, das nicht aus dem Guthaben der zweiten Säule stammt, muss mindestens zehn Prozent des Belehnungswertes betragen. Die zweite Bestim-mung regelt die Teilamortisation der Hypothekar-schuld. Hypothekarschulden, die zwei Drittel des Marktwerts der Liegenschaft übersteigen, müssen innert zwanzig Jahren amortisiert werden.

Die Lage der Immobilie spielt eine entschei-dende Rolle. Ganz allgemein: Wo lebt es sich am besten? Stadt, Agglomerationen oder Land? Dafür gibt es keine einheitliche Antwort. Sowohl die Städte und deren Agglomerationen so-wie ländliche Gebiete haben ihre jeweiligen Vor-züge. Zwar wachsen die Einwohnerzahlen in den Agglomerationen am stärksten, aber auch Klein-städte wie Orbe im Waadtland steigen in der Be-liebtheit. Die Präferenzen der Bevölkerung sind diesbezüglich unterschiedlich. Wenn Personen nach einer neuen Wohnung Ausschau halten, lie-gen die Gründe dafür mehrheitlich im persönli-chen Umfeld. Im Fokus stehen familiäre Verände-rungen, wie die Gründung einer Familie oder eine Scheidung.

Welche Regionen sind in den vergangenen Jahren am stärksten gewachsen? Am stärks-ten war das Wachstum in französischsprachigen Regionen. Das grösste Bevölkerungswachstum verzeichneten die Kantone Freiburg und Waadt. Sie haben damit das tiefere Wachstum vorange-gangener Jahrzehnte teilweise kompensiert.

Was waren die Gründe für das hohe dortige Wachstum? Insbesondere die Schaffung neuer Arbeitsplätze, der Bau von zusätzlichem Wohn-raum und verbesserte Verkehrsanbindungen ha-ben zu einer erhöhten Attraktivität geführt.

Gibt es konkrete Gemeinden, die man aus Überhitzungsgefahr meiden sollte? Natür-lich gibt es immer noch sogenannte Hotspots, in denen der Immobilienmarkt als überhitzt ange-sehen werden kann. Sie liegen am Genfer- und Zü-richsee, in einzelnen Gebieten der Innerschweiz sowie in einer Handvoll touristischer Gemeinden. Wir gehen davon aus, dass es in diesen zu mode-raten Preiskorrekturen kommen wird. Das hätte zwar Auswirkungen bei einem allfälligen Verkauf, doch den konsumtiven Nutzen tangiert das nicht.

Und wo lebt es sich am günstigsten? Schaut man auf die Preise für Eigentumswohnungen, sind Regionen wie das obere Emmental oder das Glarner Hinterland zu erwähnen. Allerdings sind bei hohen Einkommen die steuergünstigen Ge-meinden attraktiv – trotz der hohen Wohnkosten.

an Eigentumswohnungen aufgrund der intensi-ven Neubautätigkeit vielerorts breiter als dasje-nige von Einfamilienhäusern. Gegen Wohnungen spricht, dass man hier nicht alleiniger Eigentümer sondern «nur» Miteigentümer eines Gebäudes ist. Das kann zu Rechtsstreitigkeiten führen.

Was sind die wichtigsten Faktoren beim Er-werb eines Eigenheims? Ein Eigenheim ist ein langfristiges Engagement. Aus diesem Grund soll-te sich ein Interessent zuerst der eigenen Bedürf-nisse bewusst werden. Wichtig dabei ist, welche Grösse und Aufteilung des Eigenheims, welcher Ausbaustandard und welche Grundstücksgrösse gewünscht werden. Auch die Lage ist relevant. Dazu zählen Aspekte wie Aussicht, nahegelegene Schulen und Einkaufsmöglichkeiten, die Verkehrs-anbindung und natürlich auch das Steuerniveau.

Die finanzielle Situation ist vermutlich ebenso zentral. Richtig, neben der persönlichen muss auch die finanzielle Seite stimmen. So sollten nicht sämtliche Eigenmittel investiert werden und die Hypothekarzinsen müssen auch bei einem An-stieg tragbar sein. Zuletzt dürfen auch die Wohn-nebenkosten nicht unberücksichtigt bleiben.

Welche anderen Aspekte gibt es? Für die Wer-terhaltung einer Liegenschaft ist es wichtig, dass der laufende Unterhalt nicht vernachlässigt wird. Dafür sollte jährlich ein Prozent des Marktwerts budgetiert beziehungsweise zurückgestellt wer-den. Darüber hinaus sollten sich Eigentümer der Risiken von persönlichen Veränderungen wie bei-spielsweise einer Scheidung oder Berufsinvalidi-tät bewusst sein und allfällige Konsequenzen be-reits beim Kauf regeln.

Sie haben vorhin die Steuern erwähnt. Könn-te es hier Änderungen geben? Ein Eigentü-mer sollte sich an den Abgaben und Steuern orientieren, die in seiner Gemeinde beziehungs-weise in seinem Kanton derzeit bestehen. Dies beinhaltet zum Beispiel Notariats- und Grund-buchgebühren, Handänderungs- und Grund-stückgewinnsteuer, Liegenschaftssteuer und den Eigenmietwert. Aber es ist schon so, dass der Im-mobilienmarkt ein beliebtes politisches Thema ist.

Sind beim Eigenmietwert Änderungen zu er-warten? Veränderungen verschiedener Gesetze und Regulierungen werden immer wieder disku-tiert. Das trifft auch auf den Eigenmietwert zu. Ob und wann es diesbezüglich zu einer Veränderung kommt, steht in den Sternen.

Der Bundesrat hat im letzten Jahr die Fi-nanzierungsanforderungen verschärft. Was bedeutet das konkret? Sie umfasst zwei Min-destbestimmungen, welche die Vergabe von Hypo-

71INVESTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 72: PUNKT Stadt/Land
Page 73: PUNKT Stadt/Land

73LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

TextDMITRIJ GAWRISCH BildFABIAN WIDMER

Von wegen passive Schweizer:

Jeder zweite ist aktives Mitglied in

einem Verein. Mehr als 100 000

davon gibt es hierzulande – einen

pro 80 Einwohner. Zwei dieser

Vereine verbindet die Liebe zum

Bier. Der Genuss allerdings folgt

schriftlich festgehaltenen

Regeln.

«I GHÖRE DERZUE»

LEBENSART

Page 74: PUNKT Stadt/Land

Als Stadtzürcher ist Bobby Stahel keiner, der Angst vor Neuem hat. Er betreibt eine Web-site, telefoniert mit dem iPhone, liest Maga-zine auf dem iPad und verschickt über Fa-cebook Einladungen zu Anlässen. Auch die Pokerregeln sind dem 35-jährigen Bankan-gestellten geläufig. Trotzdem hat er das aus

Amerika importierte Trendspiel bisher nur ein einzi-ges Mal gespielt. Nein, er hat keine Allergie auf Karten. Er mag einfach ein anderes Kartenspiel lieber. Ein Spiel, das in der Schweiz tiefere Wurzeln hat als Tennis und Fussball zusammen. Ein Spiel, das gleich-zeitig nach Villigerstumpen und frischer Bergluft riecht. Bobby Stahel ist ein leiden-schaftlicher Jasser. Um seine Passion zu le-ben, hat er zusammen mit zwei Freunden einen Jassverein gegründet. Die Idee dazu entstand an einem Samstagnachmittag im Februar 2008, nachdem sich Stahel mit zwei Freunden in der Bauernschenke in der Zürcher Altstadt getroffen hatte, um bei Bier und Schnaps einen Jass zu klopfen. Neben einem Kater am nächsten Morgen brachte der Abend die Einsicht mit, dass es nicht verkehrt wäre, sich regelmässig zum Jassen zu ver-abreden. Schon im Juni darauf wurde der Alternative Jassklub Zürich gegründet. Al-ternativ ist Stahels Jassklub, weil einerseits nur Städter Mitglied sind – normalerweise sind Jassver-eine eher auf dem Land angesiedelt und ihre Vereinslo-kale heissen Krone, Hirschen oder Eidgenosse. Ander-seits sind die alternativen Jassfreunde verhältnismässig jung: Das älteste Klubmitglied ist 42, die meisten sind erst um die Dreissig. Vereinsland schlechthin Armbrustschützen, Tauben- und Kaninchenzüchter, Freunde der Zahl π – es gibt kaum ein Interesse, das keine Gleichgesinnten findet, die sich früher oder später zu einem Verein zusammen-

schliessen, oder besser: vereinen. Die kleine Schweiz gilt als Vereinsland schlechthin. Rund 100 000 Vereine soll es hierzulande Schätzungen zufolge geben. Bei acht Millionen Einwohnern ergibt das einen Verein auf 80 Leute. Das Bundesamt für Statistik beziffert den Anteil der Personen ab 14 Jahren, die sich in mindestens ei-nem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation aktiv betätigen, mit fünfzig Prozent. Genaue Daten zur Schweizer Vereinslandschaft gibt es allerdings nicht. Grund dafür ist, dass sich Vereine nicht eintragen las-sen müssen. Es gibt kein zentrales Vereinsregister und

somit keine umfassende Vereinsstatistik. Eine Ein-tragung im Handelsre-gister ist nur für Vereine vorgeschrieben, die kom-merziell ausgerichtet sind. Freizeitvereine wie der Alternative Jassklub können sich zwar freiwil-lig registrieren, tun das jedoch nur selten. Wozu auch? Der Eintrag kostet 400 Franken, bringt dem Verein aber bis auf eine amtliche Kurzmeldung im SHAB, dem Schwei-zerischen Handelsamts-blatt, keine Vorteile.

Um in der Schweiz einen Verein zu gründen, ver-langt das Zivilgesetzbuch, dass sich mindestens zwei, besser aber drei Personen zu einer Gründungsver-sammlung treffen und schriftlich die Vereinsstatuten erstellen. Diese müssen über den Zweck des Vereins und die Mitgliederbeiträge informieren. Nach Artikel 75a des Zivilgesetzbuches haftet für die Verbindlich-keiten des Vereins, sofern die Statuten nichts anderes festlegen, ausschliesslich das Vereinsvermögen. Die-se Klärung wurde 2005 ins Gesetz aufgenommen, weil zuvor eine paradoxe Situation bestand: Waren in den

Armbrustschützen,

Tauben- und Kaninchen-

züchter, Freunde der

Zahl Pi – es gibt kaum ein

Interesse, das keine

Gleichgesinnten findet,

die sich zu einem Verein

zusammenschliessen.

Göpf Egg sollte jedem Jasser

ein Begriff sein. Zusammen

mit Kurt Felix entwickelte er

die TV-Jass-Sendung «Stöck

– Wys – Stich». Als Schieds-

richter im «Samschtig-Jass»

wurde Egg schliesslich be-

rühmt, wenn nicht gar Kult.

74 LEBENSART

Lebensart

Page 75: PUNKT Stadt/Land

Statuten Mitgliederbeiträge festgelegt, hafteten Mit-glieder nur in der Höhe des jährlichen Vereinsbeitrags. Wurden aber keine Beiträge in den Statuten genannt, durften Gläubiger bei einem Konkurs auf das Privat-vermögen der Vereinsmitglieder zugreifen – was gele-gentlich richtig teuer wurde. Beim Alternativen Jass-klub bezahlt jedes Mitglied hundert Franken im Jahr. Damit bedruckt der Verein Jasskarten mit dem Vereins-logo, bezahlt den Internetauftritt – und den Ausflug ans Eidgenössische Schwingerfest im kommenden August: 2013 feiert der Jassklub sein fünfjähriges Jubiläum.

Jeder Dritte treibt Vereinssport Während es zur An-zahl von Vereinen wenig gesicherte Daten gibt, wurden im Freiwilligenmonitor 2007 Mitgliederzahlen den Ver-einstypen zugeordnet. Demnach ist ein Drittel der Be-völkerung der Schweiz Mitglied in einem Sportverein, 28 Prozent sind aktive Mitglieder. Danach folgen mit 24 Prozent Spiel-, Hobby-, Freizeitklubs, mit 21 Prozent kulturelle und mit 11 Prozent karitative Gruppen. Das Schlusslicht bilden politische, religiöse und ökologi-sche Parteien. Mehrfachnennungen waren möglich: So ist etwa Bobby Stahel neben dem Jassklub, einem Frei-zeitverein, auch in einem Sportverein aktives Mitglied, nämlich beim Fussballclub Pfäffikon. Wenn sich Stahel mit seinen Mitjassern trifft, dann stehen natürlich Schellen, Rosen, Schilten und Eicheln im Mittelpunkt. Aber nicht nur: Es geht auch um Gemeinschaft und ge-meinsamen Spass. «In den letzten fünf Jahren sind wir Freunde geworden», sagt der Vizepräsident über die Mitglieder des Alternativen Jassklubs. Alle sechs Wo-chen organisiert der Verein einen Jassnachmittag. Dieser folgt einem festen Ablauf. Bis 14 Uhr sam-meln sich die Jasser im Hooters am Zürcher Helvetia-platz – nicht wegen der knappbekleideten Mädchen, die dort bedienen, versichert Stahel, sondern weil das Lo-kal gross genug sei, um dort zu sechzehnt Platz zu fin-den. Man trinkt gemeinsam das erste Bier und lernt die Gastjasser kennen: Die festen Mitglieder bleiben nicht unter sich, sondern laden jeweils wechselnde Gäste ein, um Gleichgesinnte kennenzulernen. Gegen 15 Uhr wechseln die Jasser ins Quartierrestaurant Schnupf beim Rangierbahnhof. An vier Tischen wird dort über drei Runden der Schieber gespielt. Dafür sind genau 16 Spieler nötig: zwölf feste Vereinsmitglieder und vier Gäste. Wenn ein Mitglied verhindert ist, muss er einen Ersatzspieler stellen. Tut er das nicht, droht von Ver-einsseite eine Busse von bis zu 200 Franken, die sich bei Nichtbezahlung vervielfacht. «Das ist auch nötig», rechtfertigt Stahel die streng erscheinende Regel, «fehlt ein Spieler, kann ein Tisch keinen Schieber jassen.» Die Formulierungen des elf Seiten starken Re-gelwerks des Alternativen Jassklubs Zürich lassen ei-nen schmunzeln, ernst gemeint sind sie dennoch. Ne-ben den eigentlichen Jassregeln enthält das Reglement verbindliche Vorschriften zu Pausen oder zur Nutzung des Mobiltelefons. «Um uns selber von der Sucht des Vernetzungsbedürfnisses zu befreien, müssen wir uns vom Handy loslösen», heisst es darin. Ausser im Notfall dürfen während des Spiels keine Anrufe entgegenge-

nommen, keine Kurznachrichten geschrieben oder ge-lesen und auch nicht im Internet gesurft werden. Auch hier gilt: Wer gegen die Regeln verstösst, erhält Punkte-abzug oder muss eine Runde Bier ausgeben. Um exzes-sives Trinken zu verhindern, hat sich der Alternative Jassklub ein Trinkreglement gegeben. Dessen oberster Punkt lautet: Alle trinken gleich viel. «In unserem ers-ten Vereinsjahr haben einige über den Durst getrun-ken», sagt Stahel. «Das wollten wir mit dem Trinkreg-lement unterbinden.» Pro Runde muss mindestens ein halber Liter Bier getrunken werden, mehr als ein Liter darf es aber auch nicht sein. Pro Spiel ist zudem eine Schnaps-Runde erlaubt, sofern alle Mitspieler einver-standen sind. Während der Pausen dürfen auch alko-holfreie Getränke konsumiert werden, nur der Gesel-ligkeitskiller Tee ist verboten.

Bierangelegenheiten Auch beim Schützenverein Schweizerischer Studierender, kurz SSS, ist das Bier wichtiger Teil des gemeinsamen Rituals – im Winter je-denfalls. Allein die Trinksitten des Traditionsvereins, der zugleich eine Studentenverbindung ist, bringt es auf stolze 14 Seiten. Ihr Zweck sei es, «die Disziplin an den Sitzungen, die Gemütlichkeit in der Kneipe, die Fidelität im allgemeinen unter den Mitgliedern des SSS zu fördern und dieselben vor dem abscheulichen Laster des stillen Suffes zu bewahren.» Auch die Treffen des Schützenvereins folgen ei-ner vordefinierten Ordnung. Aktive Vereinsmitglie-der, allesamt männliche Studierende oder Doktorie-rende der Universität Zürich und der ETH, treffen sich am Donnerstagabend im Vereinslokal, den «Drei Stu-ben», zum wöchentlichen Stamm. Der Vereinspräsident sitzt ab 20 Uhr oben am Tisch, während der akademi-schen Viertelstunde treffen die übrigen Mitglieder ein, bestellen das erste Bier und prosten dem Präsidenten anmeldungshalber zu. Während des Abends sorgt

75LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

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Page 76: PUNKT Stadt/Land

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der Präsident für Ordnung, entzieht und erteilt den Anwesenden das Wort, stimmt Lieder an und verhängt Bierstrafen, falls sich einzelne Anwesende «nicht nach Gebühr» aufführen, das heisst zu laut sind, andere nicht ausreden lassen oder sich unerlaubt von der gemein-samen Tafel entfernen, erklärt Andreas Spälti, der dem Verein 2011 als Präsident vorstand. Was zeichnet den Präsidenten der Schützen aus? «Er muss Humor haben, schlagfertig sein – und auch trinkfest», lacht der studier-te Jurist. Der SSS ist aber auch ein Sportverein. In ihrer Studie «Sportvereine in der Schweiz 2011» haben Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport 3067 Vereine ge-zählt, die einem Schiesssport nachgehen. Einige von ih-nen sind bereits über 100 Jahre alt – darunter der SSS, der während Spältis Amtszeit sein 150-jähriges Jubilä-um feierte. Der älteste bekannte Verein der Welt stammt aus dem Jahr 1413. Gegründet wurde «La Court de Bon-ne Compagnie», der Hof der guten Gesellschaft, von frommen Tempelherren in London. Er sollte wohl-tätigen Zwecken dienen und das Bedürfnis nach Ge-meinschaft und Geselligkeit befriedigen. Im 17. Jahr-hundert entstanden vor allem im deutschsprachigen Raum Sprachgesellschaften, die sich für die Erfor-schung und Förderung der deutschen Sprache einsetz-ten. Die «Fruchtbringende Gesellschaft», 1617 gegrün-det, existiert als «Neue Fruchtbringende Gesellschaft» noch heute. Im 18. Jahrhundert schlossen sich Män-ner der englischen Oberschicht zu Gentlemen’s Clubs

zusammen. Während der Aufklärung entstanden erste literarische Gesellschaften, die gemeinsam Bücher la-sen und besprachen – eine Tradition, die in der monat-lich ausgestrahlten Sendung «Literaturclub» auf SRF1 noch heute zelebriert wird. Während der Französischen Revolution schliesslich entstanden politische Gesell-schaften, die Vorläufer der heutigen Parteien, ebenfalls eine Tradition, die vor Wahlen und wichtigen Abstim-mungen exzessiv zelebriert wird. Jung und Alt beisammen «Was ich an unserem Verein besonders schätze, ist der Austausch zwischen den Ge-nerationen», sagt Spälti. Der 33-Jährige kennt keinen an-deren Verein, in dem Jungs, Männer und Altherren zu-sammen bis in die späten Abendstunden über Gott und die Welt diskutieren können. Auch der fachliche Rat ei-nes erfahrenen Arztes, Anwalts, Bankers oder Künstlers sei stets willkommen, so Spälti. Im Winter begegnen sich die Vereinsmitglieder meistens in den «Drei Stuben», im Sommer dagegen sind sie vermehrt draussen und füh-ren Schiessanlässe und Wettkämpfe durch. Das obligato-rische Schiessen etwa absolvieren viele Studenten beim SSS. Auch am jährlichen Feldschiessen sind die Stu-dentenschützen in ihrer Vereinstracht mit Mütze und weiss-weinrotem Band stets anwesend. Heute zählt der Schützenverein Schweizerischer Studierender rund 25 aktive Mitglieder, der Altherren-verband umfasst weitere 100 Schützen. Mehr als drei Viertel von ihnen haben eine Offizierslaufbahn hinter

44

Werbung

Page 77: PUNKT Stadt/Land

verein für Senioren. Jedoch ist «Bildung» nur in den sel-tensten Fällen explizit als Vereinszweck aufgeführt, sie findet zumeist nebenbei statt: Ein Quartierverein etwa kann primär das Zusammenleben fördern wollen – und trotzdem bildend wirken, indem er etwa aktuelle poli-tische Themen aufgreift. In der Schweiz gelten Vereine nicht ohne Grund als Schulen der Demokratie. Auch Gemeinden können auf das Vereinswesen nicht verzichten, obwohl nur jede fünfte von ihnen den Vereinen ein Mitspracherecht gewährt. Im Sport etwa prägen Vereine wie der mehrfache Schweizer Meister im Frauenvolleyball, Volley Köniz, die Identität einer Gemeinde wie Köniz, einem Vorort von Bern, stärker als die Lokalpolitiker oder ansässige Unternehmen. Vereine stärken den Zusammenhalt unter der Bevöl-kerung: Bereits 1970 sang der Mundart-Liedermacher Mani Matter: «Mir hei e Verein, i ghöre derzue.» Nicht zu vernachlässigen ist auch die wirtschaftli-che Bedeutung der Vereine. Das statistische Bundesamt schätzt die Dauer geleisteter Vereinsarbeit pro Jahr auf 700 Millionen Stunden, 94 Prozent davon ehrenamt-lich. «Das ist beinahe gleich viel, wie im gesamten Ge-sundheits- und Sozialwesen in einem Jahr bezahlt gear-beitet wird», heisst es beim Bundesamt. Allein in Sportvereinen werden jährlich Leistun-gen im Gegenwert von rund 24 000 Vollzeitstellen er-bracht. Müsste diese Arbeit vergütet werden, käme man bei einem mittleren Stundenlohn von 43 Franken auf einen Betrag von 2,1 Milliarden Franken. Wenn man diese Kosten auf die Vereine abwälzen würde, stiegen die Vereinsbeträge auf 1000 Franken – heute betragen sie durchschnittlich 100 Franken. Da Sportclubs nur ein Drittel aller Vereine in der Schweiz ausmachen, sum-miert sich die volkswirtschaftliche Leistung der Turn- und Hockeyvereine, der Literatursalons und Wander-gruppen, der Jassklubs und Schützenverbindungen auf mehr als sechs Milliarden Franken pro Jahr.

sich, schätzt Spälti. Die meisten seien auf den Verein gestossen, weil sie nach Gleichgesinnten gesucht hät-ten. Andere sind den umgekehrten Weg gegangen: Erst im Verein haben sie mit dem Schiesssport begonnen. Vereinsmitgliedschaften sind in der Schweiz in den 1980-er Jahren massiv gewachsen. Ihren Höhepunkt erreichten sie Mitte der neunziger Jahre. Seitdem sind die Zahlen wieder rückläufig, wie Untersuchungen des Bundesamts für Statistik zeigen. Seit 1995 verschwan-den in der Schweiz rund 7000 Sportvereine – von Ver-einssterben ist die Rede, weil immer mehr Menschen Individualsport wie Radfahren oder Joggen betreiben oder ein Abo im Fitnesscenter haben. Die verbleiben-den Vereine müssen um ihre Mitglieder kämpfen. Der SSS ist dabei keine Ausnahme. «Seit die Bolo-gna-Reform in Kraft ist, stecken die Studenten in stän-digem Prüfungsstress», klagt Spälti. Für Vereinsaktivi-täten hätten viele keine Zeit. Also machen die Schützen fleissig Werbung: Beim Studienbeginn informieren sie die Erstsemester der ETH und der Uni über das Verein-sangebot. Sie haben eine Web- und Facebook-Seite und sie werben nicht zuletzt Mund-zu-Mund. Interessierte werden zum Stamm eingeladen. Wer dabei bleibt, kann nach einigen Monaten einen formellen Aufnahmean-trag stellen. Pro Semester wird etwa ein Neumitglied aufgenommen, also zwei pro Jahr. Das entspricht un-gefähr der Zahl der aktiven Mitglieder, die aus der Ver-bindung in den Altherrenverband wechseln. Der SSS ist als Lebensverbindung konzipiert: Wer einmal dabei ist, bleibt in der Regel bis zum Tod Mitglied.

«Mir hei e Verein, i ghöre derzue» Vereine in der Schweiz sind nicht nur eine praktische Lebensschule, sie leisten auch einen wertvollen Beitrag zur Volksbil-dung. Will ein Verein auf Dauer erfolgreich sein, muss er interessante Inhalte bieten – das gilt sowohl für den philosophischen Debattierclub als auch für den Tanz-

77LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

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MEDIALE LANDLUSTTextCLAUDIA THÖNY IllustrationFABIAN WIDMER

Biederes Landleben war einmal. Heute entspannt sich die Managerin beim Unkraut jäten und freut sich, wenn sie dem digitalen Stress für einen Mo-ment entfliehen kann. Das Landleben hat ein neues Image, das die Medien erfolgreich in Szene setzen.

Sie steht im überfüllten Tram. Bei jeder Haltestelle vermischt sich eisige Luft mit dem fettigen Geruch von Pommes und Bur-ger, der aus dem hinteren Wagen strömt. Endlich erwischt sie ei-nen freien Platz und lässt sich müde auf den Sitz plumpsen. Ihr Rü-cken schmerzt und die Augen brennen von einem weiteren Tag vor dem Computerbildschirm. Sie holt die Zeitschrift aus ihrer Tasche und beginnt, die Seiten mit den schönen Naturbildern durchzublät-tern. Sie studiert die Apfelkuchen-Rezepte, hält bei den Wohntipps für lauschige Ecken mit Ofenbänklein und Schaffell inne, liest den Artikel über die Zufriedenheit ausstrahlende Bauernfrau und ihren Hofladen und träumt sich in eine beschauliche Gegend, ohne Hektik und künstlich beleuchtete Büroräume. An einen Ort, wo statt Stra-ssenlärm heiteres Kuhglocken-Bimmeln die Stille auflockert und der «Bless» einen schwanzwedelnd begleitet, wenn man im Gemü-segarten vor dem schönen Riegelhaus einen frischen Salat holt. Sie ist nicht die einzige, die davon träumt. Die Sehnsucht nach dem Land ist gross und das kommerzielle Potenzial, das diese Sehn-sucht birgt, ebenso. Das machen sich die Verlage zu Nutze und näh-ren die Landlust ihrer Leser mit lieblichen Grüssen aus der Provin-zidylle. «Zurück in die Natur!» und «Leben mit den Jahreszeiten» proklamiert beispielsweise die Ringier-Zeitschrift «LandLiebe» auf ihrer Website und bezeichnet sich selbst als «entschleunigend, ro-mantisch, poetisch und frei von Glanz&Gloria.» Was nach Bünzli-tum und Langeweile klingt, erlebt seit einigen Jahren einen regel-rechten Boom. So ist die sechsmal jährlich erscheinende «Landliebe» eine der erfolgreichsten Ringier-Neulancierungen überhaupt. Seit der Erstpublikation im April 2011 konnte die Zahl der verkauften Exemplare kontinuierlich gesteigert werden. Nur eineinhalb Jahre später sind es 100 000 – bereits halb so viele, wie die seit Jahrzehnten etablierte «Schweizer Illustrierte».

Rustikaler Medienwandel Solche Verkaufszahlen sind bemer-kenswert in einer Zeit, in der die Printmedienbranche in vielen Be-reichen vor sich hinserbelt und die Verleger wie David gegen den Internet-Goliath und andere Branchenfeinde ankämpfen. Ringier sei selber erstaunt über den grossen Erfolg, sagte Zeitschriften- Geschäftsführer Urs Heller in einem Interview. Erstaunen sollte es

78 LEBENSART

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nicht, denn das deutsche Vorbild und Bran-chenprimus «Landlust» ist seit seiner Lan-cierung vor sieben Jahren ein Goldesel und gehört zu den auflagenstärksten Kaufzeit-schriften in Deutschland. Mit seiner Schöp-fung war eine neue Zeitschriftengattung ge-boren. Oder war es gar der Beginn eines neuen Lifestyles? Plötzlich machen Medien das Landleben zum Thema und versorgen das breite Publikum mit Strickanleitungen für Wollwesten, huldigen Arnika und Hage-butte und portraitieren bodenständige Pro-vinzler, die mit Passion ihren Handwerks-beruf ausüben. Auf diesen soliden Überlandzug spran-gen in den letzten Jahren viele Medienhäuser und Rundfunksender auf. Sie schufen dafür eigens neue Gefässe oder bauten bestehende ländliche Formate aus. Der Medienkonzern Tamedia etwa lanciert noch diesen Frühling die neue Zeitschrift «Natura», die zehn regi-onalen Tageszeitungen beiliegen wird. Die aus dem gleichen Verlag stammende und in «Tages-Anzeiger» und «Bund» erscheinen-de Wanderkolumne «Zu Fuss» von Thomas Widmer erhält derart viel Resonanz, dass der Journalist bereits drei Bücher zu dem The-ma veröffentlichen konnte. Dazu betreibt er einen Blog mit grosser Fangemeinde – der deutsche «Spiegel» hat ihn gar mit dem Titel «Schweizer Wanderpapst» beehrt. Am Fern-sehen besetzt Moderator Nik Hartmann die Rolle des Wanderers der Nation. In «Über Stock und Stein» nahm er das Publikum von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) von 2009 bis 2011 jeden Freitagabend mit auf sei-ne Frischluft-Erlebnisse. Die Sendung war ein Quotenhit. Unter derselben Dachmar-ke «SRF bi de Lüt» laufen aktuell Produkti-onen wie «Landfrauenküche», «Hüttenge-schichten» und «Töfflibuebe» – letztere zwei ebenfalls mit Moderator Hartmann. Im Zen-trum stehen Menschen und ihre Geschich-ten, Landschaften und Traditionen. Ein ande-rer TV-Schlager ist die 3Plus-Kuppelsendung «Bauer, ledig, sucht…», die analog dem inter-nationalen Format «Bauer sucht Frau» funk-tioniert. In dieser versucht der Appenzeller Moderator Marco Fritsche, dem Liebesglück der manchmal etwas unbeholfenen Bauern auf die Sprünge zu helfen. Im Gegensatz zu vielen anderen Medi-en mangelt es diesen ländlichen Formaten nicht an finanziellen Treibern. Dank ihres naturaffinen Publikums sind sie die perfek-ten Werbeträger für Produkte und Dienstleis-tungen, die sich als «biologisch», «nachhaltig», «regional» und «natürlich» preisen – und die-se machen mittlerweile einen beachtlichen Marktanteil aus.

Gemüse statt Politik Die Gründe, weshalb die «Landmedien» beim Publikum derart gut ankommen, sind vermutlich im Zeit-geist zu suchen – zumindest, was die urba-nen Konsumenten betrifft: In einer globa-len, digitalen, hektischen, materiell und von Leistung geprägten Umgebung sehnt sich vor allem der Städter nach Bodenständig-keit, Authentizität, nach Langsamkeit und Idylle. Dieses «Heimweh» verspürt nicht nur die ältere, sondern auch die jüngere Ge-neration: So ist der Städter mit Schrebergar-ten und eigenen Salatgurken plötzlich cool, und weibliche Hipsters ernten unzählige Facebook-Likes, wenn sie stolz die Resulta-te ihrer Strickabende posten. Gummistie-fel erblickt man mittlerweile sogar am Zür-cher Paradeplatz, wo er grazile Frauenbeine in edlen Strumpfhosen ziert. Dass man in einer solchen Zeit diesen Lifestyle gerne auch in den Medien konsumiert, ist nahe-liegend. Im Gegensatz zu den städtischen Zielgruppen schätzen es jene der ländli-cheren Gebiete, wenn sie neben amerikani-schen Grossstadt-Serien und Berichten über die internationalen Brennpunkte auch Bil-der ihres eigenen Lebens im Fernsehen fin-den. Es bestätigt gewissermassen, dass der vermeintlich unspektakuläre Provinzalltag doch nicht so uninteressant ist. Und, dass das Leben dort gut ist. Medienwissenschafter verfolgen die-sen Heile-Welt-Trend mit Bedauern. Sie stel-len fest, dass sich die Interessen der Kon-sumenten in den letzten Jahren verlagert haben: weg von politischen Themen hin zu Lifestyle. «Facts» verschwindet, «Landliebe» kommt; kritische Berichterstattung weicht schönmalerischer und seichter Unterhal-tung. Illusionen statt Realität. Ob sich dieser Trend weiter fortsetzt, oder ob dereinst wie-der eine Gegenbewegung einsetzen wird, ist derzeit unklar. Die von ihrem Alltag gestresste, ein-gangs geschilderte Frau macht sich darüber keine Gedanken. Sie steigt mit dem Land-magazin in der Hand aus dem Tram und freut sich auf einen entspannten TV-Abend mit dem «Bergdoktor» und Ivo Adams «Schwiizer Chuchi».

79LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

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VON STADT-GÄRTNERNTextRINO BORINI

Löst Urban Gardening den Schrebergar-ten ab? Nein. Stadtmenschen erobern zwar Flecken mitten in der Stadt, um sie zu bepflanzen, doch der klassische Gar-ten am Stadtrand erfährt ein Revival.

Urbanes Gärtnern ist kein Modetrend mehr, es hat sich etabliert. Egal ob in New York, London, Ber-lin oder Bern: In jeder grösseren Stadt sind Stadtbau-ern unterwegs. Angefangen hat die Bewegung in den Siebzigerjahren, als Keimzelle gilt New York. Damals nannte sich die Bewegung «Guerilla Gardening». In der Nacht wurden vom Fahrrad aus oder beim Spa-zierengehen «Seed Bombs» auf öffentlichen Grün-flächen, Verkehrsinseln oder anderen Orten ausge-sät. Diese kugelförmigen Samenbomben bestanden aus einer Mixtur aus getrockneter Erde, Ton und Sa-men. Mit der Begrünung protestierten sie gegen die Verwahrlosung ganzer Stadtteile. Mit der Zeit schlo-ssen sich diese Gartenkrieger zusammen und gestal-teten ihre eigenen Gärten. Später eroberte die Bewe-gung der Städtgärtner auch Europa.

Bienen in der Stadt An unwirtschaftlichen und oft hässlichsten Orten schossen plötzlich Gemein-schaftsgärten aus dem Boden wie Pilze bei feuchtem Wetter. Manche Stadtgärtner legen ihren Garten kom-plett mobil an. Das bedeutet: Sie pflanzen ihr Gemüse nicht in den Boden der Brachfläche, sondern in Blu-menkübel, Säcke oder alte Badewannen. So können sie ihre Gärten jederzeit transportieren. So funktio-nieren beispielsweise die «Prinzessinnengärten» in Berlin oder der «Frau Gerolds Garten» in Zürich. Der Urban-Trend kennt keine Grenzen. Das nächste grosse Ding, das sich anbahnt, ist «Urban Im-kering», Imkereien in den Grossstädten. Die Idee ist gar nicht so blöd. Die Biene – eines der ältesten Nutz-tiere überhaupt – fühlt sich in der Stadt nämlich durchaus wohl. Während auf dem Land dank Mono-kulturen, Schmarotzertieren und Gifteinsätzen das Bienensterben grassiert, finden Bienen in den Städ-ten die besseren Lebensbedingungen. In der Stadt Zü-rich beispielsweise wachsen rund 1200 Pflanzenarten

wild. Die Stadt ist damit fast doppelt so reich an Pflanzenarten wie eine land- und forst-wirtschaftlich genutzte Gegend von ähnlicher Grösse, wie das Tiefbau-und Entsorgungsamt der Zwinglistadt sagt. So leben auf dem Dach des Zürcher Luxushotels Marriot mittlerwei-le fast eine halbe Million Bienen. Aber nicht nur in Zürich sind Stadtbienen beheimatet, mittlerweile bevölkern sie unzählige Städ-te in Europa. Sogar auf dem Dach des Luxus-modehauses Louis Vuitton in Paris haben Bienen ein neues Heim gefunden.

Die neue Generation Grünes Stadtleben ist keine Erfindung der Neuzeit. Die Kleingar-tenkolonien am Rande einer Stadt, die Schre-bergärten, gibt es seit der vorletzten Jahr-hundertwende. «Halt», sagt der Präsident des Familiengärtner-Verbands Schweiz, Walter Schaffner, «wir nennen uns Familien- oder Freizeitgärten. Alle Vereine in der Schweiz nutzen den Begriff ‹Schreber› nicht mehr.» Diese Gärten unterscheiden sich von den ur-banen Stadtgärten insbesondere durch ihr Verhältnis zur Stadt: Im Gegensatz zu den Fa-

80 LEBENSART

Lebensart

Page 81: PUNKT Stadt/Land

DAS ENDE DER ESCHE?Der Pilz, der einen Grossteil der Eschen in Europa befällt, ist aktiv wie eh und je. Ob das ein Problem darstellt, ist umstritten.

Klammheimlich hat sich bei Eschen ein Pilz verbreitet, der sie zum Absterben

bringt. Zuerst nur im Jura aufgetreten, hat sich der Hymenoscyphus pseudo-

albidus im Land breit gemacht. Einzig im Tessin und in einigen Bündner Sei-

tentälern tritt er nicht auf. Die Ursache konnte erst 2006 gefunden werden,

jedoch wurde der weissliche tödliche Pilz zuerst verwechselt. Denn äusser-

lich unterscheidet sich das «Falsche Weisse Stengelbecherchen» nicht von

seinem harmlosen Verwandten, dem «Weissen Stengelbecherchen». Erst

2009 konnte Valentin Queloz, Forscher an der ETH Zürich, den Pilz eindeu-

tig identifizieren, die offizielle Publikation erfolgte 2011. Die Situation ist

durchaus dramatisch: Mehr als neunzig Prozent der jungen Eschen sind be-

fallen. Forschungsergebnisse zeigen, dass nur zwischen einem und fünf Pro-

zent der Eschen resistent oder zumindest tolerant gegenüber der Krankheit

sind. Queloz erklärt, man könnte die Eschen theoretisch «komplett ausrotten

und nach einigen Jahren wieder ansiedeln.» Damit der Pilz aber tatsächlich

verschwindet, müsste die Ausrottung auf einem grossen Gebiet vorgenom-

men werden. «Zudem müsste man absolut sicher sein, dass keine Neuein-

schleppungen erfolgen, was beim heutigen globalen Handel und infolge der

Sporenausbreitung durch den Wind unmöglich ist.» Man kann das Gesche-

hen auch weniger dramatisch sehen, denn Eschen machen lediglich vier Pro-

zent des Schweizer Waldes aus. Zudem könnte sich die Esche wieder erho-

len, nachdem die anfälligen Bäume ausgerottet sind. Der Bestand wäre dann

zwar drastisch kleiner, doch die überlebenden Eschen könnten sich wieder

ausbreiten. Queloz will dieser Argumentation nicht komplett widersprechen,

äussert jedoch Bedenken. «Wenn zu viele Eschen verschwunden sind, be-

steht die Gefahr, dass sie sich wegen der grossen Distanzen nicht mehr fort-

pflanzen können. Zudem reduziert eine starke ‹natürliche› Selektion die ge-

netische Vielfalt, was die Esche verwundbar für weitere Angriffe machen

könnte.» Aber Panik sei Fehl am Platz, denn «die Wälder werden ohne auch

ohne die Esche weiterleben.» Ob dieser Wald anders funktionieren würde,

sei noch unklar. «Heutzutage weiss man sehr wenig über die ganze Flora und

Fauna, die von der Esche abhängig ist. Das wird derzeit untersucht.» SJ

miliengärtnern verstehen sich Urban Gar-dener klar als Teil der Stadt. Zudem sind sie nicht in Vereinen organisiert. In Stadtgärten wird grosser Wert auf das Gemeinschaftliche gelegt. In den Freizeitgärten ist dies weniger der Fall, da dort jeder für seine eigene Parzel-le verantwortlich ist. Dort buddeln Schwei-zer, Spanier oder Italiener ins Erdreich. Bis-lang dominierte die Nachkriegsgeneration. Doch neuerdings findet in den Kleingärten ein Generationenwechsel statt, der dessen bisweilen biederes Image möglicherweise aufbrechen wird. So gehen Neuverpachtun-gen vermehrt an jüngere Familien. Egal, ob organisiert oder lose, im Stadt-kern oder der Peripherie, verfügen alle Stadt-gärtner über eine Gemeinsamkeit: Sie kön-nen ihre Salatgurken so anbauen, wie sie es wollen und müssen die «besonderen Be-stimmungen für den Handel» nicht beach-ten. Diese schreiben beispielsweise eine ma-ximale Krümmung von zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge vor. Ob der Ge-schmack in den steigenden Winkelgraden verlorengeht?

81LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 82: PUNKT Stadt/Land

DAS SPIEL ZUR AUSGABE«Stadt, Land, Fluss» wird seit über hundert Jahren gespielt. Ein Ende ist nicht abzusehen – Adaptionen sei Dank.

Wenn Europa über eine kollekti-

ve Spielkiste verfügt, dann gehört

«Stadt, Land, Fluss» auf jeden Fall in

diese Kiste. Das Spiel ist schnell alt-

bekannt: Zu einem zufällig gewähl-

ten Buchstaben gilt es, in jeder Ka-

tegorie – häufig eben Stadt, Land

oder Fluss – einen Begriff zu fin-

den, der mit diesem Buchstaben be-

ginnt. Der Reiz, das repetitive Spiel

in geselliger Runde wieder und

wieder zu spielen, liegt in der Ge-

schwindigkeit und taktischen Über-

legungen. Zu offensichtliche Ant-

worten finden den Weg aufs Blatt

oft nicht, da es nur einen halben

Punkt abwirft, wenn sich mehrere

Spieler eine Antwort teilen. Trotz-

dem kann das Spiel irgendwann

langweilig werden. Zumal man vie-

le Antworten nach Jahrzehnten

auswendig weiss. Mehr Spass ver-

spricht es, wenn man bei der Kate-

gorienwahl Kreativität walten lässt.

«Stadt» beispielsweise kann ersetzt

werden durch «CEO einer S&P-100-

Firma», «Land» durch «Schwellen-

land» und «Fluss» durch «Politiker

mit aberkanntem Doktortitel». SJ

GROSSSTADTLEGENDEN«Der Freund einer Bekannten hat kürzlich …» So oder ähnlich beginnen städtische Legenden, auch urbane Mythen genannt. Ob nun wahr oder nicht – was ist an den Geschichten «urban»?

Dass die Legenden plötzlich urban wurden, war kein Zufall, sondern eine

explizite Gegenbewegung zu den Sagen und Mythen der Vergangenheit,

die meist im ländlichen Milieu angesiedelt waren. Als Erfinder der «Urban

Legends» gilt der amerikanische Professor Jan Harold Brunvand, der die

Funktionsweise traditioneller Volksmärchen studierte und auf moderne

Geschichten adaptierte. Die gesammelten Geschichten veröffentlichte er

1981 in seinem Buch «The Vanishing Hitchhiker: American Urban Legends &

their Meanings». Mit der modernen Sagensammlung wollte Brunvand zei-

gen, dass solche Legenden nicht nur in traditionellen Gesellschaften vor-

kommen, sondern eben auch in modernen. Zudem könne man anhand

der Geschichten viel über die moderne und urbane Kultur lernen, so Brun-

vand. Lediglich ein Überbleibsel ist hingegen der Begriff Mythos: Göttliches

spielt in modernen Sagen so gut wie keine Rolle mehr. Das gilt traditionell

auch für die Wahrheit, denn zumeist sind es eben wirklich nur Legenden re-

spektive Erfindungen: Es gab niemals Krokodile im Abwassersystem von

New York, ebenso wenig wurden Kinder durch Rasierklingen in Halloween-

Äpfeln getötet. Fünf Tage tot am Schreibtisch und keiner der Mitarbeiter

hat’s gemerkt? Eine Legende, auch wenn sie von der Times, dem Guardian

und der BBC aufgegriffen wurde – und so gar vorzüglich passt in eine Zeit,

die zunehmend rauer und unmenschlicher wird. Ebenfalls zu den Ammen-

märchen gezählt werden müssen spontane Selbstentzündungen von Men-

schen. Das hört sich zwar spektakulär an, ist physikalisch aber schlicht

nicht möglich, da Fett und Methan die einzigen brennbaren menschlichen

Materialien sind. Die wahrscheinlichere Ursache für vermeintliche Selbst-

entzündungen ist der Dochteffekt: Eine offene Flamme, beispielsweise ei-

ner Kerze, die Kleidung und Haare des Opfers in Brand setzen, worauf sich

das unterhalb der Haut liegende Fettgewebe verflüssigt. Fazit zum Schluss:

Legende bleibt Legende, daran vermag auch ein Umzug vom Land in die

Stadt nichts zu verändern. DF

82 LEBENSART

Page 83: PUNKT Stadt/Land

Bipolare Welten

Grautöne sind modisch selten falsch und vor allem literarisch derzeit recht angesagt. Ich persönlich finde grau generell etwas sehr Gutes. Es ist klassisch und unaufgeregt, und auch

in Meinungsfragen zeugt der Graubereich ei-gentlich meist nicht von Unentschiedenheit, sondern viel eher von einem überlegten Ab-wägen der gänzlich schwarzen oder weissen Ansicht einer Angelegenheit. Aber es gibt ei-ne Sache, bei der kann ich mich beileibe nicht für die Grauzone erwärmen, und zwar ist das die verwischte Grenze zwischen Stadt und Land. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mag Wachstum. Ich bin mir auch gänzlich bewusst, dass selbst Zürich im Vergleich zu wirklichen Metropolen ein winziger Happen Stadt ist und durchaus wachsen muss, um ir-gendwann vielleicht mit richtigen Grossstäd-ten mithalten zu können. Ich verstehe auch alle, die sich dem Mietpreisdiktat der Stadt nicht unterwerfen wollen oder können und dennoch nicht bereit sind, mit Postauto und Gummiboot vom schönen Hinterdudlikon morgens eine Stunde zur Arbeit zu trampen. Ich verstehe, wenn man sich deshalb für etwas dazwischen entscheidet. Aber die Agglo, dieser anonyme Graube-reich zwischen Stadt und Land, macht mich immer ein wenig traurig. Nichts Halbes und nichts Ganzes, sondern einfach irgendwie auch noch da, eingeklemmt zwischen diesen bipolaren Welten: auf der einen Seite die schö-ne, flirrende Urbanität mit all ihren Vorteilen. Und auf der anderen Seite das idyllische, fri-sche Land mit seinen ganz eigenen Vorzü-gen: die Luft, der Wald und der Metzger, dem

man auch mit über Vierzig nicht übel nimmt, dass er einen wie selbstverständlich duzt, auch wenn man ihm wie seit jeher mit einem res-pektvollen Grüezi gegenübertritt. Die kleine Bäckerei, der Stoffladen – und überall Men-schen, die man beim Namen kennt. Diese Ländlichkeit wird dieser Tage mit Trends wie Urban Gardening in den Städ-ten regelrecht zelebriert. Und überall selbst-gemachte Konfitüren, handgestrickte Schals, weitläufige Markthallen, kleine Tante-Emma-Läden und eben: viel Hausgemachtes, egal wo man hinschaut. Und fast alle hegen den Wunsch, bei jedem Produkt zu wissen, wer es produziert hat. Das zeigt im Grunde eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Echt-heit. Und das ist auch für Marken wichtig. Die Globalisierung bringt eine enorme Schnelllebigkeit mit sich, alles ist immer und überall erhältlich. Einkaufsstrassen in Gross-städten ähneln sich immer mehr: H&M, Star-bucks, McDonalds. Auf dem Weg zurück Bo-dyshop, Nespresso und irgendwas mit Uhren. All dies erzeugt einen Gegentrend hin zu ei-ner Faszination und einem Bedürfnis nach regionalen und lokalen Marken. Der Kon-sument sehnt sich nach authentischen Mar-ken und ihren Geschichten. Die eigenstän-dige Identität eines Ladens, eines Produktes oder eines Unternehmens, das aufgrund sei-ner Geschichte und Einzigartigkeit überzeugt und sich vom Rest abhebt, hilft dem Konsu-menten, sich damit zu identifizieren. Und ge-nau deshalb haben regionale und lokale Mar-ken eine grosse Zukunft. Denn im Branding ist es wie im richtigen Leben: Manchmal ist klein und fein eben einfach mehr.

René Allemann ist Gründer und CEO des Beratungsunternehmens Branders, das sich auf Markenberatung

spezialisiert hat. Er ist zudem Herausgeber des Online-Magazins thebrander.com.

René Allemann

83LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

kolumne

Page 84: PUNKT Stadt/Land

Uhren verfügen in der Regel über eine lange Geschichte, so auch die IWC Ingenieur. Das erste Modell der Reihe kam 1955 in den Verkauf. Es war die erste Uhr, die ein beid-seitig aufziehendes Automatikwerk besass. IWC Ingenieur gilt als das Modell, das der Schweizer Uhrenmanufaktur zum Durch-bruch verhalf. Nun agiert die International Watch Company für die nächsten drei Jahre als Partner des Mercedes AMG Petronas For-mula One Team. Beide Branchen stehen für Präzision und höchste technische Anforde-rungen. Die neue Ingenieur-Kollektion um-fasst neun Zeitmesser. Typische Rennsport-materialien wie Karbonfasern, Keramik und Titan prägen die Designlinie. Die Pole Posi-tion gebührt der Ingenieur Constant-Force Tourbillon im Platin-Keramik-Gehäuse. Ihr Konstantkraft-Mechanismus ist in ein Tourbillon integriert und gewährleistet ei-nen präzisen Gang. Zwei Federhäuser lie-fern das für den Antrieb des Konstantkraft-Tourbillons benötigte höhere Drehmoment und versorgen das Mondphasenmodul mit der nötigen Energie: Performance pur. Für Fans der mechanischen Uhr ein regelrechter Augenschmaus. CHF 250 000.– | iwc.ch

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84 LEBENSART

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Page 85: PUNKT Stadt/Land

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sendeschluss ist der 15. April 2013, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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85LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

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Page 86: PUNKT Stadt/Land

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Fattoria La Vialla ist ein ganz und gar ökologisch-nachhaltiger und unabhängiger Landwirtschaftsbetrieb. Vom Anbau über Ernte, Zubereitung und Verpackung bis hin zum Versand: In der Fattoria wird alles selbst gemacht. Der Betrieb im weitläufigen Chiantigebiet wird von der Familie Lo Franco seit 1978 nach der biologischen und biodynamischen Methode bewirtschaftet. Ressourcen werden spar-sam eingesetzt, Abfälle weiterverwendet und sämtliche Energien sind erneuerbar. So versorgt beispielsweise die eigene Photovoltaikanlage den Bauernhof und das Weingut komplett mit Strom. Tradition wird dagegen bei den Produkten gross geschrieben: Weine, Vin Santo, Oli-venöl extravergine, Essig, Schafskäse, Pasta, Pastasaucen und Gebäck werden allesamt nach alten traditionellen Rezepten hergestellt. Er-hältlich sind die Erzeugnisse über Direktbestellung. Fattoria La Vialla liefert sozusagen die Toskana direkt auf den Tisch.

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86 LEBENSART

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Page 87: PUNKT Stadt/Land

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87LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

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Page 88: PUNKT Stadt/Land

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88 LEBENSART

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Page 89: PUNKT Stadt/Land

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Die Wirtschaft kann auf Emotio-

nen nicht verzichten. Sie sind der

Motor unseres Handelns.

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Heimat ist ein Nicht-Ort, sagt Bern-

hard Schlink. PUNKT hat sich trotz-

dem an das Thema herangewagt.

Ausgabe N°39

Glaube an sich selber und Glaube

an eine höhere Macht: Beide be-

stimmen den Lauf der Ökonomie.

Ausgabe N°40

Etwas mehr Pragmatik könnte

beim Umgang mit den Folgen des

Rausches nicht schaden.

Ausgabe N°41

Irgendwo zwischen Erblasten und

Erben blieb die Generationensoli-

darität auf der Strecke.

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89LEBENSARTPUNKTmagazin STADT | LAND

Page 90: PUNKT Stadt/Land

IMPRESSUMVORSCHAUMagazin # 02 | 2013Ausgabe «Werte»ab 25. April 2013

VERLAG financialmedia AG, Pfingstweidstrasse 6, CH-8005 Zürich,

[email protected], financialmedia.ch

Verleger Rino Borini, Patrick M. Widmer

Auflage 12 500 Exemplare, 40 000 Leser/Ausgabe (LpA)

ISSN-Nr. 1661-8068

Erscheinung 2013 N˚01 28. Februar, N˚02 25. April, N˚03 13. Juni, N˚04 04.

September, N˚05 23. Oktober, N˚06 04. Dezember

Haftungsausschluss Die Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch aus-

zugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Für unverlangte Zusendungen

wird jede Haftung abgelehnt. Die im Magazin veröffentlichten Angaben die-

nen der Information und sind keine Aufforderung zum Kauf und/oder Verkauf

von (Anlage-)Produkten.

REDAKTION Chefredaktion Rino Borini; [email protected]

Redaktoren Mark Baer (MB), Wilma Boegel (WB), Rino Borini (RB), David Fehr

(DF), Dmitrij Gawrisch (DG), Simon Jacoby (SJ), Michaël Jarjour (MJ), Barbara

Kalhammer (BK), Seraina Kobler (SK), Kristin Kranenberg (KK), Markus Noelle

(MN), Florian Schaffner (FS), Claudia Thöny (CT), Nina Vutk (NV), Stine Wetzel

(SW), Adrian Witschi (AW)

Redaktion PUNKTmagazin, c/o financialmedia AG, Pfingstweidstrasse 6,

CH-8005 Zürich, [email protected], punktmagazin.ch

KREATION & UMSETZUNG Art Direction, Konzept,Bildredaktion Boris Gassmann;

[email protected]

Layout, Grafik, Postproduktion Boris Gassmann;

[email protected], Fabian Widmer; [email protected]

Fotografie Christine Bärlocher; chbaerlocher.ch,

Markus Frietsch; markusfrietsch.com, Patrizia Human; patrizia human.ch

Druck pmc, print media corporation, CH-8618 Oetwil am See, pmcoetwil.ch

VERKAUF Anzeigenleitung Monika Schneider; [email protected],

Telefon: +41 (0)44 277 75 30

Marketingleitung Patrick M. Widmer; [email protected],

Telefon: +41 (0)44 277 75 30

IMPRESSUM

Konsumeffizienz war lange kein Thema. Ein Auto, das nur alle paar Monate gefahren wird? Eine Wohnung, die 51 Wochen pro Jahr leer steht? Im Überfluss der letzten Jahrzehnte war das egal. Heute, da die Mittel knapper werden und das Ressourcenbewusstsein steigt, wird Eigentum vermehrt geteilt: tiefere Kosten, bessere Auslastung, mehr Effizienz, mehr Wert. Ist «Shareconomy» die Zukunft?

MORAL FÜR MASCHINENYale-Professor Wendell Wallach forscht mit Programmierern nach Möglichkeiten, Computern Moral beizubringen. Warum? Weil er ver-hindern will, dass sie demnächst eine grosse Katastrophe verursachen.

WAS IST ES (DIR) WERT?Wie viel bezahlen Konsumenten für ein Produkt, wenn sie den Preis selber bestimmen können? Die Antwort ist so vielschichtig wie das Preismodell selber. Wie funktioniert «Pay What You Want»?

DER SICHERE WERTNachdem der «Tatort» zwischenzeitlich fast totgeglaubt war, erlebt er seit ein paar Jahren ein fulminantes Comeback. Wie kam das?

und mehr …

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Page 92: PUNKT Stadt/Land

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